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Archiv für die 'Gesundheitspolitik' Kategorie

Interviews mit Hitzetoten

Erstellt von DL-Redaktion am 31. Juli 2023

Der Tod, der aus der Sonne kam

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Quelle       :    RATIONALGALERIE

Autor        :    Uli Gellermann

Ob Radio, TV oder Print-Medien: Der Tod lauert überall. In ziemlicher Nähe zur Erde glüht die Sonne so vor sich hin. An der Oberfläche des Nachbarplaneten herrschen ungefähr 6.000 Grad Celsius, im Inneren überwiegen sogar Temperaturen von 15 Millionen Grad Celsius. Diese permanente Bedrohung schlägt sich primär in den Medien nieder.

Zum Thema wurden uns erfreulicherweise Interviews von SIERA zugesendet, die sie in einem ungenannten Medium entdeckte.

Interviewer: „Frau Braun, wann und warum sind Sie in diesem Monat gestorben?“

Frau Braun: „ Schon Ende Juni hatte ich das Gefühl, daß hier im Land etwas nicht stimmt. Von ungefähr März an bis Ende Juni wurde es immer wärmer – mir wurde immer unheimlicher zumute! Dazu kam, daß Bäume ausschlugen (!), Gräser aus dem Boden schossen(!) , manche Blumen begannen sogar schon zu blühen … es war nicht zum Aushalten!“

Interviewer: „ Aber das gab es doch schon immer!“

Frau Braun: „Aber doch nicht so! Doch noch nie in dieser Weise! Nie war es dermaßen bedrohlich! Zudem hörte ich in der Tagesschau, daß der Klimawandel immer näher kommt – und das konnte ich fühlen! Ich war oft erschöpft, verschwitzt, verängstigt…

Interviewer: „Wann begann das bei Ihnen?“

Frau Braun: „ Ich sagte ja schon … Ende Juni hatte ich dieses komische Gefühl… vielleicht auch schon früher … man achtet ja nicht dauernd auf sowas… ; aber als ich vom Klimawandel hörte, wurde mir alles klar!

Interviewer: „Was wurde Ihnen klar?“

Frau Braun: „Das habe ich doch schon gesagt! Das hier was nicht stimmt, wurde mir klar! Ich bekam furchtbare Angst vorm Juli… Der Juli stand vor mir wie eine drohende Wand! Ich recherchierte, ob in anderen Teilen der Welt auch Juli war; aber dann wurde mir klar, daß ich vor dem weltweiten Klimawandel nicht davonlaufen konnte – auch nicht davonfliegen! Denn mit meinem Flug hätte ich den Klimawandel ja forciert! Also blieb ich hier in der Stadt und hoffte auf ein Wunder! -Als das Thermometer auf 25° kletterte, habe ich mich überwiegend im Keller meiner Nachbarin aufgehalten – ich selbst habe ja leider keinen. Meine leichtsinnige Nachbarin brauchte ihn zu der Zeit nicht.- Als jedoch die Temperaturen gegen 30° anstiegen, drängte sie mich, ihren Keller zu verlassen, weil sie mit ihrer gesamten Familie den Platz brauchte – auch das Eingemachte hatte sie schon ins obere Stockwerk gestellt.

Interviewer: „Das hört sich schlimm an; was haben Sie dann gemacht?“

Frau Braun: „Zum Glück hatte ich ja noch meine Tiefkühltruhe! In der habe ich meine Tage verbracht – in den frühen Morgenstunden habe ich mir Lebensmittel gekauft, kalte natürlich! Also alle Sorten Speiseeis, Tiefkühlerbsen, eigentlich alle Tiefkühlgemüse und -fleischsorten. Ich habe alles so kalt wie möglich gegessen, um meinen Körper nicht zu erhitzen … Gegen Mittag bin ich wieder zurück in meine Tiefkühltruhe!

Interviewer: „Wie haben Sie das nur ausgehalten?“ Ohne soziale Kontakte?“

Frau Braun: „Ich hatte immer mein Handy dabei! Freundinnen von mir haben es so gemacht wie ich; so habe wir dann quasi von Truhe zu Truhe geplaudert- das war tröstlich.

Interviewer: „Ach, Freundinnen von Ihnen haben das genauso gemacht!? Da haben sie alle ja extrem viel Strom verbraucht mit ihren Truhen!“

Frau Braun: „ Ja, das hat uns alle belastet! Wir wußten, daß sich Putin über unseren Stromverbrauch freuen würde! Das hatten wir ja alle in den Nachrichten gehört… Aber unser Lebenswille war stärker als alle politischen Bedenken!

Interviewer: „ Frau Braun, wie ist es nun aber zu Ihrem ( er schaut auf seine Notizen ) frühzeitigen Exidus gekommen – Sie sind erst 61Jahre….?

Frau Braun: „Am 23. Juli fühlte ich mich morgens so elend, sodaß ich mich zu meinem Hausarzt schleppte. Nebenbei möchte ich betonen, daß ich auch nach der Entwarnung sicherheitshalber stets meine FFP2- Maske trug! Mein Arzt stellte bei mir eine extrem starke Unterkühlung fest; ich wurde in Aluminiumfolie gewickelt und in ein Krankenhaus transportiert – gegen meinen Willen! Denn ich wußte, daß es dort viel zu heiß ist; Zimmertemperaturen von teilweise 26°! Darüber regte ich mich entsetzlich auf und verstarb schon auf dem Weg ins Hospital!“

Interviewer: „Unverantwortlich von Ihrem Arzt! Mein Beileid! Was stand auf Ihrem Totenschein?“

Frau Braun: „Ich wundere mich über Ihre Frage! An extremer Hitze gestorben – was sonst?!“

Interviewer wendet sich nun Herrn Töpfer zu.

Interviewer: „ Seht geehrter Herr Töpfer, darf ich auch Sie fragen, wann und warum Sie in diesem Jahr gestorben sind?“

Herr Töpfer: „Darüber gebe ich Ihnen gern Auskunft. Als Karl Lauterbach vor der Hitzewelle in diesem Sommer warnte, hörte ich ihm -wie auch schon bei Corona – intensiv zu. Ich muß dazu bemerken, daß ich diesen Mann auch nach meinem Exidus sehr schätze, denn ohne die Impfungen – Sie müssen wissen, ich bin dreimal geboostert – wäre ich ja schon 2021 gestorben! So hoffte ich also auf die Spritze gegen die Hitze, die es, soviel ich weiß, immer noch nicht gibt! Eine Schande ist das!
Interviewer: „ Aber könnte nicht auch Ihr Gewicht ( Interviewer schaut auf seinen Zettel ), ähm 170 Kilo eine Rolle gespielt haben?

Herr Töpfer: „Nun kommen Sie mir mal nicht komisch, Herr… wie war doch Ihr Name? Bis zu dieser Hitzewelle ab Anfang Juli ging es mir sehr gut! Ich konnte problemlos vor dem Fernseher sitzen, ohne stark zu schwitzen! Trank gemütlich meine Bierchen, fiel gegen 22Uhr ins Bett und stand morgens ausgeruht auf. Anfang Juli dann mit Blick auf das Thermometer und den Informationen aus dem Radio ging mein Blutdruck hoch; denn ich wußte ja schon von Lauterbach, daß Menschen über sechzig in Gefahr sind, wenn das Thermometer über 20° klettert! Wenn ich mich sorge, esse ich – das beruhigt mich. Genauso ist es mit dem Trinken – mehr Bier , mehr Ruhe im Bau! – Ein Nachbar, mit dem ich an dem Tag verabredet war und der einen Schlüssel zu meiner Wohnung hat, fand mich in der Küche auf dem Boden liegend und alarmierte den Notarzt. Der stellte dann meinen Hitzetod fest.

Interviewer: „Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Töpfer! Daß die Pharma die Hitzespritze noch immer nicht auf den Markt gebracht hat, ist ein großes Versäumnis.“

Interviewer wendet sich nun der dritten Person zu – einem jungen Mann, 36 Jahre.

Interviewer: „Herr Piet Müller oder darf ich Sie einfach Piet nennen? Wann und warum sind Sie so jung verstorben?

Piet: „Alles klar, Mann! Die Hitze hat mir eigentlich nie viel ausgemacht – im Gegenteil. War oft in Spanien und Griechenland, surfen und segeln. Klar, da weht dann auch noch ein Wind. – Als ich von der Hitzewelle in der Tagesschau hörte, lachte ich erst darüber…- aber dann wurde mir im Gespräch mit Freunden klar, daß ich den Klimawandel ernst nehmen sollte! Meine Freunde taten das schon: fuhren kaum noch mit ihren Autos herum , duschten seltener, verreisten weniger … alles easy. Klar, war schon blöd, Mädels mit dem Fahrrad abzuholen – auf Tandem standen die meisten nicht. Also kaufte ich mir ein Super-Elektro-Fahrrad ; das hat relativ viel Speed. Das war dann aber auch mein Pech: ein Lastwagenfahrer übersah mich beim Abbiegen – vermutlich wegen der Hitze – und schon auf der Straße stellte der Notarzt fest: Schon wieder ein Hitzetoter.“

Hitzetod? Meine Windräder sind die Hände – damit rede ich und fächel mir Luft zu.

Interviewer: „Das tut mir sehr leid, Herr Piet! Auch der Lastwagenfahrer hätte die Hitzewelle ernst nehmen müssen und gar nicht losfahren sollen!“

Auf seinem Zettel hat der Interviewer noch den Namen von Frau Jung stehen, an die er sich jetzt wendet.

Interviewer: „Frau Jung, könnten Sie -möglichst kurz, die Zeit rennt uns davon – beschreiben, wann und warum es bei Ihnen zum Exidus kam?“

Frau Jung: „Nun…, am 22.Juli hatten wir ca. 25°, also eine Affenhitze, wie ich sie in meinen fünfundfünzig Jahren noch nie erlebt hatte; aus irgendeinem Grund vergaß ich, an diesem Tag genügend zu trinken; ich hatte trotz der Hitze keinen Durst und entschloß mich, wie immer am Samstag in die Sauna zu gehen. Ich weiß nicht mehr, wieviel Grad dort eingestellt waren; jedenfalls fühlte ich mich zu schlapp, Wasser aufzugießen. Mein Kreislauf ist seit einigen Jahren nicht mehr top – hätte das Rauchen aufgeben sollen -; jedenfalls fand man mich ohnmächtig in der Sauna, bzw. tot. Ich hörte, daß man inzwischen die Sauna „Todeszelle“ nennt – das war mir früher nicht klar.“

Interviewer: „Ich danke für dieses Gespräch! Meines Wissens werden alle Saunen endlich geschlossen!“

Der Interviewer, der selbst auch unter der großen Hitze leidet – immerhin sind es während der Interviews 27° – wendet sich nun an den letzten Hitzetoten.

Interviewer, verschwitzt und etwas stammelnd: „Herr Löhmann, äh, Lehmann … Sie sind 97 Jahre alt geworden – warum nicht 100?“

Herr Lehmann: „ Gut, daß Sie diese Frage stellen! Ja, ich wollte einhundert Jahre schaffen – genauso wie meine liebe Frau, die leider 2021 gestorben ist. Sie war eine Anhängerin von Karl Lauterbach – ich nicht … Sie können sich vorstellen, wie unsere bis dahin harmonische Ehe – wir haben vier Kinder und elf Enkelkinder – ab 2020 verlief …“

Interviewer unterbricht: „ Lieber Herr Lö, ähm, Lehmann, könnten Sie sich bitte etwas kürzer fassen – ich muß gleich in die Redaktion…“

Herr Lehmann: „ Also, kurz gesagt, ich war gegen das Spritzen , meine Frau dafür – sie starb im Herbst 2021. Kurz genug?“

Interviewer, erschöpft: „ Nun zu Ihrer Geschichte , bitte. Wie Sie wissen, sammle ich Geschichten über Hitzetote im Rahmen der diesjährigen Hitzewelle!“

Herr Lehmann: „Hitzewelle, Klimawandel – wenn ich das schon höre! In meinem langen Leben habe ich immer wieder sehr heiße Sommer erlebt … und? Bin ich gestorben? Nein, keiner… ach ja – und auch keinE ist wegen der Hitze gestorben. Wenn man mal vom Getreide absieht, ja, schlechte Ernten gab es ab und zu, trockene Gärten , Flüsse, deren Wasserstand niedrig war…“
Interviewer unterbricht unwirsch: „Aber warum sind dann Sie in diesem Juli gestorben, verdammt noch mal?“

Herr Lehmann: „Weil mich dieser ganze Scheiß dermaßen aufgeregt hat, diese miese Propaganda tagtäglich in den Medien! Ich hatte keine Lust mehr auf weitere drei Jahre! Hundert werden unter diesen Umständen?!

Nicht mit mir! Ich legte mich ins Bett, aß nichts, trank nichts, und nach einer Woche hörte ich meinen Hausarzt sagen „Total dehydriert, wieder ein Hitzetoter!“

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Brustimplantate :

Erstellt von DL-Redaktion am 30. Juli 2023

 Eine Geschichte vom Versagen der Behörden

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Quelle      :        INFOsperber CH.

Red. /   

Über die Gesundheitsschäden sei viel zu wenig bekannt, sagen zwei Wissenschaftler. Behörden hätten nicht oder zu spät reagiert.

Red. – Carl Heneghan ist Professor für evidenzbasierte Medizin an der englischen Universität Oxford und leitet dort das Zentrum für EBM. Tom Jefferson ist ein britischer Epidemiologe, der ebenfalls an der Universität Oxford lehrt und durch seine kritischen Analysen zum Grippemittel Tamiflu und zur Wirksamkeit von Grippeimpfungen sehr bekannt wurde. Beide wollen demnächst ein Buch veröffentlichen, das Gesundheitsschäden thematisiert, die von Medizinprodukten verursacht werden. Vorab publizierten sie in ihrem Blog «Trust the Evidence» auf «Substack» einen Auszug. Infosperber fasst das Wichtigste chronologisch zusammen.

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«Die Geschichte der Brustimplantate ist lang und traurig. Sie handelt von mangelnder Evidenz, kriminellen Machenschaften, nachlässigen Behörden und der Unfähigkeit, die Lehren daraus zu ziehen», stellen Heneghan und Jefferson fest und rekapitulieren diese Geschichte:

«In den 1890er Jahren wurde Paraffin injiziert, um die Brüste zu vergrössern. Aber das Paraffin lief aus, und das Verfahren wurde aufgegeben. In den 1920er und 1930er Jahren versuchten Chirurgen, Fett zu übertragen – ebenfalls keine gute Idee. In den 1950er Jahren wurden Knorpel, Holz und sogar Glaskugeln verwendet – die Nebenwirkungen waren katastrophal. 1962 liess sich Timmie Jean Lindsey, in Houston, Texas, als erste Frau weltweit die Brüste mit Silikonimplantaten vergrössern. Silikon ist eine Mischung aus verschiedenen Komponenten. Seine Eigenschaften variieren, je nach Belastung ist es mal mehr, mal weniger zäh oder starr. […] In den 1980er Jahren kamen Bedenken auf, dass Brustimplantate aus Silikon das Risiko für Krebs, Bindegewebserkrankungen und verschiedene Autoimmunerkrankungen erhöhen könnten. […] Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits mehr als zwei Millionen US-Amerikanerinnen diese Implantate erhalten.»

1988 erhöhte die US-Arzneimittelbehörde (FDA) die Anforderungen an Silikonimplantate. Sie galten nun als Medizinprodukte der höchsten Risikoklasse. Das führte dazu, dass die Hersteller Studien vorlegen mussten, die bewiesen, dass ihre Brustimplantate sicher sind. Doch es gab ein Schlupfloch: «Im Widerspruch dazu blieben die Implantate weiterhin über das weniger strenge 510(k)-Verfahren zugelassen. Dieses Verfahren erlaubt kurz gesagt eine Äquivalenz: Wenn ein Produkt einem bereits auf dem Markt befindlichen sicheren Produkt ähnelt, darf es ebenfalls als sicher gelten. Damit sind klinische Studien nicht mehr nötig. Der Fokus liegt auf biologischen Labortests der Implantate.»

«Dreissig Jahre nach der Zulassung gibt es noch immer viele unbeantwortete Fragen»

Die Hersteller hätten bis 1991 die erforderlichen Nachweise erbringen müssen. Obwohl die Nachweise fehlten, «empfahl die FDA nach erneuter Beratung einstimmig, die Implantate bis zum Vorliegen weiterer Ergebnisse auf dem Markt zu lassen.» Heneghan und Jefferson zitieren den früheren FDA-Leiter David Kessler:

«‹Dreissig Jahre nach der Zulassung gibt es noch immer viele unbeantwortete Fragen zur Sicherheit von Silikonbrustimplantaten›», sagte Kessler. Es mangele an Daten zur Haltbarkeit der Implantate, zur Häufigkeit von Rissen und zu den Chemikalien, die in den Körper gelangen. Damit gab die FDA indirekt zu, zum Zeitpunkt der Zulassung wenig bis nichts über Brustimplantate gewusst zu haben.»

Im Dezember 1991 gewann eine Frau mit einer Bindegewebserkrankung in Kalifornien einen Gerichtsprozess gegen den Implantat-Hersteller Dow Corning. «Wie aus den Unterlagen hervorging, hatte der Hersteller Dow Corning gewusst, dass seine Implantate undicht waren, aber nichts unternommen, um die Sicherheit zu gewährleisten», berichten Heneghan und Jefferson. In Frankreich, Grossbritannien und den USA hätten die Behörden das Risiko, das von Silikonimplantaten ausging, unterschiedlich eingestuft, das Spektrum reichte von Verboten wie in den USA bis zu Genehmigungen.

Erster Fall von Lymphdrüsenkrebs

1997 berichtete ein US-Arzt erstmals von einer Patientin mit einer bestimmten Form von Lymphdrüsenkrebs, dem sogenannten «anaplastischen T-Zell-Lymphom», in unmittelbarer Nähe ihres Brustimplantats.

2006 wurden Implantate mit Silikongel in den USA wieder zugelassen: «Damit war das 14-jährige Zulassungsverbot beendet. Die Folge war ein dramatischer Anstieg der Brustvergrösserungen, die sich 2006 zur häufigsten Schönheitsoperation entwickelten. Der Anteil der Silikonimplantate an allen Implantaten stieg von 35 Prozent im Jahr 2007 auf mehr als 75 Prozent 2014. Für die Zulassung verlangte die FDA nun Daten aus mindestens drei Jahren für Silikonimplantate […] Frauen, die ein Implantat erhalten hatten, sollten zehn Jahre lang im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie begleitet werden.»

Alle paar Jahre, so riet die FDA, sollten die Frauen untersucht werden. Doch weil die Krankenversicherungen das nicht bezahlten, hätten diese Untersuchungen nicht stattgefunden.

Dann kam es zum Skandal mit dem «PIP-Implantat». «PIP» ist die Abkürzung für das Unternehmen «Poly Implant Prothese», das 1991 von einem ehemaligen Metzger und einem plastischen Chirurgen gegründet wurde. Über zwei Millionen Silikonimplantate habe PIP in den Jahren danach produziert. Im Mai 2000 inspizierte die FDA die Produktionsanlage in La Seyne Sur Mer in Frankreich, stellte viele Mängel fest und warnte vor dem Produkt. Der Verlust der Einnahmen aus den USA habe dazu geführt, dass das Unternehmen auf ein nicht zugelassenes, fast 90 Prozent preiswerteres Industriesilikon auswich und so enorm Kosten sparte. Auch bei der Aussenhülle der Implantate sei gespart worden. Die Folge: Die «PIP»-Implantate platzten «mehr als doppelt so oft wie im Branchendurchschnitt», berichten Heneghan und Jefferson. Die französische Behörde legte 30’000 Frauen in Frankreich nahe, ihre Implantate entfernen zu lassen. «PIP» wurde dicht gemacht, der Firmenchef zu vier Jahren Haft und einer Geldbusse von 75’000 Euro verurteilt.

Heneghan und Jefferson zufolge hatte «PIP» über 300’000 Silikonimplantate in 65 Länder verkauft. «Wie viele Personen sie eingesetzt bekamen, wird man wohl nie erfahren.»

Unterschiedliche Angaben zur Häufigkeit von Rissen

In Frankreich habe es geheissen, die Rissquote betrage fünf Prozent. In Grossbritannien sprach die Aufsichtsbehörde von nur einem Prozent – und Medien berichteten von bis zu acht Prozent Rissen, so Heneghan und Jefferson.

Es gehe aber nicht nur um Risse, sondern auch um sogenannte «Gel-Blutungen», bei denen Silikon-Mikroteilchen durch die Implantathülle hindurch in den Körper gelangen: «Bei Autopsien fand man Silikon in Blutgefässen, verschiedenen Geweben und Gehirnproben.» Erst 2010 seien die «PIP»-Implantate vom Markt genommen worden. In der Schweiz bekamen rund 280 Frauen ein «PIP»-Implantat, Swissmedic berichtete 2011 von einer Nebenwirkungsrate von «unter ein Prozent».

Wichtige Tests fehlten

Noch im gleichen Jahr 2011 warnten die Aufsichtsbehördem Grossbritanniens und der USA, nachdem mehrere Fälle von anaplastischen Lymphomen (ALCL) im Zusammenhang mit Brustimplantaten bekannt geworden waren – jener Krebserkrankung, von der ein US-Arzt schon 1997 berichtet hatte.

2016 gab die niederländische Aufsichtsbehörde für das Gesundheits- und Jugendwesen eine Studie zu Silikon-Brustimplantaten in Auftrag, «die Mängel bei den von den Herstellern durchgeführten Labortests feststellte. Die Studie bewertete zehn technische Dossiers der Hersteller. Zwar waren in allen Fällen mechanische Tests durchgeführt worden. Auch in Biokompatibilitäts- und Zytotoxizitätstests waren keine Probleme festgestellt worden – eine gute Nachricht also. Aber Tests zu Reizung, Sensibilisierung und Implantationstests fehlten – alles Anforderungen für die Zulassung», schreiben die beiden Autoren.

Seit 2016 erachte die WHO Brustimplantate mit strukturierter respektive texturierter Oberfläche als möglichen Auslöser für die Lymphome vom Typ ALCL.

Ebenfalls im Jahr 2016 führte Grossbritannien ein nationales Register für Brust- und kosmetische Implantate ein – versprochen worden war es 23 Jahre vorher.

Zusammenhang mit rheumatischen Erkrankungen

2018 zeigte eine israelische Studie «einen Zusammenhang zwischen silikonhaltigen Implantaten und Autoimmun- und rheumatischen Erkrankungen. 24’651 Frauen mit und 98’604 Frauen ohne Brustimplantate waren verglichen worden. Unter Berücksichtigung von Alter, sozioökonomischem Status, Rauchen und Brustkrebsvorgeschichte hatten die Frauen mit Implantaten ein um 45 Prozent höheres Risiko, an mindestens einer Autoimmun- oder rheumatischen Erkrankung zu erkranken […] Zudem fand sich in einer systematischen Analyse von 32 Studien ein möglicher Zusammenhang von Silikonimplantaten zu rheumatoider Arthritis und dem Sjögren-Syndrom, einer Autoimmunerkrankung, die besonders Tränen- und Speicheldrüsen angreift.», berichten Heneghan und Jefferson.

2019 riet die FDA, Brustimplantate mit einem Warnhinweis zu möglichen Risiken und Komplikationen zu versehen, zu denen Operationen und ein seltener, manchmal tödlicher Krebs gehören könnten. Im gleichen Jahr «meldete die Amerikanische Gesellschaft der plastischen Chirurgen 779 Fälle und 33 Todesfälle» durch die Lymphdrüsenkrebserkrankung ALCL.» Seit 1997 nehme diese seltene Erkrankung zu, so Heneghan und Jefferson.

Im Juli 2020 sei der Firma Allergan in Europa die Sicherheitslizenz für ihre texturierten Implantate entzogen worden. «Die französische Aufsichtsbehörde hatte eine Warnung ausgesprochen und die CE-Sicherheitskennzeichnung verweigert. Die amerikanische FDA hingegen liess einige der Implantate auf dem Markt – nicht die erste Unstimmigkeit zwischen den Behörden», wie die beiden Autoren bemerken. Betroffen vom BIA-ALCL – dem Brustimplantat-assoziierten anaplastischen grosszelligen Lymphom – sind aber nicht allein Trägerinnen eines Allergan-Implantats, sondern auch Frauen mit Implantaten von anderen Firmen.

Bis April 2023 erhielten weltweit 1363 Patientinnen in 48 Ländern die Diagnose BIA-ALCL, 59 starben daran. Diese Zahlen berichtete das «British Medical Journal» jüngst.

Die Erkrankungen traten im Durchschnitt acht bis zehn Jahre nach dem Einsetzen eines Implantats mit texturierter Oberfläche auf. Es gab aber auch Fälle, bei denen es erst 44 Jahre später zu dieser Krebserkrankung kam, oder bei denen sich das BIA-ALCL entwickelte, obwohl das Implantat schon entfernt worden war.

«Da es etwa zehn Jahre dauert, bis sich die Probleme zeigen, werden wir 2026 vielleicht die Schäden erkennen und für mehr Sicherheit sorgen. Aber grosse Hoffnungen machen wir uns da nicht», bilanzieren Heneghan und Jefferson mit Blick auf das britische Implantatregister und weisen noch auf Folgendes hin: «Bis 2030 wird der weltweite Markt für kosmetische Implantate voraussichtlich die Marke von 20 Milliarden Dollar überschreiten – der Anteil der Brustimplantate an diesem Markt wird wahrscheinlich drei Milliarden Dollar betragen.»

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Übersetzung aus dem Englischen: Antje Brunnabend, www.deepl.com

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Die Krankenhausreform

Erstellt von DL-Redaktion am 27. Juli 2023

Zweiter Akt – Im Gesundheitswesen wird alles besser.

Rhön-Klinikum AG

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Suitbert Cechura  – Hauptsache – wie gehabt –, es ist kostengünstig!

Nach der Vorstellung des Reformvorhabens durch den Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) haben sich Bund und Länder nun auf die Grundsätze der Krankenhausreform geeinigt. Eine Einigung war deshalb notwendig, weil der Bund durch seine Gesetzgebung die laufende Finanzierung der Krankenhäuser regelt, während die Länder für die Krankenhausplanung und die Investitionen zuständig sind.

Begleitet wird die neue Reform – die eine schier endlose Reihe früherer Eingriffe fortsetzt (siehe dazu etwa „Lauterbachs ‚Revolution‘“, Junge Welt, 28.12.2022) – durch Legenden, die von den Politikern in die Welt gesetzt wurden und von den Medien meist kritiklos nachgeplappert werden.

Die Einigung

Nach mehreren Sitzungen haben sich die Bundesländer und das Bundesgesundheitsministerium auf folgende Zielsetzung verständigt:

„Mit der Krankenhausreform werden drei zentrale Ziele verfolgt: Gewährleistung von Versorgungssicherheit (Daseinsvorsorge), Sicherung und Steigerung der Behandlungsqualität sowie Entbürokratisierung.“ (Eckpunktepapier – Krankenhausreform, www.bundesgesundheitsministerium.de, 10.7.2023)

Bekundet wird mit diesen Zielen, dass es weiterhin eine flächendeckende Krankenhausversorgung geben soll. Dabei ist mit der Reform bereits klargestellt, dass dies nicht mehr in der bisherigen Form stattfinden wird. Dass alle Parteien weiter an einer Krankenhausversorgung interessiert sind, ist dabei nicht überraschend; die Bürger werden ja in ihren verschiedenen Funktionen gebraucht, vor allem für das Funktionieren des Staates und für die Produktion des wirtschaftlichen Reichtums, um den es ihm geht. Und das erfordert einen permanenten Aufwand.

Schließlich sind die Bürger durch ihren Einsatz für das Wirtschaftswachstum und die damit verbundenen Belastungen von Umwelt und Natur einer ständigen Gesundheitsschädigung ausgesetzt. Die schlägt sich in den verschiedenen Leiden nieder, die interessanter Weise mit dem Etikett „Zivilisationskrankheiten“ versehen werden, also in Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs, Gelenk- und Rückenleiden, Asthma und Allergien usw. (vgl. dazu S. Cechura, „Unsere Gesellschaft macht krank – Die Leiden der Zivilisation und das Geschäft mit der Gesundheit“, Tectum Verlag, 2018).

Angesichts dieser Lage wird ein entsprechendes Reparatursystem benötigt, in dem das Krankenhaus einen wesentlichen Bestandteil darstellt. Und wenn jetzt eine Steigerung der Behandlungsqualität angestrebt wird, zeigt sich darin eine parteiübergreifende Unzufriedenheit in doppelter Hinsicht: Zum einen bedarf es besserer Behandlungsmethoden, weil die neuen Volkskrankheiten nicht heilbar sind und es darum geht, die stattfindenden Schädigungen aushaltbar zu machen oder einzugrenzen.

Zum andern bezieht sich die Unzufriedenheit mit der Qualität aber vor allem auf die ständig steigenden Kosten, die eine Folge der jetzigen Krankenhausorganisation sind. Denn aus wirtschaftlichen Gründen werden Behandlungen auch dann durchgeführt, wenn sie medizinisch gesehen gar nicht zwingend sind.

Die Kritik richtet sich aber nicht darauf, dass die Krankenhäuser als Wirtschaftsunternehmen kalkulieren und deshalb versuchen (müssen), aus den Behandlungen einen Gewinn zu erzielen. Das ist politisch gewollt und genau so eingerichtet. Die Kritik an den Kosten gibt es deshalb, weil sich die Gesundheitswirtschaft überwiegend aus Beiträgen der (gesetzlichen) Krankenversicherung finanziert.

Und diese Beiträge sind bekanntlich Bestandteil der Lohnkosten, sie werden als Arbeitgeber- wie als Arbeitnehmeranteil bei den Kosten des „Faktor Arbeit“ verbucht. Weil sie so die Gewinnkalkulation der gesamten Wirtschaft belasten, sind sie immer zu senken. Festgemacht wird diese Kritik an den Fallpauschalen.

Fallpauschalen und Vorhaltepauschalen

Die Fallpauschalen wurden durch die rot-grüne Regierung unter Mitwirkung des damaligen gesundheitspolitischen Sprechers der SPD-Fraktion, Karl Lauterbach, eingeführt, um die Liegezeiten in den Krankenhäusern zu verringern, die Krankenhauskosten zu reduzieren und die Kliniken zu zwingen, sich zusammenzuschließen oder aufzugeben.

So gesehen ist die damalige Intention der Gesundheitspolitiker voll aufgegangen. Viele Kliniken sind verschwunden, die Liegezeiten sind verkürzt, die Kosten vor allem beim Personal wurden so drastisch gesenkt, dass ein Personalnotstand eingetreten ist, der jetzt als Personalmangel beklagt wird.

Ökonomische Konzentration schreitet fort. Katholische wir evangelische Krankenhäuser haben sich z.B. zu Klinikketten zusammengeschlossen und unterscheiden sich in nichts von privaten. Zufriedenheit hat sich damit bei den Gesundheitspolitikern nicht eingestellt, sie bemängeln immer noch ein Zuviel an Krankenhäusern und an Kosten für die Gesundheit der Bürger. Schuld daran sollen jetzt die Fallpauschalen sein, die sich angeblich beseitigt gehören:

„Wir lösen das System der Fallpauschalen ab, durch ein System der Vorhaltepauschalen.“ (www.bundesgesundheitsministerium.de, Meldung „Krankenhausreform“)

Die Fallpauschalen verschwinden aber in dem Eckpunkte-Papier keineswegs, sie werden nur verändert. Insofern verbreiten viele Medien eine Legende, wenn von deren Ende die Rede ist. Aus den bisherigen Fallpauschalen werden die Kosten für bestimmte Behandlungen herausgerechnet und als „Vorhaltepauschalen“ den Krankenhäusern überwiesen.

Diese neuen Pauschalen werden an Leistungsgruppen für bestimmte Krankheiten geknüpft, für deren Behandlung die Krankenhäuser Vorleistungen erbringen müssen, und zwar in personeller Hinsicht wie bei der Geräteausstattung. Die Krankenhäuser müssen sich daher für die Zulassung zu diesen Leistungsgruppen im Rahmen der Krankenhausplanung der Länder bewerben und erhalten erst bei Aufnahme in den Krankenhausplan die entsprechenden Pauschalen.

Geknüpft ist das Ganze an die Bedingung, dass das Krankenhaus auch eine entsprechende Anzahl von Patienten mit dem Krankheitsbild, für das die Leistungsgruppe geschaffen wurde, medizinisch versorgt. Die Vorhaltepauschalen decken aber nur einen Teil der Kosten ab, die in den Krankenhäusern für die Behandlung dieser Patienten anfallen; und neben den Vorhaltepauschalen gibt es weiterhin die um die Vorhaltekosten reduzierten Fallpauschalen. Womit deutlich wird, worin die zweite Legende besteht:

Nicht die Ökonomie, sondern die Patienten müssen wieder im Mittelpunkt stehen“ (Karl Lauterbach)

Behauptet wird, mit der Krankenhausreform stünde wieder der Mensch im Mittelpunkt, weil den Krankenhäusern der ökonomische Druck durch die Änderung des Finanzierungssystems genommen werde. Eine seltsame Auskunft! Dass es bei einem Krankenhaus immer um die Patienten geht und deren Behandlung, müsste doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.

Dabei kommt es natürlich sehr darauf an, wie sich die Behandlung gestaltet. Und das ist weitgehend von deren Finanzierung abhängig. Der ökonomische Druck soll ja weiterhin seine Wirkung zeigen, schließlich müssen die Kliniken beweisen, dass sie über eine entsprechende Ausstattung verfügen, um für eine Leistungsgruppe in den Krankenhausplan aufgenommen zu werden; und die Kosten rechnen sich erst bei einer entsprechenden Fallzahl. So erwarten Fachleute bereits eine erhebliche Zahl an Klinikschließungen:

„Die Klinikbranche befürwortet grundsätzlich die Ziele der Krankenhausreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Im Zuge dessen dürfte rund ein Fünftel der Kliniken geschlossen werden, sagte der Chef der Krankenhausgesellschaft, Gaß.“ (https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/klinikschliessungen-100.html, 19.6.2023)

Dass weniger Kliniken für eine bessere Krankenhausversorgung stehen, ist eine weitere Legende. Durch die Einführung von Leistungsgruppen für bestimmte Krankheiten, deren Behandlung von den Krankenhäusern in Zukunft die Einhaltung von Qualitätskriterien hinsichtlich personeller und sachlicher Ausstattung verlangt, versprechen die Gesundheitspolitiker den Bürgern eine bessere Behandlung. Und die Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung hat in ihrer „Fünften Stellungnahme“ auch gleich hochgerechnet, wie viele Lebensjahre durch diese Spezialisierung gewonnen werden könnten.

Ziel der Einführung der verschiedenen Leistungsgruppen ist es, dass es weniger und spezialisierte Krankenhäuser gibt, die dann eine Vielzahl von Patienten behandeln. Dass eine Behandlung durch einen Spezialisten von Vorteil sein kann, ist sicherlich unumstritten. Um sich an einen Spezialisten zu wenden, braucht es aber zunächst einmal eine Diagnose und einen Arzt, der weiß, wo dieser Spezialist zu finden ist.

Wenn also die Regierungskommissare ausrechnen, welch einen Vorteil die Patienten in Zukunft haben würden, wenn sie alle gleich beim Spezialisten landeten, dann blenden sie genau die entscheidende Frage aus: Wie kommt es, dass die einen passgenau ihren Spezialisten finden, während die anderen im Allgemeinkrankenhaus behandelt werden.

Hinzu kommt, dass die Qualität eines Krankenhauses in der Diskussion um die Qualität der Behandlung an der Anzahl der behandelten Fälle festgemacht wird. Dabei muss nicht jeder Arzt im Krankenhaus gleich gut sein, und eine Behandlung wie am Fließband – im Krankenhaus ist die Rede von „Behandlungspfaden“ – trägt auch nicht unbedingt zur Steigerung der Behandlungsqualität bei.

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass viele Patienten, vor allem ältere, nicht einfach an einer Krankheit leiden, sondern an mehreren, was sich auf die Behandlung auswirkt. Nicht umsonst gibt es bereits eine Diskussion in den Krankenhäusern über den Umgang mit Behandlungsfehlern.

Wenn es dann heißt:

„Es gilt, auch vor dem Hintergrund der Entwicklung der medizinischen und pflegerischen Fachkräftesituation in Deutschland eine qualitativ hochwertige, flächendeckende und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung sicherzustellen“ (Eckpunktepapier),

dann gehen die Politiker offensichtlich davon aus, dass es auch in Zukunft einen Mangel an medizinischem und pflegerischem Personal geben wir! Deswegen sind sie daran interessiert, das vorhandene umso stärker auszulasten. Das wird sicherlich die Attraktivität dieser Berufe steigern und auch die Qualität der Pflege verbessern!!

Der Streit

Wie stark die Spezialisierung der Häuser vorangetrieben werden soll, darüber herrscht zwischen Bund und Ländern und auch zwischen den Ländern keine Einigkeit. Die Kriterien für die Entwicklung von Leistungsgruppen wurden im Eckpunktepapier vereinbart, aber die Zahl noch nicht festgelegt. Der Vorschlag der Regierungskommission beinhaltete 128 Leistungsgruppen, der Krankenhausplan von Nordrhein-Westfalen 64, also genau die Hälfte.

Je weiter die Spezialisierung vorangetrieben wird, desto größer muss nach Ansicht der Gesundheitspolitiker der Einzugsbereich sein, damit die Klinik auf ihre Kosten kommt. Denn ihr Aufwand wird nur teilweise über die Vorhaltepauschalen abgedeckt. Alles andere muss über die verbleibenden Fallpauschalen erwirtschaftet werden.

Für die Patienten bedeutet dies weitere Wege zu der entsprechenden Klinik. In dicht besiedelten Bundesländern ist der Einzugsbereich kleiner, in ländlichen Gebieten größer, entsprechend positionieren sich die Bundesländer.

Weitgehende Einigkeit herrscht zwischen den Parteien über die Einstufung der Krankenhäuser, auch wenn dies offiziell dementiert wird. So tauchen die „Level I-Krankenhäuser“ aus dem Regierungsentwurf nun als „Sektorübergreifende Versorger (Level Ii-Krankenhäuser)“ auf. Sektorübergreifend sind diese Einrichtungen deshalb, weil dort ambulante und stationäre Leistungen erbracht werden sollen.

Angestrebt werden mehr ambulante Behandlungen und Operationen. Aber auch diese erfordern oft Pflege, die sich meist kostengünstig durch die Familien erbringen lässt. Da das Familienleben durch die doppelte Berufstätigkeit der Partner stark beansprucht wird, braucht es dann eben auch Kurzzeitpflegeeinrichtungen, die nicht unbedingt einen Arzt haben müssen. Die ärztliche Betreuung kann durch niedergelassene Ärzte erfolgen. Es sind keine Krankenhäuser im eigentlichen Sinne, sondern eher Pflegeeinrichtungen.

Die im Regierungsentwurf aufgeführten „Level II-Krankenhäuser“ sind im Prinzip alle Krankenhäuser außer den Universitätskliniken, die die Qualitätskriterien für Leistungsgruppen erfüllen müssen. Auf einen weiteren Grundsatz haben sich die Parteien im Eckpunktepapier ebenfalls geeinigt: „Grundsätzlich keine Erhöhung des Erlösvolumens.“ Sprich: Das Ganze soll nicht mehr kosten als bisher mit den Fallpauschalen.

Dies betrifft die Kosten, die durch die Krankenversicherung abzudecken sind, erfasst aber nicht alle Kosten. Denn die Reform erfordert auch zusätzliche Investitionen, so dass wieder die Länder gefordert sind. Womit die Einigkeit ein Ende hat. Die Länder fordern dafür eine Beteiligung des Bundes, was dieser weitgehend ablehnt. Damit ist weiterer Streit programmiert – natürlich alles im Dienste der Bürger! Die Sicherstellung eines funktionierenden Volkskörpers ist eben eine Dauerbaustelle, wenn es heißt: Hauptsache kostengünstig!

Zuerst erschienen im Overton-Magazin

Urheberrecht
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Streit: Krankenhausreform

Erstellt von DL-Redaktion am 15. Juli 2023

Gemeinwohl wäre besser

Von Gesa von Leesen

Ob die nun beschlossene Krankenhausreform etwas rettet oder die Versorgung noch schlechter macht, ist umstritten. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) behauptet, eine Revolution einzuleiten. Verdi und viele Beschäftigte glauben das nicht und protestieren in Friedrichshafen.

Als der baden-württembergische Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) ans Mikrofon tritt, schallt ihm ein Pfeifkonzert entgegen. Hinter Lucha aufgereiht stehen seine Amtskolleg:innen und versuchen, neutral zu gucken. Vor Lucha, auf der Wiese am Bodenseeufer, stehen 600 Frauen und Männer, die im Gesundheitswesen arbeiten. Und die genug haben von zu wenig Kolleg:innen, von zu geringer Bezahlung, von einem System, das Krankenhäuser auf Gewinnerzielung trimmt anstatt aufs Heilen. Deshalb pfeifen sie.

Es ist Gesundheitsministerkonferenz (GMK) in Friedrichshafen, Lucha ist gerade deren Vorsitzender und verhandelt im Graf-Zeppelin-Haus mit seinen Länderkolleg:innen über die geplante Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Der bezeichnet sie als Revolution. Warum, ist unklar. Denn eine Revolution wäre ja ein Systemwechsel, doch den sieht die Reform nicht vor. Grob zusammengefasst sollen Kliniken sich nur noch zum Teil über Fallpauschalen finanzieren, zudem sollen sie Geld bekommen für Leistungen, die sie vorhalten. Wie viel das sein wird, soll sich wiederum nach Versorgungsstufen richten, in die die Kliniken eingeteilt werden.

Im Rahmen der Prüfung, welche Kiniken welche Leistungen anbieten sollen, lässt sich dann feststellen, welches Haus geschlossen werden soll. Dass dies notwendig ist, davon sind viele Minister:innen – auch Manfred Lucha – und liberale Ökonomen seit Jahren fest überzeugt: Sie meinen, Deutschland ist mit Krankenhäusern überversorgt.

Überversorgt sehen sich Beschäftigte (und wahrscheinlich auch die meisten Patient:innen) derzeit eher nicht. Laut der Deutschen Krankenhausgesellschaft gibt es 30.000 unbesetzte Pflegestellen, auch Ärzt:innen fehlen zunehmend. Beschäftigte in outgesourcten Abteilungen wie Hauswirtschaft, Putzen, Therapie verdienen schlecht. Und wer als Patient:in ins Krankenhaus muss, kann vielfältige Geschichten erzählen von Ärzt:innen, die nicht zuhören, Pfleger:innen, die sehr lange auf sich warten lassen, und vom Krankenhauskeim sowieso.

Das Gesundheitswesen ist Teil der Lieferkette

Also hat Verdi seine Mitglieder im Gesundheitswesen aufgerufen, nach Friedrichshafen zu kommen, um der GMK ihre Forderungen mit auf den Weg zu geben. Zentral: ein Gesundheitssystem, das alle Patient:innen optimal versorgt, den Beschäftigten gute Arbeitsbedingungen bietet, sich nicht rechnen muss und das kein Spielball von privaten Betreibern mit Renditeerwartungen sein darf. Auf der Wiese vor dem Graf-Zeppelin-Haus lauschen die Demonstrierenden den Reden von Betriebsrät:innen und hauptamtlichen Verdianer:innen, begrüßen einen Trupp Radfahrer:innen aus Dresden, der bei seiner fünf Tage dauernden Anreise gegen ein gewinnorientiertes Gesundheitssystem protestiert hat, sie gehen mit Protesttransparenten ins Wasser und genießen die Sonne am See.

Die drei von der Ampel 

Besonders gut an kommt die Rede von Achim Dietrich, Betriebsratsvorsitzender von ZF in Friedrichshafen, dem größten Industriestandort in der Region. Die Politik rege sich über ein paar fehlende Halbleiter auf, die die Lieferkette unterbrechen, sagt er. „Warum aber nimmt man hin, dass Patient:innen keine ausreichende Versorgung bekommen? Auch dieser Teil der Lieferkette muss funktionieren.“ Wenn Arbeitnehmer:innen keine Termine beim Facharzt bekommen, mit Schmerzen zur Arbeit gehen und lange krank sind, schade auch das der Wirtschaft. „Wenn die Kapitalisten keine Menschlichkeit kennen, dann müssen wir sie bei dem packen, was sie interessiert: dem Profit.“ Steige bei ZF der Krankenstand um ein Prozent mehr als vorausgesehen, koste das den Konzern vier Millionen Euro im Jahr. „Das Geld wäre besser im Gesundheitssystem angelegt als in der Krankenverwaltung“, findet Dietrich, der als Gesamtbetriebsratsvorsitzender 50.000 Patient:innen vertrete, wie er sagt.

Autos bauen lohnt sich mehr

Wieder zur Lieferkette gehören, also arbeiten, möchten manche Klient:innen von Torsten Lang. Der Sozialarbeiter schafft im Gemeindepsychiatrischen Zentrum des Klinikums Stuttgart und betreut psychisch kranke Menschen. „Manche lernen, trotz Ängsten wieder einkaufen zu gehen, andere unterstützen wir, eine Tagesstruktur einzuhalten“, sagt er. Psychosen, Depressionen, Borderline, Messiesyndrom – die Krankheiten, mit denen Menschen zu ihm und seinen Kolleg:innen kommen, sind vielfältig. Lang mag seinen Beruf, aber dabei selbst gesund zu bleiben, sei schwierig, sagt der 56-Jährige. Da wünscht er sich mehr Bemühungen von den Arbeitgeber:innen und auch mehr Anerkennung. „Monetäre.“ Der Beruf sei belastend, Klient:innen seien oft aggressiv. „Da frage ich mich schon, wie das im Verhältnis steht zu Arbeitern bei VW am Band. Die verdienen mehr als wir.“ Was allerdings mit dem gewerkschaftlichen Organisationsgrad zusammenhängen könnte, der bei VW sehr hoch und im Gesundheitswesen eher niedrig ist.

Arbeiten wie am Fließband kennt Anna Gioftsirou. Die 47-Jährige ist Altenpflegerin – ursprünglich aus Überzeugung. „Weil ich mit meinen Großeltern aufgewachsen bin. Da fühlt man sich wie ein Baum mit ganz starken Wurzeln.“ Doch der Job hat sie gesundheitlich ausgelaugt. „Geteilte Schichten sind sehr anstrengend. Dann diese Minutenpflege wie am Band – das ist nicht gut“, sagt sie. Zudem gehe die Arbeit auf die Knochen: „Ich hatte einen Patienten, der wog sehr viel und war querschnittsgelähmt. Aus dem Bett heben, in die Dusche, wieder in den Rollstuhl, anziehen …“ Irgendwann brach sie zusammen. Burnout, und zwei Lendenwirbel „liegen quasi aufeinander“. Lange war sie krank, der Wiedereinstieg schwierig. Nun arbeitet sie im sozialen Dienst im Krankenhaus mit geregelten Arbeitszeiten. Auf ihrem ganzen Weg – Krankheit, neuer Job, Fortbildung – habe Verdi ihr stets geholfen. „Das vergesse ich nicht. Ich bin bei jeder Aktion dabei.“ Außerdem würde sie gerne Lauterbach treffen. „Ich möchte ihm sagen, wie schlimm das in der Pflege ist!“

Das gelingt ihr nicht. Zwar kommt der Bundesgesundheitsminister später überraschend doch noch, nachdem es zunächst hieß, ihn halten die Haushaltsverhandlungen in Berlin. Doch sein Auftritt ist kurz. Dafür souveräner als der von Manfred Lucha. Der zeigt deutlichen Widerwillen vor der Menge, die ihm nicht freundlich gesonnen ist, auch weil Baden-Württemberg das Land mit den meisten Krankenhausschließungen in den vergangenen Jahren ist. Wie bei jeder Verdi-Demo betont er, dass er Gewerkschaftsmitglied ist. „Hau ab!“, hört er aus der Menge. Er versucht, zu erklären, dass die Gesundheitsminister:innen gerade eine historische Gelegenheit hätten, „Kliniken, die am Markt am Start sind, gut auszustatten“. „Buh!“ Als er noch sagt: „Wir waren noch nie so nah an einer bedarfsgerechten Versorgung bei besten Bedingungen fürs Personal“, ist die Menge kurz vor dem Explodieren. „Auch du wirst mal alt!“, ruft einer.

Die Gefahr des wilden Kliniksterbens

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Ärzte rufen zum Boykott

Erstellt von DL-Redaktion am 13. Juni 2023

Deutsche HNO-Ärzte weigern sich, Kinder zu operieren

Quelle      :        INFOsperber CH.

Martina Frei /   

107 Euro für eine Operation seien zu wenig, sagen Fachverbände. Sie riefen zum OP-Boykott auf. Die Leidtragenden sind die Kinder.

Seit einem Jahr hört Lukas* schlechter. Während der Sprechstunde in der Praxis des bayrischen HNO-Arztes Rainer Jund sieht der Junge aus dem Fenster, sein Blick wirkt schläfrig. «Manchmal hat man den Eindruck, dass er völlig abwesend ist», berichtet Lukas Vater. Lukas ist heute bereits das dritte Kind mit denselben Problemen in der Sprechstunde.

Der Grund für Lukas Beschwerden sind seine riesigen Rachen- und Gaumenmandeln. Sie engen den Luftweg ein und erschweren dem Kind das Atmen. Um trotzdem ausreichend Luft zu bekommen, hat der Knabe den Mund ständig leicht geöffnet. Jede Nacht erwache sein Sohn zwei- bis dreimal, sagt der Vater. «Er schläft seit einem Jahr nicht mehr durch.»

Etwa eines von 100 Kindern bekommt wie Lukas beim Schlafen nicht genügend Luft und hat nächtliche Atemaussetzer. Die von solchen Schlafapnoen betroffenen Kinder sind tagsüber müde oder hyperaktiv. Ihr Blutdruck kann wegen des nächtlichen Sauerstoffmangels steigen. Meist hören sie auch schlechter, weil die grossen Rachenmandeln dazu führen, dass sich im Mittelohr Flüssigkeit ansammelt. Die Folge: Ihr Spracherwerb verzögert sich und sie können im Kindergarten oder in der Primarschule schlechter am Unterricht teilhaben. Ausserdem neigen sie zu wiederkehrenden Mittelohrentzündungen. All das schmälert ihre schulischen Leistungen.

Berufsverband warnt vor unterlassenen Operationen …

Manchmal bilden sich vergrösserte Mandeln von selbst wieder zurück. Wenn Kinder aber so schwer betroffen sind wie Lukas, dass sie im Schlaf zu wenig Sauerstoff bekommen oder schlecht hören, dann kann ihnen eine Operation helfen. «Häufig führt die Entfernung der Rachen- und Gaumenmandeln zu einem Verschwinden der Schlafapnoen und verhindert schwerwiegende Krankheitsfolgen», klärt eine Broschüre des Kinderspitals Zürich auf. Um den Mittelohrerguss zu beseitigen, wird bei dem Eingriff meist vorübergehend noch ein kleines, sogenanntes Paukenröhrchen ins Trommelfell gesteckt. In der Regel werden betroffene Kinder zwischen zwei und acht Jahren an den Mandeln operiert.

Doch in Deutschland weigern sich die meisten operierenden HNO-Ärzte seit Januar, Kinder wie Lukas zu operieren. «Einen Operationstermin haben wir erst in fünf Monaten bekommen. Eine andere Klinik hat diese Eingriffe ganz eingestellt», sagt die Mutter und sieht zu ihrem Jungen, der von all dem nicht viel mitzubekommen scheint.

Schon im Dezember 2022 betrug die Wartezeit für eine solche Operation in Deutschland laut dem «Deutschen Berufsverband der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte» (DBHNO) in Spitälern sechs bis neun Monate, in ambulanten OP-Zentren drei bis vier Monate.

Gemessen an der Entwicklung eines Kindes, seien das «exorbitant lange Wartezeiten», die mehr als zehn Prozent der Lebenszeit bis zur Einschulung ausmachen könnten, gab der Präsident des DBHNO, Jan Löhler, zu bedenken. Er warnte, dass eine Verzögerung bei Kindereingriffen «oft nachhaltige Folgen» habe: Die Eingriffe seien notwendig für die Kinder hinsichtlich geistiger Störungen, Gedeihstörungen, Schlafstörungen und Sprachentwicklungs-Verzögerungen. Auch um wiederkehrende Infekte zu vermeiden spielten die Operationen «eine entscheidende Rolle».

… und ruft trotzdem zum Boykott auf

Dessen ungeachtet riefen im Januar der DBHNO und ein weiterer Berufsverband die Hals-Nasen-Ohren-Ärzte und -Ärztinnen auf, bei Kindern keine solchen Operationen mehr durchzuführen. 85 Prozent der ambulant operierenden HNO-Ärzte beteiligen sich angeblich daran.

Die Familien warten nun noch länger, bis sie einen Operationstermin erhalten. Oder sie fliegen in die Türkei, um ihr Kind dort für umgerechnet etwa 2300 bis 3400 Franken operieren zu lassen. Im Internet sind diverse solcher Angebote zu finden. Eine andere Familie, die zu Jund kam, machte eine Adresse in Österreich ausfindig. Junds Mitarbeiterinnen telefonieren für Lukas herum, um vielleicht doch noch irgendwo einen Operationstermin für ihn zu erhalten.

Der Grund für den OP-Boykott ist die aus Sicht der deutschen HNO-Ärzte «chronische Unterfinanzierung des ambulanten Operierens». Das Fass zum Überlaufen brachte eine Tarifreduktion. Seit Januar 2023 bezahlen die deutschen Krankenkassen nur noch rund 107 Euro für den Eingriff, der rund zehn bis zwanzig Minuten dauert. Etwa 174 Euro beträgt das Honorar, wenn mit Laser operiert wird. Auf diese Beträge hatten sich Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Krankenversicherer geeinigt.

Laut dem «GKV-Spitzenverband», der die Interessen der gesetzlichen Krankenversicherungen in Deutschland vertritt, wurde das Honorar für die Mandel-Operationen um vier Euro, von 111 auf 107 Euro, reduziert. Das Honorar für andere Operationen sei hingegen aufgestockt worden.

Die Vergütung für die Mandel-Operationen sei nicht kostendeckend, sagen die HNO-Verbände. Kein Zentrum könne damit «die laufenden Kosten stemmen. Von der Summe müssen die OP-Miete (40 Euro), die Sterilisation der Instrumente (25 Euro), die OP-Assistenz (15 Euro) sowie weitere Posten wie die Instrumentenanschaffung, die Wartung der OP-Technik, die Haftpflichtversicherung sowie die Rufbereitschaft des Arztes nach einem Eingriff, bezahlt werden.» Unterm Strich würden dem Operateur etwa zehn bis 20 Euro vor Abzug von Steuern und Altersvorsorge als Honorar bleiben. «Durch die jahrelange Unterfinanzierung der HNO-Kinderoperationen haben viele ambulante Operateure Ihre OP-Tätigkeit in dem Bereich eingestellt», so Löhler.

«Zahl der ambulanten HNO-Kinderoperationen eingebrochen»

In Hamburg hätten 2019 noch 50 HNO-Ärztinnen und Ärzte Kinder operiert, 2022 seien es nur noch 20 gewesen, berichtete das «Deutsche Ärzteblatt». In Berlin habe sich die Anzahl halbiert, in Bayern sei sie um ein Fünftel gesunken. Der Protest sei nun das letzte Mittel, um die Verantwortlichen in Politik und bei den Krankenkassen «wachzurütteln und das schleichende Sterben der ambulanten HNO-Kinderchirurgie zu stoppen», so der DBHNO, der «die ideellen und wirtschaftlichen Interessen der HNO-Ärztinnen und -Ärzte in Praxis und Klinik vertritt». Für Mandeloperationen gibt es klare Operationskriterien. Bei einer derart defizitären Vergütung in Deutschland sei davon auszugehen, dass die Operationen auch früher schon nicht unnötig erbracht worden seien, so Löhler.

«Zahl der ambulanten HNO-Kinderoperationen eingebrochen», schrieb das «Deutsche Ärzteblatt» im März 2023. «Der Verband spricht von einer ‹desaströsen Versorgungssituation›, unter deren Folgen die Patienten und ihre Familien litten.»

Im Januar betrug die durchschnittliche Wartezeit für einen Operationstermin in einem ambulanten Zentrum laut DBHNO bereits vier bis fünf Monate – «Tendenz steigend». Der Präsident des Verbands sprach Klartext: «Wir alle zahlen, ohne mit der Wimper zu zucken, locker 1000 Euro für die Reparatur einer zerkratzten Stossstange bei unserem Auto. Gleichzeitig wird es offenbar gesellschaftlich akzeptiert, dass eine Operation im Rachen von kleinen Kindern, die mit vielen Risiken […] mit Blutungs- und Erstickungsgefahr sowie einer Vollnarkose verbunden ist, nur ein Bruchteil wert sein und unter den eigentlichen Betriebskosten verramscht werden soll.»

Das sehen die Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung anders. Insgesamt werde das Abrechnungsvolumen der HNO-Ärztinnen und -Ärzte für ambulante Operationen um 2,3 Prozent steigen, prognostizieren sie. Der Grund: «Bei längeren Operationen, wie beispielsweise der plastischen Korrektur der Nasenscheidewand, hat sich die Vergütung von 261 Euro auf 304 Euro erhöht», so der «GKV-Spitzenverband».

«Es ist empörend, wie schamlos einige Ärzteverbände versuchen, immer mehr Geld aus den Taschen der Beitragszahlenden der gesetzlichen Krankenversicherung herauszuholen und nicht einmal vor Drohungen gegen die Gesundheit von Kindern haltmachen. Die Politik ist gefordert, diesem masslosen und unethischen Handeln dieser Verbände Einhalt zu gebieten», schrieb der «GKV-Spitzenverband». Ihm zufolge lag der durchschnittliche Reinertrag pro HNO-Praxisinhaber oder -inhaberin im Jahr 2019 bei 185’000 Euro.

Der Kampf ums ärztliche Honorar solle nicht auf dem Rücken der kranken Kinder ausgetragen werden, forderte ein Sprecher des «GKV-Spitzenverbands». Doch das ist eingetreten.

Auch andere Ärzteverbände fordern höhere Honorare

Den Vorwurf, die HNO-Ärzte handelten unethisch, weist Jan Löhler zurück: «Nicht die Operateure handeln unethisch, sondern die gesetzlichen Krankenkassen, welche die wichtigen Operationen nicht ausreichend finanzieren wollen. Die Aktion richtet sich nicht gegen die Patienten, sondern ist der Versuch, den Versorgungsnotstand zu beenden.»

Dem Beispiel der HNO-Ärzte könnten weitere folgen. Löhler zufolge liesse sich «die Liste lange fortsetzen». So würden etwa die Narkoseärzte seit Jahren höhere Honorare für Ihre Leistungen fordern.

In Bremen einigte sich die «Allgemeine Ortskrankenkasse Bremen» mittlerweile mit den dortigen HNO-Ärztinnen und -Ärzten auf ein höheres Honorar, berichtete das «Deutsche Ärzteblatt». Der Vorsitzende des Bremer Landesverbandes der Hals-Nasen-Ohrenärzte stellte in Aussicht, dass die betroffenen Kinder nun wieder «zeitnah einen Operationstermin bekommen». Dort können Kinder wie Lukas nun – im wahrsten Sinn – aufatmen.

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Lauterbachs Revolution

Erstellt von DL-Redaktion am 7. Juni 2023

Krankenhäuser vor dem Aus – Lauterbachs Revolution

von Ulrike Baureithel

Dass das deutsche Gesundheitssystem schlechter ist als sein Ruf, dürfte inzwischen bis in den letzten Winkel der Republik vorgedrungen sein. Doch nur einem kleinen Kreis war bislang bekannt, dass es um die Kinderversorgung besonders schlecht steht. In den Fokus rückte diese erst, seit im November 2022 nicht nur Erwachsene, sondern vor allem der Nachwuchs von heftigen Atemwegsinfektionen betroffen war und sich Eltern die Augen rieben, weil plötzlich weder einfache Fiebersäfte noch Krankenhausbetten für ihre Jüngsten verfügbar waren. Dabei warnen Pädiater:innen schon jahrelang vor dem absehbaren Notstand. So noch vor einem Jahr Wolfgang Kölfen, Verbandssekretär der leitenden Kinderklinikärzte, der im „Deutschen Ärzteblatt“ beklagte, dass in den vergangenen zehn Jahren 30 Prozent der Betten in den deutschen Kinderkliniken verloren gegangen seien.[1]

Das Fiasko in den Kinderkliniken rückt ein Abrechnungssystem in den Blick, das schon längst hätte abgeschafft werden müssen: die Fallpauschalen (DRG). Für viele Häuser rechnen sich die Kinder- und Jugendabteilungen nicht mehr, weil die jungen Patient:innen – auch weil die Eltern darüber mitbestimmen – nicht so lange im Krankenhaus bleiben. „Liegt ein Patient kürzer im Krankenhaus, als die definierte Verweildauer im DRG vorsieht“, so Kölfen, „rutscht der Patient in die Grenzwertverweildauer.“ Das Krankenhaus erhalte dann statt beispielsweise 2000 Euro nur 500 Euro. Einen weiteren Grund sieht Kölfen im Investitionsstau, weil die dafür verantwortlichen Länder ihrem Auftrag nicht nachkommen. Zudem führt die 2020 eingeführte generalistische Pflegeausbildung seiner Ansicht nach zu einem ausgeprägten Mangel an Kinderkrankenpfleger:innen. Wer mit Kindern arbeiten wolle, entscheide sich schon früh dafür und wolle nicht in die Erwachsenenpflege.

Doch beim Gang durch die heutige Ausbildung, bei der die Pflegeschüler:innen durch alle Bereiche geschleust werden, bleiben viele hängen und brechen ab. Dabei sind Schätzungen zufolge zusätzlich 3000 Vollzeitkräfte in der Kinderkrankenpflege nötig. So stand Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) unter akutem Druck, als er auf die Idee verfiel, Pflegepersonal von den Normal- auf die Kinderstationen zu verlegen. Von „Inkompetenz im Ministerium“ sprach der Vorsitzende des Berufsverbands der Kinder und Jugendärzte, Jakob Maske, im „Deutschlandfunk“.[2] Zumal auf den Stationen für Erwachsene ebenfalls Pflegepersonal fehlt.

Zum großen Wurf holte Lauterbach Anfang Dezember aus, als er zusammen mit seiner nur aus Sachverständigen zusammengesetzten Expert:innenkommission sein Konzept zu einer großen Krankenhausreform vorstellte.[3] Er wolle der „Überökonomisierung des Gesundheitssystems“ ein Ende setzen, versprach er, und die Kliniken wieder zu einem Teil der Daseinsvorsorge machen. Er verstieg sich sogar dazu, eine „Revolution“ anzukündigen, die das DRG-System überwinde, den Menschen wieder in den Mittelpunkt der Medizin rücke und das Gesundheitssystem aus dem „Hamsterrad“ befreie, in dem es die vergangenen 20 Jahre gestrampelt habe. Der Gesundheitsminister stellte außerdem heraus, dass die Kommission ausschließlich aus Expert:innen zusammengesetzt sei und die üblichen Lobbyist:innen keinen Einfluss auf das Konzept gehabt hätten. Das allerdings steht infrage.

Von einer »Revolution« weit entfernt

Doch worin besteht nun diese „Revolution“? Sollte Lauterbach die lange von vielen Akteur:innen im Gesundheitssystem geforderte Abwicklung der Fallpauschalen tatsächlich auf den Weg gebracht haben? Sollte er damit den Krankenhäusern eine auskömmliche Finanzierung bereitstellen, die es erlaubt, dass sich Ärzteschaft und Pflegende wieder um die Hilfesuchenden kümmern, statt sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie sie ihren Häusern möglichst viel Geld eintreiben? Fest steht: Von einer Überwindung oder gar von einem Ende der Fallpauschalen kann keine Rede sein.

Bisher ist es gängige Praxis, dass die Kliniken pro Behandlungsfall nur eine bestimmte Summe abrechnen können – unabhängig davon, ob die Patient:innen länger als geplant in der Klinik bleiben müssen. Der Anreiz für die Klinikleitungen besteht somit darin, möglichst viele, möglichst lukrative, mit möglichst wenig Aufwand verbundene Behandlungen durchzuführen – etwa der insbesondere von privaten Kliniken angebotene Ersatz von Knie- oder Hüftgelenken –, unabhängig davon, ob diese medizinisch indiziert sind. Schwierigere Prozeduren oder Komplikationen, die lange Liegezeiten nach sich ziehen, drücken dagegen aufs Budget.[4]

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Die Expert:innen schlagen nun vor, das System zu modifizieren, indem Kliniken nur noch 60 Prozent ihrer Haushaltsmittel über Fallpauschalen realisieren, während sie die restlichen 40 Prozent unabhängig von ihrer Leistung als Vorhaltepauschale erhalten. Schon jetzt werden jedoch die Mittel für die Pflege – immerhin 20 Prozent des Gesamtbudgets – nicht mehr über Fallpauschalen abgerechnet. Daher werden viele Krankenhäuser auch weiterhin darauf achten müssen, durch lukrative Behandlungen Gewinne einzufahren. Perspektivisch ausgenommen von dieser Regelung sind die Notfall-, Intensiv- und Kindermedizin sowie die Geburtshilfe. Sie sollen im umgekehrten Verhältnis von 40 zu 60 Prozent finanziert werden, weil sie ihre „Patientenströme“ weniger stark regulieren können. Ziel der Reform ist es explizit, „überflüssige“ Operationen unnötig zu machen – wobei die Kommission eine einschlägige Definition von „überflüssig“ schuldig bleibt. Zudem will sie mehr Patient:innen in die kostengünstigere tagesstationäre Versorgung lenken, was mit dem Begriff „Ambulantisierung“ umschrieben wird. Welche Folgen das haben könnte, skizziert Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz: Pflegekräfte würden dadurch zwar entlastet, indem die Behandlung von Patient:innen über Nacht unterbrochen werde. Das aber sei ein „lebensfremdes Hop-on-Hop-off-System“.[5]

Der ländliche Raum wird abgehängt

Die Revolution findet sich dagegen auf einer anderen Ebene: Die deutsche, bisher in drei Versorgungsstufen gegliederte Kliniklandschaft – bestehend aus Grund-, Regel- und Maximalversorgung (beispielsweise in Unikliniken) – soll neu geordnet werden. Unterschieden werden sollen drei Level, die jeweils genau definierte Leistungen vorhalten.

Level 1 umfasst kleinere Krankenhäuser vor Ort, die noch einmal aufgeteilt werden in Level 1n und 1i. Zu dieser Gruppe zählen immerhin 1600 der 1900 deutschen Krankenhäuser. Die 950 Kliniken der Gruppe 1n sollen weiterhin die Notfallversorgung übernehmen und Intensivbetten betreiben können. In den integriert ambulant-stationären Zentren, Level 1i genannt, werden nur zeitweise Ärzt:innen Dienst verrichten. Diese können, so die Vorstellung der Expert:innen, auch von besonders ausgebildetem Pflegepersonal geführt werden. Ein zu operierender Notfall oder die Versorgung eines akuten Schlaganfalls würde dort jedoch nicht mehr möglich sein – der Krankenwagen müsste also weitere Wege fahren. Diese Zentren werden auch nicht mehr über Fallpauschalen, sondern kostengünstigere Tagespauschalen finanziert.

In Level 2 finden sich sogenannte regionale Versorgungszentren wieder, die untereinander ihre Leistungsschwerpunkte aushandeln. Das kann dazu führen, dass ein Krankenhaus sich auf Kardiologie spezialisiert, ein anderes auf orthopädische Eingriffe – was wiederum bedeuten wird, das Patient:innen längere Wege zurücklegen müssen. In den Ballungsgebieten schließlich konzentrieren sich mit umfassender Leistungspalette die Maximalversorger (Level 3). Stärker noch als bisher wird der ländliche Raum auf diese Weise von der qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung abgehängt.

Quelle          :        Blätter-online         >>>>>         weiterlesen

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Die große Kränkung

Erstellt von DL-Redaktion am 6. Juni 2023

Den Mut, für die Pflege mehr Geld zu fordern, wird die Ampel in dieser Legislatur wohl nicht mehr haben

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Ein Debattenbeitrag von Barbara Dribbusch

In der Pflege erleben wir die Grenzen der Solidarität im Sozialstaat. Das Pflegerisiko wird individualisiert. Wer betroffen ist, muss improvisieren.

Die Überschriften sagen schon einiges: „Pflege-Reform schrumpft Löhne und Renten“, titelte die Zeitung B. Z., und die Bild warnte: „Lauterbachs Pflegeplan: So schrumpft IHR Gehalt ab Juli“. Die Titel bezogen sich auf das kürzlich verabschiedete sogenannte Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG). Damit werden die Beiträge zur Pflegeversicherung erhöht, um ein paar Verbesserungen zu finanzieren und dem steigenden Finanzbedarf in der Pflege Rechnung zu tragen.

Die Beitragserhöhung beträgt 0,35 Prozentpunkte vom Bruttolohn, gestaffelt nach der Kinderzahl, beziehungweise 0,6 Prozentpunkte mehr für Kinderlose. Wobei Ar­beit­neh­me­r und Arbeitgeber davon jeweils die Hälfte zahlen. Dass solche Erhöhungen schon den öffentlichen Unmut anstacheln, zeigt, wie es um die Pflege steht: Die solidarische Absicherung des Pflegerisikos kippt.

Die Pflege entwickelt sich in einer Gesellschaft der Langlebigen zum schwarzen Loch im Sozialstaat. Es gibt von der Sozialversicherung oder vom Staat immer zu wenig Geld für die Betroffenen und die Pflegekräfte. Die Erhöhungen für Pflegeleistungen um 5 Prozent im ersten und 4,5 Prozent im zweiten Jahr durch das PUEG, nach vielen Jahren der Stagnation, decken nicht mal die Inflation ab. Aber die Einzahlungsbereitschaft der Bür­ge­r:in­nen für die Pflegekasse ist eben auch sehr begrenzt und die Ar­beit­ge­be­r:in­nen klagen über die steigenden Sozialversicherungsbeiträge. Würde von den Steu­er­zah­le­r:in­nen auch noch eine Art „Pflege-Soli“ eingefordert, wäre das Gejammer groß.

Stattdessen wurde das Pflegerisiko schon in den letzten Jahren still und leise zunehmend privatisiert. Die Eigenanteile beim Pflegeheimaufenthalt liegen inzwischen im Schnitt bei 2.400 Euro im Monat. Wer die ambulanten Dienste der Sozialstationen in Anspruch nimmt, muss ebenfalls mehr aus eigener Tasche zuzahlen. Von Pa­tientenschutzorganisationen, wie der Biva, hört man, dass es in den Pflegehaushalten zu Unterversorgungen kommt. Das liegt am Personalmangel bei den ambulanten Diensten, aber eben auch am fehlenden Geld der Betroffenen für die Eigenanteile. Sie wollen im Alter nicht zum Sozialamt gehen, um dort „Hilfe zur Pflege“ zu beantragen.

In den sozialen Netzwerken der Pflegekräfte liest man Debatten, ob und wie die sogenannte „Doppel Inko“, also das hautschädigende Übereinanderziehen von zwei Windeln bei Inkontinenz, in Ordnung ist, wenn es der Hochbetagte selbst so wünscht, um Anfahrten und Kosten für die Pflegedienste zu sparen. Das menschenwürdige „Ausscheidungsmanagement“ (heißt wirklich so) ist eine der größten Herausforderungen für den Sozialstaat.

Die drei von der Ampel ?

Dabei kann es jeden treffen. JedeR dritte 80- bis 85-Jährige wird pflegebedürftig, jeder Siebte in dieser Altersgruppe wird dement. Wir haben nicht die lebenslange Kontrolle über Körper und Verstand. Diese Kränkung muss man akzeptieren.

Angesichts der Pflegemisere kann man natürlich versuchen, Schuldige zu benennen: Die Politik ist schuld, der Gesundheitsminister, der Finanzminister, die Pflegeheimbetreiber! Diese Schuldzuweisungen mögen zum Teil ihre Berechtigung haben, aber sie lösen das Problem nicht. In einer Gesellschaft der Langlebigen ist das Thema Pflege zu groß, um es mal eben mit einer Reform bewältigen zu können. Demografisch bedingt gibt es mehr Pflegebedürftige und weniger Pflegekräfte, das verschärft den Mangel.

Wir werden mit Unzulänglichkeiten, mit einem gewissen Mangel leben müssen, wir werden mehr improvisieren und uns von Regeln verabschieden müssen. In den Heimen zeichnet sich ab, dass man mehr mit Hilfskräften arbeitet. Mehr Assistenzkräfte in Heimen schlägt auch die sogenannte Rothgang-Studie vor, Taktgeber für die künftige Personalbemessung. Einige Pflegehilfskräfte werden vielleicht nicht besonders gut Deutsch sprechen können, man wird deren Sprachunterricht mehr auf den konkreten Bedarf in der Alltagspflege ausrichten müssen.

Pflegebedürftige aus der Mittelschicht werden mehr Geld von ihrem Vermögen, von ihren Immobilien für die Pflege aufwenden müssen, auch wenn das neue Pflegegesetz die Zuschüsse zu Heimaufenthalten aus der Sozialkasse etwas verbessert.

In den Haushalten wird die Pflege individueller gestaltet werden. Manche Ba­by­boo­me­r:in­nen können ein Lied davon singen, wie die Betreuung für die bedürftigen Eltern zusammengestückelt wird aus Hilfe durch die Kinder, Schwarzarbeit, womöglich halblegaler osteuropäischer Pflegehilfskraft und dem Personal der Sozialstationen.

Quelle      :         TAZ-online            >>>>>        weiterlesen

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Die Visionen eines Arzt

Erstellt von DL-Redaktion am 28. Mai 2023

Deutscher Ärztechef liest Karl Lauterbach die Leviten

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Quelle      :        INFOsperber CH.

Von          :      Red. /   

Klaus Reinhardt frotzelte, der Gesundheitsminister soll «mit seinen Visionen zum Arzt gehen». Sein Tun sei demokratiegefährdend.

upg. Die deutsche Bundesregierung habe in den letzten vier Jahren nicht weniger als 264 gesundheitspolitische Verordnungen erlassen, zu denen die Bundesärzteschaft Stellung nehmen konnte. Das erklärte Ärztepräsident Klaus Reinhardt am deutschen Ärztetag. Das Ministerium habe der Ärzteorganisation und anderen Lobbys zusätzlich zahlreiche Positionspapiere ebenfalls zur Stellungnahme unterbreitet.

Die demokratische Ordnung sei dabei manchmal nicht eingehalten worden, ja Karl Lauterbachs Handeln sei «demokratiegefährdend». Der Präsident der Bundesärztekammer nannte beispielhaft die extrem kurzen Fristen, die Lauterbach für eine Stellungnahme gewährte:

  • Eine Verordnung zugestellt am 21.11.2022 um 11.00 Uhr.
    Frist zur Stellungnahme: 21.11.2022 bis 19.00 Uhr.
  • Andere Verordnung zugestellt am 24.6.2022 um 13.45 Uhr.
    Frist zur Stellungnahme: 24.6.2022 bis 18.00 Uhr.
  • Weitere Verordnung zugestellt am 9.3.2023 um 01.08 Uhr.
    Frist zur Stellungnahme: 9.3.2023 bis 10.00 Uhr.

Es gebe noch viele solche Beispiele, sagte Ärztechef Klaus Reinhardt.

Lauterbach habe zwar viele Visionen, meinte Reinhardt. Aber wie schon Helmut Schmidt gesagt habe: «Wer Visionen hat, soll mit seinen Visionen zum Arzt gehen.»

Der Präsident der deutschen Ärzteschaft erntete eine Standing Ovation. Auch der heftig kritisierte Lauterbach applaudierte verhalten.

«Seien Sie nicht eingeschnappt», erwiderte Gesundheitsminister Lauterbach am Schluss seiner anschliessenden Rede: «Wir werden die Baustellen gemeinsam anpacken.» Für seine geplanten grundlegenden Reformen werde er mit allen Kreisen zusammenarbeiten und alle guten Vorschläge aufnehmen.

Bei seiner Problemanalyse nahm es Lauterbach – wie schon öfter in der Vergangenheit – mit den Fakten nicht so genau. So behauptete er, die anderen Länder Europas würden den Pharmafirmen höhere Medikamentenpreise zahlen als Deutschland, und begründete damit die Engpässe bei bestimmten Arzneien in Deutschland. Tatsächlich zahlen die Krankenkassen in praktisch allen Ländern Europas mit Ausnahme der Schweiz den Pharmafirmen tiefere Preise als in Deutschland.

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Oben      —     Klaus Reinhardt (2019)

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Grundrechte-Report 2023:

Erstellt von DL-Redaktion am 20. Mai 2023

Zentralisierte Gesundheitsdaten

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Quelle          :        Netzpolitik ORG.

, von Rainer Rehak

Im Rahmen der seit Jahrzehnten andauernden Digitalisierung der Gesellschaft werden stetig neue Sachbereiche daraufhin abgeklopft, wie die vorliegenden Daten nutz- und gewinnbringend ausgewertet werden können. Die Gesundheitsdaten der deutschen Bevölkerung sind da keine Ausnahme.

Unter der Ägide des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn beschloss der Deutsche Bundestag im Dezember 2019 das sogenannte Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG). Auf dessen Grundlage wurden die Gesundheitsdaten aller 73 Millionen gesetzlich Versicherten im sogenannten Datentransparenzverfahren (DTV) seit Oktober 2022 zusammengeführt und zentral gespeichert. Begründet wurde das Vorhaben damit, dass dadurch neue Möglichkeiten für die medizinische Forschung, die Versorgungsforschung, die Gesundheitsberichterstattung und die Steuerung des Gesundheitswesens entstehen sollen.

Auch wenn dies berechtigte Anliegen sind, dürfen die Grundrechte der Betroffenen bei der Umsetzung nicht auf der Strecke bleiben: Bei der Verarbeitung hochsensibler Gesundheitsdaten von Millionen Versicherten braucht es angemessene Schutzstandards und Widerspruchsrechte, beides fehlt im DVG.

Zentrale Speicherung birgt unnötige Risiken

Die Datentransparenzverordnung vom 26. Juni 2020 sieht vor, dass spätestens am 1. Oktober 2022 alle Versichertendaten von den gesetzlichen Krankenkassen zur Datensammelstelle, dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (BdK), fließen sollten. Zu jeder Person werden u. a. folgende Gesundheitsdaten als zusammenhängender Datensatz verarbeitet: Diagnosen, Behandlungen, Operationen, Arzneimittel, Zuzahlungen, Krankengeld-Informationen und viele andere Kosten- und Leistungsdaten sowie Geburtsjahr, Geschlecht und Postleitzahl.

Für die beschriebenen Zwecke, insbesondere die medizinische Forschung, würde es genügen, wenn die Daten dezentral gespeichert und nur projektbezogen temporär zusammengeführt würden. Stattdessen werden die Gesundheitsdaten aller Versicherten nun zusätzlich zur Speicherung bei den Krankenversicherungen in einer zentralen Datenbank vollständig, gemeinsam und bis zu 30 Jahre lang vorgehalten.

Eine solche zusätzliche zentrale Speicherung erhöht die Risiken eines Datenmissbrauchs oder eines unbefugten Datenzugriffs. Ein erfolgreicher Angriff oder eine Fehlbenutzung betreffen in einem zentralen System zudem potenziell schnell alle Daten und können verheerende Folgen haben für die Versicherten (Identifikation, Stigmatisierung und Arbeitsplatzverlust nach Veröffentlichung, Verletzung der Selbstbestimmung) und auch für den Betreiber (Haftungsansprüche). Zudem bedeutet eine unnötige Datenzentralisierung immer eine unverhältnismäßige staatliche Machtkonzentration, denn liegen die Daten einmal vor, können sie schnell auch für andere Zwecke verwendet werden, etwa für individualisierte Versicherungstarife oder gar zur Strafverfolgung.

Aus dem im Grundgesetz verankerten Recht auf informationelle Selbstbestimmung und aus dem Grundrecht auf Datenschutz in Artikel 8 der EU-Grundrechtecharta ergibt sich die staatliche Schutzpflicht, Menschen bei der Verarbeitung sensibler Daten adäquat vor negativen Folgen zu schützen. Auch die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sieht einen hohen Schutzbedarf bei Gesundheitsdaten vor. Für die IT-Sicherheit gilt die Faustregel, dass sich erfolgreiche Sicherheit dadurch auszeichnet, dass der Aufwand eines Einbruchs größer ist als der vermutete Wert. Die umfangreiche Speicherung und das dauerhafte Vorhalten der Gesundheitsdaten einer ganzen Bevölkerung würde es nach dieser Faustregel nicht geben. Sie stellt ein lohnendes Angriffsziel dar und erhöht die dafür nötigen Sicherheitsvorkehrungen daher immens.

Fragwürdige Pseudonymisierung

Eine der wesentlichen Schutzvorkehrungen des Verfahrens ist die Pseudonymisierung der Datensätze. Konkrete Namen werden im Zusammenführungsprozess durch dauerhafte Pseudonyme ersetzt. Das Robert Koch-Institut tritt dabei als Vertrauensstelle auf und verwaltet die vom BdK genutzten Lieferpseudonyme, Arbeitsnummern und dauerhaften Pseudonyme. Nach der Pseudonymisierung fließen die Daten dann vom BdK zum Forschungsdatenzentrum (FDZ), das beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelt ist, wo die eigentliche zweckmäßige Datenverarbeitung vorgenommen werden kann.

Die Pseudonymisierung – Namensverschleierung – soll verhindern, dass konkrete Personen aus den Datensätzen re-identifiziert werden können. Sehr detaillierte Datensätze sind jedoch schwer sinnvoll durch Namensersetzung zu maskieren, weil Menschen im Detail doch sehr individuelle Biographien haben. Zudem sind gerade die zusammenhängenden individuellen Krankengeschichten und Sachhergänge für die medizinische Forschung relevant – dies gilt umso mehr bei seltenen Diagnosen und Krankheiten. Dabei genügen dann die Postleitzahl und das Krankenbild für eine Identifikation der Person. Inwiefern auswertbare Gesundheitsdaten überhaupt sinnvoll pseudonymisierbar sind, ist somit hochgradig fragwürdig.

Unklare Zweckbestimmung und keine Widerspruchsmöglichkeit

Aus Datenschutzsicht steht vor allen Datenverarbeitungsverfahren die Zweckfrage, also die Frage danach, welches Problem das Verfahren lösen soll. Datenschutzrechtlich muss der Zweck konkret, festgelegt und eindeutig sein. Je nach Zweck ergeben sich daraus die nötigen Verfahren, Risikoabwägungen und Schutzvorkehrungen.

Im vorliegenden Fall wird als Zweck die Verbesserung der medizinischen Forschung, der Versorgungsforschung, der Gesundheitsberichterstattung und der Steuerung des Gesundheitswesens angesehen. Dieses Zweckbündel wirkt weder festgelegt noch eindeutig und erschwert dadurch die Risikoabschätzung. Hier muss dringend nachgeschärft werden, um Beliebigkeit zu verhindern. Auch andere grundsätzliche Datenschutzfragen sind noch offen. Die Umsetzung von Auskunfts- und Korrekturrechten sind im aktuellen Modell technisch schwer bis gar nicht umsetzbar und ein Widerspruchsrecht ist explizit ausgeschlossen.

Das Digitale-Versorgung-Gesetz vor Gericht

Im Mai 2022 klagten die Informatikerin und Sprecherin des Chaos Computer Clubs, Constanze Kurz, und eine weitere Person mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) vor den Sozialgerichten Berlin und Frankfurt am Main gegen die zentrale Speicherung ihrer Gesundheitsdaten. Constanze Kurz befürchtet, dass die bestehenden konzeptionellen Sicherheitsmängel früher oder später zu einem gefährlichen Datenabgriff führen könnten. Der zweite Kläger hat eine seltene Krankheit und Sorge, trotz Pseudonymisierung seiner Daten leicht re-identifiziert zu werden. Im Oktober 2022 fand der erste Verhandlungstag in Berlin mit einer Anhörung von diversen Sachverständigen statt.

Im Kern sehen die zwei klagenden Personen also schwere und unnötige grundrechtliche Risiken beim aktuellen Datentransparenzverfahren, etwa die IT-Sicherheitsrisiken durch Zentralisierung, die unzureichende Pseudonymisierung, die unklare Zweckbestimmung und die fehlende Widerspruchsmöglichkeit.

