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Archiv für die 'Bundestag' Kategorie

Ein Sommermärchen

Erstellt von DL-Redaktion am 27. Juli 2023

Alles arbeitet ja in dieser Gesellschaft gegen die Familien.

Ein Schlagloch von Mathias Greffrath

Konservative gibt es in allen Parteien. Das Problem ist: Es gibt keine konservative Partei. Wie so eine handeln müsste, zeigt folgender Dialog.

Guten Tag. Ich möchte in die CDU eintreten.“ Der überarbeitete Kreisvorsitzende von Paderborn schaute auf. An der Tür stand eine sehr junge Frau. „Warum denn in unsere Partei?“, fragte er etwas geistesabwesend. „Weil ich glaube, dass das Land einen wirklichen Konservatismus braucht. Einen modernen.“ Der Kreisvorsitzende legte die Post beiseite und blickte auf. „Und was bitte ist für Sie „konservativ“? Die junge Frau trat näher: „Na ja, Herkunft, Heimat, Nation, Staat, Familie, kurz: das europäische Erbe mit seinem christlichen Wertefundament, woran unser Abgeordneter Carsten Linnemann grade erinnert hat.“

Klingt ein wenig nach Abiaufsatz, dachte der Kreisvorsitzende, aber ihre Stimme hat etwas Energisches. „Und was wäre denn dieses Erbe für Sie?“

Sie nickte kurz zu der Fahne in der Ecke des Büros. „Na, Nation zum Beispiel. Dass wir vernetzt sind als Produktionsgemeinschaft, und deshalb füreinander einstehen. Deshalb hat Bismarck ja wohl die Sozialversicherung erfunden. Und der Bildungsbürger Walther Rathenau wollte deshalb Umverteilung, und Abschaffung des Erbrechts, weil alle berechtigt sind am nationalen Wohlstand. Konservative können keine eigentumslose Unterschicht dulden. Stattdessen treten sie dafür ein, anspruchsvolle Arbeit umzuverteilen, damit die arbeitende Mitte breiter wird. Zum Beispiel mit der 25-Stunden-Woche. Dann könnte es auch wieder so etwas wie ein Familienleben geben.“

Die junge Frau hat Talent, fand der Kreisvorsitzende, aber ob sie durchhalten kann? „Und“, fragte er, „glauben Sie, dass wir mit Umverteilung und weniger Arbeit unseren materiellen Wohlstand halten können?“

Gleich kam die schnelle Rückhand: „In der christlichen Tradition kommt das Wort materieller Wohlstand eigentlich nicht vor, wohl aber der Auftrag, die Erde zu hüten und zu bewahren. Darüber müssen wir heute wohl nicht reden, draußen sind 37 Grad. Und zweitens geht es im Christentum um den Wert und die Würde jedes Einzelnen. Das hat uns Freiheit gebracht, aber der radikale Individualismus eben auch ein Wirtschaftssystem, dessen Dynamik zu heiß geworden ist und haltende Institutionen wie die Familie geschwächt hat …

Der Kreisvorsitzende unterbrach sie: „Darf ich Sie darauf hinweisen, wir sind hier in einem Büro einer Oppositionspartei und nicht in einem historischen Seminar …“

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Selbst der dümmste Wirt braucht keine Fäuste, sondern eine Hand um ein Glas halten zu können.

„Eben“, sie blickte ihn freundlich an, „eben deshalb bin ich ja hier, weil die Aufgabe einer konservativen Opposition nicht so einfach ist, angesichts der Freidemokratisierung der SPD und der Kaperung konservativer Wörter durch die Antidemokraten. Da kriegt man nur Tritt, wenn man radikal konservativ ist.“

„Und was wäre radikal konservativ?“

Sie blickte kurz auf die Fotos an der Wand. „Also nehmen wir mal die Familie, da bin ich nämlich manchmal auch etwas ratlos. Alles arbeitet ja in dieser Gesellschaft gegen die Familie. Und das schmerzt, weil wir alle Bullerbü noch im Kopf haben. Heute sollen Mutter und Vater voll arbeiten, und das bis 72. Da bleibt nicht viel Zeit für die Kinder. Umso mehr brauchen wir eine Schule, die das leistet, was Eltern nicht mehr leisten können, selbst mit der 25-Stunden-Woche. Nicht nur die sprichwörtlichen Neuköllner Kinder sind ja sprachlich und kognitiv unterernährt, von ganz normalen bürgerlichen Tugenden will ich gar nicht reden.“

„Da haben Sie einen Punkt“, versuchte der Kreisvorsitzende in die Offensive zu kommen. „Deshalb ist ja unser neuer Generalsekretär gerade nicht nur für Schnellgerichte gegen Schwimmbad-Rowdys aufgestanden, sondern auch für ein allgemeines Dienstpflichtjahr …“

