Ein Land im Abendlicht
Erstellt von Gast-Autor am 23. Juli 2013
AMERIKA
John Steinbecks Camper Truck. 2007
RationalgalerieAutor: Achim Engelberg
Datum: 22. Juli 2013
Die Rezension von Achim Engelberg erschien zuerst in den BLÄTTERN FÜR DEUTSCHE UND INTERNATIONALE POLITIK. Die „Blätter“, wie sie gern genannt werden, zählen zu den wenigen linken, intellektuellen Publikationen von Bedeutung. Zum Herausgeberkreis gehören u. a. Norman Birnbaum, Jürgen Habermas, Saskia Sassen, Jens Reich und Friedrich Schorlemmer. Die Arbeit von Engelberg ist in der RATIONALGALERIE gekürzt veröffentlicht.
Der niederländische Publizist Geert Mak fuhr am 50. Jahrestag der Reise John Steinbecks auf der dadurch klassisch gewordenen Route quer durch die Vereinigten Staaten – Amerika nicht nur mit der Seele suchend, sondern auch mit dem Verstand. Bereits sein viel gelesenes „In Europa – Eine Reise durch das 20. Jahrhundert“ war inspiriert von John Steinbecks „Die Reise mit Charley. Auf der Suche nach Amerika. Der Autor des die Epoche der großen Depression symbolisierenden Meisterwerks „Früchte des Zorns fürchtete im Jahre 1960, 58jährig, den Kontakt zu den einfachen Menschen zu verlieren, aus deren komplizierten Problemen er für seine Welterfolge schöpfte. Den Veränderungen in den gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen seines Landes wollte Steinbeck nachspüren.
Jeder europäische Amerikareisende – von Alexis de Tocqueville bis eben zu Geert Mak -vergleicht den alten Kontinent mit der neuen Welt, ist doch das Land der gewünschten unbegrenzten Möglichkeiten in Abgrenzung zu den damals dynastisch und ständisch geprägten europäischen Kolonialmächten entstanden. Im Gegensatz zum benachbarten Kanada, das britische Kronkolonie blieb, lösten sich die USA vom alten Kontinent. Dieser habe zu viel Geschichte und zu wenig Geographie, zitiert Mak den Historiker Boorstin, Amerika dagegen eher wenig Geschichte, aber einen Überfluss an Geographie.
Interessant auch, was John Steinbeck bereits 1960 beobachtete und das wir heute als geschichtsträchtig ansehen: Während seiner Reise tobte der Wahlkampf zwischen John F. Kennedy und Richard Nixon, der erste, den auch ein Fernsehduell entschied. Beide Kandidaten sind die ersten in einer langen Reihe „vorgefertigter Politiker“ ohne Werte, also auch ohne Geschichtsbewusstsein. Der scharfsinnige Historiker Arthur M. Schlesinger Jr. sagt uns durch Geert Mak: „Das Produkt, das Kennedy verkaufen will, ist sein Programm, das Produkt, das Nixon zu verkaufen versucht, ist er selbst.“
Aber nicht nur auf den Höhen des Geistes und der Macht, sondern auch in den Schluchten des Alltags erblickt Geert Mak ein Land im Abendlicht: In Phoenix erkennt er an den zittrigen, faltigen Händen der Verkäuferin, dass diese auf die 80 zugeht. Bei Gesprächen in Diners hört er besorgte Eltern klagen, dass es ihren Kindern nicht besser gehen werde als ihnen, sondern schlechter: „Der Niedergang der kleinen und mittelständischen Betriebe, dessen Anzeichen schon Steinbeck wahrnahm, hat sich fortgesetzt.“
In der ehemaligen Boomtown und Autometropole Detroit mehren sich Ruinen, manche sehen in ihnen künftige Besuchermagneten, vergleichbar denen der antiken Stätten von Rom bis Ephesos. In den noch belebten Vierteln ballen sich soziale und ökonomische Probleme: „Massenemigration, eine schrumpfende Wirtschaft, Globalisierung; und dazu gesellt sich der Zerfall der alten sozialen Strukturen wie Familie und Nachbarschaft.“
Nicht mehr die Autoindustrie, sondern die Wall Street symbolisiert das neue Amerika. Treffend kommentiert Geert Mak: „Wie in Russland der Inlandsgeheimdienst FSB das Personal für Spitzenpersonen im Staatsapparat liefert, so liefert in den Vereinigten Staaten immer wieder Goldman Sachs die Schlüsselfiguren, die über die Ausrichtung der Finanzpolitik bestimmen.“
Dass die USA immer noch eines der reichsten Länder der Welt sind, zeigt ihre militärische Präsenz: Weltweit agieren sie von ungefähr 1000 Militärbasen in rund 120 Ländern. Anders als im Römischen Reich oder dem Britischen Empire geht es ihnen aber „nie um Beziehungen, die endlos währen können“. Kühl weist Geert Mak auch das Geschwätz von Robert Kagan und anderen Neokonservativen zurück, die Amerikaner kämen vom Mars, die Europäer von der Venus: „Allein im Ersten Weltkrieg starben auf französischer Seite 1,3 Millionen Soldaten – die Anzahl der amerikanischen Soldaten, die in allen Kriegen des Landes – mit Ausnahme des Sezessionskriegs – von 1776 bis heute gefallen sind, ist nicht halb so hoch.“
Die Veränderung der weltpolitischen Kräfteverhältnisse geht einher mit einem Widerspruch innerhalb der Unterschichten – dem zwischen den „eigenen Interessen und politischer Einstellung“. Verunsichert vom Wandel, vertrauten viele einem reich geborenen, sich gemein machenden George W. Bush, der anscheinend ihre Werte vertrat, aber ihre Möglichkeiten drastisch einschränkte.