Die beabsichtigten Ziele des Datentransparenzverfahrens – die Forschung mit Gesundheitsdaten – können auf verschiedenen technischen Wegen verfolgt werden. Die Informatik bietet dafür viele Gestaltungswerkzeuge, um Daten sicher und sinnvoll dezentral auszuwerten. In der aktuellen Ausgestaltung des DTV werden jedoch konkret Grundrechte missachtet für einen theoretischen zukünftigen Nutzen. Aber das müsste nicht so sein; die Auswertung könnte durchaus mit einer anderen Datenarchitektur und besseren Schutzmechanismen technisch grundrechtskompatibel ausgestaltet werden.

Abschließend bleibt die grundsätzliche Frage, ob das Datentransparenzverfahren angesichts seiner immensen Risiken für Grundrechtsverletzungen tatsächlich einen Beitrag zur besseren Gesundheitsversorgung leisten kann. Denn wenn die proklamiert missliche Gesundheitsdatenlage gar kein zentrales Nadelöhr der Gesundheitsversorgung wäre, so wäre das aktuelle Datentransparenzverfahren nicht nur aus Datenschutzsicht unverhältnismäßig, sondern auch ein weiterer Beleg dafür, wie sich politische Akteur*innen durch moderne Informationstechnik ablenken lassen von sozialpolitischen Problemen.

Rainer Rehak ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft (WZB) und Ko-Vorsitz des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF ). Der Beitrag erschien im Grundrechte-Report 2023. Der „alternative Verfassungsschutzbericht“ wird am 23. Mai im Haus der Demokratie und Menschenrechte in Berlin sowie im Livestream vorgestellt. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Fischer Verlages. Alle Rechte vorbehalten.

Grundrechte-Report 2023. Herausgegeben von: Benjamin Derin, Rolf Gössner, Wiebke Judith, Sarah Lincoln, Rebecca Militz, Max Putzer, Britta Rabe, Rainer Rehak, Lea Welsch, Rosemarie Will ISBN: 978-3-596-70882-6. 224 Seiten. E-Book und Taschenbuch. S. Fischer Verlag.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

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Oben           —     Muster einer Elektronischen Gesundheitskarte (Generation G1) der Gematik

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Mobile Wissensarbeit:

Erstellt von DL-Redaktion am 18. Mai 2023

Alternative ökologische und soziale Theorien der Pflege konstruieren, aber unfähig, sie zu leben?

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Quelle        :     Berliner Gazette

Von            :       · 17.05.2023

Arbeiter*innen in der Produktion und Vermittlung von Wissen – Forscher*innen und Lehrer*innen – sind von zentraler Bedeutung für die Prozesse der Kapitalakkumulation im einundzwanzigsten Jahrhundert und damit auf die eine oder andere Weise ein wichtiger Bestandteil der Klimaproduktion. Um zu überleben, verkaufen die Proletarisierten ihre Arbeitskraft, während die prekäre Mehrheit unter ihnen auch gezwungen ist, ständig mobil zu sein, und auf diese Weise sowohl zu den Kohlenstoffemissionen beizutragen als auch die Fürsorge für menschliche und nicht-menschliche andere zu vernachlässigen, wie die Wissenschaftlerin und Aktivistin Nelli Kambouri in ihrem Beitrag zur Textreihe “Allied Grounds” argumentiert.

Als prekäre Akademikerin lebe ich seit vielen Jahren zwischen verschiedenen Jobs und arbeite gleichzeitig an mehreren Projekten für verschiedene Institutionen. Prekarität hat einen tiefgreifenden Einfluss auf mein tägliches Leben und meine Arbeit. Obwohl es stressig ist, an mehreren Projekten gleichzeitig zu arbeiten, können Arbeiter*innen in der Wissensproduktion wie ich, die keine festen Arbeitsplätze haben, keine Angebote auswählen oder ablehnen, weil wir sicherstellen müssen, dass wir in der Lage sind, Zeiten der Arbeitslosigkeit und des Mangels an Einkommen zu überbrücken.

Wir sind auch ständig besorgt über niedrige und verspätete Zahlungen, unbestimmte Arbeitsbeziehungen und den Abzug von Zeit und Wissen. Prekarität macht es schwierig, sich zu konzentrieren, und Forschungsprojekte werden ständig an die Rahmenbedingungen verschiedener Finanzierungsmöglichkeiten angepasst. Ausstiegsstrategien für die berufliche Entwicklung sind oft mit häufigen Reisen oder der Abwanderung aus dem Heimatland verbunden.

In meinem Fall ist die Heimat ein Schuldenstaat, eine Gesellschaft, die zunehmend bankrott, rassistisch und sexistisch geworden ist und die nur sehr wenig – meist informellen – Schutz für prekäre Akademiker*innen bietet. Dennoch ist mein Zuhause auch ein Ort, an dem ich wertvolle soziale Beziehungen, Freundschaften, familiäre Bindungen und intellektuelle und affektive Zugehörigkeiten aufgebaut habe, die ein wesentlicher Bestandteil dessen sind, was ich geworden bin und wie ich über die Zukunft denke.

Der Wunsch, dieses zerbrechliche Zuhause in ein stabiles zu verwandeln, egal wie sehr es durch Prekarität gebrochen ist, ist eine Strategie, die zum akademischen Scheitern verurteilt ist. Die Entscheidung zu bleiben, sich zu weigern, akademisch mobiler zu werden, wie es die zeitgenössischen Normen von allen Akademiker*innen erwarten, kann als eine Art beruflicher Selbstmord angesehen werden. Akademische Unbeweglichkeit wird als Schwäche ausgelegt, als Zeichen der Unbestimmtheit, der Ziellosigkeit und des fehlenden Engagements, das uns alle heimsucht, die wir uns an Orten niedergelassen haben, an denen wir den prekären akademischen Bedingungen nicht entkommen können.

Ständiger Wechsel in neue akademische Umgebungen

Für prekäre Forscher*innen aus der Peripherie der globalen akademischen Welt ist die Mobilität zur einzigen offiziellen und praktikablen Überlebensstrategie geworden. Sie wird finanziert, gelobt und als Indikator für wissenschaftliches Engagement und Professionalität angesehen. Die enthusiastischen Erzählungen über den akademischen Erfolg verschweigen jedoch, dass die akademische Mobilität oft zu einem unwillkommenen und erzwungenen Weg wird, insbesondere für Betreuungspersonen, die abhängige Familienmitglieder oder Gemeinschaften zurücklassen müssen, um eine neue akademische Karriere weit weg von ihnen zu verfolgen.

Mobilität ist zwar nicht immer der erzwungene Teil einer Laufbahn, aber sie ist sehr oft vorübergehend, unsicher und fragil. Obwohl die Entscheidung, akademisch mobil zu werden, von einem intellektuellen Hauch umhüllt ist, der die Geschlechter- und Pflegepolitik zum Schweigen bringt, tauchen diese Themen im geschlechtsspezifischen akademischen Leben immer wieder auf. Es ist irreführend, die akademische Mobilität völlig geschlechtsneutral zu betrachten.

Die Entscheidung, für eine befristete, schlecht bezahlte und unsichere Stelle in ein neues akademisches Umfeld zu wechseln, ist schwierig und oft schmerzhaft. Tatsächlich ist die akademische Mobilität keine einseitige, lineare Bewegung hin zum beruflichen Erfolg, sondern beinhaltet in der Regel ein ständiges Hin und Her, das sich häufig auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden auswirkt.

Es stellen sich mehrere Fragen: Wie erzieht man Kinder in der Ferne? Wie unterstützt man Verwandte, Partner, Freunde im Ausland? Wie geht man mit der Sehnsucht nach sozialen Beziehungen im Heimatland um? Wie kommt man physiologisch mit dem häufigen Reisen zurecht? Wie organisiert man Zeitpläne, die auf Reisen nicht stressig sind? Wie überdenkt man seine Beziehung zur Wissenschaft, wenn man kein festes Zuhause findet?

Die ökologischen und sozialen Kosten

Eine der Strategien, die viele von uns in der Vergangenheit angewandt haben, um den Rhythmus eines mobilen akademischen Lebens als prekäre Subjekte zu unterstützen, besteht in der häufigen Nutzung von preiswerten Reisen und Unterkünften, was enorme ökologische und soziale Kosten verursacht. Wie bei Gender und Pflege wird der ökologische Fußabdruck der akademischen Mobilität bei akademischen Karrierewegen selten berücksichtigt.

Es gibt verschiedene Online-Tools, die es uns ermöglichen könnten, das Reisen für Sitzungen, Forschung, Konferenzen, Workshops oder Unterricht zu überdenken, aber die ökologischen und sozialen Kosten dieser Tools (die in der Regel von den großen Profiteur*innen des so genannten “Überwachungskapitalismus” bereitgestellt werden, die einen großen ökologischen Fußabdruck haben) werden kaum berücksichtigt. Gleichzeitig werden persönliche Treffen weiterhin als menschlicher und professioneller gepriesen. Infolgedessen bleiben beide Optionen – die verkörperte/Offline- und die entkörperte/Online-Mobilität – mystifiziert und entsprechend unterreflektiert.

Für prekäre Akademiker*innen können kurzfristige und prekäre Arbeitsplätze auch einen Lebensstil bedeuten, der häufige Reisen zu den Orten beinhaltet, die wir unser Zuhause nennen und wo sich die Menschen befinden, die wir betreuen. Dies schafft ein Paradoxon. Obwohl prekäre Akademiker*innen im Bereich er Wissensproduktion, zur Konstruktion alternativer ökologischer und sozialer Theorien der Pflege sowie zu ökologischen und feministischen Ansätzen und Modellen beitragen können, die die zerstörerischen Auswirkungen des gegenwärtigen Kapitalismus in Frage stellen, sind sie oft nicht in der Lage, diese Alternativen in ihrem mobilen Alltag umzusetzen, gerade weil die Finanzierung die Mobilität wertschätzt.

Die Mobilität der prekären Wissenschaftler*innen unterscheidet sich von der der privilegierten akademischen Eliten, die institutionelle Sicherheit genießen und ihre Reisen auf das Wesentliche beschränken können. Die Mobilität prekärer Forscher*innen ergibt sich aus der Prekarität ihrer Arbeit und der Notwendigkeit, näher an die wirtschaftlichen Zentren der Wissensproduktion heranzukommen, was wiederum oft die Schaffung von Versorgungslücken impliziert.

Das lästige Paradoxon angehen

Die akademische Mobilität bringt eine merkwürdige Verflechtung von sozialen und ökologischen Schäden mit sich, die wir verursachen müssen, um akademischen Erfolg zu erzielen. Wie Felix Guatarri in den “Drei Ökologien” feststellte: “Wohin wir uns auch wenden, wir stoßen auf dasselbe nagende Paradoxon: Einerseits die kontinuierliche Entwicklung neuer technowissenschaftlicher Mittel, um potenziell die vorherrschenden ökologischen Probleme zu lösen und gesellschaftlich nützliche Aktivitäten auf der Oberfläche des Planeten wiederherzustellen, und andererseits die Unfähigkeit organisierter sozialer Kräfte und konstituierter subjektiver Formationen, sich dieser Mittel zu bemächtigen, um sie zum Laufen zu bringen” (S. 30).

Als prekäre Akademiker*innen sind wir an diesem Paradoxon beteiligt, sowohl als kreative Wissenschaftler*innen, die sich neue Modelle des Zusammenlebens mit anderen – menschlichen und nicht-menschlichen – Wesen ausdenken, als auch als Subjekte, die es systematisch versäumen, soziale und ökologische Ressourcen zu nutzen und in den Dienst der Arbeit zu stellen. Prekarität ist somit mit umweltzerstörerischen Praktiken der Wissensproduktion verwoben, die von uns verlangen, die Kosten unserer Mobilität zu verbergen.

Es ist an der Zeit, akademisches Scheitern und Erfolg im Hinblick auf dieses Paradoxon neu zu überdenken. Die Weigerung, als prekäre Akademiker*innen mobil zu sein, mag eine Form des Widerstands gegen die ökologischen Schäden sein, die durch intensive Reiseverpflichtungen verursacht werden, aber sie ist auch eine Form des Widerstands gegen Konzepte von Arbeit, die Reproduktion und Fürsorge ausblenden. Diese beiden Aspekte sind miteinander verwoben: Eine Ethik der Fürsorge für Menschen und Nicht-Menschen muss in die Beurteilung und Bewertung akademischer Karrieren und Lebensläufe integriert werden.

Was wäre, wenn wir diejenigen mehr wertschätzen würden, die sich dafür entscheiden, diejenigen zu feiern, die nicht oft fliegen, die sich dafür entscheiden, fürsorgliche Beziehungen innerhalb und außerhalb akademischer Einrichtungen aufzubauen? Was wäre, wenn die Organisation der akademischen Arbeit nicht mehr im Sinne der neoliberalen Vorstellungen von nahtloser und schneller Mobilität wahrgenommen würde, sondern im Sinne der Bedürfnisse der Prekären, für die das Temporäre, aber auch das Digitale die Norm ist?

Es ist denkbar, dass die Verweigerung der akademischen Mobilität zu neuen prekären Subjektivitäten führt, die mit ihren maschinellen Erweiterungen verbunden sind, und zu neuen Kartografien der Wissensproduktion, die die ungleichen Strukturen der globalen akademischen Institutionen in Frage stellen. Verstreute Universitäten und Forschungsprojekte, die zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden aufgeteilt sind, würden auf langsamer Bewegung, seltenen persönlichen Interaktionen und einer Priorität der Aufmerksamkeit für das Menschliche und Nicht-Menschliche um uns herum basieren.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel ist ein Beitrag zur Textreihe “Allied Grounds” der Berliner Gazette; die englische Fassung finden Sie hier. Weitere Inhalte finden Sie auf der englischsprachigen “Allied Grounds”-Website. Werfen Sie einen Blick darauf: https://allied-grounds.berlinergazette.de

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Oben       —   Patient Receives Chemotherapy Description A Hispanic male patient receives Chemotherapy from a African-American Nurse through a port that is placed in his chest area. A caucasian female nurse looks on. Topics/Categories Locations — Clinic/Hospital People — Adult People — Health Professional and Patient Treatment — Chemotherapy Type Color, Photo Source National Cancer Institute

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Drei Jahre Corona :

Erstellt von DL-Redaktion am 13. Mai 2023

Die Illusion der Normalität

Vor einem Monat ist sie gefallen, eine der letzten verbliebenen bundesweit geltende Coronaschutzmaßnahme: Seit dem 2. Februar sind die Masken nun auch in Bussen und Bahnen des Fernverkehrs nicht mehr vorgeschrieben. Schon zuvor hatte unter anderem Bayern die Maskenpflicht im alltäglichen Verkehrsgedränge ausgerechnet zur Hochzeit auch anderer Erkältungskrankheiten aufgehoben – und war damit einmal mehr zum Vorreiter und Drängler einer unsteten Coronapolitik geworden: Während Markus Söder zu Beginn der Pandemie als Kapitän des „Teams Vorsicht“ umfassende Eindämmungsregelungen forcierte, geriert er sich seit geraumer Zeit als die Speerspitze des „Teams Freiheit“, das das Ende der Pandemie und eine Rückkehr zur alten, vorpandemischen „Normalität“ fordert.

Damit aber trägt der bayrische Ministerpräsident zu einer fatalen Schlagseite in der hiesigen Debatte über die Pandemiebekämpfung bei: Immer lauter werden jene Stimmen, die die politischen Maßnahmen zur Coronaeindämmung als völlig überzogen oder gänzlich unnötig darstellen. Derweil sich immer mehr politische Entscheidungsträger Asche aufs Haupt streuen, kommt in der medialen Diskussion eines entschieden zu kurz, nämlich eine wirkliche Bestandsaufnahme, wo wir heute stehen – und womit wir weiter rechnen müssen – nach der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, die nur deshalb in den vergangenen zwölf Monaten in den Hintergrund getreten ist, weil wir es seit einem Jahr mit dem Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine mit einer noch größeren, die Grundfesten der europäischen Nachkriegsordnung infrage stellenden Herausforderung zu tun haben.

Dabei kann zum dritten Jahrestag des ersten „Lockdowns“ hierzulande, der im Vergleich mit anderen Ländern nur ein halber war, noch immer nicht davon die Rede sein, dass das Virus seinen Schrecken vollständig verloren hätte: Auch jetzt sterben allein in Deutschland täglich um die 100 Menschen an dessen Folgen und in den Krankenhäusern wächst erneut die Zahl der Infizierten – auch wenn viele wegen anderer Indikationen dort landen. Doch weil sie dann – aus gutem Grund – noch immer isoliert werden, erhöht die Infektion den Aufwand für Krankenpfleger und Ärztinnen erheblich. An deren unzureichender Personaldecke hat nämlich auch das anfängliche Klatschen vom Balkon – zum Dank für ihren selbstlosen, viel zu lange schlecht geschützten Einsatz – bis heute nichts geändert.[1]

Long Covid in den Blick nehmen

Hinzu kommt aber ein mindestens ebenso wichtiger Punkt: Noch immer wissen wir viel zu wenig über die Folgeschäden, die das Virus im Körper anrichten kann. Dabei gibt schon das, was bislang bekannt ist, ausreichend Grund zur Sorge. Inzwischen ist weniger die akute Krankenlast das Problem, sondern vielmehr das, was noch auf uns zukommt – und zwar in Form von Langzeitschäden auf die Betroffenen, aber auch auf die Gesellschaft insgesamt: Bislang haben die Unfallkassen und Berufsgenossenschaften zum Stichtag 31. Januar 2023 mehr als 310 000 Covid-Erkrankungen als Berufskrankheit anerkannt – und allein 2021 erkannten sie insgesamt dreimal so viele Berufskrankheiten an wie noch im Vorjahr. Die Zunahme geht fast ausschließlich auf Infektionskrankheiten, also insbesondere Coronainfektionen, zurück.[2] Nun ist mit einer Anerkennung als Berufskrankheit zwar nicht gesagt, dass alle Betroffenen dauerhaft beeinträchtigt sind – und schon gar nicht, dass sie im Falle dessen auf einen Rentenanspruch und ausreichende Unterstützung zählen können. Doch allein der enorme Anstieg an Anträgen und Bewilligungen zeigt, wie viele Krankenschicksale sich dahinter verbergen und vor welcher Herausforderung unsere Sozialsysteme in Bälde stehen könnten, sollte auch nur ein Teil derjenigen fortwährend nur eingeschränkt oder gar nicht arbeiten können, die ihre Infektion als Berufskrankheit anerkennen lassen konnten.

Denn unter anhaltenden Beschwerden nach einer Covid-Infektion leiden nach bisherigen Schätzungen mindestens bis zu sechs Prozent der Infizierten, bei Hospitalisierten sogar bis zu über 40 Prozent.[3] Dabei kommt es zu verschiedenen Formen der Beeinträchtigung. Zum einen zu chronischer Erschöpfung, dem sogenannten Fatigue-Syndrom. Dabei leiden die Betroffenen bereits nach geringer körperlicher Anstrengung wie Zähneputzen oder selbst nach einem Telefonat mit Freunden unter schwerer körperlicher Schwäche. Von einer Teilnahme am „normalen“ Leben sind sie völlig ausgeschlossen, Arbeit oder Schule lassen sich nicht bewältigen.[4] Diese Folge einer Coronainfektion brachte – immerhin – die bislang viel zu wenig beachtete Erkrankung ME/CFS[5] etwas mehr ins öffentliche Bewusstsein. Von dieser waren schon vor Corona hierzulande bis zu 250 000 Menschen, darunter 40 000 Kinder und Jugendliche, betroffen. Und doch mangelt es aufgrund unzureichender Forschung und Aufklärung an hilfreichen Behandlungsempfehlungen, Medikamenten und nicht zuletzt an Wissen auch beim medizinischen Fachpersonal. Viel zu oft werden die Erkrankten mit ihren Beschwerden noch immer nicht ernst genommen, ihre Einschränkungen als psychosomatisch abgetan oder sie in Reha-Maßnahmen zu körperlicher Ertüchtigung aufgefordert, obwohl in ihrem Fall das sogenannte Pacing[6] ein weit erfolgversprechenderer Ansatz ist: der schonende Umgang mit den eigenen Energieressourcen und die Schulung im Erkennen der eigenen Grenzen.

Neben der Fatigue treten unter den Long-Covid-Patienten oft Einschränkungen der Lunge wie Kurzatmigkeit und anhaltender Husten auf. Andere leiden unter neurologischen Beeinträchtigungen wie Kopf- und Muskelschmerzen, Geruchs- und Geschmacksverlust oder unter Beschwerden wie Konzentrationsstörungen und gedrückter Stimmung. Zudem zeigen immer mehr Untersuchungen, dass das Coronavirus Gefäße im Körper weit über die Lunge hinaus angreift, weshalb etwa Herzbeschwerden und Herzinfarkte selbst lange nach einer Coronainfektion auftreten können.

Quelle       :        Blätter-online          >>>>>         weiterlesen

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Oben     —     Informationen anmeldenCoesfelderStraße mit Bezug auf die COVID-19-Regulierung auf dem Wochenmarkt inDülmenNordrhein-WestfalenDeutschland

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Dinkel, Hanf, Lupine

Erstellt von DL-Redaktion am 18. April 2023

Aus der Wunderwelt der Hausmedizin

Für Bettina Jung

Die hochwertigen natürlich gewonnene Rohstoffe wie Dinkel, Hanf und Lupine werden in der Zukunft weiter gefragt werden. Die Menschen sind global bereits im Bezug auf ihre Mittel zum Leben stets bewusster.

Dies ist ein gesellschaftliche Entwicklung welche weltweit weiter anhalten werden wird. Daher wächst das Bedürfnis an dem Dinkel als eine sinnige Alternative zum Weizen. Der Dinkel ist reich an Ballaststoffen. Daher sind Dinkel als Dinkelvollkorn Produkte wie Teigwaren in Form von Spagetti zu kaufen. Durch das wachsende Bedürfnis wird es mehr Anbieter für Dinkel auf der Welt wie in Skandinavien geben.

Der Hanf ist ein vielfältig einsetzbarer Rohstoff. Ob für Nahrung mit einem hohen Anteil an Ballaststoffen oder den guten Omega 3 Fettsäuren, hautfreundliche und stabile Kleidung, Kosmetik für die keine Tiere leiden brauchen, der schonen Medizin ohne den THC Wirkstoff oder für die Industrie wie der Baubranche. Der Hanf ist als Pflanze genügsam und wächst überall. Deshalb ist der Preis für Hanf günstig. Daher ist der Hanf eine wirtschaftliche Grundlage für einen Boom. Stärker als es bisher in den Vereinigten Staaten von Amerika der Fall ist.

Die Lupinen sind in der Natur reichhaltig vorhanden. Sie enthalten ebenfalls viel an Ballaststoffe. So können die günstigen Lupinen in Teigwaren und im Fleisch als Zusatz dass Ausmass an Ballaststoffe erhöhen, dabei gleichzeitig das Mass an Fette in den Produkten reduzieren. Dinkel, Hanf und Lupine stellen eine Chance für die Agrarwirtschaft dar eine erhöhte Menge zur Verfügung zu stellen und daran mehr zu verdienen als mit den bisherigen Produkten wie beispielsweise dem Weizen.

Die Hersteller von Nahrung erkennen den Mehrwert von Dinkel, Hanf und Lupinen. Allergien zu den Rohstoffen sind nicht bekannt. Bewusste Menschen können mittels der Einforderung besserer Rohstoffe zu einem egalitär bezahlbaren Preis in ihren Produkten des Alltages beitragen.

Jimmy Bulanik

Nützlicher Link im Internet:

Fotosynthese Lied

www.youtube.com/watch?v=-pkeyxiqxV0

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Grafikquellen          :

Oben     —     A picture of a herbal patch, owned by an individual. The patch is designed in a rectangular pattern (not intermittent). Rectangular intermittent, circular patches as well as elevated patches are also frequently made (not shown here). The width of the patches is about 1 m (this allows easy maintenance). The pathways in between are set to our lawnmower (80 m); however gravel or pure stone would have been better (somewhat more expensive though). Intermittent rectangular patterns also are preferred for even easier maintenance as weeding.

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Nichts als Märchen

Erstellt von DL-Redaktion am 16. April 2023

Im Koalitionsvertrag kommen sie zwar endlich vor.

Haben die Politiker-innen nicht immer die schönsten Märchen für sich selber geschrieben. Selbst dann wenn sie diese später nicht einmal lesen konnten ?

Von  ;   Verena Niethammer

Doch pflegende Eltern, etwa von Kindern mit Behinderung, sind von der Politik schändlich vernachlässigt. Fakt ist, dass pflegende Familien genauso wie Menschen mit Behinderung stark von Armut bedroht sind.

Es gibt fünf Millionen Menschen mit Pflegebedarf in Deutschland. Blickt man in offizielle Pflegebroschüren, könnte man meinen, dass es sich dabei ausschließlich um ältere Menschen handelt. Doch circa 3 Prozent von ihnen sind minderjährig. Diese Kinder und Jugendlichen werden überwiegend zu Hause gepflegt. Sie leben mit ihren Familien in besonders belasteten, oftmals prekären Verhältnissen. Das ist längst bekannt und durch Studien wie die des Kindernetzwerks aus dem Jahr 2014 belegt. Dennoch werden pflegende Eltern seit Jahrzehnten übergangen. Weder die Familien- noch die Pflegepolitik hat sie auf dem Schirm.

Ein Aha-Moment war die Veröffentlichung des Koalitionsvertrags im November 2021. Im Abschnitt zur häuslichen Pflege wurden tatsächlich Familien von Kindern mit Behinderungen erwähnt. Ein absolutes Novum. Das weckte Hoffnung auf Veränderungen.

In den vergangenen Jahren haben sich immer mehr pflegende Familien vernetzt, auch über ­Social Media. Es gab mehrere erfolgreiche Peti­tio­nen, etwa „Stoppt die Blockade der Krankenkassen“, die sich gegen mutwillige Hürden in der Hilfsmittelversorgung stellt. Hier geht es um Essenzielles wie Rollstühle, Laufhilfen oder Geräte zur Kommunikation. Obwohl diese Hilfsmittel von Fach­ärzt:in­nen verordnet werden, lehnen viele Krankenkassen sie zunächst einmal ab. Dann folgt meist ein langwieriges Widerspruchsverfahren. Das initiierende Eltern- und Ärztepaar Lechleutner sammelte über 55.000 Unterschriften. Ein halbes Jahr später fand sich die Formulierung, dass die Hilfsmittelversorgung ab sofort unbürokratischer gestaltet und digitalisiert werden soll, als ein gesetztes Ziel der Ampel.

Aber das waren offensichtlich leere Versprechungen. Spürbare Konsequenzen gab es bisher keine. Auch das persönliche Budget – eine Geldleistung für Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung, mit der diese As­sis­tent:in­nen und Fachkräfte selbst bezahlen können – sollte fortan leichter gewährt werden. Doch die Antragstellung ist auch heute noch ein unglaublicher Hürdenlauf. Inklusion funktioniert in Deutschland auch 2023 nur mit guter Rechtsschutzversicherung oder dickem Geldbeutel.

Wichtig für pflegende Familien wäre Entlastung in der häuslichen Pflege. Denn diese Care-Arbeit ist ein zehrender Knochenjob nicht nur in stationären Einrichtungen, sondern vor allem zu Hause, wo 99 Prozent der minderjährigen Pflegebedürftigen versorgt werden. Viele Mütter und Väter pflegen und betreuen ihre Kinder rund um die Uhr, die meisten ohne pflegerische Unterstützung. Der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn hatte mit seiner Pflegereform 2021 das Thema angekratzt. Dabei bediente er sich zwar des Begriffs Entlastungsbudget – doch der Inhalt fehlte. Das Konzept war nichts als ein verdecktes Streichkonzert. Der Gesamtbetrag des neuen Budgets war letztlich geringer als die darunter subsumierten Einzelbeträge. Die Verhinderungspflege – also eine kurzzeitige Vertretung der pflegenden ­Person –, die das meistgenutzte Hilfsangebot für pflegende Familien darstellt, sollte reduziert werden. Zugleich sollte die Summe für stationäre Kurzzeitpflege erhöht werden. Deren Nutzung wurde zudem zur Bedingung für die Verhinderungspflege-Leistung. Allerdings bedeutet Kurzzeitpflege die Kürzung des Pflegegelds. Das ist eine verdeckte Refinanzierung auf Kosten der pflegenden Angehörigen. Zudem gibt es viel zu wenig Angebote zur schnell wachsenden Nachfrage. Im U18-Bereich besteht seit Jahren vielerorts extremer Mangel. Wer also keinen Kurzzeitpflegeplatz findet, könnte dann nicht einmal die volle Verhinderungspflege nutzen. Eine Mogelpackung, die einen lauten Aufschrei und eine weitere Unterschriftenaktion zur Folge hatte. Spahn vertagte das Ganze dann einfach – auf unbestimmte Zeit. Die Coronapandemie diente als willkommene Ausrede. Doch die Ampelregierung verspricht nun, mehr Entlastungsstrukturen zu schaffen und einen Ausbau der Kurzzeitpflegeeinrichtungen zu forcieren. Für viele pflegende Familien sind sie eine unverzichtbare Unterstützung, die oft für eigene Gesundheitsfürsorge, etwa lange aufgeschobene OPs, benötigt wird. Doch tatsächlich passiert das Gegenteil: ein Ab- statt eines Ausbaus. Die Ökonomisierung des Gesundheitswesens macht auch vor der Pflege keinen Halt. Zahlreiche Einrichtungen werden geschlossen und Projekte, etwa eine Kurzeitpflege für Minderjährige in Esslingen, abgesagt, da zu teuer. Weitere Angebote schließen wegen neuer Auflagen den Kinderbereich. Pflegende Eltern fühlen sich veräppelt.

Während seit Herbst 2022 Fachkräfte der ambulanten Pflege endlich auch Tariflohn erhalten, wurde das Pflegegeld seit 2017 nicht mehr erhöht. Fakt ist, dass pflegende Familien genauso wie Menschen mit Behinderung stark von Armut bedroht sind – und das nicht erst im Alter, was der Paritätische Teilhabebericht von 2021 belegt.

Was dazu im Koalitionsvertrag steht: Es werde ab 2022 eine Dynamisierung des Pflegegelds erfolgen. Erneut eine hohle Phrase, denn aus der neusten Pflegereform Karl Lauterbachs vom April 2023 ist dieser Passus ebenfalls verschwunden. Die Erhöhung wurde vertagt auf 2024, um magere 5 Prozent soll das Pflegegeld dann angehoben werden. Zahlreiche der überwiegend weiblichen Pflegenden leisten inzwischen auch „Sandwichpflege“, da sie neben ihren Kindern ältere Verwandte versorgen.

Ein kleiner Etappensieg ist, dass das Intensivpflege und Rehabilitationsgesetz (IPReG), das von Spahn ins Leben gerufen wurde, inzwischen nachgebessert wurde. Betroffene und Angehörige hatten sich zusammengetan mit der Konsequenz, dass die überarbeitete Version nun weniger able­istisch ist. Dennoch bleibt das IPReG ein Bürokratiemonster, das allen das Leben unnötig schwer macht. Auch den Ärzt:in­nen und unterbesetzten Stationen wird noch mehr aufgebürdet. Allein zur Ausstellung der neuen Verordnungen der AKI – der ambulanten außerklinischen Intensivpflege – müssen spezialisierte Fach­ärzt:in­nen gefunden werden, die dazu bevollmächtigt sind. Je­de:r Außenstehende müsste sich ausmalen können, was es bedeutet, wenn man neben der Pflege einer derart versorgungsintensiven Person noch wochenlang in Warteschleifen hängt. Wird ambulante Intensivpflege genehmigt, sind die beauftragten Pflegedienste meist unterbesetzt. Sie begleiten das Kind oft nur eine Schicht, auch wenn 24-Stunden-Pflege verordnet ist. Die Familien sind oft auf sich gestellt, lernen nahezu alle medizinischen Handgriffe. Sie überwachen und intervenieren übermüdet, pflegen weit über ihre Reserven hinaus. Eine Tages- und Nachtpflege würde helfen, doch die gibt es nur im Erwachsenenbereich. Von den raren U18-Einrichtungen nehmen die wenigsten Kinder mit Pflegegrad 4 oder 5 auf. Bekommen diese doch einen Platz im Kinderhospiz oder zur Kurzzeit, wird unmittelbar das Pflegegeld gekürzt. Eine unfassbare Frechheit, in keinem anderen Beruf gibt es unbezahlten Urlaub, der sogar noch finanzielle Nachteile mit sich bringt. Die Familien müssen es sich leisten können, Entlastung anzunehmen. Das ist unwürdig und steht in keiner Relation zu dem, was pflegende Eltern tagtäglich leisten – oft lebenslang.

Was pflegende Eltern daher dringend benötigen, ist finanzielle und soziale Absicherung. Das ginge entweder durch eine Entlohnung im Sinne eines Care-Gehalts oder durch eine Anstellung als Assistent des Kindes. Denn genau diese Tätigkeiten, die sonst im Rahmen des persönlichen Budgets der erkrankten Person vergütet werden, leisten Eltern gratis, es gibt höchstens Rentenpunkte. Die Pflegekassen sparen so jeden Monat bares Geld auf Kosten der Eltern.

Quelle     :            TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Die Sorge um mich …

Erstellt von DL-Redaktion am 16. April 2023

Mein Ende und das Ende der Welt: das radikalisierte Individuum

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Quelle     :      Streifzüge ORG. / Wien 

Von Reimer Gronemeyer

Ich muss den Tatsachen ins Gesicht schauen. Ich bin 83 Jahre alt und das Ende ist absehbar. Wahrscheinlich trösten sich alle alten Menschen mit dem Gedanken, dass es ja noch ältere gibt. Ich habe mich viel mit den Themen Altern, Pflege, Demenz befasst.

Und mit einem Mal ist es nicht mehr das Thema der anderen, sondern es könnte über Nacht mein eigenes werden. TikTok, so lese ich gerade, wurde bereits zwei Milliarden Mal heruntergeladen. Eine ganze Sparte widmet sich bei TikTok dem Thema „Pflege“. Da ist die Pflegerin, die ein Video einstellt, in dem sie imitiert, wie sie mit einem Trichter BewohnerInnen das Getränk gewaltsam einflößt. „Manche Pflegende schmieren sich Nutella ins Gesicht und imitieren Stuhlschmieren, weil ‚Demente halt so sind‘. Wieder andere sind mit Inkontinenzmaterial auf dem Kopf zu sehen … “ (https://mypflegephilosophie.com)

Ist das mein Morgen? Verschont mich die Pflegebedürftigkeit? Oder lande ich an einem menschenfreundlichen Pflegeort? Ich habe gerade gelesen, dass 40 Prozent aller Pflegekräfte mit dem Gedanken befasst sind, den Job zu wechseln. Ein Freund, der im Pflegeheim arbeitet, sagt: Im Grunde kann er sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Orte dazu da sind, menschlichen Müll zu sammeln. Wenn ich das höre, denke ich, dass es wichtig ist, dass ich mich vorbereite und in Demut, Geduld und Bescheidenheit übe. Das gelingt mir aber nicht. Vielleicht – flüstere ich mir zu – geht es ja auch gut und ich gerate in ein von Wärme und liebevoller Zuwendung erfülltes Hospiz? Ich habe also eigentlich genug mit der Sorge um mich zu tun. Und da soll ich mir auch noch Gedanken über die drohende Klimakatastrophe machen? Über das Anthropozän! Über jenes Zeitalter, in dem ich gelebt habe, soll ich nachdenken, ein Zeitalter, dem gerade die Maske vom Gesicht gerissen wird: Nun sehe ich eine Zeit, meine Lebenszeit, die einen entfesselt-gierigen homo sapiens hervorgebracht hat. Ich sehe einen homo sapiens, der im Begriff ist, den Planeten so zuzurichten, dass menschliches Leben und Leben überhaupt gänzlich verschwinden könnte. Und wie hängen meine absehbare Auslöschung und die vielleicht drohende Gesamtauslöschung zusammen? Drängt sich da der skandalös-tröstliche Gedanke auf: Mit mir geht’s bald nicht weiter, mit den anderen aber bald auch nicht mehr. Herostrat steckte den Tempel der Artemis in Ephesos, der als eines der sieben Weltwunder galt, absichtlich in Brand, um dadurch seinen Namen unsterblich zu machen. Er verquickte individuelles und kollektives Schicksal. Das Anthropozän eröffnet herostratische Möglichkeiten: Verschmelzen gerade mein Ende und das Ende der Welt? Verschwimmen die Grenzen zwischen zwei Apokalypsen? Und ist das nun Größenwahn oder Realismus, ist das Phantasterei oder Analyse?

Der Philosoph Peter Sloterdijk hat davon gesprochen, dass die moderne Welt über die genealogische Ordnung der Dinge hinausgeschritten ist. Die genealogische Ordnung bestand in der Abfolge von Großeltern, Eltern, Kindern … Individuen verstehen sich heute nicht mehr als Mittlere zwischen Vorfahren und Nachkommen, sondern eben als Individuen: Leben wird dann begriffen als Endverbrauch von Lebenschancen und in diesem Sinne sind Senioren heute – so Sloterdijk – die Prototypen des „letzten Menschen“ (Nietzsche sprach vom „letzten Menschen“). Auch wenn weitere Menschen in späteren Zeiten folgen: Mein Ende ist für das radikale Individuum das Ende der Welt. „Die Industriegesellschaft, der Sozialstaat, die Medienzivilisation – sie sind allesamt Stadien in der Entfaltung einer Verendungsgeschichte, in der jedes menschliche Leben anfängt, mit seiner Bestimmung als Ende in sich selbst Ernst zu machen.“ Sloterdijk bestätigt mir also gerade: Das eigene Ende ist auch das Ende der Welt. Kein Vorher und kein Hinterher. Nichts weist über mich hinaus. Die individualistische Revolution hat uns dahin gebracht, dass „am Ende sein“ heute bedeutet, zum Selbstendverbraucher zu werden. Wenn Sloterdijk recht hat, bin ich als Alter viel eher ein „Epochen-Wahrzeichen“ als die „milchschnittenverzehrende, mit Computern spielende Jugend“. Soll ich mich mit Sloterdijk so sehen? Als ein Epochen-Wahrzeichen? Mir kommt das vor, als würde ich zu einer Mixtur aus Größenwahn und Verzweiflung: Ich bin dann das Ende der Welt – zappelnd in einem Meer von NICHTS. Dieses radikale Individuum ist in der Welt nicht beheimatet, deswegen ist es ihm auch egal, was aus der Welt wird. Ich spüre den Größenwahn in mir und ich spüre zugleich, wie die Verzweiflung anklopft. Aber hat er wirklich recht? Ist das das Geheimnis des Anthropozäns, dass sich in ihm nicht nur der gierige homo sapiens durchsetzt, sondern dass in ihm auch ein vergreistes Individuum triumphiert, das sich als Verkörperung des Endes begreift, dem im Grunde nichts mehr folgen kann als der allgemeine Untergang?

Die Welt als Geliebte? Zum Beispiel Hospizarbeit

Der Sommer 2022 wird wohl als der Wendesommer in Erinnerung bleiben. Glühende Hitze in Südeuropa, Waldbrände in Griechenland und der Türkei und auch weit entfernt – in Sibirien und Kalifornien. Bei uns in Deutschland eine Flutkatastrophe im Südwesten: im Ahrtal viele Tote, zerstörte Häuser, Brücken und Straßen, vernichtete Existenzen. Wer ist nicht von dem Gefühl ergriffen worden, dass die gemütlich-sichere Wohlstandsgesellschaft, in der wir gelebt haben, am Ende ist?

Vor einigen Jahren ließ sich Joanna Macys Prognose noch abtun: Wir werden, so sagte sie, ein weltweites hospizliches Handeln brauchen, weil die Zahl der elendiglich sterbenden Klimaflüchtlinge, die Zahl der Hungernden aus Dürregebieten und überfluteten Regionen alles übertreffen wird, was wir uns vorstellen können. Dieses globale Hospiz schließt aus ihrer Perspektive nicht nur die bedingungslose Betreuung von Menschen ein, sondern ausdrücklich alle anderen Lebewesen. Joanna Macy ist eine 92-jährige Kalifornierin, die sagt, was wir gerade erfahren: dass wir die letzten Jahre eines Wirtschaftswunder-Systems erleben, das enorme zerstörerische Auswirkungen auf den Planeten hat. Der Übergang von einer industriellen Wachstumsgesellschaft zu einer lebensfreundlichen, sorgenden Gesellschaft – wie kann der gelingen? Macy fragt: Ist die Welt ein Schlachtfeld? Ist sie eine Falle? Oder könnte sie eine Geliebte sein? „Ich sehe die Welt als Geliebte und als Teil meiner selbst. (…) Wer die Welt so sieht, macht sie wieder heilig. (…) Wenn künftige Generationen auf den Beginn des 21. Jahrhunderts zurückblicken, werden sie wahrscheinlich von der ‚Zeit des großen Wandels‘ sprechen.“ (https://tiefenoekologie.de/12-politk-des-herzens/9-joanna-macy-die-welt-als-geliebte) Die uralte Joanna Macy widerspricht Sloterdijks These vom apokalyptisch gestimmten „letzten Menschen“. Das radikalisierte Individuum kann die Welt nicht als Geliebte sehen, sondern nur als Ressource zur Befriedigung seiner Bedürfnisse. Mir scheint, dass im Hospiz der Unterschied zwischen dem Menschen, der die Welt liebt, und dem radikalen Individuum, das die Welt als Ressource betrachtet, aufbrechen kann. Und deshalb ist die weitere Entwicklung der Hospizarbeit so wichtig.

Die Hospizbewegung steht heute vor der Frage, ob sie Teil dieses Wandels, von dem Macy spricht, sein will oder eine gut finanzierte Abteilung des Gesundheitsapparates, der schon jetzt vor unseren Augen von seinen Krisen zerfressen wird. Ein neuer hospizlicher Aufbruch ist angesagt. Soll es weiter in die Richtung eines hochprofessionellen, teuren und standardisierten Dienstleistungsprodukts gehen oder kann sich eine Lücke auftun, durch die das Licht einer neuen Hospizbewegung einfällt, die sich auf ihre einfachen, zivilgesellschaftlichen, wärmenden Wurzeln besinnt? Brauchen wir wirklich Sterbeorte „de luxe“? Brauchen wir palastartige Hospize, in der wir als Sterbende mit unserer welken Haut, mit unserer Hinfälligkeit ständig dem ausgeliefert sind, was Günther Anders die „prometheische Scham“ des Menschen genannt hat? Er hat damit den Menschen gemeint, der im Angesicht perfekter Technik sich selbst als unvollkommen und vergänglich wahrzunehmen gezwungen ist.

Wenn wir diesen Wandel nicht baldigst vollziehen, wenn der Abschied von der destruktiven Industriegesellschaft nicht gelingt, kommen finstere Zeiten auf uns zu, das kann heute jeder wissen: für die Alten, für die Schwachen, für die Hilfsbedürftigen, für die Sterbenden. Jetzt, mit und nach Corona, müssen wir über die Alternativen nachdenken und auf diese Alternativen hoffen. Jetzt kann es heißen: die Schwachen zuerst. Sie weisen uns die Richtung. Sie sind das Fieberthermometer, sie sind vielleicht Kassandra und Rettung zugleich. Der Lockdown stellt uns ruhig. Der Lockdown lähmt uns. Der Lockdown ist die Stunde der musischen Schwäche. Nicht die Stunde der Eroberer, sondern die Stunde der Gelassenen, die Stunde des Unterlassens, die Stunde der Stille und der Wehrlosigkeit.

Der amerikanische Klimaforscher James Lawrence Powell hat mögliche Zukunftsszenarien entworfen. Er hält es für denkbar, dass bis zum Jahr 2084 der assistierte Suizid in den USA zum Massenphänomen geworden ist, weil zahllose alte Menschen die unerträglich heißen Sommer in ihren glühenden Städten nur noch als qualvoll erfahren und dieses Leben beenden möchten. Der Sommer 2021 hat in Kanada und in Südosteuropa Temperaturen nahe 50 Grad Celsius hervorgebracht. Vielleicht dauert diese dramatische Entwicklung gar nicht bis 2084 (und diese Jahreszahl ist natürlich eine Reminiszenz an Orwells Zukunftsroman „1984“), sondern setzt uns viel früher unter Druck?

Im August 2021 wird der Bericht des Weltklimarates veröffentlicht. Er sagt, dass der Planet auf der Kippe steht. Immer schneller steigt der Meeresspiegel, das Eis an den Polen schmilzt. Extremwetterereignisse wie Überschwemmungen und Hitze werden häufiger. Wir müssen uns wohl von der Illusion verabschieden, dass die Klimakatastrophe eine technische Herausforderung ist, die wir bewältigen können. Tatsächlich sind Kipp-Punkte überschritten. In den politischen Programmen unserer Parteien aber ist nicht die Rede davon, dass es jetzt und in Zukunft auch um ein „Weniger“ gehen muss. Wer wird es wagen, sich mit der Forderung nach weniger unbeliebt zu machen? Und gilt diese Forderung auch für die Hospizarbeit – oder ist sie davon ausgenommen? Tatsächlich ist es ja so, dass wir in den reichen Ländern die Folgen des Wandels noch einige Jahre abmildern können. Dämme und Deiche bauen. Sirenen wieder einführen. Frühwarnsysteme einrichten. Wir können die Illusion des ewigen Wachstums noch einige Weltsekunden aufrechterhalten. Empört ist jeder, der die Grenzen des Wachstums spüren soll. Auch die Hospizbewegung? Auf Madagaskar und in Malawi hungern die Menschen schon, weil der Regen ausbleibt oder Fluten die Äcker verwüsten. Da werfen die Industrienationen dann Hilfsgüter ab, und es sieht einen Augenblick so aus, als wenn die Katastrophe im Griff ist.

Bedeutet das alles etwas für die Hospizarbeit? Natürlich, aber darüber – so scheint es – wird bisher nicht geredet. Das Wachstum des hospizlichen Handelns hat bei uns in den Achtzigerjahren begonnen und die Hospizbewegung ist anfänglich eine Antwort auf die Sterbekrise der Wohlstandsgesellschaft gewesen. Immer häufiger übernahmen Familien aus vielen (guten und schlechten) Gründen die Sorge für Sterbende nicht mehr. Daraus ist dann eine starke zivilgesellschaftliche Hospizbewegung erwachsen.

Heute – wo die Klimakatastrophe ihre Schatten auf uns zu werfen beginnt – wird unübersehbar, dass die Hospizbewegung ein bürgerliches Milieu repräsentiert, das nolens volens an den Normen des Wachstums, der flächendeckenden Ausbreitung und des unbeschränkten Angebots orientiert ist. Die Hospizbewegung entsteht im Kontext eines Aufbruchs, der seine Verbindung mit der Wohlstandsgesellschaft und ihrer Wachstumsfixierung nicht leugnen kann. Genau das wird jetzt im beklemmenden und im befreienden Sinne zur Herausforderung für die Hospizbewegung: Die Krise der Wachstumsgesellschaft wird zur Krise der Hospizbewegung. Sie muss die Kategorien des „Mehr“, aus denen sie jetzt oft unbedenklich lebt, überdenken. Wir brauchen – wie Joanna Macy sagt – mehr Hospizlichkeit in unserer Gesellschaft. Wer aber das Geld, das heute ein Hospizbett bei uns kostet, und die Tagessätze in den stationären Hospizen mit denen in der Altenpflege vergleicht, muss sich fragen, ob da der richtige Weg eingeschlagen ist. Warum ist die ehrenamtliche Hospizarbeit immer mehr in den Hintergrund gerückt? Warum ist die im Wesentlichen geldfreie Zone, mit der Hospizarbeit begann, völlig in Vergessenheit geraten?

Die Folgen des Klimawandels werden diejenigen zuerst treffen, die arm sind, alt, behindert, dement, pflegebedürftig. Deswegen ist ein Neuanfang wohl erforderlich, aber vielleicht nicht so, wie sich das Weltwirtschaftsforum das vorstellt. Das fordert einen tiefgreifenden ökonomischen Wandel, einen Great Reset, aber das WWF sieht die sozialen Dimensionen nicht wirklich. Seit Langem kann man wahrnehmen, dass die Pflege, dass die Sorge um Menschen mit Demenz, dass die Hospizarbeit so tut, als werde es immer so weitergehen wie bisher. Der bevorstehende radikale Bruch, der die Schwachen gefährdet, wird übersehen. Wir müssen begreifen, dass die Wachstumsidee falsch war, dass sie nicht sinnvoll ist. Was wird das für die Schwachen in der Gesellschaft bedeuten? Werden sie die ersten Opfer des Wandels, der Krise sein oder begreifen wir endlich, dass die Schwachen das Fieberthermometer einer Gesellschaft sind, das über die gesellschaftliche Humanität und ihre Solidaritätskompetenz Auskunft gibt?

Die Gefahr der Hospizbewegung ist heute, dass sie Teil eines wohlfahrtsstaatlichen Sicherheitspaketes wird, das sich als Angebot zur risikofreien Lebensabwicklung versteht. Sie ist in der Gefahr, zum Dienstleister für das oben beschriebene radikale Individuum zu werden, das für sich sorgt, aber nicht für die Welt, für die anderen. Das Welt verbraucht, aber sie nicht liebt. Das moderne Hospiz bietet Vorbereitungsplanung, professionelle medizinische Dienstleistung und einen Abschluss, der sich logischerweise schließlich und endlich gezwungen sehen wird, den assistierten Suizid ins Angebot aufzunehmen. Hospiz – das ist im Begriff, eine ehrenamtsfreie Gewinnzone zu werden. Vom zivilgesellschaftlichen Aufbruch, den die Hospizbewegung einmal darstellte, hat der Weg in die finale Sterbeabfederung geführt. Eine Dienstleistung für reiche Gesellschaften – ein „Stück des Himmels für die Wenigen“, wie es in der britischen Hospizbewegung einmal hieß. Die große Gefahr: professionelle Kälte. Was gebraucht wird, das sind eine empathisch-wärmende Begleitung und Sorge im Leben und an dessen Ende, die sich aus den Kräften solidarischer Menschen nähren, die – man möchte sagen: von Natur aus – trösten und begleiten können.

Eine Hospizbewegung wird gebraucht, die sich von den Zielen verabschiedet, die bisher hießen: mehr, teurer, zentralisierter, professioneller. Die Hospizbewegung wird gebraucht, mehr denn je. Sie steht vor der Wahl, ob sie zum Bestandteil eines krisenhaften halbstaatlichen Gesundheitsapparates werden will oder sich wieder auf ihre zivilgesellschaftlichen Wurzeln besinnt. Der „Abbau kollektiver, hoffnungsfördernder Fürsorgepraktiken“ (Nishant Shah) schreitet voran. Die Hospizbewegung könnte Avantgarde auf dem Weg zu neuen Formen des Zusammenlebens sein. Gerade sie.

Literatur:

Monja K. Schünemann https://mypflegephilosophie.com

Peter Sloterdijk: Alte Leute und letzte Menschen. Notiz zur Kritik der Generationenvernunft, in: Hans Peter Tews u. a. (Hg.): Altern und Politik, Melsungen 1996

https://tiefenoekologie.de/12-politk-des-herzens/9-joanna-macy-die-welt-als-geliebte

Günther Anders: Die Antiquiertheit des Menschen, Erster Band, Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, 2. Auflage München 2018, (C.H. Beck), S. 21 ff.

Reimer Gronemeyer: Die Schwachen zuerst. Lektionen aus dem Lockdown, München 2021 (Claudius).

James Lawrence Powell: 2084. Eine Zeitreise durch den Klimawandel, Köln 2020, S. 209 ff.

Andreas Heller. Sabine Pleschberger, Michaela Fink, Reimer Gronemeyer: Die Geschichte der Hospizbewegung in Deutschland, Ludwigsburg, 2. Aufl. 2012 (der hospiz verlag).

Klaus Schwab/Thierry Malleret: COVID-19: Der große Umbruch, Cologny, Genf, Schweiz 2020.

Reimer Gronemeyer/Andreas Heller: Suizidassistenz? Warum wir eine solidarische Gesellschaft brauchen, Esslingen 2021 (der hospiz verlag).

Copyleft

„Jede Wiedergabe, Vervielfältigung und Verbreitung unserer Publikationen ist im Sinne der Bereicherung des allgemeinen geistigen Lebens erwünscht. Es gibt kein geistiges Eigentum. Es sei denn, als Diebstahl. Der Geist weht, wo er will. Jede Geschäftemacherei ist dabei auszuschließen. Wir danken den Toten und den Lebendigen für ihre Zuarbeit und arbeiten unsererseits nach Kräften zu.“ (aramis)

siehe auch wikipedia s.v. „copyleft“

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Fake-News bei Tagesschau

Erstellt von DL-Redaktion am 12. April 2023

Zur Rechtslage bei COVID-19 Impfschäden –
Wegfall § 84 AMG für COVID-19

Von Johannes Kreis

Wir möchten auf eine aktuelle Falschmeldung der Tagesschau zu der Rechtslage bei Impfschäden durch die neuartigen mRNA Impfstoffe gegen SARS-CoV2 hinweisen.

„Für Covid-19-Impfstoffe gelten im Prinzip dieselben Haftungsregeln wie für andere Arzneimittel, etwa nach dem Arzneimittelrecht oder dem Produkthaftungsgesetz.“

Das ist nach § 15 Produkthaftungsgesetz und §3 Abs. 4 MedBVSV („Verordnung zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs bei der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie“) falsch.

Für SARS-CoV2 sind wesentliche prozessuale Erleichterungen des Arzneimittelgesetzes (AMG) im Schadensersatzprozess für die durch eine Impfung Geschädigten per Verordnung (MedBVSV) weggefallen.

Erstens gilt die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung des Produkthaftungsgesetzes (ProdHaftG) nicht für Arzneimittel, zu denen auch Impfstoffe gehören. Das Arzneimittelgesetz (AMG) verdrängt das Produkthaftungsgesetz.

„(1) Wird infolge der Anwendung eines zum Gebrauch bei Menschen bestimmten Arzneimittels, das im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes an den Verbraucher abgegeben wurde und der Pflicht zur Zulassung unterliegt oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung befreit worden ist, jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt, so sind die Vorschriften des Produkthaftungsgesetzes nicht anzuwenden.“

Zweitens wurde die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung nach § 84 Abs. 1 AMG per 25.05.2020 durch § 3 Abs. 4 MedBVSV für SARS-CoV2 aufgehoben. Diese Rechtsverordnung wurde speziell für SARS-CoV2 erlassen.

„(4) Abweichend von § 84 AMG unterliegen pharmazeutische Unternehmer, Hersteller und Angehörige von Gesundheitsberufen hinsichtlich der Auswirkungen der Anwendung der in § 1 Absatz 2 genannten Produkte nicht der Haftung, wenn diese Produkte durch das Bundesministerium als Reaktion auf die vermutete oder bestätigte Verbreitung des SARS-CoV-2-Erregers in den Verkehr gebracht werden und nach den Gegebenheiten des Einzelfalls die auf Absatz 1 gestützten Abweichungen vom Arzneimittelgesetz geeignet sind, den Schaden zu verursachen. Pharmazeutische Unternehmer, Hersteller und Angehörige von Gesundheitsberufen haben die Folgen der auf Absatz 1 gestützten Abweichungen vom Arzneimittelgesetz nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz zu vertreten. Im Übrigen bleiben die Haftung für schuldhaftes Handeln sowie die Haftung für fehlerhafte Produkte nach den Vorschriften des Produkthaftungsgesetzes unberührt.“

Gleichzeitig ist damit die Beweislastumkehr des § 84 Abs. 2 S. 1 AMG weggefallen,

„(2) Ist das angewendete Arzneimittel nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet, den Schaden zu verursachen, so wird vermutet, dass der Schaden durch dieses Arzneimittel verursacht ist.“

Diese Kausalitätsvermutung erleichtert die Beweisführung bei einer Klage wegen eines Arzneimittelschadens erheblich, da die Darlegung der Kausalität zwischen Arzneimittel und Schaden nicht zur vollen Überzeugung des Gerichtes erfolgen muß. Vgl. dazu die Gesetzesbegründung,

„Damit die Vermutung eingreift, wird mehr als die nur abstrakt-generelle Eignung des Arzneimittels verlangt, Schäden der in Rede stehenden Art hervorzurufen. Die Eignung muss auf Grund der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls festgestellt werden.“

„Kann der Geschädigte darlegen und im Streitfall beweisen, dass das Medikament nach den Umständen des Einzelfalls dazu geeignet war, den Schaden zu verursachen, so wird darauf geschlossen, dass die bei ihm konkret vorliegende Beeinträchtigung durch das Arzneimittel bewirkt wurde. Es genügt also die Darlegung und – im Bestreitensfalle – der Nachweis der konkreten Möglichkeit der Schadensverursachung. Der Geschädigte wird dann davon befreit, den Kausalverlauf zur vollen Überzeugung des Gerichts darlegen und beweisen zu müssen.“

Diese Privilegierung wurde für SARS-CoV2 aufgehoben. Frau RAin Jessica Hamed weist seit langem darauf hin, unlängst wieder auf Twitter,

„Der Staat hat durch seine Gesetzesänderung bewusst Schadensersatzansprüche, für die er am Ende aufgrund der Verträge mit den Herstellern haften müsste, letztlich fast vollständig vereitelt.“

Auf Nachfrage führt sie in einem zweiten Tweet aus,

„Deshalb schließt die MedBVSV eine Haftung der pharmazeutischen Unternehmer nach § 84 AMG für durch Arzneimittel verursachte Schäden aus, „wenn diese Produkte durch das Bundesministerium als Reaktion auf die vermutete oder bestätigte Verbreitung des SARS-CoV-2-Erregers in den Verkehr gebracht werden und nach den Gegebenheiten des Einzelfalls die auf Absatz 1 gestützten Abweichungen vom Arzneimittelgesetz geeignet sind, den Schaden zu verursachen“ (§ 3 IV 1 MedBVSV).“ NJW, 2022, 649, 650.““

Der Artikel NJW, 2022, 649, 650 (Neue Juristisch Wochenschrift) ist von Prof. Dr. iur. Anatol Dutta von der juristischen Fakultät der LMU München und er trägt den Titel „Haftung für etwaige Impfschäden“.

  • Anatol Dutta, „Haftung für etwaige Impfschäden“, NJW, 2022, 649, 650

Rechtsgrundlage der MedBVSV ist § 5 Abs. 2 IfSG und hier speziell § 5 Abs. 2 Nr. 4 lit. a  IfSG für den Wegfall der Haftung nach §84 AMG,

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang § 5 Abs. 5 IfSG, der eine Einschränkung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2  S.1 GG, durch § 5 Abs. 2 IfSG enthält,

„(5) Das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes) wird im Rahmen des Absatzes 2 insoweit eingeschränkt.“

Man baut damit einer Verfassungsklage gegen § 5 Abs. 2 IfSG vor, denn nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG muß bei der Einschränkung eines Grundrechts dieses benannt werden. Man hat also bei der Ermächtigung einer Verordnung zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite als erstes das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit eingeschränkt. Damit entzieht sich der Staat seiner Schutzverpflichtung in Bezug auf die Impfstoffe, während gleichzeitig einige Vorzeige-Staatsrechtler in Deutschland über die Notwendigkeit einer Impfpflicht gerade aufgrund dieser Schutzpflicht schwadroniert haben.

Gemäß § 1 Abs. 1 MedBVSV ist der Zweck dieser Verordnung die „Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs während der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie“.

„(1) Diese Verordnung dient der Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs während der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie.“

Es bleibt völlig offen, wie die prozessuale Schlechterstellung von Impfopfern zur „Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs“ beiträgt.

Es bleibt den Geschädigten die Geltendmachung eines Schadens aus vertraglichem oder gesetzlichem Schuldverhältnis (Deliktsrecht). Hier ist ein Nachweis eines Verschuldens erforderlich (Fahrlässigkeit oder Vorsatz). Mangels eines Vertrags zwischen dem Impfgeschädigten und dem Impfstoffhersteller kommt wohl nur Deliktsrecht in Frage. Die Beweisanforderung an den Geschädigten dort sind aber wesentlich höher als nach dem Arzneimittelgesetz. Ob und in wie weit eine Produzentenhaftung nach BGB in Frage kommt, kann nur der Rechtskundige beantworten. Dies würde den Nachweis eines Produktfehlers erfordern. Der Wegfall der Chargenprüfung nach § 32 Abs. 1 AMG durch § 3 Abs. 1 MedBVSV wird den Beweis dazu weiter erschweren, da keine Proben aus den Chargen der Impfstoffe eingelagert werden mußten, siehe unten.

Allen möglichen Anspruchsgrundlage ist gemein, dass sich der Hersteller auf den „Stand der Wissenschaft“ berufen kann, um sich aus der Haftung zu bringen. Niemand hätte es besser machen können, da es niemand besser gewußt hat.

In diesem Zusammenhang sind die teleskopierten, „vorher undenkbaren“ Zulassungsverfahren zu sehen, die zu (bedingten) Blitz-Zulassungen der neuartigen mRNA Impfstoffe geführt haben. D.h. man hat die Phasen der Impfstoffprüfung parallel ausgeführt und mit der nächsten Phase begonnen, bevor die vorangehende abgeschlossen war.

Warum können COVID-19-Impfstoffe so schnell zugelassen werden und zugleich sicher sein?

Die Entwicklung von Impfstoffen gegen neue Erreger ist ein komplexer und langwieriger Prozess, der meist mehrere Jahre beansprucht.“

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Können Politiker-innen viel Geld damit verdienen, geht alles noch viiiiiel schneller

Diese Erkenntnis hat alle an der Impfstoffentwicklung beteiligten Expertinnen und Experten bewogen, die Zusammenarbeit enger und die Prozesse effizienter zu gestalten, ohne Abstriche bei der Sorgfalt zu machen. Dies hat auch zu deutlichen Optimierungen der Verfahrensabläufe und einem Zeitgewinn bei der Entwicklung geführt.

Können einzelne Phasen der Impfstoffentwicklung ausgelassen werden?

Nein.

Die Entwicklung und Herstellung von sicheren und wirksamen Impfstoffen ist hochkomplex. In der EU und damit auch in Deutschland standen uns ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie – vorher undenkbar – bereits drei wirksame und sichere Impfstoffe gegen COVID-19 zur Verfügung. Sie alle haben den regulären Weg der Impfstoffzulassung in kurzer Zeit durchlaufen, ohne wichtige Entwicklungsphasen auszulassen – ganz zentral hierbei ist die klinische Prüfung auf Sicherheit und Wirksamkeit. Diese umfassende Prüfung ist wichtig – schließlich werden Impfstoffe gesunden Menschen verabreicht.“

Wenn es so einfach und ohne Abstriche bei der Sicherheit möglich ist, die Prüfungsverfahren zu beschleunigen, warum hatte man das nicht schon längst gemacht? Und warum bedarf es dann dieser umfangreichen Haftungsbeschränkungen und Haftungsausschlüsse für die Hersteller? Warum war eine solche Beschleunigung „vorher undenkbar“?

Die schweren Nebenwirkungen sind so erst bei der Markteinführung bemerkt worden. Davon zeugen 10 Rote-Hand-Briefe zu den Impfstoffen aus dem Zeitraum März bis Oktober 2021 mit denen die Hersteller die Ärzte nach(!) der (seinerzeit bedingten) Zulassung vor schweren Nebenwirkungen warnten,

Die stark verkürzten Zulassungsverfahren waren nicht geeignet den „Stand der Wissenschaft“ mit der notwendigen Sorgfalt zu ermitteln. Der „Stand der Wissenschaft“ ist nicht etwas, was man zufällig zu einem bestimmten Zeitpunkt weiß, sondern was man nach wissenschaftlichen Standards sorgfältig und unter Prüfung aller(!) Alternativen ermittelt hat.

In Australien wurde AstraZeneca inzwischen vom Markt genommen,

From Monday 20 March 2023 Vaxzevria (AstraZeneca) is no longer available. The information on this page is for those that have previously received a primary course and/or booster dose of AstraZeneca.”

Für die (minimale) Entschädigung nach § 60 IfSG genügt nach § 61 IfSG „die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs“. Diese Beträge liegen weit unten denen aus Schadensersatz, bei dem der Geschädigte, zumindest wirtschaftlich, so zu stellen ist, als hätte es das Schadensereignis nicht gegeben (§ 249 BGB).

„Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.“

Offensichtlich konnte man die Impfgeschädigten nicht ganz ohne Versorgung lassen. Aber, umfangreichen Schadensersatz, der über die geringen Leistungen von einigen Hundert Euro pro Monat nach IfSG hinausgeht, wollte man verhindern. Bei einer lebenslangen Behinderung sind die Bezüge nach IfSG lächerlich. Es besteht ein eklatantes Mißverhältnis zwischen den Milliardenprofiten der Pharmaindustrie durch SARS-CoV2 und den Ausgleichszahlungen an Impf-Geschädigte im Schadensfall.

In diesem Zusammenhang sei auf die weiteren, umfangreichen Ausnahmen vom Arzneimittelgesetz für die Lieferung von Arzneimitteln (Impfstoffen) für SARS-CoV2 nach § 3 Abs. 1 MedBVSV hingewiesen. Angeblich wurden diese Ausnahmen erlassen, um die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln (und Impfstoffen) gegen SARS-CoV2 zu sichern.

„(1) § 8 Absatz 3, die §§ 10, 11, 11a und 21 Absatz 1, § 21a Absatz 1 und 9, § 32 Absatz 1, die §§ 43, 47 und 72 Absatz 1 und 4, § 72a Absatz 1, § 72b Absatz 1 und 2, § 72c Absatz 1, die §§ 73a, 78 und 94 des Arzneimittelgesetzes (AMG) sowie § 4a Absatz 1 und § 6 Absatz 1 der Arzneimittelhandelsverordnung (AM-HandelsV) gelten nicht für das Bundesministerium, die von ihm beauftragten Stellen und für Personen, von denen das Bundesministerium oder eine von ihm beauftragte Stelle die Arzneimittel beschafft, wenn das Bundesministerium oder eine von ihm beauftragte Stelle nach § 2 Absatz 1 Arzneimittel oder Wirk-, Ausgangs- und Hilfsstoffe beschafft und in den Verkehr bringt.“

Im Einzelnen betrifft das die nachfolgenden Ausnahmen vom Arzneimittelgesetz (AMG) für COVID-19. Dabei umfasst dies unter anderem den Vertrieb nach Ablauf des Verfallsdatums, den Wegfall von Kennzeichnungspflichten oder der Erfordernis eine Packungsbeilage, den Wegfall der Fachinformation, Abstriche bei den Zulassungserfordernissen, den Wegfall der staatlichen Chargenprüfung, den Wegfall der vorgegebenen Preispannen, den Wegfall des Erfordernisses einer Deckungsvorsorge für Schadensfälle, usw.

Dabei schränken der Wegfall der Kennzeichnungspflicht, die fehlende Fachinformation und die fehlende Gebrauchsinformation (Packungsbeilage) den Anspruch auf Schadensersatz nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 AMG weiter ein, denn diese Informationen waren nach § 3 Abs. 1 MedBVSV für SARS-CoV2 nicht erforderlich.

Weggefallen sind nach § 3 Abs. 1 MedBVSV für SARS-CoV2,

„(3) Es ist verboten, Arzneimittel, deren Verfalldatum abgelaufen ist, in den Verkehr zu bringen.“

„(1) Fertigarzneimittel dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen sind oder wenn für sie die Europäische Gemeinschaft oder die Europäische Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach Artikel 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 erteilt hat.“

„(1) Der pharmazeutische Unternehmer hat dafür Vorsorge zu treffen, dass er seinen gesetzlichen Verpflichtungen zum Ersatz von Schäden nachkommen kann, die durch die Anwendung eines von ihm in den Verkehr gebrachten, zum Gebrauch bei Menschen bestimmten Arzneimittels entstehen, das der Pflicht zur Zulassung unterliegt oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung befreit worden ist (Deckungsvorsorge).“

Weiter Ausnahmen betreffen die Arzneimittelhandelsverordnung (AM-HandelsV). Weggefallen ist,

„(1) Arzneimittel dürfen nur von zur Abgabe von Arzneimitteln berechtigten Betrieben erworben werden.“

Auch hier ist vollkommen offen, wie der Wegfall wesentlicher Sicherungsmaßnahmen dazu beitragen kann, die Bevölkerung mit sicheren(!) Arzneimitteln oder Impfstoffen zu versorgen. Die MedBVSV ist gar nicht geeignet, ihren in § 1 MedBVSV genannten Zweck zu erfüllen. Aber darauf kam es wohl nicht an.

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Grafikquellen          :

Oben     — Aufkleber eines Impfkritikers an einer Müllbox in Heikendorf.

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Lockdown oder Isohaft

Erstellt von DL-Redaktion am 10. April 2023

Lockdown aus der Sicht von Isohaft & Kampfkunst

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von Karl Grosser

Offener Brief an alle Mitglieder von Shin Son Hap Ki Do und andere (Kampfkunst-)Interes­sierte. Der Genosse Karl Grosser hat – schon vor zwei Jahren – den folgenden tollen Text zu der grossen innerlinken Katastrophe verfasst, bei der viele „Linke“die Corona-Massnahmen der Herrschenden kritiklos mitgetragen haben.

„Am Anfang war das Silizium, am Ende hat uns das Silikon Valley ersetzt.„ (Eugen Drewermann)„Ihr seid vollkommen, ihr seid wie Maschinen, der Weg zu zum vollkommenen Glück ist frei.„ (Aus „Wir“ von Jewgeni Samjatin, Roman, 1920)„Der Mensch ist die Medizin des Menschen.„ (Paracelsus, 16. Jahrhundert)

Kündigung an die Vereinsleitung

Liebe Freundinnen; liebe Freunde des bewegten Lebens, jetzt ist ein Jahr vergangen. Unsere Wege werden sich trennen.

Es ist schwer die richtigen Worte zu finden. Die Trennung hat mich durchgeschüttelt, wie ich es kaum nach Trennung von einer geliebten Frau erinnere. Ihr wart eine wichtige Verbindung zum Leben für mich. Da nun die richtigen Worte zu finden, das ist an sich schon kompliziert genug. Seit Corona die Welt regiert, können wir kaum noch unverstellt unsere (verschiedenen) Ansichten diskutieren. Jetzt ist Angst im Spiel. Bei den einen vor Ansteckung und Krankheit; die andern haben schlaflose Nächte, weil die „Corona-bedingten“ Dammbrüche in allen Bereichen des Seins kein Stein auf dem andern lassen und dem Mensch selber an die Wäsche gegangen wird. Es wird etwas länger. Ohne meine persönliche Geschichte zu kennen, ist die Bedeutung von Shin Son Hap Ki Do für mich nicht zu verstehen. Ich komme später drauf zurück.

Ende der 70er habe ich mich politisiert und radikalisiert, Jahre im Widerstand auch im Untergrund: Just nicht mehr daheim auffindbar, stand ich auf dem RAF-Fahndungsplakat. „Top 10“, gesucht mit internationalem Haftbefehl, Kopfgeld und „finalem Rettungsschuss“). Zwei mal verhaftet, angeklagt und verurteilt wegen § 129 a („Mitgliedschaft/Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“) und insgesamt 10 Jahre „und ein paar Zerquetschte“ abgesessen. Immer Isolationshaft, die meiste Zeit in Stuttgart Stammheim 7. Stock im Hochsicherheitstrakt… Dahinter scheinen sich „wilde Taten“ zu verbergen. Aber zu viel der Ehre. Im zweiten Prozess wurde ich zu 9,5 Jahren verurteilt. „Die Schwere der Schuld“ (= die vielen Jahre) war darin begründet, weil ich ein „Gesinnungs- Wiederholungstäter“ bin. Ein astreiner Nazi-Paragraph. In der Weimarer Republik gab es den so noch nicht. That’s all.

Es ist natürlich nicht möglich solch einen Lebensabschnitt in ein paar Zeilen abzuhandeln. Da haben existenzielle Auseinandersetzungen, Entscheidungen, Brüche in der Lebensweise stattgefunden und Turbulenzen aller Art haben alles durcheinander geworfen. Und das in rasanter Abfolge. Ein Stichwort möchte ich dazu aber doch sagen: Es war eine ganz andere Zeit, ein ganz anderes Lebensgefühl und ich war ein Kind meiner Zeit. Die Zeit kann man sich heute nicht mehr vorstellen. „Würde, hätte… Fahrradkette“ – Mir fällt einfach nix besseres ein wie ich damals – aufrecht und eins mit mir selber – hätte durch diese Zeit kommen können? Unser revolutionäres Projekt ist gescheitert. Aber aus meiner Sicht nicht deshalb, weil wir so „schwach&wenige“ waren und der Gegner so „stark&überlegen“. Nee, der Mensch ist zur Freiheit geboren.

Je länger ich drüber nach sinniere, komme ich zu dem Schluss, dass wir uns in der Härte des Kampfes so in den Gegner verbissen haben, dass wir ihm in Teilen ähnlich wurden. Vielleicht haben wir das auch schon von Anfang an mit rein geschleppt. Wer weiss das schon. Wenn aber der Weg nicht mehr radikal auf Befreiung insistiert, leidet die Emanzipation und eine„Soziale Idee“ wird natürlich auch immer weniger sichtbar. Rein persönlich ist diese Zeit für mich abgeschlossen. Aus dem Rückblick ein bisschen wie in einem Boxkampf.

Wir haben uns nix geschenkt; Federn gelassen, aber die volle Länge mitgegangen. Jetzt ist fight over. Nicht unbedingt „Shake Hands“. Es war erklärtermassen ein „Schmutziger Krieg“. Aber ich habe keinen persönlichen Groll mehr im Herzen. – Das heisst aber nicht vergessen … Ich weiss jetzt SEHR genau, wer ihr [Herrschenden] seid, welches eure Lehrer sind und welche Techniken ihr anwendet … ! Die letzten Jahre ist diese Zeit immer mehr in den Hintergrund gerückt. Diese Erfahrungen hatten kaum noch Bedeutung, um mich in meinem Leben zurechtzufinden. Ich war „draussen angekommen“. Da war Trainieren, trainieren… tausende von Kilometer mit dem Faltkajak auf der Ostsee oder sonst wo, die Elemente, Liebesbeziehungen, Freundschaften, Messebau (bezahltes Konditionstraining, mit Abenteuerflair)… „Politik“ hat mich im Grunde nie wirklich interessiert und ich wollte auch noch in andere Bereiche des Lebens eintauchen. Aber es kam im März 2020 der erste Lockdown – und Stammheim, der permanente Ausnahmezustand und die innere Anspannung war wieder präsent bis in die Träume. Wir sind uns teilweise schon nahe gekommen.

Deshalb möchte ich dieses Corona-Jahr so erzählen wie es über mich hereingebrochen ist. „Lockdown“ kommt aus der Militär- und Gefängnissprache und bedeutet: Sperrung, Ausgangssperre und EINSCHLUSS. Im Knast sieht das so aus: Die Zellen bleiben zu, Futter durch die Klappe: 12-7-24. Ein ähnliches Programm habe ich insgesamt drei Jahre erlebt: Nie mehr aus dem Loch raus gekommen, keinen Zivilisten gehört, gesehen oder gesprochen. Ausser 1,5 Stunden Besuch im Monat – hinter Panzerglas und mit Overkill-Bewachung. Den Tag über habe ich das mit „Arbeit und Struktur“1 ganz gut hinbekommen. Aber nicht die Nacht und die Träume.

Da gab es eine Phase, wo ich mir Menschen , meine Vertrauten, im Traum nicht mehr vorstellen konnte. Nur noch getippte Zeilen. Und ich kann nur mit der Schreibmaschine antworten. Das war so grausam, dass ich an der Lautstärke meines eigenen Zähneknirschen aufgewacht bin. Viele Nächte bin ich am Tisch sitzen geblieben. Dagegen waren die Träume von Verfolgung, Erschiessung oder Hinrichtung harmlos bis geradezu erbaulich: Entweder ich habe mich zwei mal geschüttelt, das T-Shirt gewechselt und weitergeschlafen oder ich bin gestorben und der Traum ging – entspannt – und aufregend weiter. Die Esos wären begeistert von mir. Und ich hatte in der Leere des Betons ein sinnliches Erlebnis, wo ich tagelang von zehren konnte. Um dasselbe nochmal in der „Tagwelt“ im Knast zu verdeutlichen: Es gab Situationen, da wurde der Druck der Isolation so gross, dass ich mich dieser andauernden Erniedrigung widersetzt habe.

Ein Beispiel. Vor und nach jedem „Kontakt“ mit andern Gefangenen war es für „die Sicherheit und Ordnung der Anstalt“ unerlässlich, sich nackt auszuziehen und dann wurde uns ins Arschloch geschaut. – ( Und heute soll ich mir aus dem gleichen Grund die Nase penetrieren lassen?) Schluss mit Lustig! … Dann kam halt das Rollkommando zu fünft mit den Knebelhandschellen – und ich habe mich wiedergefunden auf der Zelle auf merkwürdige Weise „zusammen geprügelt“. Im positiven Sinne: Ich habe mich wieder gespürt! Ich wusste wieder wo Aussen und Innen ist. Was hier Sache ist. Und was die Dämonen sind, die die Isolation „gebiert“

Alles Paletti! Wir alle haben Angst vor Gewalt und wollen sie tunlichst vermeiden. Ich auch. Aber es scheint etwas Nachhaltigeres, sehr viel Tiefergehendes zu geben, wie physische Gewalt! Und letztendlich nimmt es sich nicht viel. – Mein erster Zahnarzt nach dem Knast hat mich gefragt, ob ich „Kummer habe“. Die folgende Reparatur war ähnlich wie nach Stiefeltritten von irgendwelchen Schergen. Ich brauch mich jetzt ja nicht mehr vor euch genieren. Ich war und bin immer noch einer, der ganz gut mit sich selber klarkommt. Ganz gerne alleine ist. Aber in der Isolation, in der völligen Abwesenheit von Menschen bis in die Träume, da habe ich verstanden, dass Mensch nur existieren kann zusammen mit andern Menschen.

Das „Wir“ ist das Zentrum dessen, was uns – auch als Individuen – im innersten Kern zusammenhält. „Wer einmal aus dem Blechnapf frass„, identifiziert das „Corona-Massnahmenpaket“ sofort als „Weisse Folter“! – Das ist ein bisschen wie bei einem Strassenköter: Bevor er Worte hört und schaut – Futter oder Knüppel? – riecht er die Hand…. Das ist eine erfahrungsbasierte und realistische Überlebensstrategie. Wisst ihr eigentlich, dass diese moderne Form der Kontrolle in Korea ihren Ausgangspunkt hat? Die Amis haben sich im Korea-Krieg die Zähne an den Kriegsgefangenen ausgebissen. Trotz brutalstem zu Tode foltern haben die nicht geredet. Was hat ein einfacher Mannschaftsdienstgrad schon für Militär Geheimnisse zu verraten? – Die waren so sehr mit ihren Leuten, mit dem Land und der Kultur verbunden, dass sie wussten: „Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in dieser Welt.„

(Jean Amery, Jude und KZ-Überlebender.) Die Folterer haben dann aber rausbekommen, wenn sie die Gefangenen lange genug isolieren, (keine überfüllten Löcher mehr), permanent Angst machen, die Existenzsicherheit nehmen, Lockerungen geben und wieder nehmen, sinnlose Rituale erzwingen: Raus katapultieren aus allen inneren und äusseren Sicherheiten … – dann hat es meistens genügt sie zu holen, tief in die Augen schauen und das Gespräch damit zu beginnen: „Wir wollen doch eigentlich dasselbe.“

Und die Gefangenen haben mehr erzählt als sie gefragt wurden. Die Folterer hatten eine weisse Weste und sie konnten Leute präsentieren und entlassen, die scheinbar aus freien Stücken vor allem eines wollten: „Alles richtig machen“. „Korea“ hatten sie vergessen. Das überzeugt mehr, wie wenn ein Invalide entlassen wird. Das ist seither „lebendige Wissenschaft“, die alle gesellschaftlichen Bereiche erfasst. Dieser Satz von Jean Amery hat mich jahrelang im Knast begleitet. Seit dem Lockdown beschäftigt mich dieser Kompass wieder – aber es geht gar nicht mehr nur um meine kleine Einzelexistenz. Die Frage nach dem Bezug, die Frage nach der „Welt“, ist schwieriger geworden… Aber das Träumen, das Schürfen danach, das lohnt sich. Wir wussten Ende der ’70er Jahre, worauf wir uns einlassen. Als militante Linke waren wir mit dem internationalen „Anti-Terrorkrieg“ von vorneherein konfrontiert. Das war eine Selektive Kriegführung.

„Hart gegen den Kern, weich mit dem Umfeld“. Wir mussten das quasi als die „Arbeitsbedingung“ in den Griff kriegen. Aber der „Kampf gegen die Pandemie“ ist qualitativ eine ganz andere Hausnummer. Das „Hygienegesetz“ besagt: C19 ist eine tödlich Bedrohung und alle sind „verdächtig&gefährlich“, deshalb brauchen wir eine „starke Hand“ , die zum „Licht am Ende des Tunnels“ führt – „Der Ausnahmezustand wird zum Normalzustand“ (i.S.v. Carlo Schmitt). Das ist Faschismus – aus den Zentren der Macht werden die Menschen über das universelle Herrschafts-Instrument Angst auf Linie gebracht und der Durchmarsch organisiert. Ich habe dutzende Bücher gelesen zu dem Thema, hunderte von Briefen gewechselt und Textauszüge angefertigt, mich mit der eigenen und unserer Situation auseinander gesetzt …. Aber das – das konnte ich mir nie vorstellen im Hier&Heute … Ich habe das erste mal in meinem Leben Angst vor dem Staat bekommen. Ich war paralysiert vom Blick auf die Katastrophe. Wie ein Käfer auf dem Rücken.

Das ging so lange bis eine Uralt Freundin mir den Kopf gewaschen hat: Jetzt tritt das ein, was ihr schon damals analysiert habt. Du kennst diesen Staat so gut und intim wie kaum jemand. Und du hast auch in aussichtsloser Position dagegen gekämpft! Denk drüber nach und hör auf auf zu zetern! — Danke! „Know yourself“ war für Bruce Lee der Weg. „Komm in deine eigene Kraft“ – Das verbindet uns. Damit bin ich endlich bei uns angelangt und da, wo ich euch nicht verstehe. Beim ersten Lockdown waren viele von den Fitness Vereinen, Box/Gyms usw. auf der Strasse: Wir wollen selber für unsere Gesundheit/Immunsystem sorgen, tun das schon die ganze Zeit erfolgreich… Öffnung der Studios, Ende des Lockdown!

Das habe ich selbstbewusst und gradlinig gefunden. Und wir, wo sind wir? Shin Son Hap Ki Do hat da einiges mehr an Anspruch. Allein die Theorie wiegt 3,65 kg. — Aber es kam Corona und alles ist vergessen? Ist das eine Schönwetter-Philosophie? Da kommt mit Corona mal ein Gegner an, der nicht im Prüfungsprogramm steht, und schon purzelt alles um und durcheinander? Es wird vor Schrecken in eine totale Aussenorientierung gegangen und alles, was uns mal ausgemacht hat, wird nach hinten geschoben, untergeordnet, aufgegeben? Bei allem gebotenen Respekt: Dafür trainiere ich nicht seit 27 Jahren!

Meine Sicht auf die Dinge ist folgende: Ohne Zweifel, C19 ist ein ernst zu nehmender Gegner. Was bedeutet da DO der „Weg des friedvollen Kriegers“? • Respekt.

Das heisst nicht den Kampf vermeiden , weil harte Konfrontation immer Leid zur Folge hat. Aus Angst vor den Konsequenzen. Nein, Respekt heisst für mich „Mit dem Herzen sehen“. Diese Haltung angstfrei durchzuziehen, ist das schwierigste, verhindert aber bestimmt das meiste Ungemach. Diese Haltung übertritt auch nie die Grenze von Selbstverteidigung. Sie bekämpft böse&schlechte Absichten. Aber sie kennt nicht den „Anderen“, den „Feind“, der als Ganzes platt gemacht werden muss. • Jahse.

Entspannung, Sinken und leer werden – den Schwerpunkt tiefer legen, den Kopf leer machen, er pumpt eh nur den Bizeps des Gegners auf… in der Mitte ankommen und die Energien fliessen lassen. Aber über die Faust oder den Tritt hinaus – • „Die Einheit des Kampfes“ begreifen. Wir haben nicht gegeneinander gekämpft, wir haben Partnerübungen gemacht. Weil sie das intuitive Verständnis für den Fluss der Energien im „Konflikt als Ganzes“ fördern – Yin und Yang , Hart und Weich… Das war für mich der „Kick“, das „High“ nach fast jeder Trainingseinheit.