„Aber das alles ist doch viel zu klein gedacht“, fiel sie ihm ins Wort. „Dieser Harte-Hand-Populismus ist natürlich verständlich: der Mann muss sich ja bekannt machen, aber jeder weiß doch, dass das Rhetorik ist. Und die Dienstpflicht klingt mir viel zu sehr nach Lückenfüllerei für Staatsversagen. Auf jeden Fall nicht nach Zukunft. Und dann dieser kindliche Kampf gegen Wokeness und die ARD in der CDU, das können Sie Springer überlassen. Glauben Sie ernsthaft, damit kann man die AfD überbieten? Die Grünen zum Hauptfeind zu erklären, bringt auch nichts, wenn die Wirtschaft auf Klimaschutz setzt. Dieser Kleinkram verdeckt doch nur, dass auch die CDU sich nicht an die wirklich großen Aufgaben traut.“

„Welche großen Aufgaben meinen Sie denn?“, seufzte der Kreisvorsitzende, „inzwischen ist doch jeder für Klimaschutz und mehr Bildung.“

Quelle           :       TAZ-online           >>>>>          weiterlesen

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Oben     —       Beim Campingplatz Eucaliptus in E 43870 Amposta

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DER ROTE FADEN

Erstellt von DL-Redaktion am 18. Juli 2023

Entgleisungen der Woche:  –  Rhetorische Peniskanonen

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Durch die Woche mit Ariane Lemme

Diskursiv wurde scharf geschossen. Manche wurden sogar handgreiflich diese Woche. Zeit für einen Streik.

Erst wollte ich heute eigentlich streiken. Aus Solidarität mit den Drehbuchautoren in Hollywood. Ich fühle mit ihnen, nicht nur weil sie – wie ich, wie wir alle hier – verdammt noch mal viel mehr Kohle verdient haben, als sie bekommen. Die Dreh­buch­au­to­rin­nen aber natürlich ganz besonders, sie sind die letzten, die uns auf diesem abgefuckten, von Mansplainern, Klimaleugnern und anderen Penis­kanonen geebneten highway to hell ein wenig Ablenkung und Erheiterung verschaffen.

Also schreibe ich Ihnen heute doch was, auch wenn ich mich frage, ob Arbeit in dieser dem Untergang geweihten Welt überhaupt noch sinnvoll ist. Vielleicht nicht mit so vielen Cliffhangern wie bei den Genossen aus Hollywood, dafür aber auch keine mehrteiligen Epen. Ich hatte, anders als die schreibende Hollywood-Hautevolee, bayerische Grundschullehrer, die meine ausufernden Aufsätze grässlich fanden. Seitdem fasse ich mich kurz.

Die Serie, die ich diese Woche ge­binget habe, war sowieso keine Hollywoodproduktion, sondern eine aus dem Hause Realitydrama: die Klebeaktionen der Letzten Generation und die me­dia­le Schmonzette darüber – Stichwort: Urlaubsbeginn versaut! Verstehen Sie mich nicht falsch, ich gönne uns allen Urlaub. Ich gönne den Kindern der jetzt Empörten aber auch eine Zukunft auf diesem Planeten außerhalb kühler Erdlöcher.

Schuld an der Verrohung

Schwer zu guckender Höhepunkt des Dramoletts: der völlig enthemmte Lastwagenfahrer, der zwei Ak­ti­vis­t:in­nen erst brutal von der Straße zerrt und dann einfach losfährt, obwohl sie wieder auf der Straße sitzen. Ob er das sehen konnte oder nicht, ob man das versuchten Mord oder fahrlässige Körperverletzung nennen soll, kann ich nicht beurteilen, ich bin kein Jurist. Immerhin musste er seinen Führerschein abgeben. Hoffentlich für immer.

Was ich weiß: An einer derartigen Verrohung hat nicht nur die böse Springer-Presse Schuld, sondern auch die Bundesregierung, die ihre sich selbst gesteckten Klimaziele nicht nur von innen heraus torpediert, sondern es auch nicht schafft, diesen friedlichen Protest mit seinen zum Weinen geringen Forderungen (Tempolimit, 9-Euro-Ticket, ein Gesellschaftsrat) einzuhegen. Die dumme Rede davon, dass man alle mitnehmen müsse, könnte sie sich sparen, wenn sie einfach ihre eigenen Vorhaben umsetzen würde, statt zuzulassen, dass die, die sie daran erinnern, kriminalisiert werden; oder entmenschlicht wie vom FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Müller-Rosentritt, der im Bezug auf die Letzte Generation von „totalitärem Abschaum“ twitterte.

Kamen nicht Politiker der FDP aus der untersten Gosse, welche das Glück hatten, beim letzten Regenschauer nicht weggespült zu werden ?