Freilich, Amerikaner erfanden mit Google, Apple, Amazon und Facebook bestimmende Produkte des frühen 21. Jahrhunderts. Aber sie verharren „in vielen lebenswichtigen Bereichen, vor allem was den Energiesektor, den Umweltschutz und die Infrastruktur“ betrifft, in vergangenen Zeiten.
Die Fülle von Geert Maks Gedanken und Erinnerungen, Beobachtungen und Lektüren ist so spannungsreich, dass man das Buch in einem Zug lesen möchte. Froh können seine Leser sein, dass er die Reise zu Ende führte, allerdings ärgert sich auch der Publizist Geert Mak manchmal über zu lässige Erfindungen des Nobelpreisträgers von 1962, John Steinbeck. Und in der Tat sollte man auf seinem Feld der Tatsachen mit Vorsicht ernten. Wenn dieser Begegnungen erfindet, stellt er oft das Spektrum von Haltungs- und Handlungsmöglichkeiten dar. Die drei Anhalter, die er angeblich hintereinander in den Südstaaten mitnimmt, scheinen aus verschiedenen Personen zusammengesetzt, aber der unterwürfige Schwarze, der weiße Rassist und der radikale Schwarze geben dennoch treffend die Gemengelage wieder, die wenige Jahre nach Steinbecks Reise zu Unruhen führte und schließlich zur Aufhebung der Rassentrennung.
Kompositorisch verwebt Geert Mak dicht verschiedene Gattungen – Reisebericht, Geschichtsschreibung, Literaturkritik – zu einem eigenen Genre, in dem Erzählen und Analysieren sich spannungsreich und dadurch spannend vereinen. Das Ergebnis: erschreckend in seiner Diagnose, beglückend in seiner Erzählung.
Buchtitel: Amerika! Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten
Autor: Geert Mak
Verlag: Siedler
Nachtrag: Zufällig heute gelesen ein Interview mit Geert Mak: DL/IE
„Viele glauben nicht an eine bessere Zukunft“
taz: Herr Mak, Sie sind nicht als Erster auf John Steinbecks Spuren durch Amerika gereist. Aber mit Ausnahme des Journalisten Bill Steigerwald, der dieselbe Idee einer 50-jährigen Jubiläumstour hatte, ist niemandem aufgefallen, dass vieles in seinen „Travels“ fragwürdig ist?
Geert Mak: Nein, merkwürdigerweise haben das auch die Steinbeck-Forscher nie genauer untersucht. Eine erste Ahnung bekam ich, als ich die Biografie seines Sohns John jr. las. Seiner Ansicht nach hat sich Steinbeck die Begegnungen in den „Travels“ aus den Fingern gesogen. Als ich dann unterwegs war, merkte ich auch bald, das kann unmöglich hinkommen. Am Morgen ist er da, am Abend dort, das sind 450 Meilen, und zwischendurch hat er von mittags bis abends geangelt und geplaudert. Wie soll das gehen mit diesem alten Lastwagen?
Und dabei liest es sich zunächst so toll, wie er da seine Reisevorbereitungen trifft, seinen Truck mit Alkoholika vollstopft, weil er mit den Menschen ins Gespräch kommen will. Am Ende gerät das Ganze dann aber doch recht flüchtig.
Zuerst funktioniert das noch ganz gut. Dann kommt er nach Chicago, und alles ändert sich. Er trifft seine Frau Elaine und wird danach mehr und mehr von der Sehnsucht nach seiner Frau getrieben.
Und reist dann durch den Mittleren Westen bis nach Seattle.
Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen
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