Mit Erfolgsgarantie. Ich hab ein paar Jahre Sparring gemacht, JKD und Kickboxen. Selbst da gab es Sternstunden, wo sich das anfängliche Gegeneinander völlig im „Hier&Jetzt und Flow“ aufgelöst hat. – Magic! Das soll nicht heissen, alles wird harmonisch. So nicht. Mir stand da öfters nur ein Problem gegenüber: 15 kg+ mehr Muskeln, dafür 10 Jahre jünger und mit Vollkontakt-Erfahrung – das beeindruckt. Aber in diesen Situationen war der Kopf frei (von Bildern, Vorurteilen, Angst). Und das Irre war, dann lief auch der Fight de facto auf Augenhöhe. OK – die haben mich v.a. respektiert wegen „aussergewöhnlichen Nehmerqualitäten„. Aber ich war präsent, selbst wenn es in Richtung Vollkontakt entgleist ist.

Die Balance hat gestimmt. Das ist natürlich kein Erfolgsrezept … (Seufz). Aber „DO“ ist für mich v.a. Spurensuche, Fährten lesen… Da habe ich den Hauch einer Ahnung bekommen, was die „Grossen“ damit gemeint haben könnten: „Jeder Kampf wird im Kopf gewonnen„. Wenn man sich ans andere Endes des Spektrums der körperlichen Begegnung denkt – die Liebe – dann wird es vielleicht einfacher verständlich, was ich meine: Das „Erdbeben“….

Ab jetzt wird etwas anderes zählen, wie Viagra, geistloses Anhäufen von Muskeln und Techniken oder Materialschlachten im Blindflug zu veranstalten, die viel mehr schaden, als dass sie nützen – gegen wen auch immer.) Der Grossmeister hat sich bei einer Dan-Prüfung gefreut über das ausgeglichene Verhältnis zwischen Männer und Frauen. Es sei ein Ziel von ihm gewesen, den Yin-Aspekt in der Kampfkunst wieder zu stärken. Ich habe das im Sinne von Lao Tse verstanden: Nichts ist weicher als Wasser und doch so gewaltig. Alle Welt weiss es. Doch niemand vermag danach zu handeln. Von hier aus tut sich nun ein ganz anderer Blick auf unsere angsterfüllte Welt auf.

Im Grunde tun sich die selben Horizonte auf wie damals, wo die Wissenschaft diese winzigen Wesen entdeckt hat: Viren, Bakterien sind überall. Um uns, in uns, und sie sind immer da. Heute weiss man, es würde vermutlich überhaupt kein entwickeltes Leben geben ohne Viren und ihre Fähigkeit zu mutieren. Es wird so klar, dass man einem Gegner wie Corona, den ja noch nicht mal jemand richtig kennt, und der sich durch Veränderungen permanent entzieht, nicht mit Krieg und Ausnahmezustand begegnen kann – immer hart am Ziel ihn zu vernichten. Mit solch einem Gegner kann man auf eine gesunde Balance hin arbeiten, wo auch wir gut mit Leben können. Alles andere ist völlig patriarchaler und verselbständigter wissenschaftlich-technologischer Machbarkeitswahn. Das ist „der Teufel, den ihr rieft“ (Faust). Unsere Welt ist voll von diesen „aktiven Friedhöfen“. Und jetzt mit der Genetik-Spritze uns selber durch die Retorte quälen? . Damals, wo die Viren entdeckt wurden, war die Frage: Warum merkt man ihre Anwesenheit meistens gar nicht und dann wiederum kommt es plötzlich zum Ausbruch einer Krankheit? Liegt es am Milieu oder am Erreger?

Seither versucht die Pharmaindustrie natürlich mit aller Macht auf den Erreger zu zeigen, den „Feind„. Da kann man Abhängigkeiten schaffen, sich Einfluss, Macht und stetig steigende Gewinne sichern. C19 lässt nun alle Dämme brechen. HEUTE ist vom „Milieu“ gar nicht mehr die Rede. Vom Menschen, auch als soziales Wesen, Gesundheit, Immunsystem, Wohlbefinden, Glück. Das war auch in der etablierten Wissenschaft Konsens bis „Die Pandemie“ ausgerufen wurde. Es ist das Wissen von unseren Omas. „Verliebte werden niemals krank„, das weiss jedes Kind. –

In vielen Hunderttausend Jahren, in der Begegnung von Mensch zu Mensch haben wir Sprache, Kunst, Kultur entwickelt und haben unsere Toten verabschiedet. Im gemeinsam erlebten und verarbeiteten Spannungsfeld zwischen Liebe und Tod sind wir zu Menschen geworden. Das ist über Nacht und per neuem „Hygienegesetz“ kriminell und „geradezu ein Fall für den Psychiater“ (Merkel). Aus Solidarität wird „Angst und Abstand halten„, Liebe kommt aus der Spritze, und als Weg gesund zu werden und zu bleiben, wird eine geradezu talibanesk anmutende Freudlosigkeit verordnet. „Warum nicht den Winter auf dem Sofa mit einer Tüte Chips vor dem TV verbringen, Dann infizieren sie sich nicht“ (Jens Spahn). 100.000 Menschen sterben jedes Jahr hier an ungesunder Ernährung. Die wissen genau, was sie tun. Global gesehen wachsen sich die Folgen dieser „Gesundheitspolitik“ in eine historische Katastrophe aus – Hunger, Verelendung und Unterdrückung wachsen exponentiell. Während die Reichsten der Reichen „historisch nie dagewesene Gewinne“ einfahren. (Deutschlandfunk).

Der globale Süden braucht keine Spritze und keine Waffenlieferungen, die brauchen eine gerechte Weltwirtschaftsordnung! „Hunger ist die schlimmste Krankheit„. (Jean Ziegler) Killer hin und Mutante wieder zurück – ein Virus bleibt ein Virus, mit genau den Eigenschaften eines Virus. So wie ein Wolf ein Wolf bleibt und der „Problemwolf“ eine Erfindung des „Spiegel“ ist. Mir ist es völlig unverständlich, wie ihr auf solch einen Zug aufspringen könnt. Ein Weg, der die Menschen nicht informiert über die Komplexität der Wirkkräfte, nicht selbstbewusst und stärker macht, ihnen die „Techniken“ beibringt, um einer Gefahr zu begegnen. Sondern einer, wo die Menschen wie Gefangene gehalten, klein und kaputt gemacht werden, der sie in die Fänge einer „Pharma-Lobby, krimineller als die Mafia“ treibt – um sie zu kontrollieren. Das war eine Headline in der Süddeutschen Zeitung 2016. Vor 60 Jahren bin ich zusammen mit den „Contergan-Kindern“ aufgewachsen. Ich muss mich zurückhalten…

Im Grundkurs Strassenabi lernt man: Greif niemals aus Unwohlsein zu einer Nadel. Der Wiederholungsdruck schaut dir schon über die Schulter. Dieses Phänomen kommt nicht vom Hamburger Hauptbahnhof oder von „Heroina“ (mit dem Allheilmittel hat dieselbe Industrie vor 100 Jahren viel Geld verdient und – wissentlich wie immer – viele Leben zerstört). Dieses Phänomen kommt aus den Tiefen der menschlichen Psyche. Das ist meine Haltung zu dem Thema. Wer zum Teufel braucht denn diese „starke Hand“? Wir haben doch alles aus eigener Kraft hinbekommen. Habt ihr die letzte Hochwasserkatastrophe im Wendland vergessen? Wie umsichtig und verantwortungsvoll Menschen sind, wenn das Wasser bis zum Hals steht? Alle grossen spirituellen, alle grossen Kampfkunstmeister der Vergangenheit haben gesagt: „Sieg und Niederlage sind eine Illusion des menschlichen Geistes.“ Ich spreche hier nicht als Grüngürtel mit euch.

Als Schüler habe ich mich von Oben gar nicht mehr wahrgenommen gefühlt. Bei meinen schüchternen Einwänden wegen der ganzen neuen Rituale im Dojang, hab ich nur zu hören gekriegt „Das ist so, ich glaube daran“ und in diese unsäglichen Kontaktnachverfolgungslisten wurde ich einfach von andern eingetragen… No Chance – so wurde ich das letzte Mal im Knast behandelt. Ich spreche hier nur als Mensch zu euch, und als einer, der den geschützten Rahmen der Matte verlassen hat und auf „Freier Wildbahn“ hart am Wind und am Limit unterwegs war. Dazu gehört meine Beteiligung am kollektiven Hungerstreik ’89 (vier Wochen), mit dem Ziel mit anderen Gefangenen zusammen kommen zu können. Und – mit dem Schwinden der Kräfte und dem Wachsen der geistigen Wachheit und Demut – bin ich wichtigen Fragen in diesem Zusammenhang näher gekommen.

„Wenn einem die Scheisse bis zum Hals steht – erst dann bewegt man sich auf Augenhöhe!“ Von da aus rede ich nicht nur, sondern ich spüre auch die Verunsicherung und die Angst in eurem Herzen. Das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass ein Weg, den Frau&Mann geht, um der Gefahr zu entgehen, kein Ziel hat. Mit jedem Schritt auf diesem Weg legt sich der Urgrund des Ausgangspunktes enger um die Seele. Die eigene Angst wird einem an den Hacken hängen wie Schleppscheisse. Das Problem ist unsere lebenslängliche Aussenorientierung. Sicherheit findet man aber nur in sich selber. Da beginnt auch DO und damit bleibt DO lebenslänglich verknüpft. Ich dachte genau da hätten wir eine gemeinsame Basis. Wer sind denn diesen neuen „Doktoren des Vertrauens“?

Ich will nicht ihre fachliche Qualifikation in Abrede stellen. Ich meine das so wie auf dem Bau, wenn die Combo erweitert wird: Wer biste, was kannste? Das sind unsere Aufgaben – jeder soll seinen Platz finden und am Ende des Tages sind alle glücklich und zufrieden miteinander. Christian Drosten. Reiner Labormediziner und Techniker. Versuchsanordnungen, Tabellen, Berechnungen, Computersimulationen, das ist seine Welt….

Hier blinkt es und da schiessen die Kurven empor – es sieht nicht gut aus Christian. Also eilt Herr Drosten – keine Zeit sich die Haare zu richten – im September 2020 zu einer Konferenz mit dem amerikanischen TV und sagt: „Wir verlieren gerade das Vertrauen der Öffentlichkeit. Wir haben hier [in Deutschland] also das gleiche Phänomen. (Wie in USA unter Trump, der war da noch Präsident) – Warum verliert ihr das Vertrauen in der Öffentlichkeit?

– Die Krankheit existiert nicht, sie ist nicht da. Der typische Befund ist, die Fallzahlen (= positiv Getestete) gehen hoch, aber die Todeszahlen gehen nicht hoch. Wir haben keine Toten. Und das hält Menschen, die sich nicht mit Zahlen beschäftigen, davon ab… Wenn du diese Zusammenhänge nicht siehst, dann verlierst du den Glauben. Das sind dann nur Zahlen und Graphiken. Und du fragst dich: Was zur Hölle ist hier los. „Die Wirtschaft.…“

Der Mann ist nicht umgetrieben von der Sorge, dass hier Menschen leiden und auch sterben. Sein Problem scheint eher zu sein, dass viel zu wenige sterben. Der Mann ist beunruhigt, weil sich die Wirklichkeit nicht in den „Zaubergarten der Mathematik“ (so heisst ein Buch über Mathe) von ihm&Friends quetschen lässt, sondern das Leben seinen eigenen Weg geht. Und das erschüttert den „Glauben“ an die Hygiene-Regierung und die von ihr definierten „Wissenschaft“. Das geht jetzt seit über einem Jahr so. Zweifelsohne, er kommt sympathisch rüber. Aber nicht nur in der Liebe, auch in Gesundheitsfragen gilt: Aufgepasst bei der Partnerwahl! Lothar Wieler. Fachgebiete Mikrobiologie und Infektionen bei den Tieren. Ganz klar, er hat nicht die Tiere auf freier Wildbahn – er hat die grossen Ställe im Blick, die industrielle Fleischproduktion.

Das ist seine „Wissenschaft“ und seine Herangehensweise.

Auch er soll selber zu Wort kommen: „Der entscheidende Punkt ist, dass wir so viele Menschen wie möglich mit PCR identifizieren! Und dann ist die Sequenzierung eine sequenzielle nachgeordnete Technologie, die uns noch mehr Informationen gibt. Aber zunächst mal beruht das ganze Wesen der Pandemiebekämpfung darin, dass wir Menschen identifizieren.“

Das bedeutet: Mental haben wir – erzwungenermassen – in dem Jahr den Bildschirm&Big Data schon ganz ordentlich als unsere neue Matrix geschluckt (auch als Kritiker hat einen das Problem am Wickel). Hier beschreibt Wieler, dass wir gleichzeitig auch leiblich ins binäre Zahlensystem integriert werden und damit für den Computer kompatibel und beherrschbar. Das ist eine sehr finstere Seite der Schlacht um die „Inzidenzwerte“. Jens Spahn ist Co Autor des Buches „Die App im Gesundheitswesen“. Da kann man einen Vorgeschmack kriegen wie es wird, wenn Kollege Wieler ihm seine Erkenntnisse „rüber reicht“.

Ihr wisst, wie und nach welchen Kriterien Tierfabriken organisiert sind. Alle Moderatoren der C-Situation haben eines gemeinsam: Niemand hat jemals einen Menschen behandelt. Im Wilden Westen, im Untergrund oder im Krieg – da geht man zur Not zu einem Tierarzt oder Laboranten. Grundkurs Medizin haben die gemacht. Aber heute gehe ich doch zu einem gelernten Humanmediziner , einem Praktiker seines Faches, der nicht nur auf seinen PC, sondern auch auf mich schaut und vielleicht sogar mal eine Frage stellt, z.B. wo der Schuh drückt? 1986 hat der Ami Jay Lifton eine Studie veröffentlicht: „The Nazi Doctors. Medical Killing and the Psychology of Genozid“. Er schreibt darin: „Wenn uns die Ärzte im Dritten Reich irgendetwas zu lehren haben, dann, dass wir zu den Prinzipien des Heilens zurückkehren müssen…. Der weissgekleidete Arzt… wird zum biologischen Soldaten, ja zum biologischen General im Feldzug zur Tötung des Todes.“

Das ist kein Vergleich mit unserer gesellschaftliche Wirklichkeit.

Aber es zeigt eine Parallele und wessen Geistes Kind diese „Ärzte“ und „Hygienemassnahmen“ sind. Das ist ein gedanklicher Prozess von der Oberfläche in Richtung: Wesen der Dinge. – Das haben früher alle gemacht. Die Medien wurden nach den leidvollen Erfahrungen mit der Nazi-Propaganda explizit als „Vierte Gewalt“ in der BRD installiert – als Korrektiv staatlichen Handelns: Die Vielfalt war gefragt, statt Propaganda: Als Garant für Demokratie. Die Linke, alle kritischen Menschen haben – jeder von seinem Ausgangspunkt und mit seinem spezifischen Werkzeugkasten – alle haben sie hinterfragt. Fragen, was dahinter ist. „Untersuchen“ – schauen, was unten drunter ist, nachfragen – miteinander sprechen… „Diskussion“ war „damals“ eine Expedition in neue Gefilde, wo alle Beteiligten mehr Übersicht kriegten und gestärkt raus kamen. Auch wenn Widersprüche stehen geblieben sind.

Inzidenz-D.jpg

Das ist heute nicht mehr populär im Mainstream. Da machen sich zunehmend ein Umgang fett, der an den Umgang mit dem Virus erinnert. Aber das wäre eine neue Diskussion. Unser gemeinsames Thema war Gesundheit und Kampfkunst. Da habe ich versucht aus meiner Erfahrung ein, zwei Aspekte einzubringen. Für viele ist das vielleicht eine extreme Sichtweise. Aber ich komme nicht von einem anderen Stern. Ich habe nur ne Weile im Schattenreich der „Schönen Neuen Welt“ gelebt.

Jetzt, wo die Schatten auch über der Erde länger werden, drängt es mich zu berichten, was ich dort gesehen habe und wie sich dasselbe hier breit macht. Ich will damit niemand in die persönlichen Beweggründe und Entscheidung rein quatschen. Ganz bestimmt nicht. Jeder ist letztendlich nur für und vor sich selber verantwortlich. Aber in Zeiten der Not hat der Verein/Leitung eine gesellschaftliche Verantwortung: U. hat bei seiner Verabschiedung einen seiner Beweggründe für sein Engagement genannt:

„Nur Stämme werden Überleben.2 Das hat Eindruck hinterlassen. Es hat verschiedene Sachen in meinem Leben und die Träume wie mit einer verborgenen Linie verbunden und zu einem Bild gefügt. „Heilige Worte“… Und heute? Sorry – ich sehe euch in das Reservat laufen, was Big Data&Big Pharma und die starke Hand des Staat bereit gestellt haben . Der Deal ist „Sicherheitsempfinden, gegen Freiheit; Mitmachen für Sozialpunkte und gesellschaftlichem Status“ usw. Und die, die lieber bei sich bleiben wollen, die kriegen halt keinen „Freigang“. Ich kenne es nicht anderes.

Die Nordamerikanischen First Nation Stämme leben im Reservat und viele kämpfen um ihre eigene kulturelle Identität. Dabei reiben sie sich ständig mit dem „Modernen Leben“. Das sprengt das Reservat. Schon am 16.März 2020 hat sich der Häuptling der Hopi-Indianer White Eagle zum „Corona-Paradoxon“ geäussert: „Dieser Moment, den die Menschheit gerade erlebt, kann als Pforte oder als Loch betrachtet werden.Die Entscheidung durch die Pforte zu schreiten oder ins Loch zu fallen, liegt an EuchWenn ihr rund um die Uhr Nachrichten konsumiert, mit negativer Energie, dauernd nervös mit Pessimismus, werdet ihr in das Loch fallen.Wenn ihr aber die Gelegenheit ergreift, Euch selbst zu betrachten, Leben und Tod zu überdenken, für euch und andere Sorge tragt, dann werdet ihr durch das Portal gehen. …

Unterschätzt nicht die geistige Dimension dieser Krise. Nehmt die Perspektive eines Adlers ein, der von oben das Ganze sieht, mit weitem Blick. Es liegt eine soziale Forderung in der Krise, aber genauso eine geistige. Beide gehen Hand in Hand. …

Lerne Widerstand am Vorbild indianischer und afrikanischer Völker.Wir wurden und werden immer noch ausgerottet. Aber wir haben nie aufgehört zu singen, zu tanzen, ein Feuer zu entzünden und Freude zu haben. Fühle dich nicht schuldig, Glück zu empfinden in dieser schwierigen Zeit. Es hilft überhaupt nicht traurig und energielos zu sein … Das hat nichts mit Entfremdung/Weltfremdheit zu tun. Das ist eine Strategie des Widerstandes. Wenn wir durch die Pforte gehen, bekommen wir eine neue Sicht auf die Welt, weil wir uns unseren Ängsten, unseren Schwierigkeiten gestellt haben.

Das ist alles, was du momentan tun kannst – Gelassenheit im Sturm – Bete täglich – Mach es dir zur Gewohnheit, das Heilige jeden Tag zu treffen.“ Über unserer Kampfkunstschule steht jetzt nicht mehr „Himmel-Erde-Alle Lebewesen IST Eins“ – da steht jetzt: „1,5 Meter Abstand halten“ (oder was ist grad erlaubt?) & „Safety first„. Konflikte sind nicht mehr die Möglichkeit eine neue Stufe der Einheit zu erlangen. Die Spaltung, die Trennung und die Fremdheit – die „Andern“ – die koloniale Welt ist die Wahrheit des Reservates geworden.

Und in der Seele der Stammesmitglieder ist der Leitstern „Alles richtig machen“, weil es „draussen“, ausserhalb der „Regeln“ viel zu gefährlich ist. Wir sind hier wieder am Anfang bei den koreanischen Kriegsgefangenen.

Ihr könnt nicht mehr meine Lehrerinnen und Lehrer sein. Ich sehe nur noch sinnentleerte Körperertüchtigung. Der Spirit ist raus aus dem Haus. Und gegen derlei uniformes Mitmarschieren mit dem Mainstream habe ich mein ganzes Leben rebelliert. Ich muss weiterziehen, um mich zu entwickeln. Meinen Monatsbeitrag reiche ich lieber an kritische Medien und Hilfe für traumatisierte Kinder weiter.

Bei dem Thema Anti/Faschismus – und das ist Sache hier&heute – gebührt meiner Oma das letzte Wort. Eine einfache Frau, die immer kämpfen musste und die in zwei Weltkriegen praktisch alle/s verloren hat, ausser meiner Mutter – und ihre Herzenswärme und ihren wachen Verstand. Ihre Geschichten endeten manchmal mit der Feststellung: „Wer hat dem Anstreicher (Adolf Hitler) denn das Geld gegeben? … Die (Oberen) stecken doch alle unter der selben Decke.„

„Die Spur des Geldes“ führt heute wieder ins Zentrum und zur – unumkehrbaren – Dynamik des Geschehens… Im Mainstream wäre sie heute eine „Verschwörungstheoretikerin„. Und von den Türstehern der – dem Untergang geweihten – properen Bürgerstube würde sie angebrüllt:“Naziarsch verpiss dich! Nazis raus!„ *** Unsere Gründungsväter und Mütter wollten „kämpfen lernen“. So wurde es mir von verschiedenen Seiten erzählt. Ja eben! Was glaubt ihr denn, warum ich so hingebungsvoll trainiert habe. Obwohl nach traditionellen Shin Son Kriterien eigentlich mit blossem Auge kaum noch Fortschritte zu verzeichnen sind? Genau deshalb.

Das war der erste Impuls, wo ich ’93 anfing und es ist die Konstante seit 27 Jahren geblieben. Damals wollte selbstbewusst durch ne Landschaft gehen, die total neu für mich war, mit der ich nicht mehr „umgehen“ konnte und ich – in meine Einzelteile zerlegt – ziemlich neben mir selber gestanden bin (ich habe eine sinnliche Vorstellung davon, wie das Sprichwort entstanden ist). Das war mein Lebensgefühl nach der Entlassung ’93. Isolation trennt den Körper vom Geist (Danke Frankie, ich weiss mein Blick…).

Wenn ich an diese Zeit zurück denke, der Karl, wie er damals rauskam und wie ich heute in mir selber zu Hause und in der Welt bin, da wird mir erst bewusst, wie unendlich viel ich euch verdanke!

In den 90ern ging es mir manchmal eher durchwachsen… Meine Vertrauten haben gesagt: Du musst unbedingt eine Therapie machen! Rein intellektuell hat mir das ja eingeleuchtet. Aber der Therapeut, bei dem ich es versucht habe, der hat gar nicht verstanden, wo’s weh tut. Der ist auf seinem Gebiet bestimmt gut. Aber für mich und mein Anliegen, wäre es schwer gewesen, was zu finden. Und es hat mich auch kaum angetörnt. Ich habe viel lieber mit euch trainiert. Nach praktisch jeder Einheit dieses Glücksgefühl „Das Leben spüren und geniessen!“, hat der Grossmeister gesagt. Nach den Knastjahren wusste ich nicht mehr wie das geht. Ne Genossin hat mal gesagt: „Wenn man rauskommt, hat man nach nichts mehr Sehnsucht wie nach Menschen. Aber man kann es nicht mehr.“

Und ihr ward immer für mich da – offen – mit eurer körperlichen und geistigen Präsenz und einem Weg, wo positiv was passiert ist.

Heute, nach 27 Jahren, wo ich mit euch verbunden bin, kann ich mit grosser Sicherheit sagen: So wie es möglich ist durch ne Therapie, über die geistige Auseinandersetzung wieder beieinander zu kommen, so ist es auch möglich, durch „Bewegung für das Leben“, die Verkrampfungen des Körpers zu lösen und zu natürlichen Bewegungen, den Energien… zurückzufinden – das geht nur mit Hilfe des Geistes und damit stellt sich die Verbindung wieder her. – Es besänftigt die 9 Windstärken im Kopf, glättet die See im Gemüt und führt zu einer neuen Balance. (Hier versteht ihr vielleicht, warum online-Arbeit nie eine Option für mich war. Das Problem, was ich bearbeiten und überwinden will, ist dabei gewissermassen die Geschäftsbedingung).

E., es ist mir nur langsam gedämmert: Du hast mich ja „genötigt“ an der Vorführung teilzunehmen. („Sich Zeigen“). Da hast du mir mit deiner tollen Präsenz und deinem Vertrauen über eine Schwelle geholfen, die mir weit über den Dojang hinaus, neue Horizonte und Möglichkeiten erschlossen hat.

Danke,U. Für einige persönliche Hinweise, wo es lange später überhaupt erst durchgesickert ist, was du eigentlich von mir willst. „Lebenslängliche Themen„… Auch an alle, die geduldig mit mir trainiert haben. Für mich war der Weg mit euch nicht nur ungezählte tiefe und schöne Erinnerungen. Ihr ward auch meine „Therapie“. Eine echte Herzensangelegenheit ist auch aufs engste mit euch verbunden. Die letzten drei Jahre meiner Knastzeit war ich in Strafhaft in Bruchsal und konnte an manchen Gemeinschafts-Veranstaltungen teilnehmen.

Bei einem Filmabend hab ich mich unsterblich in „Die Tochter des Meisters„3 verguckt. Noch kann ich nicht bei ihr vorstellig werden als Schüler. Aber ich bin auf dem Weg und die Gewissheit ist noch recht jung. Für einen „Grauen Panther“ ist das schon ein Ding! Als Amateur Fussballer würde ich seit Jahren für meine Sportsfreunde den Rasen mähen und das Bier kalt stellen. Das alles ist viel mehr als ich mir jemals erträumt habe!

Karl Grosser

Fussnoten:

1 Autobiografisches Buch (2013) des Schriftstellers und Künstlers Wolfgang Herrndorf, der darin die letzten drei Jahre seines durch einen Hirntumor begrenzten Lebens dokumentierte

2 Deutscher Titel (1976) des Buches „We talk, you listen; new tribes, new turf“ von Vine Deloria junior; 1970

3 Chinesischer Actionfilm von 1983

Zuerst veröffentlich auf Perspektive Solidarität, Hamburg

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

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Pro und Contra des Labor

Erstellt von DL-Redaktion am 10. April 2023

Pro und Contra Laborhypothese: Der Kampf um die Deutungshoheit

Quelle      :        INFOsperber CH.

Martina Frei /   

Nach neuen, brisanten Aussagen zugunsten der Laborthese bedienten andere Wissenschaftler die Medien mit Contra-Informationen.

Ob das Coronavirus Sars-Cov-2 aus einem Labor oder von Tieren stammt, wurde von Pandemiebeginn an mehr als politische denn als wissenschaftliche Frage behandelt. Der Hergang zeigt auch, wie vorsichtig Medien sein sollten. Im Folgenden eine Chronologie aufgrund der neusten «Erkenntnisse».

Die Akteure

Robert Redfield, Virologe und bis Januar 2021 Leiter der grössten US-Gesundheitsbehörde «Centers for Disease Control and Prevention» (CDC).

Florence Débarre, Evolutionsbiologin am «Centre national de la recherche scientifique» und der Sorbonne-Universität in Paris. 

George F. Gao, Virologe und Immunologe. Bis Juli 2022 Direktor des chinesischen Zentrums für Krankheitskontrolle und
-prävention, dem Pendant zu den CDC in den USA. 

Anthony Fauci, Arzt und Immunologe. Bis Dezember 2022 Direktor des Instituts für Infektionskrankheiten und Allergien (NIAID) an der grossen US-Forschungsinstitution «National Institutes of Health». 

Kristian G. Andersen, Professor in der Abteilung für Immunologie und Mikrobiologie am Scripps Research Institute in La Jolla, Kalifornien. Gehörte zum engen Kreis der Wissenschaftler, die sich zu Beginn der Pandemie, am 1. Februar 2020, mit Anthony Fauci austauschten.

Robert F. Garry, Professor für Mikrobiologie und Immunologie an der Tulane-Universität in New Orleans. Gehörte ebenfalls zum engen Kreis der Wissenschaftler, die sich am 1. Februar 2020 mit Anthony Fauci austauschten.

Edward C. Holmes, Virologe und Evolutionsbiologe an der australischen Universität Sydney. Holmes erachtete das Pandemievirus anfangs als «nicht übereinstimmend mit Erwartungen der Evolutionstheorie». Zusammen mit Andersen und Garry veröffentlichte Holmes im März 2020 einen wichtigen Leserbrief in «Nature Medicine».

Jeremy Farrar, Wissenschaftler und langjähriger Direktor des «Wellcome Trust», mit rund 38 Milliarden eine der weltweit grössten gemeinnützigen Stiftungen, die Gesundheitsforschung und -forscherInnen finanziert (Infosperber berichtete). Farrar organisierte die Videokonferenz mit Anthony Fauci und den Wissenschaftlern am 1. Februar 2020. Farrar wird im zweiten Quartal 2022 Leiter Wissenschaft bei der WHO.

Die Chronologie

Seit Monaten versucht ein US-Untersuchungsausschuss herauszufinden, woher das Pandemievirus stammt. Für den 8. März 2023 lud der Ausschuss den Virologen Robert Redfield vor, den früheren Leiter der US-Gesundheitsbehörde «Centers for Disease Control and Prevention» (CDC). Die CDC sind mit ihren 10’000 Mitarbeitern auch für Infektionsausbrüche zuständig. Redfield gehörte zur US-Coronavirus-Taskforce. Wer seine früheren Äusserungen kannte, konnte sich ungefähr ausrechnen, was er am 8. März aussagen würde.

Während Redfields Termin näherrückte, durchforstete Tausende Kilometer entfernt die französische Evolutionsbiologin Florence Débarre die Gisaid-Datenbank. In dieser grossen Datenbank hinterlegen viele Forscher Informationen zum Erbgut von Grippe- und Coronaviren.

Dabei stiess Débarre am 4. März 2023 auf bisher unbekannte Gen-Daten. Sie sei bei ihrer Forschung zufällig darüber gestolpert, sagte sie dem Wissenschaftsmagazin «Science». Unterstellungen, sie sei irgendwie anders zu diesen Daten gekommen, wies sie scharf zurück. Die Gen-Daten stammten von Proben, die chinesische Wissenschaftler von Januar bis März 2020 am Fischmarkt in Wuhan gesammelt hatten.

«Dieses Virus sah für mich konstruiert aus.»

Robert Redfield, Virologe, früher Leiter der CDC und Mitglied der US-Coronavirus-Taskforce

Redfields brisante Aussagen vor dem Ausschuss

Am 8. März sagte Robert Redfield unter Eid vor dem Untersuchungsausschuss aus: «Basierend auf meiner Analyse der Daten kam ich [zu Beginn der Pandemie – Anm. d. Red.] zur Überzeugung und glaube das auch heute noch, dass Covid-19 wahrscheinlicher das Resultat eines Laborunfalls war als das Ergebnis eines natürlichen Überspringens.»

Das Virus habe an einer wichtigen Stelle einen menschlichen Gencode enthalten, führte Redfield aus. «Das war sehr beunruhigend für mich. Dieses Virus sah für mich konstruiert aus.» Das habe er zu Beginn der Pandemie auch Anthony Fauci, dem WHO-Direktor Tedros Ghebreyesus und Jeremy Farrar gesagt, dem damaligen Direktor des «Wellcome Trust».

Ein weiteres Indiz für Redfield: Anders als Sars- und Mers-Viren, die nie gelernt hätten, sich von Mensch zu Mensch zu verbreiten, sei das Pandemievirus nach Redfields Dafürhalten von Beginn weg «zu ansteckend» für Menschen gewesen.

Redfield hatte nach eigenem Bekunden darauf gedrängt, beide Hypothesen zum Ursprung mit grösster Ernsthaftigkeit zu untersuchen. Doch weil Faucis Team nur ein Narrativ gewollt habe und er, Redfield, einen anderen Standpunkt vertrat, sei er weder in wichtige Videocalls noch in E-Mails eingebunden worden, in denen Fauci und Farrar sich mit verschiedenen Wissenschaftlern über die Herkunft des Virus austauschten (Infosperber berichtete mehrmals).

Krasser Widerspruch zu Fauci

Dass er in diese Unterredungen nicht einbezogen worden sei, habe ihn «total enttäuscht» und auch verärgert, bekannte Redfield vor dem Untersuchungsausschuss. Er habe von diesen geheimen Diskussionen zwischen Fauci und anderen Wissenschaftlern erst erfahren, als dies mit Hilfe des Öffentlichkeitsgesetzes ans Licht kam.

Es gehöre zur Wissenschaft, dass Debatten gefördert würden, damit die Wissenschaft schliesslich die Wahrheit finde, so Redfield. In diesem Fall aber sei a priori beschlossen worden, nur eine Sichtweise zu bringen und jeden, der damit nicht einverstanden gewesen sei, ins Abseits zu stellen.

Der frühere CDC-Direktor gab weitere klare Statements ab: Die «National Institutes of Health» (NIH), wo Anthony Fauci das NIAID leitete, förderten Redfield zufolge die «gain of function»-Forschung – auch in Wuhan. «Ich denke, es gibt keinen Zweifel», sagte Redfield vor dem Ausschuss. Damit widersprach er Anthony Fauci, der ebendort unter Eid vor einiger Zeit das Gegenteil behauptet hatte. Somit steht nun die Frage im Raum, ob Fauci einen Meineid leistete. Bei der «gain of function»-Forschung werden Mikroben so verändert, dass sie neue Eigenschaften erwerben, also zum Beispiel ansteckender oder gefährlicher werden.

Drei «sehr ungewöhnliche» Vorgänge

Es sei klar, so Redfield, dass im Labor in Wuhan im September 2019 ein «bedeutsames Ereignis» stattfand. In früheren, normalen Zeiten habe er mit George Gao, seinem chinesischen Amtskollegen, dem Direktor des chinesischen CDC, in gutem Austausch gestanden. Doch dann sei dieser unkomplizierte, informelle Austausch plötzlich nicht mehr möglich gewesen.

File:Wuhan Institute of Virology main entrance.jpg

Damals seien drei Dinge in dem Labor in Wuhan passiert, die Redfield als «sehr ungewöhnlich» bezeichnet: Erstens wurden Informationen zum Erbgut von Coronaviren in einer Datenbank gelöscht. Zweitens sei das Labor in Wuhan der militärischen Kontrolle unterstellt worden, während es zuvor der zivilen Kontrolle unterstanden habe. Drittens sei das Belüftungssystem im Labor erneuert worden.

«Fox News» und andere Medien verbreiteten Redfields Aussagen sofort. In Schweizer Medien las man nichts davon.

Verfechter der Hypothese vom natürlichen Ursprung suchen in den Daten

Am 9. März 2023, dem Tag nach Redfields Anhörung, realisierte Débarre nach eigenen Angaben, wie bedeutsam die Daten seien, die sie in der Datenbank entdeckt hatte. Dem Magazin «Science» zufolge suchte sie sofort Unterstützung bei einer Gruppe von westlichen Wissenschaftlern, die stark die Hypothese vom natürlichen Ursprung vertreten.

Eiligst machten sie sich zusammen in den chinesischen Daten, die sie von der Gisaid-Datenbank heruntergeladen hatten, auf die Suche. Gelänge es, einen tierischen Zwischenwirt zu finden, wäre das Rätsel, woher das Virus stammt, gelöst.

Zwei Tage nach Redfields Anhörung, am 10. März 2023, stimmte das US-Repräsentantenhaus einig wie selten mit 419 zu null Stimmen für einen Gesetzentwurf. Dieser verpflichtet die US-Geheimdienstkoordinatorin, sämtliche Informationen über die Herkunft von Sars-CoV-2 offenzulegen, insbesondere zu den Verbindungen zum Labor in Wuhan. Ob der US-Präsident dieses Gesetz unterschreiben würde, war zu diesem Zeitpunkt offen.

Nun gelangten die Neuigkeiten der Evolutionsbiologin Florence Débarre und ihrer Kollegen an die Öffentlichkeit.

Die Gen-Daten, die sie analysierten, gehören zu einer wissenschaftlichen Arbeit, die Redfields chinesischer Amtskollege George Gao, der frühere Leiter des chinesischen CDC, zusammen mit KollegInnen bereits im Februar 2022 auf einem sogenannten Preprint-Server veröffentlicht hatte.

Für die einen «nichts Neues», für die anderen die Bestätigung

Das chinesische Team wartete darauf, dass Gutachter ihr OK zur Publikation im Wissenschaftsmagazin «Nature» gaben. Mindestens ein Gutachter bestand darauf, dass Gaos Team alle Rohdaten offenlege. Gegenüber dem Wissenschaftsmagazin «Science» sagte Gao, diese Daten seien nichts Neues.

Das Fazit seiner Arbeit: Man habe keinen tierischen Wirt für Sars-CoV-2 gefunden. Es sei daher nicht auszuschliessen, dass das Virus durch Menschen oder über gefrorene Waren in den Markt in Wuhan eingeschleppt wurde. Um die mögliche Herkunft des Virus zu ergründen, sei mehr internationale Koordination nötig.

«The Atlantic» erhält Informationen zugespielt

Débarre und ihre Kollegen lasen aber etwas anderes aus den Daten heraus: Sie entdeckten in einer Probe sowohl Marderhund-Erbgut als auch Sars-CoV-2-RNA. Daraus schlossen sie, dass der Marderhund vermutlich mit Corona infiziert war – er könnte ihrer Ansicht nach also der gesuchte Zwischenwirt sein, von dem das Virus auf den Menschen übersprang.

Noch bevor Débarre und Co. irgendetwas Wissenschaftliches veröffentlichten, das die Fachwelt hätte prüfen können, erhielt die Laienpresse Informationen: «Eine neue Analyse von genetischen Sequenzen, die vom Markt gesammelt wurden, zeigt, dass Marderhunde, die illegal dort verkauft wurden, das Virus Ende 2019 möglicherweise in sich trugen und ausschieden.» Das sei bisher «der stärkste Hinweis», dass die Pandemie von einem Tier ausging und nicht durch einen Laborunfall verursacht wurde, schrieb «The Atlantic» am 16. März 2023.

Am 18. März zog die WHO nach, die von Débarres Kollegen laut eigenen Angaben am 11. März informiert wurde. Laut der WHO würden die Daten zeigen, dass auf dem Markt Tiere waren, die für Sars-CoV-2 empfänglich seien und die eine Ansteckungsquelle für Menschen «gewesen sein könnten».

Am 20. März 2023 veröffentlichten Débarre und ihre KollegInnen schliesslich ihre Sicht der Dinge: «Die seit Beginn der Pandemie angesammelten Daten weisen gesamthaft klar auf einen tierischen Ursprung des Virus hin.» Die Argumente für diese Hypothese stünden in starkem Kontrast zu den fehlenden Beweisen für irgendeine andere Entstehungsgeschichte. Auf die von Robert Redfield und anderen Wissenschaftlern vorgebrachten Indizien für die Laborhypothese gingen sie nicht ein.

«Wissenschaft beruht auf Beweisen und Fakten, nicht auf Spekulation. Insbesondere kann man nicht in den Medien übertreiben, um die Öffentlichkeit und Politiker in die Irre zu führen.»

George F. Gao, ehemaliger Leiter der chinesischen Gesundheitsbehörde CCDC

George Gao, der frühere Leiter des chinesischen CDC, bezeichnete Débarres Analysen als «irreführend»: «Wissenschaft beruht auf Beweisen und Fakten, nicht auf Spekulation. Insbesondere kann man nicht in den Medien übertreiben, um die Öffentlichkeit und Politiker in die Irre zu führen», so Gao gegenüber der Non-Profit-Organisation «U.S. Right To Know». Er forderte die Gruppe um Débarre auf, sich zu beruhigen und «anständige Wissenschaft» zu machen.

Am 21. März 2023 meldete sich die Datenbank Gisaid zu Wort. Denn Analysen mit den Daten anderer Wissenschaftler vorzunehmen und diese eigenen Analysen zu veröffentlichen, noch bevor die chinesischen «Eigentümer» ihre wissenschaftliche Arbeit publiziert haben – das ist nicht die feine Art. Einige Benutzer hätten einen unvollständigen Teil der chinesischen Daten heruntergeladen, teilte Gisaid mit und meinte damit Débarre und ihre Kollegen. Gisaid rügte sie: «Vorzeitige Diskussionen von wissenschaftlichen Daten in den Medien drohen das öffentliche Vertrauen in die wissenschaftliche Forschung zu untergraben.»

Chinesische Proben belegen «überhaupt nichts»

Medial war das Ganze jedoch ein Riesenerfolg für Débarre und ihre Kollegen. Denn obwohl weiterhin nichts bewiesen ist, berichteten Dutzende Medien über ihren Befund: Der Marderhund wurde als möglicher Zwischenwirt gehandelt. Deutschsprachige Medien zitierten weitherum den Virologen Christian Drosten: «Diese vorläufige Analyse chinesischer Daten bestätigt meine stets favorisierte Hypothese.»

Aussagen wie jene des deutschen Virologen Alexander Kekulé vom 23. März 2023, die chinesischen Proben würden «überhaupt nichts» belegen und einige seien sogar von einer Reinheit, die fast zu gut sei, kamen zu spät und wurden demgegenüber viel weniger zitiert.

Potenzielle Interessenkonflikte blieben unerwähnt

Unerwähnt blieben in fast allen Berichten über Débarres Neuigkeit ihre Co-Autoren. Eine ganze Reihe von ihnen unternahm im Februar 2022 mit geleakten chinesischen Daten schon einmal eigene Analysen. Ihr Fazit bereits damals: Die Hypothese vom natürlichen Ursprung sei viel plausibler als die Laborhypothese.

Finanziell gefördert werden etliche der Co-Autoren von den «National Institutes of Health», vom «Wellcome Trust» oder zum Beispiel von Anthony Faucis früherem Institut NIAID. Die lange Liste ihrer potenziellen Interessenkonflikte war in den grossen Medien kein Thema.

Drei Namen stechen unter den Autoren hervor: Kristian G. Andersen, Professor in der Abteilung für Immunologie und Mikrobiologie am Scripps Institute in Kalifornien. Robert F. Garry, Professor für Mikrobiologie und Immunologie an der Tulane-Universität in New Orleans. Und Edward C. Holmes, Virologe und Evolutionsbiologe an der australischen Universität Sydney. Alle drei hatten am 1. Februar 2020 an dem Videocall mit Anthony Fauci teilgenommen.

Andersen war es, der Ende Januar 2020, zu Beginn der Pandemie, in einer E-Mail an Anthony Fauci noch schrieb: «Einige Eigenschaften [des Virus] sehen (potenziell) fabriziert aus.» Und: «Ich finde, das Erbgut [des Virus] ist nicht vereinbar [inconsistent] mit dem, was man von der Evolutionstheorie her erwarten würde.»

Auch Holmes und Garry befanden noch am 2. Februar 2020, das Coronavirus sei «nicht übereinstimmend mit Erwartungen der Evolutionstheorie». Damals schrieb Garry, er könne nicht verstehen, wie SARS-CoV-2 sich auf natürliche Weise herausgebildet haben könne.

In den folgenden zwei bis vier Tagen änderten Andersen, Holmes und Garry ihre Meinung diametral. Nun schlug Andersen vor, in einem Fachbeitrag zu schreiben, das Virus sei «konsistent mit natürlicher Evolution». Der Entwurf wurde angeblich schon am 4. Februar 2020 verfasst. Am 17. März 2020 erschien dieser Beitrag in «Nature Medicine». «Wir glauben nicht, dass irgendein Labor-basiertes Szenario plausibel ist», hielten Andersen, Holmes und Garry dort bereits zu einem Zeitpunkt fest, als noch überhaupt nichts klar war. Trotzdem beeinflusste ihr Artikel die öffentliche Meinung massgeblich: Der Laborursprung wurde daraufhin in grossen Medien als die weniger wahrscheinliche Hypothese oder sogar als Verschwörungstheorie gehandelt.

«Teil eines Narrativs, das sie erschufen» – oder plötzliche, neue Erkenntnisse?

Seinen plötzlichen Sinneswandel innerhalb weniger Tage erklärte Andersen später gegenüber der «New York Times» damit, dass er sich das Virus nochmal genauer besehen habe. Auch Garry relativierte später und sagte, er habe in den anfänglichen Diskussionen den «advocatus diaboli» gespielt. Die Gruppe um Fauci hätte diverse Informationen ausgetauscht und es sei ihnen sehr schnell klar geworden, dass das Pandemievirus natürlichen Ursprungs sei.

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Am 8. März 2023 bezeichnete Redfield den von Andersen, Garry und Holmes mit-verfassten Artikel in «Nature Medicine» vor dem Untersuchungsausschuss als «inakkurat, […] Teil eines Narrativs, das sie erschufen».

Mittlerweile haben Gao und seine KollegInnen eine überarbeitete Version ihrer Publikation auf einen chinesischen Preprint Server hochgeladen und «Nature» veröffentlichte eine vorläufige Version ihres Artikels – worauf eine der Ko-Autorinnen von Débarre diesen auf Twitter sofort als «sehr fehlerhaft» brandmarkte.

In ihrer Kernaussage bleiben die chinesischen Wissenschaftler dabei: Die Proben können keine Infektionen mit Sars-CoV-2 bei Tieren beweisen. Um die mögliche Herkunft des Virus zu ergründen, brauche es mehr internationalkoordinierte Anstrengungen.

Heftige Vorwürfe an die chinesischen Wissenschaftler

Von Débarre, ihren Kollegen und anderen westlichen Wissenschaftlern, aber auch von der WHO hagelte es Kritik: Die chinesischen Wissenschaftler hätten diese wichtigen Daten sofort zugänglich machen müssen, anstatt sie jahrelang zurückzuhalten. «Unentschuldbar» sei die mangelnde Offenlegung, zitierte «Der Spiegel» eine WHO-Epidemiologin.

Was nicht erwähnt wird: Wichtige Informationen über die Anfänge der Pandemie, die in US-Archiven schlummern, wurden bisher nicht oder erst auf juristischen Druck hin offengelegt. Und selbst wenn sie offengelegt werden mussten, waren viele Stellen geschwärzt oder Hunderte von Seiten einfach weiss (Infosperber berichtete).

Die E-Mail-Korrespondenz zwischen Fauci, Andersen und den anderen am Videocall vom 1. Februar 2020 beteiligten Wissenschaftlern beispielsweise kam nur dank des Öffentlichkeitsgesetzes ans Licht. Und just zu dem Zeitpunkt, als diese E-Mails publik wurden, löschten sich Andersens frühere Tweets angeblich plötzlich von selbst. Im Artikel von Débarre betonen Andersen und alle anderen Autoren hingegen, sie seien Befürworter des offenen Datenaustausch unter Wissenschaftlern.

Vielleicht kommt nun mehr Licht ins Dunkel

Der – vorerst – letzte Akt in diesem Hin und Her: Am 20. März unterzeichnete US-Präsident Biden das nach der Anhörung Redfields vorgeschlagene Gesetz. Dieses verpflichtet die Leiterin des US-Geheimdiensts, «so viele Informationen wie möglich» zum Ursprung des Virus öffentlich zu machen. Dafür hat sie 90 Tage Zeit.

Noch ist aber offen, welche der bisher geheimen Informationen die US-Regierung wann offenlegen wird.

Ursprung im Wuhan-Labor käme sowohl USA als auch China ungelegen

Beim Sars-Ausbruch von 2003 gelang es rasch herauszufinden, dass das Virus von Fledermäusen über Zibetkatzen auf den Menschen übersprang. Beim Sars-CoV-2-Ausbruch von 2019 dagegen ist auch nach drei Jahren und mehr als 80’000 gesammelten Proben offen, woher das Virus kam. 

China behauptet, das Pandemievirus stamme von ausserhalb des Landes. Die USA dagegen behaupten, Sars-CoV-2 stamme aus China. 

Politisch wäre es für die USA am besten, wenn das Pandemievirus in China von Tieren auf den Menschen übertragen worden wäre. Dann träfe die USA keinerlei Mitschuld. Würde sich hingegen die Laborhypothese bestätigen, dann stünden auch die USA in der Mit-Verantwortung, weil sie die virologische Forschung in Wuhan massgeblich finanzierten. Auch die EU förderte Forschung am Institut für Virologie in Wuhan.

Weder China noch die USA haben also ein Interesse daran, dass sich die Hypothese bestätigt, dass Sars-CoV-2 aus einem Labor in Wuhan stamme. 

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Grafikquellen        :

Oben      —   Dr. Robert R. Redfield, director of the Centers for Disease Control and Prevention, joined by President Donald J. Trump and Vice President Mike Pence, along with members of the White House Coronavirus Task Force, addresses his remarks at a coronavirus update briefing Wednesday, April 8, 2020, in the James S. Brady Press Briefing Room of the White House. (Official White House Photo by D. Myles Cullen)

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2.) von Oben       —    Wuhan Institute of Virology is a research institute by the Chinese Academy of Sciences in Jiangxia District, south of the Wuhan city, Hubei province, China.

Author Ureem2805         /    Source     :    Own Work      /       Date   :    12 December 2016

This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license.

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Unten        —                Redfield (rechts) während der Pressekonferenz der COVID-19-Task-Force am 29. Februar.

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Zu den Corona-Maßnahmen

Erstellt von DL-Redaktion am 5. April 2023

Von falschen Versprechungen und Maßnahmen-Lockdown+Impf-Krise

Von Johannes Kreis

Die „naturwissenschaftliche Wirklichkeitskonstruktion“ des Grundgesetzes und die „Operationalisierung von Grundrechten“ nach Kersten/Rixen

Ich möchte im Zusammenhang mit der Corona-Maßnahmen-Lockdown-Impf-Krise auf die „naturwissenschaftliche Wirklichkeitskonstruktion“ des Grundgesetzes und die „Operationalisierung von Grundrechten“ nach Kersten/Rixen (2022) aufmerksam machen. Herr Rixen ist Mitglied im Deutschen Ethikrat.

  • Kersten, Rixen, „Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise“, C.H. Beck, 3. Aufl., 2022

Hier insbesondere Kapitel VIII, „Impfen“.

[Anmerkung:

Für Menschen wie Jens Kersten und Stephan Rixen ist das, was hier gesagt wird, nicht zugänglich oder verständlich. Es ist nicht Teil ihrer Wirklichkeit. Es existiert in der Welt dieser Herren nicht. Genauso wie es in der Welt vieler deutscher Gerichte nicht existiert.]

I. Die falschen Versprechen des PEI

Der blanke Unsinn, den Kersten/Rixen verbreiten, ist gefährlich. Darauf wird weiter unten detailliert eingegangen. Er ist Teil dieser „selbstverständlichen Wissenschaft“,  die in unerhörter Selbstanmaßung  vorher undenkbare“, beschleunigte Zulassungsverfahren (PEI) für COVID-19 Impfstoffe versprochen hat, mit fürchterlichen Folgen.

Warum können COVID-19-Impfstoffe so schnell zugelassen werden und zugleich sicher sein?

Die Entwicklung von Impfstoffen gegen neue Erreger ist ein komplexer und langwieriger Prozess, der meist mehrere Jahre beansprucht.“

Diese Erkenntnis hat alle an der Impfstoffentwicklung beteiligten Expertinnen und Experten bewogen, die Zusammenarbeit enger und die Prozesse effizienter zu gestalten, ohne Abstriche bei der Sorgfalt zu machen. Dies hat auch zu deutlichen Optimierungen der Verfahrensabläufe und einem Zeitgewinn bei der Entwicklung geführt.

#1 Zeitgewinn durch Wissenschaftliche Beratung

#2 Zeitgewinn durch Rolling Review

#3 Zeitgewinn durch Kombination von klinischen Prüfungsphasen

#4 Zeitgewinn durch Forschungswissen zu Coronaviren

Die neuen Verfahren zur Zulassung von COVID-19 Impfstoffen waren auf Zeitgewinn hin optimiert, weil es schnell gehen sollte. Die Kombination von klinischen Prüfungsphasen umfasst dabei das Ineinanderschieben von Prüfungsphasen („Teleskopierung“), bei dem die nächste Phase schon anfängt, bevor die vorangehende Phase abgeschlossen ist. Das PEI verspricht, dass keine Phase ausgelassen worden ist, vgl. ebenda.

Können einzelne Phasen der Impfstoffentwicklung ausgelassen werden?

Nein.

Die Entwicklung und Herstellung von sicheren und wirksamen Impfstoffen ist hochkomplex. In der EU und damit auch in Deutschland standen uns ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie – vorher undenkbar – bereits drei wirksame und sichere Impfstoffe gegen COVID-19 zur Verfügung. Sie alle haben den regulären Weg der Impfstoffzulassung in kurzer Zeit durchlaufen, ohne wichtige Entwicklungsphasen auszulassen – ganz zentral hierbei ist die klinische Prüfung auf Sicherheit und Wirksamkeit. Diese umfassende Prüfung ist wichtig – schließlich werden Impfstoffe gesunden Menschen verabreicht.“

Das PEI spricht von einer Entwicklungs- und Zulassungsgeschwindigkeit, die „vorher undenkbar“ war. Warum war das „vorher undenkbar“, wenn eine solche Beschleunigung der Entwicklung und Zulassung so einfach und ohne Abstriche bei der Sicherheit zu bewerkstelligen ist?

Interessanterweise wird kaum noch geimpft, siehe Impfdashboard der Bundesregierung,

Aber die Variantenentwicklung von SARS-CoV2 Viren ist unverändert weitergegangen. Denn die Variantenbildung bei Viren ist das Naturgesetz. Sie ist Teil der Evolutionsmaschine Natur. Und die Katastrophe bleibt aus.

Neben der Beschleunigung der Zulassungsverfahren durch „Teleskopierung“ verkürzte man die Testdauern. Gleichzeitig, und das darf nicht vergessen werden, hat man die Studien zur Arzneimittelsicherheit frühzeitig  geöffnet („unblinded“). D.h. man hat aus „ethischen Gründen“ der Placebogruppe die Impfsubstanzen angeboten. Damit gab es keine Vergleichsgruppen mehr. Langfristige Nebenwirkungen waren so nicht mehr erkennbar.

Die ungeheure Anmaßung der Wissenschaft (im wesentlichen Landesbeamte und Bundesbeamte), dass man diesen beschleunigten Prozess beherrschen würde, weil man soviel wüßte, ist zentraler Bestandteil der „naturwissenschaftsfreundlichen – Wirklichkeitskonstruktion“  des Grundgesetzes, was Kersten/Rixen vollkommen übersehen, siehe unten. Anscheinend verzeiht das Grundgesetz jede wissenschaftliche Anmaßung.

II. Ein Dokument der Zeitgeschichte

Diese jeden Zweifel erstickende  „Sofort“-Wissenschaft, die so selbstverständlich scheint, kommt auch in der gemeinsamen Stellungnahme der Präsidenten der außeruniversitären Forschungsorganisationen zu COVID-19 von Oktober 2020 zum Ausdruck. Dieses Dokument der Zeitgeschichte trägt die eigenhändige Unterschrift von 6 Präsidentinnen und Präsidenten der außeruniversitären Forschungsorganisationen in Deutschland. Das ist die crème de la crème der deutschen Forschung. Das ist, wo das große Geld sitzt. Mehr Wissenschaft geht in Deutschland nicht.

  • Presseerklärung zur gemeinsame Erklärung der Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Präsidenten von Fraunhofer-GesellschaftHelmholtz-GemeinschaftLeibniz-GemeinschaftMax-Planck-Gesellschaft und Nationaler Akademie der Wissenschaften Leopoldina, „Wissenschaftsorganisationen zur Coronavirus-Pandemie: Die Situation ist ernst“ , Max Planck Gesellschaft, 27. Oktober 2020https://www.mpg.de/15947053/stellungnahme-coronavirus-pandemie-die-situation-ist-ernst

Mit Verlinkung auf die Erklärung,

  • Gemeinsame Erklärung der Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Präsidenten von Fraunhofer-GesellschaftHelmholtz-GemeinschaftLeibniz-GemeinschaftMax-Planck-Gesellschaft und Nationaler Akademie der Wissenschaften Leopoldina, „Wissenschaftsorganisationen zur Coronavirus-Pandemie: Die Situation ist ernst“, Max Planck Gesellschaft, https://www.mpg.de/15953757/gemeinsame-erklaerung-zur-coronavirus-pandemie.pdf

Bemerkenswert ist, dass diese gemeinsame Stellungnahme auf einer mathematischen Modellierung beruht. Wer erinnert sich nicht an das weiterhin im Experiment nicht zu beobachtende Phänomen des „exponentiellen Wachstums“ der (medizinisch nicht relevanten) Testzahlen?

Auf der Webseite befindet sich auch eine Verlinkung zu der mathematischen Analyse der Datenlage von Viola Priesemann,

Objektiv betrachtet war die gemeinsame Erklärung eine reine Mutmaßung, so wie die gesamte mathematische Modellierung reine Mutmaßung war. Die prognostizierte Katastrophe ist nicht eingetreten, nicht einmal annähernd, auch nicht in 2020. Im Grund haben diese 6 Präsidenten und Präsidentinnen damals nichts gewußt, und sie wissen heute immer noch nichts. Das Nicht-Wissen wird ersetzt durch eine gemeinsame Erklärung. Jedoch eine Konsensmeinung ersetzt nicht die wissenschaftliche Erkenntnis.

Doch die deutsche Wissenschaftselite der Besoldungsstufe W2 bis W4 bescheinigt sich selbst größte Objektivität und Wissenschaftlichkeit. Dies kann man aktuell in den Wiener Thesen zur wissenschaftsbasierten Beratung von Politik und Gesellschaft der Leopoldina nachlesen. Der Präsident der Leopoldina war Mitunterzeichner der gemeinsamen Erklärung. In einer unglaublichen Selbstbeweihräucherung lobt man die eigene Leistungsfähigkeit und blendet die unzähligen falschen Hypothesen und Ansätze schamlos aus.

„Ohne Wissenschaft wüssten wir nicht, was die „seltsame Lungenkrankheit“ verursacht, hätten wir nicht in kurzer Zeit Impfstoffe und wirkungsvolle Medikamente entwickelt. Ohne Bezug auf wissenschaftliche Erkenntnisse gäbe es auch keine zielgerichtete öffentliche Diskussion über notwendige Maßnahmen und für die Politik keine Möglichkeit, evidenzbasiert zu entscheiden. 

Die Pandemie hat die Leistungsfähigkeit der Wissenschaft eindrucksvoll unter Beweis gestellt.“

Von dieser Seite ist keine kritische Auseinandersetzung mit den „vorher undenkbaren“, beschleunigten Zulassungsverfahren für neuartige Impfstoffe und Medikamente zu erwarten. In diesen Thesen geht es unverhohlen um einen Machtanspruch, nämlich entscheiden zu dürfen, wer Expertise hat und in den Beratungsgremien der Politik sitzen darf, wer zu einem aktuellen Problem gehört wird und wer nicht. Vgl. ebenda,

Wissenschaftsakademien wissen, wer wirklich Expertise hat

Wissenschaftsakademien versammeln als Gelehrtengesellschaften die „klügsten Köpfe“ aus Wissenschaft und Forschung und haben Zugriff auf das aktuellste und bestgesicherte Wissen. Sie sind daher eine glaubwürdige Informationsquelle, gerade auch dann, wenn es um die Einrichtung und Besetzung von Beratungsgremien geht. Aufgrund ihrer Unabhängigkeit und ihres fachlichen Überblicks können Akademien rasch und zuverlässig erklären, wer die maßgeblichen Personen mit entsprechender Kompetenz in einem bestimmten Themenfeld sind.“

Nicht die Daten sind entscheidend, nicht das Experiment, sondern die „maßgeblichen Personen“. Dieses falsche Grundverständnis von Wissenschaft entzieht einer rationalen, am wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn orientierten Diskussion jeden Boden. Denn, wer die falsche Auffassung vertritt, der wird nicht zur Diskussion zugelassen.

Dieses falsche Verständnis von Wissenschaft überträgt sich auf den Rest der Gesellschaft und damit auch auf die Rechtswissenschaft und in die Gerichtssäle. Dort operiert man leichtfertig und sorglos mit „abstrakt-generellen Nutzen-Risiko Abwägungen“ von hier „maßgeblichen“ Organisationen.  Was soll schon passieren, die „maßgeblichen Personen“ sagen es ja.

Die deutsche Wissenschaftselite hat sich eine eigene Wirklichkeit geschaffen. Die Worte stehen nicht mehr für tatsächliche Ereignisse oder physikalische Objekte, sondern sie stehen für sich selbst tragende Wirklichkeitskonstrukte, ohne Bezug zur Realität. Die wissenschaftliche Hypothese wird zur Wirklichkeit, auch wenn man keinerlei Belege hat. Wichtig ist nur, dass man sie häufig genug behauptet, dass genügend viele sie wiederholen und dass alle kritischen Stimmen unterdrückt sind.

Wenn alle kritischen Stimmen verstummt sind, dann muß doch die einzige im Raum verbleibende Behauptung die richtige sein, so die Annahme.

III. Die wirren Ideen der Herren Kersten und Rixen

Kommen wir damit zu den wirren Ideen von Jens Kersten und Stephan Rixen, die von vielen anderen Juristen geteilt werden. In vollkommener Verkennung, was Naturwissenschaft bedeutet, und in nahezu einmaliger Naivität hat man sich den Bären von der „allwissenden Wissenschaft“ aufbinden lassen, die sich nur noch um einige wenige, offene Detailfragen zu kümmern hätte.

  • Kersten, Rixen, „Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise“, C.H. Beck, 3. Aufl., 2022

Schauen wir hier insbesondere auf Kapitel VIII.3, zu der „Impfverweigerung“. Dort lesen wir eingangs,

„Wer das Vorhandensein virologischer Bedingungszusammenhänge in Abrede stellt oder die Wirksamkeit des Impfens prinzipiell leugnet, stellt die naturwissenschaftsfreundliche Wirklichkeitskonstruktion in Frage, die dem Grundgesetz zugrunde liegt.“

Dem Grundgesetz liegt sicherlich eine „naturwissenschaftsfreundliche Wirklichkeitskonstruktion“ zugrunde. Die Erkenntnis des Menschen ist begrenzt und ganz offensichtlich kann sich der Mensch der Wirklichkeit in seiner Erkenntnis nur annähern. Aber sollte das den kritisch denkenden Juristen nicht zur Vorsicht mahnen, gerade wenn die deutsche Wissenschaftselite sich selbst so über den grünen Klee lobt?

Inzidenz-D.jpg

Es ist eine objektive Tatsache, dass es Jahre gegeben hat, in denen die Effektivität der Grippeschutzimpfung negativ gewesen ist, d.h. die Geimpften erkrankten häufiger an der Grippe als die Ungeimpften. Wo findet diese Tatsache Platz in der Wirklichkeitskonstruktion von Kersten/Rixen?

„Dagegen bestand gegen eine Infektion mit Influenza-A(H3N2) gar kein Schutz. Die Effektivität fiel mit -28 Prozent sogar negativ aus, was ein tendenziell höheres Erkrankungsrisiko für Geimpfte vermuten lässt.“

Und bei der Grippe sprechen wir von bekannten Impfstoffen, die seit Jahrzehnten untersucht sind, und nicht von neuartigen Gen-Impfstoffen, zu deren Wirkmechanismus nur Mutmaßungen existieren.

Es folgt dann bei Kersten/Rixen eine Aufzählung von Themenbereiche, die gemäß Grundgesetz der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes zugewiesen sind, z.B. die Flugsicherung oder die Atomkraft, in der irrigen Annahme, dass damit per se eine grundgesetzliche Wertung zu dem naturwissenschaftlichen Inhalt dieser Themen verbunden sei. Dabei werden Kritiker von Kersten/Rixen ganz nebenbei als „Schwerkraftleugner“ gekennzeichnet.

Vgl. ebenda,

„Wer den Flugverkehr regelt, sollte nicht an der Schwerkraft zweifeln. Ein Gesetz, das anordnet „Die Schwerkraft ist verboten“ wäre in etwa so sinnvoll wie ein Gesetz, das der Sonne verbietet, Licht zu spenden.“.

Auf dieser Ebene wird sicherlich jeder zustimmen, aber nehmen wir das Beispiel Atomkraft von Kersten/Rixen. Jeder der Zeitung liest weiß, dass derzeit in Deutschland die Atomkraftwerke abgeschaltet werden, während in Frankreich, indirekt über die EU auch von Deutschland finanziert, neue Atomkraftwerke gebaut werden. Ist die Wirklichkeitskonstruktion in Frankreich eine andere als in Deutschland?

Weiter heißt es bei Kersten/Rixen zu den Kritikern des Corona-Wahns,

„Niemandem kann z.B. verboten werden zu glauben, die Erde sei eine Scheibe. Allerdings gibt es keinen grundrechtlichen Anspruch darauf, dass Staat und Gesellschaft den eigenen, naturwissenschaftsskeptischen Blick auf die Welt zum allein maßgeblichen Blick erklären.“

Es gibt Schwerkraft und die Erde ist keine Scheibe. Welche molekularbiologische Theorie oder Hypothese wäre damit bewiesen?  Oder soll man es so lesen, dass sich der Kenntnisstand in der Virologie auf dem Stand der Wissenschaft im antiken Griechenland befindet, als Aristoteles beobachtete, dass die Erde einen kreisförmigen Schatten auf den Mond wirft und daraus schloß, dass die Erde eine Kugel sei?

Dass es berechtigte, sogar zwingende Kritik z.B. an der Maskenpflicht oder an den neuartigen Impfstoffen gibt, ist in der Welt der Herren Kersten und Rixen schlicht nicht vorstellbar. Sie teilen diese augenscheinliche Unfähigkeit mit dem größeren Teil der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.

Auf diesem Niveau ist jede inhaltliche Diskussion von vornherein ausgeschlossen. Und das ist wohl auch der tatsächliche Zweck dieser Diffamierung. Die Verweigerung der inhaltlichen Auseinandersetzung ist das Machtinstrument. Es kann(!) nichts Vernünftiges gegen eine Maskenflicht gesagt werden, so der Trick, deshalb muß dazu auch nicht gesprochen werden. Die Verabsolutierung einzelner Wahrheiten und die Verweigerung der Diskussion dazu ist der Kern dieses diktatorischen Gedankengutes.

Wenn man den Sachverhalt auf der Ebene von „die Erde ist keine Scheibe“ oder „es gibt Schwerkraft“ beschreibt, dann macht eine juristische Bewertung des Sachverhaltes gar keinen Sinn. Es ist in höchstem Maße erstaunlich, dass deutschen Vorzeige-Staatsrechtlern dies nicht auffällt.

Die weiteren Ausführungen von Kersten/Rixen zur „Impfverweigerung“ hängen so, wie schon die einleitende „naturwissenschaftliche Wirklichkeitskonstruktion“ des Grundgesetzes vollkommen in der Luft. Denn die ernsthafte Überprüfung dieser Wirklichkeitskonstruktion wird verweigert.

Fragen, z.B. nach der Sicherheit der Impfstoffe, werden von den beiden Juristen, trotz „vorher undenkbarer“ Teleskopverfahren bei der Zulassung, zur „Identitätsfrage“ erklärt, bei der sich eine unsachliche und irrationale Minderheit der „Vernunft der Mehrheit“ verschließt. Vgl. ebenda,

„Es geht um eine Identitätsfrage, die das Selbstverständnis der Person in einem politischen Gemeinwesen fundamental berührt. Ein um die Menschenrechte – die im Kern Minderheitenschutz sind – angeordneter Verfassungsstaat muss sich zu dem Faktum verhalten, dass es Minderheiten gibt, die sich der Vernunft der Mehrheit verschließen, und zwar auch bei Gesundheitsfragen.“

Die Mehrheit, zu der zufällig die Herren Kersten und Rixen gehören, ist vernünftig, und für die unvernünftige Minderheit bedarf es keines Minderheitenschutzes, denn wenn sie „vernünftig“ wäre, wäre sie nicht die Minderheit. Es ist bemerkenswert mit welch Simpelton-Argumenten die deutsche Juristenelite aufwartet.

Hier zeichnet sich eine Zwei-Klassen-Gesellschaft ab, die sich in „Vernünftige“ und „Unvernünftige“ teilt, was nicht zu diskutieren ist, denn mit „Unvernünftigen“ kann man nicht reden. Gerade vor dem Hintergrund der jüngeren deutschen Geschichte mahnen solche Einteilungen zu äußerster Vorsicht.

Es ist noch nicht so lange her, dass deutsche Staatsanwälte für den Diebstahl von zwei Scheiben Brot die Todesstrafe gefordert und auch bekommen haben, teilweise in der von der Staatsanwaltschaft dazu eingelegten Revision.

Wie weit sind einzelne Mitglieder der deutschen Juristerei von den Kommentatoren der Nürnberger Rassegesetze entfernt? Hat man seinerzeit den Kritikern der Nürnberger Rassegesetze vorgeworfen, die Erde für eine Scheibe zu halten und die Wissenschaft des Instituts für Rassekunde der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zu leugnen? Waren diese Kritiker Rassegesetz-Leugner?

Wer fühlt sich bei einigen juristischen Ausführungen aus den letzten 3 Jahren nicht an Karl Larenz erinnert, der dem Nicht-Deutschen die Rechtsfähigkeit absprach?

„Larenz befürwortete die umfassende Einflussnahme der Staatsführung auf privatrechtliche Vereinbarungen. Bezeichnend in diesem Sinne ist seine Neudefinition der Rechtsfähigkeit: „Rechtsgenosse ist nur, wer Volksgenosse ist; Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist. Dieser Satz könnte an Stelle des die Rechtsfähigkeit ‚jedes Menschen‘ aussprechenden § 1 BGB an die Spitze unserer Rechtsordnung gestellt werden.“

Wie übersetzt man das in juristischen Neusprech, „Rechtsgenosse ist nur, wer geimpften Blutes ist“?

Tribute to White Power

Nicht nur Kersten und Rixen ziehen extremste Positionen, z.B. die Erde sei eine Scheibe oder es gäbe keine Schwerkraft, heran, um einen Kontext zu schaffen, der valide Argumente diskreditiert. Das ist analog dem Vorgehen von Spiegel TV, die seit 3 Jahren in kurzen Ausschnitten scheinbare Sonderlinge auf Demonstrationen zeigen, um implizit den Teilnehmern der Demonstration den Status von Sonderlingen und Aluhutträgern zuschreiben zu können.

Es fehlt nicht nur an jeder Bereitschaft, sich ernsthaft mit den vielen offenen Fragen der Virologie auseinanderzusetzen. Es ist auch die Frage zu beantworten, wo sich diese Zurschaustellung von Menschen von der fürchterlichen Propaganda zur „Gefährdung der Volksgesundheit“ in der jüngeren deutschen Geschichte unterscheidet?

Sollte man Kersten, Rixen und den viele andere Infektionsschutzrechtsexperten ihren Tunnelblick auf die Wissenschaft nachsehen, weil sie ihr Unwissen nicht zu vertreten haben? Auch wenn es naiv anmutet, zu unterstellen, man könne die 10 – 15 Jahre Entwicklungszeit für Impfstoffe ohne weiteres auf 6 Monate teleskopieren, oder die Maskenpflicht hätte selektiv zum Ausfall nur der Grippewellen geführt. Die hier gestellten Fragen existieren in der Welt der meisten Juristen nicht. Sie leben in einem „naturwissenschaftlichen Wirklichkeitskonstrukt“, in dem die Wissenschaft alles weiß und sich daher jede kritische Frage verbietet. Sie können, genau wie die deutsche ordentliche Gerichtsbarkeit das nicht erkennen, was es in ihrer Welt nicht gibt. Die „maßgeblichen Personen“ der Leopoldina, siehe oben, haben doch gesagt, dass alles richtig ist.

Aber, die selektive Wahrnehmung in diesen Kreisen umfasst bemerkenswerterweise nicht nur naturwissenschaftliche Fragen, sondern auch Fragen der Rechtswissenschaft, die um einige dieser Fragen einen allzu offensichtlichen Bogen macht.

So stellt in einem Buch zum Infektionsschutzrecht, an dem Herr Rixen mitgearbeitet hat, ein illustrer Kreis von mutmaßlich Rechtskundigen zwar fest, dass die Bundesregierung schon im April 2020 das Haftungsrisiko der Impfstoffhersteller per Rechtsverordnung verringert hat, siehe,

  • Kluckert (Hrsg.), „Das neue Infektionsschutzrecht“, Nomos, 2. Auflage. 2021

Und dort,  §7 Medizinprodukte und die epidemische Lage von nationaler Tragweite Rn. 51

„Eine erste Maßnahme ist auf Grundlage von § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 lit. a und lit. b IfSG bereits getroffen worden: Das BMG erließ am 8.4.2020 die „Verordnung zur Beschaffung von Medizinprodukten und persönlicher Schutzausrüstung bei der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie.“ Durch diese Verordnung befreite die Bundesregierung deutsche Unternehmen, die auf internationalen Märkten tätig sind und als Vertragspartner der Bundesregierung die aktuell dringend benötigte persönliche Schutzausrüstung und Medizinprodukte beschaffen, von dem damit normalerweise verbundenen Haftungsrisiko.“

Aber niemand aus dem Kreis dieser Rechtsexperten, unter anderem Rechtsanwälte des Deutschen Hausärzteverbandes und des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI), kann die Frage beantworten, warum eine Verminderung des Haftungsrisikos die Versorgung mit Arzneimitteln sicherstellt?

Was ist denn hier die innere Logik? Es soll schnell gehen, deshalb kann es Probleme geben. Wenn es aber Probleme gibt, dann wollen wir keine Haftung haben?

Es ist sehr plausibel, gerade im Hinblick auf die normalerweise 10 -15 Jahre Entwicklungszeit für Impfstoffe, die man in 6 Monate „teleskopiert“ hat, dass man sich der Risiken bewußt gewesen ist und gerade deshalb das Haftungsrisiko der Hersteller vermindert hat. An dem Risiko des Bürgers, schwere Impfnebenwirkungen zu erleiden, hat das nichts geändert.

Der illustre Kreis von Infektionsschutzrechtexperten umfasst neben Prof. Dr. Sebastian Kluckert von der Universität Wuppertal,

Dr. Peter Bachmann, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, München

Nicole Böck, Rechtsanwältin, München

Andreas Fleischfresser, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht, Köln

Prof. Dr. Ulrich M. Gassner, Mag. rer. publ., M. Jur., Universität Augsburg

Dr. Kerstin Sabina Heidenreich, GKV-Spitzenverband, Berlin

Prof. Dr. Marcel Kau, LL.M., Universität Konstanz

Dr. Martin Krasney, Rechtsanwalt, GKV-Spitzenverband, Berlin

Dr. Felix Lubrich, GKV-Spitzenverband, Berlin

Dr. Klaus Ritgen, Deutscher Landkreistag, Berlin

Prof. Dr. Stephan Rixen, Universität Bayreuth

Dr. Joachim Rung, Rechtsanwalt, München

Prof. Dr. Nils Schaks, Universität Mannheim

Dr. Marc Schüffner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Berlin

Joachim Schütz, Deutscher Hausärzteverband, Köln

Prof. Dr. Felipe Temming, LL.M., Universität Hannover

Prof. Dr. Michael Tsambikakis, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht und Fachanwalt für Medizinrecht, Köln

Ulf Zumdick, Rechtsanwalt, Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) e.V., Berlin.

Wenn die neuen, „vorher undenkbaren“ Zulassungsverfahren doch sicher waren, wie das PEI versprochen hat, was hatten die Hersteller dann zu befürchten? Warum sollte dann ein über das normale Maß hinausgehendes Haftungsrisiko bestanden haben?

Die Mehrheit der deutschen Rechtstechniker verschließt sich weiterhin der ganz zentralen Frage, wie eine Verminderung des Haftungsrisikos (u.a. durch Aufhebung der Beweislastumkehr des §84 Abs. 2 S. 1 AMG)  zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung beiträgt? Kein einziger der deutschen Vorzeige-Staatsrechtler hat sich bislang öffentlich dieser Frage gestellt.

Und diese Leute wollen den Bürger belehren, was der Stand der Wissenschaft sei? Indem die entscheidenden Fragestellungen ausgespart werden?

In der irrigen und verqueren Welt von Kersten, Rixen & Co bilden die Grundrechte nicht mehr die Grenzmarken innerhalb derer sich die Staatsgewalt bewegen darf. Sondern, es ist die Staatsgewalt, die die Grundrechte nach Bedarf „operationalisiert“. Vgl. Kersten/Rixen (2022),

 „Hierin zeigt sich ein spezifisch juristischer Umgang mit Grundrechten, ein spezifisch juristischer Denkstil der Operationalisierung, der prinzipienhaft-offen angelegte, ja bekenntnishaft-vage formulierte Grundrechtstexte in alltagstauglich-konkrete Handlungsdirektiven für den Staat umformuliert.“

Damit stellt man die Grundrechte effektiv zur Disposition, während man gleichzeitig jeden Kritiker der Exekutivorgane RKI und PEI als “unvernünftig“ diffamiert, und  dem Kritiker aufgrund seiner „Unvernunft“ den Minderheitenschutz abspricht.

Grundrechte werden bewußt vage gehalten, damit sie der Staat bedarfsgerecht operationalisieren kann. Ist die Aufhebung des §84 Arzneimittelgesetz (AMG) und damit der Wegfall der Beweislastumkehr für den Geschädigten zur Verminderung des Haftungsrisikos der Arzneimittelhersteller, eine solche Operationalisierung des Art 2. Abs. 2 Grundgesetz (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit)?

Gleichzeitig sprechen Kersten/Rixen erfahrenen Ärzte, Molekularbiologen, Epidemiologen und Statistikern die Kompetenz ab und degradieren nach wissenschaftliche Standards verfasste, aber eben der verordneten Einheitsmeinung widersprechende Untersuchungen zu Google-Recherchen und Facebook-Posts, vgl. ebenda,

„Eine Gesellschaft, die dem Grunde nach völlig zu Recht um die Idee der Selbstbestimmung zentriert ist, muss damit fertig werden, dass nicht wenige Menschen Selbstbestimmung als Lizenz zum rechtfertigungsfreien Eigensinn missverstehen. Sie halten deshalb ihre per Google-Recherche und Facebook-Posts gebildete Meinung für Fachkompetenz und wehren tatsächliche Fachkompetenz beleidigt als expertokratische Übergriffigkeit ab, […]“

Nachdem wir im Bundestag gelernt haben, dass es ein “vulgäres Verständnis von Freiheit“ gibt (Helge Lindh (SPD) am 26. Januar 2022 im Deutschen Bundestag), lernen wir jetzt, dass es sich bei dem grundgesetzlich verbürgten Recht auf Selbstbestimmung tatsächlich um „rechtfertigungsfreien Eigensinn“ handelt.

Kersten/Rixen betrachten ihre Ausführungen als gerechtfertigte Kritik. Und sie fühlen sich  mißverstanden, wenn ihr Diktum, was das „maßgebliche Wissen“ sei, als „Abwertung des Subjektes“ mißdeutet wird. Vgl. ebenda,

„Angetrieben von einer Art Recht auf epistemische Selbstbestimmung, […], verwandelt sich die wissenssoziologisch zentrale Frage, was warum maßgebliches Wissen ist, in ein Wertschätzungsproblem, denn die Ablehnung von Thesen, die mit gängigen Rationalitäts- und Realitätsvorstellungen nicht vereinbar sind, gilt schnell als Abwertung des Subjekts, das sie vertritt.“

Ja, liebe Kritiker, ihr habt alle keine Ahnung, aber nein, nehmt das doch bitte nicht persönlich. Eure Beiträge kollidieren leider mit „gängigen Rationalitäts- und Realitätsvorstellungen“ und wir, die Profis, erklären auch, was die Realität ist. Die schweren Impfschäden, bis zum Tod, über die sogar im ÖRR berichtet wurde, sind wohl nicht Teil dieser „gängigen Rationalitäts- und Realitätsvorstellungen“.

Den Kritikern werfen Kersten/Rixen vor, dass sie lediglich den „Sound akademischer Kritik“ imitierten.

„Aber der kritische Gehalt von Äußerungen, die sich in Verdächtigungen und Verschwörungen ergehen und dafür die subjektive Evidenz des völlig entsicherten Vorurteils genügen lassen, ist ersichtlich nur vorgeschoben. Wut, Hass und Ressentiment werden nicht dadurch satisfaktionsfähig, dass Wissenschaftler/innen sie im Sound akademischer Kritik präsentieren.“

Dabei zitieren sie Hannah Arendt für ihre Zwecke. Dem wohnt schon eine gewisse Perfidie inne.

Zwar haben Kersten/Rixen verstanden, wie der Mechanismus der „alternativlosen“ Politik auf Basis „wissenschaftlicher“ Mutmaßungen funktioniert. Aber sie übersehen, dass das nur deshalb möglich war, weil die Politik, medial verstärkt, jede Alternative ausgeblendet hat.

„Kritisch ist aber schon zu fragen, ob der politische Betrieb, der sich so sehr auf die naturwissenschaftliche Beratung bezogen hat, die Deutungsanfälligkeit vieler (natur)wissenschaftlicher Thesen womöglich aus taktischen Gründen zu sehr nach dem Motto vereinfacht hat „Die Wissenschaft hat festgestellt“ (neudeutsch: „follow the science“), um die eigenen politischen Wertungen als alternativlosen Sachzwang auszugeben.“

Charleroi - station Janson - Les psy - 01.jpg

Auch aufgrund von Pseudo-Argumenten wie die von Kersten/Rixen waren die deutschen Gerichte bislang nicht in der Lage, der Ausblendung von Alternativen, wie z.B. des schwedischen Weges, durch die Exekutive Paroli zu bieten. Im Gegenteil, die Judikative gefällt sich als verlängerte Werkbank der Exekutive. Zu groß scheint die Angst, die sorgsam gepflegten „Wirklichkeitskonstruktionen“ zu beschädigen. Was bliebe denn noch übrig, wenn man den Anmaßungen der Leopoldina nicht mehr glauben kann?

Das irrige Gedankengut à la Kersten/Rixen gedeiht im Schatten einer unterstellten Mehrheit. Tatsächlich schlägt man sich auf die Seite der Mächtigen, anstatt die grundgesetzlich garantierte Wissenschaftsfreiheit dafür zu nutzen, das Tun der Mächtigen zu hinterfragen.

Dabei übersehen Fachfremde wie Kersten und Rixen, dass es in der Virologie vor allem um eine Verwaltung des Nicht-Wissens geht. Bis heute kann man nicht einmal zwischen einem Laborunfall und einer Zoonose in Wuhan unterscheiden (soweit man einen Laborunfall für plausibel hält). Hängt man der Zoonose-Hypothese an, wie Herr Drosten, so weiß man bis heute nicht, ob es der Marderhund, das Gürteltier oder eine Fledermaus war. Genauso wenig können die Virologen für die vorangegangenen, mutmaßlichen Pandemien durch unterstellte, neuartige Erreger aus einer Zoonose, wie MERS, SARS(1), diverse Scheine- und Vogelgrippen, BSE oder die inzwischen wieder verschwundenen Affenpocken, explizite Beweise für eine Zoonose liefern. Es bleibt weiterhin bei der unbewiesenen Hypothese.

Um dieses Unvermögen der Virologie denken Kersten und Rixen herum und blenden es aus. Denn wenn die verabsolutierten Wahrheiten der Virologie fallen, bleibt von der naturwissenschaftlichen Wirklichkeitskonstruktion der Herren Kersten und Rixen nichts mehr übrig.

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Grafikquellen          :

Oben     —     Eine grafische Darstellung von Lock-down während Covid-19

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2.) von Oben         —   Aufkleber eines Impfkritikers an einer Müllbox in Heikendorf.

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European Health Data Space

Erstellt von DL-Redaktion am 14. März 2023

Ein Datenraum voller Ungereimtheiten

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Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Von         :       

Rezepte EU-weit einlösen, mehr Daten für die medizinische Forschung: Das und noch viel mehr soll der Europäische Gesundheitsdatenraum bringen. Aber es gibt da noch viele offene Fragen, findet Bianca Kastl.

Ab und zu finde ich mich deutsche Digitalisierungskartoffel in Diskussionen wieder, in denen geradezu sehnsüchtig gelungene Digitalvorhaben anderer Länder angehimmelt werden. So eine Patientenakte wie in Estland oder Finnland, das wär doch was, oder? Und als Silberstreif am Horizont so ein großer gemeinsamer Europäischer Gesundheitsdatenraum, der EHDS.

All das wird nur Wunschdenken bleiben, wenn wir nicht die vielen Ungereimtheiten auflösen, die darunter verborgen sind.

Die Pandemie-Phrase

Des Weiteren hat die COVID‑19-Pandemie noch stärker gezeigt, wie wichtig elektronische Gesundheitsdaten für die Entwicklung von Strategien zur Bewältigung von Gesundheitskrisen sind.

Dieser Satz steht in der Präambel des ersten Vorschlags der Europäischen Kommission zum Europäischen Raum für Gesundheitsdaten. Worum geht es da und ist das alles so in sich stimmig?

Der EHDS ist erst einmal vordergründig eine rechtliche Initiative, die europaweit Gesundheitsdaten und Leistungen digital harmonisieren soll.