Die Empörten könnte die Politik abholen, indem sie ihre Vorhaben kraft ihrer rhetorisch geschulten ­Superpower als sinnvoll, ja notwendig erklärte und außerdem Geld in sozialen Ausgleich pumpte. Herrgott, bei Corona ging es doch auch.

Alle mal abkühlen

Doch statt die erhitzten Gemüter zu kühlen, was ihr Job wäre, feuert die Politik – zumindest die in Berlin (schon klar, andere Koalition, sogar ohne FDP) – einen neuen Knaller ab: Schließung einiger Freibäder nach Gewaltvorfällen. So nimmt man garantiert niemanden mit. Klar, eine kleine Gruppe Nervensägen darf den friedlichen Rest nicht in Mitleidenschaft ziehen. (Wenn Sie hier Vergleiche zur Letzten Generation ziehen, denken Sie bitte noch mal nach.) Aber das bisschen Abkühlung steht allen zu.

Quelle          :            TAZ-online            >>>>>          weiterlesen

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Oben        —     Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

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Die Plenaren Hoheitlichen

Erstellt von DL-Redaktion am 15. Juli 2023

Eine Ständig lückenhafte Vertretung

Die Berliner Show-Bühne von politischer Arroganz und persönlichen Eitelkeiten.

Von    :       Clemens Dörrenberg

Mehr als 20 Millionen Menschen haben einen Hauptschulabschluss. Nur 20 von ihnen sitzen im Parlament.

Tina Winklmann ist eine seltene Erscheinung im Deutschen Bundestag. Die Oberpfälzerin sitzt für die Grünen in Deutschlands höchstem Parlament in Berlin. Sie tritt zu ihren Reden über Sport- und Arbeitsmarktpolitik im Plenum meist in Turnschuhen ans Pult und spricht mit einem unverkennbar baye­rischen Akzent. Und sie hat es dorthin als eine von wenigen Abgeordneten mit Hauptschulabschluss geschafft.

„Politik steht jedem und jeder offen, egal mit welchem Abschluss“, sagt Winklmann. Häufig würde den Grünen unterstellt, eine „Akademiker-Partei“ zu sein, berichtet sie. Das weist die Politikerin jedoch zurück. Trotzdem haben die meisten der 736 Bundestagsabgeordneten studiert. Extrem unterrepräsentiert sind dagegen Abgeordnete mit Hauptschulabschluss, die – wie Winklmann – nach der Schule eine Ausbildung absolviert und sich danach beruflich weiterqualifiziert haben.

Fast ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland hatte nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2022 den Haupt- oder Volksschulabschluss. Das sind mehr als 20 Millionen Menschen, rund ein Drittel der Wahlberechtigten. Jedoch sitzen laut Datenhandbuch des Bundestags in dieser Legislaturperiode insgesamt nur 20 Volksvertreterinnen und -vertreter mit Hauptschulabschluss im Parlament. Tina Winklmann ist eine von fünf, mit denen die taz gesprochen hat.

Die 43-Jährige hat nach der Hauptschule Verfahrensmechanikerin für Kunststoff- und Kautschuktechnik gelernt und sei in einem „Arbeiterhaushalt“ in der „immer noch sehr CSU-lastigen“ Oberpfalz aufgewachsen, wie sie es formuliert. Zwischen zwei Sitzungen im Bundestag hat sie das telefonische Interview mit der taz gelegt und für das Telefonat kurz den Plenarsaal verlassen. „Politik ist unser Leben, und mein Weg in die Politik war klar“, sagt Winklmann über ihre Familie und ihren politischen Werdegang. „Mit 15 habe ich die Ausbildung begonnen und bin gleich Gewerkschafterin geworden.“ Mitglied der Grünen wurde sie wenig später. Weil Sport- und Arbeitsmarktpolitik als vorrangig bundespolitische Themen zu ihren Schwerpunkten zählen, sei ihre „Heimat immer im Bundestag“ gewesen, sagt sie.

Für viele dürfte ein solcher Weg jedoch weniger selbstverständlich sein. Von einer „Repräsentationslücke“ spricht daher die Hamburger Soziologin Christiane Bender. „Da fehlen Stimmen im Bundestag, die von Menschen geäußert werden können, die vorwiegend von den Verwerfungen des sozialen Wandels betroffen sind“, sagt Bender. Durch „Werbung, Werbung, Werbung“ will die Grünen-Parlamentarierin Winklmann mehr Menschen mit mittlerem Bildungsabschluss die Möglichkeit zu politischer Teilhabe sowie den Weg in die Parlamente aufzeigen. „Viele Menschen trauen sich schlichtweg nicht den Weg zu gehen“, so Winklmann. Sie besuche öfter Berufs- und Mittelschulen, wie die Hauptschulen in Bayern heißen, motiviere dort für politisches Engagement und ernte „positive Reaktionen“.