Die Forderung nach Harmonisierung ist im Kern nicht schlecht. Elektronische Rezepte, die europaweit funktionieren, sind durchaus hilfreich. Wenn Gesundheitsdaten aus Spanien deutschen Ärzt*innen besser nicht mehr spanisch vorkommen und nach internationalen Standards auswertbar sind, ist das auch durchaus hilfreich.

Nun steht im Entwurf zum EHDS aber nicht nur der Wunsch nach stärkerer Interoperabilität und Standardisierung, sondern es geht auch ganz klar um einfacheren Zugang zu Daten. Dabei geht es nicht nur um den sogenannten „primary use“, sondern es gibt noch einen „secondary use“ – also eine Verwendung von Gesundheitsdaten über den eigentlich Primärzweck der Behandlung und Versorgung hinaus. Das kann für die Forschung sein, aber auch zu kommerziellen Zwecken, sofern dies in die möglichen zugelassenen Formen der Datennutzung passt.

Da der EHDS europaweit gedacht ist, ist das Ziel auch ganz klar die Schaffung eines einzigen großen Datenraums im Sinne eines europäischen digitalen Binnenmarktes, des sogenannten Digital Single Market.

Probleme im Schlepptau

Die erste Fassung des EHDS-Vorschlags war – gelinde gesagt – nicht so wirklich auf die Rechte der betroffenen Personen ausgerichtet.

Für die Zweitnutzung gab es im ersten Entwurf keinerlei Widerspruchsmöglichkeit. Also gar keine. Aktuell bewegt sich die Diskussion zwar in diese Richtung, es ist aber noch in Verhandlung, ob als Opt-Out oder Opt-In. Also ob die Betroffenen der Nutzung aktiv widersprechen oder ob sie explizit einwilligen müssen, bevor ihre Daten verwendet werden.

Der Witz an der Sache von Seiten der medizinischen Leistungserbringer ist auch, dass der Entwurf darauf abzielt, dass sogenannte Dateninhaber („Data Holders“) Gesundheitsdaten auch bereitstellen müssen, zumindest ab einer bestimmten Größe. Darunter fallen quasi alle Kliniken.

Nun ist die Forschung an Daten auf verschiedenen Wegen vorstellbar. Idealerweise wäre Forschung mit komplett anonymisierten Daten möglich. Das geht aber leider gar nicht mal so häufig, weil manche Datenpunkte, speziell mehrere miteinander kombinierte, eine so individuelle „Daten-Signatur“ haben, dass Personen auch anhand der Datenpunkte allein wieder eindeutig identifiziert werden können.

Je seltener bestimmte Werte innerhalb eines Datensets vorkommen, desto schneller lässt sich eine Person einwandfrei auch aus dann pseudonymen Daten wiedererkennen.
Menschen mit einer seltenen Erkrankung – manche davon kommen im Bereich von 1:1.000.000 vor – und einer bestimmten Blutgruppe gibt es in der Kombination in ganz Deutschland oder Europa gar nicht mal so viele.

Das Problem ist so ähnlich wie bei der Nutzung der Abrechnungsdaten von gesetzlichen Krankenkassen. Dort ruht in Deutschland gerade das Verfahren der Gesellschaft für Freiheitsrechte gegen eine solche Verarbeitung ohne Widerspruchsmöglichkeit – zufriedenstellend gelöst ist das Problem aber noch nicht. Mit dem EHDS könnte das Problem sogar wiederkommen.

Breite Definition von Gesundheitsdaten

Was genau im Sinne des EHDS unter den Begriff Gesundheitsdaten fällt, ist aktuell sehr weit auslegbar. In der ersten Fassung stehen da etwa auch „Wellness-Anwendungen“, deren Daten verfügbar gemacht werden sollen. Oder um es mit den Worten des Netzwerk Datenschutzexpertise zu sagen: „Man kann den Eindruck haben, dass alle Daten, die auch im entferntesten einen Gesundheitsbezug haben, von der Bereitstellungpflicht erfasst sein sollen“.

Neben der sehr großzügigen Definition der Daten selbst, ist auch die erste Definition von Zwecken, zu denen diese Daten genutzt werden können, sagen wir mal, bei kreativer Anwendung für so ziemlich alles anwendbar.

Unter „Training, Erprobung und Bewertung von Algorithmen, auch in Medizinprodukten, KI-Systemen und digitalen Gesundheitsanwendungen, die zur öffentlichen Gesundheit oder sozialen Sicherheit beitragen“ lässt sich dann doch einiges unterbringen. Wenn zwar das „Treffen von Entscheidungen zum Schaden einer natürlichen Person“ verboten ist, stellt sich die Frage, ob das vielleicht vorher erst durch Bewertung von Algorithmen herausgefunden werden müsste.

Da ist also rechtlich noch einiges klar zu fassen und genauer zu definieren. Inklusive der zentralen Frage, inwieweit sich Forschung im Sinne der Allgemeinheit an Daten klar trennen lässt von kommerziellen Interessen.

Die Forderungen des Handelsverbands der Medizintechnikindustrie etwa, Handelsgeheimnisse und geistiges Eigentum durch den EHDS nicht zu gefährden, lassen doch auch eher auf starke kommerzielle Interessen schließen.

Erschwerend dazu kommt, dass der EHDS nach Plan Mitte 2023 verabschiedet werden sollte. Mit der Zielsetzung, dass die Mitgliedstaaten 2025 diesem Datenraum quasi beitreten sollen, wird das aus rein technischer Sicht selbst für digital weiter entwickelte Länder nicht unbedingt einfach. Die Aussichten, dass das alles in Deutschland funktioniert, stehen damit nicht unbedingt gut.

Viele schlecht umgesetzte EU-Initiativen auf einmal

Obwohl der EHDS und seine rechtlichen Grundlagen uns alle in Europa betreffen, bleibt das Thema aktuell noch etwas arg unter dem Radar. Der EHDS ist als Vorschlag digitalpolitisch leider etwas neben den Themenfeldern Chatkontrolle und digitale Identitäten untergegangen. Wenn es digitalpolitisch überall brennt, ist es schwer, alles gleichzeitig zu löschen.

Wer sich aus zivilgesellschaftlicher Sicht auf EU-Ebene mehr mit dem EHDS beschäftigen möchte, dem sei das Positionspapier von EDRi empfohlen.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

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Grafikquelle :

Oben     —   Coronavirus-Pandemie 2019/20 in Busan

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Wer bemerkt denn so was?

Erstellt von DL-Redaktion am 13. März 2023

Covid-Impfstoffe: Das 32 Milliarden-Dollar-Geschenk

Wer- in der Politik kann schon ohne Geschenke leben ?

Quelle      :        INFOsperber CH.

Martina Frei /   

Entwicklungskosten von der Öffentlichkeit bezahlen lassen, Gewinne privatisieren – so gehen grosse Pharmafirmen vor.

Die Pharmafirmen Moderna und Pfizer haben mit ihren Covid-Impfstoffen bisher über 100 Milliarden Dollar eingenommen. Das ist 20-mal mehr als das Budget der Weltgesundheitsorganisation für die zwei Jahre 2020 und 2021. Und obwohl die Herstellung einer mRNA-Covid-Impfdosis nur etwa einen bis drei Dollar koste, hätten beide Pharmafirmen angekündigt, dass sie in den USA dieses Jahr 110 Dollar pro Dosis verlangen wollen.

Auf diese Diskrepanzen weist der Editorialist Victor Roy in der britischen Ärztezeitung «BMJ» hin. Anlass für seinen Artikel ist eine Recherche von US-Medizinern um den bekannten Pharmakologen Aaron Kesselheim im «BMJ». Sie ermittelten, wie viel Geld die öffentliche Hand in den USA in die Entwicklung der mRNA-Impfungen steckte: Mindestens 31’912’100’000 Dollar.

Risiko für die Firmen erheblich abgefedert

Während der Pandemie investierten die «National Institutes of Health», das US-Verteidigungsministerium und die «Biomedical Advanced Research and Development Authority» mindestens 2,366 Milliarden an Forschungsgeldern. Zudem leisteten sie 29,2 Milliarden Dollar an Garantiezahlungen für die (zu entwickelnden) Impfstoffe. Moderna und Pfizer erhielten Zusagen, dass ihnen Millionen von Impfdosen abgekauft würden. Indem die US-Regierung klinische Versuche von Moderna finanzierte, Kaufzusagen für die Vakzinen in grossen Stil machte etc., habe sie das Risiko für die Hersteller bei der Entwicklung der Impfstoffe massgeblich «de-riskiert», schreiben Kesselheim und seine Kollegen.

Im Verlauf von 35 Jahren vor der Pandemie bezahlten die US-Bürgerinnen und-Bürger über die drei erwähnten Institutionen demnach zusammen rund 337 Millionen Dollar, um die RNA-Technologie auf den Weg zu bringen, zum Beispiel in die Forschung an Lipid-Nanopartikeln. Diese Schätzung sei bewusst vorsichtig, schreiben Kesselheim und seine Kollegen. Vermutlich seien indirekt zusätzliche 5,9 Milliarden Dollar an Forschungsgeldern geflossen.

Moderna erhielt über 18,1 Milliarden Dollar an öffentlichen Geldern, Pfizer/Biontech rund 13,1 Milliarden, ergab die Recherche weiter. Trotz dieser grosszügigen Förderung sperren sich die Firmen dagegen, die Rohdaten ihrer Studien offen zu legen.

Produktionskosten für eine mRNA-Impfdosis: Maximal drei Dollar

Die Produktionskosten für eine Impfdosis belaufen sich laut dem «BMJ» auf einen bis drei Dollar. Bezahlt hätten die USA an Pfizer/Biontech im Jahr 2020 jedoch 19,50 Dollar, im Jahr 2021 waren es 24 Dollar und im Jahr 2022 für den bivalenten Booster rund 30 Dollar. Moderna habe anfangs rund 15 Dollar pro Impfdosis erhalten, im Jahr 2022 dann rund 26 Dollar.

Die mRNA-Impfstoffe seien eine bemerkenswerte Errungenschaft, findet Victor Roy. Ihre Entwicklung sei aber auch ein warnendes Beispiel dafür, wie wie das Innovationsrisiko durch die Gemeinschaft getragen wurde, während der Löwenanteil des Gewinns privatisiert und an die Aktionäre ausbezahlt wurde.

Mit den Steuereinnahmen fand noch keine Regierung das rechte Maß!

Mehr für Dividenden ausgegeben als für die Entwicklung neuer Medikamente

Die hohen Medikamentenpreise «sind nicht durch die Ausgaben der Industrie für Forschung & Entwicklung zu rechtfertigen», stellen die Autoren einer Analyse im «BMJ» zu Arzneimitteln fest. Ihnen zufolge gaben die grossen Pharmafirmen in jedem Jahr von 1999 bis 2018 mehr fürs Marketing und fürs Verkaufen ihrer Produkte aus als für die Forschung und Entwicklung. Damit setzten sie einen Trend fort, der schon 1975 festgestellt wurde. 

Auch in die Rückkäufe ihrer eigenen Aktien hätten die meisten mehr investiert als in die Forschung und Entwicklung. Die 14 grössten Pharmafirmen wendeten für solche Rückkäufe und für die Zahlungen von Dividenden von 2016 bis 2020 etwa 577 Milliarden Dollar auf – 56 Milliarden mehr, als sie für die Forschung und Entwicklung neuer Wirkstoffe ausgaben. Die jährlichen Bezüge der Unternehmensleitungen seien in dieser Zeit um 14 Prozent gestiegen, berichtet das «BMJ». Dies vor dem Hintergrund, dass die meisten neu auf den Markt gekommenen Medikamente nur einen kleinen oder gar keinen Zusatznutzen gegenüber etablierten Wirkstoffen geboten hätten.

Einer anderen Analyse zufolge zahlten 18 grosse Pharmahersteller von 2006 bis 2015 ihren Aktionären mehr Dividenden aus, als sie in ihre Forschung investierten. Seit Jahrzehnten richteten Arzneimittelhersteller ihren Fokus darauf, den Aktienwert hochzutreiben, stellen die Autoren des Artikels im «BMJ» fest.

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Worst-Case-Szenarien II

Erstellt von DL-Redaktion am 10. März 2023

Über aufgeklärten Katastrophismus und Analphabet*innen der Angst

File:Schoolchildren examine replica of 'Fatman' atomic bomb at the Nagasaki Atomic Bomb Museum, Nagasaki, Japan.tif

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von       :        MAS

„Gewalt gegen Gewalt funktioniert nicht. Sie dürfen den Krieg gar nicht erst anfassen, denn er ist infektiös wie ein Virus.“ Alexander Kluge.

Vor zwei Jahren habe ich hier einen Artikel über das geleakte Strategiepapier des deutschen Innenministeriums veröffentlicht, in dem ich eine Parallele zum „catastrophisme éclairé“ von Jean-Pierre Dupuy zu entdecken meinte (1).Dieses interne Papier wurde von einem bislang anonym gebliebenen Expertenteam aus Virologen, Epidemiologen, Medizinern, Wirtschafts- und Politikwissenschaftlern mit dem Ziel erarbeitet, unterschiedliche Szenarien der Ausbreitung des Coronavirus zu analysieren, unabhängig von ihrer jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeit. Falls nichts unternommen werde, rechne man mit „über einer Millionen Toten im Jahr 2020 – für Deutschland allein.“ Insofern sei 1.) der „Worst Case (.) mit allen Folgen für die Bevölkerung in Deutschland unmissverständlich, entschlossen und transparent zu verdeutlichen“; 2.) die „Vermeidung des Worst Case (.) als zentrales politisches und gesellschaftliches Ziel zu definieren“; und 3.) den Bürger*innen klar zu machen, „dass folgende Massnahmen nur mit ihrer Mithilfe zu ihrem Wohl umgesetzt werden müssen und können.“ (2)Bei den Kritiker*innen war damals von Panikmache die Rede. Viele, auch ich, stiessen sich an der formulierten Absicht, mittels drastischer Schilderungen – von den Krankenhäusern abgewiesene Schwerkranke sterben „qualvoll um Luft ringend zu Hause“, Kinder bringen ihre Eltern ins Lebensgefahr, „weil sie z.B. vergessen haben, sich nach dem Spielen die Hände zu waschen“ usw. – eine „Schockwirkung“ (3) erzielen zu wollen, um Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung für die ergriffenen Massnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehen herzustellen.

Der aufgeklärte Katastrophismus im Sinne Dupuys besteht genau in dieser Schockwirkung, in einem negativen Gesellschaftsentwurf, „der die Form eines fixen Zukunftsbilds annimmt, das man nicht will“ (4). Dieser Entwurf muss katastrophal genug sein, um abstossend zu wirken, und glaubwürdig genug, um zum Handeln zu bewegen. Insofern muss die geringe Eintrittswahrscheinlichkeit einer Gefahr in eine Gewissheit verwandelt werden, man muss, wie Dupuy empfiehlt, vom schlimmsten Szenario ausgehen, „um den maximalen Schaden auf ein Minimum zu reduzieren“, damit das Unaufhaltsame nicht eintrifft. (5) Die Voraussage zeitigt selber Wirkung – jene nämlich, sich selbst zu dementieren.

Nehmen wir ein aktuelles Beispiel: Kürzlich wurde der Gesundheitsminister bei Lanz in die Mangel genommen, nach dem üblichen 4-gegen-1-Prinzip (den Moderator eingerechnet). Markus Grill warf Lauterbach vor, sich einer „Rhetorik der Angst“ bedient zu haben, als er etwa am 18. April 2021 folgenden Tweet postete:

„Es gibt jetzt die Möglichkeit, in den nächsten 6 Wochen noch einmal weit über 10.000 Menschen meist im Alter von 40-60 J zu retten, mit letztem strengen Lockdown. Oder sind wir dafür nicht bereit, weil uns die Einschränkungen 10.000 Tote nicht wert sind. Dann hätten wir versagt.“

Der Lockdown blieb aus. Nach sechs Wochen informierte sich der Chefreporter beim Robert-Koch-Institut: Es waren in Wirklichkeit „nur“ 700 Tote. Sein Fazit: „Ich finde es sowieso eine relativ schlechte Art (…) zu kommunizieren, ein Arzt nimmt Patienten eigentlich unbegründete Ängste. Und ich finde auch ein Politiker sollte nicht mit Ängsten operieren, die möglicherweise auf sehr wackligen Beinen stehen.“

Lauterbach verteidigte die Prognose, berief sich auf die ihm damals vorliegenden „hochkomplexen Modellrechnungen“ renommierter Wissenschaftler wie Michael Meyer-Hermann und Viola Priesemann, die – wie Grill sofort einwarf – „oft kolossal danebenlagen“.

So funktioniere Wissenschaft, entgegnete Lauterbach, und verwies später auf das „Präventionsparadox“. Gegenüber Heribert Prantl wurde er in seiner Verteidigung grundsätzlicher:

„Was ich wirklich ablehne und falsch finde, dass also eine Warnung vor dem, was wirklich stattfinden kann – schwere Erkrankung, Todesfolge, Long Covid usw. –, (…) dass man das im Nachhinein als eine Panikmache abtut“. (6)

Man kann Lauterbach vieles vorwerfen, – eines aber nicht: Die Pandemie wie Trump oder Bolsonaro bagatellisiert zu haben. Er wirkt tatsächlich ein wenig wie der Unglücksprophet aus Günther Anders Parabel „Die beweinte Zukunft“, an Noah, den einsamen Rufer in der Wüste, der für seine Botschaft auf die Zeitform der vollendeten Zukunft zurückgreifen musste.

Zunächst ist es natürlich richtig, dass die Datenlage bezüglich der getroffenen Corona-Massnahmen mangelhaft war. Der vom Bundestag beauftragte Bericht des Corona-Sachverständigenrates vom Juli 2022 hat längst bestätigt: „Insgesamt ist ein Zusammenhang zwischen der Höhe der Inzidenz und der Massnahmenstärke nicht erkennbar.“ (7)

Doch indem wir das wissenschaftliche Nichtwissen betonen, schreibt Jean-Pierre Dupuy (8), gerät die Katastrophe aus dem Blick und hält uns davon ab, verantwortlich zu handeln.Die grösste Schwierigkeit besteht in unserer Unfähigkeit zu glauben, dass der schlimmste Fall tatsächlich eintreten wird. Je grösser die Katastrophen erscheinen, für um so unwahrscheinlicher werden sie gehalten, bevor sie eintreten, doch um so selbstverständlicher erscheinen sie, sobald sie eingetreten sind – eine Erfahrung, auf die bereits Henri Bergson im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg hingewiesen hat.

„Trotz meines Schockes, und meines Glaubens, dass ein Krieg selbst im Fall eines Sieges eine Katastrophe wäre, fühlte ich (…) eine Art von Bewunderung für die Leichtigkeit, mit der der Wandel vom Abstrakten zum Konkreten vonstatten ging: Wer hätte gedacht, dass eine so ehrfurchtgebietende Möglichkeit mit so wenig Aufhebens in die Wirklichkeit eintreten würde? Dieser Eindruck von Einfachheit überwog alles.“ (9)

„Katastrophen zeichnen sich durch eine in einem gewissen Sinne inverse Zeit aus“, schlussfolgert Dupuy. „Als ein Ereignis, das aus dem Nichts hervorbricht, wird die Katastrophe möglich nur durch ihre „Selbstermöglichung“ (um einen Begriff Sartres zu verwenden, der in diesem Punkt ein Schüler Bergsons war). Und das ist genau die Quelle unseres Problems. Wenn man einer Katastrophe vorbeugen will, dann muss man an ihre Möglichkeit glauben, bevor sie eintritt. Wenn es andererseits gelingt ihr vorzubeugen, dann versetzt ihr Nichteintreten die Katastrophe ins Reich des Unmöglichen und die Vorsichtsmassnahmen werden im Nachhinein als sinnlos angesehen.“ (10)

Wer sich heute angesichts des Kriegs in der Ukraine vor einer möglichen Eskalationsdynamik fürchtet, die sich bis hin zum Einsatz taktischer Atomwaffen erstreckt, wird von Expert*innen dahingegen beruhigt, bloss einem Putinschen Narrativ aufzusitzen. Florence Gaub sagt etwa bei Maischberger:

„Ich tue mich ein bisschen schwer mit diesem Worst Case Szenario, was hier davongaloppiert mit uns. Wenn wir von Atomwaffen reden, reden wir immer über ein superhypothetisches Szenario. Sie sind nur einmal beziehungsweise zweimal, aber in ganz kurzer Zeit hintereinander, zum Einsatz gekommen. Die ganze Literatur zum Thema Abschreckung sagt, die Hauptfunktion ist, dass man damit drohen kann. Und das macht Putin die ganze Zeit. Und hier in Deutschland funktioniert das tatsächlich sehr gut.“ (11)

Es funktioniert sogar so gut, dass Prof. Dr. Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, den Deutschen eine psychische Krankheit namens „Eskalationsphobie“ attestieren zu müssen glaubt:

„Von aussen betrachtet, ist die Berliner Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine von einer Angst vor Eskalation beherrscht, die in kaum einem anderen Land des Westens in dieser Intensität so zu beobachten ist. Während in anderen Hauptstädten mehr und mehr überlegt wird, welche Waffensysteme die Ukrainer benötigen, um die nächste russische Offensive abzuwehren oder um die russischen Truppen gar aus dem Land zu vertreiben, dreht sich die deutsche Debatte in geradezu hektischer Weise darum, wie man jede Eskalation vermeiden kann, weil sonst der dritte Weltkrieg ausbricht. Dabei ist es Russland, das in der Ukraine eskaliert, weil es dort unbedingt gewinnen will. Und ohne Bereitschaft des Westens, diese Eskalation mit einer überlegten, stufenweisen Gegen-Eskalation zu beantworten, wird es keinen Frieden in der Ukraine geben.“ (12)

Das ist ein klarer Fall von „Apokalypse-Blindheit“ (Günther Anders). Was kann man diesen – nochmals Günther Anders – „Analphabeten der Angst“ entgegnen?

Sich vor allem nicht so sicher zu sein, was Putin nun will oder nicht will, was er letztlich tun oder nicht tun wird. Wir wissen nicht, ab wann für ihn die rote Linie überschritten sein wird, welche „Gegen-Eskalation“, ob dies nun Panzer- oder Kampfjetlieferungen an die Ukraine sind, zum Einsatz taktischer Atomwaffen führen könnte. Dieses Wissen ist keinem Standardwerk über den Kalten Krieg oder Modellrechnungen atomarer Bedrohungsszenarien zu entnehmen. Es aufgrund dieser Ungewissheit einfach darauf ankommen zu lassen, wäre fatal; dann verhielte man sich in der Tat so, „als ob die Katastrophe selbst die einzige faktische Grundlage dafür bilden würde, die Katastrophe prognostizieren zu können.“ (13)

Folglich muss diese prinzipielle Ungewissheit – das ist das „Aufgeklärte“ an Dupuys Katastrophismus – in eine Gewissheit verwandelt und vom schlimmsten anzunehmenden Fall ausgegangen werden, um diesen verhindern zu können.

Ansonsten wird es übermorgen zu spät sein.

Fussnoten:

(1) „Worst-Case-Szenarien“ 07.02.2021: https://www.xn--untergrund-blttle-2qb.ch/gesellschaft/coronavirus-worst-case-szenarien-6245.html

(2) https://fragdenstaat.de/dokumente/4123-wie-wir-covid-19-unter-kontrolle-bekommen/, S.1.

(3) https://fragdenstaat.de/dokumente/4123-wie-wir-covid-19-unter-kontrolle-bekommen/, S. 13.

(4) Dupuy zit. Walter Francois: Katastrophen: eine Kulturgeschichte vom 16. bis ins 21. Jahrhundert. Reclam Verlag: Stuttgart 2010, S. 274f. Die beiden Werke von Jean-Pierre Dupuy, die sich diesem Thema widmen – Pour un catastrophisme éclairé. Quand l’impossible est certain, Seuil: Paris 2004 und Petite métaphysique des tsunamis, Seuil: Paris 2005 –, wurden noch nicht ins Deutsche übersetzt. Dupuy hat inzwischen über andere Katastrophen publiziert: La guerre qui ne peut pas avoir lieu: essai de métaphysique nucléaire, Desclée de Brouwer: Paris/Perpignan 2018 und La catastrophe ou la vie: pensées par temps de pandémie, Seuil: Paris 2021.

(5) Dupuy zit. n. Francois a.a.O., S. 274.

(6) Markus Lanz vom 9. Februar 2023. Zu Gast: Politiker Karl Lauterbach, Gesundheitsexperte Markus Grill, Ärztin Dr. Agnes Genewein und Journalist Heribert Prantl. ZDF-Mediathek: https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-9-februar-2023-100.html

(7) Evaluation der Rechtsgrundlagen und Massnahmen der Pandemiepolitik. Bericht des Sachverständigenausschusses nach § 5 Abs. 9 IFSG: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/S/Sachverstaendigenausschuss/220630_Evaluationsbericht_IFSG_NEU.pdf, S. 70.

(8) Vgl. Jean-Pierre Dupuy: „Aufgeklärte Unheilsprophezeiungen. Von der Ungewissheit zur Unbestimmbarkeit technischer Folgen“. In: Gerhard Gamm, Andreas Hetzel (Hg.): Unbestimmtheitssignaturen der Technik. Eine neue Deutung der technisierten Welt. Transcript Verlag: Bielefeld 2005, S. 81–102, hier: 93.

(9) Bergson zit. n. Dupuy a.a.O., S. 94.

(10) Dupuy a.a.O., S. 94f.

(11) Erich Vad und Florence Gaub: Wie der Ukraine-Krieg beendet werden könnte. 22.02.2023. ARD-Mediathek: https://www.ardmediathek.de/video/maischberger/erich-vad-und-florence-gaub-wie-der-ukraine-krieg-beendet-werden-koennte/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL21lbnNjaGVuIGJlaSBtYWlzY2hiZXJnZXIvMTRiZTE5MGUtMTk5Yy00YTM2LTllMjMtZjllZjQ2NzM1NzZh

(12) Joachim Krause. „Eskalationsphobie – eine deutsche Krankheit“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 7. Februar 2023.

(13) Dupuy a.a.O., S. 93.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

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Author OKJaguar         /        Source   :     Own work        /       Date     :      16. April   2019

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HIV-Virus wurde isoliert

Erstellt von DL-Redaktion am 7. März 2023

HIV-Infizierte werden immer noch diskriminiert

Human Immunodeficency Virus - stylized rendering.jpg

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von   :   Bernd Hontschik / 06

An einer deutschen Universität wurde ein HIV-positiver Student ausgeschlossen, obwohl er nicht ansteckend ist.

Zuerst die gute Nachricht, sie stammt vom Februar diesen Jahres: In Düsseldorf konnte ein HIV-positiver Patient geheilt werden! Bei dem Patienten war 2011 eine akute myeloische Leukämie diagnostiziert worden, wes- wegen er sich zwei Jahre später einer Stammzelltransplantation unterziehen musste. Das Immunsystem des seit 2008 an AIDS erkrankten Patienten kann seitdem die HIV-Infektion ohne jede antivirale Therapie abwehren.

Das kam so: Jede Zelle verfügt über Eintrittspforten auf der Oberfläche ihrer Hülle. Das sind Proteine in der Membran, sogenannte Chemokinrezeptoren. Deren Konfiguration ist in der Erbsubstanz jeder Zelle festgelegt. Auch das HIV-Virus braucht einen Chemokin-Rezeptor, um in die Wirtszellen einzudringen und diese zu infizieren. Für die Stammzelltransplantation des HIV- Patienten fand man nun einen Spender, bei dem das Gen für diesen speziellen Chemokin-Rezeptor in der Erbsubstanz fehlte. Das HIV-Virus wurde damit sozusagen ausgesperrt, eine Infektion war nach der gelungenen Stammzelltransplantation nicht mehr möglich. Auf die gleiche Weise sind zuvor bereits ein Patient in Berlin und ein Patient in London geheilt worden. Ob diese Methode für den breiten Einsatz bei HIV-Patient:innen geeignet sein wird, ist allerdings noch eine offene Frage, denn eine Stammzelltransplantation ist kein Spaziergang, und es gibt inzwischen auch einige Fälle, wo die Methode erfolglos eingesetzt worden ist.

Nun zur zweiten Meldung vom November letzten Jahres, die ich zunächst nur für einen schlechten Scherz gehalten habe: An der Philipps-Universität in Marburg ist im vergangenen Jahr ein Student der Zahnmedizin vom Studium ausgeschlossen worden, weil er HIV-positiv ist. Der junge Mann hatte bereits die ersten beiden theoretischen Studienabschnitte absolviert und sollte nun mit dem klinisch-praktischen Teil des Studiums beginnen. Bei der routinemässigen arbeitsmedizinischen Untersuchung vor diesem Studienabschnitt stimmte er einem HIV-Test zu. Er wusste schon seit 2012 von seiner Infektion und hatte seine Viruslast medikamentös und auf Dauer unter den Grenzwert von 200 Viruskopien pro Milliliter Blut senken können. Damit galt er nicht mehr als infektiös. Er fiel also aus allen Wolken, als ihm die Universität mitteilte, dass er nunmehr vom Studium ausgeschlossen werden müsse. Es bestünde ein Verletzungsrisiko, mit dem er Patient:innen und Mitstudierende in Gefahr bringen könne.

Mit einem Gutachten eines führenden HIV-Wissenschaftlers konnte er den Prozess vor dem Verwaltungsgericht Giessen gewinnen, aber der Hessische Verwaltungsgerichtshof gab in zweiter Instanz der Universität recht. Erinnerungen an den früheren bayerischen Innenstaatssekretär Peter Gauweiler («Das sind halt Aussätzige») und den jungen Abgeordneten Horst Seehofer werden wach, die vor vierzig Jahren Zwangstests für Homosexuelle forderten und Infizierte in bewachten «Heimen» oder gleich auf einer Insel isolieren wollten, oder auch an den ehemaligen bayerischen Kultusminister Hans Zehetmair (auch CSU), für den Homosexualität in den «Randbereich der Entartung» gehörte, nicht nur «contra naturam, sondern auch contra deum». Fast vierzig Jahre danach haben Mittelalter und Schwulenfeindlichkeit anscheinend nicht nur von der Marburger Universität, sondern auch von der hessischen Justiz erneut Besitz ergriffen. Es ist diese Gleichzeitigkeit von tiefem Mittelalter und futuristischer High-Tech-Medizin, die sprachlos macht.

Diese Kolumne widme ich dem Arzt und Sexualwissenschaftler Professor Volkmar Sigusch, der am 7. Februar im Alter von 83 Jahren in Frankfurt am Main verstorben ist. In dem oben beschriebenen anfänglichen Umgang mit AIDS sah Sigusch 1985 ein «neues Kapitel der Homosexuellenverfolgung». Im Deutschen Ärzteblatt schrieb er 1986: «Das Nachdenken über die kulturelle Indienstnahme einer Erkrankung, über Mechanismen einer Perversion kann die Medizin jedoch darin bestärken, nur die Krankheit und nicht ein ganzes Leben als Pathologie zu begreifen. Weder Ärzte noch Sexualforscher sind dazu da, die Strasse sauberzuhalten und die Widersprüche des modernen Lebens technisch zu frisieren.» Das gilt bis heute, das gilt immer, und dem ist nichts hinzuzufügen.

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Dieser Beitrag erschien am 4. März in der «Frankfurter Rundschau».

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Vom Pfuschen + Wegsehen

Erstellt von DL-Redaktion am 21. Februar 2023

Ein postideologischer Totalitarismus

Quelle     :      Streifzüge ORG. / Wien 

Von Tove Soiland

Zur politischen Immunisierung des Pandemieregimes. Zuweilen konnte man sich in den vergangenen zwei Jahren nur wundern, mit welcher Selbstverständlichkeit der Großteil der Linken davon überzeugt war, mit ihrer vorbehaltlosen Unterstützung der rigorosesten staatlichen Corona-Maßnahmen auf der politisch richtigen Seite zu stehen, auf der linken nämlich.

Man habe der Wissenschaft zu folgen, hieß es, es sei ein Gesundheitsnotstand, alles andere sei irrational. Als hätte es in Deutschland nie eine problematische Indienstnahme der Medizin gegeben, die sich in das Gewand von Wissenschaftlichkeit und Fortschritt kleidete – was uns eigentlich die politische Pflicht auferlegte, genau in diesem Feld besonders wachsam und vorsichtig zu sein. Doch die Mehrheit der Linken tut bis heute das Gegenteil: Wer berechtigte Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Maßnahmen äußert, deren Wirksamkeit nie evidenzbasiert untersucht wurde, wird kurzerhand in die rechte Ecke gestellt, das Gespräch verweigert; Rückfragen an die Zweckmäßigkeit von Massenimpfungen, ja, überhaupt die Frage, warum die Impfung der einzige Ausweg aus der Krise sein soll, wird mit dem Hinweis auf „die Wissenschaft“ als reaktionäre Anti-Fortschrittshaltung von rechten Esoterikern und Sozialdarwinisten abgetan – obwohl namhafte Wissenschaftler seit Beginn der Krise darauf hinwiesen, dass eine Impfung gegen Corona-Viren als Mittel der Immunisierung der Bevölkerung nicht funktionieren werde. Doch an einer ernsthaften wissenschaftlichen Auseinandersetzung scheint man merkwürdigerweise gerade im linken Lager bis heute nicht wirklich interessiert. Stattdessen ist man mit Worten rasch zur Hand und nimmt es mit der Logik nicht allzu genau: Wer angesichts des Corona-Regimes von Diktatur spricht, verharmlost wahre Diktaturen und ist damit ein Holocaust-Leugner. Eine Mutter, die ihr Kind nicht impfen lassen will, als Nazi zu beschimpfen, ist aber kein Problem und auch, dass damit die Frage des Antisemitismus völlig sachfremd instrumentalisiert wird. Hauptsache man wähnt die Moral auf seiner Seite. Jedenfalls beansprucht dieser linke Diskurs, in Sachen Schutz der Bevölkerung der einzig legitime Standpunkt zu sein und seine Vertreter sind überzeugt davon, mit dieser Haltung rechtes Gedankengut abzuwehren. Doch stimmt das? Und ist es tatsächlich so klar, wer hier letztendlich rechten Interessen dient?

Nur schon, dass diese Frage kaum zu stellen ist, geschweige denn irgendwo in linken Zusammenhängen in Ruhe diskutiert werden kann, muss aufhorchen lassen. Dabei gäbe es viele Fragen. Das Frappanteste ist, wie weitgehend sich die Linke seit Beginn der Corona-Krise aus ihren angestammten Kritikfeldern, allen voran der Kritik an den internationalen Organisationen der Globalisierung, verabschiedet hat, sodass man zuweilen den Eindruck bekommt, ihre Haltung sei nicht mehr von derjenigen des WEF und seines Begründers Klaus Schwab zu unterscheiden. Dass durch die Maßnahmen, nicht durch das Virus, weltweit mit 20 Millionen mehr Hungertoten zu rechnen ist, wie Oxfam schon im letzten Sommer warntei, dass die Impfallianz GAVI, von der auch die jetzige Impfkampagne ausgeht, in ihrer Vergangenheit immer wieder mit problematischen Impfaktionen Schlagzeilen machte – u.a., indem sie in Indien und Afrika Impfungen gleichzeitig mit der Massensterilisierung von Frauen verbanden und deshalb jahrelang in der Kritik von feministischen Organisationen stand; ja, dass ganz generell die von der WHO verordnete Corona-Politik, wie Toby Green in seinem Buch The corona consensus. The new politics of global inequality darlegt, global gesehen, zu einer massiven Verschärfung der eh schon skandalös grossen sozialen Ungleichheit führtii; dass all dies kein Thema für die Linke mehr sein soll, hat etwas Unfassbares. Weil es um den Schutz der Bevölkerung geht? Aber um was für einen Schutz kann es sich dabei handeln, wenn weltweit ein Großteil der Bevölkerung seiner Existenzgrundlage beraubt wird, wenn, wie die FAO berechnet, durch die Corona-Maßnahmen weltweit 70-161 Millionen mehr Menschen hungerniii, und, wie die UNO berechnet, 140 Millionen Kinder zusätzlich in Armut gestürzt werden?iv Um welches Leben also geht es, wenn von der „Rettung von Leben“ die Rede ist? Nur um weißes? Und ist das kein Rassismus? Und ist es sozialdarwinistisch oder gar rechts, solche Fragen zu stellen – und nicht vielmehr links?

Angesichts dieser weltweiten Umverteilung von unten nach oben lässt sich jedenfalls nicht sagen, dass die westlichen Staaten in ihrem Corona-Regime den Kapitalinteressen in die Quere gerieten. Ja, es ist umgekehrt nicht von der Hand zu weisen, dass viele der Maßnahmen – ob bewusst dafür eingesetzt oder nicht, sei einmal dahingestellt – der Durchsetzung eines neuen Akkumulationsregimes dienen. Umso erstaunlicher ist es, dass die gleichzeitig immer autoritärer werdende Staatsform kein Thema mehr sein soll. Denn dieses autoritäre Regime setzt etwas fort oder fügt sich jedenfalls problemlos darin ein, was schon seit längerem als autoritärer Neoliberalismus bezeichnet wird: Eine illiberale Version des Neoliberalismus (falls dies nicht überhaupt seine Grundform ist ist), die sehr gut, wenn nicht sogar noch besser ohne das auskommt, was wir gemeinhin als bürgerliche Freiheit bezeichnen. Der digitalisierte Mensch im Homeoffice, der sich von Amazon beliefern lässt und der gelernt hat, sein Dasein auf die warenförmige Befriedigung von Bedürfnissen zu reduzieren, in dieser digitalen Dystopie braucht es keine Sphäre des Politischen mehr, da Experten die Steuerung, die dann auch nicht mehr politisch sein wird, übernommen haben werden – auch die Steuerung des Fußvolkes von Heloten, die die materielle Basis dieser Dystopie bereitstellen. Wir sind immer noch im Kapitalismus und der Staat stellt sich immer noch, mit autoritären Mitteln, in dessen Dienst, aber sein Gesicht hat sich verändert.

Wir haben es so betrachtet mit dem – verwirrenden – Umstand zu tun, dass der Staat in seinem autoritären Charakter den Kapitalinteressen dient, womit er der Definition eines rechten autoritären Staates entspricht, ohne dass er es dabei nötig hat, auf das zurückzugreifen, was wir gemeinhin als rechte Ideologien bezeichnen: offene Rassismen, konservative Werthaltungen und ein Anti-Egalitarismus. Im Gegenteil: Dieser Staat kommt im Gewand der political correctness daher, seine Exponenten sind geschmeidig smart, nicht fanatisch polternd, und sie sprechen viel vom Guten für die Welt. Sie sprechen von Inklusion, auch wenn sie dabei einen Gutteil der Bevölkerung von fast allem, was an gesellschaftlichem Leben noch verblieben ist, ausschließen – und dies alles im Namen des Fortschritts. Dieser Staat – und dieser Kapitalismus – braucht die alten Insignien rechter Ideologien ganz einfach nicht mehr. Im Gegenteil: Ich meine, dass rechte Ideologien überhaupt disfunktional zu den Erfordernissen der heutigen Kapitalakkumulation geworden sind.

Wenn wir wie gebannt, und ich würde sagen mit einer guten Portion moralischer Selbstgerechtigkeit, auf die Szenen starren, die sich zuweilen am Rande der Corona-Maßnahmen-kritischen Demonstrationen abspielen, verpassen wir es, dieses Auseinandertreten von rechter Ideologie und rechtem Staat zu verstehen und die Gefahr wahrzunehmen, die von letzterem ausgeht: von einem Staat, der sich zunehmend in Richtung von etwas entwickelt, das ich in Anlehnung an den italienischen Psychoanalytiker Massimo Recalcati als postideologischen Totalitarismus bezeichnen möchte.

(Doch auch wenn wir eine Gefahr von rechts befürchten: Es ist absolut unverständlich, warum die Linke, die seit Anfang der Corona-Krise nichts Besseres zu tun weiß als mit dem moralischen Zeigefinger auf rechts zu zeigen, sich weigert anzuerkennen, dass die Politik der weltweiten Verelendung, die das Corona-Regime bedeutet und die die Linke offen mitträgt, der beste Nährboden für rechte Bewegungen ist, weil rechte Ideologien dort greifen, wo Menschen in eine ökonomisch ausweglosen Situation geraten sind. Es ist die Linke, die mit ihrer Haltung das Feld der berechtigten Kritik der Rechten überlassen hat, weil sie sich weigern, irgendetwas in Frage zu stellen, obwohl die Ungereimtheiten sich längst bis zum Himmel türmen. Sie sind verantwortlich für einen Zulauf nach rechts, wenn es ihn denn geben wird.

Doch die neue Gefahr wird nicht von dort, von rechts kommen. Sie scheint mir vielmehr in dieser neuen postideologischen Konstellation zu liegen: Vielleicht müssten wir uns an den Gedanken gewöhnen, dass der heutige Staat zwar autoritär ist, dass er mit diesem Autoritarismus dem Kapital dient und demnach der Definition eines rechten Totalitarismus entspricht, ohne dass er sich dabei klassisch rechtsextremer Ideologie bedient.)

Die hypermoderne Gesellschaft negiert den Mangel, um die totale Askese zu akzeptieren

Mit dem Begriff des Postideologischen verbindet die marxistische Lacan-Rezeption ganz allgemein jene „ideologische“ Konstellation, die der kapitalistischen Produktionsweise am adäquatesten ist. Dabei greifen diese Ansätze auf eine Feststellung Lacans zurück, dass der kapitalistischen Produktionsweise eine totalitäre Tendenz inhärent ist, deren Autoritarismus sich gerade nicht aus der Verpflichtung auf ein höheres Ideal, dem „ideellen“ Gehalt der deshalb so genannte Ideologie, herleitet, sondern umgekehrt aus dem Schwinden oder Bedeutungsverlust jeglichen Ideals. Dass der im Zuge des fortschreitenden Kapitalismus vorangetriebene Untergang der väterlichen Autorität ein Vakuum hinterließ, das in Gestalt des Führers von einer pervertierten Vater-Figur, dem Vater der Urhorde, wie Freud ihn nannte, wieder eingenommen werden konnte, dies ist eine These, die viele psychoanalytisch orientierte Zeitdiagnosen des Nationalsozialismus teilen. Auch Lacan steht in dieser Tradition, indem er bereits in seiner Dissertation von 1938 festhält, dass Freud nur deshalb die Rolle des Vaters ins Zentrum seines Denkens stellen konnte, weil dessen Bedeutung zu seiner Zeit bereits im Untergang begriffen war. Doch anders als die Theoretiker der vaterlosen Gesellschaft interessiert Lacan sich für den mit diesem Schwinden verbundenen Zusammenbruch der symbolischen Dimension. Es ist nicht länger der „Diskurs des Herrn“, also die traditionell ödipale Konstellation mit ihren Gesetzen und Verboten, auch nicht seine Pervertierung in Form eines Urvaters; es ist vielmehr die mit dem Schwinden des Namens des Vaters verbundene Aufhebung der „symbolischen Kastration“, die in Lacans Gegenwartsdiagnose eine Tendenz zum Totalitären aufweist. Denn das Schwinden der symbolischen Schranke lässt das Reale in den Vordergrund treten mit seinem Versprechen einer totalen Ermöglichung: dem uneingeschränkten, da nicht symbolisch vermittelten Zugangs zum Genießen, aber auch der totalen Administrier- und damit Optimierbarkeit des Lebens. Diese psychoanalytische Version der Biopolitik hebt ein totalitäres Moment hervor, das in der Auslöschung der Dimension des Subjektes liegt. Dies nicht so sehr deshalb, weil die Biopolitik in ihrem Allgemeinheitsanspruch das Individuum überrollt, sondern weil diese Ermöglichung in ihrer Ent-grenzung das Subjekt einem Zwang zur grenzenlosen Optimierung unterwirft, die seinem Begehren nach einer Dimension jenseits des reinen Lebens keine Rechnung trägt. Das Postideologische reduziert das Dasein auf die Immanenz des Lebens und entkleidet es so jeder transzendenten Dimension. In der Wüste des Realen sind wir zum Biotop geworden.

Erstaunlicherweise hat der italienische Psychoanalytiker Massimo Recalcati bereits vor fünfzehn Jahren in Anlehnung an Lacans Überlegungen die These aufgestellt, dass der postideologische Totalitarismus sein bevorzugtes Tätigkeitsfeld auf dem Gebiet der Gesundheit findet und er prägte dafür den Begriff des „hypermodernen Hygienismus“.v Recalcati verbindet damit eine Macht, die, von einem „hochspezialistierten Wissen“ angeleitet, die Führung des Lebens technisch-wissenschaftlichen Praktiken zugänglich machen will. Dabei greift diese „horizontale Regierung des Lebens“ nicht auf offene Formen von Gewalt zurück, sondern auf aseptische Evaluations- und Auswertungsverfahren. Sie hat nicht die Form repressiven Verbote, sondern „jene der fälschlicherweise als fortschrittlich verstandenen einer allgemeinen Quantifizierung des Lebens“. Dieser Drang zur Vermessung hat jedoch den fatalen Effekt, dass das Begehren verschwindet. Er vergisst die Dimension einer strukturellen Versehrtheit des Lebens und versucht stattdessen, „nach Maßgabe einer verrückten moralischen Pädagogik“, anzugeben, welches das richtige Verhältnis zum Glück ist. Diese in Recalcatis Worten „Ideologie des Wohlbefindens“, die uns auf das Prinzip des Guten verpflichtet und worin das „hygienische Ideal der Gesundheit“ das einzige noch verbleibende Ideal ist, lässt der „antihedonistischen Dimension“ des Begehrens, das nicht einfach nach dem reinen Wohlergehen strebt, keinen Raum. Denn es gibt kein richtiges Maß für das Begehren, es gibt, wie Recalcati festhält, „keine Möglichkeit anzugeben, was das richtige Verhältnis zum Realen wäre, was das allgemeingültige Maß für ‚Glück‘ wäre, weil das Glück nie nach einer vorgegebenen normativen Skala bewertet werden kann, die allgemein gültig wäre. Wenn dies geschieht – und es geschieht heute mittels einer propagandistisch verbreiteten Medikalisierung der Gesundheit –, so sind wir, wie Lacan stets betont, nur noch einen Schritt von jener ‚innerlichen Katastrophe‘ entfernt, die wir Totalitarismus nennen.“

Liest man Recalcatis Text vor dem Hintergrund der vergangen zwei Jahre, so muss es einem erscheinen, wie wenn er eine Dystopie vorweggenommen hat, die nun real geworden ist. Denn das Corona-Regime trägt alle Züge eines hypermodernen Hygienismus: Nicht nur ist hier das szientistische Wissen zu einem „unerhörten Imperativ des Guten“ geworden, der uns die Gesundheit als neue soziale Pflicht auferlegt; in seinem Rigorismus kann dieser Imperativ auch jederzeit in sein Gegenteil kippen: in ein technokratisch-aseptisches Verständnis von Gesundheit, das uns krank macht.vi Die erbarmungslose Akribie, mit der die Gesundheit verfolgt wird, gleicht in dieser Janusköpfigkeit einem profanen Glauben an das Leben, der trotz seines Glaubenscharakters sich von jeglicher Transzendenz entbindet. Was wir hier vor uns haben, ist jene von Lacan beschriebene grausame Dimension des Über-Ichs, das in seiner puristischen Verfolgung des moralisch Richtigen an ein obszönes Genießen stößt: Die Verzichtsleistung, die das Über-Ich fordert, wird in ihrer Absolutheit ihrerseits triebhaft. Genau dieser Kollaps von Genießen und Askese ist aber der für Lacan problematische Effekt des Untergangs des Symbolischen überhaupt. Und so muss man sich fragen, ob die Corona-Maßnahmen in ihrer Rigidität und Maßlosigkeit nicht Ausdruck davon sind, dass das im Symbolischen verworfene Gesetz nun im Realen wiederauftaucht: ein reales Gesetz oder ein Zusammenfallen von Gesetz und Realem, in der das Gesetz nur noch in seiner sinnlosen-grausamen Dimension erscheint. Die im Symbolischen verworfene Schranke kehrt als reale wieder. Jedenfalls hat dieses Nebeneinander von totaler Ermöglichung, die geradewegs in einen Lockdown führt, viel mit dem zu tun, was Lacan als die dem Diskurs des Kapitalismus eigene Aufhebung der symbolischen Kastration bezeichnet: sie eröffnet unendliche Möglichkeitsräume, in denen alles zum Stillstand kommt.

Dass dies auch eine, wenn für uns auch vollkommen neue Form des Totalitären ist, scheint die Linke nicht nur zu verkennen, sondern auch, dass sie längst selbst zu dessen wichtigster Promotorin geworden ist. Womit sie sich ganz in die Logik des Diskurses des Kapitalismus stellt, dem sie sich offenbar vollumfänglich verschrieben hat – selbst dann, wenn dieser sich zunehmend eines autoritären Staat bedient und damit eigentlich dem entspricht, was sie selbst als rechts bezeichnen würde.

1 Toby Grenn: The Covid Consenus. The new politics of global Inequality. London: Hurst 2021, vgl. dazu auch: https://www.realclearpolitics.com/video/2021/11/09/ghanaian_professor_the_catastrophic_impact_of_western_covid_lockdown_policy_in_ghana.html (26.02.22)

https://www.oxfam.org/en/research/hunger-virus-multiplies-deadly-recipe-conflict-covid-19-and-climate-accelerate-world, Juli 2021 (26.02.2022), darin heist es: „A year and a half since the Covid-19 pandemic began, deaths from hunger are outpacing the virus.”

https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-un-ernaehrungsbericht-hunger-100.html Der Bericht der Vereinten Nationen vom Juli 2021 und der FAO hält fest: Es gibt insgesamt 720-811 Mio. Hungernde weltweit, seit Pandemiebeginn gibt es eine Zunahmen von 70-161 Mio., das ist rund 1/19 der Weltbevölkerung.

https://www.unicef.org/media/86881/file/Averting-a-lost-covid-generation-world-childrens-day-data-and-advocacy-brief-2020.pdf (26.02.2022)

5 Alle Zitate sind dem Aufsatz (ital. Orig. 2007) entnommen: Massimo Recalcati: Das Verschwinden des Begehrend und der postideologische Totalitarismus, in: Tove Soiland, Marie Frühauf, Anna Harmann: Postödipale Gesellschaft, S. 331-362. Wien/Berlin: Turia und Kant 2022 (im erscheinen).

6 Merkwürdigerweise scheint Recalcati selbst diesen Schluss nicht zu ziehen, denn er ist ein unumwundener Befürworter der strengsten Corona-Massnahmen.

Der Text erschien im Neuen Deutschland

Copyleft

„Jede Wiedergabe, Vervielfältigung und Verbreitung unserer Publikationen ist im Sinne der Bereicherung des allgemeinen geistigen Lebens erwünscht. Es gibt kein geistiges Eigentum. Es sei denn, als Diebstahl. Der Geist weht, wo er will. Jede Geschäftemacherei ist dabei auszuschließen. Wir danken den Toten und den Lebendigen für ihre Zuarbeit und arbeiten unsererseits nach Kräften zu.“ (aramis)

siehe auch wikipedia s.v. „copyleft“

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Grafikquellen          :

Oben     —   

 Politik, News, Bundesparteitag Die Linke: die neu gewählten Parteivorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler

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2.) von Oben         —     Eine grafische Darstellung von Lock-down während Covid-19

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Unten        —   Aufkleber eines Impfkritikers an einer Müllbox in Heikendorf.

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KEINER WARS GEWESEN

Erstellt von DL-Redaktion am 14. Februar 2023

Corona-Kommandeure: Irre irrten gern

So winkt eine politische Winkerkrabbe ihren Fans zu.

Quelle       :    RATIONALGALERIE

Autor: Uli Gellermann

„Was Schwachsinn gewesen ist, wenn ich so frei sprechen darf, sind diese Regeln draußen (gewesen)“, sagt der Haupteinpeitscher des profitablen Corona-Schwachsinns, Karl Lauterbach, heute. Er führt eine Riege von Zurückruderern an, die für die Lockdowns, die ungesunden Maskeraden und das Gesangsverbot ebenso verantwortlich waren, wie für die Angstmacherei durch täglich hämmernde Inzidenz-Verkündungen, wie das Verbot, Sterbende zu besuchen. Alles angeblich im Namen der Gesundheit, aber in Wirklichkeit im Auftrag der Pharma-Industrie, die ihre gefährlichen Spritzstoffe in die Arme von Millionen gesunder Menschen drücken wollte und daran blendend verdiente.

Da habe ich mich halt geirrt

In der ZEIT, die in der Zeit der Corona-Repression nie den Mund aufgemacht hat, nichts zu schreiben wußte gegen die Gleichschaltung der Medien oder die Liquidierung der wissenschaftlichen Debatte; in dieser ZEIT „bekannten“ jüngst 25 Menschen „Da habe ich mich geirrt“. Von Ministerpräsidenten über Wissenschaftsjournalisten bis zu Ärztefunktionären tun die 25 heute so, als wären sie damals irrtümlich bei Rot über die Straße gegangen. Dass eine nicht kleine Zahl ihrer Irrtumsopfer heute auf Friedhöfen liegt? Denn die angeblich heilbringenden Stoffe von Biontech oder AstraZeneca oder Moderna wurden hoppla-hopp entwickelt, ohne die notwendigen mehrjährigen Placebo-kontrollierten Studien. Und die EU-Kommission hat im Oktober 2022, an allen gesetzlichen Regeln vorbei, Millionen Menschen als Versuchstiere derPharma-Industrie vor die Spritzen getrieben. Und nur dafür war der „Irrtum“ gut: Mit Panikmache und Hysterie wurde ein profitables Pharma-Marketing betrieben.

Lesen wir jetzt Entschuldigungen?

Der NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) zum Beispiel quasselt von einem anonymen WIR: „Wir haben jede Bewegung in jedem Friseursalon, Kosmetik- und Tattoostudio reglementiert, bis ins allerletzte Detail.“ WIR? Der Feigling kann nicht mal ICH sagen, obwohl er als Ministerpräsident an der Spitze einer Corona-Befehlskette gestanden hat, die jeden Bürger drangsalierte. Der Ministerpräsidentin von Mecklenburg Vorpommern, Manuale Schwesig (SPD) fällt jetzt ein: „Die Schließung der Spielplätze war ein Fehler“. Jetzt, wo in einem „Abschluss-Bericht von Familienministerin Lisa Paus (GRÜNE) und Gesundheitsminister Karl Lauterbach festgestellt wird, dass 73 Prozent aller Minderjährigen noch immer durch Corona psychisch belastet sind, das manche Kinder in der ersten Klasse keinen Stift halten können. Das waren doch die Paus und Konsorten, die im August 2022 ultimativ die Maskenpflicht in Schulen forderten und mit diesen gesundheitsschädlichen Lappen unseren Kinder das Lächeln aus dem Gesicht wischten. Unseren Kinder hat man die Spielplätze mit rotweißem Unfallbändern abgesperrt, unseren Kindern hat man den Kontakt zu ihren Freunden brutal verboten, unseren Kindern hat man drei Jahre lang einen geregelten Schulunterricht gestohlen. Lesen wir jetzt Entschuldigungen? Hat man von Wiedergutmachung gehört? Keineswegs.

RKI-Funktionär Lothar Wieler schummelt bis heute

Bis heute schummmelt der RKI-Funktionär Lothar Wieler: „Es gab nie nur die Alternative: Entweder wenige Tote oder Schulen offen halten“. Die Bande lügt bis heute. Es gab Alternativen: Zum Beispiel den Gouverneur des US-Bundesstaates Florida, Ron DeSantis, der Geschäften, die Kunden ohne Masken, Tests oder Impfungen abwiesen, sogar empfindliche Geldbußen androhte. Seine Philosophie als Gouverneur sei es, die „individuelle Freiheit zu schützen“, sagte er. Jeder solle selbst seiner Gesundheit Schmied sein. Der Präsident von Belarus, Aljaksandr Lukaschenka nannte die angebliche Pandemie sogar eine „Corona-Psychose“ . Und? Gab es in diesen Ländern signifikant mehr Tote als in anderen Ländern? Nein. Aber damit hatte man doch die Menschen weltweit in die Todesangst getrieben, mit dem „Killervirus“.

Kein Killervirus!

Und wenn ein Wissenschaftler, ein Epidemiologe, vor Uli Gellermanns Kamera sagte, dass das Coronavirus eben kein Killervirus sei, dann wurde sein Video auf YouTube gelöscht, und er bekam Berufsverbot. Heute sagt der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar, der damals eine Sendung über die „Pandemie“ nach der anderen machte, in der ZEIT: Es „hätte mich eines noch stutziger machen müssen: wie wenig wir bei den Corona-Toten darüber wussten, wie viele Menschen wirklich an (nicht nur mit) Covid gestorben waren“. Damals zählte jeder Krebstote, jedes Unfallopfer und jeder Schlaganfall als Corona-Toter, wenn man auch nur in seiner Nähe das Virus festgestellt hatte. Wer Obduktionen forderte, um die Todesursachen zweifelsfrei festzustellen, galt als Leichenfledderer. Der angebliche Kampf gegen Corona war in Wirklichkeit nicht nur ein Kampf gegen die Demokratie, sondern auch gegen die medizinische Wissenschaft.

Linke: Mit Corona verstorben

Heute erfährt man vom thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow „Am schlimmsten aber waren für mich die Schulschließungen. Wir hätten die Schulen und Kindergärten während der zweiten Welle offen halten müssen. Da sind wir als Landesregierung von der Hysterie getrieben worden, und Hysterie ist nie ein guter Ratgeber.“ Dass Ramelow die Hysterie unterstützt hat, sieht man nicht nur daran, dass er lieber mit den Wölfen heult statt sie zu jagen, sondern auch an der über alle Medien verbreiteten Verleumdung aller Maßnahmenkritiker: Die seien irgendwie „rechts“. Im Mai 2022 wußte zum Beispiel die „DEUTSCHE WELLE: „Impfgegner, Demokratiefeinde und Verschwörungstheoretiker demonstrieren gemeinsam gegen Deutschlands Corona-Politik“. Wer sich die Demonstrationen selbst anschaute, sah eine Mischung von Menschen, die er auch bei jedem Bundesligaspiel hätte sehen können. Aber selber sehen? Bloß nicht, man hätte ja der Wahrheit ins Gesicht sehen müssen. Und spätestens seit Corona weiß man, dass die Wahrheit krank macht. Und an der Lüge starb dann auch die deutsche Linke.

Es gibt Virologen und Virolügner

Jonas Schmidt-Chanasit ist einer der Virologen, der führend an der Corona-Panikmache beteiligt war. Dem fällt heute in der ZEIT ein: „Vielleicht habe ich mich deshalb in der Folge zu wenig gegen Schul- und Kita-Schließungen engagiert.“ Zu wenig? Gar nicht! Mit dem Mogelwort „vielleicht“ wird immer gern gelogen. Viola Priesemann, 40, ist Physikerin und berechnete viele Corona-Modellierungen. Die wagt, heute zu sagen: „Ich habe mich lange gefragt, woher die Missverständnisse in den Corona- Debatten kommen. Mir war es als Modelliererin wichtig, Faktengrundlagen zu liefern – deren politische Bewertung ist nicht meine Aufgabe. Irgendwann ging mir auf, dass oft Fakten und Wertung vermengt werden“. Vermengt, vermanscht, verdorben: Die Physikerin hat sich zur Dienerin von Pharma-Industrie und Politik gemacht. Dass ihr das heute erst aufgeht, ist billig.

Mein Arm gehört mir!

Andere Präsenter der Coronalügen waren sicher nicht billig. Die Scharf- und Mitmacher in Politik und Kultur wie Frau Wagenknecht, die jämmerlich von ihrem Mann Herrn Lafontaine zu erzählen wusste, dass der schon geimpft sei oder Herr Nideggen von BAP, der zwar von der Kristallnacht zu singen weiß, aber die Nacht nicht sehen kann, wenn sie finanziell gut ausgeleuchtet wird und der seinen Arm für ein Plakat der Pharma-Industrie gern unter die Spritze hielt. Demonstrativ und plakativ gespritzt hat auch Alice Schwarzer, von der man gehofft hatte, dass sie sagen würde: Mein Arm gehört mir! Wie wurde sie für das Spritz-Poster entlohnt? Haben die sich alle irgendwie bloß geirrt? Nein, sie haben mitgemacht. Sie waren Werbeträger, sie haben der unmenschlichen Spritzen-Kampagne ein menschliches Antlitz gegeben, sie alle gehören vor ein ordentliches Gericht. Aber das wird es nicht geben, weil die Gerichte, bis hin zum Bundesverfassungsgericht, das die Bundesnotbremse durchwinkte, Corona-korrupt sind. Es wird ein Volks-Tribunal geben müssen, das dem guten Recht der Bürger zu seinem Recht verhilft.

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Grafikquelle :

Oben      —    Prof. Dr. Karl Lauterbach (Gesundheitspolitischer Sprecher, SPD), Foto: <a href=“http://www.stephan-roehl.de“ rel=“nofollow“>Stephan Röhl</a> Tagung „Wie geht es uns morgen?“ in der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin

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Ganz oder gar nicht ?

Erstellt von DL-Redaktion am 13. Februar 2023

Bis zur Geburt oder gar nicht

Entwicklungsstadien des Kindes während der Schwangerschaft

Ein Debattenbeitrag von Eiken Bruhn

Wer sachlich auf die Debatte guckt, kommt zum Schluss: Abtreibungen auf Wunsch der Schwangeren müssen ganz verboten – oder ganz erlaubt werden.

Der Paragraf 218, der Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt, soll abgeschafft werden. Das wollen SPD und Grüne, die FDP ist strikt dagegen. Einigen konnte sich die Ampel deshalb nur auf eine Kommission, die eine Regelung außerhalb des Strafgesetzes prüfen soll. Vor Ostern, das hat Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) am Freitag gesagt, werde diese ihre Arbeit aufnehmen.

Diese Kommission muss sich nun auch mit einem Thema beschäftigen, das im öffentlichen Diskurs bislang fehlt. Denn darin geht es nur um Schwangerschaftsabbrüche bis zur 12. Woche nach Empfängnis*, die 96,7 Prozent aller Abbrüche ausmachen. Dabei sind die vom Paragrafen 218 verursachten Versorgungslücken nach diesem Zeitpunkt sehr viel größer.

Geg­ne­r:in­nen eines liberalen Abtreibungsrechts werfen SPD und Grünen zwar vor, die Entscheidung über Schwangerschaftsabbrüche „bis zum letzten Tag“ vor der Geburt Frauen selbst überlassen zu wollen. So die rechtspolitische Sprecherin der FDP, Katrin Helling-Plahr, in einer Bundestagsdebatte im März 2021 zu einem Antrag der Linken, der von SPD und Grünen unterstützt worden war. Darin geht es aber lediglich um die Entkriminalisierung von Abtreibungen. Zu späten Abbrüchen äußern sich die beiden Parteien nicht. Erst recht nicht über die nach der 21. Woche, wenn die Föten mit medizinischer Hilfe außerhalb des Mutterleibs überlebensfähig wären und deshalb vor der Geburt mit einer Kaliumchloridspritze ins Herz getötet werden.

Über solche Fetozide redet niemand gern, Wahlen gewinnt man damit nicht. Als 2009 das Gesetz zu Spätabbrüchen verschärft wurde, geschah dies mit Stimmen von SPD und Grünen. Selbst die taz fragte in einem Leitartikel vor zwei Jahren, ob man nicht „zwischen Abbrüchen im Frühstadium und Spätabbrüchen“ unterscheiden müsse.

Eine schlüssige Begründung fehlt sowohl in dem Text als auch in der Argumentation derjenigen, die den Paragrafen 218 verteidigen – der bereits zwischen Abbrüchen vor und nach der 12. Woche unterscheidet. Es ist eine willkürliche Frist, der Unterschied ein gefühlter. Wer sich sachlich mit dem Thema auseinandersetzt, kommt zu dem Schluss: Abtreibungen auf Wunsch der Schwangeren müssen ganz verboten – oder ganz erlaubt werden, so wie es in Kanada seit 1988 der Fall ist.

Es istwahrscheinlich, dass die Zahlen dann leicht ansteigen – allein, weil nicht mehr jährlich 1.200 Deutsche in die Niederlande fahren müssen, wo nach taz-Recherchen jede dritte bis vierte Schwangerschaft zwischen der 12. und 22. Woche abgebrochen wird. Aber Frauen werden die Entscheidung wie bisher nicht leichtfertig treffen und Me­di­zi­ne­r:in­nen werden weiter verantwortungsvoll handeln. Dafür spricht: In Kanada liegt seit 2007 die Zahl der dokumentierten Abtreibungen nach der 19. Woche stabil zwischen 500 und 700 Fällen im Jahr. 2021 waren es in Deutschland 728 nach der 22. Woche, Tendenz stetig steigend.

Wie viele Schwangerschaften im letzten Trimenon abgebrochen werden, lässt sich aus den offiziellen Statistiken beider Länder nicht erkennen. Nach Untersuchungen der Universitätskliniken Gießen und Leipzig handelt es sich um Einzelfälle. Sie zeigen auch, dass Abbrüche nach der 22. Woche so gut wie immer aufgrund einer schweren Behinderung des Fötus geschehen. Das ist der Grund, warum selbst Fe­mi­nis­t:in­nen das Selbstbestimmungsrecht der Frau einschränken wollen, wenn es um späte Abbrüche geht. Alles andere wäre behindertenfeindlich, in Deutschland nach der NS-Euthanasie ein No-Go, sagen sie.

Nur: Deutschland wird immer behindertenfreundlicher – und trotzdem trauen sich weniger Frauen die Pflege eines schwerstbehinderten Kindes zu. Soll man sie zwingen, die Kinder zu bekommen, so wie es „Lebensschützer:innen“ fordern? Treibt das die Inklusion voran? Wie? Eignen sich aus feministischer Perspektive Frauenkörper wirklich als anti-ableistische Barriere?

Zudem sind weitere medizinische Fortschritte bei der Versorgung von Frühgeborenen nicht ausgeschlossen. Was passiert, wenn die Grenze zur Überlebensfähigkeit außerhalb des Uterus nicht mehr bei 21, sondern bei 16 oder 10 Wochen liegt? Und warum sollte es akzeptabel sein, wenn ein Fötus stirbt, weil er aus der Gebärmutter entfernt wird, nicht aber, wenn er darin getötet wird? Wer dem Fötus nach der 21. Woche Rechte zuspricht, bestätigt letztlich die Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts. Das hatte vor 30 Jahren die Rechte von Frau und Fötus für gleichwertig erklärt.

Quelle       :         TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

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Oben      —       Entwicklungsstadien des Kindes während der Schwangerschaft

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Überall geheime Verträge

Erstellt von DL-Redaktion am 13. Februar 2023

Vom Fussball bis zu den Impfungen: Geheime Verträge

Quelle      :        INFOsperber CH.

Bernd Hontschik / 

Die Geheimhaltung greift um sich und untergräbt die Gewaltenteilung und das Vertrauen in Behörden.

Ein Fussballspieler kracht im WM-Endspiel 2014 Kopf an Kopf mit einem Gegenspieler zusammen, torkelt, verliert die Orientierung und fragt den Schiedsrichter, ob das hier wirklich das WM-Finale sei. Erst nach einer Viertelstunde wird er vom Feld genommen und kann sich bis heute an nichts erinnern. Vom Vortrag eines renommierten Sportmediziners über die «Rolle von Kopfbällen auf das Gehirn» schloss die UEFA in Frankfurt jüngst sämtliche Medienvertreter aus. Warum, was will die UEFA verbergen?

Als die Universitätskliniken Marburg und Giessen 2006 von der Regierung Koch an den Rhön-Konzern verscherbelt wurden, konnte der Kaufvertrag nicht öffentlich diskutiert werden, obwohl es sich hier um öffentliches Eigentum handelte. Der Kaufvertrag ist bis heute geheim! Warum, was will die Landesregierung verbergen?

In der allgemeinen Seuchenhysterie veranlasste der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Anfang 2020 ein sogenanntes Open-House-Verfahren. Ohne jede Ausschreibung erhielt jeder Verkäufer einen Vertrag, der FFP-2-Masken für 4,50 Euro und OP-Masken für 60 Cent anbieten konnte – Wucherpreise für diese Pfennigartikel. Schon nach wenigen Tagen waren 733 Verträge mit 535 Lieferanten über mehr als 6,4 Milliarden Euro zu Stande gekommen. Aber ein grosser Teil dieser Masken war minderwertig. Man schämte sich nicht, Millionen mangelhafter Masken an Pflegeheime und andere Einrichtungen zu verschicken und einen grossen Teil der nutzlosen Masken an Menschen mit Behinderung, an Obdachlose und an Hartz-IV-Empfänger zu verschenken. Dann kaufte man auch noch 570’000 FFP2-Masken von der Burda GmbH, dem Arbeitgeber von Daniel Funke, dem Ehemann von Jens Spahn. Die Einzelheiten sämtlicher Kaufverträge sind geheim. Warum, was will das Bundesgesundheitsministerium verbergen?

Es folgten etwa hundert Klagen von Maskenlieferanten, weil das Ministerium ihre Rechnungen nicht bezahlt hat. Allein an die Ernst & Young Law GmbH hat das Ministerium 42 Millionen Euro für Anwaltstätigkeiten bezahlt, um diese Klagen abzuwehren. Auch unter Karl Lauterbach bleibt das Ministerium intransparent und erklärte lapidar gegenüber der BILD-Zeitung: «Bisher sind rund 50 Vergleiche geschlossen worden. Zu den Vertragsdetails gibt das Bundesministerium für Gesundheit keine Auskunft.» Warum, was will das Ministerium verbergen?

Geheimhaltung greift um sich. Geheimhaltung untergräbt die Dreiteilung der Gewalten. Geheimhaltung ist Gift für das Vertrauen in die demokratischen Institutionen. Geheimhaltung ist Wasser auf die Mühlen von Verschwörungstheoretikern und Staatsverächtern. Geheimhaltung ist ausserdem eine arrogante Anmassung von Regierungen gegenüber dem eigenen Volk, obwohl es in Artikel 20 des Grundgesetzes heisst, dass «alle Staatsgewalt vom Volke» auszugehen hat: «Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.»

Von Geheimhaltung durch die vollziehende Gewalt ist da keine Rede.

Stellungnahme zur Geheimhaltung

upg. Der Arzt und Blogger Christian Haffner wollte eine Offenlegung von erwähnten Informationen und erhielt vom deutschen Bundesgesundheitsministerium folgende Antworten:

«Insbesondere sind von Biontec erstellte und an das BMG übermittelte Präsentationen urheberrechtlich geschützt und dürfen nicht herausgegeben werden.»

Informationen zur Impfallianz GAVI würden nicht erteilt, «wenn das Bekanntwerden von Informationen nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen haben kann.»

Unterlagen in Bezug auf die Gates Foundation werden verweigert, da die übermittelten Unterlagen als «strictly confidential» sowie «for internal use only» gekennzeichnet seien. Das Gleiche gelte für den Wellcome Trust.

Die Korrespondenz mit Biontec/Pfizer wurde nur in wesentlichen Teilen geschwärzt herausgegeben, da ein Teil «hochsensible Informationen enthält, die im Kontext der Pandemiebekämpfung vertraulich an das BMG übermittelt wurden [… ] und an denen weiterhin ein Geheimhaltungsinteresse besteht. Betroffen sind insoweit im Detail Verträge und Informationen zu Vertragsverhandlungen.»

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Dieser Beitrag erschien am 4. Februar in der «Frankfurter Rundschau». Ein Abschnitt über die Geheimhaltung der Medikamenten-Rabattverträge in Deutschland wurde weggelassen, weil in der Schweiz nicht die Krankenkassen eine Geheimhaltung wollen, sondern Pharmakonzerne die Geheimhaltung von Preisen teurer Medikamente gegen den Willen der Krankenkassen durchsetzten.

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Oben      —        Bernd Hontschik fotografiert von Barbara Klemm (2009)

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Erinnerungen an Corona

Erstellt von DL-Redaktion am 8. Februar 2023

Das zerfranste Ende der Pandemie

Von Anne Dierkhoff

Die Maskenpflicht ist größtenteils abgeschafft – war’s das jetzt mit Corona? Um zu verstehen, was wir durchgemacht haben, müssen wir zurückblicken.

Die Apothekerin sagte: „Ach, die Maske haben Sie in 20 Minuten durchgeatmet, das nützt dann auch nichts.“ Also stieg ich maskenlos in den Zug, 12. März 2020. Drei Stunden unentspannte Fahrt. Ich versuchte nichts anzufassen, lehnte mich kaum richtig an, hielt den Schal vor den Mund und fand alles einfach nur unheimlich. War es nicht überhaupt verantwortungslos, meine Eltern zu besuchen, nachdem ich am Abend vorher in einem vollen Restaurant gegessen hatte?

Immerhin sehen wir jetzt den gesellschaftlichen Abgrund

Diese ganz neue Art extremer Verunsicherung: Mich traf sie beim Lesen eines Facebook-Posts aus Bergamo. Ein Arzt berichtete von dystopisch wirkenden Schreckensszenarien: sein ganzes Krankenhaus ein einziges Coronalazarett, Sterbende auf allen Fluren. Ich konnte es nicht mehr wegschieben, wie noch zwei Wochen zuvor auf der Berlinale, mit mehr als 1.000 Menschen in einem Kinosaal.

Entschuldigen Sie die Rückblicksorgie! Aber offenbar ist der Zeitpunkt dafür gekommen. Die Maskenpflicht ist so gut wie weg, die Reste im Gesundheitsbereich hört man schon wackeln. Und wer Corona hat, ohne zu husten, darf in der Mehrzahl der Bundesländer seit Kurzem trotzdem unter Leute (was soll schon passieren?). Was auch immer das Virus noch vorhat, die offizielle Botschaft lautet: Es ist vorbei, hat ja auch lang genug gedauert.

Wir werden uns viel zu verzeihen haben

Echt jetzt: Ich hatte mir das Ende schöner vorgestellt. Und den Mittelteil nicht so furchtbar. Zum Glück wird die Geschichte portionsweise gelebt – und ertragen. Wenn in den ersten Wochen jemand gesagt hätte: Genießt die Angst vor der noch so diffusen Bedrohung und euer Maskennähen, das ist der gemütliche Teil – ich hätte es nicht hören wollen.

„Wir werden einander viel verzeihen müssen“, sagte Jens Spahn, als er noch Gesundheitsminister war. Ich hab nachgesehen: Es war am 22. April 2020. In Coronazeitmessung ist das also 1.000 Jahre her. Bremen führte gerade als letztes Bundesland die Maskenpflicht im Nahverkehr und beim Einkaufen ein. Und Christian Drosten warnte davor, dass der schöne Vorsprung in der Pandemie­bekämpfung, den Deutschland durch die schnelle Reaktion im März erreicht habe, wieder verloren gehen könnte. Warum? Weil die Geschäfte wieder aufmachen durften; jedenfalls die bis zu einer Größe von 800 Quadratmetern, Sie erinnern sich vielleicht.

Die Wirtschaft kann nicht ewig stillstehen, auch außerhalb der Lebensmittelbranche muss Geld verdient werden: Damit fingen die Debatten um die richtigen Maßnahmen an, die seitdem so häufig ihren Namen gar nicht mehr verdienten. Kurz nach den Baumärkten durften auch Friseursalons wieder öffnen, aber vorerst ohne Wimpernfärben. Ja, das haben wir erlebt. Natürlich hatte Spahn recht: In einer derartigen Krise, die aber mal richtiges Neuland für die Gesellschaft war, passieren auch Fehler. Weil man noch nicht genug wusste, weil es aber gleichzeitig um Leben und Tod ging. Nichtstun wäre der größte Fehler gewesen.

Der 22. April 2020, der Tag von Spahns Verzeih-Prophezeiung, war übrigens auch der Tag, an dem das Paul-Ehrlich-Institut die klinische Prüfung eines ersten Corona-Impfstoffskandidaten zuließ. Und zwar den „des Mainzer Unternehmens Biontech“, wie es noch ordentlich ausbuchstabiert wurde. Von heute aus gesehen liest sich das so unschuldig, da steckt noch nichts von all dem drin, was diese Impfung bald bedeuten würde – in ihrem Dasein als Lebensretterin, Gamechanger und Hassobjekt.

Die emotionale Wucht des Impfthemas

„In der Krise zeigt sich der Charakter“, noch ein Politiker­zitat. Helmut Schmidt kann aber unmöglich der Erste gewesen sein, der das gesagt hat – zu offensichtlich ist der Wahrheitsgehalt. In dieser Krise entwickelten alle Menschen eine Art Corona­persönlichkeit, und wozu das führen konnte, das war doch der größte Schock: die emotionale Wucht, mit der die Themen Masken, Maßnahmen und vor allem Impfung Familien spalten und Freundschaften beenden konnten: So genau hatte man sich doch gar nicht kennenlernen wollen. Auch im Großen nicht – Hass-Explosionen bei Demos der selbsternannten Querdenker? Nein, danke! Immerhin verdanken wir ihnen Erkenntnisse über einen gesellschaftlichen Abgrund, der sich davor leichter ignorieren ließ.

Und wo stehen wir jetzt? Mehr als 165.000 Menschen sind allein in Deutschland wegen Corona gestorben. Geimpft ist längst, wer es sein will, infiziert waren die meisten zusätzlich. Und es kommen immer noch Menschen dazu, deren Leben nach einer Infektion nicht mehr dasselbe ist.

Quelle      :        TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben      —     Karikatur von Gerhard Mester zum Thema: Klima und Zukunft (Stichworte: Klima, Zukunft, Lemminge, Umwelt, Umkehr, Trend) – Umkehren!? Jetzt, wo wir so weit gekommen sind!?!

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Unten     —   Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin am 29. August 2020.

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Der Fall : Inna Zhvanetskaya

Erstellt von DL-Redaktion am 23. Januar 2023

Die verschwundene alte Dame

Impfverweigerer in Dublin

Von Minh Schredl

Die 85-jährige Komponistin Inna Zhvanetskaya, eine ukrainische Jüdin, sollte gegen ihren Willen in eine Psychiatrie eingewiesen und geimpft werden. Seitdem „Querdenken“-nahe Medien den Fall aufgegriffen haben, ist die schwerkranke Frau verschwunden – und „Freiheitsaktivisten“ freuen sich.

Am vergangenen Montag berichtete mit „Fox News“ der meistgesehene Nachrichtenkanal der USA über einen Fall aus Stuttgart: „German court tries to force COVID vaccine on Holocaust survivor (Deutsches Gericht versucht Holocaust-Überlebender Covid-Impfstoff aufzuzwingen)“. Auch die „Jerusalem Post“, eine konservative Tageszeitung aus Israel, empört sich unter beinahe identischem Titel. Ein Kommentator hat unter den Text „Impfung macht frei“, geschrieben. Was um Himmels Willen ist passiert?

Die Jüdin Inna Zhvanetskaya, 1937 im ukrainischen Winnyzja geboren, wohnt im Stadtteil Stuttgart-Feuerbach und ist gesundheitsbedingt auf Pflege angewiesen. Ihre Betreuerin stellte beim Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt einen Antrag, die 85-Jährige in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses oder einer Pflegeeinrichtung unterzubringen. Dabei sollte sie – auch gegen ihren Willen – gegen Covid-19 geimpft werden. Zhvanetskaya wurde im Zuge des Verfahrens von einem Facharzt für Neurologie begutachtet, der ihr Demenz, eine organisch wahnhafte Störung, ein narzisstisches Größenselbstbild und Logorrhoe (krankhafte Geschwätzigkeit) attestierte. Mit Beschluss vom 6. Dezember 2022 genehmigte das Amtsgericht den Antrag auf Unterbringung – und die Einwilligung der Betreuerin in die „ärztliche Zwangsmaßnahme“, nach internistischer Prüfung der Impffähigkeit zwei Impfungen zur Grundimmunisierung gegen Covid 19 durchzuführen.

Zuerst berichtete das in Österreich ansässige Portal „Report24“ über den Fall. Autor Willi Huber macht klar, wie sich die Berichterstattung dort von den „Mainstream-Medien“ unterscheidet – in der eigenen Wahrnehmung zumindest: „Auf der einen Seite steht uneigennützige Menschenliebe, auf der anderen Niedertracht, Korruption und Gier.“ Am 10. Januar war hier zu lesen: „Morgen wird sie abgeholt: Deutsches Gericht verurteilt Holocaust-Überlebende (85) zu Zwangsimpfung.“ Im Text dazu ist ein Video mit Zhvanetskaya zu sehen, das die Komponistin mutmaßlich in ihrer Wohnung zeigt: Eine Frau mit langem weißem Haar, die vor einer Bücherwand sitzt. Sie berichtet unter anderem, dass sie ohne ihre Musik sterben würde. „Als Jüdin zählt sie zu den Überlebenden des Holocaust“, schreibt „Report24“. „Bis zu ihrem achten Lebensjahr mussten sie und ihre Familie davor zittern, ob sie abgeholt, deportiert und möglicherweise ermordet werden.“ Gegen Ende des Artikels heißt es: „Die Berufsbetreuerin hat Frau Zhvanetskaya mitgeteilt, so unser Wissensstand, dass sie morgen, am 11. Jänner 2023 abgeholt und vermutlich auch zwangsgeimpft werden soll.“

Das Who-is-Who der „Querdenker“schaltet sich ein

Die Geschichte verbreitete sich wie ein Lauffeuer. In Telegram-Kanälen empören sich bekannte Figuren der „Querdenken“-Szene: Etwa der Schwindelarzt Bodo Schiffmann, der inzwischen ein Hotel in Tansania betreibt. Oder die Anwältin Beate Bahner, die kürzlich eine Ärztin vor Gericht verteidigte, die in 4247 Fällen falsche Maskenatteste ausgestellt haben soll und sich neben einer Haftstrafe auch ein Berufsverbot einfing. Der Stuttgarter Arzt und Ex-AfDler Heinrich Fiechtner verbreitete, hier solle eine Holocaust-Überlebende weggeschleppt werden, um „dann potenziell tödliche Substanzen in sie hineinzuspritzen“.

Fiechtner teilte mit seinen über 20.000 Followern auch den ungeschwärzten Gerichtsbeschluss. Darin steht nicht nur Zhvanetskayas Wohnanschrift, sondern auch die ihrer Betreuerin. Genau wie die Vorsitzende Richterin am Amtsgericht Bad-Cannstatt wird sie seit der Veröffentlichung belästigt und bedroht. Martin Sichert, der gesundheitspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, sagt, er habe gegen die beiden Anzeige erstattet, denn: „Niemand sollte gegen seinen Willen zur Teilnahme an einem medizinischen Experiment – egal welcher Art, auch nicht der Corona-Gentherapie – gezwungen werden.“

Alexander Wallasch, der früher regelmäßig Texte für taz, „Süddeutsche“ und die „Zeit“ verfasste, später bei „Tichys Einblick“ kolumnierte und heute auf seinem Blog „noch unzensierter, schärfer, freier“ schreibt, führte ein ausführliches Gespräch mit dem Anwalt Holger Fischer. Dieser sagt, dass Zhvanetskaya ihn als anwaltlichen Bevollmächtigten beauftragt hat: „Man kann das sogar als dementer Mensch. Man kann sogar, wenn man vergessen hat, dass man schon einen Anwalt hat, noch einen Anwalt beauftragen und noch einen.“ Einen Teilerfolg hatte Fischer mit einem Eilantrag beim Stuttgarter Landgericht, der die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses aus Cannstatt insgesamt, also inklusive der Unterbringung in einer Psychiatrie, aussetzen sollte.

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Dieser Fall erinnert an Gustl Mollath aus Nürnberg über welchen wir ausfühlich berichteten: 

Mollath, ein Fall aus Bayern

Mollaths Sieg in Karlsruhe

Demo für Gustl Mollath

Gustl Mollath ist in Freiheit

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Als sie abgeholt werden sollte, war die Wohnung leer

Ausgesetzt wurde allerdings nur die Impfung. Ob die „ärztliche Zwangsmaßnahme“ einer Corona-Impfung im vorliegenden Fall nun legitim wäre oder nicht, ist dadurch nicht geklärt. Es heißt erst einmal nur, dass das Landgericht den Erfolg der Beschwerde nicht für ausgeschlossen hält. Die Einweisung der Frau in eine geschlossene Unterbringung wurde hingegen nicht ausgesetzt und eigentlich hätte die 85-Jährige am 11. Januar unter Begleitung der Polizei zuhause abgeholt werden sollen.