Politisches Engagement aus allen Schichten scheint dringend notwendig zu sein. Denn für die Soziologin Bender hat die Repräsentationslücke auch Auswirkungen auf die Demokratie und den sozialen Frieden. „Wer über keinen oder einen niedrigen Bildungsabschluss verfügt, den treffen die Risiken in der Arbeitswelt hart“, sagt sie. Weitere soziale Probleme, wie die am Wohnungsmarkt, zeigten sich am stärksten dort, wo Menschen mit geringen Einkommen leben.

Im Bundestag fehlen Abgeordnete, die sich aufgrund ihrer eigenen Erfahrung diesen Problemen widmen und dadurch entstehe ein „Ungerechtigkeitsgefühl“. Eine Folge davon sei ein „Protestverhalten“, sich nicht an Wahlen zu beteiligen. Fehlende Repräsentation führe zu einem „Vertrauensentzug“ in die Politik, in die politisch Handelnden und in die Parteien, möglicherweise sogar in die demokratischen Institutionen.

„Wenn es Menschen wie mich hier gar nicht mehr geben würde, würden gewisse Themen gar nicht mehr behandelt“, sagt Alexander Ulrich. Er ist Parlamentarier der Linkspartei. Nach seinem Hauptschulabschluss in Rheinland-Pfalz hat er Werkzeugmacher gelernt und mehrere Jahre in seinem Lehrberuf bei Opel in Kaiserslautern gearbeitet, ehe er für den Betriebsrat freigestellt wurde und später in die IG-Metall wechselte. In seinem Büro im Parlamentsgebäude des Jakob-Kaiser-Hauses, angrenzend an den Reichstagsbau, erzählt er von seiner Geschichte.

„Ich habe einen anderen Zugang zu Bürgern mit kleineren und mittleren Einkommen“, betont Ulrich. Sorgen um die hohe Inflation und die damit verbundenen stark gestiegenen Lebensmittel- und Energiepreise könnten Abgeordnete aus wohlhabenden Akademikerfamilien kaum nachvollziehen, findet er. Seit 18 Jahren sitzt der ehemalige Gewerkschaftssekretär und Geschäftsführer der IG-Metall im Bundestag

Er habe „nie Interesse gehabt, Abgeordneter zu werden“, berichtet der 52-Jährige. Doch 2005, zur vorgezogenen Bundestagswahl, habe die neu gegründete Partei „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“, die sich später mit der PDS zur Linkspartei zusammenschloss, Kandidatinnen und Kandidaten gesucht. Weil Ulrich als Gewerkschafter einen gewissen Bekanntheitsgrad hatte, sei er als Kandidat vorgeschlagen worden und schließlich in den Bundestag eingezogen.

Woran es liegt, dass nicht mehr Menschen mit einer ähnlichen Biografie wie der von Ulrich und Winklmann in den Bundestag kommen, erklärt Soziologin Bender: „Für dieses Problem sind die Parteien verantwortlich, vor allem die Volksparteien, oder die, die es werden wollen.“ Sie bezeichnet Parteien als die „wichtigsten Interessensinstrumente der Bürgerinnen und Bürger, ihren Willen in unserer repräsentativen Demokratie durchzusetzen“. Daher müssten sich Parteien wieder in breiten Bevölkerungsgruppen engagieren, um möglichst viele Menschen zu erreichen.

Bender plädiert dafür, dass Parteien ihre Arbeit vor Ort verstärken und mit Menschen in Kontakt treten, die an der gesellschaftlichen Basis leben und arbeiten. „Wenn sie in den Parteien nicht vorkommen, kommen sie auch nicht im Parlament vor“, bekräftigt die Soziologin. Sonst würden sich immer mehr Menschen von der parlamentarische Politik abwenden, weil sie ihre Anliegen nicht mehr repräsentiert sähen. Eine Folge davon sei, „dass sich extremistische Ränder verstärken“. Mehr Basisarbeit erwartet sich die Gesellschaftswissenschaftlerin beispielsweise durch die Eröffnung von Parteibüros, insbesondere in strukturschwachen Gegenden. Die SPD sei dafür einst Vorbild gewesen.

Ja wo ist die Herde denn für den Hammelsprung. Dafür muss jeder studiert haben !!

Als Sozialdemokratin sitzt Peggy Schierenbeck im Bundestag. Die 52-Jährige ist in einer Schaustellerinnen- und Schaustellerfamilie groß geworden und hat mit ihrem Mann eine Achterbahn und eine Riesenrutsche auf Volksfesten betrieben, ehe sie sich zur Business- und Personaltrainerin ausbilden ließ. Weil die Eltern mit ihr von Rummel zu Rummel gezogen sind, sah Schierenbeck 113 Schulen von innen, bevor sie ihren Hauptschulabschluss machte.

Zu ihrem „politischen Zuhause“ sei die SPD während der rot-grünen Bundesregierung von 1998 bis 2005 unter Kanzler Gerhard Schröder geworden, berichtet Schierenbeck, die sich einen „sehr, sehr starken Leistungsmenschen“ nennt und gern mehr Unternehmerinnen und Unternehmer im Bundestag sehen würde. Sie trat zunächst in die Hamburger SPD ein und engagierte sich ab 2016 in der Kommunalpolitik ihres „Heimatorts“. Von dort rutschte sie schließlich in die Bundespolitik. Im Frühherbst 2021 zog sie für den niedersächsischen Wahlkreis Diepholz und Nienburg erstmals in den Bundestag ein. Unterstützt wurde sie bei ihrem politischen Aufstieg durch eine Mentorin.

Was Schierenbeck grundsätzlich vermisst, ist eine gleichwertige Anerkennung aller Schulabschlüsse. „Eine Stigmatisierung als Hauptschülerin habe ich selbst nie erlebt, und doch spürt man derzeit solche Tendenzen“, sagt sie und ergänzt: „Heutzutage steht oft das Abitur im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.“ Deshalb plant sie „ab diesem Jahr“ Abschlussfeiern von Haupt- sowie Realschülerinnen und -schülern in ihrem Wahlkreis zu besuchen und dort aus ihrer Biografie zu berichten.

Wenn Menschen sich nicht mehr repräsentiert fühlen, verstärken sich die extremistischen Ränder

Quelle       :           TAZ-online           >>>>>           weiterlesen

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Oben     —    Amos Ben Gershom / Government Press Office

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Unten      ––     Plenarsaal im Landtag von Sachsen-Anhalt

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Die Lobby der Rüstung

Erstellt von DL-Redaktion am 25. Juni 2023

Wer den Krieg anheizt und von ihm profitiert

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Quelle      :        INFOsperber CH.

Matthew Hoh /   

Wie der militärisch-industrielle Komplex Politik und Medien beeinflusst – Die Kosten und Risiken des Kriegs werden verdrängt.

upg. Keine westliche Provokation rechtfertigt den brutalen Krieg Russlands gegen die Ukraine. Trotzdem stellt sich die Frage, ob das unermessliche Elend und die flächendeckenden Verwüstungen hätten vermieden werden können.
In einem ersten Teil erinnerte Matthew Hoh an Warnungen schon vor Jahren. In diesem zweiten Teil geht es darum, wer vom Krieg profitiert, wer auf westlicher Seite die Information beeinflusst, welche Kosten und Risiken der Krieg verursacht und wie es um einen Frieden steht.
Neue Märkte für den militärisch-industriellen Komplex

Hinter dem diplomatischen Fehlverhalten und dem damit einhergehenden Grössenwahn (siehe 1. Teil) steht der militärisch-industrielle Komplex der USA (hier und hier und hier).

Vor mehr als 60 Jahren hatte Präsident Dwight Eisenhower in seiner Abschiedsrede vor «dem Potenzial für den verhängnisvollen Aufstieg einer fehlgeleiteten Macht» gewarnt. Er beschrieb damit den immer grösser werdenden Einfluss, wenn nicht gar die Kontrolle der Politik des militärisch-industriellen Komplexes.

Am Ende des Kalten Krieges befand sich der militärisch-industrielle Komplex in einer existenziellen Krise. Ohne einen Gegner wie die Sowjetunion wäre es schwierig gewesen, die massiven Rüstungsausgaben der USA zu rechtfertigen. Die NATO-Erweiterung eröffnete neue Märkte. Die osteuropäischen und baltischen Länder, die der NATO beitraten, mussten ihre Streitkräfte aufrüsten und ihre Bestände aus der Sowjetzeit durch westliche Waffen, Munition, Maschinen, Hardware und Software ersetzen, die mit den Armeen der NATO kompatibel waren. Ganze Armeen, Seestreitkräfte und Luftstreitkräfte mussten neu aufgestellt werden. Die NATO-Erweiterung war ein Geldsegen für eine Waffenindustrie, die ursprünglich die Not als Frucht des Endes des Kalten Krieges sah.

Von 1996 bis 1998 gaben die US-Rüstungsunternehmen 51 Millionen Dollar (heute 94 Millionen Dollar) für Lobbyarbeit im Kongress aus. Weitere Millionen wurden für Wahlkampfspenden ausgegeben. Als die Waffenindustrie das Versprechen der osteuropäischen Märkte erkannte, war es vorbei mit dem Wunsch, die Schwerter zu Pflugscharen zu schlagen.

In einem zirkulären und sich gegenseitig verstärkenden Kreislauf stellt der Kongress dem Pentagon Geld zur Verfügung. Das Pentagon finanziert die Rüstungsindustrie, die wiederum Think Tanks und Lobbyisten finanziert, um den Kongress zu weiteren Ausgaben für das Pentagon zu bewegen. Wahlkampfspenden der Waffenindustrie begleiten diese Lobbyarbeit. Das Pentagon, die CIA, der Nationale Sicherheitsrat, das Aussenministerium und andere Glieder des nationalen Sicherheitsstaates finanzieren direkt die Denkfabriken und sorgen dafür, dass jede Politik, die gefördert wird, die Politik ist, welche die staatlichen Institutionen selbst wollen.