Im Beschluss des Amtsgerichts Bad-Cannstatt heißt es dazu: Die „Zuführung zur Unterbringung“ dürfe „erforderlichenfalls [mit] Gewalt“ erfolgen, und die „Wohnung der Betroffenen“ dürfe „auch ohne ihre Einwilligung […] gewaltsam geöffnet, betreten und durchsucht werden“. In der Begründung führt das Gericht aus: „Die Betroffene muss geschlossen untergebracht werden, weil sie massiv verwahrlosen würde und ihre dringend notwendige ärztliche Versorgung, auch der organischen Erkrankungen sowie eine regelmäßige Tabletteneinnahme nicht gewährleistet ist.“ Durch ihre geistige Behinderung fehle ihr „jegliche Alltagskompetenz“, sie bedürfe „ärztlicher Behandlung, die derzeit ohne geschlossene Unterbringung nicht geschehen kann“. Die Betroffene besuche, „da sie krankheitsbedingt den Überblick verloren hat, verschiedene Ärzte, die ihr sich teils widersprechende Medikamente verschreiben.“ Neben Adipositas leide Zhvanetskaya an heftigen Ödemen, die dringend behandelt werden müssten.

Doch als sie abgeholt werden sollte, war die Wohnung leer. Auf dem Portal „Reitschuster“ ist am gleichen Tag zu lesen: „Die Dame konnte an einem geheimen Ort in Sicherheit gebracht werden“, denn „offenbar sind die Freiheits-Aktivisten der Polizei zuvorgekommen“. Allerdings dürfe „schon jetzt als sicher gelten, dass die Staatsgewalt bei der Suche nach Zhvanetskaya – anders als in anderen Fällen – weder Kosten noch Mühen scheuen wird.“

Die Polizei sucht aber gar nicht

Quelle         :             KONTEXT-Wochenzeitung        >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben      —     A protest against COVID-19 vaccines in Dublin, Ireland, in November 2021.

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Das Deutsche Spielzeug

Erstellt von DL-Redaktion am 22. Januar 2023

Rasen ohne Tempolimit

EIN ESSAY  VON  LUIS KEPPLINGER

Des Deutschen liebstes Spielzeug darf nicht angetastet werden. Dabei würde ein kleiner Verzicht weniger Menschen großen Gewinn für viele bedeuten.

Auf 70 Prozent der Autobahnkilometer in Deutschland bestehen keinerlei Geschwindigkeitsbeschränkungen. Schnell zu fahren, ist in Deutschland seit jeher ein Teil unserer Kultur. Deutschland ist das einzige Industrieland weltweit, in dem es gesetzlich erlaubt ist, auf der Autobahn so schnell zu fahren, wie man will. Dieser Umstand sorgte neben der Konzentration von Autoherstellern der Luxuskategorie im Süden des Landes stets für eine gewisse Faszination im Ausland.

Schon in den 1970er Jahren machte der ADAC den Slogan „Freie Fahrt für freie Bürger“ populär. Nach der Nazidiktatur mit all ihren absurden Regelungen und Verboten – ein Tempolimit gehörte dazu, denn es galt, mit Rohstoffen zu sparen – war man froh, die Kriegstraumata zu überwinden, indem man sich von jeglichen staatlichen Zwängen befreite. Dieses Bedürfnis scheint bis heute fortzuleben. Das Rasen ohne Tempolimit ist am ehesten noch mit dem Recht auf Waffenbesitz in den USA vergleichbar.

Viel zu lange wagten es die politischen Parteien nicht, an dieser kulturellen Tradition zu rühren, auch wenn dies angesichts des fortschreitenden Klimawandels mehr als angebracht wäre. Doch die neue Ampelkoalition könnte hier ihre Chance nutzen: Es gibt genug umweltpolitische und ethische Gründe für ein Tempolimit. Die Frage ist, ob die Gesellschaft, die Politik und die deutsche Autoindustrie bereit sind, diesen evolutionären Schritt zu wagen?

Ein Tempolimit kann der Gesellschaft Leid ersparen. Es gäbe weniger Unfälle und damit weniger verkehrsbedingte Tote und Verletzte. Zwar sinkt die Zahl der Verkehrstoten auf der Autobahn, aber die Zahl der Leicht- und Schwerverletzten durch Verkehrsunfälle steigt seit 2010 wieder an. Stefan Bauernschuster und Christian Traxler von der Universität Passau haben nachgewiesen, dass im Vergleich zu ähnlich entwickelten Staaten wie Großbritannien, Schweden oder Dänemark, wo ein Tempolimit besteht, die Fahrt auf den Autobahnen in Deutschland deutlich gefährlicher ist.

148 Menschenleben

Die heutzutage niedrige Zahl von Todesopfern auf unseren Autobahnen eignet sich ohnehin schlecht als ethisches Argument. Wichtiger Maßstab wäre der Blick auf den Schaden, der durch den Verzicht auf ein Tempolimit entsteht. Es geht darum, das Leben und Wohlbefinden der Verletzlichsten in den Blick zu nehmen, um eine bessere Gesellschaft zu schaffen. Man stelle sich nur einmal vor, wie sich ein Unfallopfer fühlt, das bei einem Autounfall durch überhöhte Geschwindigkeit zu Schaden gekommen ist.

Sollten solche Unfälle durch ein Tempolimit vermieden werden können, steht das Recht auf schnelles Fahren gegen die Gefahr, dadurch verletzt zu werden. Ethisch ist die Antwort klar: Die Gesellschaft hätte den größeren Nutzen davon, wenn Unfälle vermieden würden. Das Argument gegen ein Tempolimit, Zeitersparnis durch höhere Geschwindigkeit, ist ein rein ökonomisches.

Ulrich Schmidt vom Kiel Institut für Weltwirtschaft hat in seiner Studie dargelegt, dass die wirtschaftlichen Verluste durch ein allgemeines Tempolimit größer wären als der allgemeine Nutzen für die Gesellschaft. Man könnte auch sagen, dass dieser Studie zufolge das Überleben von 148 Menschen pro Jahr weniger Gewicht hat als wirtschaftliche Einbußen von 6,7 Mil­liar­den Euro. Aus ethischer Sicht ist es allerdings problematisch, einem menschlichen Leben einen Preis zu geben – nicht zuletzt, wenn man sich vorstellt, selbst eine dieser 148 Personen zu sein.

Kostenlos CO2 einsparen

Dennoch müssen wir hier nicht nur auf die Zahl der Verkehrstoten schauen. 2019 gab es etwa 30.000 Menschen, die durch Unfälle auf der Autobahn leicht oder schwer verletzt wurden. In Brandenburg führte ein Tempolimit von 130 Kilometer pro Stunde auf einem Abschnitt der A24 ab 2002 dazu, dass sich die Zahl von Unfällen nahezu halbierte. Doch die politischen Entscheidungsträger legen bei diesem Dilemma eine Art kognitiver Dissonanz an den Tag.

Die „Vision Zero“ des Bundesverkehrsministeriums nennt die Zahl der Verkehrsopfer „nicht hinnehmbar“. Trotzdem gab es keine gesetzlichen Initiativen für ein Tempolimit. Das ausgerechnet zu einer Zeit, in der wir mit allen Kräften gegen die Erderwärmung kämpfen. Niemand zweifelt heute mehr an, dass schnelles Fahren nicht nur mehr verletzte Menschen fordert, sondern zudem massive negative Auswirkungen für die Umwelt und den CO2-Ausstoß hat.

Laut Umweltbundesamt war der Verkehrs- und Transportsektor 2019 mit 164 Millionen Tonnen – 20 Prozent der Gesamtmenge – eine der wesentlichen Quellen von Treibhausemis­sio­nen. Rund ein Viertel davon entfielen auf Pkws und Kleintransporter. Die Bundesregierung will die CO2-Emissionen durch den Straßenverkehr bis 2030 um 65 Millionen Tonnen senken. Durch ein Tempo 120 könnten pro Jahr rund 2,6 Millionen Tonnen eingespart werden.

Dies seien umgerechnet nur 1,4 Prozent der Emissionen, die durch den Verkehr entstehen und sogar nur 0,27 Prozent der deutschen Gesamt­emissionen, so bemängelte der Verband der Automobilindustrie 2021. Das mag stimmen, doch die CO2-Einsparungen durch ein Tempolimit ließen sich ohne jede Kosten erreichen, während in anderen Branchen die Verringerungen in der Regel großen Aufwand voraussetzen.

60 Prozent befürworten Tempolimit

Aus der ethischen Perspektive könnte man auch fragen, was zukünftige Generationen von uns denken mögen, wenn wir angesichts der drohenden Klimakatastrophe nicht einmal die Geschwindigkeit auf den Autobahnen antasten wollen? Die anthropozentrische Haltung, die nur an das Heute denkt, steht im Widerspruch zu dem Gedanken der Nachhaltigkeit, also einer Wirtschaftsweise, die nach den Worten der Brundtland-Kommission „die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“.

Weltweit sind also dringend deutliche Reduk­tio­nen beim Ausstoß von Treibhausgasen geboten. Deutschland hat den Anteil erneuerbarer Energien bei der Stromerzeugung in der ersten Hälfte des Jahres 2022 auf fast 50 Prozent gesteigert. Doch was sollen künftige Generationen von uns denken, wenn es uns nicht gelingt, für das Wohlergehen der Gesellschaft völlig unnütze Emissionen zu vermeiden?

Wir müssen die Erde als zusammenhängendes System begreifen, in dem es nichts nützt, an einer Stelle CO2 einzusparen, wenn wir ansonsten eine zerstörerische Lebensweise beibehalten. Zumindest in Umfragen zeigt sich, dass die Öffentlichkeit in Deutschland nicht mehr so sensibel auf das Reizwort Tempolimit reagiert. Langsam schwenkt die Mehrheit um: Laut Umweltbundesamt befürworten mehr als 60 Prozent der Befragten im Interesse des Umweltschutzes und der Sicherheit ein Tempolimit auf der Autobahn.

Bleibt die Frage, wie lange egozentrische Wirk­lich­keitsleugner ihr Bedürfnis nach ungebremstem Rasen durch Deutschland noch verteidigen können. Nicht zuletzt gibt es noch die nicht zu unterschätzenden indirekten Folgen eines Tempolimits: Seit vielen Jahren werden die Autos in Deutschland immer PS-stärker, schwerer, größer und schneller. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung könnte dies ändern.

Quelle            :           TAZ-online           >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben      —     Forderungsplakat der Deutschen Umwelthilfe zu gestaffelten Tempolimits während der Sondierungsgespräche nach der Bundestagswahl 2021

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Coffin, Swanstrom (2013)

Erstellt von DL-Redaktion am 13. Januar 2023

 35 Jahre “How does HIV-1 cause AIDS?” unbeantwortet

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Von Johannes Kreis

Im Januar 2023 jährt sich zum zehnten Mal die Veröffentlichung von Coffin und Swanstrom zur mutmaßlichen Pathogenese von HIV (nicht AIDS!) und die dort gestellte und weiterhin offene Frage „How does HIV-1 cause AIDS?“. Diese Frage war in 2013 schon mehr als 25 Jahre alt und unbeantwortet.

John Coffin und Ronald Swanstrom sind 100% Konsenswissenschaft und vollkommen unverdächtig irgendetwas zu leugnen.

John Coffin ist Professor für Molekularbiologie und Mikrobiologie an der Tufts University, School of Medicine, in Boston (MA), Mitglied der National Academy of Sciences der USA, und er war PhD Student bei Howard Temin, der für die Entdeckung des Reverse Transkriptase Enzyms den Nobelpreis bekam.

Ronald Swanstrom ist Professor für Biochemie an der UNC Medical School in Chapel Hill (NC), Mitglied der American Academy of Mikrobiologe und außerdem Mitglied des Diversant Komitees.

  • Coffin, Swanstrom, “HIV Pathogenesis: Dynamics and Genetics of Viral Populations and Infected Cells”, Cold Spring Harb Perspect Med. 2013 Jan; 3(1), https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3530041/
  • “HOW DOES HIV-1 CAUSE AIDS?  As is apparent from this article and the rest of the collection, in the 25+ years since its discovery, we have learned an enormous amount about HIV, but we still cannot answer the one big question: How does HIV-1 cause AIDS?”

Even if we knew the mechanism of HIV-mediated cell killing, we would not know how HIV-1 causes CD4+ T-cell decline and AIDS in humans. The observation that virus and cell turnover rates in various SIVs in their natural hosts (such as SIVsm in sooty mangabeys), which do not progress to AIDS, are essentially identical to those in humans, who do progress, implies that cell killing alone cannot account for AIDS pathogenesis. Indeed, this result is consistent with the high natural turnover rate of activated effector memory helper T cells, the primary target for HIV-1 infection, on the order of 1010 cells per day, of which only a small fraction are infected after the initial primary infection phase.”

Die Frage ist in 2023, nach mehr als 35 Jahren, weiterhin nicht beantwortet. Es sind viel zu wenige CD4 Zellen mit HIV infiziert und es werden tägliche einige Milliarden CD4 Zellen neu gebildet, um eine Abnahme der CD4 Zellenzahl, dem zentralen Kennzeichen des AID Syndroms, durch HIV zu erklären. Die Öffentlichkeit erfährt von diesem ganz fundamentalen Problem der Virushypothese des AID Syndroms weiterhin nichts und die Fachwelt, die sogenannten scientific community, ergeht sich seit mehr als 3 Jahrzehnten in beliebige Spekulationen zu diesem Thema. Der letzte Stand ist, dass das Problem komplizierter sei, als angenommen („Apoptosis mediated by HIV infections is more complex than previously thought“), siehe unten.

Experimentell ist seit 35 Jahren klar, dass bei dem echten AID Syndrom in der Mehrzahl die nicht mit HIV infizierten CD4 Zellen sterben, die sogenannten Bystander-Zellen. Es war von Anfang an klar, dass nur ganz wenige CD4 Zellen überhaupt infiziert sind. Man kann dazu sogar Robert Gallo als Co-Autor zitieren (Human T-lymphotropic Virus Type III, HTLV-III, ist ein alter Name für HIV-1),

  • Harper et al., “Detection of lymphocytes expressing human T-lymphotropic virus type III in lymph nodes and peripheral blood from infected individuals by in situ hybridization”, PNAS 1986, 83 (3) 772-77, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC322947/

“In this paper, we directly demonstrate the presence of HTLV-III-expressing lymphocytes in primary lymph nodes and peripheral blood from AIDS and ARC patients using a highly sensitive in situ hybridization method that makes use of high specific activity RNA probes. HTLV-III-infected cells are present in both types of lymphoid tissue at very low frequency (<0.01% of mononuclear cells) and therefore cannot comprise the lymph node hyperplasia in HTLV-III-associated lymphadenopathy,”

Nur 2 Jahre vorher, im April 1984 waren eben jener Robert Gallo  und die damalige Gesundheitsministerin der USA, Margaret Heckler, vor die Presse getreten und hatten verkündet, dass das AID Syndrom durch einen übertragbaren Virus verursacht würde und nichts mit jahrelangem Drogen- und Medikamentenmißbrauch, Mangelernährung und multiplen Geschlechtskrankheiten zu tun hätte. Das waren die objektiven Befunde bei den betroffenen Populationen von Homosexuellen, siehe unten.

Die Wissenschaft hat 1984 eine ungeheure Hypothek aufgenommen, es sind Hunderte Milliarden von US-Dollar seit 1984 mit dieser Hypothek verdient worden, und die Wissenschaft kann bis heute, 2023, nicht liefern. Hier von „Der Wissenschaft“ zu sprechen, ist mit Bezug zu damals nicht ganz korrekt, denn es gab damals zahlreiche Kritiker der ohne Beweis verkündeten Virushypothese des AID Syndroms. Die Kritiker wurden nach und nach ausgegrenzt und als Leugner diffamiert. Fördermittel wurden mit der Begründung verweigert, die Kritiker des HIV=AIDS Dogmas arbeiteten unwissenschaftlich. Aber, was könnte unwissenschaftlicher sein, als den mutmaßlichen Stand der Wissenschaft vom Gesundheitsminister verkünden zu lassen. Gemeint ist hier Margaret Heckler und nicht der Politclown Karl Lauterbach.

Da man aber HIV, als mutmaßlich neuen Erreger aus einer Zoonose, als Ursache für das erstmalig ab 1981 auftretende AID Syndrom vorgegeben hatte, muß man irgendeinen unbekannten Mechanismus postulieren, der irgendwie von außen (also ohne Infektion der Zelle) die CD4 Zelle tötet. Es gibt nicht den geringsten Beweis für einen solchen von außen von HIV induzierten Zelltod. Retroviren töten keine Zellen, weder von innen noch von außen. Das war der Grund warum man sie in den 1970er und 1980er Jahren als Kandidaten für das Auslösen von Krebs betrachtet hat. Krebszellen sterben gerade nicht, sondern sie vermehren sich ungebremst. Vgl. Peter Duesberg, Mitglied der National Academy of Sciences der USA und frühzeitiger Kritiker des HIV=AIDS Dogmas,

Eine größere Veröffentlichung, die sich umfassender mit dem Bystander-Rätsel der HIV=AIDS Hypothese befasst hat, stammt aus 2017. Auch diese Veröffentlichung löst das Rätsel nicht.

With a limited number of infected cells and vastly disproportionate apoptosis in HIV infected patients, it is believed that apoptosis of uninfected bystander cells plays a significant role in this process.”

The number of HIV infected cells in patients is relatively low and cannot solely account for the loss of CD4 cells in vivo. Hence, it is believed that the loss of CD4 cells during HIV infection is due to the process of bystander apoptosis induction.”

Apoptosis mediated by HIV infections is more complex than previously thought. A role of both host and viral factors in this phenomenon is becoming increasingly evident.”

Es ist seit mehr als 3 Jahrzehnten dokumentiert, dass viel zu wenige CD4 Zellen infiziert sind, als dass eine Verringerung der CD4 Zellenzahl, wie sie beim AID Syndrom beobachtet wird, durch eine Infektion dieser Zellen mit HIV zu erklären wäre.

“Nonetheless, a number of important issues concerning the pathogenesis of HIV infection remain unresolved. For example, it remains unclear how CD4+ T cells are lost after HIV infection. The low frequency of infected cells seen even in advanced infection implies that a direct cythopathic effect of HIV on infected CD4+ T cells cannot explain their disappearance.

  • Muro-Cacho et al. „Analysis of apoptosis in lymph nodes of HIV-infected persons. Intensity of apoptosis correlates with the general state of activation of the lymphoid tissue and not with stage of disease or viral burden.“, J Immunol May 15, 1995, 154 (10) 5555-5566; https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/7730654
“Taken together, these results indicate that the increased intensity of the apoptotic phenomenon in HIV infection is caused by the general state of immune activation, and is independent of the progression of HIV disease and of the levels of viral load”
  • Finkel et al. „Apoptosis occurs predominantly in bystander cells and not in productively infected cells of HIV- and SIV-infected lymph nodes.“, Nat Med. 1995 Feb;1(2):129-34, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/7585008

We show here, using in situ labelling of lymph nodes from HIV-infected children and SIV-infected macaques, that apoptosis occurs predominantly in bystander cells and not in the productively infected cells themselves.”

“However, these attributes – singly and in combination – are shown here to be inadequate to explain the latency, immunological damage, and clinical dynamics of the disease of AIDS. The virological paradigm cannot explain the disease-free period (clinical latency); the mechanism and dynamics of CD4 T cell loss; the reason for the onset of disease at a given time-point; the relationship of CD4 T cell loss to AIDS-type disease; nor the idiosyncratic constellation of immunological and clinical phenomena that comprise AIDS as a unique syndrome.”

The mechanism by which HIV causes depletion of CD4+ T cells in infected individuals remains unknown. Numerous theories have been proposed, but none can fully explain all of the events observed to occur in patients”

Die sogenannte Wissenschaft hat keine Ahnung, wie HIV-1 zu dem AID Syndrom führen soll. So wie die moderne Medizin aufgestellt ist, muß sie das auch nicht. Denn der positive Test definiert die Krankheit. Das letzte Beispiel dazu ist die sogenannte Corona-Virus-Krankheit (Corona Virus Disease, COVID). An dieser „erkrankt“ die weitüberwiegende Mehrzahl der Betroffenen symptomlos, nachdem ein Test positiv war.

Das AID Syndrom gibt es wirklich. Aber es hat nichts mit einem mutmaßlich neuen Virus aus einer ohne Beweis unterstellten Zoonose zu tun, sondern es geht auf jahrelangen Antibiotika- und Drogenmißbrauch, Mangelernährung, sowie multiple Infektionen mit sexuell übertragbaren Krankheiten durch vielfachen, über Jahre praktizierten ungeschützten Analverkehr zurück,

“Results of our study suggest that white Southern male homosexuals without clinical evidence of AIDS who patronize „gay bars“ may have significant zinc deficiency and moderately depressed T-helper/T-suppressor cell ratios. No single causative factor could be identified to explain the significantly low zinc and elevated copper levels measured in whole blood, as well as the depressed OKT4/OKT8 cell ratios. Seventy-four percent of the homosexual male subjects were „recreational“ drug abusers, 81% used inhalant nitrites routinely, and 41% routinely treated themselves with antibioticsEighty-one percent practiced active and/or passive penile-oral insertion, and 55.5% practiced both active and passive anal intercourse. Of the latter, 19% reported anal bleeding. Clinically inapparent, though statistically significant, borderline immunodeficiency and aberrant zinc and copper levels may be a consequence of multiple factors comprising the gay bar life-style.

Nach einem positiven Test behandelt man die Therapieopfer mit schweren Zellgiften und der Kreis schließt sich. Denn die vielfältigen Gewebeschäden, die diese Zellgifte hervorrufen, schiebt man dem Virus unter. Zu einer Übersicht der schweren Nebenwirkungen vgl.

Bleeding Events

Bone Density Effects

Bone Marrow Suppression

Cardiac Conduction Effects

Cardiovascular Disease

Cholelithiasis

Diabetes Mellitus and Insulin Resistance

Dyslipidemia

Gastrointestinal Effects

Hepatic Effects

Hypersensitivity Reaction

Excluding rash alone or Stevens-Johnson syndrome

Lactic Acidosis

Lipodystrophy

Myopathy/Elevated Creatine Phosphokinase

Nervous System/Psychiatric Effects

Rash

Renal Effects/Urolithiasis

Stevens-Johnson Syndrome/Toxic Epidermal Necrosis

Diese Liste ist eher zu kurz als zu lange, da einige hochgiftige Substanzen wie Didanosin (ddI), Stavudin (d4T), Fosamprenavir (FPV), Indinavir (IDV), Nelfinavir (NFV), Saquinavir (SQV) und Tipranavir (TPV) nicht mehr verwendet werden. Diese wurden still und heimlich vom Markt genommen. Zuvor waren sie jahrelang im Einsatz, mit katastrophalen Konsequenzen für diejenigen, die mit ihnen behandelt wurden. Aber es war hochprofitabel für alle anderen Beteiligten.

Nur wenige Autoren geben zu, dass sie keine Ahnung haben, ob die schweren Schäden auf die „Therapie“ oder den HI Virus zurückgehen, vgl.

 

“A shift from AIDS-related causes of morbidity and mortality to non-AIDS causes such as non-AIDS malignancyliver cirrhosisend stage renal disease and serious cardiovascular events occurred in HIV patients nearly one decade ago due to use of potent antiretroviral therapy.”

Everyone in our investigation was taking suppressive ART. Thus, we can only speculate whether the grade 4 events are due to underlying HIV disease or to ART.

Man unterstellt eine „HIV disease“, also keine opportunistische Infektionen, die für das AID Syndrom kennzeichnend sind, und Vorzeige-Virologen wie Jürgen Rockstroh, ehemaliger Präsident der European AIDS Clinical Society (EACS), fabulieren von einem erhöhten Entzündungslevel aufgrund von HIV.

„Liegen bereits Erkenntnisse vor, ob eine langjährige Infektion und Einnahme der Tabletten verstärkt zu bestimmten Begleiterkrankungen führen?

Es gibt verschiedene Forschungsprojekte, die sich mit dieser Frage beschäftigen. Wir wissen, dass BluthochdruckDiabetes Mellitus und Osteoporose häufiger und bereits in jüngerem Lebensalter auftreten. Das hängt vermutlich damit zusammen, dass bei Infizierten – auch wenn sie mit Medikamenten die Viruslast gering halten – das Immunsystem ständig stimuliert wird. Das löst eine Entzündungsreaktion aus, die all diese Erkrankungen begünstigt.“

Das kann nicht mal mehr als Spekulation gelten, denn die beobachteten Schäden entsprechen 1:1 den bekannten Nebenwirkungen der sogenannten „antiretroviralen Therapie“. Diese Nebenwirkungen haben nichts mit den opportunistischen Infektionen zu tun, wie sie beim echten AID Syndrom auftreten. Einige Autoren bezeichnen diese Befunde als „non-HIV co-morbidities” oder „non-infectious co-morbidities“ und lassen offen was sie verursacht, außer, dass HIV nicht die Ursache ist.

  • Maggi et al., “Clusterization of co-morbidities and multi-morbidities among persons living with HIV: a cross-sectional study.”, BMC Infect Dis. 2019 Jun 25;19(1):555, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/31238916

“Non-HIV co-morbidities included: cardiovascular diseasediabetes mellitushypertensiononcologic diseasesosteoporosis, probable case of chronic obstructive pulmonary disease (COPD), hepatitis C virus (HCV) infection, psychiatric illnesskidney disease.”

“Table 1 – Characteristics of 1087 patients enrolled in the Cluster Project: Years since ART initiation 9.0 (4.0–16.0)”

“The most frequent co-morbidity was dyslipidemia (55.3%), followed by hypertension (31.4%), COPD (29.4%), hepatitis C virus (HCV) infection (25.4, 5.5% with detectable HCVRNA), psychiatric illness (10.3%), diagnosis of osteopenia/osteoporosis (10.1%), diabetes (6.1%), and renal impairment (4.8%); 95 (8.7%) subjects had history of non-AIDS-defining cancer. Forty-nine patients (4.5%) had pCVD events.“

“Our data evidence that, in spite of mean age lower than 50, co-morbidity was the rule among our PLWH (82%)and that more than 50% of our patients were multi-morbid. Moreover, about 30% of them had three or more chronic non-HIV related conditions, thus confirming recent data provided by other studies in the field.”

  • Hernández et al., “Increased incidences of noninfectious comorbidities among aging populations living with human immunodeficiency virus in Ecuador: a multicenter retrospective analysis.”, HIV AIDS (Auckl). 2019 Apr 1;11:55-59, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/31114389

“The average age at HIV diagnosis was 34.1 years old and cART in average was started 15.9 months after HIV-diagnosis. Recruited patients were receiving cART for an average of 59.2±40.2 months. Only 9.9% (n=50) of the patients did not show any NICMs [noninfectious comorbidities]. Diabetes and pre-diabetes was found in 6% (n=30) and 16.3% (n=82) patients, respectively; however, dyslipidemia and overweight/obesity was frequent, as they affected 41.4% (n=208) and 36.4% (n=183) patients, respectively.”

Conclusion: Prevalence of NICMs among subjects under cART was greater than that reported among the Ecuadorian general population, therefore specific public health actions are required to make patients aware of and prevent NICMs among PLHIV in Ecuador.”

Zentraler Bestandteil aller Kombinationspräparate gegen HIV (nicht AIDS!) sind Nukleosid- oder Nukleotidanaloga. Diese schädigen die Mitochondrien, also die Energielieferanten der Zellen, und führen so zu einer Vielzahl Gewebeschäden. Die Literatur dazu kann als gefestigt bezeichnet werden.

“In 1988, the suggestion that the first antiretroviral drug, zidovudine, was the potential cause of muscle pathology in HIV-infected persons resulted in structural and biochemical patient studies demonstrating acquired mitochondrial dysfunction. Assessment of subsequent nucleoside analog reverse transcriptase inhibitor (NRTI) antiretroviral drugs has indicated that mitochondria are a common target of NRTI toxicity in multiple tissues, leading to a wide variety of pathology ranging from lipodystrophy to neuropathy. Overwhelmingly, these complications have emerged during post-licensing human studies.”

“Millions of patients have been treated with mitochondrially toxic NRTIs and these drugs remain the backbone of antiretroviral rollout in much of sub-Saharan Africa.”

Neben dieser Stoffklasse gibt es weitere Stoffklassen, die in den Kombinationspräparaten enthalten sind. Diese hören auf Phantasienamen wie Proteaseinhibitoren oder Integraseinhibitoren. Ritonavir gehört zu den Proteaseinhibitoren und ist auch in Paxlovid enthalten, dass gegen die Corona-Virus-Krankheit 2019 (COVID-19) eingesetzt wird. Proteaseinhibitoren sind kaum wasserlöslich und es sind Menschen Nierensteine entnommen worden, die vollständig aus Ritonavir bestanden.

Existing literature shows a strong relationship between HIV protease inhibitors (PIs) and risk of developing nephrolithiasis, with stones composed predominantly of drug crystals.1–6 Most of these cases have been reported with the use of PIs: indinavir and atazanavir, with or without ritonavir boosting.”

Here, we describe the development of a renal stone composed entirely of ritonavir. This case is especially unique given that this stone was passed 2 years after the patient had stopped using ritonavir.”

Sowohl Proteaseinhibitoren als auch Integraseinhibitoren erzeugen schwere Schäden. Für Proteaseinhibitoren ist die Literatur gefestigt, bei Integraseinhibitoren wartet man seit 2007 auf Langzeitstudien (fängt aber schon mal mit der lebenslangen „Therapie“ an).

“Osteopenia and osteoporosis are unique metabolic complications associated with protease inhibitor-containing potent antiretroviral regimens, that appear to be independent of adipose tissue maldistribution.”

The literature involving renal adverse effects and antiretroviral therapy is most robust with protease inhibitors, specifically atazanavir and indinavir, and includes reports of crystalluria, leukocyturia, nephritis, nephrolithiasis, nephropathy and urolithiasis. Several case reports describe potential nephropathy (including Fanconi syndrome) secondary to administration of abacavir, didanosine, lamivudine and stavudine.”

 “However, this side effect is not due to a direct dysfunction of the kidneys. Zalcitabine was withdrawn from the market because of this risk. Indinavir, a protease inhibitor, is soluble only in very acidic solutions. Consequently, the small fraction that is excreted in the urine precipitates and can be responsible for uro-nephrolithiasis, leukocyturia, cristalluria, obstructive acute kidney failure, and acute or chronic interstitial nephritis.

Zu Integraseinhibitoren vgl.

Overall, in 85 patients (15.3%), DGV was stopped. In 76 patients (13.7%), this was due to intolerability. Insomnia and sleep disturbance (5.6%), gastrointestinal complaints (4.3%) and neuropsychiatric symptoms such as anxiety, psychosis and depression (4.3%) were the predominant reasons for switching DGV.”

Stand 2021 wartet man, nachdem man seit 2007 diese Substanzklasse an Menschen eingesetzt hat (Raltegravir, FDA Zulassung für Kinder ab 2 Jahren, auf der WHO Liste der „essential medicines“), weiterhin auf Langzeitstudien, vgl.

“Longer term studies are required to understand the metabolic impact of INSTIs, secondary to weight gain. Evidence suggests that INSTIs, when used with TAF, contribute to metabolic syndrome and may have long-term risks of diabetes.”

Zu den Schäden durch Integraseinhibitoren kann man sogar Hendrik Streeck zitieren, der auch auf Langzeitstudien Integraseinhibitoren wartet, Stand 2019.

We noticed a significant decrease in respiration of cells treated with dolutegravir (DLG) or elvitegravir (EVG) and a switch from polyfunctional to TNF-α–dominated “stress” immune response. There was no effect on glycolysis, consistent with impaired mitochondrial function. We detected increased levels of mitochondrial ROS and mitochondrial mass. These findings indicate that EVG and DLG use is associated with slow proliferation and impaired respiration with underlying mitochondrial dysfunction, resulting in overall decreased cellular function in CD4+ T cells.”

“Although the clinical relevance of these findings is unclear, future cohort studies where INSTI-based regimens are used over many years would be warranted to determine potential long-term toxicity.”

Aber Herr Streeck als linientreuer Vertreter der Konsenswissenschaft spricht natürlich von einer „großartigen Klasse von Medikamenten“, vgl.

  • Der Standard, „Integrase-Inhibitoren – Die potenziellen Nebenwirkungen von HIV-Medikamenten“, 24. Juni 2019https://www.derstandard.at/story/2000105217472/die-potenziellen-nebenwirkungen-von-hiv-medikamenten
  • „Die neuen Labordaten legen nahe, dass INSTI möglicherweise nicht so sicher sind wie bislang gedacht. Die Forscher fanden heraus, dass sie einen starken Effekt auf die Aktivität von Immunzellen haben und insbesondere die Aktivität und Funktion von CD4-T-Helferzellen reduzieren. Da das HI-Virus selbst CD4-Helferzellen angreift und zerstört, ist es fraglich, ob diese Medikamentenklasse die beste Wahl zur dauerhaften Therapie von HIV ist.“

Welt-Aids-Tag PHOTO DU JOUR DU MERCREDI 1. DEZEMBER 2021.jpg

„Zusätzlich wurden in mehreren kürzlich durchgeführten Studien INSTI mit einer signifikanten Gewichtszunahme in Zusammenhang gebracht werden. „INSTI sind eine großartige Klasse von Medikamenten und haben weltweit Millionen von Menschen geholfen. Unsere Studie fordert jedoch eine erhöhte Pharmakovigilanz für eine potenziell schwerwiegende Langzeittoxizität dieser Substanzen“ sagt Streeck. „Angesichts der weit verbreiteten Nutzung von INSTI sind prospektive Studien erforderlich, um die breiteren klinischen Auswirkungen unserer Ergebnisse zu bestimmen.““

Eine mutmaßlich antiretrovirale Stoffklasse gegen HIV (nicht AIDS!), die die Aktivität von CD4 Zellen beeinträchtigt, und Herr Streeck spricht von einer „großartigen Klasse von Medikamenten“? Man hätte „weltweit Millionen von Menschen geholfen“, aber von einer „potenziell schwerwiegenden Langzeittoxizität dieser Substanzen“ weiß man 2019, d.h. 12 Jahre nach der Einführung, angeblich weiterhin zu wenig? Und die „weit verbreitete Nutzung“ von Integraseinhibitoren ist jetzt die Begründung dafür, dass „prospektive Studien erforderlich“ sind, d.h. mit noch zu erhebenden, neuen Daten? Warum nimmt man nicht die schon bekannten Daten und setzt die Behandlung mit diesen hochtoxischen Substanzen aus? Die Krise macht es möglich. Der Konsenswissenschaft nach sind wir im Jahr 43 einer HIV Pandemie (nicht AIDS-Pandemie!), gerechnet ab 1981, und in der Krise muß man eben Abstriche bei der Sicherheit machen, oder genauer, man vertagt Studien zur Arzneimittelsicherheit auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Für die Medikamentensicherheit gilt das Gleiche, wie für die ganz fundamentalen, offenen Fragen der Theorie, „How does HIV-1 cause AIDS?“.

Hier zeigen sich die Qualitäten, die es aktuell braucht, um Professor für Virologie mit Schwerpunkt HIV zu werden. Warum fragt niemand Herrn Streeck, wie er die Frage von Coffin und Swanstrom (2013) beantwortet, „How does HIV-1 cause AIDS?“. Er ist doch der große Experte.

Die Schäden durch Proteaseinhibitoren sind auch in HIV-neg. gemessenen Menschen nach wenigen Wochen(!) zu beobachten, u.a. Störungen des Stoffwechsels. Das weiß man seit 20 Jahren.

“In the absence of HIV infectiontreatment with indinavir for 4 weeks causes insulin resistance independent of increases in visceral adipose tissue or lipid and lipoprotein levels.”

“Compared to previously performed studies of identical design using single doses of indinavir and lopinavir/ritonavir, a hierarchy of insulin resistance was observed with the greatest effect seen with indinavir followed by ritonavir and lopinavir/ritonavir, with little effect of amprenavir.”

Dennoch läßt man Ritonavir, trotz schwerer Nierenschäden und Stoffwechselstörungen, in Paxlovid verpackt, nach einer Notfallzulassung im Dezember 2021, auf die Menschheit los. Eine unterstellte Krise macht es möglich.

Und Herr Rockstroh fantasiert (Stand 2019), dass Diabetes und Osteoporose bei jungen HIV+ gemessenen Menschen in „Therapie“ auf ein ohne Beweis unterstelltes erhöhtes Entzündungsniveau zurückginge. Warum hat Frau Dörhöfer von der Frankfurter Rundschau ihn nicht einmal gefragt, wie er die Frage von Coffin und Swanstrom (2013) beantwortet? Weiß Frau Dörhöfer nichts von dem Riesenloch in der Virustheorie des AID Syndroms?

Zu Veröffentlichungen aus 2022 zu den schweren Nebenwirkungen der mutmaßlichen „antiretroviralen Therapie“, die vielfach weiterhin dem HI Virus untergeschoben werden, vgl.

Both Atripla and Triumeq caused mitochondrial dysfunction, specifically efavirenz and abacavir. Additionally, transcriptome sequencing (RNA-seq) demonstrated that both Atripla and Triumeq caused differential regulation of genes involved in immune regulation and cell cycle and DNA repair. Collectively, our data demonstrate that cART, independent of HIV, alters the MDM phenotype. This suggests that cART may contribute to cell dysregulation in PLWH that subsequently results in increased susceptibility to comorbidities.”

Die ohne Beweis unterstellten “HIV diseases” wären umso ausgeprägter, je länger der Mensch die „antiretrovirale Therapie“ nimmt. Es sei noch einmal betont, dass diese sogenannten „HIV diseases“ nichts mit den opportunistischen Infektionen des echten AID Syndroms zu tun haben. Sie entsprechen 1:1 den vielfach dokumentierten Nebenwirkungen der sogenannten „Therapie“.

Our data suggest that longer ART exposure was associated with increased risk of dyslipidemia, hypertension, and osteopenia/osteoporosis, hence the presence of multimorbidity, possibly due to the exposition to more toxic antiretrovirals. We observed different comorbidities, according to ART exposure and age.”

Seit 30 Jahren werden schwere Leberschäden durch die “antiretrovirale Therapie” dokumentiert, so auch in 2022,

“Subgroup analysis by HAART status showed a higher pooled prevalence of hepatotoxicity among HIV patients taking HAART (23.63%) than among HAART naive patients (7.29%).”

“According to these findings, the use of HAART has significantly increased hepatotoxicity in HIV-infected patients.”

Von 100 “Therapie”-naiven Menschen, d.h. Menschen, die noch keine Substanzen gegen HIV (nicht AIDS!) eingenommen haben, zeigten sich bei 15 bzw. 28 Menschen schweren Leberschäden nach 4 bzw. 24 Wochen nach Beginn der Behandlung, vgl.

  • Abongwa et al., “Risk factors of severe hepatotoxicity among HIV-1 infected individuals initiated on highly active antiretroviral therapy in the Northwest Region of Cameroon”, BMC Gastroenterol. 2022; 22: 286, published online 2022 Jun 3, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9166462/

“A total of 100 drug-naive patients aged between 18 and 61 years were recruited. They were put on Tenofovir/Lamivudine/Efavirenz [TDF/3TC/EFV] (64), Zidovudine/ Lamivudine/Efavirenz [AZT/3TC/EFV] (22), and Zidovudine/Lamivudine/Nevirapine AZT/3TC/NVP (14) and monitored for 6 months and blood samples drawn. Alanine aminotransferases (ALT), aspartate aminotransferases (AST), and alkaline phosphatase (ALP) were analyzed by enzymatic methods and used to classify levels of hepatotoxicity.”

“A total of 37 (37%) and 49 (49%) patients presented with hepatotoxicity while 15% and 28% had severe hepatotoxicity at 4 and 24 weeks respectively.”

Angesichts dieser, seit Jahrzehnten dokumentierten schweren Schäden durch die „antiretrovirale Therapie“, ist es deutlich zu wenig, ständig neue Studien zu fordern.

Weil einige Menschen zu schnell nach Beginn der Behandlung mit diesen Zellgiften starben, hat man das Immunrekonstitutionssyndrom erfunden. Diesem frei erfundenen Phänomen nach, wäre die „Therapie“ so erfolgreich, dass die Menschen durch ein zu schnelles Wiedereinsetzen des Immunsystems versterben.

“This phenomenon is known as a multitude of names including “immune reconstitution inflammatory syndrome (IRIS)”, “immune reconstitution or restoration disease” (IRD) or immune reconstitution syndrome” and includes various forms of a clinical deterioration as a consequence of a rapid and dysregulated restoration of antigen specific immune responses causing an exuberant inflammatory reaction and a cytokines storm. This was first noted following the introduction of zidovudine monotherapy in the early 1990s, […].”

Dieser monströse Humbug geht auf die Zeit zurück, als man Menschen mit 1500 mg AZT (Zidovudin) pro Tag(!) über Monate behandelte. Das kann man nicht überleben, gleichgültig wie schlecht der Körper AZT metabolisiert.

Millionen von Menschen wurden kaputt „therapiert“ und die Wissenschaft kann nach mehr als 35 Jahren immer noch nicht die zentrale Frage beantworten, nämlich, wie verursacht HIV-1 das AID Syndrom? („How does HIV-1 cause AIDS?“)

Der fehlende Zusammenhang zwischen dem AID Syndrom und HIV ist gut dokumentiert, die schweren Nebenwirkungen der “Therapie”-Substanzen sind gut dokumentiert, sogar die Dosisabhängigkeit der Schädigungen durch die „Therapie“ ist dokumentiert. Hier an dem Beispiel der mutmaßlichen HIV-Prophylaxe (nicht AIDS-Prophylaxe!) mit Emtricitabin/Tenofovir in zwei unterschiedlichen Tenofovir-Formulierungen. Nur, die beiden Formulierungen in Tabletten mit 300 mg Tenofovir Disoproxil Fumarat (TDF, enthalten in Truvada) und Tabletten mit 25 mg Tenofovir Alafenamid (TAF, enthalten in Descovy) entsprechen einer Dosisreduktion von Tenofovir um den Faktor bezogen auf das Molekulargewicht. Vgl. zu der „Medikamenten“-Studie,

  • Study to Evaluate the Safety and Efficacy of Emtricitabine and Tenofovir Alafenamide (F/TAF) Fixed-Dose Combination Once Daily for Pre-Exposure Prophylaxis in Men and Transgender Women Who Have Sex With Men and Are At Risk of HIV-1 Infection (DISCOVER)”, Gilead Sciences, 2016 – 2020,  https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT02842086

Und siehe da, es wird, bei der Prophylaxe(!), eine erhebliche Verbesserung der Nierenwerte und der Knochenmineraldichte (bone mineral density, BMD) bei Menschen beobachtet, die von Truvada auf Descovy gewechselt sind, vgl.

  • Results from DISCOVER Trial Provide Bone and Renal Safety Profile Data from Participants who Switched from Truvada for PrEP® to Descovy for PrEP.”, Conference Reports for NATAP, IDWeek October 3 -7, 2018, San Francisco, CA, http://www.natap.org/2019/IDWeek/IDWeek_61.htm

“Improvements were statistically significant as early as Week 4 of the trial. At Week 48, eGFRCG increased by 3.9 mL/min from baseline for those randomized to F/TAF and decreased by 0.6 mL/min in those who continued to receive F/TDF (p<0.001).”

“Participants who were randomized to switch to F/TAF experienced statistically significant improvements in BMD of the hip and spine compared with those randomized to continue F/TDF. In addition, participants taking F/TAF for PrEP were significantly less likely to develop osteopenia of the spine.”

Aber man darf es nicht diskutieren. Es darf keine Diskussion geben, weil die moderne Wissenschaft und die Profite, die an ihr hängen, von der fehlenden Diskussion leben. Denn sobald es eine Diskussion gibt, sind Zweifel erlaubt. Und die Bevölkerung darf nicht lernen zu zweifeln. Sie soll weiterhin an die hochprofitablen Rundum-Sorglos-Pakete gegen mutmaßlich neue Killerviren durch eine Zoonose glauben.

Was tatsächlich passiert, ist, dass Menschen aufgrund eines beliebigen Tests als krank definiert werden und danach langsam an der „segensreichen Therapie“ zugrunde gehen.

Es kann nicht weitere 35 Jahre der Zustand der Wissenschaft bleiben, dass jede Diskussion mit dem Hinweis abgelehnt wird, es bestehe weitgehender Konsens der „Experten“ zu der Richtigkeit einer Theorie, unabhängig davon, wie groß die Löcher in der Theorie sind.

Es ist aber richtig zu sagen, dass in dem Fall der Virushypothese des AID Syndroms die (falsche) Theorie bei allen, außer den HIV+ gemessenen Menschen, zu Ansehen und Wohlstand geführt hat. HIV+ gemessenen Menschen waren hier nur Mittel zum Zweck. Und sei es nur, dass sich einige Berufsgutmenschen, z.B. bei der Deutschen AIDS Hilfe, als aufrechte Kämpfer gegen Stigmatisierung und Ausgrenzung profilieren konnten. Während die betroffenen HIV+ gemessenen Menschen langsam an AZT & Co zugrunde gingen, bewarben Organisationen dieser Art, zusammen mit den sogenannten HIV-Schwerpunktärzten und teilweise gefördert von den Pharmaindustrie, die „antiretrovirale Therapie“ als „im Allgemeinen gut verträglich“ und mahnten zur Therapieadhärenz, also des strikten Einhaltens des Therapieplans. Wenn die Behandlungen im zweistelligen Prozentbereich wegen zu schweren Nebenwirkungen abgebrochen werden müssen, kann man wohl kaum von „im Allgemeinen gut verträglich“ sprechen. Es fällt sehr schwer zu glauben, dass die Berufsgutmenschen oder die HIV-Schwerpunktärzte von der tatsächlichen Situation und den schweren Problemen, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis, nichts wissen.

Gleichzeitig hat man die „segensreiche Wirkung“ der „highly active antiretroviral therapy“ maßlos übertrieben. In einer Studie aus 2022 zeigten 23,8% von „therapierten“ Prostituierten in Burkina Faso nach Start der „Therapie“ keinen signifikanten Anstieg der CD4 Zellenzahl, trotz behaupteter Unterdrückung der HIV Viruslast („immunovirological discordance“), vgl.

“Among the 123 HIV-1 infected FSW having at least 12 months follow-up on ART, 105 (85.4%) achieved HIV-1 RNA suppression. Among the latter 25 gained less than 100 CD4 + T cells within 12 months follow-up. The IVD rate [immunovirological discordance] was 23.8% (95%CI 16.04%–33.11%).“

Der Theorie nach dürfte das gar nicht passieren, denn der Virus wurde ja unterdrückt. Schaut man aber auf das Experiment, so war schon 2006 klar, dass es fast keinen Zusammengang zwischen der CD4 Zellenzahl und der HI Viruslast gibt, hier an dem Beispiel von HIV+ gemessenen Menschen, die nicht „therapiert“ wurden.

“Despite this trend across broad categories of HIV RNA levels, only a small proportion of CD4 cell loss variability (4%-6%) could be explained by presenting plasma HIV RNA level.“

Gegen die Arbeit von Rodriguez et al. gab es seinerzeit schwere Widerstände, denn zum einen zieht sie die virale Ursache der Abnahme der CD4 Zellenzahl (zentrales Kennzeichen des AID Syndroms) in Zweifel. Zum anderen stellt sie die Sinnhaftigkeit der „Therapie“ in Frage, nämlich gegen HIV zu „therapieren“ (nicht gegen AIDS!), wenn die Veränderung der HIV Viruslast nur einen Bruchteil der Veränderung der CD4 Zellenzahl erklärt, siehe auch oben Wenceslas Bazié et al. (2022).

Vgl. dazu eine Antwort von Konsenswissenschaftlern mit starken Verbindungen zur Pharmaindustrie in dem dazugehörigen Editorial im JAMA. Dem Tenor nach kann es durchaus sein, dass die fehlenden, mehr als 90% Erklärbarkeit der Veränderung der CD4 Zellenzahl durch nicht-virale Faktoren verursacht ist. Dann wäre der HIV Plasmalevel (weniger als 10% Effekt) eben nur die Spitze des Eisbergs. Es spräche aber nichts dagegen, die verbleibenden, mehr als 90% nicht-virale Ursache auch zu therapieren, wenn es denn Substanzen dafür gäbe und man damit auf dem „Erfolg“  der „antiretroviralen Therapie“ aufbaute, vgl.

  • Henry et al., „Editorial – Explaining, predicting, and treating HIV-associated CD4 cell loss: after 25 years still a puzzle.“, JAMA, Sep 27, 2006, 296(12), p. 1523-5, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17003402

“What factor(s) explain the other 90%? Twenty-five years into the HIV epidemic, a complete understanding of what drives the decay of CD4 cells—the essential event of HIV disease—is still lacking. Direct and indirect effects of HIV infection, not fully measured by plasma HIV RNA levels, reverberate through a host’s unique genetic and immunologic environment.”

“Therapies focused on some of the nonviral factors (discussed above) may start to address the bulk of the “iceberg” below the tip of the measureable plasma HIV level.”

“Discovering and developing therapies that target key nonviral factors has the potential over the decades ahead to build on the success of antiretroviral therapy and expand access to sustainable effective therapy.”

Financial Disclosures:

Dr Henry reports that he conducts research funded by the National Institutes of Health, the Centers for Disease Control and Prevention, Bristol-Myers Squibb, Serono, Thera, and Pfizer; is on the speakers bureau for GlaxoSmithKline, Bristol-Myers Squibb, Roche, and Gilead; has received honoraria from GlaxoSmithKline, Bristol-Myers Squibb, and Gilead; and has been a consultant for GlaxoSmithKline, Bristol-Myers Squibb, and Gilead.

Dr Tebas reports that he receives grant support from the National Institutes of Health, Pfizer, Roche, VIRxSYS, Tibotec, Primagen, Gilead, VGX, and Wyeth; has received honoraria from Bristol-Myers Squibb and GlaxoSmithKline; and has been a consultant for Bristol-Myers Squibb and Primagen.

Dr Lane reports that he has received research support from Novartis and is a co-inventor in a US government–held patent of interleukin 2 for use in HIV infection.”

Was will man bei einer nicht-viralen Ursache therapieren? Was soll der Sinn einer Therapie für die „Spitze des Eisbergs“ sein? Welchen Sinn macht eine HIV-Therapie (nicht AIDS-Therapie!) überhaupt, wenn die CD4 Zellenzahl nicht nennenswert von der HIV Viruslast abhängt? Und was war 2006 an diesem Ergebnis von Rodriguez et al. überraschend, wenn man das schon lange bekannte Bystander-Zellen Rätsel berücksichtigt, d.h. die Tatsache, dass man in 2006 schon 20 Jahre lang wußte, dass viel zu wenige CD4 Zellen mit HIV infiziert sind, um das AID Syndrom mit HIV zu erklären? Berücksichtigt man diesem Umstand, dann hätte bei Rodriguez et al. ja gar nichts anderes herauskommen können. Die wenigen mit HIV infizierten Zellen machen eben nichts aus.

Aber wir sprechen hier nicht nur von einer wissenschaftlichen Theorie, die falsch ist. Sondern wir sprechen auch von Millionen von Menschen, die man zu Krüppeln „therapiert“ hat. Das ist in seiner Monstrosität nicht fassbar.

Wissenschaftlich ist man nach 35 Jahren ist nicht einen Schritt weiter, außer dass es hunderttausende von Arbeiten zu HIV (nicht AIDS!) gibt, die wild spekulieren, was eigentlich in der Natur passieren müßte. Da war der Phantasie keine Grenzen gesetzt, solange man nicht vom rechten Glauben abfiel und das HIV=AIDS Dogma anzweifelte. Der einzige Fortschritt war, die Dosen in der „Therapie“ dramatisch zu senken und allzu giftige Substanzen vom Markt zu nehmen. Und siehe da, die so behandelten Menschen leben länger.

Die mutmaßliche HIV-Pandemie (nicht AIDS-Pandemie!) war Blaupause für alle nachfolgenden Fakedemien, die nach demselben Muster abliefen:  einen neuen Erreger aus einer Zoonose postulieren (von welchem Tier kann offen bleiben), einen entsprechenden Test aus dem Hut zaubern, die Gefährlichkeit des mutmaßlich neuen Erregers an einer schwer vorerkranken Population festmachen (vorzugsweise Intensivpatienten), das Versterben ausschließlich dem positiven Test zuordnen, WHO, FDA, CDC, NIH, etc. medial Amok laufen lassen, Katastrophenmodellierungen von „Experten“ verbreiten lassen, Wunderpräparate (zur Therapie oder Prophylaxe) aus dem Ärmel schütteln, absahnen.

Bei SARS-CoV2 zauberte man innerhalb weniger Wochen einen Test aus dem Hut und innerhalb von 2 – 3 Monaten war man weltweit im Panik-Modus. Die Impfungen standen dann innerhalb eines Jahres flächendeckend, weltweit bereit, d.h. inklusive der Produktionskapazitäten für Milliarden von Impfstoffdosen. Aber ohne Sicherheitsprüfung, denn dafür ist in der Krise keine Zeit.

Das lief bei SARS-CoV2 deshalb wie geschmiert, weil die internationalen Strukturen und Abläufe dafür schon jahrzehntelang bestanden und man in den ausgetretenen Pfaden von früheren, mutmaßlich neuen Erregern aus einer Zoonose gewandert ist: HIV, BSE, SARS(1), MERS, diverse Schweine- und Vogelgrippen bis zu den klammheimlich wieder verschwundenen Affenpocken. Letzteres ist besonders merkwürdig, denn der Theorie nach müßten wir hier wieder vor einer Katastrophe stehen.

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Grafikquellen          :

Oben     — O Secretario Estadual da Saúde, Jean Gorinchteyn, do Governo do Estado de São Paulo, em Dia Mundial de Luta contra a Aids – Assinatura da Declaração de Paris Ort: São Paulo/SP Daten: 01/12/2021 Foto: Governo do Estado de São Paulo

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2.) von Oben     —         Kanyabayonga, Nord-Kivu, Demokratische Republik Kongo: Der Welt-AIDS-Tag wird heute, am 1. Dezember 2021, unter dem Motto „Beendigung der Ungleichheiten“ begangen. AIDS stoppen. Pandemien stoppen. Bei dieser Gelegenheit haben sich MONUSCO-Friedenstruppen aus Indien den lokalen Bemühungen angeschlossen, um die Bevölkerung von Kanyabayonga auf diese Pandemie aufmerksam zu machen. In der Demokratischen Republik Kongo leben derzeit rund 510.000 Menschen mit HIV, von denen über 300.000 Frauen, etwas mehr als 125.000 Männer und rund 70.000 Kinder sind. Foto MONUSCO/Kraft

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Der Gesundheitsmarkt

Erstellt von DL-Redaktion am 11. Januar 2023

Notbetrieb als Normalfall

Wer bitte näselt das Wort zum Sonntag?

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Suitbert Cechura

Im Gesundheitswesen folgt Reform auf Reform – damit alles beim Alten bleiben kann, nämlich bei einer marktwirtschaftlichen Logik, die nach staatlicher Aufsicht schreit.

Der Gesundheitsminister ist zurzeit ständig gefordert. Zuerst musste er die Krankenhausfinanzierung neu justieren, um Über- bzw. Unterversorgung oder den Umgang mit dem Pflegenotstand wieder ins Lot zu bringen. Dann fehlte das Personal auf den Kinderstationen und Lauterbach empfahl die Verschiebung knapper Kontingente von den Erwachsenen- auf die Kinderstationen. Als weiteres Problem kam hinzu, dass viele Medikamente in den Apotheken fehlten – schließlich ein Notruf aus den Notfallambulanzen, die Überforderung signalisierten.

Erklärt wurde der eskalierende Notstand mal durch das Treiben der Krankheitserreger, z.B. durch die herrschende Epidemie der Atemwegserkrankungen, dann aber auch – Überraschung! – damit, dass ein Zuviel an Ökonomie zu konstatieren sei (https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/karl-lauterbach-will-arzneikrise-stoppen-oekonomie-zu-weit-getrieben,TOZyfJK). Ein bemerkenswerter Gegensatz, den der Fachmann aus dem zuständigen Bundesministerium hier aufmacht!

Gesundheit als notwendige Kost: Senken!

Ökonomie, also das Wirtschaftsleben, kann ganz unterschiedlich gestaltet werden. Das betrifft auch die Abteilung, in der man sich mit der Frage befasst, wie eine Gesundheitsversorgung am besten zu organisieren und welcher Aufwand dafür zu betreiben ist. Mit dem Stichwort Ökonomie ist aber – nicht nur hierzulande – etwas Spezielles gemeint. Das Ziel der herrschenden Ökonomie besteht ja nicht einfach darin, die Bürger mit den lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen zu versorgen, die Versorgung stellt vielmehr ein Mittel der Bereicherung dar. Rendite ist das Kriterium für den einzelnen Betrieb, Wirtschaftswachstum heißt das für den Standort – und das drückt aus, dass der Reichtum gemessen in Geld wachsen soll. In einer derartigen Kalkulation sind die Aufwendungen für Gesundheit Kosten, die niedrig zu halten sind, die es z.B. verbieten, Krankenhauskapazitäten nur für immer mal wieder auftretende Epidemien vorzuhalten, ohne dass sie ständig genutzt werden.

Und damit ist schon der zentrale Punkt der Gesundheitsversorgung angesprochen: Sie ist eine Dienstleistung, die bezahlt wird, also ein Geschäftsartikel wie alles in dieser Gesellschaft. Die Aufwendungen für die Gesunderhaltung der Bürger gelten demnach auch als eine Last. Gesundheitsversorgung ist natürlich immer mit einigem Aufwand verbunden, doch wenn es der Zweck wäre, dass sich der Aufwand am Wohlergehen der Menschen orientiert und nicht am Wirtschaftswachstum in Form der Vermehrung von Geldvermögen, dann würde man ihn nicht als eine Last empfinden und dementsprechend einstufen. Anders in dieser Gesellschaft, in der die Aufwendungen für die Gesundheit als Belastung für den Staat, die Wirtschaft und die Bürger gelten und Letzteren zur Last gelegt werden.

Gestrichen werden kann dieser Kostenfaktor allerdings nicht. Die Gesunderhaltung der Bürger ist notwendig, denn sie werden ge- und verbraucht. Ersteres als Basis dieser Gesellschaft in den verschiedenen Funktionen als Arbeitskraft, Staatsdiener oder etwa als Mütter, die den Nachwuchs der Nation sicherstellen. Verbraucht werden sie durch die Belastungen im Arbeitsleben, durch verschmutzte Atemluft, durch die mit Giften belasteten Lebensmittel etc., was sich alles in den Statistiken zu den Zivilisationskrankheiten nachlesen lässt. Also braucht es für das Funktionieren dieser Gesellschaft ein leistungsstarkes Gesundheitssystem, das eben wie alles kostet.

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Die betreffenden Kosten werden weitgehend von den Bürgern selbst getragen, und zwar in Form von gesetzlich vorgeschriebenen Krankenversicherungen. Die Zahlung der Beiträge hat der Gesetzgeber so geregelt, dass sie anteilig von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu tragen sind. Sie bilden einen Bestandteil der Lohnkosten, die als Kosten die Gewinnkalkulation belasten. Für die Arbeitnehmer sind sie schlichtweg Abzüge vom Lohn oder Gehalt, die sie praktischer Weise erst gar nicht zu sehen bekommen, sondern die nur als Rechengrößen auf ihrem Gehaltszettel erscheinen. Da es in dieser Gesellschaft auf das Wachstum der Wirtschaft ankommt, soll diese aus Sicht der Politik durch den Kostenfaktor Gesundheit nicht allzu sehr belastet werden. Deshalb sind die Aufwendungen in diesem Bereich in Grenzen zu halten, auch wenn sie notwendig sind.

Eine Last stellen die Aufwendungen für Gesundheit auch für den Bundeshaushalt dar, schließlich sind mit den Kassenbeiträgen der Arbeitnehmer nicht alle Kosten abzudecken, zumal der Staat hier seinerseits auch andere Anliegen (Familienhilfe!) mitversichert. Deshalb ist es ein staatliches Anliegen, einerseits eine Gesundheitsversorgung sicherzustellen, andererseits dies möglichst kostengünstig zu gestalten.

Gesundheitsversorgung als Dienstleistung: Effektivieren!

Weil der Gesundheitszustand der Bevölkerung die Basis der Herrschaft berührt, ist Gesundheitsversorgung staatliches Anliegen. Einige Länder haben daher einen staatlichen Gesundheitsdienst eingerichtet – und weil der kostet, fällt er oft sehr schäbig aus. Deshalb befinden sich z.B. die Beschäftigten des staatlichen Gesundheitswesens in England gerade im Streik. In Deutschland sollen die Kosten für die Gesundheit eine Quelle der Bereicherung sein, weshalb die Sache als Gesundheitsmarkt organisiert ist. Der hat nur einen Schönheitsfehler: Das private Gewinninteresse beißt sich mit dem staatlichen Anliegen einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung. Schließlich geht es dem Staat um die Funktionstüchtigkeit seiner Bürger und den Dienstleistern um ihr Einkommen, d.h. um ihren Gewinn. Von der Erbringung der Gesundheitsleistungen in privater Hand verspricht sich der Staat zudem einen kostenbewussten Einsatz der Mittel. Um diese sehr unterschiedlichen Anforderungen unter einen Hut zu bringen, bedarf es vielfältiger staatlicher Regelungen.

Das beginnt mit der Qualität der Leistungserbringer. Der Staat überlässt die Gesundheitsversorgung nicht irgendwelchen Quacksalbern, auch wenn er diese nicht verbietet (ihnen sogar mit ihren esoterischen und ähnlichen Angeboten ein eigenes Marktsegment überlässt), sondern übernimmt Ausbildung und Zulassung zu den Medizinberufen in seine eigene Regie. So soll gewährleistet sein, dass die Gesundheitsversorgung seiner Bevölkerung nach wissenschaftlichen Maßstäben erfolgt. Damit schafft er sich aber zugleich eine Kaste von Menschen, die exklusiv über das medizinische Wissen der Gesellschaft verfügen und diese Stellung wirtschaftlich ausnutzen können. Also bedarf es der Vorschriften über die Höhe ärztlicher Honorare, die einerseits den Ärzten ein hohes Einkommen sichern sollen, andererseits die Zahlungsfähigkeit der Bürger nicht zu sehr strapazieren. Mit der ist es ja nicht gut bestellt, und ärztliche Leistungen können trotz gewisser Beschränkungen schnell die Bürger überfordern, ruinieren oder von ärztlichen Leistungen ganz ausschließen. Also gibt es eine Versicherungspflicht für alle Bürger, auch für Selbstständige.

Abhängig Beschäftigten traut der Staat wegen ihrer Einkommensquelle sowieso keine selbstständige Versicherung zu, weshalb er ihnen eine gesetzliche Krankenversicherung vorschreibt. Damit hat er eine Zweiklassengesellschaft der Patienten geschaffen, die als unterschiedlich Zahlungskräftige auf dem Gesundheitsmarkt Dienstleistungen nachfragen. Die Mehrheit der gesetzlich Versicherten tritt zwar als Kunde auf diesem Markt in Erscheinung, bezahlt wird die Leistung aber durch die Versicherungen, so dass ein Dreiecksverhältnis zwischen Patienten, Arzt bzw. Krankenhaus und den Versicherungen existiert.

Die gesetzlichen Krankenversicherungen sind eigenartige Gebilde, als Körperschaften öffentlichen Rechts sollen sie sich wie Wirtschaftsunternehmen in Konkurrenz zueinander bewähren. Dabei werden ihre Einnahmen weitgehend gesetzlich bestimmt und auch die zu erbringenden Leistungen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss festgelegt. Sie gelten als selbstbestimmte Organe des Gesundheitswesens, weil Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter in ihren Aussichtsräten sitzen, regeln können sie allerdings vor allem die eigenen Verwaltungskosten (inklusive erstaunlich hoher Vorstandsgehälter).

Eingerichtet ist der Gesundheitsmarkt als ambulante Versorgung durch die niedergelassenen Ärzte und als stationäre Versorgung durch die Krankenhäuser. Um sicherzustellen, dass die praktizierenden Ärzte sich nicht nur dort niederlassen, wo es ein zahlungskräftiges Publikum gibt, existiert eine Beschränkung der Eröffnung von Praxen, die mit den gesetzlichen Kassen abrechnen wollen. Über die Kassenärztlichen Vereinigungen wird die Zulassung zu einem Versorgungsgebiet geregelt, sie sind für die Sicherung der ambulanten Versorgung zuständig.

Anders sieht es im Bereich der stationären Versorgung aus, für deren Sicherstellung die Länder zuständig sind. Zwar kann jeder ein Krankenhaus eröffnen, der über entsprechende Mittel verfügt; um aber an der Finanzierung durch die gesetzlichen Krankenkassen teilzuhaben, bedarf es der Aufnahme in den Krankenhausplan des Landes. Über die Investitionszuschüsse steuern die Länder ihre Krankenhausplanung. Sie bestimmen durch die Investitionen wo Stationen erweitert werden, wo Neubauten entstehen oder Großgeräte angeschafft werden. Insofern gibt es ein Zwei-Säulenmodell der Krankenhausfinanzierung: Die laufenden Kosten für Personal und Sachmittel bestreiten die Krankenkassen, die Investitionen für Gebäude und Großgeräte haben über die Länder zu erfolgen, die sich in zunehmendem Maße dieser Verpflichtung entziehen, was als Investitionsstau in der Öffentlichkeit beklagt wird.

Um zu einer einheitlichen kostengünstigen Versorgung zu gelangen, versucht die Politik dies durch finanzielle Anreize im Rahmen ihrer Planung zu verwirklichen.

Planung durch Anreize: Profite mit Zweckbindung

Preise sind in der Marktwirtschaft Mittel der Unternehmen, ihren Gewinn zu realisieren und die Konkurrenz aus dem Markt zu drängen; Preise im Gesundheitswesen haben aber einen völlig anderen Charakter. Auch wenn der Staat plant und bestimmte gesundheitspolitische Ziele verfolgt, erstattet er den Akteuren oder Leistungserbringern nicht einfach den dafür notwendigen Aufwand. Preise und Finanzierungen im Gesundheitsmarkt sollen Anreize sein. Diese sollen die Leistungserbringer auf die staatlichen Ziele verpflichten – und zwar aus Eigennutz. Der Staat setzt mit seinen Finanzierungsmodellen Krankenhäusern wie niedergelassenen Ärzten die Maßstäbe für deren Kalkulation, bei der es nicht einfach um die beste medizinische Versorgung der Bürger geht, sondern um die Steigerung der Einkünfte.

Diese Form der Planung mag manchen an die Wirtschaftsweise der DDR erinnern – nicht zu Unrecht. Eine solche Planung hat immer wieder erwünschte wie unerwünschte Wirkungen, weil die Interessen staatlicher Gesundheitsplanung und der privatwirtschaftlichen Krankenhausbesitzer nicht zusammenfallen. Wenn jetzt z.B. allseits, sogar offiziell von Regierungsseite, über die Fallpauschalen geklagt wird, so muss man doch als Erstes festhalten, das diese ein staatliches Ziel radikal erreicht haben. Schließlich waren die Pauschalen nicht einfach an dem Aufwand der Krankenhäuser für eine Behandlung bei einer bestimmten Diagnose orientiert, sondern sollten die Krankenhäuser durch die Art der Bezahlung dazu zwingen, ihre Kosten zu senken.

Berechnet wurden Durchschnittswerte für die Behandlungskosten einzelner Krankheiten und der Festlegung der Fallpauschalen zu Grunde gelegt. Damit war von Anfang an klar, dass eine Vielzahl vor allem der kleineren Krankenhäuser rote Zahlen schreiben würden und folglich schließen müssten. Die neue Bezahlung führte zu einer radikalen Kostensenkung in den Krankenhäusern, deren Hauptkostenbestandteil die Löhne sind. Bereiche wie Reinigung der Stationen, Krankenhausküchen oder -wäschereien wurden outgesourced und damit von den Tarifen des öffentlichen Dienstes in die der Billiglohnsektoren herabgestuft. Bei den Pflegekräften wurde in einem Maße gespart, dass die Kliniken – mit Mangelernährung, Wundliegen etc. – zu einem gefährlichen Ort für Patienten wurden.

Deshalb wurden die Pflegekosten im Rahmen einer Reform der Reform aus den Fallpauschalen herausgenommen und zu einem eigenen Budget umgewandelt, damit die Pflege in den Häusern einigermaßen gewährleistet ist. Doch trotz dieser Reform warnte die AOK-Chefin Carola Reimann Herz- und Krebskranke, dass bei der Wahl der falschen Klinik Lebensgefahr bestünde. (Bild 23.12.22) Private Anbieter haben Krankenhäuser als lukrative Geldanlage entdeckt und dabei die Geschäftsgelegenheiten genutzt. Alle Häuser haben versucht, für sich das Beste herauszuholen, z.B. – da sich die einzelnen Fälle unterschiedlich rechnen – wenig lukrative Bereiche wie Kinderabteilungen geschlossen und andere, in denen leicht Geld zu verdienen ist, ausgebaut. Diese Entwicklungen gehören genauso zu dieser Planungsweise wie die angestrebten Kosteneinsparungen. Das wird aber nun als eine Fehlentwicklung beklagt, obgleich es Resultat dieser Form der Krankenhausplanung ist. Schließlich sind die Häuser ja gefordert, als Wirtschaftsunternehmen zu kalkulieren, was sie entsprechend den staatlichen Vorgaben getan haben.

Von Reform zu Reform: Ver(schlimm)-Besserung als Dauerzustand

Nicht nur die Krankenhäuser sind von dieser Art der Planung im Gesundheitswesen betroffen. Auch an anderen Stellen werden „Fehlentwicklungen“ beklagt, die genauso Wirkungen dieser Sorte Gesundheitspolitik sind wie die angestrebten Kostensenkungen. Wenn angesichts der momentanen Krankheitsfälle fehlendes Personal beklagt wird, so zeigt dies nur, wie der Personaleinsatz auch bei reformierten Fallpauschalen berechnet ist. Eine Personalreserve für Krankheitsfälle von Mitarbeitern ist nicht vorgesehen, also löst jeder Ausfall oder jede Kündigung einen Engpass aus, den die übrigen Mitarbeiter aufzufangen haben. Und so gehört der Notstand, der immer wieder durch Änderungen in der Schichtplanung oder Verschiebung von Personal aufzufangen ist, zur Normalsituation in den Häusern.

Das Fehlen von Medikamenten ist auch nicht vom Himmel gefallen, sondern Resultat dessen, dass die Krankenkassen ihre Marktmacht gegenüber den Pharmaherstellern nutzen sollten, um Preise für Medikamente durch Rabattverträge zu senken. Das haben die so beauftragen Kassen auch getan – mit dem Resultat, das man jetzt besichtigen kann. Für manchen Hersteller hat sich Produktion oder Vertrieb des einen oder anderen Medikaments nicht mehr gelohnt. Die verbliebenen Hersteller haben die Freiheit des Weltmarktes für sich genutzt und die Produktion ihrer Arzneimittel in Länder verlegt, in denen die Löhne niedrig sind und Umweltauflagen entweder fehlen oder das Geschäft nicht beeinträchtigen. So gibt es die bekannten Lieferausfälle durch Produktionsstörungen, zum Teil auch wegen Hygienemängeln.

In der Lage verkündet der Gesundheitsminister: „Bei der Beschaffung von Arzneimitteln soll der Preis nicht mehr der wichtigste Faktor sein.“ (SZ, 20.12.22) Deshalb legt er den Preis neu fest, der als Anreiz für eine vermehrte Produktion wirken und den Herstellern höhere Gewinne verschaffen soll. Eine neue Produktion ist damit aber noch nicht im Lande etabliert. Deshalb braucht es zu den finanziellen Anreizen zusätzliche Vorschriften: „Insgesamt sollen bei der Beschaffung von Medikamenten künftig andere Kriterien gelten als bisher. So soll nicht wie bisher nur der billigste Anbieter zum Zuge kommen. Stattdessen sollen bei wichtigen Arzneimitteln zwei Verträge geschlossen werden: Neben dem günstigsten Anbieter aus dem nicht-europäischen Ausland soll stets auch der günstigste Hersteller aus der EU berücksichtigt werden.“ (SZ) Auf diese Art soll der Preis eigentlich keine Rolle mehr spielen, glaubt man der Zeitung.

Die Klage über überbelastete Notfallambulanzen ist Resultat dessen, dass sich ärztliche Notdienste für die niedergelassenen Ärzte nicht rechnen, weswegen sie stark reduziert wurden. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind zwar rechtlich verpflichtet, einen solchen Notdienst zu organisieren und vorzuhalten; in welchem Umfang es passiert, ist ihnen aber weitgehend selbst überlassen. So erstreckt sich dieser Dienst häufig auf ein riesiges Gebiet, sodass die Patienten, sollten sie denn beim dafür eingesetzten Call-Center durchkommen, lange auf die Ankunft eines Arztes warten müssen. Also rufen die meisten Menschen gleich die 112 an oder fahren zum nächsten Krankenhaus, für das sich diese Notfälle meist nicht rechnen, es sei denn sie nehmen sie stationär auf. Also gibt es die bekannte Überlastung.

Wer ist hier der für diese Zustände verantwortliche Minister ? Von Links nach Rechts.

Wenn nun Städte und Gemeinden die niedergelassenen Ärzte auffordern, angesichts überlasteter Kliniken ihre Praxen länger zu öffnen, dann kann man sich nur wundern. Damit die Ärzte nicht zu viel an Leistungen abrechnen, wurden ihnen ja von Seiten der Politik Praxisbudgets verpasst, bei deren Überschreitung die Leistungen nicht mehr voll erstattet werden. Also lohnen sich diese nicht und viele Praxen passten daher ihre Öffnungszeiten entsprechend an. Sie jetzt dazu aufzufordern, entgegen den von der Gesundheitspolitik gesetzten Anreizen zu handeln, ist schon ein Treppenwitz.

Weil die Steuerung des Gesundheitswesens über finanzielle Anreize zwar viele Kosten einspart, aber immer wieder unerwünschte Effekte hervorbringt – das Interesse an einem kostengünstigen Gesundheitswesen und das Geschäftsinteresse derer, die es betreiben, gehen eben, wie gezeigt, nicht zusammen –, entsteht ein ständiger Reformbedarf auf Seiten der Gesundheitspolitik. Die Reformen haben aber nicht die Aufkündigung des grundlegenden Verhältnisses zum Inhalt, sondern zielen immer auf die Änderung der Anreize, die die Kosten begrenzen, zugleich das Geschäft weiter in Gang halten sollen. Zu spüren bekommen dies die Patienten in Form schlechter Versorgung und die Beschäftigten durch miese Bezahlung und hohe Belastung. Der Zustand wird mit jeder Reform der Reform fortgeschrieben: Denn Marktwirtschaft muss gehen, auch wenn jeder staatliche Eingriff dokumentiert, dass es mit ihr eine ordentliche Gesundheitsversorgung nicht geben wird.

Zuerst erschienen im Overton-Magazin

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Gift aus dem Ausland

Erstellt von DL-Redaktion am 8. Januar 2023

In Uganda setzen Kleinbauern Pestizide ein, die in Europa verboten sind.

Bananenplantage in Afrika

Aus Kampala von Simone Schlindwein

Nun soll deren Export aus Deutschland und der EU untersagt werden. Welche Folgen hätte das? „Die Chemikalien werden über-dosiert oder falsch angewandt, zum Beispiel in der Regenzeit, wenn der Regen sie einfach wegspült“.

Faustine Mugalula schraubt die kleine Plastikflasche auf und schüttet vorsichtig etwas Flüssigkeit in einen Messbecher. „25 Milliliter auf 20 Liter Wasser reichen aus, um meinen Garten zu sprühen“, sagt er und kippt die Flüssigkeit in einen mit Wasser gefüllten Kanister, den er sich auf den Rücken schnallt. Auf dem Etikett der Flasche steht: „giftig“.

Mugalula bindet sich ein rotes bereits löchriges Stofftuch um Mund und Nase und nimmt das Spritzrohr in die Hand. In Gummistiefeln stapft er in seinen Gemüsegarten, um Raupen und anderen Schädlingen auf seinen Auberginenpflanzen den Garaus zu machen.

Mugalula ist 50 Jahre alt, ein hagerer Mann mit grauen Bartstoppeln im Gesicht. Sein Acker liegt in einem kleinen Dorf im Süden Ugandas, rund 30 Kilometer von der Hauptstadt Kampala. Er ist einer von Millionen von Kleinbauern im Land, der regelmäßig seine Tomaten, Auberginen und Bohnen mit Pestiziden besprüht. „Das erhöht meine Erträge“, sagt er und zeigt auf die sechs Kinder, die vor seinem Haus mit unverputzten Mauern Mensch-Ärgere-Dich-Nicht spielen. „Ich verkaufe meine Ernte, um davon die Schulgebühren zu bezahlen“, sagt Mugalula.

Seit sieben Jahren sprühe er, sagt er und erzählt, wie es dazu kam. Ein Vertreter einer Firma kam ins Dorf und erklärte ihnen, dass die Pflanzen mit Chemikalien besser wachsen. Einer von Mugalulus Nachbarn kaufte sich spontan eine Flasche und seine Ernte war sehr gut. Das hat ihn überzeugt und deshalb fährt Mugalulu regelmäßig nach Kampala, um dort das Pflanzenschutzmittel zu besorgen.

Faustine Mugalula hilft das Gift aus dem Ausland dabei, seine Familie zu ernähren. Aber in Zukunft muss er die Schädlinge womöglich anders bekämpfen. Denn es gibt – nicht zuletzt in Deutschland – Bestrebungen, giftige Insektenbekämpfungsmittel vom Markt zu verbannen. Das hätte Auswirkungen nicht nur auf die Arbeit von Landwirten, sondern auch auf die Geschäfte großer Chemiekonzerne.

Nachdem Faustine Mugalula fertig gesprüht hat, hängt feiner Sprühnebel zwischen den Auberginensträuchern. Darunter picken Küken nach Insekten. Eine junge Ziege grast nur wenige Meter entfernt. Die Chemikalie riecht ätzend, kommt man dem Sprühnebel zu nahe, wird einem übel und man bekommt einen Brechreiz.

„Rocket“ steht auf der Plastikflasche. Als Wirkstoffe sind Profenophos und Cypermethrin ausgewiesen, die als Nervengifte nicht nur Raupen und Kakerlaken, sondern auch alle Bienen im Umkreis töten. Das Produkt ist hergestellt worden für Schädlinge auf Baumwoll- oder Tabaksträuchern – nicht für essbare Gemüsepflanzen. So steht es in der Packungsbeilage. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit kam 2020 zum Schluss, dass diese Wirkstoffe Schilddrüsenkrebs hervorrufen können, und stufte die Substanz deshalb als „hormonschädlich für den Menschen“ und „wahrscheinlich hormonschädlich für die Umwelt“ ein.

„Ich habe keine Probleme damit“, sagt Mugalula und wäscht sich in einer Wanne die Hände mit Seife. Das Schmutzwasser kippt er danach ins Gras, das die Ziege frisst. Dann bindet er sich das Stofftuch ab und stopft es ungewaschen in seine Hosentasche. „Sie haben uns gesagt, dass wir Handschuhe und professionelle Schutzmasken tragen sollen“, sagt Mugalula. „Aber das Geld dafür spare ich mir.“

Die 100-Milliliter-Flasche, die Mugalula für umgerechnet rund 1,50 Euro einkauft, ist in Uganda abgefüllt. Doch die Inhaltsstoffe darin stammen aus dem Ausland und müssen importiert werden: aus Indien und China, aber auch aus Deutschland.

Auf der Liste der in Uganda zugelassenen Pestizide stehen 109 Namen, die legal eingeführt werden dürfen, zum Teil sind das giftige und gefährliche Wirkstoffe. 39 davon stammen von deutschen Herstellern, darunter sind die Chemie-Giganten Bayer und BASF, aber auch kleinere Unternehmen. Sie liefern Pflanzenschutzmittel, die zum Teil in der EU nicht mehr zugelassen sind. Darunter beispielsweise das Fungizid Mancozeb von Bayer oder der Wirkstoff Fipronil von BASF.

Der Export dieser Substanzen aus Europa ist immer noch erlaubt. Laut dem im November von der Heinrich-Böll-Stiftung publizierten Pestizid-Atlas genehmigten europäische und britische Behörden in den Jahren 2018 und 2019 die Ausfuhr von mehr als 140.000 Tonnen an Pestiziden, die innerhalb der EU verboten sind. 10.000 Tonnen davon stammen von deutschen Herstellern.

Afrika gilt als Absatz-markt der Zukunft

Hauptabnehmer sind Länder im globalen Süden mit einem großen Agrarsektor wie etwa Brasilien. Rund 13 Prozent gehen nach Afrika: nach Kenia, Südafrika, Nigeria und auch Uganda. Hier werden sie nicht nur von großen Baumwoll-, Mais- oder Schnittblumenbetrieben verwendet, sondern auch von Kleinbauern wie Faustine Mugalula.

Der Absatzmarkt in Afrika ist im Vergleich zu anderen Kontinenten noch klein, sagt die Ökotoxikologin Silke Bollmohr, die den Pestizid-Atlas mit erarbeitet hat. „Afrika wird dementsprechend von der Industrie als großer Absatzmarkt der Zukunft betrachtet.“

Doch daraus wird womöglich nichts werden. „Es geht nicht an, dass wir nach wie vor Pestizide produzieren und exportieren, die wir bei uns mit Blick auf die Gesundheit der Menschen zu recht verboten haben“, erklärte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen im September. Mit einer neuen Verordnung wolle er das im Koalitionsvertrag vorgesehene Ausfuhrverbot umsetzen. Auf taz-Nachfrage konkretisiert seine Pressestelle, dass sie den Export von „bestimmten Pestiziden“ untersagen wolle, „die in der EU aus Gründen des Schutzes der menschlichen Gesundheit nicht zugelassen sind“. Gemeinsam mit Frankreich wolle sich die Bundesregierung zudem für einen EU-weiten Exportstopp einsetzen. Welche Pestizide das konkret sein werden, stehe jedoch noch nicht fest. Die deutsche Verordnung soll im ersten Halbjahr 2023 kommen.

Ein Exportverbot sei lange überfällig, heißt es in einem offenen Brief, den 274 Menschenrechtsorganisationen aus 54 Ländern des globalen Südens im November an Özdemir geschickt haben. Sie fordern, dass das Verbot sowohl fertige Produkte als auch die Wirkstoffe umfasst. Ein Exportverbot dürfe auch nur der erste Schritt sein auf dem Weg zu einem weltweiten Verbot. Es bedürfe eines strukturellen Umdenkens hin zu biologischen Anbaumethoden, damit die Menschenrechte gewahrt blieben.

Die Hersteller sehen das – wenig überraschend – anders. Bayer und BASF betonen auf taz-Anfrage, dass ein Exportverbot nicht zielführend sei, wenn man Ernährungssicherheit gewährleisten wolle.

Landwirte im globalen Süden seien auf wirksame Pflanzenschutzmittel angewiesen, „da der Schädlingsdruck durch die klimatischen Bedingungen dort viel höher ist als beispielsweise in Europa“, heißt es von Bayer.

Ein Exportstopp würde den Landwirten gerade den Zugang zu den nach höchsten Umweltstandards produzierten Mitteln verwehren, argumentiert BASF.

Ugandas Bauern sind nicht unbedingt auf deutsche Produkte angewiesen. Der Laden, in dem Bauer Mugalula sein Insektengift kauft, befindet sich in einer geschäftigen Straße in der Altstadt von Kampala. „Container City“ wird der Straßenzug genannt, weil sich hier hunderte containergroße Buden aneinander reihen: alle bis unter die Decke voll mit Chemikalien – vom Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat bis hin zu Insektiziden, die keine Biene überleben lassen.

In der Bude, wo Mugalula immer einkauft, sitzt die Verkäuferin mit ihrem Baby auf dem Schoß. Hannah Balinda heißt sie, 26 Jahre alt, um sie herum türmen sich bis unter die Decke Plastikflaschen mit dem Warnhinweis „giftig“. Die meisten sind von indischen und chinesischen Herstellern, die billige Generika anbieten. An der Wand hinter ihr hängen einige Gummihandschuhe und Atemschutzmasken. Doch die verkaufe sie nur selten, gibt Balinda zu: „Die Bauern sparen sich meist das Geld dafür.“ Einige der Läden in der Nachbarschaft führen schon gar keine Schutzkleidung mehr, weil sie sich nicht gut verkaufen, sagen die Verkäufer. Eine geeignete Atemschutzmaske kostet drei Mal so viel wie die Plastikflasche, die Bauer Mugalula einkauft.

In einem etwas größeren Laden sortiert der Verkäufer gerade seine neu eingetroffene Ware in die Regale. Im vorderen Bereich präsentiert Oduor Ambrose sichtbar die Dosen mit Samen, die er frisch aus Deutschland per Luftfracht geliefert bekommen hat: Mais, Wassermelonen, Bohnen, Paprika und Zwiebeln – hybride Samen aus den Laboren von Bayer Crop Science in Leverkusen.