Präsenz in Medien, ohne Interessenkonflikte offenzulegen

Nicht nur der Kongress steht unter dem Einfluss des militärisch-industriellen Komplexes. Die gleichen Rüstungsunternehmen, die Kongressabgeordnete bestechen und Think Tanks finanzieren, beschäftigen oft direkt oder indirekt die Experten, die in Cable News zu sehen sind und denen in Medienberichten viel Platz eingeräumt wird.

Selten wird dieser Interessenkonflikt von den amerikanischen Medien erkannt. So treten in den Medien Männer und Frauen auf, die ihre Gehaltsschecks Lockheed, Raytheon oder General Dynamics verdanken, und plädieren für mehr Krieg und mehr Waffen. Diese Kommentatoren und Experten geben nur selten zu, dass ihre Wohltäter immens von der Politik für mehr Krieg und mehr Waffen profitieren.

Drehscheibe zwischen Rüstungsindustrie und Regierung

Die Korruption reicht bis in die Exekutive hinein, da der militärisch-industrielle Komplex viele Verwaltungsbeamte beschäftigt. Ausserhalb der Regierung wechseln republikanische und demokratische Beamte vom Pentagon, der CIA und dem Aussenministerium zu Rüstungsunternehmen, Denkfabriken und Beratungsfirmen.

Wenn ihre Partei das Weisse Haus zurückerobert, kehren sie in die Regierung zurück. Dafür, dass sie ihre Rotationskartei mitbringen, erhalten sie üppige Gehälter und Vergünstigungen. In ähnlicher Weise gehen US-Generäle und Admiräle, die aus dem Pentagon ausscheiden, direkt zu Rüstungsunternehmen.

Diese Drehtür erreicht die höchste Ebene. Bevor sie Verteidigungsminister, Aussenminister und Direktor des Nationalen Nachrichtendienstes wurden, waren Lloyd Austin, Antony Blinken und Avril Haines für den militärisch-industriellen Komplex tätig. Im Fall von Minister Blinken gründete er eine Firma, WestExec Advisors, die sich dem Handel und der Vermittlung von Einfluss für Waffenverträge widmete.

Interessen auch der Öl- und Gasindustrie nicht ausblenden

Im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg gibt es eine breitere Ebene der kommerziellen Gier, die nicht abgetan oder ignoriert werden kann. Die USA versorgen die Welt mit fossilen Brennstoffen und Waffen. Die US-Exporte von Erdölprodukten und Waffen übersteigen inzwischen die Exporte von landwirtschaftlichen und industriellen Erzeugnissen.

Der Wettbewerb um den europäischen Brennstoffmarkt, insbesondere um Flüssigerdgas, war in den letzten zehn Jahren ein Hauptanliegen sowohl der demokratischen als auch der republikanischen Regierungen. Die Beseitigung Russlands als wichtigster Energielieferant für Europa und die Begrenzung der weltweiten Ausfuhren fossiler Brennstoffe aus Russland haben amerikanischen Öl- und Gasunternehmen grosse Gewinne gebracht. Neben umfassenderen kommerziellen Handelsinteressen sind die schieren Geldbeträge, die das amerikanische Geschäft mit fossilen Brennstoffen einbringt, nicht zu vernachlässigen.

Die Kosten des Krieges

Hunderttausende sind wohl bei den Kämpfen getötet und verwundet worden. Die nachhaltigen psychologischen Schäden sowohl bei den Kämpfern als auch bei der Zivilbevölkerung könnten noch grösser sein. Millionen von Menschen wurden obdachlos und leben nun als Flüchtlinge.

Die Umweltschäden sind unabsehbar, und die wirtschaftlichen Zerstörungen beschränken sich nicht nur auf das Kriegsgebiet, sondern haben sich auf die ganze Welt ausgeweitet, die Inflation angeheizt, die Energieversorgung destabilisiert und die Ernährungssicherheit beeinträchtigt. Der Anstieg der Energie- und Lebensmittelkosten führte zweifellos zu einer Vielzahl von Todesfällen weit über die geografischen Grenzen des Krieges hinaus.

Der Krieg wird sich wahrscheinlich zu einer langwierigen Pattsituation mit sinnlosem Töten und Zerstörung entwickeln. Am Schlimmsten wäre es, wenn der Krieg eskaliert – vielleicht unkontrolliert zu einem Weltkrieg und möglicherweise zu einem Atomkonflikt. Egal, was die verrückten Realisten in Washington, London, Brüssel, Kiew und Moskau sagen mögen, ein Atomkrieg ist nicht kontrollierbar und schon gar nicht zu gewinnen. Selbst ein begrenzter Atomkrieg, bei dem vielleicht jede Seite zehn Prozent ihrer Arsenale abfeuert, wird zu einem nuklearen Winter führen, in dem wir zusehen müssen, wie unsere Kinder verhungern. Alle unsere Bemühungen sollten darauf gerichtet sein, eine solche Apokalypse zu vermeiden.

Das Potenzial für Frieden

Die beiden Teile dieser Analyse sollten darlegen, wie Russland die bewussten Provokationen der USA und der NATO wahrnimmt. Russland ist eine Nation, deren derzeitige geopolitische Ängste von der Erinnerung an die Invasionen durch Karl XII., Napoleon, den Earl of Aberdeen, den Kaiser und Hitler geprägt sind.

Karikatur der Lobby im House of Commons (Vanity Fair, ca. 1886)

US-Truppen gehörten zu den alliierten Invasionstruppen, die im russischen Bürgerkrieg nach dem Ersten Weltkrieg erfolglos gegen die siegreiche Seite intervenierten. Historische Zusammenhänge zu kennen, den Feind zu verstehen und strategisches Einfühlungsvermögen für den Gegner zu haben, ist weder hinterlistig noch schwach, sondern klug und weise. Dies wird uns auf allen Ebenen des US-Militärs beigebracht.

Es ist auch nicht unpatriotisch oder unaufrichtig, sich gegen die Fortsetzung dieses Krieges auszusprechen und sich zu weigern, Partei zu ergreifen.

Präsident Bidens Versprechen, die Ukraine «so lange wie nötig» zu unterstützen, darf kein Freibrief für die Verfolgung unklarer oder unerreichbarer Ziele sein. Eine solche Politik könnte sich als ebenso katastrophal erweisen wie die Entscheidung von Präsident Putin im letzten Jahr, seine kriminelle Invasion und Besetzung zu starten.

Es ist moralisch nicht vertretbar, die Strategie zu unterstützen, Russland bis zum letzten Ukrainer zu bekämpfen. Und es ist auch nicht moralisch zu schweigen, wenn die USA Strategien und Politiken verfolgen, welche die erklärten Ziele nicht erreichen können. Dieses sinnlose Streben nach einer Niederlage Russlands im Geiste einer Art von imperialem Sieg aus dem 19. Jahrhundert ist unerreichbar.

Nur ein sinnvolles und echtes Bekenntnis zur Diplomatie mit dem Ziel eines sofortigen Waffenstillstandes sowie Verhandlungen ohne disqualifizierende oder prohibitive Vorbedingungen werden diesen Krieg und das damit verbundene Leid beenden, Europa Stabilität bringen und das Risiko eines nuklearen Krieg ausschliessen.

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Dieser Beitrag erschien am 6. Juni in Substack und in Scheerpost am 9. Juni. Übersetzt und leicht gekürzt von Infosperber, auch mit Unterstützung von Deepl.

Autor Matthew Hoh

Hoh ist seit 2010 Senior Fellow am Center for International Policy in Washington. Im Jahr 2009 trat er aus Protest gegen die Entwicklung des Krieges in Afghanistan von seinem dortigen Posten zurück. Zuvor beteiligte sich Matthew an der Besetzung des Irak, zunächst 2004/5 in der Provinz Salah ad Din mit einem Team des Aussenministeriums für Wiederaufbau und Regierungsführung und dann 2006/7 in der Provinz Anbar als Kompaniechef des Marine Corps. Wenn er nicht im Einsatz war, beschäftigte sich Hoh bis 2008 im Pentagon und im US-Aussenministerium mit den US-Einsätzen in Afghanistan und in Irak.
2022 kandidierte Hoh als Aussenseiter der Green Party für einen Senatssitz in Washington, erhielt aber nur 1 Prozent der Stimmen.

Am 16. Mai 2023 veröffentlichte er als stellvertretender Direktor des Eisenhower Media Network in der NYT einen ganzseitigen offenen Brief unter dem Titel «The U.S. Should Be a Force for Peace in the World». Unterzeichnet hatten ihn 14 ehemalige US-Sicherheitsbeamte, darunter der US-Botschafter in Moskau unter Ronald Reagan. Sie forderten in der Ukraine eine diplomatische Lösung «bevor es zu einer nuklearen Konfrontation kommt». Kurz vorher hatte die Biden-Regierung jegliche Verhandlungen abgelehnt. Zuerst müsse die Gegenoffensive der Ukraine erfolgreich sein.

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Oben      —     Karikatur von 1891 zur Lobbyarbeit für Gesetzesentwürfe (engl. bill) bei einem US-amerikanischen Abgeordneten

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Wann ist sein Papagei dran?