In den Regalen dahinter stehen Plastikflaschen mit Glyphosat und anderen Pestiziden von Bayer, die in Kombination mit diesen Samen angewandt werden sollen. „Der Mais wächst sonst nicht gut, wenn man nicht sprüht“, erklärt er und zückt ein kleines Handbuch. Auf dem Titel eine aufgehende Sonne über einem prallen Maisfeld kurz vor der Ernte. Rechts oben: das Bayer-Logo.

In Comic-artigen Bildern und Fotos ist in dem Handbuch erklärt, für was welches Produkt wie angewendet werden soll – und welche Schutzkleidung vorgesehen ist: Handschuhe, Ganzkörper-Schutzanzug, Schutzbrille, Gummistiefel, Mütze; sowie der Hinweis, dass man sich nach der Anwendung duschen und die Schutzkleidung waschen soll. „Wir wollen ja nicht, dass die Bauern sterben, wenn sie unsere Produkte anwenden“, sagt Ambrose und lacht: „Das wäre nicht gut für das Image.“

Landesweit führt seine Firma im Auftrag von Bayer Trainings zur sachgemäßen Anwendung durch, sagt er. Auf seinem Handy zeigt er Fotos in einer Whatsapp-Gruppe, die er für Kunden aufgesetzt hat. Darin tauschen sich die Bauern aus, welches Mittel am besten wirkt, wie man sie am besten anwendet – sie machen damit auch indirekt Werbung.

Quelle         :        TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

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Was Corona verändert hat

Erstellt von DL-Redaktion am 3. Januar 2023

Nur Stadt ist cool und kreativ?

Blick vom Hochhaus der Charité in Berlin, Dezember 2019.jpg

Hinten links die gläserne Kuppel mit den platzierten Puppen

Ein Debattenbeitrag von Julia Amberger

Unter anderem Corona hat an dieser alten Gewissheit gerüttelt, immer mehr Menschen zieht es aufs Land. Wo auch tagsüber Menschen sind, lohnt es sich, ein Café oder eine Gaststätte zu betreiben.

Corona ist angeblich vorbei – doch es hat manches dauerhaft verändert. Wenn Sie wie ich gleich nach dem Abi aus der Provinz in die Stadt geflohen sind, glauben Sie vielleicht auch lange: Wer sich frei entwickeln will, muss nach Hamburg, Berlin, dorthin wo täglich neue Start-ups gegründet und Lösungen für die Probleme von morgen gesucht werden. Städte stehen für ein kreatives soziales Umfeld.

Doch plötzlich breitete sich Sehnsucht aus, nach Bäumen, sattem Grün. Monate im Lockdown, umgeben von Beton, haben diese Sehnsucht noch verstärkt. Nachdem im vergangenen Jahr das Bundesverfassungsgericht auch noch die Berliner Mietpreisbremse gekippt hat, werden die Kosten für ein Leben in der Stadt langfristig weiter steigen und der Kampf um Platz wird sich zuspitzen – höchste Zeit, die eigenen Gewissheiten zu hinterfragen!

Seit einigen Jahren gelten strukturschwache Gegenden wie Nordhessen als entschleunigend, ein Architekt, der aus Berlin in die Braunkohleregion Lausitz zog, schwärmt von einer Gründerstimmung in Brandenburg wie im Berlin der 90er Jahre. Das spiegelt sich auch in der Wanderungsbilanz deutscher Städte: Laut einer Untersuchung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung verlieren Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern immer mehr Menschen wegen Umzugs – insbesondere im Westen. Ohne den Zuzug aus dem Ausland würden sogar Berlins Einwohnerzahlen längst sinken. Verlor die Hauptstadt 2010 noch überschaubare 2.000 Berlinerinnen und Berliner an Brandenburg, zogen 2019 schon fast 17.000 mehr Menschen ins Umland als umgekehrt, vor allem Familien.

Für viele ist die neue Landlust bislang aber immer noch ein Traum: 2019 lebte knapp jeder dritte Deutsche in einer Großstadt mit mehr als 100.000 Einwohnern und gerade einmal 14 Prozent in kleineren Gemeinden mit einer Bevölkerung von weniger als 5.000 Menschen. Umfragen zufolge liebäugelt aber ein größer werdender Anteil mit einem Umzug aufs Land. Noch kurz vor Ausbruch der Coronapandemie wollten laut einer Erhebung von Kantar 34 Prozent der Deutschen gern auf dem Dorf leben und 27 Prozent in einer Kleinstadt im ländlichen Raum. 26 Prozent bevorzugten demnach den Stadtrand und nur 13 Prozent ein Leben in der Stadt.

Corona wirkte wie ein Katalysator: Einer Umfrage im Auftrag der Zeit aus dem Sommer 2020 zufolge wünschte sich ein Drittel der befragten Stadtbewohner einen Umzug aufs Land oder in eine Kleinstadt, bei knapp einem Zehntel war dieser Wunsch wegen Corona entstanden oder hatte sich verstärkt. Städte sind so unattraktiv geworden, dass das Land als Alternative wieder infrage kommt. Als Alternative, die jeder mit seinen eigenen Ideen bespielen kann.

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Denn der Hype um Berlin, Köln oder München hat die Städte verändert: Die Straßen sind voll, die Parks zertrampelt und die Mietpreise für Wohnungen und Büros in den letzten Jahren enorm gestiegen. Da Platz begehrt, aber begrenzt ist, wird er immer teurer. Freiräume und Orte für kreativen Austausch verschwinden. Wer einen Platz in der Kita will, muss sich in manchen Städten schon vor der Geburt des Kindes bewerben und oft entscheidet ein Los darüber, ob der Nachwuchs auf die gewünschte Schule kommt. Mit den in der Pandemie geschlossenen Kinos, Restaurants, Konzerthäusern und Museen sind jetzt auch die letzten Vorteile von Städten dahin.

Auch die Arbeitswelt hat sich durch Corona rasant geändert. Menschen arbeiten – wo möglich – remote, insbesondere in den Großstädten, in denen sich die wissensintensiven, computerbasierten Tätigkeiten konzentrieren, die theoretisch auch auf die Kanaren oder in den Wald verlegt werden können, solange es dort eine Internetverbindung gibt. Wer nur ein- oder zweimal pro Woche ins Büro muss oder gar komplett von zu Hause aus arbeitet, der kann nicht nur seinen Urlaub verlängern und am Strand arbeiten. Der kann auch genauso gut in der brandenburgischen Prignitz leben wie in Berlin.

Aber nicht nur der Blick aufs Land hat sich geändert, sondern sogar einige Ortschaften selbst: Während die Städte immer voller werden, Kieztheater dichtmachen und Coworking Spaces so elitär geworden sind, dass sich die Miete fast nur Firmen leisten können, entstehen plötzlich ähnliche Angebote auf dem Land. Sie sind aber keine Kopien der Modelle aus der Stadt. Stattdessen passen sie sich an die Menschen vor Ort und ihre Bedürfnisse an. Nicht der Profit steht im Vordergrund, sondern die Idee, Pendlerinnen und Pendlern eine Alternative zu bieten, den Ort zu beleben und die Lebensqualität zu steigern. Wo auch tagsüber Menschen sind, lohnt es sich, ein Café oder eine Gaststätte zu betreiben. Schlafdörfer werden so zu Tagdörfern.

Quelle       :           TAZ-online       >>>>>        weiterlesen

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Oben     —       Blick aus dem 17. Obergeschoss des Charité-Klinikum Hochhaus (Südseite), rechts hinten die gläserne Reichstagskuppel zu sehen

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KOLUMNE * Red Flag

Erstellt von DL-Redaktion am 3. Januar 2023

Wieder Paris. Wieder ein Einzelfall

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Wo es am gesunden Menschenverstand fehlt – entscheiden politische Einzelfälle. 

Kolumne von Fatma Aydemir

Es war 1999, als Ahmet Kaya auf einer Gala in Istanbul mit Besteck beworfen und aus dem Saal gebuht wurde. Der Sänger und Komponist, der zu den einflussreichsten Künstler-innen der modernen türkischsprachigen Musik zählt, wurde an dem Abend mit einem symbolträchtigen Preis als „Staatskünstler“ geehrt.

Seine Dankesrede nutzte Kaya, um auf seine kurdische Herkunft hinzuweisen und ein kurdischsprachiges Lied anzukündigen, das er aufnehmen und zu dem er ein Video drehen wolle. Noch bevor Kaya die Rede beenden konnte, tobte bereits das Publikum, Popsternchen stimmten nationalistische Hymnen an, die Presse strickte aus der Rede einen Terrorvorwurf. Kaya drohten kurz darauf 12 Jahre Haft in der Türkei wegen Volksverhetzung. Ein Jahr später starb er im Pariser Exil an einem Herzinfarkt, mit 43 Jahren.

Als vergangene Woche der Anschlag auf das kurdische Kulturzentrum in Paris verübt wurde, dachte man unweigerlich an diese Geschichte zurück. Zum einen trägt das Zentrum den Namen von Ahmet Kaya, zum anderen waren auch die drei Menschen, die dort von einem französischen Rechtsextremen erschossen wurden, politisch Verfolgte aus der Türkei. Sie suchten in Paris Zuflucht, sie blieb ihnen verwehrt.

Paris - Eiffelturm und Marsfeld2.jpg

Emine Kara, die wohl bekannteste unter ihnen, hatte unter ihrem Kriegsnamen Evin Goyi in Raqqa gegen den IS gekämpft und war verletzt nach Frankreich gekommen. Ausgerechnet in dem seit Jahren von islamistischen Terroranschlägen gebeutelten Land war ihr Asylgesuch abgelehnt worden. Wie Kara wurden bereits 2013 drei kurdische Kämpferinnen mitten in Paris hingerichtet. Damals wurde für den Mord an Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Saylemez der türkische Rechtsextreme Ömer Güney verdächtigt, der sich das Leben nahm, bevor die Tat aufgeklärt werden konnte. Nach Einschätzungen sowohl deutscher als auch französischer Sicherheitsbehörden war Güney V-Mann des türkischen Geheimdienstes in Bayern und Paris.

Die kurdische Community hat genügend Grund für Misstrauen, was die bisherigen Erkenntnisse zum Anschlag auf das Kulturzentrum Ahmet Kaya angeht. Der mutmaßliche Täter wurde in eine Psychiatrie eingewiesen. Der 69-jährige Franzose war erst wenige Tage vor der Tat aus der Haft entlassen worden und wegen rassistischer Gewalt angeklagt. Letztes Jahr hatte er ein Geflüchteten Heim angegriffen und mehrere Menschen verletzt. 2016 soll er einen Mann mit einem Messer attackiert haben. Das Motiv, laut Eigenaussage: Rassismus. Das Profil, das sich aus Medienberichten bislang ergibt: rechtsextremer Einzeltäter, psychisch krank.

Quelle       :         TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Oben     —   Eine wehende rote Fahne

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Unten     —   Paris: Der Eiffelturm und der Champ de Mars.

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Verdienen statt malochen

Erstellt von DL-Redaktion am 2. Januar 2023

Debatte um Rente mit 70

Nur Politiker-innen haben mit über 70 noch Träume, da sie nie gearbeitet haben.

Ein Debattenbeitrag von Simone Schmollack

Das liberale Modell, über die Rente hinaus weiterzuarbeiten, ist besser als die diskutierte Rente mit 70. Die Regierung muss hier standhaft bleiben.

Für Rent­ne­r:in­nen beginnt das neue Jahr mit einer guten Nachricht: Nicht nur das Ruhegeld steigt – im Westen um rund 3,5 Prozent und im Osten um 4,2 Prozent – ab 1. Januar 2023 entfallen auch die Hinzuverdienstgrenzen für Menschen im vorzeitigen Ruhestand. So hat es das Bundeskabinett Ende August 2022 beschlossen und so tritt es jetzt in Kraft. SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil begründet den Vorstoß damit, dass die Bundesregierung „den Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand flexibel“ gestalten möchte – und das dauerhaft für alle Betroffenen, insbesondere für jene Menschen, die aus verschiedenen Gründen nicht bis zum offiziellen Renteneinstiegsalter arbeiten können oder wollen. Bislang war die Summe, die Früh­rent­ne­r:in­nen verdienen durften, ohne dass ihnen der zusätzliche Verdienst auf die Rente angerechnet wurde oder sie dafür Steuern zahlen mussten, gedeckelt. Diese Grenze fällt jetzt komplett weg.

Der Grund für die „Großzügigkeit“ der Ampel erschließt sich sofort: Arbeitskräftemangel. Überall fehlen Fachkräfte, vor allem in der Kinder-, Jugend- und Sozialarbeit, in den Schulen und Kitas, in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, in der Suchtberatung – also überall dort, wo Menschen persönliche Hilfe brauchen. Im Sommer 2021 wurden dem Institut der deutschen Wirtschaft in Köln zufolge bundesweit allein 20.578 sozialpädagogische und 18.279 Pflegefachkräfte gesucht. Aber auch IT-Spezialist:innen und Hand­wer­ke­r:in­nen wie Heizungs- und Kfz-Monteur:innen sowie Kraft­fah­re­r:in­nen fehlen zuhauf.

Was es heißt, wenn die Zahl der Lkw-Fahrer:innen rapide sinkt, erlebt aktuell Großbritannien: Der Güterverkehr funktioniert nicht mehr wie sonst, Lieferketten sind unterbrochen. Das sorgt für leere Warenregale, lange Schlangen an den Tankstellen, stillstehende Fabrikproduktionen. Die britische Regierung versucht Abhilfe zu schaffen, indem sie über gelockerte Einreisebestimmungen ausländische Kraft­fah­re­r:in­nen auf die Insel lockt.

Deutschland setzt auf Vergünstigungen für einheimische Arbeitskräfte, vor allem für jene, die nicht bis zum „bitteren Ende“ malochen wollen. Zwar können manche von ihnen bereits heute schon früher in Rente gehen – so sie mindestens 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben und Abschläge bei ihrer Rente in Kauf nehmen. Um die niedrigere Rente aufzubessern, arbeiten viele Rent­ne­r:in­nen weiter. So wie Guntram Jordan.

Als der heute 69-Jährige vor neun Jahren vorzeitig in Rente ging, bekam er 712 Euro Ruhegeld: 800 Euro Bruttorente minus 11 Prozent Abschlag, weil er mit 60 Jahren in den Ruhestand trat. Aufgrund eines Unfalls ist er schwerbehindert und hätte, so sagt er, nicht einmal bis zu seinem wegen der Beeinträchtigung vorgezogenen Renteneintrittsalter von 63 Jahren so arbeiten können. Jedenfalls nicht so, wie das sein Job als Concierge eines großen Berliner Hotels vorsah: Dreischichtsystem, bis zu zehn Stunden stehen, das fünf bis sechs Mal in der Woche. Dazu stets freundlich und zuvorkommend sein müssen.

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Ohne die Behinderung hätte Jordan, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, bis zu einem Alter von 65 Jahren und 7 Monaten arbeiten müssen. Die Geburtsjahrgänge ab 1964 müssen in der Regel arbeiten, bis sie 67 Jahre alt sind – es sei denn, sie nehmen hohe Rentenabschläge in Kauf. Guntram Jordan hat das gemacht, „obwohl meine Rente überhaupt nicht berauschend war und die Abschläge sie noch einmal gesenkt haben. Sonst wäre ich jetzt vermutlich schon tot“, sagt der Mann.

Weil er von so wenig Geld nicht leben konnte, arbeitete er als Rentner weiter. Aber so, wie er es schaffte und wollte: wenige Stunden täglich, höchstens zwei oder drei Tage hintereinander, kein Schichtsystem. Allerdings war der von ihm selbst stark reduzierten Arbeitszeit ohnehin ein gesetzliches Limit gesetzt: die damalige Hinzuverdienstgrenze von höchsten 450 Euro monatlich. Jeder Euro, den er darüber hinaus erarbeitet hätte, wäre ihm von der Rente abgezogen worden. Für Betroffene, die wie Guntram Jordan im Niedriglohnsektor arbeiten – auf dem Bau, in der Pflege, im Einzelhandel – und oft kaputte Knochen oder chronische Krankheiten haben, war dieses Limit eine harte Einschränkung. Dass die jetzt fällt, ist ein positives Signal der Ampel an alle Früh­rent­ne­r:in­nen – Fachkräftemangel hin oder her.

Quelle        :          TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Am Tropf der Welt

Erstellt von DL-Redaktion am 30. Dezember 2022

Was geschieht, wenn China die Medikamentenlieferungen einstellt?
Dann geht es um Leben und Tod

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Ein Debattenbeitrag von Bernd Hontschik   –    Er war bis 1991 Oberarzt an der Chirurgischen Klinik des Krankenhauses Frankfurt-Höchst, bis 2015 in eigener Praxis tätig. Er ist Autor des Bestsellers „Körper, Seele, Mensch“. Aktuell erschienen ist sein Buch „Heile und herrsche! Eine gesundheitspolitische Tragödie“, ­Westend Verlag.

Um Kosten zu sparen, hat Deutschland die Medikamentenproduktion an wenige Monopolisten im Ausland delegiert. Diese totale Abhängigkeit rächt sich nun.

Wo man hinschaut, fehlen in Deutschland qualifizierte Arbeitskräfte. Und jetzt fehlen auch noch Medikamente! Aber wir haben ja zum Glück das beste Gesundheitswesen. Oder? Pflegekräfte sind es gewohnt, den Arbeitskräftemangel mit Überstunden und Doppelschichten auszugleichen. Wenn das noch nicht reicht, dann nehmen sie halt vier, fünf oder sechs Pa­ti­en­t:in­nen in ihre pflegerische Obhut statt der erlaubten zwei. Das ist besorgniserregend, doch auf Einsatzbereitschaft und Ethos der Pflegekräfte war schon immer Verlass.

Aber nun geht es plötzlich ans Eingemachte: „Angespannte Lage auf dem Arzneimittelmarkt“, „Fiebersenkende Mittel und Hustensäfte gehen aus“, „Lieferengpässe“, „Keine Antibiotika mehr vorhanden“. Viele Medikamente sind nicht mehr ausreichend verfügbar, einige Regale sind leer. War es nicht so, dass im Kapitalismus sogleich produziert und verkauft wird, wenn Umsatz und Gewinne winken? Wieso funktioniert das hier nicht?

Zuerst der akute Grund: Nicht die angesagte vierte, fünfte oder sechste Corona welle rollt zur Zeit übers Land, sondern eine fulminante Grippewelle mit dem Schwerpunkt auf RS-Viren, die Arztpraxen und Krankenhäuser an ihre Grenzen bringt. Da kann es schon mal zu einem Versorgungsengpass kommen, kurz und vorüber­gehend. Das ist normal.

Der chronische Grund allerdings wiegt schwerer. Die älteste Meldung über einen Lieferengpass findet sich 1985 im Deutschen Ärzteblatt. Eine Augensalbe konnte wegen produktionstechnischer Schwierigkeiten nicht in den Handel gebracht werden. Eine Lappalie. Dreißig Jahre später aber war daraus eine Lawine geworden. Wir schreiben das Jahr 2016, als das Bundesgesundheitsministerium aufgrund einer Kleinen Anfrage der Linken-Fraktion 13 Impfstoffe und 26 Medikamente auflisten musste, bei denen Lieferengpässe aufgetreten waren. Die Aufregung war groß. Mittlerweile nämlich handelte sich um lebenswichtige und kaum zu ersetzende Medikamente wie die Antibiotika Ampicillin, Piperacillin und Metronidazol. Betroffen war auch Metoprolol, der damalige Blockbuster unter den Blutdrucksenkern, ebenso das Krebsmedikament Melphalan und das Anti-Parkinson-Mittel Levodopa. Es fehlten Impfstoffe gegen Kinderlähmung, Tetanus, Diphterie und Keuchhusten. Das alles ist jetzt schon sieben Jahre her. Zum Besseren gewendet hat sich seitdem nichts.

Woran liegt das? Mit dem Ablauf von Patentschutzfristen wurde die Arzneimittelproduktion durch globale Billigkonkurrenz immer häufiger unrentabel, ganze Produktionslinien wurden in Europa stillgelegt. Das erwähnte Piperacillin wurde zum Beispiel nur noch in zwei Fabriken auf der ganzen Welt hergestellt, und eine davon, die in China, war 2016 explodiert. Außerdem wurden und werden komplette Chargen von Arznei­mitteln durch international agierende Großhändler ins Ausland verschoben, wo höhere Gewinne locken als hierzulande.

Lagerkapazitäten werden so gering wie möglich gehalten, weil sie als nutzlose Kosten gelten, sowohl in den Fabriken als auch bei den Zwischenhändlern. Im Falle eines plötzlich höheren Bedarfs gibt es keine Reserven. Rabattverträge einzelner Krankenkassen mit Medikamentenherstellern kickten außerdem die noch verbliebenen Produzenten und deren Produktionskapazitäten vom europäischen Markt.

Denn nach der ewigen Demagogie von der „Kostenexplosion“ im Gesundheitswesen, die es tatsächlich nie gegeben hat, galten die Arzneimittelausgaben als größte Kostentreiber bei den gesetzlichen Krankenkassen. Mit dem im Januar 2003 in Kraft getretenen Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG) bekamen die Krankenkassen – als eine von vielen Kostendämpfungsmaßnahmen – die Möglichkeit, mit Hilfe direkter Belieferungsverträge Medikamente zu fest vereinbarten Preisen mit hohem Rabatt zu beziehen. Die Preisgestaltung der Krankenkassen geschah nach Ausschreibungen. Die Vereinbarungen führten grundsätzlich zu Dumpingpreisen, und diese Verträge unterliegen bis heute strikter Geheimhaltung (!). In der Folge stellten Hersteller, die nicht zum Zuge gekommen waren, die Produktion des betreffenden Arzneimittels ein.

Quelle        :         TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

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Oben      —      Bettenturm des Klinikums Höchst, Ansicht von Nordwest

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Lügen über Katalysatoren

Erstellt von DL-Redaktion am 28. Dezember 2022

Die Lüge von den wirksamen Katalysatoren

Quelle      :        INFO Sperber CH.

Esther Diener-Morscher /   

Die heutigen Katalysatoren funktionieren noch immer viel zu schlecht. Weil die Autoindustrie von laschen Vorgaben profitiert.

Marc Gonin fährt jeden Morgen mit dem Velo durch zwei Wohnquartiere zur Arbeit. Ihm fällt dabei jedes Mal auf, dass es in den Quartieren viel mehr nach Abgasen stinkt als in der Thuner Innenstadt. Nun ist Marc Gonin nicht nur Velofahrer, sondern auch Physiker und Chef der Thuner Firma Tofwerk. Diese stellt Geräte her, die Luftverschmutzungswerte messen. Deshalb ging er den Ursachen für seine Sinneseindrücke mit wissenschaftlichen Methoden auf den Grund.

Geräte messen im Sekundentakt

In einem Gastbeitrag im Velojournal zeigte er, wie es um die Luftqualität in Thun bestellt ist. Eine Besonderheit seiner Messstation ist, dass sie nicht nur Durchschnittswerte über eine Viertelstunde liefert, sondern die Luftqualität im Sekundentakt messen kann. Das Gerät zeigte einzelne, sehr hohe Schadstoffspitzen, die bis das Zwanzigfache der Durchschnittswerte betrugen. Die Luftverschmutzung sei wie Lärm neben einem Schiessstand, kurze aber unglaublich intensive Ereignisse, kommentierte Gonin die gemessenen Werte.

Er fragte sich, warum das so ist und kam zum Schluss: Die Abgasbelastung stammt weitgehend von einzelnen «Stinker»-Autos, welche kurzfristig ein Hundertfaches der Immissionen eines normalen Autos produzieren. Seine Analyse an zwei Messstellen zeigte auch: Je weniger lang die Autos bereits unterwegs waren, umso mehr schädliche Stoffe stiessen sie aus.

Gonin geht davon aus, dass die Schadstoffspitzen, die er mit seinem Gerät gemessen hat und die er mit seiner Nase jeweils morgens im Quartier auch riecht, von kalten oder von kaputten Katalysatoren herrühren. Wissenschaftliche Untersuchungen geben Marc Gonin recht.

«Nur ein heisser Kat ist ein guter Kat»: Das haben zum Beispiel Viola Papetti und Panayotis Dimopoulos Eggenschwiler von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) schon vor drei Jahren gezeigt.

In den ersten drei Minuten sind Autos unglaubliche Dreckschleudern

Bei einem Kaltstart bläst der Motor heisse Verbrennungsgase in den kalten Katalysator. Dieser muss sich aber erst aufwärmen, damit er seine chemische Reinigungswirkung entfalten kann. Solange er kalt ist, entweichen Kohlenmonoxid (CO), Stickoxide (NOx) und unverbrannte Kohlenwasserstoffe ungehindert an die Aussenluft. Die guten Emissionswerte erreichen auch moderne Fahrzeuge erst bei warmem Katalysator. Die Unterschiede sind drastisch: Bei Minus-Temperaturen stösst ein Fahrzeug in den ersten drei Minuten nach dem Kaltstart mehr Schadstoffe aus als bei einer 1000 Kilometer langen Fahrt mit betriebswarmem Motor.

Ausgerechnet die als umweltfreundlicher geltenden Hybridautos können sogar besonders viele giftige Schadstoffe absondern. Denn in der Stadt schalten sie besonders oft zwischen Elektro- und Verbrennungsmotor um. Im Elektrobetrieb kühlt der Katalysator immer wieder ab. Startet der Verbrennungsmotor danach wieder, strömen Abgase teils ungereinigt durch den Katalysator.

Den Katalysator vorzuwärmen, wäre einfach

Es gäbe eine Lösung für das Kaltstartproblem, das die Luft vor allem in Städten und bei kalten Aussentemperaturen stark belastet.

Das Empa-Forschungsteam mit Pananyotis Dimopoulos Eggenschwiler hat eine wirksame Vorheizung für Katalysatoren entwickelt. Sobald die Autotür geöffnet wird, heizt Mikrowellenstrahlung den Katalysator auf. Die dazu nötige Leistung von einem Kilowatt kommt aus der Autobatterie.

Kaltstart-Emissionen könnten somit längst Geschichte sein. Doch solche Verbesserungen der Katalysator-Wirkung kosten etwas. Viele Autohersteller begnügen sich deshalb damit, den Katalysator möglich nahe am Motor zu platzieren, damit er schneller aufgewärmt wird.

Wirksamere Massnahmen sind für die gesetzlich vorgeschriebenen Abgasmessungen nicht nötig, weil die Testbedingungen derzeit noch zu wenig streng sind. Der «Kaltstart» wird bei einer Umgebungstemperatur von 23 Grad durchgeführt.

Damit die Hersteller auf Katalysatoren umstellen, die ihre Wirkung schneller entfalten, bräuchte es strengere Abgasvorschriften. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) setzt sich zwar gemäss eigenen Angaben «für strengere Kaltstart-Vorgaben ein, die den Temperaturen in unserem Land gerecht werden» – vorgesehen ist unter anderem auch ein Kaltstart bei minus 7 Grad –, doch bis solche Vorschriften kommen, dauert es noch mindestens bis 2025. Mindestens. Denn einflussreiche Organisationen, wie der deutsche Verband der Automobilindustrie (VDA), haben bereits Opposition gegen «die unrealistischen Extrem-Ziele» angekündet. Der Verband prophezeit «signifikante Preiserhöhungen», während die EU-Kommission abwiegelt und die Mehrkosten pro Fahrzeug auf 80 bis 180 Euro schätzt.

Die Schweiz wartet nun ab, was die EU dereinst beschliesst. Hierzulande gab es bis 1995 zwar eigene und im Vergleich mit anderen Ländern viel strengere Abgasgrenzwerte. Diese hatten denn auch zur Folge, dass sich der Katalysator in der Schweiz früher als anderswo etablierte. Seit 1995 sind die Abgasvorschriften aber vollständig mit denjenigen der EU harmonisiert.

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Oben      —    Abgase eines Autos

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Hätte,hätte,Schmerztablette

Erstellt von DL-Redaktion am 23. Dezember 2022

Medikamentenknappheit in Deutschland

Eine Kolumne von Sascha Lobo

In Deutschland fehlen Arzneimittel – ein Zustand, den man mit viel ärmeren Ländern verbunden hätte. Doch die Ursache für den Mangel liegt zum Teil in angeblichen deutschen Tugenden.

Wenn man die zwei deutschesten Charakterzüge nennen sollte unter Ausblendung der abgründigen Teile – man läge mit diesen sicher nicht falsch: Sparsamkeit und Gerechtigkeitsfixierung. Diese beiden deutschen Hilfstugenden finden sich seit Langem quer durch Politik, Kultur und Alltag. Die deutschen Erfindungen Marxismus und Sozialdemokratie zeugen davon und ebenso das so schwierige wie sexistische Bild der »Schwäbischen Hausfrau« als politische Leitlinie. Aber wie es mit Tugenden so ist, sie neigen manchmal zur Erstarrung oder verselbstständigen sich bis ins Kontraproduktive. Aus Gerechtigkeit wird dann Selbstgerechtigkeit. Und aus Sparsamkeit wird dann Geiz oder radikale Besitzstandswahrung.

Wenn Sparsamkeit und Gerechtigkeitsempfinden zusammenkommen und womöglich noch zusammen eskalieren, dann wird es manchmal ganz düster. In deutschen Köpfen ist dann zum Beispiel ein gefühltes Preisgefüge festgelegt, gegen das buchstäblich niemand ankommt. Im Kern handelt es sich um die Frage: Was darf ein Produkt kosten? Da wird Einkaufsdeutschland aber schnell fuchsig, wenn 100 Gramm Quippendudel mehr als 1,29 kosten, hallihallo.

Ein so eindrucksvolles wie bedrückendes Beispiel ist die höchst klimarelevante Frage, was Fleisch kosten darf. Alle, die sich damit nur drei Millisekunden ernsthaft beschäftigen, wissen: Fleisch ist in Deutschland viel zu billig. Ein Kotelett für 99 Cent ist eine Farce in jeder Hinsicht , das Klima ächzt, das Tier wird gequält, die produzierenden Menschen ausgebeutet, das Fleisch ist erwartbar minderqualitativ und vollgestopft mit Antibiotika und taugt deshalb auch nicht als Argument im Sinne von »Genuss muss auch für arme Menschen möglich sein« – aber: Sparsamkeit, Gerechtigkeit, Billigkotelett.

Antibiotika jedoch, fantastisches Stichwort, denn die sind gerade knapp. Jedenfalls einige wichtige. Geschichten häufen sich, wie die hier verlinkte von einer Frau namens Bella , die mit Glück und aufsteigender Panik für ihr schwer Streptokokken-infiziertes Kind ein Ersatzmedikament ergattern konnte. Von einer anderen Mutter, von der sie über private Umwege überhaupt erfahren hat. Keine einzige erreichbare Apotheke hatte das Medikament oder einen Ersatz oder auch nur die Auskunft, wann es bestellbar wäre. Es herrscht Medikamentenknappheit in Deutschland, das ist ein Zustand, den man noch vor wenigen Jahren allenfalls mit viel ärmeren, schlechter organisierten Ländern verbunden hätte. Die Frage, warum in Deutschland Medikamente knapp sind, hat nicht nur eine Antwort. Aber viele von ihnen lassen sich zurückführen auf übertriebene Sparsamkeit und falsches Gerechtigkeitsempfinden.

Das Gesundheitssystem in Deutschland gehört strukturell zu den besten der Welt, wirklich wahr. Die gesundheitliche Grundversorgung sucht ihresgleichen und hauptsächlich wegen des letztlich guten Gesundheitssystems sind die Menschen in Deutschland im Schnitt einigermaßen gesund, trotz der recht alten Bevölkerung. Und trotzdem sind jetzt, im Winter 2022, Kinderleben in Gefahr, einerseits durch eine völlige Überlastung des Personals etwa in Krankenhäusern und andererseits eben durch die Medikamentenknappheit.

In Sachen Effizienz ist das deutsche Gesundheitssystem schlecht

Das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte BfArM veröffentlicht auf einer Website  eine Datenbank mit dem Namen »Veröffentlichte Lieferengpassmeldungen«. Darauf finden sich derzeit 343 Medikamente, vom Krebsmittel über Antibiotika bis zum Kinderhustensaft. Auf der Tabelle steht auch die Spalte »Art des Grundes«, da müsste also eigentlich die Antwort auf die Frage stehen: Wieso ist das Medikament knapp? Eigentlich. Tatsächlich gibt es für sämtliche 343 Medikamente nur zwei unterschiedliche, aber etwa ähnlich oft eingetragene Antworten. Die erste lautet: Produktionsproblem. Die zweite lautet: Sonstige. Deutsche Präzision.

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Das deutsche Gesundheitssystem hat vor langer Zeit Gerechtigkeit und Sparsamkeit als Ziele ausgerufen. Die Gründe dafür sind leicht nachvollziehbar. Einerseits Kosten dürfen nicht noch mehr ausufern, denn Qualität kostet, und das deutsche Gesundheitssystem ist schon recht teuer. Andererseits muss es ja auch gerecht zugehen, zwischen Krankenkassen, Krankenhäusern, Ärzt*innen und Pflegepersonal, Apotheken, einigen anderen – und natürlich den Patient*innen. Vor allem für die, um die geht es ja.

Die Autorin Kathrin Passig hat 2013 sehr unterhaltsam darüber geschrieben , dass Gerechtigkeit oft nur erreicht werden kann, wenn man ein System komplizierter macht. Klar, »one size fits all« ist zwar sehr einfach, aber nachvollziehbarerweise auch oft ungerecht. Auf jeden erdenklichen Fall speziell eingehen zu können, wäre zwar sehr gerecht, aber extrem kompliziert. Deshalb ist das deutsche Gesundheitssystem schon vor vielen Jahrzehnten nicht nur zu einem guten, sondern auch zu einem extrem komplizierten und in der Folge extrem bürokratischen geworden. Und in Sachen Effizienz ist das deutsche Gesundheitssystem schlecht. Laut OECD hat Deutschland die mit Abstand höchsten Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit in Europa , 2018 lagen sie bei eindrucksvollen 11,2 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts. Die mangelhafte Effizienz hat inzwischen auch sehr viel zu tun mit einer geradezu lausigen Digitalisierung des Gesundheitswesens. Hätte Deutschland sein Gesundheitssystem besser oder überhaupt digitalisiert, wäre die immer weiter zunehmende Komplexität vielleicht handhabbar gewesen. Hätte, hätte, Schmerztablette.

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Von Entdecker und Viren

Erstellt von DL-Redaktion am 22. Dezember 2022

Warum sind die „Entdecker“ neuer Kontinente nicht an einem für sie neuen, einheimischen Virus gestorben?

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Vielleicht gab es zu Zeiten der großen Entdecker weniger Viren, da die Welt noch intakt war?

Von Johannes Kreis

Wir möchten die Frage stellen, wenn man Viren einschleppen können soll, warum kann man Viren nicht auch abholen?

Oder anders gefragt, warum sollen Ureinwohner an den neuen Viren der Kolonisatoren gestorben sein, die Kolonisatoren aber nicht an den für sie neuen Viren der Ureinwohner? In Bezug auf Virusvarianten von den Ureinwohnern waren die Populationen der ankommenden Kolonisatoren naiv. Hier geht es um Prozesse auf der molekularen Ebene und da gibt es keine ausgezeichnete Richtung, vom Kolonisator zum Ureinwohner.

Charles Darwin umsegelte auf der HMS Beagle 5 Jahre lang, von 1831 bis 1836, die ganze Welt und verstarb 1882 im Alter von 73 Jahren in England. Es wird auch nichts von Pandemien berichtet, die Charles Darwin und der HMS Beagle gefolgt wären.

Deshalb hier einige Anmerkungen.

Es geht wieder um die Zoonose-Hypothese, die den diversen Fakedemien der letzten 40 Jahre zugrunde liegt. Ohne die Zoonose-Hypothese geht es nicht.

Es gibt keinen Beweis, dass in den letzten 40 Jahren alle 3-8 Jahre ein Virus von einem Tier auf den Menschen als neuen Wirt übergesprungen ist und zu einer Pandemie geführt hat, angefangen mit HIV, über BSE, MERS, SARS(1), diverse Schweine- und Vogelgrippen, SARS-CoV2 bis zu den Affenpocken.

Man kann eine Zoonose nicht aus dem genetischen Abstand zwischen einer Virussequenz beim Tier und einer Virussequenz beim Menschen herauslesen. Dieser Abstand ist beliebig, denn er wird auf Basis von ausgesuchten Referenzsequenzen, einmal beim Tier und einmal beim Menschen bestimmt. Aufgrund der extrem hohen genetischen Variabilität von Viren („quasi-species“) gibt es in der Natur keine definierten Referenz-Sequenzen. Die gibt es nur in den Gen-Datenbanken, die zu stark von den Referenz-Sequenzen abweichende Virensequenzen nicht aufnehmen. Damit werden die Referenz-Sequenzen stabilisiert und man versucht, künstlich einen Abstand aufrecht zu erhalten, über den eine Virus springen könnte. Findet man dann irgendwann eine Gensequenz beim Menschen, die einer viralen Sequenz bei einem Tier ähnlich ist, so erklärte man eine Zoonose. Das geht nur deshalb, weil man alle Zwischenschritte, die im Rahmen der natürlichen Evolution zu der neuen Sequenz beim Menschen geführt haben, nicht erfasst. Man könnte sie auch gar nicht erfassen, weil es viel mehr Virusvarianten in  der Natur gibt, als der winzige Bruchteil suggeriert, der selektiv in den Gen-Datenbanken erfasst wurde. Der neue, mutmaßlich zoonotische Erreger wird dann pauschal als kausal für eine Vielzahl von diffusen Symptomen erklärt.

Ohne das singuläre Ereignis der Zoonose funktioniert der ganze Pandemie-Hokuspokus nicht. Weil der Erreger (hier ein Virus) für den Menschen neu sein soll, soll er besonders gefährlich sein. Dafür gibt es ebenfalls keinen Beweis. Das ist unabhängig von der Frage, ob es überhaupt eine Zoonose gab.

Man greift deshalb zu Plausibilisierungen und nimmt historische Ereignisse, bei denen Erreger neu in eine Population eingebracht worden sind, oder dies zumindest plausibel ist, und behauptet, dass es daraufhin ein Massensterben in dieser Population gegeben hätte. So wäre zwar die Zoonose weiterhin nicht bewiesen, aber dennoch die Gefährlichkeit neuer Erreger, die in eine naive Population gelangen.

So wird häufig behauptet, dass indigene Menschen (Ureinwohner) von neuen Krankheitserregern getötet worden wären, die von den Kolonisatoren eingeführt wurden, z.B. während der Kolonialisierung Amerikas (Christoph Columbus im Jahr 1492) oder Chinas (Marco Polo im 13. Jahrhundert) oder Japans (portugiesische Seeleute aus Macau, 1542, und katholische Missionare ab 1549) oder Indiens (unter anderem Vasco da Gama, 1498).  Ein jüngeres Beispiel sollen die Eskimos (Inuit) sein.

Dieses Argument basiert nur auf kolonialer Arroganz, da umgekehrt die Kolonisatoren (die „Eroberer“)  auch mit einer neuen Bevölkerung von Menschen und damit für sie neuen menschlichen Viren (und anderen Erregern) konfrontiert waren. Denn auch in den Ureinwohnern haben sich beständig neue Virusvarianten entwickelt. Und die indigene Bevölkerung war viel größer und lebte in einer Umgebung, die für die Kolonisten völlig neu war, aber nicht neu für die Ureinwohner.

Warum sollten Krankheitserreger der Ureinwohner die Kolonisten nicht durch den gleichen Effekt getötet haben? Das Argument sollte in beide Richtungen funktionieren. Und irgendwann sind die Kolonisatoren auch wieder zurückgesegelt. Aber abgeholte und zurückgeschleppte Pandemien werden nicht berichtet.

Es gibt keine Erwähnung einer Pandemie in Troja, als die Griechen Troja belagerten, weder auf der griechischen noch auf der trojanischen Seite, weder vor noch nach der Eroberung Trojas. Die Sklavenschiffe, die vom 17. bis 19. Jahrhundert von Afrika nach Amerika (und zurück) segelten, importierten keine Pandemie nach Amerika (und auch nicht zurück nach Zentralafrika).

China, Indien und Japan haben sich auch nach der Ankunft westlicher Seefahrer weiterentwickelt und sind nicht von eingeschleppten Viren vernichtet worden. Auch sind die westlichen Seefahrer nicht an für sie neuen chinesischen, indischen oder japanischen Viren gestorben.

Die Wahrheit ist viel einfacher, aber auch deutlich brutaler. Die Indianer in Nord- und Südamerika wurden schlicht versklavt und umgebracht. In China, Indien und Japan ist das nicht gelungen.

Das gleich gilt für die Eskimos, deren Lebensraum immer weiter eingeschränkt wurde. Umgekehrt hätten die Eindringlinge in diesen Lebensraum an neuen Virenvarianten, die sich unabhängig in der Eskimo-Population entwickelt haben, erkranken müssen.

In Bezug auf die Eskimos (Inuit) ist vielmehr zu fragen, von welchen suppressiven Maßnahmen der kanadischen Regierung, z.B. Zwangssterilisation von Frauen, die Viren-Diskussion ablenken soll.

“At least 60 Indigenous women are pursuing a class-action lawsuit against the Saskatoon Health Region, the province of Saskatchewan, the Canadian government and medical professionals for their experiences with coerced, forced or pressured sterilization in Saskatchewan over the course of 20 to 25 years. The procedures, which occurred from about the 1930s to as recently as 2017, targeted Indigenous women specifically.

Die aktuelle Diskussion zu RSV Viren bei Eskimos, die vor allem von Veterinärmedizinern aus dem RKI Umfeld getrieben wird, zeigt nur eins, PCR ist zur Diagnose einer Erkrankung vollkommen ungeeignet. Hier sitzt die Virologie erneut ihren eigenen, falschen Hypothesen auf. Sobald der PCR Test anschlägt, wird das Testresultat als kausal ursächlich für eine Erkrankung unterstellt. Dass das falsch ist, sieht man schon daran, dass es zur Aufrechterhaltung dieses Unsinns notwendig ist, positiv Getestete ohne Symptome als „symptomlos erkrankt“ zu definieren

Baculoviridae virion.jpg

Der PCR Humbug der „symptomlos Erkrankten“ geht auf HIV und die Hypothese des „slow virus“ zurück. Ein „langsamer Virus“ soll 15 – 20 Jahre nach einer Infektion zu Symptomen führen. D.h. 15 – 20 Jahre lang soll man symptomlos an HIV (nicht AIDS!) erkrankt sein, bevor man danach symptomatisch am AID Syndrom, d.h. an opportunistischen Infektionen durch eine Immunschwäche erkranken soll. Es gibt das AID Syndrom, das in den 1980er und 1990er Jahren bei schwer drogenabhängigen und mangelernährten Homosexuellen in den USA auftrat, nach Jahren des Antibiotikamißbrauchs und multiplen Infektionen mit Geschlechtskrankheiten durch ungeschützten Analverkehr. Aber das AID Syndrome hatte nie etwas mit HIV zu tun. Es gibt keinerlei Beweise für die Existenz von „langsamen Viren“. Nur, nach 15 -20 Jahren der antiretroviralen Therapie ist jeder Mensch krank, von den schweren Zellgiften der mutmaßlichen HIV Therapie (nicht AIDS Therapie!).

Bei diesem Pseudo-Argument des „Einschleppens von neuen Viren“ geht es darum, einerseits die grundsätzliche Gefährlichkeit von Viren zu belegen und gleichzeitig die besondere Gefährlichkeit von mutmaßlich neuen Erregern in einer naiven Population zu beweisen. Mit genau denselben Pseudo-Argumenten hat man in den 1990er Jahre zu HIV argumentiert. Tatsächlich wurden die Ureinwohner Amerikas einfach umgebracht (im Gegensatz zu den Chinesen, Indern und Japanern) und HIV+ gemessene Menschen starben an hohen Dosen des hochgiftigen AZT.

Die weit überwiegend milden bis unbemerkten Verläufe bei einer SARS-CoV2 Infektion zeigen, dass die überwiegende Mehrzahl der Menschen rasch eine Immunität aufbauen konnte.

Zum einen kann die zelluläre Immunantwort spezifisch auf Viren reagieren. Das ist für SARS-CoV2 seit April 2020 bekannt. Christian Drosten und Leif Erik Sander sind Co-Autoren dieser Arbeit, die eine vorangegangene Exposition mit endemischen humanen Cornaviren (HCoV) annimmt. Dieser Mechanismus wirkt unabhängig von Antikörpern („seronegative“).

“We demonstrate the presence of S-reactive CD4+T cells in 83% of COVID-19 patients, as  well  as  in  34%  of SARS-CoV-2  seronegative  healthy  donors (HD),  albeit  at  lower frequencies.”

“In light of the very recent emergence of SARS-CoV-2, our data raise the intriguing possibility that pre-existing S-reactive T cells in a subset of SARS-CoV-2 seronegative HD represent cross-reactive clones raised against S-proteinsprobably acquired as a result of previous exposure to HCoV. Endemic HCoV account for about 20% of “common cold” upper respiratory tract infections in humans.”

Zum anderen, viel wichtiger, auch gegen einen unterstellten, neuartigen Erreger wie SARS-CoV2 kann das Immunsystem wirksame Antikörper bilden (humorale Immunantwort). Das ist das „Ischgl-Phänomen“ aus Mitte 2020, das durch Daten aus England, ebenfalls aus Mitte 2020, bestätigt wurde. Das RKI hat dies vollständig ignoriert.

„Auffällig sei, dass von den positiv auf Antikörper getesteten Personen zuvor nur 15 Prozent die Diagnose erhalten hatten, infiziert zu sein, sagt von Laer. „85 Prozent derjenigen, die die Infektion durchgemacht haben, haben das unbemerkt durchgemacht.“

“However, additional analysis shows that, of those who tested positive, only 33% (95% confidence interval: 25% to 43%) reported any evidence of symptoms at the time of their swab test or at either the preceding or subsequent swab test. The share fell to 22% of those testing positive when accounting for those who reported evidence of symptoms only at the time of their swab test.”

Ohne wirksame Antikörper sind diese “symptomlosen Erkrankungen” nicht zu erklären. Aufgrund einer natürlichen Infektion gebildete Antikörper wirken zudem viel breitbandiger, als aufgrund einer Impfung produzierte Antikörper, da bei der natürlichen Infektion der Körper dem ganzen Virus ausgesetzt ist und nicht nur einem kleinen Bruchstück. Es nicht erforderlich, dass der Mensch permanent Antikörper produziert. Der Körper stellt nach einigen Wochen die Produktion dieser Antikörper ein und bildet Gedächtniszellen, die bei Bedarf sofort spezifische Antikörper bereitstellen können, falls der Körper erneut mit dem Erreger infiziert wird. Der Mensch ist dann immun.

Es hat massive Versuche gegeben, aufgrund einer natürlichen Infektion gebildete Antikörper gegen SARS-CoV2 als wirkungslos zu erklären, so wie man das bei HIV gemacht hatte. Nur durch eine Impfung erzeugte Antikörper oder industriell produzierte monoklonale Antikörper sollten wirksam sein. Bei einem Atemwegsvirus mit einer Inkubationszeit von einigen Tagen, war dieser Unsinn schnell wiederlegt.

Die hohen Antikörper-Level Mitte 2020 durch natürliche Infektion sind plausibel, denn sie wurden auch bei anderen Coronaviren beobachtet, vgl.

  • Severance et al., “Development of a Nucleocapsid-Based Human Coronavirus Immunoassay and Estimates of Individuals Exposed to Coronavirus in a U.S. Metropolitan Population”, Clin Vaccine Immunol. 2008 Dec; 15(12): 1805–1810, published online 2008 Oct 22, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2593164/

“We screened sera from 10 children and 196 adults and established primary cutoff points based on immunoglobulin G (IgG) antibody levels of the predominantly seronegative children. The proportion of seropositive adults for each coronavirus was as follows: 229E, 91.3%; HKU1, 59.2%; NL63, 91.8%; and OC43, 90.8%.

Damit hat sich SARS-CoV2 wie ein endemischer Virus verhalten. Das ist auch konsistent mit dem niedrigen Krankenstand in 2020 , wie ihn übereinstimmend alle Krankenkassen berichtet haben, vgl. stellvertretend,

Krankenstand insgesamt gesunken – Insgesamt betrachtet, liefert der Gesundheitsreport jedoch keine Hinweise auf eine grundsätzliche Verschlechterung der Gesundheit von Erwerbspersonen durch die Coronapandemie. Mit einem Krankenstand von 4,14 Prozent lag das Jahr 2020 sogar unter den Werten der Vorjahre (2019 4,22 Prozent; 2018 4,25 Prozent).“

Antikörperstudien in England ab Mitte 2021 haben die hohen Antikörper-Level bestätigt. Allerdings gab es zu diesem Zeitpunkt auch Antikörper, die auf die Impfungen zurückgingen. Vgl. die Ergebnisse aus August 2021,

“In England, it is estimated that over 9 in 10 adults, or 93.6% of the adult population (95% credible interval: 92.5% to 94.5%) would have tested positive for antibodies against SARS-CoV-2, the specific virus that causes coronavirus (COVID-19), on a blood test in the week beginning 12 July 2021, suggesting they had the infection in the past or have been vaccinated.”

Vergleichbare Antikörper-Level berichtete die ONS von Irland, Schottland und Wales. Die Antikörper-Level werden von der ONS in repräsentativen Stichproben regelmäßig überwacht. Z.B. März 2022,

“In England, 98.4% of the adult population (95% credible interval: 98.1% to 98.6%) are estimated to have antibodies against SARS-CoV-2 at the 179 ng/ml threshold, in the week beginning 14 February 2022.”

Es hat in Deutschland bis Oktober 2022 gedauert, bis eine eigene, deutsche Antikörperstudie vorlag, die die Ergebnisse aus UK erwartungsgemäß bestätigt hat.

Dank des späten Zeitpunkts der deutschen Studie und unter Ignorieren der Ergebnisse aus Ischgl oder England, kann man jetzt behaupten, es hätte allein an den Impfungen gelegen. Die vielen „symptomlos Erkrankten“ in 2020 zeigen, dass es nicht an den Impfungen gelegen haben kann. Die gab es in 2020 noch nicht.

Das Ausbleiben der von der Theorie der „Pandemien durch neue, zoonotische Erreger“ vorhergesagten Katastrophe zeigt, dass  diese Theorie falsch ist. Und damit ist diese Theorie auch für HIV falsch. HIV hat nichts mit dem AID Syndrom zu tun. HIV ist ein harmloser, Millionen von Jahren alter Passenger-Virus, den einige Menschen tragen und andere nicht.

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Oben     —   Christoph Kolumbus erste Reise, Abfahrt in die Neue Welt, 3. August 1492

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Tragik der Covid-Impfung?

Erstellt von DL-Redaktion am 20. Dezember 2022

Leidenden Frauen glaubt man häufig nicht

Quelle      :        INFO Sperber CH.

Von      :   Barbara Marti /   

Tausende gegen Covid geimpfte Frauen berichteten von unregelmäßigen Zyklen. Lange hörte ihnen niemand zu.

Mittlerweile hat eine US-Studie mit fast 20‘000 Teilnehmerinnen aus den USA, Kanada und Europa bestätigt, dass die Covid-Impfung den Zyklus tatsächlich verschieben kann. «Und die Frauen hatten doch recht», titelte die «Sonntagszeitung».

Unglaubwürdige Frauen

Wenn Frauen über gesundheitliche Probleme klagen, hört man ihnen oft nicht zu oder glaubt ihnen nicht. Das kann zu Fehldiagnosen und unnötig langen Leidensgeschichten führen. Die Folgen der Covid-Impfung sind nur ein Beispiel von vielen. Ähnliches gilt für die Endometriose: Betroffene haben gutartige Wucherungen aus gebärmutterschleimhautartigem Gewebe, die außerhalb der Gebärmutter wachsen. Sie können extreme Unterleibsschmerzen verursachen und unfruchtbar machen. Endometriose betrifft jede zehnte Frau. Trotzdem wird sie bis heute meist erst Jahre nach Auftreten der ersten Symptome diagnostiziert. Die Schmerzen Betroffener werden nicht ernst genommen und fälschlich als übliche Periodenschmerzen diagnostiziert.

Hysterische Frauen

Ein anderes Beispiel sind die Vaginalnetze gegen Beckenbodensenkung. Nach der Implantation klagten viele Frauen über unerträgliche und dauerhafte Schmerzen. Diese Frauen habe man oft als hysterische Frauen mit postmenopausalen Beschwerden abgekanzelt, sagte Gendermedizinerin Gertraud Stadler der «Tageszeitung». Wenn man die Schmerzen Betroffener zu lange nicht ernst nehme, könne das Implantat in das Gewebe einwachsen. Dann könne man es nicht mehr entfernen. Viele hätten deshalb lebenslang Schmerzen.

Unwissen und Vorurteile

Die britische Kulturhistorikerin und Feministin Elinor Cleghorn führt Fehldiagnosen bei Frauen auf Unwissen und alte Vorurteile zurück. Wenn Frauen diffuse Schmerzen oder Symptome schildern, falle es Ärzten immer noch schwer, an handfeste körperliche Ursachen zu denken. Die westliche Medizin sei bis heute geprägt von der jahrhundertealten Vorstellung, dass für viele Krankheiten der Frau ihre Emotionen verantwortlich seien. Das führe dazu, dass man Frauen nicht glaube, wenn sie ihre Symptome schildern.

«Glaubt uns!»

Ein Beispiel sind Autoimmunerkrankungen. 80 Prozent der Betroffenen sind Frauen. Welche gravierenden Folgen es haben kann, wenn man ihnen nicht glaubt, schildert Cleghorn im Buch «Die kranke Frau» an ihrem eigenen Beispiel. Sie leidet an der Autoimmunerkrankung Lupus erythematodes. Die rheumatische Erkrankung kann alle Organe befallen und ist sehr schmerzhaft. Doch Ärzte erkannten die chronische Erkrankung jahrelang nicht. Ein ungeborenes Kind wurde deshalb krank. Elinor Cleghorns Appell an die Medizin: «Glaubt uns! Wir sind die verlässlichsten Zeuginnen dessen, was in unserem Körper geschieht.»

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Oben      —   Impfung gegen COVID-19 in einem Impfzentrum

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Auch wir haben gesehen…

Erstellt von DL-Redaktion am 18. Dezember 2022

…und für einiges noch keine Worte gefunden

Datei:2012-04 Ściborzyce Wielkie 05.jpg

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von       :    Gruppe Autonomie und Solidarität

Inspiriert von dem Text „Wir haben gesehen“ von Julien Coupat et al. haben wir versucht aufzuschreiben, was wir gesehen, gehört, gelesen und worüber wir uns Gedanken gemacht haben in den letzten knapp 3 Jahren autoritärer Entgrenzung im Corona-Ausnahmezustand.

Dieser Text fokussiert sich auf Schritte in der Entwicklung des Autoritären, der gesellschaftlichen Akzeptanz und auf unsere Perspektiven darauf. Einiges in diesem Text wird ausführlicher, anderes kürzer erklärt oder nur angedeutet werden. Es wird versucht, eine chronologische Abfolge von Ereignissen zu zeigen, aber auch das ist nicht immer möglich, zumal sich Eindrücke und Zusammenhänge mit der Zeit erst entwickelten. Der Text hat auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Er ist primär auf unsere Beobachtungen im deutschsprachigen Raum ausgerichtet. Es gibt noch viel mehr Aspekte der globalen Krise, die tiefer besprochen oder überhaupt erst angesprochen gehören. Letzten Endes soll der Text vor allem einfach ein Versuch sein, das in Worte zu fassen, was uns als Antiautoritäre in den letzten Jahren hier immer wieder besonders um Worte ringen liess.Was wir gesehen haben:Auch wir haben gesehen, wie elementarste Rechte der Verfassung mit einem Fingerschnippen für nicht mehr gültig erklärt wurden.

Wir haben gehört, wie Politiker*innen in Ansprachen den „Krieg gegen das Virus“ ausriefen. Von der deutschen Kanzlerin Merkel hörten wir, dass es „seit dem zweiten Weltkrieg […] keine Herausforderung an unser Land mehr gab, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt“ und wir fragten uns, welch solidarisches Handeln in Deutschland zur Zeit des NS-Regimes die Kanzlerin wohl meint.

Wir haben uns von Anfang an gefragt, was in den Krankenhäusern passieren wird, die in den Jahren der Neoliberalisierung von Pflege und Versorgung kaputt gespart wurden, deren Personal schon in den Grippe-Wintern die Grenzen der Belastung erreichte und die durch Schließungen und Kürzungen oft mit einem Mangel an Betten und Versorgungsmöglichkeiten für die Patient*innen zu kämpfen hatten. Wir haben fortan gesehen, dass Grundrechte sehr schnell und dauerhaft eingeschränkt werden können und es bei den autoritären Gelüsten in Politik und Gesellschaft kaum Grenzen gab, während eine nennenswerte Verbesserung der Krankenversorgung und Arbeitsbedingungen in der Pflege eine Unvorstellbarkeit zu bleiben scheint.

Wir haben gesehen, wie die Isolationsregeln in Altenheimen, das ersatzlose Schließen von Tafeln, Essensausgaben, Schlafplätzen, das erzwungene Beenden von Therapie- und Hilfsangeboten, das Verbot schwer kranke oder sterbende Angehörige zu begleiten, Menschen um uns herum in körperliche und psychische Abgründe zog aus denen einige nie wieder auftauchten. Und wir haben gesehen, auf wie viel Kaltherzigkeit das bis heute bei den „Solidarischen“ stößt.

Wir haben gehört, wie PR-Kampagnen die Worte „Wir bleiben Zuhause“ als eine dieser Parolen ausspuckten, die sich fortan wie ein Virus durch die „sozialen“ Netzwerke verbreiteten und mit denen sich User*innen eitel zu schmücken begannen. Wir haben uns gefragt, wie das wohl auf Menschen wirkt, die gar kein Zuhause haben, die auf der Straße leben oder an Grenzzäunen festsitzen. Was würde es für die Menschen bedeuten, für die die vier Wände um sie herum die Hölle sind, die immer näher kommt? Was macht es mit Menschen, die „ihm“, „ihr“ oder „ihnen“ noch schutzloser ausgeliefert sein würden und nicht mehr von Zuhause abhauen können?

Wir haben gesehen, wie Anwesenheitslisten ausgelegt wurden und die Privatsphäre und Anonymität nun gemeinsam mit der Geselligkeit unter Generalverdacht gerieten.

Wir haben gesehen, wie schnell die Polizei Begehrlichkeiten entwickelte, Anwesenheitslisten zu Fahndungszwecken zu nutzen.

Wir haben gesehen, wie nach Jahrzehnten des neoliberalen „There is no society“ plötzlich die Rede von einer „Solidargemeinschaft“ war, in der der höchste solidarische Akt für die Gemeinschaft das „social distancing“ zu sein hat.

Wir haben gehört, wie wir in Supermärkten und Geschäften dazu aufgerufen wurden, nicht mehr mit Bargeld sondern nur noch elektronisch und am besten kontaktlos per Smartphone – also auch nicht mehr anonym – zu bezahlen, obwohl wir doch auch früh und immer wieder gelesen haben, wie Wissenschaftler*innen schon früh das Risiko von Schmierinfektionen über Bargeld als äußerst gering beschrieben haben. Wir haben darüber nachgedacht, dass nach Greenwashing nun auch Corona-Washing der neueste heiße Scheiß im Supermarkt werden könnte.

Wir haben gehört, wie auch in Deutschland und Österreich sehr früh von einer „Neuen Normalität“ geredet wurde. Und dass wegen der Pandemie danach „nichts mehr so sein wird, wie es einmal war.“

Wir haben uns über diese Form der Krisenkommunikation und ihre Gleichzeitigkeit gewundert .Heißt es nicht sonst eher „Ruhe bewahren. Alles wird wieder gut“? Jetzt aber hieß es ominös: „Die Welt wird eine andere sein“?

Wir haben bald gehört, was konkreter mit „Neue Normalität“ gemeint ist. Von angeblich einmaligen Chancen durch die Pandemie, Weltkriegsvergleichen und dem Umformen von Gesellschaften und Verhaltensweisen konnten wir fortan so einiges lesen. Wir fragten uns, wer diese Neugestaltung denn inmitten von Lockdowns und mit Abstandsregeln gestalten sollte und wollte. Es waren schließlich große Vertreter*innen des Kapitalismus, Think Tanks, Unternehmensgruppen, die ein „Neues Normal“ als eine „Neugestaltung des Kapitalismus“ angeboten haben und damit primär eine beschleunigte „digitale Transformation“ aller Lebensbereiche, mitsamt schöner neuer Kontrollmöglichkeiten, herbeisehnten.

Von der Beraterin des damaligen österreichischen Bundeskanzlers Kurz und Vertreterin der Boston Consulting Group, Antonella Mei Pochtler, haben wir es schließlich ganz klar gehört: Die Neue Normalität bedeute, dass jeder Mensch eine App haben werde und wir uns in Europa an „Werkzeuge am Rande des demokratischen Modells“ zu gewöhnen hätten. Wir wunderten uns schließlich nicht mehr so sehr über die Zunahme von Verschwörungstheorien und dass einige Menschen mehr Ängste vor den Regierenden entwickelten als vor dem Virus.

Wir haben uns an Naomi Klein erinnert und wir machten uns Gedanken zu einer drohenden Schockstrategie des Überwachungskapitalismus. Auch Klein fühlte sich wohl an die Schockdoktrin erinnert. Im Mai 2020 konnten wir ihren Artikel zum „Screen New Deal“ über die Pläne zur Errichtung einer Hightech-Dystopie im Zuge der Pandemie gelesen, an der sich Big Tech, Eric Schmidt von Google, Andrew Cuomo und Donald Trump beteiligten. Wir haben begonnen uns zu fragen, welche derartigen Entwicklungen auch in Europa und anderen Teilen der Welt im Laufe des Corona-Ausnahmezustandes zu Tage treten würden. Schließlich drohten uns „Smart City Chartas“ und „Transformationspläne“ auf EU-Ebene längst solche Entwicklungen an, für die sich rechte wie liberale, sozialdemokratische wie grüne Politiker*innen begeisterten.

Wir haben gehört, wie der Präsident des RKIs in einer Pressekonferenz Ende April 2020 von einer sich entspannenden Lage sprach, aber die Verlängerung der Lockdown-Maßnahmen unbedingt über den 1. Mai befürwortete. Er beendete die Konferenz mit den Worten: „Ich wünsche Ihnen einen schönen Feiertag und vor allen Dingen grüße ich hier die Polizistinnen und Polizisten, die Hundertschaften, die endlich mal den 1. Mai Zuhause verbringen können.“. Wir haben angefangen uns zu fragen, ob es wirklich nur noch um die Eindämmung des Virus gehen würde, oder ob sich fortan mit virologischer Rechtfertigung auch aus anderen Anlässen Bevölkerungskontrollmethoden verfestigen könnten.

Wir haben gesehen, wie vom deutschen Bundesinnenministerium ein Strategiepapier verfasst wurde, in dem beschrieben wurde, wie durch gezielte Schockwirkungen die Durchsetzung von Maßnahmen erreicht werden könne und wie per Tracking und Massentests die Pandemie in Griff zu bekommen sei. Interessanter fanden wir noch die Passagen, in denen klar wurde, dass nicht nur die Angst vor dem Virus herrschte, sondern die Auswirkungen der Wirtschaftskrise und eine drohende Infragestellung des Systems, das zu einem „völlig anderen Grundzustand bis hin zur Anarchie“ führen könnte, Horst Seehofers Ministerium in Angst und Schrecken versetzte. Der „Maßnahmen Hammer“ sollte präventiv zuschlagen.

Wir haben sie gehört und uns über sie gewundert – die Einschätzungen von Vertreter*innen aus dem linken Mainstream, die immer wieder von den großen Chancen des pandemischen Ausnahmezustandes und einer bevorstehenden Überwindung des Kapitalismus durch Corona sprachen. Wir konnten das hier zu keinem Zeitpunkt sehen, wo doch die Handlungsmacht und Bereitschaft der Linken jetzt so tief am Boden war und wo wir nicht daran glauben können, dass ein „Starker Staat“ zur Überwindung von Kapitalismus und Ungleichheit beitragen würde.

Wir haben schon im März 2020 gesehen, wie schnell die Idee von digitaler Überwachung in der Pandemie von vielen Regierungen und Unternehmen vorangebracht wurde. Wir haben gesehen, wie die deutsche Regierung zunächst eine Tracking-App entwickeln liess, die einen sozialen Graphen der gesamten Bevölkerung hätte erstellen können. Wir haben von den Protesten und Warnungen von Wissenschaftler*innen und Netzaktivist*innen gehört. Sogar von einem mutmaßlich „linksextremen“ Brandanschlag auf ein Stromkabel, um die Entwicklung der App zu sabotieren, haben wir gelesen. Und doch waren es keine linken Aktionen, warnenden Wissenschaftler*innen und Netzaktivist*innen, sondern es waren die Groß Konzerne Google und Apple, die die Bundesregierung dazu brachten, von der zentralen Tracking-App auf eine etwas datenschutzfreundlichere dezentrale Tracing-App umzusteigen. Das ist Handlungsmacht. Agency.

Wir haben gehört, wie nicht wenige Überwachungsstaatskritiker*innen die dezentrale Corona Warn-App des Staats fleissig bewarben und nutzten, weil sie ja so unbedenklich sei und sahen uns letzten Endes trotzdem darin bestätigt, dass auch diese App zur Überwachung und Kontrolle taugt.

Wir haben gehört, wie Datenschützer*innen und Netzaktivist*innen ihre Sorgen deutlich zum Ausdruck brachten, als andere Apps und Praktiken zur vermeintlichen Pandemiebekämpfung den Datenschutz verletzten und rechtliche wie technische Standards nicht eingehalten wurden. Wir haben aber auch beobachtet, wie nicht wenige Menschen aus diesen Communities offensichtlich kaum Probleme mit digitaler Kontrolle und Unterordnung haben, wenn die zugrundeliegende Technik nur weitgehend datenschutzrechtskonform ausgestaltet ist. Wir fragten uns, ob es etwas noch deutscheres geben könnte, als eine datenschutzrechtskonforme digitale Kontrolldystopie.

Wir haben gehört, wie die dissozialen Plattitüden von „Ich habe nichts zu verbergen“ und „Facebook hat doch auch deine ganzen Daten, also stell dich nicht so an“ selbst unter manchen Linken zur Rechtfertigung von Überwachung grassierten.

Wir haben gesehen, wie immer wieder über eine allgemeine Nutzungspflicht der Tracing-App diskutiert wurde und dafür sogar Armbänder entwickelt wurden, damit Menschen auch ohne Smartphone zum Tracing verpflichtet werden könnten. Wir haben uns gedacht, dass Halsbänder noch besser passen würden.

Wir haben gelesen, wie in Experimenten der Universität des Saarlandes digitale Abstandsmessgeräte, die einen Warnton erschallen lassen, wenn sich Menschen zu nahe kommen, an Kindern und Jugendlichen getestet wurden. Und wir haben gelesen, wie Schüler*innen in Mecklenburg-Vorpommern in der Erprobung von Testkonzepten unterschiedliche Farbpunkte aufgeklebt bekamen, um so zwischen Getesteten und Testverweigernden zu unterscheiden und ihnen unterschiedliche Privilegien beizumessen. Wir fragten uns seither, wie derartige Konditionierungsversuche wohl das Verhältnis zu Mitmenschen und Autorität der jungen „Proband*innen“ prägen können.

File:Masken vom Maskenbrunnen (Flensburg 2014-10-28), Bild 02.jpg

Wir fragen uns nicht ob, sondern eigentlich nur wann wir die in dieser Zeit erprobten und verfeinerten Herrschaftstechniken und neuen digitalen Konditionierungswerkzeuge wieder sehen werden. Welche neuen Ausnahmezustände, welcher Anschlag oder Anlass wird dazu führen, dass zum Beispiel Innenminister*innen oder EU-Kommissionen Tracking-Apps verpflichtend einführen? Oder wird das einfach indirekt in viele Geräte integriert, sobald die „Gnade“ der Tech-Konzerne ein Ende findet? Welche „smarten“ Kontrolltechniken werden wohl zur Durchsetzung von Abstandsregelungen, zur Bewegungsüberwachung und Isolation in der nächsten Pandemie eingesetzt werden? Denn wenn wir eines zweifellos in den Jahren vor Corona gesehen haben, dann war es, wie fortlaufend neue Kontroll- und Überwachungspraktiken eingeführt wurden und wie bestehende Möglichkeiten entfristet und auf alle Bereiche erweitert werden, auch wenn ihre ursprünglichen Rechtfertigungsanlässe längst Geschichte sind.

Wir haben gesehen, wie der deutsche Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im Mai 2020 einen „digitalen Immunitätsausweis“ einführen lassen wollte, noch bevor es überhaupt gesicherte Daten zu Übertragung, Immunität, Zuverlässigkeit von Testmöglichkeiten und zur Verfügbarkeit von Medikamenten und Impfstoffen gegen das Virus gegeben hatte. Wir haben uns gefragt, woher dieser Push für digitale Werkzeuge und ihrer Wirksamkeitsversprechen eigentlich kommen.

Wir haben gesehen, wie Spahns Idee auf Widerstand in der Politik stiess, eine Einführung gar für eine Weile als krude Verschwörungstheorie bezeichnet und sie trotzdem weiterverfolgt wurde. Mit der Einführung der digitalen Impf- und Testnachweiskontrollen 2021 und der Debatte um die Impfpflicht Anfang 2022 wurden solche „kruden Verschwörungstheorien“ später teilweise wahr. Wir haben daran erkennen können, wie gut der pauschale Vorwurf des „Verschwörungsmärchens“ als autoritäres Instrument zum Abwürgen von kritischen Diskursen taugt, wie leichtfertig und häufig der Vorwurf des „Schwurbelns“ auch von Linken gegen linke Autoritätskritiker*innen verwendet wurde und wie manches, das kurz zuvor noch von einigen Menschen als abstruses Märchen bezeichnet wurde, plötzlich als alternativlose Notwendigkeit von den gleichen Menschen gehandelt und unterstützt wird. Die Impfpflicht zum Beispiel.

Wir haben gesehen, wie der Deutsche Ethikrat sich nur teilweise gegen einen Immunitätsausweis aussprach; ihn sogar befürwortete, wenn mit seiner Einführung bestimmte Privilegien und Pflichten in der Gesellschaft verbunden würden. Wir konnten sehen, wie die bürgerliche Gesellschaft in der Krise ihre Grundrechte nicht mehr als unveräusserliche Rechte sondern als Privilegien, die mit entsprechendem Verhalten zu erkaufen seien, handelten.

Wir haben gesehen, wie Tech-Startups und Lobbyismus Gruppen wie das WEF eigene „digitale Immunitätsausweise“ mit Bluttests und Kontrollschranken zu entwickeln und zu bewerben begannen. Wir haben darüber nachgedacht, dass die Privatisierung des Pass- und Ausweiswesens eigentlich nur schlüssig in einem offen autoritären Private-Public-Partnership-Kapitalismus ist. Wir sehen heute, wie Tech-Grosz Konzerne in den USA digitale Impfausweise eingeführt haben. Und wir sehen gerade, wie die EU-Kommission mit ihrer E-ID Wallet die Teilprivatisierung von digitalen Identitäten zur Überwachung massiv vorantreibt.

Wir haben gesehen, wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einer dieser RTL- Show-ähnlichen Konferenzen zur Geldbeschaffung für Impfstoffentwicklung und Therapieforschung, sich bei Bill und Melinda Gates für ihre Führungsrollen bedankte. Dass Staats- und EU-Vertreter*innen nun Tech-Milliardär*innen offen Führungsrollen zusprechen, nahmen wir als ein überraschend ehrliches Schlüsselstatement im Selbsttransformationsprozess von sogenannten liberalen Demokratien in offene Postdemokratien zur Kenntnis.

Wir haben gesehen, wie selbsternannte Fakten Checker*innen die Tätigkeiten der Gates-Stiftung unkritisch in Schutz nahmen und Kritik an ihr häufig nur auf die grassierenden irrsinnigen Narrative der Rechten reduziert darstellten. Wir haben gecheckt, dass die Fakten Checker*innen selbst oft gar nicht die Fakten zu den Steuervermeidungstaktiken der „philanthropischen“ Milliardär*innen und ihre medienmächtigen Image- und PR-Kampagnen checkten, auf denen der gute Ruf z.B. der Gates Stiftung aber erst begründet ist. Dass diese Stiftung und von ihr geförderte Impf-Initiativen wie GAVI und CEPI mit Konzernen wie Mastercard und Tech-Unternehmen in afrikanischen Ländern Kontroll- und Überwachungspraktiken, bargeldlose Bezahlen-Services und kommerzielle Agrarprojekte aus sicherlich nicht selbstlosen Motiven voranbringen, scheinen manche Faktenchecker*innen gar nicht erst checken zu wollen. Dabei geben dies GAVI und Co. offen zu. Nur bezeichnen sie es nicht als den Neokolonialismus oder Überwachungskapitalismus, der unter dem Deckmantel der Philanthropie nun mal steckt.

Wir haben immer wieder von Aktivist*innen gehört, dass Falschbehauptungen und Verschwörungstheorien härter bestraft werden müssten. Wir haben uns gefragt, welche über alle Zweifel erhabene, völlig objektive und neutrale Institution den Wahrheitsgehalt von Theorien und Behauptungen zu politischen Geschehnissen endgültig prüfen und beurteilen könnte. Dass es völlig unsinnige und gegen Minderheiten hetzende, gefährliche Theorien und Falschbehauptungen gibt, gegen die wir uns positionieren müssen, ist uns klar und darin wurden wir in der Pandemie auch durch das Beobachten der Aktivitäten der Faschos und ihrer neuen Gefolgschaft bestärkt. Aber spätestens seitdem wir das Propagandamodell von Chomsky und Herman gelesen haben, ist uns genauso klar, dass weder Faktenchecks durch Journalist*innen, noch staatliches Durchgreifen auch nur annähernd Objektivität garantieren können, geschweige denn zur Bekämpfung von rechter Propaganda taugen. Oftmals sogar ganz im Gegenteil.

Wir haben gehört, wie Ministerpräsident*innen, Journalist*innen, Ethikrat Mitglieder immer wieder Falschbehauptungen aufstellten, dass der Datenschutz daran Schuld sei, dass die Pandemie noch nicht in den Griff bekommen wäre. Wir haben von den meisten sogenannten Faktenchecker*innen aber gar keine kritischen Bemerkungen und Einordnungen, keine aktivistischen Forderungen nach Strafen für diese schwurbeligen Fake News gesehen.

Wir haben stattdessen von der Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats im Oktober 2020 die unwahre Behauptung gehört, der Datenschutz sei, ganz offensichtlich zu ihrem Bedauern, doch noch „so gar nicht“ eingeschränkt worden. Vom Grünen Ministerpräsidenten Kretschmann und seiner Landesregierung haben wir immer wieder die Märchen von fantastischen Tracking-Apps in Taiwan und Südkorea gehört, mit denen dort die Pandemie längst unter Kontrolle sei, während hierzulande der leidige Datenschutz solch digitales Wunderwirken verhindere. Als wir dann erfahren haben, dass die Menschen in Taiwan und Südkorea selbst auch noch nichts von diesen Apps gehört haben, weil diese dort schlichtweg nicht existierten und auch ein Südkorea, mit seiner durchaus vorhandenen dichten Überwachungsinfrastruktur und zunehmend kontaktlosen Dystopie das Aufflammen von neuen Infektionswellen nicht verhindern konnte, hielt sich unser Staunen über die unwahren Aussagen deutscher Politiker*innen und das Desinteresse der „Faktenchecks“ dennoch in Grenzen.

Wir haben gesehen, wie es in der ganzen Zeit politisch gefordert wurde, das Privatleben maximal einzuschränken, aber sich am Arbeitsplatz und auf dem Weg dorthin den Risiken einer Infektion auszusetzen. Wir haben gesehen, wie sich die meisten Menschen fügten, selbst als nächtliche und ganztägige Ausgangssperren sowie Bewegungsradius-Zonen ohne epidemiologischen Sinn eingerichtet wurden.

Wir haben gesehen, wie nach den ersten Lockerungen über 700 Bewohner*innen eines Hochhauses in Göttingen und Arbeiter*innen der Tönnies-Schlachtfabriken in Wohnblöcken in Gütersloh auf Verdacht wie Vieh eingepfercht wurden. Wir haben gesehen, wie auch noch im Jahr darauf viele Saisonarbeiter*innen am Rande von deutschen Spargelhöfen ihre „Arbeitsquarantäne“ nur zum Arbeiten verlassen durften und ihnen die Schuld an hohen Inzidenzen gegeben wurden. Wir haben weder gesehen, wie sich die kleinbürgerlichen Protest-Kreischer*innen von „Frieden, Freiheit, keine Diktatur“ für die Freiheit dieser Menschen einsetzten, noch wie die „Solidarischen“ auf der Gegenseite sich solidarisch mit den eingepferchten Menschen zeigten.

Wir haben gesehen, wie Jugendliche in Stuttgart, in Hamburg, in Berlin, in Den Haag und an einigen anderen Orten immer wieder aus der Geiselhaft der Autoritären auszubrechen versuchten und es keineswegs nur „unsolidarische Querdenker*innen“ und Rechte sind, die massenhaft gegen Maßnahmen aufbegehrten.

Wir haben gesehen, wie Polizist*innen einen Jugendlichen mit dem Polizeiwagen durch einen Park hetzten, weil er seine Freund umarmt hatte und wie Polizeihubschrauber Menschen auf zugefrorenen See verfolgten, weil sie Abstands- und Sicherheitsregeln nicht einhielten.

Wir haben gesehen, wie die Bundeswehr im Inneren eingesetzt wurde, wie ihr Einsatz in Altenheimen, Gesundheitsämtern und bei der Impfkampagne medial inszeniert und die Gegenwart von uniformtragenden Soldat*innen gesellschaftlich weiter normalisiert wurde.

Wir haben gesehen, wie im Zuge der Proteste und Aufstände nach der Ermordung von George Floyd durch einen Polizisten, die BLM-Aktivist*innen und viele Linke in den USA die Abschaffung der Polizei forderten. Polizeistationen gingen in Flammen auf, Überwachungstechnik wurde zertrümmert. Viele Menschen wollten sich die rassistisch motivierten, tödlichen Übergriffe und die Kontrollen und Willkür durch Polizeikräfte nicht mehr länger bieten lassen und konnten sich ein freieres Leben vorstellen.

Währenddessen haben wir hierzulande beobachtet, wie sich einige als Linke und Antifa-Aktivist*innen bezeichnende Menschen nicht nur Demonstrationsverbote, sondern ein härteres Durchgreifen der Polizei wünschten, den Einsatz von Wasserwerfern und Schlagstöcken herbeisehnten, um gegen Menschen vorzugehen, die sich bei ihren Protesten nicht an Maßnahmen hielten. Wir entwickelten nie und empfinden nach wie vor keine Sympathien für Rechte und Querfrontler*innen und ihre Aufmärsche. Aber es war und ist schwer zu ertragen, wie Stimmen, die als dem linken Spektrum zugehörig wahrgenommen werden, plötzlich Polizeigewalt und Repressionsbehörden gutheißen und sie sich allenfalls darüber beklagen, dass die Gewalt der Staatsmacht zu selten die Richtigen treffe.

Wir haben leider ganz genau gesehen, wie viel Begeisterung für Repression und Autoritarismus, für „Zucht und Ordnung“ bei Linksliberalen, aber auch bei Linken und angeblichen Anarchist*innen in Deutschland vorhanden ist. Wir haben gesehen, dass Virolog*innen wie Popstars zelebriert wurden und es dabei nicht nur um die virologische Expertise ging, sondern um ihr äußeres Erscheinen, ihre politischen Wirkungen und ihren Lifestyle, die ihnen zusätzliche Autorität verliehen.

Wir haben gesehen, wie „die Wissenschaft“ als Singular zur unfehlbaren Autorität im Kapitalismus erhoben wurde, ohne dass ihre Politisierung, ohne dass das auf sie wirkende politische, ideologische System, von dem sie nicht losgelöst existiert, ohne dass die Begrenzungen durch Erkenntnistheorien und ihre Herrschaftsansprüche auf die Gesellschaft hinterfragt wurden. Besonders von Linken haben wir das kaum gesehen. Als hätte es Foucault, die Frankfurter Schule und emanzipatorisch linke Kritiken an Wissenschaften, Proteste gegen „Wehrtechnikforschung“ an Unis und gegen die Pharmaindustrie niemals gegeben.

Wir haben gehört, wie eine öffentlich vielbeachtete Virologin, die die Autorität ihrer Zunft klarstellen wollte, sagte, sie erzähle „doch auch dem Automechaniker nicht, wo der Motor am Auto ist.“. Die Ironie, dass sie selbst kurz darauf politische und Gesamtgesellschaft relevante Forderungen als Testimonial der „No Covid“-Initiative vorstellte, ist ihr dabei wahrscheinlich entgangen. Uns nicht.

Wir haben gesehen, wie die „No Covid“-Initiative ab Ende 2020 die Landkarte Europas in „grüne und rote“ Zonen einteilen wollte. Strikte Kontrollen, Massentests, Quarantäne, Überwachung sollten die Kranken und Verdächtigen in den roten Zonen einpferchen, um die Gesunden und Geprüften in den grünen Zonen zu schützen. Das ganze Ausmaß an Autoritarismus in dieser Idee verschlägt uns immer noch die Sprache. Er spricht wohl für sich selbst.

Wir haben gesehen, wie die „Zero Covid“-Initiative sich ab Anfang 2021 als „linkes“ Pendant zu „No Covid“ formierte. Linksliberale und linke Prominenz in Deutschland unterschrieb den Aufruf fleissig zu einem Zeitpunkt, an dem sich das Virus längst in Menschen und Tieren auf der ganzen Welt unkontrolliert ausgebreitet hatte. Zu den positiven Inhalten von „Zero Covid“ konnten wir die Forderung nach Stärkung der Pflege, den Blick auf die Arbeitswelt statt nur auf die Freizeit und eine angebliche Sorge vor autoritären Entwicklungen bei einer weiter andauernden Pandemie zählen. Wir haben uns davon aber nicht darüber hinwegtäuschen lassen, wie sehr die Forderungen nach „kurzen, harten Lockdowns“ bestenfalls naiv klangen; Wie sie, ähnlich wie „No Covid“ aber sehr wahrscheinlich zu einer weiteren autoritären Entgrenzung und Verstetigung von Kontrollen führen würden und wie sie das Freiheitsverständnis manipulativ nur auf dessen neoliberale, bürgerliche Interpretation zu reduzieren versuchte.

Wir haben gesehen, dass „Zero Covid“ zum Sinnbild für die autoritäre Linke in Deutschland wurde, wie sie vom „Schutz der Volksgesundheit“ sprachen und sich auch 2022 noch für die „hervorragende“ Unterdrückung in der chinesischen Pandemiepolitik begeistern.

Wir haben gesehen, wie wenig Begeisterung das chinesische Vorbild der deutschen „Zero-Covid “Linken bei den Menschen in China auslöst. Wir haben die Schreie aus den zugeschweissten Appartmentblöcken gehört, die digitale Bewegungskontrolle per App gesehen, die Aufstände und Kämpfe von Fabrikarbeiter*innen und vielen anderen Menschen gegen das „Zero-Covid“-Regime in ganz China beobachtet.

Wir haben gesehen, wie linke Intellektuelle, die kluge Sachen zu den autoritären Tendenzen des konservativen Bürgertums und zu rechten Ideologien in Behörden geschrieben und gesagt haben, nun selbst vom autoritären Staat und dessen Behörden maximale Sicherheit und hartes Durchgreifen begehrten.

Wir haben gesehen, wie ab 2021 viele Landesregierungen nach einer Werbetour des Rappers Smudo die „LUCA“-App einführten und ihre Nutzung an vielen Orten verpflichteten. Obwohl der Datenschutz als katastrophal. die Wirkung bei der Pandemiebekämpfung als kontraproduktiv und das Zugriffsinteresse der Polizei als hoch beschrieben wurden, haben wir und der Staat gesehen, wie viele Menschen die App trotzdem nutzten und fleissig QR-Codes scannten. Technikgläubigkeit, „freiwilliger Zwang“ aus Angst vor Ausschluss, Bequemlichkeit und das Verdrängen von Alternativen sind wohl die „Fantastischen Vier“ unter den gesellschaftlichen Nährböden für den Überwachungskapitalismus.

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Wir haben gesehen, wie das Bundesgesundheitsministerium 2021 bei IBM einen Impfpass mit Blockchain-Technologie in Entwicklung gab. Die historische Brisanz, dass der Auftrag ausgerechnet an IBM ging, fiel uns auf. Vielmehr haben wir allerdings die aktuelle Brisanz gesehen, mit den vielen Vorhaben, die unter Namen wie „Self Sovereign Digital Identity“ oder „ID 2020″ – auch in Zusammenhang mit Impfkampagnen – noch immer eine dystopische nahe Zukunft ankündigen. Eine durch digitalisierte Zukunft, in der unser gesamtes Leben per Biometrie überwacht und als Blockchain-Identitäten gespeichert werden soll, über deren Datenherausgabe wir als Individuen höchstens noch pseudo-freiwillig verfügen könnten („Daten her oder Du kommst hier nicht rein!“). Eine Zukunft, in der es Staaten, Behörden und Kapital vollumfänglich möglich wäre, uns (noch mehr) mit „Scorings“ zu bewerten, unseren „Marktwert“ zu errechnen und unser Verhalten kybernetisch zu maßregeln. Eine Dystopie, in der sich bis auf wenige Privilegierte, die meisten Menschen gar nicht mehr in Privatsphären zurück ziehen können, sich nicht mehr vertrauen und aufeinander verlassen würden, in der es keine Grauzonen, Verschwiegenheit, Schlupflöcher, Unschuldsvermutungen, Auskunftsverweigerungen und verzeihendes Wegschauen mehr geben kann. Ein Panoptikum, in dem die Vielen gefangen wären und die Wenigen alles sehen und wissen würden.

Wir haben gesehen, wie die EU-Kommission den „Grünen Pass“ eingeführt hat, der zwar kein Blockchain-Ausweis ist, aber dennoch eine erweiterbare Kontrollinfrastruktur etablierte. Wir haben gehört, wie die EU-Gesundheitskommissarin davon sprach, dass das digitale Impfzertifikat in der Zukunft noch andere Informationen als nur den Impfstatus anzeigen soll und dass die Pässe auch nach Ende der Pandemie erhalten bleiben sollen.

Wir haben gesehen, wie diese Zertifikate zur Grundlage für die Politik von 3G, 2G, 2G+ wurden; Wir haben gesehen, wie damit das digitale Ausweisen, Zertifizieren, Kategorisieren von Menschen im Alltag und das Veröffentlichen von Gesundheitsdaten über Monate hinweg normalisiert wurden.

Wir haben gesehen, wie auch in autonomen Zentren, linken und anarchistischen Einrichtungen in Deutschland 2G vehement kontrolliert wurde und Menschen ohne digitale Zertifikate und Ausweise nicht erwünscht waren – teilweise noch weit über das Ende der gesetzlichen Bestimmungen hinaus.

Wir haben gesehen, wie sehr sich Linke und selbsternannte Anarchist*innen sich nicht nur für 2G sondern auch für eine Impfpflicht einsetzen und wie es bei der Debatte um die Impfpflicht längst nicht mehr nur um den Gesundheitsschutz ging, sondern um symbolische Wirkungen für die Durchsetzung von staatlicher, biopolitischer Autorität gegenüber allen, die sich ihrer Entziehen wollten.

Wir haben gesehen, wie im Windschatten der Corona-Pandemie, der grossen Aufmerksamkeit für die „Querdenker“, des „War on Schwurbel“ und der behaupteten „Pandemie der Ungeimpften“ die deutsche Politik ein Überwachungsgesetz nach dem anderen verabschiedete. Wir haben gesehen, wie im Corona-Konjunkturpaket die Register Modernisierung und damit die Einführung einer digitalen Personenkennziffer beschlossen wurde. Wir haben gesehen, wie Horst Seehofer seine Überwachungsagendas durchdrückte, das NetzDG verschärft wurde, der Staatstrojaner für alle Geheimdienste eingeführt wurde, wie die EU ihre Biometrie Datenbanken und die Kommerzialisierung von Patient*innendaten ausweitet, die Militarisierung und Befugniserweiterungen von Polizei und Frontex vorangetrieben werden und verschiedene „Innovationsprojekte“ des Sicherheitsstaats nahezu unbemerkt und mit reichlich Desinteresse einer abgelenkten Linken passieren können. Wir haben noch mehr gesehen… und für einiges noch keine Worte gefunden Wir hätten gerne gesehen, wie die Kritik von jeder Autorität, von Herrschaft, Obrigkeit, vom kapitalistischen Wissenschaftsverständnis und dem Fortschritt Verständnis, wie die Fähigkeit zur Differenzierung und Dialektik die Debatten von Links in der Pandemie ausgemacht hätten.

Wir hätten vielleicht einiges anders kommen sehen können, wenn Linke ein kritischeres Verständnis vom Staat gehabt hätten. Denn im Gegensatz zu dem, wie sie es mehrheitlich einzuschätzen scheinen, ist der Staat nicht etwa ein Gegenspieler des Neoliberalismus oder Kapitalismus sondern dessen Garant, Verwalter und Exekutive, wie wir es in der „Bewältigung“ der Wirtschaftskrise ab 2008, bei der staatlichen Repression von autonomen Projekten immer wieder und bei der „digitalen, grün gewaschenen Transformation“ des Kapitalismus heute sehen.

Wir hätten es lieber gesehen, wenn sich Menschen durch solidarische Praxis, gegenseitige Hilfe, abwägender Vernunft und Rücksicht in der Pandemie verhalten hätten, statt rücksichtslos und empathie befreit, anbiedernd an den Staat einerseits oder an rechte Bauernfänger*innen andererseits.

Wir sehen es schon, dass manche vielleicht sagen: „Das ist alles längst vergangen und einiges ist ja auch gar nicht so eingetreten und vieles wurde wieder zurückgenommen.“ Doch wir denken, dass es dokumentiert, besprochen und sich dazu positioniert werden sollte. Viele Entwicklungen der staatlichen und kapitalistischen Autoritarisierung liefen schon vor der Pandemie und werden es danach noch beschleunigt tun, viele Probleme des linken und autonomen Spektrums in Deutschland sind so erst recht sichtbar geworden und wir sehen nicht, dass sich die Dinge bessern, wenn sie niemand mehr sehen will.

Gruppe Autonomie und Solidarität

Quellen und Links geordnet nach Themen:

Thema Erste Ankündigungen

TV-Ansprache von Angela Merkel vom 18. März 2020: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975232/1732182/d4af29ba76f62f61f1320c32d39a7383/fernsehansprache-von-bundeskanzlerinangela-merkel-data.pdf

Thema Bargeld

Artikel auf digitalcourage.de von Demuth, Kerstin: Aus hygienischen Gründen bargeldlos zahlen? Ist Quatsch., letztes Update vom 09.06.2020: https://digitalcourage.de/blog/2020/bargeld-corona-infektionsschutz-quatsch

Artikel auf Aerzteblatt.de: SARS-CoV-2: Bargeld birgt kein besonderes Infektionsrisiko, vom 12. August 2021: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/126311/SARS-CoV-2-Bargeld-birgt-kein-besonderes-Infektionsrisiko

Thema „Neue Normalität“

Gisela Zifonun: Zwischenruf zu „Neue Normalität“, erschienen in „Sprachreport 2/2020 des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache, Mannheim:

https://www.ids-mannheim.de/fileadmin/aktuell/Coronakrise/zifonun_web_2_neu.pdf

Meldung vom 11. April 2020 auf Tagesschau.de über die Rede zur Corona-Krise von Bundespräsident Steinmeier:

https://www.tagesschau.de/inland/steinmeier-ansprache-corona-101.html

Boston Consulting Group: Sensing and shaping the Post-COVID Era, 3. April 2020: https://www.bcg.com/publications/2020/8-ways-companies-canshape-reality-post-covid-19

KPMG Deutschland: Die neue Normalität: https://home.kpmg/de/de/home/themen/uebersicht/die-neue-normalitaet.html

OECD Forum: The Great Reset? Let’s aim for a „kinder capitalism“ and one measure for well-being, von: James Wallman, 07. Mai 2020:

https://www.oecd-forum.org/posts/the-great-reset-let-s-aim-for-a-kinder-capitalism-and-one-measure-for-well-being-2fcaccb1-54e4-4274-b7ba6546ae87c54a

Netzwerk Nachhaltigkeit NRW: Corona als Chance für die Nachhaltigkeitsdebatte, 12. Mai 2020:

https://www.lag21.de/aktuelles/details/corona-als-chance-fuer-die-nachhaltigkeitsdebatte/

Traxeler, Günter: Mutig in die neue Normalität, Kolumne, erschienen am 8. Mai 2020 bei derstandard.at: https://www.derstandard.at/consent/tcf/story/2000117350911/mutig-in-die-neue-normalitaet

Thema Schockstrategien

Klein, Naomi: Screen New Deal, am 8. Mai 2020 bei The Intercept erschienen: https://theintercept.com/2020/05/08/andrew-cuomo-eric-schmidtcoronavirus-tech-shock-doctrine/

Smart City Charta 2017 des Bundesumweltministeriums: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/bauen/wohnen/smart-city-charta-kurzfassung-de-unden.pdf?__blob=publicationFile&v=4

Studie im Auftrag des IMCU Komitees des EU-Parlaments zur „Digitalen Transformation“, erschienen im Mai 2020: https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2020/648784/IPOL_STU(2020)648784_EN.pdf

Robert-Koch-Institut Update vom 30.04.2020, Videoaufzeichnung der Aussage abrufbar bei ZDFheute Nachrichten ab 1h05m00s: https://www.youtube.com/watch?v=miEvuY-vqXc .

Das interne Strategiepapier des Innenministeriums zur Corona-Pandemie, am 07. April 2020 veröffentlicht bei abgeordnetenwatch.de: https://www.abgeordnetenwatch.de/recherchen/informationsfreiheit/das-interne-strategiepapier-des-innenministeriums-zur-corona-pandemie

Kreutzfeldt, Malte: Strategiepapier des Innenministeriums. Schockwirkung erwünscht, 28.3.2020 bei taz.de https://taz.de/Strategiepapier-desInnenministeriums/!5675014/

Thema Corona als Chance für die Linke?

Žižek, Slavoj: Pandemic! Covid-19 Shakes the World, E-Book, 2020. http://zizekpodcast.com/2021/02/09/ziz263-could-covid-destroy-capitalism-1901-2020/

Thema Corona-Warn-App

Schurter, Daniel: 300 Wissenschaftler warnen vor ‚beispielloser Überwachung der Gesellschaft‘, 21. April 2020: https://www.watson.ch/digital/schweiz/541347894-300-wissenschaftler-schlagen-alarm-wegen-fragwuerdiger-corona-warn-apps

Karabasz, Ina: Streit um Corona-Tracing-App: ‚Die Diskussion wird religiös geführt‘, 20.04.2020 bei Handelsblatt.com: https://www.handelsblatt.com/technik/medizin/chris-boos-streit-um-corona-tracing-app-die-diskussion-wird-religioes-gefuehrt/25753782.html

Jansen, Frank: Wollten Linksextreme die Corona-App sabotieren, 15. April 2020 bei Tagesspiegel.de: https://www.tagesspiegel.de/berlin/staatsschutzermittelt-nach-anschlag-auf-stromkabel-in-berlin-3245695.html

Becker, Kristin und Feld, Christian: Streit um die Corona-Tracing-App. Kräftemessen mit Apple und Google, 25. April 2020 bei Tagesschau.de: https://www.tagesschau.de/inland/corona-app-spahn-103.html

Capulcu: Unser erneu(er)tes NEIN zur Corona-Warn-App, 5. Dezember 2020: https://enough-is-enough14.org/2020/12/05/capulcu-unser-erneuertesnein-zur-corona-warn-app/

Reuter, Markus und Köver, Chris: Update der Corona-Warn-App. Neue Impfstatus-Prüfung auf Kosten der Anonymität, 10. Januar 2022, bei netzpolitik.org: https://netzpolitik.org/2022/update-der-corona-warn-app-neue-impfstatus-pruefung-auf-kosten-der-anonymitaet/

Bosen, Ralf: Kampf gegen die Pandemie Denkfabrik fordert gesetzliche Pflicht für Corona-Warn-Apps, 19. Januar 2021 bei dw.com: https://www.dw.com/de/denkfabrik-fordert-gesetzliche-pflicht-f%C3%BCr-corona-warn-apps/a-56269362

Artikel des Bundesgesundheitsministeriums zur Entwicklung des Corona-Warn-Bands, Projektlaufzeit: 07.10.2020 bis 31.12.2021:

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/ressortforschung-1/handlungsfelder/forschungsschwerpunkte/eindaemmung-der-covid19-pandemie/kida-1.html

Thema Konditionierungswerkzeuge

Artikel zu den Experimenten mit Abstandswarnchips im Saarland: https://www.sol.de/saarland/studie-im-saarland-funk-chips-sollen-schuelerinnenzum-abstandhalten-animieren,67180.html

https://www.uni-saarland.de/en/news/saar-uni-startet-corona-studie-an-schulen-22647.html

Nyarsik, Hedviga: Vorbild für andere Schulen? Wie ein Gymnasium das Corona-Problem löst, 30. Juni 2020 bei n-tv.de: https://www.ntv.de/panorama/Wie-ein-Gymnasium-das-Corona-Problem-loest-article21821407.html

Rath, Christian: Chronik der Sicherheitsgesetze. Der Weg zum Antiterrorstaat, 20. April 2020 bei taz.de : https://taz.de/Chronik-derSicherheitsgesetze/!5144153/

Thema Immunitätsausweis und Verschwörungstheorien

Barthel, Julia: Spahn schlägt Immunitätsausweis vor, 1. Mai 2020 bei netzpolitik.org: https://netzpolitik.org/2020/spahn-schlaegtimmunitaetsausweis-vor/

Grüne Thüringen zu „Verschwörungsmärchen“: https://gruene-thueringen.de/verschwoerungsmaerchen-in-zeiten-von-corona-immunitaetsausweiseund-angebliche-impfpflicht-07mai20/

Klaus, Julia: Faktencheck: Was dran ist am Impfzwang-Geraune, 06. Mai 2020 bei ZDF.de: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/coronavirus-keinimpfzwang-spahn-faktencheck-100.html

Ethikrat gespalten über Immunitätsbescheinigungen, 22. September 2020 bei Sueddeutsche.de https://www.sueddeutsche.de/wissen/immunitaetcorona-ausweise-ethikrat-stellungnahme-1.5040478

Heller, Piotr: Corona-Immunitätspässe. Bahn frei für Überlebende?, 18. Juni 2020 bei deutschlandfunkkultur.de https://www.deutschlandfunkkultur.de/corona-immunitaetspaesse-bahn-frei-fuer-ueberlebende-100.html

Beispiele für den Push der Tech-Konzerne für Immunitäts- und Impfausweise:

https://www.hpw.health/ https://www.weforum.org/agenda/2020/07/covid-19-passport-app-health-travel-covidpass-quarantine-event/ – https://www.weforum.org/videos/common-pass-travelling-the-world-in-the-covid-era – https://smarthealth.cards/en/

Privacy International: The looming disaster of immunity passports and digital identity, 21. Juli 2020 bei privacyinternational.org: https://privacyinternational.org/long-read/4074/looming-disaster-immunity-passports-and-digital-identity

epicenter.works: Orwell’s Wallet: Das elektronische Identifizierungssystem der EU führt uns direkt in den Überwachungs Kapitalismus, am 4. Februar 2022 bei epicenter.work.

Thema Gates-Stiftung, Faktenchecks, Fake News

Zu den „Geberkonferenzen“ der EU-Kommission: https://global-response.europa.eu/index_en https://twitter.com/vonderleyen/status/1257672436239282178?lang=en

Beispiel für eine selbsternannte Faktenchecker*in und Autorin zu Fake News und Verschwörungstheorien und einem unkritischen, unterkomplexen Umgang mit der Gates-Stiftung: https://twitter.com/kattascha/status/1268162154038988801

Wilhelm, Katharina: Nur ein menschenfreundlicher Milliardär?, 04. Mai 2020 bei deutschlandfunkkultur.de; https://www.deutschlandfunkkultur.de/gates-stiftung-nur-ein-menschenfreundlicher-milliardaer-100.html

Citations Needed Podcast, Episode 45 – Über die Medienmacht von Bill Gates und Gates-Stiftung: https://citationsneeded.medium.com/episode-45the-not-so-benevolent-billionaire-bill-gates-and-western-media-b1f8e0fe092f

Selbstdarstellungen von GAVI und Mastercard:

https://www.gavi.org/investing-gavi/funding/donor-profiles/mastercard https://www.mastercard.com/news/56071?culture=en

Privacy International über die Public-Private-Partnership-Überwachungsprojekte von GAVI und Mastercard, 10. Juli 2020: https://privacyinternational.org/examples/4083/public-private-partnership-launches-biometrics-identity-and-vaccination-record-system

Prominentes Beispiel für einen Aktivisten, der immer wieder die Bestrafung von Fake News fordert und sich für mehr Überwachung im Netz ausspricht: Anwalt Chan- jo Jun. https://www.junit.de/2020/2020/05/22/fight-fake-news/

Wiki-Artikel zum Propagandamodell von Herman und Chomsky: https://en.wikipedia.org/wiki/Propaganda_model (Stand Oktober 2022).

ZDF „heute live“ Interview mit Ethikratsvorsitzenden Alena Buyx am 29. Oktober 2020.

Kretschmann zur Corona-Warn-App: ‚Datenschutz ist kontraproduktiv‘, 15. November 2020 bei heise.de: https://www.heise.de/news/Kretschmannzur-Corona-Warn-App-Datenschutz-ist-kontraproduktiv-4960646.html

Podcast Logbuch Netzpolitik, Episode 374 vom 23. Dezember 2020: https://logbuch-netzpolitik.de/lnp374-ein-alter-weisser-mann-ist-passiert

Thema Proteste, Übergriffe und linke Polizeifans

Göttingen. 700 Bewohner in Massen-Quarantäne, 19.Juni 2020 bei ndr.de: https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/braunschweig_harz_goettingen/Goettingen-700-Bewohner-in-Massen-Quarantaene,corona3508.html

Ludwig, Kristiana und Verschwele, Lina: Die Vergessenen von Gütersloh, 7. Juli 2020 bei sueddeutsche.de: https://www.sueddeutsche.de/politik/coronavirus-toennies-guetersloh-arbeiter-1.4959561

Zingher, Erica: ‚Arbeitsquarantäne‘ auf Spargelhof. Wie Vieh gehalten, 7. Mai 2021 bei taz.de: https://taz.de/Arbeitsquarantaene-aufSpargelhof/!5765810/

Leitlein, Hannes u.a.: Warum diese Eskalation? Krawalle in Stuttgart, 22. Juni 2020 bei zeit.de:

https://www.zeit.de/zustimmung?url=https%3A%2F%2Fwww.zeit.de%2Fgesellschaft%2Fzeitgeschehen%2F2020-06%2Fkrawalle-stuttgartausschreitungen-pluenderungen-polizei-randale-innenstadt

dpa-Bericht: Randale am Gleisdreieck und im Mauerpark. Jugendliche rebellieren gegen Corona-Ausgangsbeschränkungen. So verlief die Nacht in Berlin und Hamburg, 3. April 2021 bei berliner-kurier-de: https://www.berliner-kurier.de/berlin/jugendliche-rebellieren-gegen-coronaausgangsbeschraenkungen-so-verlief-die-nacht-in-berlin-und-hamburg-li.150315

dpa-Meldung: Jugendliche in Niederlanden randalieren erneut gegen Corona-Massnahmen, 21.November 2021 bei spiegel.de: https://www.spiegel.de/ausland/niederlande-jugendliche-randalieren-erneut-gegen-corona-massnahmen-a-415be2f1-f145-432c-a6f3-be59661da478

Weil er Freunde umarmte. Polizei jagt Jugendlichen mit Streifenwagen durch Park, 26.Februar 2021 bei nordbayern.de: https://www.nordbayern.de/region/weil-er-freunde-umarmte-polizei-jagt-jugendlichen-mit-streifenwagen-durch-park-1.10875172

Mit dem Hubschrauber gegen die Menschenmassen auf dem Eis, 15. Februar2021 bei spiegel.de: https://www.spiegel.de/panorama/polizei-in-berlinhamburg-hannover-mit-hubschrauber-gegen-menschenmassen-auf-dem-eis-a-ccfc99c7-434e-42d5-8d5c-91206220f15e

Heh, Eyako und Wainwright, Joel: No privacy, no peace: Urban surveillance and the movement for Black Lives, 18. Mai 2022:

https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/26884674.2022.2061392

Beispiele für reichweitenstarke Stimmen, die sich dem linken Spektrum zuordnen und in der Pandemie nach mehr Polizeigewalt riefen:

https://twitter.com/stephanpalagan/status/1299656895318425600 https://twitter.com/DennisKBerlin/status/1381628676329078786

Kritik der Undogmatischen Radikalen Antifa Dresden an linker Polizeibegeisterung: https://www.ura-dresden.org/ruckblick-auf-die-gemeinsamezuganreise-am-01-mai-2022/

Thema Virologie-Pop, NoCovid und ZeroCovid

Scharnigg, Max und Werner, Julia: Ein Herz für Virologen, 23. März 2020 bei sueddeutsche.de: https://www.sueddeutsche.de/stil/coronavirusvirologen-mode-1.4848312

Drosten-Fansongs von Bodo Wartke und von so einer Art JuSo-Musikkapelle namens „ZSK“: https://www.youtube.com/watch?v=_ET84X6m8P0 https://www.youtube.com/watch?v=5OZdKwFSWZw

‚Ich bin es leid‘. Virologin Brinkmann mit leidenschaftlichem Appell, 04. November 2020 bei watson.de: https://www.watson.de/deutschland/coronavirus/199805626-ich-bin-es-leid-virologin-brinkmann-redet-sich-in-rage

Strategiepapier der „No Covid“-Initiative: https://nocovid-europe.eu/assets/doc/nocovid_oeffnungsstrategie.pdf

Aufruf und die Positionen zu „Volksgesundheit“ und Autoritarismus der deutschsprachigen „Zero Covid“-Initiative im Jahr 2022:

https://zero-covid.org/unterschreibe-den-aufruf/ https://twitter.com/zeroCovid_DACH/status/1494996685763792900 https://twitter.com/zeroCovid_DACH/status/1488199074834755584?cxt=HHwWgMC5qY_LkqcpAAAA

Einschätzung zu den Protesten zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Textes: Schneider, Jordan, China’s Protests. Harbinger or Passing Storm?, 28. November 2022: https://www.chinatalk.media/p/chinas-protests-harbinger-orpassing https://twitter.com/chuangcn/status/1597269906239926272

Thema Luca, digitaler Impfpass, ID2020, 2G

Ermittler griffen mehr als hundert Mal auf Kontaktdaten zu, 20. Januar 2022 bei spiegel.de: https://www.spiegel.de/netzwelt/apps/luca-und-coermittler-griffen-mehr-als-100-mal-auf-daten-zur-kontaktverfolgung-zu-a-a4e4c90a-7d6a-4b0e-8003-2a5ec7bc694f

Interview von Eva Wolfangel mit Ulrich Kelber, 30. April 2021 bei zeit.de: https://www.zeit.de/digital/datenschutz/2021-04/ulrich-kelber-coronawarn-app-luca-datenschutz-check-in´

IBM soll den digitalen Impfpass bauen, 09. März 2021 bei dw.com: https://www.dw.com/de/ibm-soll-den-digitalen-impfpass-bauen/a-56816301

Kruchem, Thomas: Digitale Identität. Die Blockchain weiss alles – kommt die totale Überwachung?, 17. Oktober 2020 bei srf.ch: https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/digitale-identitaet-die-blockchain-weiss-alles-kommt-die-totale-ueberwachung

Kruchem, Thomas: Digitale Identität aller Menschen – Fortschritt oder globale Überwachung?, 28. August 2022 bei swr.de: https://www.swr.de/swr2/wissen/digitale-identitaet-aller-menschen-fortschritt-oder-globale-ueberwachung-102.html

Selbstdarstellung einer „Self Sovereign Digital Identity“-Initiative vom 19. Oktober 2019: https://ssi-ambassador.medium.com/lissi-lets-initiate-selfsovereign-identity-102e4ec38fe4

EU: Nächster Schritt zum Corona-Impfpass, 28. Januar 2021 bei zdf.de: https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/corona-eu-impfpass-100.html

Fanta, Alexander: Österreich will Corona-Status von Millionen Menschen in zentraler Datenbank speichern, 07. Mai 2021 bei netzpolitik.org: https://netzpolitik.org/2021/greencheck-app-oesterreich-will-corona-status-von-millionen-menschen-in-zentraler-datenbank-speichern/

‚Communiqué‘ des Autonomen Zentrums KTS in Freiburg zum Ausschluss für Menschen ohne Impfzertifikat: https://www.ktsfreiburg.org/article3036/

Thema Noch mehr Überwachung im Windschatten von Corona

Reuter, Markus: Eine Nummer, sie alle zu finden, 09. Juli 2020 bei netzpolitik.org: https://netzpolitik.org/2020/registermodernisierung-eine-nummersie-alle-zu-finden/

Biselli, Anna: Ab Februar gilt die Meldepflicht. Eigentlich, 31. Januar 2022 bei netzpolitik.org: https://netzpolitik.org/2022/netzwerkdurchsetzungsgesetz-ab-februar-gilt-die-meldepflicht-eigentlich/

Rähm, Jan: Staatstrojaner – bald auch präventiv im Einsatz, 12. Juni 2021 bei deutschlandfunk.de: https://www.deutschlandfunk.de/datenschutzstaatstrojaner-bald-auch-praeventiv-im-einsatz-100.html

Monroy, Matthias: EU plant biometrische Superdatenbank, 13. Oktober 2022 bei golem.de: https://www.golem.de/news/treffen-in-washington-euplant-biometrische-superdatenbank-2210-168893.html

Mühlenmeier, Lennart: BMI entscheidet sich für ‚Survivor R‘ von Rheinmetall, 11. Dezember 2021 bei cilip.de: https://www.cilip.de/2021/12/11/bundesinnenministerium-kauft-polizeipanzer-survivor-r-von-rheinmetall/

Stellungnahme zum Verordnungsentwurf der EU-Kommission für den „Gesundheitsdatenraum“: https://patientenrechte-datenschutz.de/ehdsdokumentation/

Grüner, Sebastian: Bund und Bahn testen neue digitale Sicherheitskonzepte, 21. Juli 2022 bei golem.de: https://www.golem.de/news/apps-und-ledleuchten-bund-und-bahn-testen-neue-digitale-sicherheitskonzepte-2207-167060.html

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

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Grafikquellen          :

Oben         —        Ściborzyce Wielkie (Steuberwitz) is ein Dorf in Polen in der Wojewodschaft Opole, Powiat Ggłubczycki, Gmina Kietrz.

Quelle       :  Eigene Arbeit       /  Datum     :  März 2012

Diese Datei ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 3.0 Unported Lizenz.
Namensnennung: Ralf Lotys (Sicherlich)
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2.) von    Oben        —     Masken vom Maskenbrunnen (Flensburg 2014-10-28), Bild 02

Author Soenke Rahn     /      Soirce      —     Own work

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Unten      —       Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin am 29. August 2020.

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Der Kapitalismus hat Fieber

Erstellt von DL-Redaktion am 18. Dezember 2022

Die Diagnose heißt Kapitalismusversagen

Von Gereon Asmuth

Fiebermedikamente für Kinder fehlen genauso wie bezahlbare Mieten. Wer auf die allein selig machende Kraft der Märkte spekuliert, wird enttäuscht. Die Märkte sind nicht vollkommen. Sie sind verzerrt durch Wissensvorsprünge, Absprachen oder die Macht großer Player.

Neulich nachts vor der Notfallapotheke. Draußen der Vater, der quer durch die fremde Stadt geradelt ist, weil das Kind heiß ist und vor Schmerzen wimmert. Mittelohrzündung oder so was, was die Kleinen eben haben, gerade wenn man mal auswärts übernachtet. Drinnen die Apothekerin mit sorgenvoll gefalteter Stirn. Fiebersaft?, fragt sie, als sei das der Wunsch nach einem extrem schwer zu beschaffenden Wunderelexier und nicht nach einem handelsüblichen Schmerzmittel für Kleinkinder.

Das war im Oktober. Und da gab es anders als jetzt im Dezember noch gar keine Megaerkältungswelle, die so viele Kinder trifft, dass die Kliniken kaum noch freie Betten haben und Apothekerverbände von einer noch nie dagewesenen Situation sprechen.

Das Problem wird durch die akuten Erkrankungen verschärft, bestanden hat es schon seit Monaten. Die Diagnose lautet: Das Gesundheitssystem leidet an Kapitalismus. Genauer gesagt: Auch die Medikamentenversorgung hat jetzt mit den Nebenwirkungen dieser Marktideologie zu kämpfen. So wie seit langem schon die Wohnraumversorgung in Großstädten. Oder wie seit Jahrzehnten die Umwelt. Alle leiden an akutem Kapitalismusversagen.

Das ist ein Problem. Vor allem, weil die Wirtschaftsliberalen, die in ihrer ideologischen Verblendung an die Vollkommenheit des Marktes glauben, mit missionarischem Eifer den Kapitalismus als allein selig machenden Weg zum Glück in der ganzen Welt verbreiten – Stichwort: Globalisierung. Was dann zu so seltsamen Mutationen wie der hybriden Mischung aus Traditionskommunismus und Hyperkapitalismus in China führt.

Aber auch ohne solche Pervertierungen hat der Kapitalismus Probleme genug. Dabei ist er eigentlich eine schöne Idee. Weil die Besitzenden ihr Kapital möglichst gewinnbringend einsetzen wollen und dürfen, investieren sie nur in die Produktion von Dingen, die wirklich gebraucht oder gekauft werden. Am Markt regeln dann Angebot und Nachfrage den Preis und alle sind glücklich.

Schade nur, dass die dafür vorausgesetzten vollkommenen Märkte, bei denen alle Teil­neh­me­r:in­nen stets über sämtliche Informationen verfügen und unendlich schnell reagieren können, eine schöne Theorie für Ökonomiestudierende im ersten Semester sind. Mehr aber eben auch nicht. In der Realität kommen sie genauso selten vor wie die Unfehlbarkeit des Papstes, an die die Katholiken glauben, oder die immerwährende internationale Solidarität der arbeitenden Klasse, die eine Grundvoraussetzung für einen real funktionierenden Kommunismus wäre.

Tatsächlich sind die Märkte alles andere als vollkommen. Sie sind verzerrt durch Wissensvorsprünge, durch legale wie rechtswidrige Absprachen oder durch die Marktmacht großer Player. Vor allem aber das Ausklammern aller möglichen Kostenfaktoren verzerrt die Preise – und führt damit zu falschen Ergebnissen am Markt. Das ist systembedingt. Investoren müssen so billig wie möglich produzieren. Um erfolgreich gegenüber der Konkurrenz zu bleiben, wälzen sie alle Kostenfaktoren auf andere ab.

Die Kosten aber bleiben natürlich. Auch wenn sie sich nicht so leicht in Euro und Cent bemessen lassen. Aber weil die – wie Fachleute das nennen – Internalisierung externer Kosten nicht gelingt, leidet weltweit die Umwelt unter der industriellen Produktion – und schreien nachts die Babys ohne fiebersenkende Medikamente.

Denn gerade Teilmärkte – zum Beispiel der für den Fiebersaft – sind anfällig für die Bildung von Oligarchen oder gar Monopolen. Mit fatalen Folgen. Hier hat der Motor des Kapitalismus, der Preisdruck, dazu geführt, dass es seit dem Sommer nur noch einen einzigen Anbieter gibt, der in Billiglohnländern Asiens herstellen lässt. Für alle anderen war der Wettbewerb schlicht nicht mehr rentabel.

Nun sind jedoch die für einen funktionierenden globalen Handel notwendigen Lieferketten aufgrund diverser Krisen gestört. Weil sich hierzulande aber eben nicht von heute auf morgen eine konkurrenzfähige Produktion wieder hochfahren lässt, fehlt der Nachschub. Weil Ex­per­t:in­nen das seit Monaten kommen sahen, haben viele die Vorratshaltung ausgebaut, so sehr, dass viele andere nun ganz ohne dastehen. Eine Kettenreaktion wie beim Klopapier zu Beginn der Coronapandemie. Wenn wie aktuell noch eine Erkrankungswelle anläuft, kommt der Kapitalismus damit nicht mehr klar. Er hat Fieber.

Quelle        :        TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —   Eine Clown-Pflegegruppe im Krankenhaus Bambin Gesù in Italien, Dezember 2005.

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Unten      —          GREENVILLE, S.C. (7. Oktober 2009) Operations Specialist 2nd Class Yusef Robertson verteilt Spielzeug im Shriners Hospital for Children in Greenville während einer Caps For Kids-Veranstaltung im Rahmen der Greenville Navy Week. Navy Weeks sollen den Amerikanern zeigen, welche Investitionen sie in ihre Marine getätigt haben, und das Bewusstsein in Städten schärfen, die keine signifikante Präsenz der Marine haben. (U.S. Navy Foto von Chief Mass Communication Specialist Steve Johnson / Veröffentlicht)

U.S. Navy Foto von Chief Mass Communication Specialist Steve Johnson – Dieses Bild wurde von der United States Navy mit der ID 091007-N-6220J-012 (weiter) veröffentlicht. Dieses Tag gibt nicht den Urheberrechtsstatus des angehängten Werks an. Ein normaler Copyright-Tag ist weiterhin erforderlich.

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Krankenhausreform

Erstellt von DL-Redaktion am 16. Dezember 2022

Zurück zum Patientenwohl

Niemand hat die Politiker-innen gefragt was sie Rauchen bevor sie nach dem Mikrophon greifen ?

Einen Debattenbeitrag von Hermann Schult-Sasse

Die Vorschläge von Lauterbachs Reformkommission sind eine gute Grundlage dafür, Fehlentwicklungen in unseren Krankenhäusern zu beseitigen.

Kurz vor der Jahrtausendwende nahm sich die gerade angetretene rot-grüne Regierung eine Reform des deutschen Gesundheitswesens vor. Ich war damals als Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium unter der Grünen-Ministerin Andrea Fischer für das Projekt zuständig.

Die Krankenhausbehandlung wurde vorwiegend über Tagespflegesätze finanziert. Das belegte Bett brachte den Erlös, unabhängig vom Aufwand für den einzelnen Kranken. Das führte dazu, dass Deutschland in der Krankenhausbettenstatistik und bei den stationären Liegezeiten europaweit ganz vorne lag.

Da die Leistung des Krankenhauses für seine Bezahlung keine Rolle spielte, existierten auch keine Daten zum tatsächlichen Aufwand der Krankenhäuser für die Behandlung ihrer Patienten. Auch welche Krankheiten wie häufig und wo in Deutschland behandelt wurden, konnte niemand beantworten. Mögliche regionale Unterschiede in der medizinischen Behandlung blieben im Dunkeln und entzogen sich damit einer kritischen Diskussion über Qualitätsstandards.

All dies war Anlass, sich mit den Bedingungen für eine transparente und leistungsgerechte Finanzierung von Krankenhäusern zu befassen. Unseren Vorstellungen entsprach am besten das in den USA für die staatlich finanzierte Kranken­haus­ver­sorgung Medicare entwickelte aufwandsbezogene System der Fallpauschalen (DRG/diagnosis related groups), für dessen ausdifferenzierte australische Variante wir uns schließlich entschieden. Zwei Weichenstellungen haben dann leider die Grundlagen gelegt für Fehlentwicklungen, über die heute zu Recht geklagt wird.

Anders als im damaligen Arbeitsentwurf vorgesehen, wurden in die DRG-Kalkulationen keine investiven Kostenanteile einbezogen und somit das duale Finanzierungsprinzip (Finanzierung der laufenden Kosten durch die Krankenkassen, Finanzierung der Investitionen durch die Länder) unangetastet gelassen. Damit vermied man ein Scheitern des Reformprojekts im Bundesrat, in dem zwischenzeitlich die CDU-regierten Länder die Mehrheit hatten. Krankenhäuser hatten damit, anders als vorgesehen, nicht mehr die Möglichkeit, eigenständig mit Investitionen die Krankenversorgung zu optimieren und dabei auch Effizienzgewinne zu erwirtschaften.

Die andere Weichenstellung rückte die DRGs ins Zentrum der Vergütung und nutzte sie nicht nur als Methode zur Kalkulation von Krankenhausbudgets. Weltweit hat kein anderes Land die Finanzierung der Krankenhäuser so stark an erbrachte Leistungen gebunden. Damit ermöglichte man, die Krankenversorgung an eine betriebswirtschaftliche Optimierung der DRG-Abrechnung zu binden. Sowohl die Aufgabe wenig lukrativer Leistungen als auch die Ausweitung eher lukrativer Leistungen waren die Folge. Die Aufgabe von Geburtshilfeabteilungen und die Reduzierung von Kapazitäten in Kinderkliniken sind dafür ebenso Beispiele wie die Ausweitung orthopädischer und kardiologischer Eingriffe.

Datei:Ehemaliges Kinderkrankenhaus in Hamburg-Rothenburgsort.jpg

Das ehemalige Kinderkrankenhaus in der Marckmannstraße 131 in Rothenburgsort wurde 1914 bis 1917 nach Plänen der Architekten Martens und Henry Grell erbaut.

Rund 20 Jahre Erfahrungen mit diesem Abrechnungssystem unterstreichen die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform. Bundesgesundheitsminister Lauterbach hatte im Mai eine 17-köpfige „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ eingesetzt, die dazu Vorschläge erarbeiten sollte.

Den Kern der jetzt vorgelegten Vorschläge bilden drei Kriterien, nach denen zukünftig die Krankenhausversorgung honoriert werden soll: Vorhalteleistungen, Versorgungsstufen und Leistungsgruppen. Das Vorhalten von Personal und bestimmten Ausstattungen wie einer Notaufnahme soll mit festen Beträgen finanziert werden.

Krankenhäuser sollen drei unterschiedlichen Versorgungsstufen zugeordnet werden, die Grundversorgung wohnortnah gesichert und aufwendige Behandlungen nur noch in spezialisierten Kliniken mit hoher Fallzahl durchgeführt werden. Statt einer allgemeinen Zuweisung von Fachabteilungen (wie „Innere Medizin“) sollen in der Krankenhausplanung genauer definierte Leistungsgruppen (zum Beispiel „Kardiologie“) ausgewiesen werden. Diese sollen an genau definierte Strukturvoraussetzungen gebunden werden (Personal und Ausstattung) und Voraussetzung für die Abrechenbarkeit mit den Kassen sein.

Ein gelungener Aufschlag

Quelle       :           TAZ-online           >>>>>       weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben      —     Prof. Dr. Karl Lauterbach (Gesundheitspolitischer Sprecher, SPD), Foto: <a href=“http://www.stephan-roehl.de“ rel=“nofollow“>Stephan Röhl</a> Tagung „Wie geht es uns morgen?“ in der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin

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Gegensätze zum Impfen

Erstellt von DL-Redaktion am 17. November 2022

Darf das Thema Schutzimpfungen nicht kritisch hinterfragt werden?

Quelle      :        INFO Sperber CH.

Von       :    Christian Bernhart /   

In einer großen Dokumentation von Arte versuchen Wissenschaftler und Ärzte das Wissen über Impfungen zusammenzufassen.

Vorbehalte gegen gewisse Impfstoffe äußern nicht nur Impfskeptiker. Vielmehr kommen in der rund eineinhalbstündigen Arte-Doku-Sendung* Wissenschaftler und Ärztinnen zu Wort. Die französische Dokumentarfilmerin Anne Georget räumt ihnen genügend Zeit ein, damit sie ihre Befunde und Bedenken für Laien verständlich machen können. Auslöser für den Film war die Covid-Pandemie, welche die Menschen noch mehr als vorher in Impfgegner und in Befürworter aller empfohlenen Impfungen aufspaltete. Ziel der Doku war es, den Meinungsgraben mit Argumenten zu Nutzen und Risiken der Impfungen zu überbrücken. Doch in Frankreich und in der Romandie kritisierten Impfforscher, dass die Sendung tendenziös und einseitig gewesen sei und wichtige Informationen gefehlt hätten.

In der Arte-Doku äußert sich zum Beispiel Gregory Poland, der Impfstoffe gegen Pocken, Masern und das Zika-Virus mitentwickelt hat und zurzeit an einem Covid-Impfstoff forscht. Oder der Epidemiologe William Foege, der in Afrika und Indien erfolgreiche Impfkampagnen gegen Pocken und Masern führte, oder der Schwede Peter Aaby, der die Impfkampagnen in Guinea-Bissau untersuchte und die unspezifischen Wirkungen von Impfungen erforschte (Infosperber berichtete).

Im Folgenden sind ihre Argumente anhand der wichtigsten Themen zusammengefasst. Zwei weitere Wissenschaftler, der Virologe Didier Trono und der Immunologe Alain Fischer beurteilen Aussagen der Sendung kontrovers.

Massenimpfungen

In diesem Abschnitt argumentiert die Doku, dass Pandemien wie etwa Pocken durch Massenimpfungen nicht auszurotten seien. Besser wäre es, gezielt nur Menschen in Gegenden mit infizierten Personen zu impfen. William Foege untermauert die These anhand von Impfkampagnen gegen Pocken in Nigeria 1967, wo es gelang, mit sieben Prozent Geimpften die Pocken zu stoppen. Dieselbe Methode wurde in den Jahren 1973/74 angewandt in Indien, das innert einem Jahr von Pocken befreit wurde (Bei Minute 11:38 im Film)

Auf RTS 1 stufte Didier Trono, Leiter des Virologie-Labors der ETH-Lausanne, die Pockenimpfung als gutes Beispiel für solche gezielten Impfungen ein, da Pockensymptome sehr gut erkennbar seien. Doch bei Krankheiten mit erst spät sichtbaren Symptomen komme die gezielte Impfung zu spät. Auch Massenimpfungen hätten anderenorts zur Ausrottung der Pocken beigetragen.

In der Zeitung Express erklärt der Pariser Immunologe Alain Fischer, dass Pandemien wie beispielsweise Kinderlähmung nur dank der Massenimpfung bei uns verschwunden seien.

Kinderkrankheiten 

Die Arte-Doku geht auf die Frage ein, ob die heute hohe Impfrate bei Kleinkindern dazu führe, dass sich Kinderkrankheiten hin zu den Jugendlichen und Erwachsenen verschieben und deshalb weitaus schlimmere Folgen nach sich ziehen würden. Es sind Beobachtungen, die beispielsweise die Allgemeinpraktikerin Geneviève Farrachi in ihre Praxis in der Nähe von Dijon feststellt und die diese mit Aussagen des Virologen Raymond Bastin untermauert. Dieser erklärte 1977, dass eine flächendeckende Masernimpfung ein erhöhtes Risiko schwerer Fälle bei Erwachsenen und Neugeborenen zur Folge habe (25:18). Der Infektiologe Guillaume Béraud von der Uniklinik Poitiers erklärt dazu, dass Kinder vor Einführung der Impfung die Masern mit fünf oder sechs Jahren durchmachten (26:49). Die hohe Masern-Impfrate während der Epidemie 2010/11 hätte bewirkt, dass sich die 16-Jährigen am häufigsten ansteckten, was in diesem Alter mehr Risiken bedeute.

Alain Fischer sagte im «Express»: Masern seien eine Krankheit mit schwerwiegenderen Folgen. Obschon sie in der Regel harmlos verlaufe, gebe es heute weltweit jährlich 135’000 nicht geimpfte Kinder, die an Masern sterben. Zudem schütze die Rötelnimpfung Schwangere vor der Geburt eines behinderten Kindes.

Masern-Ausschlag bei einem nigerianischen Mädchen. Der Großteil der weltweit auftretenden Krankheitsfälle betrifft den afrikanischen Kontinent.

Fischers Statistik ist approximativ, denn nach Angaben der WHO von 2018 gibt es weltweit jährlich 140’000 Maserntote, darin befinden sich alle Altersgruppen, geimpft oder ungeimpft. Didier Trono erklärt, die Ungeimpften und nicht die Geimpften würden riskieren, später an Masern zu erkranken (weil sie sich wegen der hohen Impfraten als Kinder selten anstecken), und postuliert, dass die generelle Impfung gegen Kinderkrankheiten helfe, besonders Vulnerable zu schützen, die sich wegen eines eingeschränkten Immunsystems nicht impfen lassen dürfen.

Impfungen gegen Atemwegserkrankungen

Die eingeschränkte Wirkung dieser Impfungen gegen Viren in den Atemwegen charakterisiert Michel de Lorgeril, Experte für Auswirkungen von Medikamenten und Impfungen, dahingehend (28:58), dass es bei Geimpften zwar zu weniger Erkrankungen komme, dass sie jedoch nach wie vor Viren über die Atemwegsorgane ausscheiden und deshalb ansteckend sein können. Menschen jedoch, die sich auf natürlich Weise über die Atemwege infizierten, würden einen besseren Schutz ihrer Atemwege aufweisen, sodass bei ihnen eine Übertragung der Krankheit sehr unwahrscheinlich wird. Für de Lorgeril bestätigen die Covid-Impfungen erneut diese eingeschränkte Wirkung der Impfung auf Atemwegserkrankungen.

Laut Fischer hätte man darauf hinweisen müssen, dass die Covid-Impfung das Risiko einer Ansteckung reduziere, auch wenn sie diese nicht ausschliesse.

Fehlende Doppelblind- und Langzeitstudien 

An Behörden und Impfstoffproduzenten richtet die Arte-Doku gravierende Vorwürfe. Sie würden die Impfstoffe ohne die eingehenden, für Medikamente üblichen Prüfungen auf den Markt bringen. Der Franzose und bekennende Impfbefürworter Romain Gherardi, der während 30 Jahren die Auswirkungen von Impfstoffen auf Risikogruppen untersuchte, spricht von fehlenden präklinischen Studien zur Untersuchung von Auswirkungen auf die Erbsubstanz oder Fruchtbarkeit. Er wirft den Impfherstellern vor, Kosten sparen zu wollen.

Gezeigt wird, wie Ronald Reagan 1986 den «National childhood vaccine injury act» unterzeichnete, der Hersteller von der Haftung für schwere Nebenwirkungen entbindet.

Die Schlussfolgerung der Doku lautet: «Impfstoffe sind die einzigen Medizinprodukte, die eine gesetzliche Immunität geniessen.» Peter Gøtzsche, Begründer der Cochrane-Gruppe, einer internationalen Vereinigung von Ärzten, die klinische Studien von Medikamenten und Impfungen systematisch auswerten, fordert, dass Impfstoffe höhere Standards als andere Medikamente erfüllen sollten, da Impfstoffe Gesunden verabreicht werden und länger im Körper bleiben, Medikamente dagegen im Notfall abgesetzt werden können (39:90).

Trono erklärt, dass man diese Aussage nicht verallgemeinern dürfe, es gäbe präklinische Tests, infolge von Dringlichkeit jedoch nicht in dem Ausmass, wie es zu wünschen wäre.

Peter Doshi, Herausgeber des «British Medical Journal», warf den Herstellern der Corona-Impfstoffe vor, die eingeleiteten Doppelblindstudien willkürlich abgebrochen und nicht zu Ende geführt zu haben.

Wechsel- und Nebenwirkungen 

Unerwünschten Wirkungen, wie sie bei Medikamenten vorkommen, zeigt der dänische Anthropologe Peter Aaby (32:40) anhand von Studien zur Kindersterblichkeit bei 200’000 Menschen in Guinea-Bissau. So sank hier – wie später in Senegal, im Kongo und in Indien ebenfalls – die Kindersterblichkeit nach Masern-Impfungen um mindestens 50 Prozent. Masern allein waren aber für eine solch hohe Sterblichkeit nicht ausschlaggebend, also muss die Impfung die Gesundheit umfassender beeinflusst haben. Aaby stellte fest, dass die Sterblichkeit der Mädchen sank wenn man die kombinierte Impfung gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten vor derjenigen gegen Masern verabreicht. [Infosperber hat ausführlich darüber berichtet: hier und hier]. Aaby folgert, dass bestimmte Impfstoffe nicht nur gegen eine Krankheit wirken, sondern insgesamt das Immunsystem beeinflussen.

HPV-Impfungen

Weil Langzeitwirkungen der Impfung gegen das Humane Papillomavirus (HPV), welches Gebärmutterhalskrebs auslösen kann,  bis heute zu wenig abgeklärt seien, rät Frauenärztin Diane Harper von dieser Impfung jetzt ab (47:30). Zuvor war sie als Prüfärztin für klinische Versuche für die Pharmakonzerne Merck und GSK tätig. Anstelle der Impfung empfiehlt sie regelmässige Vorsorgeuntersuchungen, weil in 90 Prozent der Fälle das langsam wachsende Virus verschwindet. Von den restlichen 10 Prozent würden 5 Prozent Beschwerden verursachen, die anderen 5 Prozent  entwickeln eine Krebsvorstufe, woraus sich ohne Behandlung nach 30 Jahren bei 40 Prozent ein Krebs entwickeln kann. De Lorgeril (49:52) demonstriert, wie es sogar zu einem Anstieg der Krankheit in jenen Ländern kam, in denen gegen HVP viel geimpft wurde, so in Norwegen, Australien und Schweden, während in Dänemark oder Frankreich, wo wenig geimpft wurde, die Häufigkeit von Gebärmutterhalskrebs zurückging. Dafür gebe es zurzeit erst Vermutungen: Junge Frauen könnten vor der Impfung bereits infiziert gewesen sein, oder sie verzichten als Geimpfte auf die Früherkennung, oder aber der Impfstoff, so de Lorgeril, rotte nur einige Virenstämme aus, sodass sich andere HPV-Viren umso stärker ausbreiten können.

Gesundheitsmarketing 

Anhand von Filmsequenzen wird gezeigt, wie vornehmlich in den USA die Impfhersteller mit raffinierten Angstmethoden ihre Impfungen als Garantie für Gesundheit anpreisen. Diane Harper nennt als Beispiel die Werbung für den HPV-Impfstoff «Gardasil» von Merck. Die Kampagne habe darauf beruht: «Willst Du Deine Kleine nicht impfen, so stirbt sie an Gebärmutterkrebs.» (54:05) Wie in der Doku zu sehen ist, sind es die Bilder von jungen besorgten Mädchen, welche diese Aussage suggerieren. Harper intervenierte bei Merck, deren Antwort lautete: «Angst verkauft sich.»

Peter Doshi prangert insbesondere die auf die Tränendrüse drückende Werbung der Grippeimpfung für Kleinkinder ab sechs Monaten an, wie sie die CDC, die USA-Gesundheitsbehörde, aufschaltete (43.18). Epidemiologe Tom Jefferson, Mitglied des Nordic Cochrane Center, bietet hier Aufklärung (45:37). Von allen klinischen Studien zu Grippeimpfstoffen habe nicht eine einzige einen Rückgang der Sterblichkeitsrate aufzeigen können. Es müssen, so Jefferson, zwischen 33 und 99 Erwachsene geimpft werden, um einen einzigen Grippefall verhindern zu können.

Die USA würden die Grippeimpfung ab sechs Monaten empfehlen, um dadurch die Grosseltern schützen zu können, quasi aus Solidarität, verteidigt Fischer das Vorgehen. Auf den Grund dieser für ihn zwar diskutablen Strategie hätte man hinweisen müssen.

Wirkverstärker 

Um die Wirkung zu verstärken werden Impfstoffen Substanzen wie Aluminium und früher sogar Quecksilber in geringen Mengen beigefügt. Unmittelbare Folgen entdeckten Romain Gherardi und andere Kollegen in Bordeaux in den 1990er-Jahren bei einer Muskelentnahme im Schulterbereich. Entzündliche Stellen enthielten bestimmte Immunzellen (Makrophagen) mit Aluminiumhydroxidkristallen (55:47). Der Nachweis ergab, dass sie von Impfungen stammten, welche die Patienten viele Jahre zuvor erhielten. Damals galt es als sicher, dass sich diese Aluminiumkristalle auflösen würden. Die Annahme beruhte auf einer Studie von 1967 an zwei Kaninchen, die ergab, dass die Kaninchen innert 28 Tagen 5 Prozent des Aluminiums ausscheiden. Es wurde einfach gefolgert, dass es mit der Zeit ganz ausgeschieden wird. Alle weiteren Untersuchungen zum Verhalten dieses Wirkverstärkers waren mathematische Modelle, die auf der Studie der beiden Kaninchen beruhten.

Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch die eingeblendete Szene eines Impfausschusses von 2018, in der die USA-Gesundheitsbehörde CDC den neuen Impfstoff Hepslisav-B präsentierte (1:00:35). Gefragt, ob es angesichts der Anzahl neuer Wirkverstärker Bedenken wegen Wechselwirkungen mit den Zusatzstoffen anderer Impfungen gäbe, lautet die offizielle Antwort von Dr. Shelly: «Wir verfügen über keine Daten, um eine Empfehlung in irgendeiner Weise auszusprechen.» Deshalb werde angeraten, dass Impfungen die gleichzeitig gespritzt werden, auf verschiede Gliedmassen verteilt werden (1:01:19). Die grosse Frage, so Gherardi, die nie gestellt werde, sei jene, wie sich die Mehrfachimpfung auswirke.

Die von Gherardi festgestellten eingelagerten Aluminiumkristalle im Muskelgewebe seien noch nie in Kindern, den Hauptempfängern der damit verstärkten Impfstoffen, festgestellt worden, hält Fischer dagegen. Milliarden Menschen seien so geimpft worden ohne Schäden davon zu tragen. Der möglicherweise unvorteilhafte Einfluss unterschiedlicher Wirkverstärker, sogenannter Adjuvantien, bei Mehrfachimpfungen war weder Trono noch Fischer eine Bemerkung wert. Das Bundesamt für Gesundheit empfiehlt für Kleinkinder ab dem 2. Monat die Impfung mit dem Kombinationsimpfstoff gegen Diphtherie, Starrkrampf, Keuchhusten, ferner die Impfstoffe gegen Kinderlähmung, gegen bakterielle Hirnhaut- und Kehlkopfentzündung, gegen Hepatitis B und gegen Pneumokokken. Weitere Dosen werden Kindern im Alter von 4 und 12 Monaten empfohlen. Dazu kommt der Kombinationsimpfstoff gegen Masern, Mumps, Röteln in zwei Dosen im Alter von 9 und 12 Monaten, also Impfungen gegen insgesamt zehn Krankheiten.

Einfluss auf das Immunsystem 

Zum Abschluss stellt die Arte-Doku die Frage, inwieweit die Impfung Einfluss auf das Immunsystem nimmt und inwiefern sich dadurch auch das Mikrobiom im Darm verändert, das im Ileum – einem Teil des Dünndarms – mittels Bakterien und Viren über 90 Prozent der Antikörper für die Immunabwehr produziert. So stellt Poland in diesem Zusammenhang die Frage, wie viele Impfstoffe der Mensch in seinem Leben überhaupt verkraften kann (1:04:20). Der Immunologe Mark Davis erklärt anhand des Cytomegalovirus, dass Bakterien und Viren sogar sehr nützliche Mikroorganismen seien (1:06:00). Dieses Herpes-Virus, das bei immungeschwächten Personen schlimmstenfalls Hirnhautentzündung hervorrufen kann, wurde bei 16 Zwillingspaaren auf seine Wirkung hin untersucht. Dabei war der eine Zwilling infiziert, der andere nicht. Die Infizierten bildeten viel mehr Antikörper gegen Grippe als die Nicht-Infizierten.

Die Erkenntnis, dass Milliarden von Mikroorganismen in und auf unserem Körper leben und in Wechselwirkung mit ihm stehen, mache ein Umdenken nötig bei der rigorosen Bekämpfung von Viren und Bakterien. In diesem Zusammenhang weist Immunologe Gérard Eberl vom Institut Pasteur auf die Korrelation hin, dass ansteckende Krankheiten wie Masern inzwischen unter Kontrolle gebracht worden seien. Allerdings sei es parallel zum enormen Rückgang dieser Infektionskrankheiten zu einem Anstieg von entzündlichen Erkrankungen wie Autoimmunerkrankungen oder Diabetes gekommen (1:10:40). Das führte zur Theorie, dass entzündliche Krankheiten in dem Masse zunehmen, als der Infektionsdruck durch Krankheitserreger nachlässt. Poland postuliert, dass Infektionskrankheiten deshalb eine entscheidende Rolle für unser Immunsystem spielen (1:12:30). Welche Faktoren die Zunahme von Autoimmunkrankheiten und Allergien auslösen, ob es die Ernährung ist, die Impfstoffe, die Kombination bestimmter Medikamente oder alle Faktoren zusammen, müsse noch erforscht werden.

Personalisierter Impfstoff: 

Ein personalisierter Impfstoff könnte anhand eines individuellen Immunprofils entwickelt werden. Dieses Profil, das sich in den Human Leukozyt Antigenen (HLA) wiederspiegelt  – für deren Entdeckung Jean Dausset 1980 den Nobelpreis erhielt – könnte den Hinweis geben. Unter dem Begriff «Vaccinomics» hat Poland 2011 ein solches Vorgehen zur Diskussion gestellt. Demzufolge sollte man zunächst feststellen, wie eine Person auf einen Impfstoff reagiert (1:17:46). Ob sie überhaupt anfällig für eine Krankheit sei, oder nur einen milden Verlauf durchmachen würde. In seiner Überlegung erhält Poland Unterstützung von Ursula Wiedermann, die sich für einen Paradigmenwechsel ausspricht (1:18:33). Parallel zu Impfprogrammen mit der Zielsetzung einer Herdenimmunität sollten Impfungen nicht mit dem Giesskannensystem eingesetzt werden. Denn es gebe Bevölkerungsgruppen wie die Senioren, die adipösen Kinder oder chronisch Kranke, die anders geimpft werden müssten. Das Dogma «one shot fits all» stimme nicht mehr.

In Bezug auf diesen Vorschlag, basierend auf dem HLA-System entgegnet Fischer, dass es wohl individuelle Reaktionen gegen Impfungen gebe, doch diese Faktoren seien sehr komplex und mit dem heutigen Wissen nicht messbar. Personalisierte Empfehlungen gebe es schon heute. Etwa dass Impfungen gegen die Grippe oder gegen Gürtelrose nur für ältere Personen empfohlen werden, oder jene gegen Keuchhusten nur für Eltern mit Neugeborenen, damit diese geschützt sind.

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Die ARTE-Sendung im Original auf Französisch hier.

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Oben      —   Impfung gegen COVID-19 in einem Impfzentrum

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Die Long Covid Folgen

Erstellt von DL-Redaktion am 13. November 2022

Das Kind muss an die frische Luft

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Von Birte Müller

Als die Tochter unserer Autorin an Long Covid erkrankt, beginnt für die Familie eine Zeit voller Schmerz und Verzweiflung, Liebe und Hilfsbereitschaft. Wie aus dem „Wurm“ wieder Olivia wurde.

Die Sonne scheint. Die Frösche quaken am Teich. Es ist ein wunderschöner Tag im Mai. Einer, an dem man einfach nur draußen sein möchte. Doch wir sind drinnen, die Vorhänge und Fenster geschlossen. Meine Tochter Olivia liegt im Bett. Seit Monaten. Sie kann nicht aufstehen, nicht mal sitzen oder den Kopf heben. Es ist, als würde eine unsichtbare, tonnenschwere Last sie erdrücken. „Ich bin kein richtiger Mensch mehr“, sagt sie. „Ich bin nur noch ein Wurm.“ Sie ist 13 Jahre alt und an Long Covid erkrankt.

Ich habe keine Worte für den Schmerz, meine Tochter so leiden zu sehen, und noch weniger für meine Fassungslosigkeit darüber, dass sich in unserem Gesundheitssystem niemand verantwortlich fühlt, niemand bereit ist, ihr zu helfen. Das Kind soll einfach daliegen, tatsächlich wie ein Wurm. Und ich als Mutter soll keinen Stress machen, denn Stress schadet ihr.

Die Pandemiezeit war eine Herausforderung für mich und meine Familie. Olivias 15-jähriger Bruder Willi ist schwer geistig behindert, und als im Lockdown alle Hilfen wegfielen, wurde unser Alltag zur Zerreißprobe. Aber Anfang des Jahres waren wir sicher, das Schlimmste sei überstanden, obwohl wir uns mit Corona ansteckten: Wir kannten niemanden, der einen schweren Verlauf hatte, wir waren alle geimpft und die Kinder gingen zu dem Zeitpunkt seit einem halben Jahr wieder ziemlich normal zur Schule.

Nie hätte ich gedacht, dass unser persönlicher Corona-Albtraum da erst anfängt. Ein halbes Jahr erleben wir eine unfassbare Zeit, voller Schmerz und Verzweiflung, aber auch voller Liebe und Hilfsbereitschaft. Und am Ende, wie ein Wunder, findet unsere Tochter zurück ins Leben.

Alles beginnt in der ersten Januarwoche, als meine Familie sich mit dem Coronavirus ansteckt. Um Olivia mache ich mir am wenigsten Sorgen. Ich bin vielmehr beunruhigt, wie wohl ihr Bruder und unsere Eltern durch die Infektion kommen: Sie kommen gut durch.

Zwei Wochen nachdem Willi das Virus aus seiner Förderschule mitgebracht hat, kann er auch schon wieder hingehen. Olivia ist nach mehreren Tagen mit hohem Fieber noch zu groggy. Sie übt lustlos mit mir ein paar Englischvokabeln, chillt im Bett und schaut Youtube. Ich rechne fest damit, dass es ihr bald besser geht.

Aber es geht nicht besser, im Gegenteil. Die Party zum 13. Geburtstag fällt aus. Die geschenkten Lammfellstiefel bleiben unbenutzt auf dem Flur, und das neue 1.500er-„Harry Potter“-Puzzle müssen wir auf dem Boden machen. Auf einem Stuhl sitzen ist für Olivia zu anstrengend.

Der Kinderarzt beruhigt uns: „Das ist normal, Jugendliche benötigten oft viele Wochen, um sich von der Infektion zu erholen.“ Genervt denke ich an meine aufgeschobene Arbeit.

Ich besorge Vitamin D, eine Freundin bringt Proteinpulver, mein Mann Matthias presst frische Säfte. Draußen regnet es. Olivia verbringt viel Zeit auf dem Boden neben meinem Computer, während ich versuche zu arbeiten. Sie bastelt und hört Hörbücher: „Robinson Crusoe“, „Moby Dick“, je länger, desto besser. Zwischendurch spielen wir. Doch die Kalahasteinchen erscheinen Olivia plötzlich schwer, das Backgammonbrett riesig. Immer öfter krabbelt sie zurück in ihren Deckenhaufen, um sich auszuruhen.

Auch die zwei Treppen bis in mein Arbeitszimmer kann sie bald nur noch auf allen vieren bewältigen. „Ich bin so fertig!“, sind ihre häufigsten Worte. Nachmittags kümmere ich mich um Willi. Er findet es super, dass seine kleine Schwester jetzt so viel im Bett liegt, bereit zum Kuscheln. Nur, dass sie nicht mehr zu ihm ins Zimmer zum Murmeln kommen kann, findet er blöd.

Immer wieder spreche ich davon, dass wir an die frische Luft gehen sollten und dass Olivia nächste Woche hoffentlich ein paar Stunden zur Schule könne. Immer wieder antwortet sie, das sei alles viel zu anstrengend. Ich kann mir das nicht vorstellen. Ich bin ungeduldig.

Olivia erzählt von Albträumen, in denen ich sie zur Schule zwinge, wo sie sitzt und sich nicht bewegen kann. Der Kinderarzt nimmt Blut ab und sagt, ich müsse mir keine Sorgen machen, alles sei in Ordnung. Aber ich mache mir Sorgen, denn ganz offensichtlich ist nicht alles in Ordnung.

Es wäre mir lieber gewesen, man hätte etwas im Blut gefunden, das mir erklärte, warum mein Kind immer schwächer wird – so etwas wie Eisenmangel, wo es nur ein paar Tabletten braucht.

„Ich funktioniere einfach nicht mehr“, weint mein Kind

Im ersten Jahr der Pandemie, als es das Wort Long Covid noch nicht gab, hörte ich im Radio, dass sich in Schweden einige Kinder ohne Vorerkrankungen selbst nach leichten Infektionen nicht erholten. Ich fragte mich damals, ob es wohl eine Nachricht wert gewesen wäre, wenn das Problem nur kranke und behinderte Kinder betroffen hätte.Auch ich stelle im Verlauf von Olivias Erkrankung fest, dass ihre gesundheitlichen Probleme deutlich mehr Aufmerksamkeit bekommen, wenn ich berichte, dass wir sonst 70 Kilometer im Monat zusammen joggen, dass Olivia noch im Sommer mit ihren Pfadfinderinnen drei Wochen durch den Wald gewandert ist.

„Ich funktioniere einfach nicht mehr“, weint mein Kind nun häufig. Sie ist ratlos über das, was mit ihrem Körper passiert.

Meine Befürchtung, Olivia könne Long Covid haben, wächst täglich. Aber ich spreche das Wort nicht aus. Als wäre es ein schlechtes Omen. Nur mit dem Kinderarzt würde ich gerne darüber reden, doch er wimmelt uns ab. Nach zwei Monaten höre ich auf zu arbeiten und beginne stattdessen zu googeln. Ich finde Artikel, in denen Ärzte Long Covid bei Kindern entweder als überschätztes Problem bezeichnen oder mutmaßen, dass es das gar nicht gibt.

Eltern, die sich in Facebook-Gruppen über Long Covid austauschen, erzählen etwas ganz anderes. Viele der dort beschriebenen Kinder gingen seit über einem Jahr nicht zur Schule, würden im Rollstuhl geschoben und verbrächten die Tage allein im Bett. Ich lese von schweren Konzentrations- und Schlafstörungen, Licht- und Geräuschempfindlichkeit, Muskelschwäche und -zuckungen, Lähmungen, Schwindel und immer wieder von starken Schmerzen und extremer Erschöpfung. Die meisten sind nach der Infektion, einige nach der Impfung erkrankt. Selbst die leicht Betroffenen sind weit entfernt von einer normalen Kindheit. Über Rehas oder Aufenthalte in psychosomatischen Kliniken erfahre ich, dass die Kinder kränker nach Hause kommen, als sie hingefahren sind.

„Pacing“ ist das Gegenteil von Kindsein

Über die Selbsthilfegruppen erhalte ich so viele, oft widersprüchliche, Informationen, dass ich überhaupt nicht mehr weiterweiß. Doch in einem Punkt sind sich alle einig: Das Wichtigste für die Erkrankten ist „Pacing“. Als ich das Wort google, habe ich die Hoffnung, es sei eine handfeste, medizinische Therapie. Aber es bedeutet nur, niemals mit den Kräften an die Grenze der eigenen Belastbarkeit zu gehen, sondern immer darunter zu bleiben. Das Gegenteil vom Kindsein.

Aber mir leuchtet ein, warum Pacing sein muss. Wann immer Olivia sich nur etwas zu sehr anstrengt, verschlechtert sich ihr Zustand. Ein sogenannter Crash.

Wir wechseln zu Willis Kinderärztin. Auch wenn sie, außer Globuli in Betracht zu ziehen, nichts tun kann, nimmt sie die Sache ernst, rät ebenfalls zur Schonung und überweist uns zu einem Herzecho, um eine Herzmuskelentzündung auszuschließen.

Ich höre auf, Olivia spanische Personalpronomen abzufragen oder zu versuchen, sie an die frische Luft zu zerren. Viele Stunden Häkeln, Puzzeln, SkipBo und zwei Staffeln argentinische Teenie-Telenovela später – für die Olivia im Leben vorher nie Zeit gehabt hätte – haben wir endlich das Gefühl, dass es langsam bergauf geht.

Doch nur ein einziger sonniger Nachmittag, an dem zum ersten Mal Schulfreundinnen kommen und Olivia im Bollerwagen durch die Siedlung ziehen, macht alles kaputt. Am Abend sagt Olivia, es sei der schönste Tag ihres Lebens gewesen. Am nächsten Morgen kann sie keinen einzigen Schritt mehr ohne Hilfe gehen, geschweige denn stehen.

Olivias Kopfschmerzen werden immer schlimmer. Ihr Herz rast selbst dann, wenn sie liegt, und gerät ständig aus dem Takt. Das macht ihr Angst – doch bis zu dem mühsam ergatterten Termin bei der Kardiologin sind es noch Wochen.

Ich fühle mich oft traurig, bin ungeduldig mit Matthias, und es fällt mir immer schwerer zu essen. Nicht mal der Kaffee schmeckt mehr.

Die Internetrecherche macht mir Angst. Ich lese, dass viele Eltern stark betroffener Kinder nicht von Post Covid oder Post Vac – also Long-Covid-Symptomen nach Impfung –, sondern von ME/CFS sprechen, dem Chronischen Fatigue-Syndrom, einer Erkrankung, die schon lange bekannt, aber weitestgehend unerforscht ist. Viele Erkrankte verbringen ihr Leben im Bett in abgedunkelten Zimmern. Nach jeglicher Aktivität verschlechtert sich der Zustand. ME/CFS tritt meist nach Virusinfektionen auf. Es gilt als nicht heilbar. Schon vor Corona litten daran über 250.000 Menschen in Deutschland – unterversorgt, psychologisiert, ignoriert. Sie nennen sich „lebende Tote“. Ich muss das verdrängen.

Als Olivia Fieber bekommt, verbringe ich die Nacht bei ihr im Bett, ich mag sie nicht mehr alleine lassen. Es ist Mitte März, nach 8.000 gepuzzelten Teilen und über zehn Meter Stricklieselband gehen wir das erste Mal ins Krankenhaus. Keiner von uns kann sich zu dem Zeitpunkt vorstellen, wie viele Krankenhausaufenthalte folgen werden und wie viele Monate es dauern wird, bis Olivia wieder in ihr Kinderzimmer und ich in unser Ehebett zurückkehre.

Ich gehe davon aus, dass mein Kind Long Covid hat und man ihm im Krankenhaus helfen wird. Aber es geht nie um Therapie, sondern nur um Ausschlussdiagnostik. Untersucht wird alles Erdenkliche, und wird nichts gefunden, ist die Diagnose entweder eine psychische Erkrankung oder Long Covid. Dauern die Symptome mehr als drei Monate an, spricht man von Post Covid, bei weiter anhaltenden schwerwiegenden Symptomen vom Chronischen Fatigue-Syndrom.

Viele Mechanismen dieser Erkrankungen sind bis jetzt unerforscht. Doch in mehreren medizinischen Pub­li­ka­tio­nen lese ich, dass es sich bei Post Covid um eine Autoimmunerkrankung handeln könnte. Im Blut der meisten Patienten finden sich bestimmte Autoantikörper, die körpereigene Strukturen angreifen. Aber im Krankenhaus scheint sich damit niemand auszukennen. Kann es sein, dass ich mehr weiß als die Ärzt:innen?

Bei einer der vielen Blutabnahmen traue ich mich, vorsichtig um die Bestimmung dieser Autoantikörper zu bitten. Die Ärztin lacht verächtlich. Mit den Worten: „Brauchen Sie Hilfe von uns oder wir von Ihnen?“, werde ich auf meinen Platz verwiesen.

Das Schlimmste im Krankenhaus ist die Belastung für Olivia. Sie baut weiter ab. Neben den anstrengenden Untersuchungen, den weiten Wegen und Wartezeiten herrscht eine ständige Unruhe. Weinende Kinder, telefonierende Eltern, piepsende Geräte, selbst nachts ein ewiges Rein und Raus, Wecken um 7 Uhr – Pacing unmöglich.

Weil auf Olivia nicht gehört wird, muss ich mein Kind vor unnötigem Stress schützen. Man sagt ihr: „Du musst keine Angst haben. Es ist nicht schlimm.“ Doch wer kann beurteilen, was für einen anderen schlimm ist? Wir erleben, dass körperliche Re­ak­tio­nen wie Herzrasen oder Schwindel, die sich mit den durchgeführten Untersuchungen nicht erklären lassen, als Angst­störung abgetan werden. Oft verzweifelt Olivia, weil man ihr nicht glaubt. Mich hält man für eine He­li­kop­ter­mut­ter.

Vor Olivias Erkrankung hatte ich mal gelesen, es sei schwierig, bei Kindern „Long Lockdown“ von Long ­Covid zu differenzieren, denn Symptome wie Kopfschmerzen oder Erschöpfung träfen auf beide Gruppen zu. Das leuchtete mir damals ein. Aber dass mein völlig gesundes und munteres Kind so viele Monate nach dem Lockdown jetzt zufällig ab dem Tag der Infektion psychisch krank geworden sein soll, ergibt keinen Sinn.

Als eine Krankenhauspsychologin kommt, denke ich, sie will uns helfen. So hatte ich es erlebt, als unser Sohn Willi nach seiner Geburt lange sehr krank gewesen war. Die Psychologin fragt mich, wie es mir geht. Es tut mir gut, endlich mit jemandem über meine Angst und Erschöpfung sprechen zu können. Doch als ihre Mimik am Ende des Gesprächs von verständnis- zu vorwurfsvoll wechselt, ist es wie ein Schlag in mein Gesicht: „Als Mutter müssen Sie das schützende Dach der Familie sein“, sagt sie, als wisse sie plötzlich, wer „schuld“ an der Erkrankung meiner Tochter ist. Eine einfache Rechnung: behinderter Bruder + heulende Mutter = psychosomatisch krankes Kind.

Dabei sind mein Mann und ich sehr wohl ein gutes Dach für unsere Familie – auch wenn es mit Willi oft sehr anstrengend ist. Mein jetziger Zustand ist nicht Auslöser von Olivias ­Erkrankung, er ist die Folge. Mir wird klar, dass ich hier gegen viel mehr als nur dieses scheiß Long Covid zu kämpfen habe. Ich nehme mir vor, nie wieder vor einer Krankenhauspsychologin zu weinen.

Bis heute frage ich mich, was gewesen wäre, wenn Olivia wirklich keine körperliche, sondern eine psychische Erkrankung gehabt hätte. Denn auch bis wir einen Psychotherapeuten finden würden, sollte mehr als ein halbes Jahr vergehen. Er arbeitet mit Olivia heute an den traumatischen Erfahrungen ihrer Erkrankung.

Wir hatten Olivia im Rollstuhl ins Krankenhaus gebracht und schieben sie eine Woche später liegend wieder nach Hause, ohne jegliches Behandlungskonzept. Ich kann das nicht glauben. Vielleicht sind die Ärztinnen genauso ratlos wie wir. Ich weiß es nicht, denn niemand spricht mit uns.

Aber wozu musste Olivia durch diese unvorstellbar belastende Diagnostik gehen – sogar Nervenwasser aus der Wirbelsäule wurde entnommen –, wenn die Diagnose Post Covid schlussendlich überhaupt keine therapeutische Konsequenz hat?

15 Jahre nach der Geburt meines ersten Kindes ist nun auch mein zweites ein Pflegefall. Der Toilettenstuhl, das Pflegebett und eine Matratze für mich kommen ins Wohnzimmer. Den Rollstuhl stellen wir nach oben in Olivias Zimmer, sie kann nicht mehr sitzen, nicht mal mehr den Kopf heben. Ihr verlassenes Zimmer gleicht bald einer Abstellkammer. Ich vermeide es, die Tür zu öffnen. Es schmerzt zu sehr.

Quelle        :           TAZ-online             >>>>>             weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —      Ein Team von Ärzten, Krankenschwestern und Physiotherapeuten kümmert sich um kritische Patienten mit COVID-19 auf der Intensivstation des Vila Nova Cachoeirinha Krankenhauses nördlich von São Paulo

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Unten      —        Início da vacinação infantil com a Coronavac

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Unbrauchbare Spezialisten

Erstellt von DL-Redaktion am 13. November 2022

Pilot Pirx und der Fluch der Experten

Stanisław Lem 2005

Eine Kolumne von Thomas Fischer

Ein Hammer erkennt ausschließlich Nägel. Und wer die Welt als Ansammlung von Viren versteht, ist nicht zwingend der geeignetste Gesundheitsminister. Was eine Geschichte von Stanisław Lem über Spezialistentum lehrt.

Eine 1968 veröffentlichte Geschichte von Stanislaw Lem trägt den Titel »Ananke«, nachzulesen in »Pilot Pirx«, 2003, ab Seite 468. Ich will sie hier nicht rezensieren, muss aber kurz schildern, worum es geht: Pirx, Raketenkommandant, wird auf einer Marsbasis Zeuge der Landung des ersten von drei neuen Megatransportraketen. Das computergesteuerte Landungsmanöver verläuft bis in eine Höhe von 5000 Metern plangemäß. Doch plötzlich gibt die Steuerung sinnlos »Meteoritenalarm« und versucht automatisch, eine Rettungsaktion mittels »Alarmstart« auszuführen. Hierdurch gerät die Rakete in einen instabilen Zustand, der sich nicht mehr ausgleichen lässt. Sie stürzt aus fünf Kilometern ab; alle Besatzungsmitglieder kommen ums Leben.

Pirx wird als erfahrener Kommandant in eine Sonderkommission berufen, deren Aufgabe vor allem darin besteht, möglichst rasch die Ursache der Katastrophe zu finden, um eine Wiederholung zu verhindern. Die Kommission, besetzt mit Führungspersonal und Experten aus den zwei Marsbasen, erweist sich als Kopie entsprechender irdischer Gremien und befasst sich vorwiegend mit dem stillen Kampf um ein »Narrativ« der Verantwortung: Technikfehler, Steuerungsfehler, Landekontrollfehler, Zufall?

Die Lage verkompliziert sich noch, als die Zentrale auf Terra die Leitung übernimmt und in Videokonferenzen (mit jeweils acht Minuten entfernungsbedingter Sprachverzögerung) die Ursachen- und Verantwortungserforschung in ein endloses Theorieproblem aufzulösen beginnt, dessen Axiom jedenfalls ist, dass keinesfalls ein Fehler der neuesten, unübertrefflichen Steuerungscomputer vorgelegen haben kann.

Pirx, genervt wie häufig, sitzt zwischen den Stühlen und ahnt, dass das Rätsel woanders liegt. Biografische Erkundigungen, Assoziationen und Erinnerungen führen ihn auf die Spur: Das Anlernen der Rechner geschieht in einem aufwendigen Lern- und Simulationsprogramm, welches die Maschinen mit einem umfassenden Wissen über alle realen und hypothetischen Flugprobleme der Raumfahrtgeschichte ausstattet. Um letzte Sicherheit aus der »Analogie« zu gewinnen, wird jeder Rechner von einem besonders erfahrenen ehemaligen Kommandanten mittels individueller Aufgaben und Anforderungen getestet.

Als Pirx den Namen des für die abgestürzte Rakete zuständigen Experten erfährt, erinnert er sich daran, zufällig einmal gelesen zu haben, dass dieser wegen eines »anankastischen Syndroms« für fluguntauglich erklärt und in den Ruhestand versetzt wurde.

Ursache der Katastrophe war, dass dieser zwanghaft kontrollierende Instruktor, von der Behörde gerade wegen seiner Kleinlichkeit für besonders geeignet gehalten, den Computer zu einer selbstzerstörerischen, sich beschleunigenden Überlastung mit sinnlos angeforderten Massen von Kontrolldaten zwang, die zum tödlichen Panikbefehl »Alarmstart« führte. Pirx, in assoziativer Erkenntnis des Ablaufs, sendet dem alten Kollegen ein Telegramm mit dem dramatischen Poe-Zitat »Thou art the Man«. Der Empfänger erkennt sein Versagen, offenbart es der Raumfahrtbehörde und erschießt sich in derselben Nacht.

Experten

Aus der vorstehenden Einleitung mögen Sie erkennen, dass der Kolumnist sich erstens auf Urlaubsreise befindet und dabei zweitens einmal wieder alle »Pilot Pirx«-Geschichten von Lem liest. Ananke (römisch: »Necessitas«) ist, dies noch ergänzend, die griechisch-mythologische Schicksalsgöttin, symbolisierend den unausweichlichen, objektiven Zwang – sei er gut oder schlecht, günstig oder ungünstig. Die unwiderstehliche Gewalt blinder Notwendigkeit geht, umschlungen mit der Zeit (»Chronos«), dem Willen selbst der Götter vor.

Nun sollen hier nicht fachfremd Probleme der anankastischen Persönlichkeitsstörung bearbeitet werden, denn dazu fehlt dem Kolumnisten die Expertise. Interessant ist vielmehr ein anderer Aspekt des Textes: »Weil der Psychiater (der Werft) nichts von Computern verstand, hatte er angenommen, das sei genau das richtige Betätigungsfeld für so einen Kleinlichkeitskrämer.«

Das wirft die Frage auf, wie es sich mit dem Expertentum, der Erkenntnis und der Beurteilung von beidem im wirklichen Leben verhält, sagen wir: im Rechtsleben oder in der Politik. Viele Ältere werden sich daran erinnern, mit welch verachtendem Hohn einst Bundeskanzler Kohl verfolgt wurde, der sich unvorsichtig als »Generalist« bezeichnet hatte, derweil der Weltökonomie-Oberlehrer Schmidt ein 1945 bis 1949 absolviertes Expertenstudium in VWL und »Staatswissenschaft« vorweisen konnte. Dieserhalb galt Oberleutnant Schmidt, laut Personalakte »auf dem Boden der nat.soz. Weltanschauung« stehend, als deutsche Inkarnation ökonomischer Primärtugend.

Ja – die politischen Experten – sind sie die wahren Ungelernten? 

Generalisten haben es schwer, seit tatsächliche oder plausibel postulierte Universalgelehrte wie da Vinci, Humboldt, Marx oder Weber die Welt verlassen oder sich zu winzigen Quizfragen minimiert haben. Es triumphiert das Expertentum bis in die entlegensten Winkel der Lebensgestaltung. Es gibt, frei nach Habermas, hierzulande annähernd keinen Bereich des Lebens mehr, der dem Zugriff des Marktes und dem Expertentum der Verwertbarkeit entzogen ist.

Daran ist, banal betrachtet, zunächst einmal nichts Furchterregendes. Warum zum generalistisch »praktischen Arzt« gehen, wenn es sich mithilfe von siebzehn Facharztzentren vielleicht ein paar Jahre länger leben lässt?

Andererseits kennt der erfahrene Patient das Folgeproblem: Für die Kardiologen besteht die bekannte Welt aus Arterien, für Onkologen aus Frühtumoren, für Neurologen aus Hirnarealen. Alles sehr wichtig und gut, führt aber weder zur ewigen Jugend noch zum Glück des Aufgehobenseins. Hieraus zu schließen, die besten Ärzte seien Kinderbuchautoren oder hätten eine Ausbildung zum stellvertretenden Vorsitzenden einer Parteigliederung absolviert, wäre übertrieben, weist aber in eine interessante Richtung.

Quelle        :            Spiegel-online          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —      Stanisław Lem (1921–2006), Hier 2005 – polnischer Philosoph und SF-Schriftsteller

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2.) von Oben        —       Thomas Fischer auf der re:publica 2016
Ot – Eigenes Werk
Thomas Fischer (Jurist)
CC-BY-SA 4.0
File:Thomas Fischer-Jurist-rebuliva16.JPG
Erstellt: 4. Mai 2016

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Unten       —       Christian Lindner am Wahlabend der NRW Landtagswahl am 14. Mai 2017 in Düsseldorf

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Bad Banks+Bad Pharma

Erstellt von DL-Redaktion am 8. November 2022

Nach den «Bad-Banks» schaffen Pharmakonzerne «Bad-Pharma»

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von Bernd Hontschik / Red. Der Autor dieses Gastbeitrags ist Chirurg und Publizist in Frankfurt.

Medikamente und Impfstoffe sollen möglichst rasch auf den Markt. Wenn es schief geht, drücken sich die Konzerne um die Haftung.

US-Unternehmen, denen wegen Asbest und anderen Produkthaftungen das Zahlen von Schadenersatz droht, griffen in den letzten Jahren vermehrt zur sogenannten „Texas Two-Step“-Strategie: Sie trennen solch bedrohliche Verbindlichkeiten vom Konzernvermögen und lagern sie in eine getrennte Firma („Bad Pharma“) aus, um einen Schaden für die Muttergesellschaft abzuwenden.

Der „Texas Two-Step und die Produkthaftung“ war denn auch das diesjährige Hauptthema der Frühjahrstagung des American Bankruptcy Institute, in dem über 12’000 Konkursfachleute der USA organisiert sind, darunter Anwält-innen, Buchhalter:innen, Kreditgeber:innen, Richter:innen und Fachleute von Banken. Der Texas Two-Step wurde auf dieser Tagung an einem besonders gelungenen Beispiel diskutiert, nämlich anhand des Prozesses um ein Babypuder des Pharmariesen Johnson & Johnson, das durch Talk mit Asbest belastet war.

Vor einem Gericht in St. Louis konnten Betroffene schon 2015 nachweisen, dass der Pharmakonzern Johnson & Johnson einen preiswerten, aber asbestbelasteten Babypuder mit gezielter Werbung skrupellos auch für die Mütter der Babys angepriesen hatte. Viele Frauen erkrankten, besonders an Eierstockkrebs. Johnson & Johnson musste laut einem Gerichtsurteil zunächst vier Milliarden Dollar Entschädigungen zahlen. Weitere Milliardenverluste könnten folgen, denn mehr als 30’000 solcher Klagen rollen derzeit auf den Konzern zu.

Da griff der Konzern zur „Texas Two-Step“-Methode: Man zerlegte den riesigen Konzern zunächst in mehr als hundert Einzelgesellschaften (first step), die dann wieder vereinigt wurden, allerdings mit Ausnahme einer einzigen winzigen Neugründung namens LTL Management, die mit einem Startkapital von zwei Milliarden Dollar ausgestattet wurde (second step). Das Geschäftsfeld von LTL Management war ab sofort allein und nur der besagte Babypuder, mit dem der restliche Johnson & Johnson-Konzern nun nichts mehr zu tun hatte.

Wenn man weiss, dass der Börsenwert von Johnson & Johnson Ende 2021 mehr als 430 Milliarden Dollar betrug, fast hundert Milliarden Dollar mehr als ein Jahr zuvor, und wenn man bedenkt, dass der Konzern in den ersten drei Quartalen 2021 durch das gigantische Geschäft mit den Corona-Impfungen seinen Gewinn auf sechzehn Milliarden Dollar und seine Cash-Reserven auf 25 Milliarden Dollar erhöhen konnte, dann sind diese zwei Milliarden Dollar geradezu lächerlich. Und sie waren natürlich rasch aufgebraucht, denn LTL machte keine Umsätze, also auch keinen Gewinn. Mit dieser perfiden Art von Insolvenz ist Johnson & Johnson allen weiteren Entschädigungsforderungen entgangen. Das Ganze kommt einem Schuldeingeständnis gleich, auch wenn der Pharmakonzern dies abstreitet.

Die Opfer haben das Nachsehen.

Stellungnahme von Johnson & Johnson

Red. Die Schadensabwicklung durch die getrennte Firma sei «im besten Interesse der Kläger und aller Beteiligten [Red. Namentlich auch der Aktionäre von Johnson & Johnson], um einen Weg zu finden, den Talk-Prozess so schnell und effizient wie möglich zu beenden». Das schreibt die abgetrennte Firma LTL Management.

Bei den gewinnträchtigen Corona-Impfstoffen werden Johnson & Johnson und die anderen Impfhersteller wahrscheinlich nicht so kompliziert vorgehen müssen, um ihr finanzielles Risiko zu minimieren. Denn soweit Details aus den geheimen (!) Impfstoff-Kaufverträgen der EU und einzelner Staaten bekannt wurden, sind in diesen Verträgen die Hersteller von jeglicher Produkthaftung befreit.

Sollten also – wann auch immer – bislang unbekannte unerwünschte Wirkungen nach Corona-Impfungen auftreten, so tragen allein die Steuerzahler-innen sämtliche Kosten. Bis dahin haben sich die Pharmakonzerne längst vom Acker gemacht. Es läuft wie meistens: Gewinne werden privatisiert, noch dazu haftungsbefreit, Verluste werden sozialisiert und müssen von der Allgemeinheit getragen werden.

FREIE NUTZUNGSRECHTE

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Oben      —        Bernd Hontschik fotografiert von Barbara Klemm (2009)

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Blind für Genderfragen

Erstellt von DL-Redaktion am 7. November 2022

Frauenspezifische Medizin beschränkte sich mit dem „Bikini-Blick“ auf weibliche Geschlechtsmerkmale

Ein Debattenbeitrag von Thomas Gesterkamp

Die Medizin hat zwar ihren genderspezifischen Blick geschärft. Doch in der Forschung hat sich zu wenig getan. Jüngstes Beispiel: Fatigue nach Corona.

Ein Bericht der AOK hat die Fehlzeiten von gut 15,5 Millionen Mitgliedern im Zeitraum März bis Juli 2022 untersucht. Er differenziert die Krankmeldungen nach Berufsgruppen und kommt zu klaren Ergebnissen: Beschäftigte in der Kinderbetreuung waren mit 28.315 Erkrankten je 100.000 Versicherten am häufigsten betroffen, an zweiter Stelle folgen medizinische Fach­angestellte mit 25.849 Gemeldeten.

Besonders stark gestiegen sind die Atemwegserkrankungen. Rund vier von fünf Fehlzeitenanzeigen sind der Covid-19-Pandemie geschuldet. Der AOK-Report interpretiert die Erkenntnisse nicht, doch der geschlechtsspezifische Befund ist offensichtlich: Die ganz überwiegend weiblichen Mitarbeiterinnen in Erziehung und Pflege hatten während der Pandemie im Vergleich zu Beschäftigten in klassischen Männerberufen ein erheblich höheres Infektionsrisiko. Und auch bei den Spätfolgen zeigt sich ein klares Gefälle. Frauen leiden überdurchschnittlich an Long Covid (bis zu drei Monate nach der Infektion), Post-Covid (ab drei Monate nach der Infektion) und am Chronischen Fatigue-Syndrom (CFS). Von dieser Erschöpfungserkrankung sind in Deutschland nach Schätzungen bis zu 250.000 und weltweit rund 17 Millionen Menschen betroffen.

CFS ist eine grundlegende körperliche Schwäche, die sich auf die geistige und psychische Leistungsfähigkeit auswirkt. Typische Anzeichen sind Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, manchmal auch Depressionen, Angstzustände und Schlafstörungen. Die Mehrheit ihrer Patientinnen sei weiblich, bestätigt auch Carmen Scheibenbogen, die an der Berliner Charité schon vor der Coronakrise ein bundesweit wegweisendes Behandlungszentrum aufgebaut hat. Es handele sich um eine Immunerkrankung, für die Frauen nach einer Infektion anfälliger seien. Es gebe Anzeichen dafür, dass ihr körperliches Schutzsystem überaktiv reagiere, dass Autoantikörper eine Rolle spielten und das autonome Nervensystem gestört sei. Die diffuse Vielfalt der Symptome mache es jedoch schwierig, eindeutige Diagnosen zu stellen.

Die Wissenschaftlerin äußert sich bewusst vorsichtig. Denn es gibt nur wenig verlässliche Daten, die Forschung zum Thema steckt in den Kinderschuhen. Nicht hinreichend geklärt ist vor allem, ob sich die Ursachen des Müdigkeitssyndroms überhaupt auf rein medizinischer Basis erklären lassen. Die Zahlen aus dem AOK-Fehlzeitenbericht legen auch eine andere, soziologische Interpretation nahe: Vielleicht erkranken Frauen gar nicht oder nicht nur aus biologischen Gründen häufiger, sondern weil sie in Berufen mit vielen menschlichen Kontakten tätig sind und zudem während der Pandemie bei der Bewältigung der psychosozialen Folgen besonders belastet waren.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat das Erschöpfungssyndrom bereits 1969 als neurologische Krankheit anerkannt. Doch seither wurde in der Wissenschaft wenig Substanzielles zum Thema veröffentlicht – ein Beleg dafür, welch geringe Bedeutung die Kategorie Gender in der Medizinforschung lange Zeit hatte. Dabei gibt es gravierende Unterschiede zwischen den Geschlechtern, sie betreffen Diagnose, Behandlung und Nachsorge.

Bei der Prävention kannten die Krankenkassen über Jahrzehnte nur einen einzigen genderspezifischen Zugang: Das Abtasten der Brüste und die Untersuchung der Gebärmutter galten als besonders wichtig und förderungswürdig. Die von kritischen Wissenschaftlerinnen wie der US-amerikanischen Herzspezialistin Nanette Wenger ironisch „Bikini-Blick“ getaufte Konzentration auf weibliche Geschlechtsmerkmale fand ihre Begründung darin, dass diese als entscheidend für das biologische Fortbestehen der Gesellschaft angesehen wurden. In der medizinischen Praxis wie auch in der Ausbildung des Nachwuchses aber erklärte man wie gewohnt den männlichen Patienten zur Norm.

Im Umfeld der Kontroversen über den Abtreibungsparagrafen 218 entstand ab den 1970er Jahren in (West-)Deutschland eine Frauengesundheitsbewegung. Die dort aktiven Feministinnen prangerten an, dass die pharmazeutische Industrie neue Medikamente fast nur an Männern testete – was für Frauen lebensbedrohliche Folgen haben konnte. Die damals noch fast ausschließlich männliche Ärzteschaft missachtete spezifisch weibliche Symptomatiken. So unterscheiden sich beispielsweise die Anzeichen von Herz- und Kreislauferkrankungen nach Geschlecht: Männer spüren wie im klassischen Lehrbuch Engegefühle und plötzliches Stechen in der Brust; Frauen klagen eher über Kiefer- und Nackenschmerzen, Atemnot oder Übelkeit. Ein möglicher Infarkt wird daher bei ihnen oft zu spät erkannt.

Quelle         :          TAZ-online           >>>>>           weiterlesen

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Grafikquellen     :

Oben       —     Przystanek Woodstockim Jahr 2015.

Unten       —         Freude an der Freiheit in Cape Cod, Massachusetts, USA.

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Corona und Long Covid

Erstellt von DL-Redaktion am 23. Oktober 2022

Ja, es nervt – aber es ist nicht vorbei

Eine Kolumne von Christian Stöcker

Eine Kolumne von Christian Stöcker

Die Inzidenzen gehen steil nach oben: Covid-19 ist nicht erledigt – allgemein und konkret für viele, die schon einmal erkrankt waren, wie eine neue Studie zeigt. Sie enthält aber auch gute Nachrichten.

Eins vorab: Ich habe auch keine Lust mehr. Wirklich nicht. Ich will keine Maske mehr tragen müssen, will nicht ständig mit der Frage konfrontiert sein, ob jetzt und hier gerade ein erhöhtes Infektionsrisiko herrscht. Covid-19 nervt, auch wenn man keine schlimmen Symptome erleben musste, und zwar schon sehr lang. Und jetzt, wo wir als Gesellschaft uns vorübergehend eingeredet hatten, dass es doch eigentlich irgendwie vorbei sei, dass die neue Normalität jetzt wieder ohne Masken so sein könnte wie die alte, nervt es besonders.

Aber wir können uns die Realität eben nicht malen, und das gilt leider nicht nur für Trump, Putin und die Klimakrise, sondern auch für Sars-CoV-2. Dass es definitiv wieder losgeht, kann man an den Zahlen gut erkennen. In München beispielsweise wurde diese Woche eine Inzidenz von fast 1500 erfasst , ziemlich genau 450 mehr als in der Vorwoche.

Bundesweit liegt die Sieben-Tage-Inzidenz bei 700.

Diese Zahlen dürften das reale Infektionsgeschehen noch grob unterschätzen, weil längst nicht mehr alle, die einen positiven Schnelltest oder Symptome haben, auch einen PCR-Test machen – aber nur dessen positives Ergebnis geht in die Inzidenzmessung ein.

Das Münchner Gesundheitsreferat geht der »Süddeutschen Zeitung« zufolge davon aus, dass die Inzidenz in der bayerischen Hauptstadt in Wahrheit viermal so hoch ist.

»Schauen, wie das jetzt weitergeht«?

All das hat vermutlich mit dem Oktoberfest zu tun, gewissermaßen das perfekte Superspreader-Event: Viele Menschen auf engem Raum, die Alkohol in großen Mengen trinken, laut reden, lachen und singen – das Virus hätte sich so etwas vermutlich bauen lassen, wenn es dazu in der Lage wäre.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder kommentierte das Infektionsgeschehen mit einem sehr typischen Satz, der die demonstrative Ignoranz von Teilen der deutschen Politik perfekt widerspiegelt: »Wir müssen schauen, wie es da jetzt weitergeht.«

Nein, wir müssen nicht schauen. Wir wissen genau, wie das jetzt weitergeht, denn wir haben es ja jetzt mehr als zweieinhalb Jahre lang immer wieder beobachtet.

Die Infektionszahlen werden weiter steigen, bis zu einem Punkt, an dem es problematisch für das Gesundheitssystem wird. In München droht das jetzt schon, weil dort auch viel medizinisches Personal positiv oder erkrankt ist.

»Die Patienten stapeln sich auf den Fluren«

Der Betriebsrat einer Münchner Klinik schrieb einen Brief an den Oberbürgermeister der Stadt , in dem unter anderem steht: »Die Patienten stapeln sich auf den Fluren.« Die Zahl der von Coronapatientinnen und -patienten belegten Betten in der Stadt ist innerhalb einer Woche um ein Drittel gewachsen, von 478 auf 637.

Nun könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass einen das alles im Grunde nicht zu interessieren braucht, solange die Intensivstationen nicht wirklich überlaufen. Es leidet doch nur das medizinische Personal, einmal mehr. Mehr als 30 Millionen Deutsche haben eine Covid-Infektion bereits hinter sich, und viele haben sie zwar als unangenehm, aber so schlimm dann doch auch wieder nicht erlebt. Die Angst ist weg, ist doch alles nicht so schlimm.

Nicht einmal das stimmt

Aber nicht einmal das stimmt, so bitter das ist. Denn mittlerweile ist die Datenlage ziemlich überzeugend, die nahelegt: Corona ist nicht nur für die Menschheit als Ganzes eben nicht vorbei – die Krankheit setzt sich auch in einer gewaltigen Zahl von Betroffenen dauerhaft fest.

Ich gebe zu, dass ich »Long Covid« lange mit einer gewissen Skepsis betrachtet habe. Wenn man Psychologie studiert, lernt man viel über die Fähigkeit von Menschen, ihre eigenen Probleme und aktuellen körperlichen Beschwerden in ein Schema einzupassen, das gerade gängig ist. Es hat in den vergangenen 150 Jahren eine ganze Reihe von solchen Modediagnosen gegeben, und Long Covid könnte sich da durchaus einfügen.

Alles umgedeutete Depressionssymptome?

Es gibt sogar Ergebnisse, die dafür sprechen, das genau das bei einer Untergruppe der vermeintlich Betroffenen Patientinnen und Patienten tatsächlich der Fall ist: Zum Beispiel findet eine aktuelle, sehr groß angelegte Studie aus Schottland , die in »Nature Communications« publiziert wurde, eine Korrelation zwischen Long-Covid-Symptomen und Depressionen. Dass Depressive aber Probleme wie Antriebslosigkeit, Müdigkeit oder Konzentrationsprobleme beschreiben, ist nicht ungewöhnlich – dass sie diese Symptome nach einer Covid-Infektion auf Nachfrage als Spätfolge dieser Infektion interpretieren könnten, erscheint zumindest nicht abwegig.

Insgesamt können aber solche Umdeutungen nicht erklären, was bei dieser Studie mit insgesamt über 96.000 Befragten sonst so herauskam. Zumal sie, anders als viele andere Long-Covid-Studien, auch über eine Kontrollgruppe verfügt: Es wurden auch fast 70.000 Menschen mit negativen Coronatestergebnissen nach ihren Symptomen gefragt. Sie und auch die Befragten, die tatsächlich einen positiven Test oder eine Coronainfektion hinter sich hatten, wurden dann 6 bis 18 Monate später erneut befragt, zum Teil mehrfach.

Signifikante Unterschiede

Die Ergebnisse zeigen, dass sich zwar auch viele der Befragten, die nie an Covid-19 erkrankt gewesen waren, manchmal müde fühlten, über Kopf-, Gelenk-, Muskelschmerzen oder Atemnot klagten. Doch all diese und eine ganze Reihe weitere Symptome beschrieben diejenigen, die zuvor symptomatisch an Corona erkrankt waren, signifikant häufiger. Besonders ausgeprägt war der Unterschied beim Symptom Konzentrationsschwierigkeiten, und bei typischen Covid-Symptomen wie dem Verlust des Geschmacks- und Geruchssinns. Insgesamt berichteten die ehemals symptomatisch an Corona Erkrankten bei 24 von 26 abgefragten Symptomen signifikant häufiger, dass sie weiterhin an ihnen litten.

Quelle       :       Spiegel-online        >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben     —   Eine grafische Darstellung von Lock-down während Covid-19

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2.) von Oben    —     Christian Stöcker (2017)

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„Stummer Frühling 2.0“

Erstellt von DL-Redaktion am 7. Oktober 2022

60 Jahre nach Rachel Carsons Buch „The silent spring“

Sauerkirsche

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Axel Mayer

Vor 60 Jahren, im Spätherbst 1962, wurde in den USA das Buch von Rachel Carson „The silent spring / Der stumme Frühling“ veröffentlicht. Obwohl es weltweit noch keine starke Umweltbewegung gab und die damalige Naturschutzbewegung eher defensiv und konservativ war, wurde es 1962 das meistgelesene Buch in den USA. Die Wissenschaftsjournalistin Rachel Carson zeigte, welche Folgen der Einsatz des Insektenvernichtungsmittels DDT auf die Umwelt hat. Es war ein Weckruf für eine global erwachende Bewegung.

Drastisch und berührend schrieb sie: „Es war einmal eine Stadt im Herzen Amerikas, in der alle Geschöpfe in Harmonie mit ihrer Umwelt zu leben schienen. (…) Die Gegend war berühmt wegen ihrer an Zahl und Arten so reichen Vogelwelt.“
„Dann tauchte überall in der Gegend eine seltsame schleierhafte Seuche auf, und unter ihrem Pesthauch begann sich alles zu verwandeln. (…) Rätselhafte Krankheiten rafften die Kükenscharen dahin, Rinder und Schafe wurden siech und verendeten. Es herrschte eine ungewöhnliche Stille.“

1962 war in den USA, aber auch in Deutschland noch die Zeit der „guten, alten, offenen“ und vor allem sichtbaren Umweltzerstörung und Umweltvergiftung. Flüsse waren stinkende Kloaken, Kinder in der Umgebung von Verbrennungsanlagen litten an Pseudokrupp, in der Umgebung deutscher Bleichemiewerke starben die Kühe an Bleivergiftung. 1957 kam Contergan auf den Markt und die ersten AKW wurden gebaut. Es war die unkritisch-technikbesoffene Nachkriegszeit, in der, trotz des Konzernwissens um die Gefahren, noch hemmungslos Asbest verbaut wurde. Nicht nur mit dem Werbespruch „DDT is good for me-e-e“ wurde für das Insektenvernichtungsmittel DDT geworben.

Doch langsam zeigten sich die negativen Folgen des DDT-Einsatzes, denn auch nützliche Insekten starben massenweise. Das langlebige Gift lagerte sich im Fettgewebe von Tieren ab. Auch ging die Zahl der Vögel zurück. Die Schalen der Vogeleier waren zu dünn und zerbrachen beim Brüten. In Deutschland war ein Aussterben der Wanderfalken zu befürchten. Beim Menschen, am Ende der Nahrungskette, reicherte sich das langlebige Gift in Leber, Nervensystem und Fettgewebe an.

Rachel Carson wurde von der Argrochemielobby massiv und aggressiv angegriffen. Ein Lobbyist der landwirtschaftlichen Chemieindustrie, Robert White-Stevens sagte damals Sätze, die heutigen Umweltaktiven seltsam vertraut vorkommen: „Wenn die Menschen den Lehren von Miss Carson treu folgten, würden wir ins finstere Mittelalter zurückkehren. Krankheiten und Ungeziefer würden die Erde wieder übernehmen.“

Die Zeit war reif für Carsons Buch und für das Wachsen der Umweltbewegung. DDT wurde nach langen Kämpfen verboten und 10 Jahre nach dem Erscheinungstermin entstanden auch in Deutschland, gerade auch am Oberrhein, immer mehr Bürgerinitiativen und aus der konservativen Nur-Naturschutzbewegung wurde eine politischere Umwelt- und Naturschutzbewegung.

Der stumme Frühling 2.0

Während weltweit Medien und die Umweltbewegung an das Erscheinen des wichtigen Buches vor 60 Jahren erinnern, geht eine erschreckende aktuelle Nachricht durch die Medien: „Der jüngste Bericht zur Lage der Weltvögel (State of the World’s Birds 2022) zeichnet das bisher besorgniserregendste Bild für die Zukunft unserer Vogelarten und damit des gesamten Lebens auf Erden. Fast die Hälfte aller Vogelarten ist rückläufig. Jede achte Vogelart ist derzeit vom Aussterben bedroht.

Rachel Carsons Buch und die global wachsende Umweltbewegung waren und sind einerseits eine Erfolgsgeschichte. Luft- und Abwasserreinigungsanlagen wurden gebaut, Kraftwerke entschwefelt, Filter eingebaut, Autos bekamen Katalysatoren, DDT und Asbest wurden in den westlichen Staaten verboten und die kostengünstigen, zukunftsfähigen Energien begannen ihren langsamen Aufschwung. Die (Alb-)Träume der Atomlobbyisten sind nicht nur wegen Tschernobyl und Fukushima, sondern auch ökonomisch ausgeträumt, auch wenn manche PolitikerInnen das noch nicht begriffen haben. Die Produktionsprozesse wurden zumindest in vielen Ländern des Westens sauberer.

Das nur scheinbar unbegrenzte Wachstum brachte mehr Konsum, Handys, Plastik, Müll, Autos, PS, Straßen, SUVs, Rüstung, Flüge, Wohnraum, Agrargifte wie Neonicotinoide, Agrarfabriken, Urlaubsfabriken, Flächenverbrauch, Straßenbau, gigantische Bildschirme, Regenwaldvernichtung für Konsum, energiefressende Bitcoins und mehr soziale Ungleichheit … Die frühen Erfolge gegen die „gute, alte, offene“, sichtbare Umweltverschmutzung wurden und werden schlicht vom unbegrenzten exponentiellen Wuchern des Kleinen aufgefressen und dieses Wachstum bringt der Mehrzahl der Menschen nicht einmal mehr Glück und Zufriedenheit.

Und die alte Vision des stummen Frühlings wird erneut zur globalen Realität. Fünfmal gab es in den vergangenen 540 Millionen Jahren gewaltige Artensterben, zeigen Fossilienfunde. Forscher sehen eine aktuelle, menschengemachte sechste Welle in vollem Gange. Nach einem Bericht der Vereinten Nationen zur Artenvielfalt sterben bis zu 130 Tier- und Pflanzenarten täglich aus. Andere wissenschaftliche Quellen gehen von einem täglichen Aussterben von 150 Arten aus. Der Mensch im Anthropozän hat auf die Artenvielfalt eine ähnlich verheerende Wirkung wie der große Meteor-Einschlag vor 65 Millionen Jahren.

Datei:SST global Diff2 RCP8.5 Jahr.jpg

In kriegerischen Zeiten versuchen Konzerne, Lobbyisten und PolitikerInnen auch im Umwelt- und Naturschutzbereich das Rad der Geschichte zurückzudrehen und teilweise ist die unkritisch-zerstörerische Technikbesoffenheit der 60 Jahre des letzten Jahrhunderts zurück. Der gelenkte Hass, dem Rachel Carson ausgesetzt war, war nie verschwunden, wie (nicht nur) die perfiden Anzeigenkampagnen gegen Greta Thunberg zeigen. Durchsetzungsstrategien und Greenwash wurden optimiert. Aktuell wird das in der Fast-Nicht-Debatte um die Gefahren eines atomaren Endlagers in der Schweiz sehr deutlich.

Die Kämpfe gegen Klimakatastrophe, Artenausrottung, Atommüllproduktion, Überkonsum, Rohstoffverschwendung, gegen den verheerenden Traum vom unbegrenzten Wachstum und gegen den „stummen Frühling 2.0“ stehen trotz vieler Teilerfolge auch 60 Jahre nach Rachel Carsons wichtigem Buch erst am Anfang.

Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein (der Autor ist seit 50 Jahren in der Umweltbewegung aktiv und war 30 Jahre lang BUND-Geschäftsführer in Freiburg)

Urheberrecht
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Unten     —       Änderung der Meeresoberflächentemperatur 2070-2099 im Vergleich zu 1961-1990 nach dem Szenario RCP8.5 in °C

Lizenzhinweis

Visualisiert mit Panoply, Daten nach: CMIP5 simulations of the Max Planck Institute for Meteorology (MPI-M) based on the MPIESM-MR model: The rcp85 experiment, served by ESGF

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Mutig erkämpft :

Erstellt von DL-Redaktion am 20. September 2022

Bessere Pflege in NRW

Innerer Grüngürtel, Köln und auf der linken Seite Gebäude Universität zu Köln

Von Ulrike Baureithel

Während in der Urlaubssaison die Streiks des Bodenpersonals an den Flughäfen enorme mediale Resonanz erfuhren und rasch mit einem Tarifvertrag beendet wurden, fand der Ausstand der Pfleger*innen an den sechs nordrhein-westfälischen Unikliniken kaum mediale Beachtung. Dabei sind die Zustände in Normal- und Intensivstationen, Ambulanzen, Kreiß- und Operationssälen sowie Kinderstationen katastrophal, wie in dem während des Streiks entstandenen „Schwarzbuch Krankenhaus“ zu lesen ist.[1]

Langjährig in ihrem Beruf Tätige, aber auch Auszubildende und Hilfskräfte zeichnen dort ein Bild der Realität in deutschen Kliniken, das einen schaudern und verstehen lässt, warum viele Beschäftigte sagen, so möchten sie selbst nicht gepflegt werden. Da wird von Patient*innen erzählt, die stundenlang in ihren Exkrementen liegen oder alleine sterben, von unterversorgten Neugeborenen, Menschen, die auf eine Operation warten und aus Personalnot alleine gelassen werden. Die Rede ist von unterbesetzten Röntgenstationen, Ambulanzen, in denen es nicht nur zu verbaler Gewalt kommt, und Nachtschichten, die von einer einzigen Kraft gestemmt werden müssen. Und es geht um Mitarbeiter*innen, denen „oft zum Heulen zumute“ ist, wenn sie nach Hause kommen, die „gerne weglaufen“ würden und vor Erschöpfung fast umfallen.

Das „Schwarzbuch“ wurde während des längsten Streiks, den das Krankenhauspersonal in Nordrhein-Westfalen je initiiert hat, fortwährend ergänzt. 79 lange Tage haben die Streikenden in Aachen, Bonn, Düsseldorf, Essen, Köln und Münster ausgeharrt, nachdem die Leitungen der Universitätskliniken ein 100tägiges Ultimatum haben verstreichen lassen. Sie erstellten Notfallpläne und sind auf Zuruf in die Klinik zurückgeeilt, wenn es nötig war. Gemeinsam entwickelten sie Forderungen – ganz eng an ihrem Arbeitsbereich und unter Einbeziehung der Kolleg*innen. Und sie reagierten mutig und selbstbewusst, wenn ihnen vorgeworfen wurde, die Patientensicherheit zu vernachlässigen.

Gefährlicher Normalzustand

Denn gerade um die Patientensicherheit ging es in diesem Streik. Nicht der Ausstand gefährde die Gesundheit der Patient*innen, so die immer wiederkehrende Erklärung, sondern der permanent unzureichende Normalzustand: Gefährdung besteht, wenn regelmäßig der ohnehin knapp bemessene Personalschlüssel unterlaufen wird, wenn die Pflegekräfte von einem Bett zum anderen hetzen, Überstunden ableisten oder kranke Menschen in den Ambulanzen viele Stunden warten müssen, kurz: wenn einfach zu wenig Manpower da ist, um die von allen Seiten gewünschte „gute Pflege“ zu leisten.

Dann riskieren nicht nur die Beschäftigten ihre Gesundheit, sondern auch Patient*innen leiden darunter. „Man fühlt sich ohnmächtig“, erzählt Personalrätin Petra Bäumler-Schlackmann, vor ihrer Freistellung als Betriebsrätin Teamsekretärin am Essener Klinikum, „wenn man täglich Überlastungsanzeigen bekommt und den Beschäftigten akut nicht helfen kann, weil wir dem Problem immer nur hinterherrennen.“[2] Allein in Nordrhein-Westfalen fehlen nach Verdi-Angaben rund 20 000 Fachkräfte in den Krankenhäusern und 14 000 in der Altenpflege. Deshalb forderten die Beschäftigten auch nicht mehr Geld wie bei einem gewöhnlichen Streik, sondern einen Tarifvertrag „Entlastung“ nach dem Berliner Vorbild, wo ein solcher im vergangenen Jahr ebenfalls nach einem wochenlangen Streik an den großen Krankenhäusern durchgesetzt werden konnte.[3] Ziel des Streiks waren entsprechend verbindliche Personalschlüssel für alle Arbeitsbereiche sowie die Dokumentation der konkreten Arbeitssituation, um den Betroffenen einen Belastungsausgleich – möglichst in Form freier Tage – zukommen zu lassen. Verdi fordert außerdem gesetzliche Personalvorgaben, die für alle Krankenhäuser gelten.

Wie schon in der Hauptstadt schlossen sich auch in Nordrhein-Westfalen Tätige aus allen Bereichen zusammen: Pflegekräfte, Reinigungspersonal, Beschäftigte aus Ambulanzen und Laboren, Transport und sogar der Verwaltung. Nach sechs Wochen Streik wurde schließlich klar, dass die Arbeitgeber zwar den Pflegenden „am Bett“ entgegenkommen wollten, weil dies durch das Pflegestärkungsgesetz hätte refinanziert werden können, die Beschäftigten in den übrigen Bereichen – mehr als die Hälfte des betroffenen Personals – aber außen vor geblieben wären. Der Vorschlag, den die Unikliniken im Juni schließlich unterbreiteten, wurde von der Verhandlungsgruppe in Absprache mit den Delegierten deshalb als „Mogelpackung“ abgelehnt. Die Spaltungsabsicht der Arbeitgeber war zu offensichtlich. Diese reagierten, indem sie mit Verweis auf die Patientensicherheit und ausgefallene Operationen versuchten, den Streik auf dem Klageweg zu beenden – allerdings erfolglos.[4]

Verbesserungen sind notwendig

Erschwert und verzögert wurden die Gespräche, weil die Unikliniken nicht einzeln bzw. zusammen mit Verdi verhandeln durften. Sie waren bis dahin Teil des Arbeitgeberverbandes des Landes (AdL), der wiederum der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) angehört. Diese hatte es jedoch abgelehnt, über einen Tarifvertrag Entlastung zu verhandeln. So mussten die Kliniken aus dem AdL austreten, was eine Änderung des Hochschulgesetzes erforderte. Diese wiederum ließ jedoch auf sich warten, weil sich die neue nordrhein-westfälische Landesregierung noch nicht konstituiert hatte. Am Ende verließen die Kliniken die AdL, nicht unbedingt zur Freude von Verdi: „Unser Wunsch wäre es gewesen, dass wir im Verband bleiben und schauen, was passiert. Wir bedauern sehr, dass die Landesregierung dazu nicht bereit war“, erklärt der Essener Gewerkschaftssekretär Jan von Hagen.[5]

Hauptgebäude der Universität zu Köln-5634.jpg

Sie würden den Streik erst beenden, wenn sie im Alltag tatsächliche Verbesserungen spürten, war von den Beschäftigten vielfach zu hören. Es müsse sich grundlegend etwas ändern. Der schließlich ausgehandelte Kompromiss sieht vor, dass in allen patientennahen Bereichen – von den Stationen über die Ambulanzen bis zur Psychiatrie – und in jeder Schicht kontrolliert wird, ob ausreichend Personal arbeitet. Ist dies nicht der Fall, gibt es Belastungspunkte für die dort Tätigen, bei sieben Punkten steht ihnen fortan ein freier Tag zu, bis zu maximal elf Tagen im ersten, 14 im zweiten und 18 im dritten Jahr. Für eine Übergangszeit, bis die entsprechend dafür nötigen IT-Systeme eingerichtet sind, gibt es pauschal fünf Tage. Auch für andere Bereiche wie die Radiologie oder Betriebskindergärten wurden Belastungsvereinbarungen erzielt.

In den einzelnen Kliniken werden nun 30 neue Vollzeitkräfte eingestellt. Bitter sei es jedoch, so Verhandlungsführer Heinz Rech, dass Entsprechendes für den IT-Bereich und die Ambulanzen nicht erreicht wurde. Immerhin: Die Anbindung an den Branchentarifvertrag bleibt auch nach dem Austritt der Kliniken aus der AdL bestehen. Damit hätten die Beschäftigten, so Katharina Wesenick von Verdi, „den ersten Flächentarifvertrag für Entlastung“ durchgesetzt und „einen wichtigen Etappensieg“ erreicht.[6] Anfang August segneten die Mitarbeitenden der Unikliniken den Abschluss ab, mit knapp 74 Prozent. Das Ergebnis, so Verdi-Sekretär von Hagen, spiegele die Stimmung der Streikenden wider. Sie hätten gute Ergebnisse durchsetzen können, es gebe aber auch „Unmut über die Spaltung der Beschäftigten durch die Arbeitgeber, die nicht bereit waren, für alle Bereiche wirksame Entlastungsregelungen zu vereinbaren“.[7]

»Ich pflege wieder, wenn…«

Quelle        :      Blätter-online        >>>>>         weiterlesen

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Impfpflicht für Soldaten

Erstellt von DL-Redaktion am 19. September 2022

 Flexible Sachverhaltsgestaltung beim Bundesverwaltungsgericht

Bildergebnis für Wikimedia Commons Bilder Bundeswehr in Schulen Lupus in Saxonia / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Von Johannes Kreis

Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass die Öffentlichkeit weiterhin auf die Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts zur Impfpflicht für Soldaten wartet, Stand 18.09.2022. Das Urteil erging Anfang Juli, vgl.

Auf höchstrichterliche Rechtsprechung wartet man geduldig, denn der ordentliche Rechtsweg ist in Deutschland damit ausgeschöpft. Das gibt Zeit, sich mit einem Beschluß aus diesem Verfahren zu beschäftigen, und zwar dem Beschluß zur Ladung oder Ablehnung von sachverständigen Zeugen und der Beiziehung von behördlichen Unterlagen in diesem Verfahren,

Um es in einem Satz zusammenzufassen, es war von Anfang an klar, dass am Ende eine Impfpflicht für Soldaten herauskommen würde.  Der Trick dabei ist, dass man den zu betrachtenden Sachverhalt soweit eingrenzt und nur die geeigneten Sachverständigen einlädt, so dass am Ende nur das gewünschte Urteil herauskommen kann.

In dem Verfahren der Antragsteller, die sich nicht mit Experimental-Substanzen spritzen lassen wollten, spielte die Wissenschaft und der tatsächliche Stand der Wissenschaft ganz offensichtlich eine große Rolle, denn Richter betreiben kein molekularbiologisches Labor. Also benötigt man Sachverständige. Und wieder ganz offensichtlich hängt das Urteil entscheidend von der Auswahl der Sachverständigen ab.

Wer aber nun glaubt, das Bundesverwaltungsgericht hätte sich umfassend und ausführlich mit der Frage befasst, wie und in welchem Ausmaß das Leben und die Gesundheit der Antragsteller durch die inzwischen dreimalige Spritzung mit Experimentalsubstanzen gefährdet ist oder dadurch geschützt wird, der irrt. In dem besagten Verfahren hat nicht die Spur eines Anspruches bestanden, sich tatsächlich inhaltlich mit den Stand der Erkenntnis in der sogenannten Wissenschaft auseinanderzusetzen.

Man hat zwei sachverständige Zeugen, einmal vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und einmal vom Robert-Koch-Institut (RKI) gehört, d.h. von Organisationen, die der Exekutive unterstellt sind. Daneben hat das Gericht gemäß dem Beschluß nur zwei weitere Parteisachverständige für notwendig erachtet. Von dem Rest hielt man zwei in der Hinterhand, alle anderen lehnte das Gericht ab.

Wie immer in der Juristerei kommt es nicht auf die Entscheidung selbst an, sondern auf die Begründung, weil die wirkt nach, auch auf andere Verfahren. Die Begründungen der Ablehnung weiterer Sachverständiger und der Beiziehung weiterer Unterlagen haben es in sich. Dort liest man folgendes,

Zur Ablehnung des Zeugen Dr. R.

„Die Bewertung von Tatsachen – insbesondere die Abwägung von Nutzen und Risiken der von der Bundeswehr verwendeten Impfstoffe – kann nicht Gegenstand eines Zeugenbeweises sein. Ob die Impfung erforderlich und zumutbar ist, ist eine Rechtsfrage, die der Beweiserhebung nicht unterliegt.“

Ja, wozu gibt es denn überhaupt noch Zulassungsstudien, so geschönt wie diese auch sind?

Die „Abwägung von Nutzen und Risiken der von der Bundeswehr verwendeten Impfstoffe kann nicht Gegenstand eines Zeugenbeweises sein“. Das ist ein naturwissenschaftlicher Offenbarungseid. Dann kann man sich unabhängige Untersuchungen zur Statistik von Nutzen-Risiken-Verhältnissen sparen und wir machen einfach was immer die Hersteller wollen.

Einerseits informiert sich das Gericht nicht unabhängig zu dem ganz zentralen und entscheidenden Nutzen-Risiko Verhältnis der sogenannten Impfstoffe, andererseits behält man sich die Bewertung vor. Bewertung auf Basis von was? Es kann keine unabhängige Bewertung ohne unabhängige Evaluierung geben.

Das Urteil stand mit den Aussagen der Sachverständigen des PEI und RKI als Organisationen der Exekutive fest. Die Gewalt der Exekutive reicht so bis in die Urteile höchster deutscher Gerichte. PEI und RKI sind die Einzigen, die „wissenschaftliche Tatsachen“ behaupten können. Wer dort das Sagen hat, der kontrolliert, was deutsche Gerichte als „Tatsache“ erkennen.

Darüber hinaus erklärt man höchstrichterlich die Erfordernis und Zumutbarkeit von therapeutischen oder prophylaktischen Maßnahmen zu Rechtsfragen. Damit unterliegen sie zur Bewertung ausschließlich der Richterei. Der Einzelne ist dann ganz raus, denn das Gericht entscheidet, was zumutbar ist. Und zum anderen gilt, was immer ein Gericht zum Nutzen-Risiko-Verhältnis unterstellt. Mit geeignet „aufbereiteten Unterlagen“, siehe unten, kann die Exekutive jetzt alles erreichen. Soll durch Gerichtsbeschluß festgelegt werden, was der Stand der Wissenschaft ist? Es sieht danach aus. Aber das hat dann nichts mehr mit Wissenschaft zu tun.

Zur Ablehnung des Zeugen J.

„Die Anordnung einer Duldungspflicht nach § 17a Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 SG verlangt keine Rechtmäßigkeitskontrolle des Zulassungsverfahrens des verwendeten Impfstoffes, erst recht nicht eines Zulassungsverfahrens in den USA oder Kanada.“

Heißt konkret, auch unrechtmäßige Zulassungsverfahren sind rechtens, zumindest bei Impfstoffen, denn wo Impfung draufsteht, da ist Impfung drin. Diese Begründung der Ablehnung eines sachverständigen Zeugen läßt einen sprachlos zurück. Das ist Realitätsverweigerung des höchsten deutschen Verwaltungsgerichts.

Zur Ablehnung des Zeugen McL. Das geht in dieselbe Richtung.

„Da die Zulassungsverfahren für die verwendeten Impfstoffe nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits sind, sind auch diesbezügliche Tatsachenbehauptungen zu nicht-europäischen Zulassungsverfahren ohne Bedeutung für dieses Verfahren.“

Wie könnte ein Gericht über die Sicherheit einer neuartigen Impfsubstanz entscheiden, ohne sich die Sicherheitsdaten der Zulassungsverfahren anzuschauen? Mängel der Zulassungsverfahren werden kurzerhand als nicht verfahrensrelevant erklärt. Das sind die einzigen Sicherheitsüberprüfungen, die es gibt. Es gibt keine weiteren Sicherheitsstudien oder Feldversuche durch staatliche Organisationen bei Arzneimitteln. Es gibt nur die Zulassungsverfahren der Hersteller, die ihre Daten, besser, eine geeignete Auswahl daraus, vorlegen. Ganz konkret lehnt das Bundesverwaltungsgericht eine umfassende Information ab, um danach umso einfacher feststellen zu können, dass eine Impfpflicht zumutbar ist.

Zur Ablehnung der BioNTech-Gründer Prof. Dr. S. und Prof. Dr. T.  als Zeugen.

„Es ist nicht ersichtlich, was sich aus der wirtschaftlichen Entwicklung der Firma BioNTech, deren Erklärungen gegenüber der US-Börsenaufsicht sowie Zeitpunkt und Motivation der Aufnahme der Impfstoffproduktion für die im vorliegenden Rechtsstreit wesentlichen Fragen nach der Wirksamkeit und den Risiken der von der Bundeswehr verwendeten COVID-19 Impfstoffe ergeben könnte.“

Bekanntermaßen wurden die Produktionskapazitäten für die COVID-19 Impfsubstanzen schon vor der bedingten Zulassung hochgefahren. Für das Bundesverwaltungsgericht ist das kein Grund, sich die Zulassungsverfahren anzuschauen.

Eine globale Impfaktion gegen Covid-19 erscheint vor diesem Hintergrund nur möglich, wenn parallel zu Forschung und klinischen Tests bereits ein sehr starker Kapazitätsaus- und -aufbau erfolgt.“

Aufbau von Produktionskapazitäten parallel zu Forschung und klinischen Tests? Und nach Aufbau der Kapazitäten soll weiterhin objektiv die Möglichkeit bestanden haben, dass es möglicherweise keine Zulassung geben könnte? Das ist mehr als naiv.

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Der Umstand, dass die Erklärungen von BioNTech gegenüber der US-Börsenaufsicht Anlaß zu erheblichen Zweifeln an der Wirksamkeit und Sicherheit der BioNTech Impfsubstanzen geben, wird vom Bundesverwaltungsgericht absichtlich ignoriert. In den entsprechenden SEC Filings, also gegenüber kapitalkräftigen und streitfreudigen US-amerikanischen Wertpapieranlegern, geht BioNTech sogar so weit, dass die klinischen Studien gar keine Aussage zur Sicherheit der Substanzen zulassen.

p. 9

“We cannot provide assurance that newly discovered or developed safety issues will not arise. With the use of any vaccine by a wide patient population, serious adverse events may occur from time to time that did not arise in the clinical trials of the product or that initially appeared to be unrelated to the vaccine itself and only with the collection of subsequent information were found to be causally related to the product.”

p. 31

“As a result, we cannot be assured that adverse effects of our product candidates will not be uncovered when a significantly larger number of patients are exposed to the product candidate. Further, any clinical trials may not be sufficient to determine the effects and safety consequences of taking our product candidates over a multi-year period.”

p. 40

We have expanded our insurance coverage to include product liability claims arising from the use of our COVID-19 vaccine; however, the amount of coverage we have obtained may not be adequate, and we may be unable to maintain product liability insurance for our COVID-19 vaccine on commercially reasonable terms in the future. On occasion, large judgments have been awarded in class action lawsuits based on drugs or medical treatments that had unanticipated adverse effects.”

Wenn es um den Haftungsausschluß nach Kapitalmarktrecht und damit ums Geld geht, da ist man sehr präzise. Aber wenn es um die Gesundheit der Menschen geht, dann nimmt es nicht so genau und ignoriert alle Warnungen.

Zur Ablehnung des ehemalige Mitarbeiter von Pfizer Dr. Y als Zeugen.

„Gegenstand dieses Rechtsstreits ist die abstrakte Pflicht zur Duldung einer COVID-19-Impfung, nicht die Überprüfung einzelner konkreter Impfstoffchargen.“

Realisiert sich die „abstrakte“ Impfpflicht (was immer das sein mag) nicht in den konkreten Impfstoffchargen? Was ist abstrakt an der konkreten Spritze, bzw. deren Inhalt? Unabhängig von den inzwischen bekannten, schweren Schäden, die die Experimentalsubstanzen in einer großen Anzahl von Fällen hervorgerufen haben, ist der Soldat vollkommen ungeschützt gegen Schwankungen der Produktionsqualität. Der Wertpapieranleger dagegen wird über dieses Risiko informiert, siehe oben in dem genannten SEC Filing.

Zur Ablehnung des Zeugen Dr. M.

„Der Ursprung des SARS-CoV-2 Virus ist ohne Bedeutung für die Frage, ob zur Bekämpfung von COVID-19 eine Impfung mit den in Rede stehenden Impfstoffen erforderlich und zumutbar ist.“

Die Wissenschaft kennt den Ursprung von SARS-CoV2 nicht. Das ist objektiv der Sachstand. Es gibt also keinerlei Beweis dafür, dass es sich bei COVID-19 nicht um die saisonale Virenwelle handelt. Gerichtlicherseits blendet man das aus und erklärt es als nicht relevant. Der normale Krankenstand und die niedrige Krankenhausauslastung sprechen nicht für eine zusätzliche Belastung durch einen vollkommen neuen Erreger, siehe unten, Informationen zum Krankenstand und der Krankenhausauslastung in Deutschland in 2020 und 2021.

Zur Ablehnung des Zeugen G.

„Dass in der Vergangenheit Pharmakonzerne illegaler Machenschaften überführt wurden und eine Pandemiesituation in Planspielen und Konferenzen thematisiert wurde, ist weder streitig, noch von Bedeutung für die entscheidungserhebliche Frage, ob die in Rede stehenden Impfungen zu dulden, erforderlich und zumutbar ist.“

Illegale Machenschaften“ von Pharmakonzernen sind unstreitig. Ähnlich wird es sich bei den Milliardenprofiten aus den weltweiten Impf-Kampagnen verhalten. Auch die sind gut belegt und vermutlich unstreitig. Die seinerzeit bedingten Zulassungen der sogenannten Impfstoffe beruhten allein auf Herstellerstudien (so klein und unbrauchbar diese Studien sind), aber für das Bundesverwaltungsgericht spielt das genauso wenig eine Rolle, wie die Rechtmäßigkeit der Zulassungsverfahren, siehe oben

Zur Ablehnung der Heranziehung von dem Paul-Ehrlich-Institut vorliegenden Unterlagen.

„Dabei bildet das Vorliegen einer bedingten oder unbedingten Zulassung der für den Einsatz vorgesehenen Impfstoffe durch die Europäische Arzneimittelagentur nur einen von mehreren abwägungserheblichen Belangen. Dies verpflichtet das Bundesministerium der Verteidigung jedoch nicht zu einer umfangreichen Fehlersuche im vorgelagerten arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren.“

Weder Rechtmäßigkeit der Zulassungsverfahren noch deren Fehlerfreiheit müssen geprüft werden. Letztere muß zumindest nicht umfangreich geprüft werden. Es hört sich so an, als wäre es auch ganz ohne Zulassung gegangen. Was immer von der Europäischen Arzneimittel Agentur (EMA) behauptet wird, es wird schon passen. Da es bei der Zulassung so oder so nur um eine von mehreren Entscheidungsgrundlagen geht, muß man sich das nicht anschauen. Auch wenn die Zulassung weder rechtmäßig noch fehlerfrei gewesen ist, reichen die anderen Entscheidungsgrundlagen zur Begründung einer Impfpflicht aus. Hier hat man das spätere Urteil ganz offen vorweggenommen, denn wenn man nicht einmal auf Fehler prüfen muß, dann kann man auch gleich alles durchwinken.

Wo und wann hätte es denn jemals eine staatliche Verpflichtung zur „umfangreichen Fehlersuche“ in den Zulassungsverfahren gegeben? Wer in Deutschland hätten denn von staatlicher Seite die Herstellerstudien zur Zulassung überhaupt einmal analysiert? An die Daten zu den angeblich hochwirksamen und hochsicheren Impfsubstanzen sind nicht-staatliche Organisationen nur per Gerichtsbeschluß gekommen.

Es geht um einen staatlichen Zwang zur Impfung und damit einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, aber es besteht keine Verpflichtung  zur „umfangreichen Fehlersuche im vorgelagerten arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren“, so das Bundesverwaltungsgericht. Wer ist denn verantwortlich, wenn es, und danach sieht es aus, zu zahlreichen Fehlern gekommen ist? Der einzelne Soldat? Hier werden großzügig Freibriefe für diejenigen Verantwortlichen verteilt, die über Milliardenbudgets verfügen und die sich ganze Bataillone von Medizinern halten.

Zur Ablehnung der Beiziehung von Unterlagen der Ständigen Impfkommission zur Analyse und Bewertung des individuellen Nutzen-Risiko-Verhältnisses einer genbasierten COVID-19-Impfung für die Altersgruppe der 18- bis 65-Jährigen.

„Die pauschale Beiziehung dieser Unterlagen in einer nicht aufbereiteten Form erscheint nicht zweckmäßig für die Sachverhaltsaufklärung (§ 18 Abs. 2 Satz 1 WBO).“

Nicht aufbereitete Unterlagen“ sind nicht zweckmäßig. Rohdaten gehen also gar nicht. Was geht, das sind die intensiven Verflechtungen der Mitglieder der Ständigen Impfkommission mit der Pharmaindustrie. Aber Aufklärung darüber, was alles weggelassen wurde, was man wegdefiniert hat, was man als nicht relevant erklärt hat und was so keinen Eingang in die „aufbereiteten“ Unterlagen gefunden hat, darüber will das Bundesverwaltungsgericht nichts wissen.

Stattdessen lädt man je einen Vertreter der weisungsgebundenen Bundesbehörden PEI und RKI ein, die dann auftragsgemäß dem Gericht berichten, was die Exekutive gerne hören will.

Zur Ablehnung der Beiziehung von Unterlagen aus den Jahren 2020, 2021 sowie 01 bis 03/2022 zum Gesundheitszustand der Bundeswehrangehörigen.

„Eine pauschale Anforderung von Unterlagen ‚zum Gesundheitszustand der Bundeswehrangehörigen‘ über einen Zeitraum von zwei Jahren und drei Monaten ist für die gerichtliche Sachverhaltsermittlung weder notwendig noch förderlich.“

Die Frage, wie gefährdet die Angehörigen der Bundewehr in den 2 Jahren und 3 Monaten vor dem Verfahren tatsächlich gewesen sind, spielt also keine Rolle. Wie will man dann die Erfordernis einer Impfpflicht, siehe oben, bewerten? Schaut man sich den in dieser Zeit historisch niedrigen Krankenstand oder die deutlich unter normal liegende Krankenhausauslastung in Deutschland an (siehe unten, Informationen zum Krankenstand und der Krankenhausauslastung in Deutschland in 2020 und 2021), so wäre hier herausgekommen, dass die Angehörigen der Bundewehr in dieser Zeit nicht über das saisonale Maß hinaus gefährdet gewesen sind. Wen interessiert das, wenn es um eine Impfpflicht geht? Jeden vernünftigen Menschen. Denn für die zählt die Frage, ob es überhaupt einen Grund für einen staatlichen Zwang gibt.

In Summe hat das Bundesverwaltungsgericht den im Verfahren zu betrachtenden Sachverhalt soweit eingeschränkt, dass am Ende nur die verkündete Rechtmäßigkeit der Impfpflicht für Soldaten herauskommen konnte.  Wenn man jede Nutzen-Risiken Betrachtung entweder unterläßt oder sich allein auf die Hersteller verläßt, wenn man die Rechtmäßigkeit von Zulassungsverfahren oder deren Fehlerfreiheit als nicht relevant bezeichnet, wenn man sich keine Originaldaten anschaut, sondern nur geeignet „aufbereitete“ Unterlagen, wenn man sich nicht über den tatsächlichen Gesundheitszustand und die Gefährdung der Gesundheit der Betroffenen informiert, dann kann nur das herauskommen.

Man kann sicherlich argumentieren, dass ein Gerichtssaal kein Labor ist, und dass ein Gerichtsverfahren keine Wissenschaft ersetzen kann. Aber das Bundesverwaltungsgericht war ganz offensichtlich von Anfang an entschlossen, keinerlei Zweifel an der von der Exekutive verkündeten sogenannten Wissenschaft aufkommen zu lassen. Das reichte bis zu den Zulassungsverfahren der Hersteller, denen pauschal und ohne jede Überprüfung Wissenschaftlichkeit und Sorgfalt unterstellt wurde, ganz im Gegensatz zu eigenen Aussagen der Hersteller gegenüber der US-amerikanischen Börsenaufsicht. Geurteilt wurde vom Bundesverwaltungsgericht auf Basis von Marketing-Unterlagen, aber nicht aufgrund von wissenschaftlichen Untersuchungen.

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Der vorliegende Beschluß geht deutlich über Naivität und einfache Dummheit hinaus. Hier sind vorsätzlich wichtige Informationsquellen ignoriert worden. Es fehlt jeglicher Anspruch an eine unabhängige Gerichtsbarkeit, die unabdingbar eine unabhängige Bewertung des Sachverhaltes erfordert. Das geht ganz grundsätzlich nicht, wenn man den Sachverhalt so weit einschränkt, wie es das Bundesverwaltungsgericht getan hat.  Wenn man sich gerichtlicherseits den Regel von nur einer Partei unterordnet und allein die Sichtweise einer Partei übernimmt, dann kann man sich den Aufwand eines Verfahrens schenken.

Das Bundesverwaltungsgericht ordnet sich der Exekutive unter, vielleicht besser, es dient sich der Exekutive an und man empfiehlt sich so für weitere Aufgaben. Das Ausmaß dieser Andienung der deutschen Richterei an die Exekutive in der Rechtsprechung zu COVID-19, nicht nur beim Bundesverwaltungsgericht, kann man nur noch als Rechtsbeugung bezeichnen. Aber das ist ohne Bedeutung, denn es wird sich kein staatlicher Kläger finden.

Wenn hier jemand den deutschen Rechtsstaat „delegitimiert“, dann ist es die Richterei selber. In der COVID-19 Maßnahmen-Krise ist mindestens eine von drei nach geltendem Recht unabhängigen Säulen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der BRD komplett ausgefallen, bzw. genauer, mit der Exekutive verschmolzen.

Es ist wenig plausibel, dass sich dies Anfang 2020 mit Beginn der COVID-19 Maßnahmen-Krise vollzogen hat, und es stellt sich die Frage, wie weit das zurückreicht. Wer glaubt, dass diese Krise sich dem Ende nähert und dass jetzt viele Schweinereien der Bundesregierung, der ihr unterstellten Organisationen, der Pharmaindustrie und einiger Ärztefunktionäre schon herausgekommen sind, der übersieht wie tief die sogenannte Wissenschaft (oder was man dafür hält) unser tägliches Leben bestimmt und weiterhin bestimmen wird.

Das reicht bis zu den pseudowissenschaftlichen Gerichtsurteilen des Bundesverwaltungsgerichts. Pseudowissenschaftlich, weil man sich in der Betrachtung allein auf den kleinen Bereich beschränkt hat, wo man hoffte gut auszusehen. In der tatsächlichen Wissenschaft kann man sich, im Gegensatz zum Gerichtsurteil, nicht aussuchen, was am Ende herauskommt. Da kann auch rauskommen, dass Impfungen mehr schaden als nützen, und dass 40 Jahre alte Theorien doch falsch sind.

Mit freundlichen Grüßen,
Johannes Kreis

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Informationen zum Krankenstand und der Krankenhausauslastung in Deutschland in 2020 und 2021:

Der Krankenstand in Deutschland, wie ihn übereinstimmend alle Krankenkassen berichten, war in 2020 und 2021 niedriger als normal, in 2022 ist er historisch niedrig.

Krankenstand insgesamt gesunken – Insgesamt betrachtet, liefert der Gesundheitsreport jedoch keine Hinweise auf eine grundsätzliche Verschlechterung der Gesundheit von Erwerbspersonen durch die Coronapandemie. Mit einem Krankenstand von 4,14 Prozent lag das Jahr 2020 sogar unter den Werten der Vorjahre (2019 4,22 Prozent; 2018 4,25 Prozent).“

Covid-19-Diagnosen spielen eine untergeordnete Rolle – Die Krankschreibungen aufgrund der Diagnose Covid-19 spielen eine eher untergeordnete Rolle im Vergleich zu den anderen Erkrankungen. Nur 0,06 Fehltage gingen in Schleswig-Holstein im ersten Halbjahr 2021 auf das Konto von COVID-19-Diagnosen.“

„Der Krankenstand der bei der Techniker Krankenkasse (TK) versicherten Erwerbspersonen war 2021 mit 3,97 Prozent so niedrig wie seit acht Jahren nicht mehr. Das ist nochmal ein deutlicher Rückgang im Vergleich zum ersten Coronajahr 2020 mit einem Krankenstand von 4,13 Prozent. Vor acht Jahren (2013) befand sich der Krankenstand mit 4,02 Prozent das letzte Mal auf so niedrigem Niveau.“

„Die Techniker Krankenkasse (TK) verzeichnet in Bayern weiter rückläufige Daten zum Krankenstand. Dieser sank im Jahr 2021 auf 3,5 Prozent, 0,1 Punkte weniger als im Vorjahr. Die krankheitsbedingten Fehlzeiten je Erwerbstägigen reduzierten sich im gleichen Zeitraum um 0,4 auf nur noch 12,6 Tage. Das ist der niedrigste Stand seit 2013.

Bei den Fehlzeiten wegen Atemwegserkrankungen wie grippale Infekte gab es 2021 sogar einen Rückgang um rund ein Viertel (minus 24,7 Prozent).“

Die niedrige Zahl an Arbeitsunfähigkeitsschreibungen bei Atemwegserkrankungen bestätigt auch die BARMER Ersatzkasse. In der Graphik sieht man, dass sich die COVID-19 Diagnosen aus den sonstigen Atemwegsinfektionen speisen.

„Der Krankenstand ist in Sachsen im letzten Jahr erneut gesunken. Er betrug bei der Techniker Krankenkasse (TK) in Sachsen versicherten Erwerbspersonen 4,15 Prozent und liegt leicht unter dem Wert von 4,2 Prozent im Jahr 2020.“

Die Bettenauslastung in den Krankenhäusern war und ist historisch niedrig, auch schon in 2020, also vor jeder Impfung, vgl.

Die Mitglieder des Beirats betonten, dass die Pandemie zu keinem Zeitpunkt die stationäre Versorgung an ihre Grenzen gebracht hat.“

Wie das Statistische Landesamt weiter mitteilt, verringerte sich die Zahl der 2020 in den nordrhein-westfälischen Krankenhäusern behandelten Krankheiten des Atmungssystems ebenfalls gegenüber 2019 um 20,1 Prozent.“

Wenn vorne der Krankenstand historisch niedrig ist und die Krankenhausauslastung unter normal liegt, dann können hinten nicht die Intensivstationen überlastet sein. Das ist auch nie der Fall gewesen, im Gegenteil.

 

„Im gesamten Jahr 2020 wurden insgesamt 13,8% weniger Patienten im Krankenhaus behandelt als 2019. In den ersten 26 Kalenderwochen des Jahres 2021 blieb die Fallzahl 20,1% hinter dem Vergleichszeitraum 2019 zurück. Auch die Gesamtzahl der SARI-Fälle, Intensivfälle und Beatmungsfälle blieb im Untersuchungszeitraum unter den Zahlen aus 2019.“

Seit 2 Jahren kann man sich die niedrige Auslastung der 89 Helios-Kliniken in Deutschland anschauen.

[PDF auf der Mitte der Seite]

Wem diese Daten nicht klar waren, konnte auch den Chef der Helios-Kliniken, Francesco De Meo, fragen,

Der Chef der Krankenhauskette Helios schätzt die Lage in den Krankenhäusern aktuell als nicht dramatisch ein. Es habe schon immer volle Intensivstationen gegeben. Er ist dagegen, den Leuten „zusätzliche Angst zu machen“.“

„Patienten in Deutschland würden oft schnell auf die Intensivstation verlegt – man müsse erst noch sehen, ob das auch eine bessere Versorgung bedeute. In Spanien, wo Helios auch rund 40 Kliniken betreibe, gebe es in etwa so viele Corona-Infektionen wie in Deutschland, und auch die Gesamtzahl der Behandlungen im Krankenhaus sei ähnlich. Jedoch gebe es in Deutschland dreimal so viele Covid-Patienten auf der Intensivstation wie in Spanien. „Die Sterblichkeit ist dann in beiden Ländern aber wieder ungefähr gleich“, sagte er.

Inzwischen bestätigt auch der Deutsche Bundestag die niedrige Bettenauslastung,

„Soweit eine Verringerung der Planbettenzahl Voraussetzung für die Förderung von Maßnahmen zur Anpassung von Patientenzimmern an die besonderen Behandlungserfordernisse einer Pandemie ist, ist darauf hinzuweisen, dass  die Bettenauslastung seit Beginn der Corona-Pandemie spürbar zurückgegangen ist.“

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Grafikquellen          :

Oben     —  Autor Lupus in Saxonia / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

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2.Von Oben             —       Cartoon: Vielleicht sollten bei der Durchsetzung der allgemeinen Impfpflicht Tierärzte mit entsprechender Ausrüstung eingesetzt werden.

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Gefahren von AKW Anlagen

Erstellt von DL-Redaktion am 17. September 2022

«Auch ionisierende Niedrigstrahlung stellt ein Risiko dar»

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von        :        Martina Frei /   

Studien zeigen einen Verdacht – Experten bezweifeln ihn. Die WHO ist bei der Forschung zu radioaktiver Strahlung nicht frei.

Im Kernkraftwerk Leibstadt kam es im August 2010 zu einem Unfall. Bei der jährlichen Revision der Anlage arbeitete ein Taucher in den Wasserbecken des Kraftwerks. Am Boden des Beckens lag ein Metallrohr. Er hob es auf und legte es in einen Korb.

Als seine Kollegen den Korb hochzogen und dieser noch rund zwei Meter unter der Wasseroberfläche gewesen sei, ging der Strahlenalarm los. «Hätte man den Korb ganz aus dem Wasser gezogen, hätten alle im Raum eine tödliche ­Dosis erhalten», sagte der Taucher später gegenüber dem «Gesundheitstipp». Der Taucher wurde bei dem Unfall verstrahlt. Seine rechte Hand habe eine Strahlendosis erhalten, die ungefähr 150’000 Röntgenaufnahmen der Brust entsprochen habe, erklärte er.

Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) stufte das Vorkommnis als Störfall ein. In die Umgebung ist laut dem Leiter Information des Kernkraftwerks Leibstadt damals keine Radioaktivität gelangt: «Mit dem Ereignis von 2010 war keine zusätzliche Strahlenexposition der lokalen Bevölkerung verbunden. Die in der Umgebung gemessene Strahlung (zu über 99 Prozent natürliche Strahlung) blieb in der ganzen Zeitperiode unverändert und ist tiefer als an vielen anderen Orten der Schweiz.»

Umso mehr verwundert eine Studie des deutschen Mathematikers Hagen Scherb. Sie zeigt nach 2010 eine deutliche Veränderung des Geschlechterverhältnisses von Knaben- zu Mädchengeburten in der Gegend um das Atomkraftwerk Leibstadt. Als Grund vermutet Scherb ionisierende Strahlung.

Ab 2011 gab es mehr neugeborene Knaben

Im Allgemeinen werden 104 bis 106 Knaben pro 100 Mädchen geboren. Dieses Verhältnis ist weltweit recht stabil, und das war auch in der Umgebung von Leibstadt so. Von 2002 bis 2010 betrug das Geschlechterverhältnis von neugeborenen Knaben zu Mädchen in fünf Schweizer Gemeinden im Umkreis von fünf Kilometern um Leibstadt fast 1:1.

Doch das änderte sich nach 2010, wie Scherbs Studie zeigte. «Von 2011 bis 2019 stieg das Geschlechterverhältnis auf über 140 Knaben pro 100 Mädchen. Das ist eine sehr beunruhigende, biologische Veränderung, die genau untersucht werden muss», findet Claudio Knüsli. Knüsli ist Vorstandsmitglied der Schweizer «ÄrztInnen für soziale Verantwortung und zur Verhütung eines Atomkrieges» (PSR/IPPNW) und war bis zu seiner Rente als Internist und Krebsspezialist tätig.

Er hält die plötzliche Veränderung für «brisant». Vermutlich komme es bei weiblichen Föten infolge ionisierender Strahlung eher zu Frühaborten. Ähnliche, aber schwächere Veränderungen beim Verhältnis von neugeborenen Knaben und Mädchen seien beispielsweise nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki in Japan sowie nach dem Unfall im Atomkraftwerk Tschernobyl auch in Russland und Europa beobachtet worden, nicht aber in den USA. «Seit dem Reaktorunfall in Tschernobyl 1986 ‹fehlen› der Schweiz etwa 3’200 neugeborene Mädchen», sagt Knüsli.

«Für den behaupteten Zusammenhang fehlt jegliche Grundlage»

Wie ein Zwischenfall mit einem Taucher mit dem Geschlechterverhältnis bei den Neugeborenen zusammenhängen soll, kann Knüsli nicht erklären. Man wisse nicht genau, was im Rahmen der monatelangen Revision im Sommer und Herbst 2010 in dem AKW Leibstadt passiert sei, sagt er. Es sei bekannt, dass im Rahmen von Revisionen häufig etwas mehr Radioaktivität freigesetzt würde als im durchschnittlichen Jahresverlauf. Offiziell wurde der Störfall als seltenes INES-2-Ereignis eingestuft.

Knüsli verweist auf ein Gutachten, in dem die Hypothese aufgestellt wird, dass sich durch Neutronenstrahlung kurzzeitig radioaktives Argon in der Luft bilden kann, das bei leichtem Wind etwa 40 Kilometer weit verbreitet werden kann. Einer der Autoren dieses Gutachtens ist wiederum Studienautor Hagen Scherb.

Das ENSI weist Vermutungen, dass 2010 mehr passiert sein könnte als «nur» ein Strahlenunfall mit einem Taucher, zurück. «Abgesehen von der Pflicht, so ein Vorkommnis ans ENSI zu melden, messen die Kernkraftwerkbetreiber die Fortluftemissionen kontinuierlich. Alle zehn Minuten werden die Abgaben radioaktiver Stoffe in der Fortluft zusammen mit anderen Anlageparametern auf einen Server des ENSI übermittelt. Dazu kommt, dass das ENSI das sogenannte MADUK-Netz zur Messung der Dosisleistungen um die schweizerischen Kernkraftwerke und das Paul-Scherrer-Institut betreibt. Die Möglichkeit, dass ein Kernkraftwerk eine Abgabe von Radioaktivität in die Umgebung nicht an das ENSI meldet, erachten wir also als ziemlich unwahrscheinlich», sagt der ENSI-Pressesprecher Thomas Thöni. Er hält diese Studie zum veränderten Geschlechterverhältnis in der Umgebung von Leibstadt deshalb für «irreführend».

Ähnlich antwortete der Leiter Information des AKW Leibstadt: Es fehle «jegliche Grundlage für den behaupteten Zusammenhang.» Der damals betroffene Arbeiter antwortet auf Anfrage nicht.

Natürliche Hintergrundstrahlung nicht berücksichtigt

Mehrere von Infosperber angefragte Fachleute (darunter auch solche, die der Atomkraft skeptisch gegenüberstehen) gehen ebenfalls davon aus, dass es heutzutage bemerkt würde, wenn bei einer Revision an einem Atomkraftwerk Radioaktivität austreten würde. Einer bezweifelt, dass es einen Zusammenhang zwischen schwacher radioaktiver Strahlung und dem Geschlechterverhältnis bei den Geburten gebe, möchte sich aber nicht namentlich äussern und verweist an die deutsche «Strahlenschutzkommission» – die jedoch gemäss ihrer Satzung nicht «auf Anfragen Dritter» eingehen kann, wie sie schreibt.

Martin Röösli, Professor für Umweltepidemiologie an der Universität Basel, kritisiert die Studie. Sie sei in einer fachfremden Zeitschrift veröffentlicht worden, damit sei fraglich, ob die Gutachter sie überhaupt fundiert beurteilen konnten. Ausserdem, wendet er ein, seien in der Studie nicht alle Gemeinden im Umkreis von fünf Kilometern ums AKW untersucht worden. Und die natürliche Hintergrundstrahlung, die deutlich mehr ausmache als die ionisierende Strahlung, die vom AKW Leibstadt ausgehe, sei ebenfalls nicht berücksichtigt worden. Das Resultat, so Röösli, sei vermutlich eher zufällig entstanden. Tatsächlich kommt es in Studien immer wieder vor, dass sich scheinbare Zusammenhänge zeigen, die allein dem Zufall geschuldet sind.

Als Nicht-Beamter die Resultate öffentlich gemacht

Studienautor Hagen Scherb sieht das anders. Er habe alle Schweizer Gemeinden berücksichtigt, da Ortsteile statistisch miterfasst wurden. Der Effekt sei auch auf der (in der Studie nicht berücksichtigten) deutschen Seite erkennbar, aber nicht so stark ausgeprägt wie in der Schweiz. Und für epidemiologische Fragen zu medizinischen Merkmalen sei das «Journal of Womens Health Care and Management» «durchaus einschlägig». Scherb arbeitete bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2018 am Helmholtz Zentrum in München. Jahrzehntelang war der promovierte Mathematiker dort für die statistische Beratung und Auswertung bei tierexperimentellen und umweltepidemiologischen Studien zuständig.

Zehn Jahre nach dem Unfall im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl musste sich Scherb berufsbedingt erstmals mit dem Thema Radioaktivität auseinandersetzen, als zwei andere Münchner Wissenschaftler von einer «signifikanten Zunahme» der Säuglingssterblichkeit in Deutschland nach dem Tschernobyl-Unglück berichteten. Diese Übersterblichkeit bei den Säuglingen veränderte sich parallel zur Konzentration an radioaktivem Cäsium in der Milch und lag in der Grössenordnung der natürlichen Hintergrundstrahlung. Seither beschäftigt sich Scherb mit den möglichen Folgen ionisierender Niedrigstrahlung. Da er – im Gegensatz zu vielen ehemaligen Kollegen – nicht verbeamtet gewesen sei, habe er seine Resultate veröffentlichen können, sagt Scherb.

Diverse Studien zum Geschlechterverhältnis

Etliche Studien hätten bereits Hinweise dafür geliefert, dass es einen Zusammenhang zwischen schwacher radioaktiver Strahlung und dem Geschlechterverhältnis bei Geburten gebe. Davon stammen mehrere von Scherb und seinen Kolleginnen und Kollegen.

  • Nach der Inbetriebnahme eines Forschungsreaktors im deutschen Mainz im Jahr 1992 sank im Jahr darauf im Umkreis von weniger als zehn Kilometern die Zahl der Knabengeburten um etwa vier Prozent, diejenige der Mädchengeburten um circa sechs Prozent. Der Rückgang bei den Mädchengeburten war mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht nur dem Zufall geschuldet, ergab die statistische Berechnung.
  • In Europa gab es nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl im Jahr 1986 eine Trendumkehr zugunsten von Knabengeburten: Aufs Mal stieg das Verhältnis von Knaben- zu Mädchengeburten in verschiedenen Ländern, darunter Deutschland, während es in den Jahren vorher gesunken war. Am stärksten war dieser sprunghafte Anstieg in der damaligen Sowjetunion. In den USA dagegen fand Scherb keine solche Veränderung nach 1986. Selbst die sehr kleine Dosis von 1,02 Millisievert pro Jahr könne das Geschlechterverhältnis beeinflussen, schätzten Scherb und seine Koautorin.
  • Im Umkreis von 35 Kilometern um französische Nuklearanlagen fand Scherbs Team, dass sich das Geschlechterverhältnis bei Neugeborenen ebenfalls zugunsten der Knaben verschob. Demnach «fehlten» in diesen Gegenden statistisch schätzungsweise zwischen 1’499 und 9’982 Mädchengeburten. Insgesamt sind laut Wikipedia in Frankreich seit 1956 mehr als 70 Nuklearanlagen in Betrieb gegangen, an 18 Standorten sind aktuell Reaktoren in Betrieb oder in Revision. Scherbs Team wertete die Bevölkerungsdaten in der Umgebung von 28 Standorten (darunter auch Forschungsreaktoren, Beschleuniger und militärische Anlagen) aus. An einem Standort war eine Atommülldeponie, in der ab Anfang 1992 radioaktive Abfälle gelagert wurden. Doch erst ab dem Jahr 2000 fand Scherbs Team dort eine Veränderung des Geschlechterverhältnisses. Die Wissenschaftler warfen die Frage auf, ob womöglich Ende der 1990er-Jahre dort neutronen-emittierende Stoffe gelagert wurden.
  • Männliche Angestellte der Nuklearanlage im englischen Sellafield hatten mehr männliche Nachkommen als Männer aus derselben Gegend, die nicht dort arbeiteten. Dies galt besonders, wenn die Väter in den 90 Tagen vor der Zeugung des Kindes über zehn Millisievert Strahlung abbekommen hatten. Dass die Sellafield-Arbeiter mehr Söhne bekamen, könnte zum Teil daran gelegen haben, dass sie im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung etwas jünger waren, heisst es in der Studie. Andere Studien, beispielsweise mit Ärzten, die bei der Arbeit Röntgenstrahlung ausgesetzt waren, zeigten teils keine Veränderungen im Geschlechterverhältnis der Nachkommen, teils fanden sie welche oder es gab sogar mehr Mädchen- als Knabengeburten.
  • In Italien kam es etwa um 1970 und 1987 zu mehr Knabengeburten. Hagen Scherb und ein Kollege vermuten als Grund dafür den radioaktiven Fallout nach Atombombenversuchen in den 1960er-Jahren und später den Unfall im Atomkraftwerk Tschernobyl im Jahr 1986.
  • In Dänemark «fehlten» laut Berechnungen Scherbs in den Jahren nach dem Unglück in Tschernobyl circa 500 Knaben- und 1’800 Mädchengeburten. Dies könnte allerdings auch mit anderen Faktoren zusammengehangen haben, beispielsweise mit der Furcht, in dieser Zeit ein Kind zu zeugen, schreibt Scherb selbstkritisch und rät, den Befund vorsichtig zu werten.
  • In Kuba kam es ab 1987 zu einem fast 15 Jahre dauernden Rückgang an Mädchengeburten. Scherb und seine Koautoren vermuten, dass dies mit radioaktiv belasteter Milch und anderen Lebensmitteln zusammenhing, die Kuba in grossen Mengen aus der früheren Sowjetunion importierte. Andere Vermutungen (Folgen der US-Sanktionen und wirtschaftlicher Niedergang oder geschlechtsspezifische Abtreibungen) halten sie für weniger wahrscheinlich.
  • Im japanischen Fukushima und angrenzenden, stärker verstrahlten Präfekturen, verzeichneten die Wissenschaftler1 nach dem Tsunami ab Januar 2012 eine Zunahme der Frühsterblichkeit von Kindern um relativ sieben Prozent, verglichen mit der Zeit davor (absolut gab es einen Anstieg auf circa 0,0141 Prozent). Andere Statistiker berichteten von einer fast elf Prozent höheren Sterblichkeit von Babys in den ersten Lebenswoche. Es kam dort aber bisher nicht zu einer erkennbaren Veränderung beim Geschlechterverhältnis bei den Geburten.

Für Scherb sind diese Indizien ein Zeichen, dass schwache ionisierende Strahlung gesundheitliche Folgen hat und oft die Geburtenrate von Mädchen- und Knaben zu ungunsten der Mädchen beeinflusse.

Schwerer Vorwurf: Zusammenhänge konstruiert

Andere Wissenschaftler dagegen halten einen «Effekt von ionisierender Strahlung auf der Geschlechterverhältnis für nicht hinreichend belegt». Sie verweisen darauf, dass die Effekte, die Scherb findet, mal näher und mal weiter von der Strahlenquelle am stärksten ausgeprägt sind. Oder dass nicht bekannt ist, wie gross die Strahlendosen überhaupt waren. Oder dass Scherb andere Faktoren, die das Geschlechterverhältnis bei den Babys beeinflussen könnten, unbeachtet liess. Dazu zählen unter anderem hormonelle Faktoren, Armut oder in manchen Ländern auch geschlechtsspezifische Abtreibungen.

Zu den bekanntesten Kritikern von Scherb gehört der deutsche Statistiker und Buchautor Walter Krämer. Er warf Scherb und seiner Mitautorin vor, wichtige Punkte, etwa den Einfluss von Röntgenuntersuchungen und medizinischen Bestrahlungen, ausser Acht gelassen zu haben. Der wohl schwerwiegendste Vorwurf: Scherb habe Zusammenhänge konstruiert.

Krämer erhob Scherbs Analyse zu den «verlorenen Mädchen von Gorleben», dem deutschen nuklearen Zwischenlager, im Juni 2012 gar zur unrühmlichen «Unstatistik des Monats».

«Insgesamt macht es für mich einfach keinen Sinn», sagt der Umweltepidemiologe Martin Röösli. «Falls ionisierende Strahlen wirklich das Geschlechterverhältnis bei Neugeborenen beeinflussen würden, dann müsste man zum Beispiel deutliche Variationen bei Geburten in Bergdörfern oder bei Flugbegleiterinnen sehen, weil Personen in der Höhe mehr ionisierenden Strahlen ausgesetzt sind.»

Die Untersuchung des Landesgesundheitsamts bestätigte den Befund

Scherb kontert, dass Geburten in Bergdörfern eben nie untersucht worden seien. Das Niedersächsische Landesgesundheitsamt habe aber die Befunde zum veränderten Geschlechterverhältnis in der Nähe des nuklearen Zwischenlagers im deutschen Gorleben bestätigt. Das legte er auch in einer Replik auf Krämers «Unstatistik» dar.

Tatsächlich heisst es im besagten Untersuchungsbericht des Niedersächsichen Landesgesundheitsamts: Seit 1996 – also dem Jahr nach der Inbetriebnahme des Atommülllagers – liege «mit hoher statistischer Sicherheit ein verändertes sekundäres Geschlechterverhältnis um das Transportbehälterlager Gorleben vor, jedoch ist eine Diskussion um mögliche Ursachen rein spekulativ.»

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Zudem verweist Scherb darauf, dass nach dem Unfall in Tschernobyl mancherorts mehr Kinder mit Trisomie 21 geboren wurden. «Europaweit sind das schätzungsweise einige Zehntausend zusätzliche Menschen mit Trisomie 21», sagt er. In Berlin beispielsweise kam es neun Monate nach dem Unglück in der Ukraine damals zu zwölf anstelle der sonst durchschnittlichen zwei Geburten von Kindern mit Trisomie 21 – allerdings gibt es auch Studien aus anderen Gegenden, in denen es zu keiner Häufung von Trisomie kam. Auch hier muss der Einfluss verschiedener Faktoren berücksichtigt werden.

Säuglingssterblichkeit in der Schweiz stieg plötzlich an

Es sei unmöglich, solche Effekte im Einzelfall zweifelsfrei auf die ionisierende Strahlung oder den Fallout zurückzuführen, sagt Claudio Knüsli. «Aber es gibt inzwischen genügend Hinweise, dass auch eine ionisierende Niedrigstrahlung ein erhöhtes gesundheitliches Risiko darstellt.» Unerklärt geblieben sei zum Beispiel auch, weshalb die Säuglingssterblichkeit in der Schweiz nach 1986, also nach dem Unfall in Tschernobyl, sprunghaft um 16 Prozent angestiegen sei.

Knüsli hegt keinen Zweifel an Hagen Scherbs Befunden. Dennoch wünschte er sich, dass auch andere Forschende das Thema genauer untersuchen würden, «damit es nicht immer so aussieht, als ob nur ein einziges Forschungsteam etwas findet.»

Ab einer Strahlendosis von 100 Millisievert (mSV), bezogen auf das ganze Leben, wird allgemein von einer hohen Dosis ionisierender Strahlung gesprochen. «Die offizielle Version ist, dass unterhalb dieser Dosis keine Strahlenschäden nachgewiesen werden können. Doch diese Grenze ist willkürlich gewählt», sagt Claudio Knüsli.

Forschungsprojekte bei der WHO nur mit dem OK der Atomenergie Agentur

Die Vereinigung «ÄrztInnen für soziale Verantwortung und zur Verhütung eines Atomkrieges» (PSR/IPPNW) betont, dass es bei der ionisierenden Strahlung keine sichere Grenze gebe, unterhalb der keine Schäden zu befürchten seien. Zuletzt tat sie das vergangene Woche in einem Artikel in der «Schweizerischen Ärztezeitung», den der frühere Politiker und Arzt Franco Cavalli mitverfasst hat. «Wir setzen uns seit vier Jahren dafür ein, dass die willkürlich festgelegte Grenze von 100 mSv fallen gelassen wird. Aber es gibt offenbar eine grosse Lobby dagegen», sagt Knüsli.

Angesichts der widersprüchlichen Aussagen hätte mehr Forschung helfen können, um die offenen Fragen zu klären. Doch nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl sei diese erst «unkoordiniert» und Jahre später «noch immer inadäquat» gewesen, beschrieb ein Editorialist die Forschung zu den gesundheitlichen Folgen des Reaktorunfalls später im «British Medical Journal». Im Jahr 1990 habe Japan der WHO 20 Millionen Dollar gegeben, damit diese die gesundheitlichen Folgen des Unfalls von Tschernobyl untersuche. «Aber die Ausgaben wurden von einem Beamten kontrolliert, ein grosser Teil der Gelder wurde unangemessen ausgegeben, und es entstand wenig Wertvolles.» Die offensichtliche Führungsrolle bei dieser Forschung käme der Weltgesundheitsorganisation WHO zu, hielt der Editorialist fest.

Doch der WHO seien die Hände gebunden, wenn es um die Erforschung von Strahlenschäden gehe, sagt Knüsli. «Durch einen Vertrag von 1959 ist die Forschung der WHO zu Strahlenkrankheiten massiv behindert, weil sie nur im Einverständnis und unter Kontrolle der Internationalen Atomenergie Agentur IAEA erfolgen darf.»

Kleine Strahlendosen und Krebs bei Kindern

Verschiedene Studien haben gezeigt, dass auch kleine Strahlendosen mit mehr Krankheitsfällen einhergehen können. Eine Schweizer Studie beispielsweise ergab, dass Kinder, die in einer Umgebung mit ionisierender Strahlung von mindestens 200 Nanosievert pro Stunde (= 0,0002 Millisievert/Stunde) leben, statistisch häufiger an Krebs erkranken, als Kinder, die an Orten mit einer Belastung von weniger als 100 Nanosievert pro Stunde leben. 

In der Umgebung von Schweizer Atomkraftwerken fanden die Wissenschaftler jedoch kaum Hinweise, dass Kinder dort vermehrt an Krebs erkranken – sie konnten dies aber auch nicht sicher ausschliessen, da die Aussagekraft der Studie aufgrund geringer Fallzahlen begrenzt war. Knüsli und Scherb hatten im Vorfeld auf dieses, aus ihrer Sicht vorhersehbare Problem hingewiesen. In Deutschland kam eine Studie im Auftrag des deutschen Bundesamts für Strahlenschutz zum Schluss, dass das Risiko für 0- bis 4-jährige Kinder an Leukämie zu erkranken zunehme, je näher sie an einem Kernkraftwerkstandort wohnen. 

«Es zeigte sich im Nahbereich um deutsche Kernkraftwerke bei Kindern unter 5 Jahren ein signifikant erhöhtes Risiko an Krebs zu erkranken. Dieser Befund beruhte im Wesentlichen auf dem Erkrankungsrisiko für Leukämien, wobei hier das Erkrankungsrisiko in etwa verdoppelt war. In Zahlen bedeutet dies, dass im 5-Kilometer-Umkreis um alle Standorte von Kernkraftwerken in Deutschland im Mittel nicht, wie zu erwarten wäre, etwa 1 Kind pro Jahr erkrankt, sondern dass die Krankheit jedes Jahr bei etwa 2 Kindern diagnostiziert wird», schreibt das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz auf seiner Website. 

Aus den Ergebnissen liessen sich jedoch keine Rückschlüsse ziehen, ob die von den Kernkraftwerken ausgehende Radioaktivität der Grund dafür sei. «Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand ist die resultierende Strahlenbelastung der Bevölkerung allein zu niedrig, um den beobachteten Anstieg des Krebsrisikos zu erklären. […] Es gibt somit derzeit keine plausible Erklärung für den festgestellten Effekt, der über die 24 Jahre Untersuchungszeitraum ein insgesamt konsistentes Bild mit kleinen Schwankungen zeigt», schreibt das Bundesamt für Strahlenschutz

Auch die Schweizer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, welche die Studie zu Atomkraftwerken und Krebs bei Kindern durchführten, wiesen darauf hin, dass Kernkraftwerke im Durchschnitt sehr wenig zur jährlichen Strahlenbelastung der in der Nähe wohnenden Bevölkerung beitragen würden. Die Hauptquellen der ionisierenden Strahlung seien natürliche Strahlenquellen (beispielsweise radon-haltige Luft) und medizinische Untersuchungen.

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1 Einer von Scherbs Ko-Autoren bei dieser Studie war der japanische Kinderarzt Keiji Hayashi. Hayashi gab 2009 den Anstoss, dass unabhängige Wissenschaftler die Wirksamkeit des Grippemittels Tamiflu analysierten. Das Resultat: Die zuvor proklamierte Wirkung von Tamiflu hielt der Überprüfung nicht stand.

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Grafikquellen        :

Oben      —   Luftaufnahme: Kühltürme des Kraftwerks Goldenberg, Hürth-Knapsack; links Betonkühlturm (in den 1980ern zum Parkhaus umfunktioniert), dahinter noch 4 (einer davon verdeckt) der alten Kühltürme I–VI, unten Zuckerhutbunker