Erstellt von DL-Redaktion am 11. Juni 2023

PREIS FÜR HABECKS KATZE

Quelle       :    RATIONALGALERIE

Autor: Uli Gellermann

Am Rande der Hannover Messe wurde der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit einem Preis für die Energiewende ausgezeichnet. Der wurde ihm von seinem Bruder Hinrich überreicht. Hinrich ist nicht nur Habecks Bruder, sondern auch Chef der Wirtschaftsförderung Schleswig-Holstein. Die Wirtschaftsförderung wird von der Landesregierung Schleswig-Holstein finanziert und gesteuert.

Prinzip der Allparteien-Koalition

Wer die Tatsache, dass eine Landesregierung einem Bundesminister publikumswirksam einen Preis zuschanzt, für politischen Inzest hält, der versteht das Prinzip der deutschen Allparteien-Koalition nicht: Alle, die da mitmachen, sind preiswert zu korrumpieren. Dieser oder jener mit noch einem teuren Amt, andere mit einem fadenscheinigen Preis – bezahlt wird die komplette Kirmes vom Steuerzahler.

Wappentier ist die Blindekuh

Wie immer geht es um das Wichtigkeits-Karussell: Du findest mich gut, dann finde ich dich gut, später finden wir vielleicht auch einen guten Grund – die Geschlossenheit. Wer geschlossen ist, der macht kein Fass auf, der schließt vor jedem auftauchenden Polit-Verbrechen die Augen. Das Wappentier ist die Blindekuh, die Flagge besteht aus Löchern, die Hymne beginnt mit „Einigkeit“. „Recht und Freiheit“ sind aus Gründen der Koalitionsdisziplin gestrichen.

Keine Blutschande sondern Reinzucht

Dass der Bruder dem Bruder einen Preis zuschiebt, ist keine Blutschande sondern Reinzucht: Nur wer sich familiär im Kreise dreht, hält sich rein. Das wussten schon die alten Ägypter. Dort machte es der Bruder mit der Schwester. In Deutschland treibt es der Bruder mit dem Bruder: Platz da für neue Geschlechter ist ein grünes Prinzip.

Nur der Bruder ist kein Luder

Das Habeck- Prinzip „Nur der Bruder ist kein Luder“ ist so hermetisch, dass keinerlei Alternative möglich ist. Da bleibt die grüne Fahne hoch und die Reihen sind fest geschlossen. Wer aus der Reihe tanzt, wird zur Tarantella nicht unter drei Runden verurteilt.

Grüne Massensuggestion

Die Tanzopfer leiden unter Tarantismus, einer psychischen Erkrankung in Verbindung mit Massensuggestion. Wer diese Krankheit erwischt, der hält GRÜN für die Farbe der Hoffnung, Deutschland für eine Demokratie und seine Medien für vielfältig.

Eau de Robert bei Douglas

Noch ist das Höchstmaß an Geschlossenheit nicht erreicht. Erst wenn Habecks Katze den Grammy für ihr Maunzen bekommen hat, wenn sein Papagei mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet wurde und sein Schweiß als Eau de Robert bei Douglas Höchstpreise erzielt, ist die Zeit für das Vierte Reich gekommen. Jenes Reich, in dem die Schließer die Macht übernommen haben und die Ketten als Schmuck für alle gelten.

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Oben      —   Hauskatze, langhaarig, weiß mit braun-grauen Tigerflecken

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Ohnmacht durch KI

Erstellt von DL-Redaktion am 7. Juni 2023

Es geht um Grundfragen: Wer wollen wir sein?

Ein Schlagloch von Matthias Greffrath

Künstliche Intelligenz dürfte die Menschheit schneller verändern als die Entdeckung des Feuers. Während Kulturkritiker und Soziologen versuchen zu begreifen, was da geschieht, werden die Claims gesteckt.

Natürlich habe auch ich Chat-GPT ausprobiert. Am schönsten war es, als ich den Rhein eine Laudatio auf Heinrich Heine habe halten lassen: „In den Tiefen meiner Fluten formten sich seine Gedanken, seine Inspiration und seine künstlerische Leidenschaft. Ich hatte das Privileg, seine Wiege zu sein, seine musikalische Begleitung während seiner Jugendjahre entlang meiner Ufer … Aber Heine sah mich nicht nur als romantische Kulisse, sondern auch als Symbol für politische Macht und soziale Konflikte.“ Wow!

Die Freude an solchen unterhaltsamen Spielchen, mit denen man viel Zeit verdaddeln kann, verging mir, als ich das Video einer Sitzung des US-Senats ansah. Der Vorsitzende, Senator Richard Blumenthal, umriss in einer einleitenden, pointierten Rede einige der Probleme der künstlichen Intelligenz. Er tat es mit ruhiger Stimme – und mit geschlossenem Mund. Denn er hatte Chat-GPT um diese Einleitung gebeten, und die Stimme hatte das Computerprogramm aus dem Rohmateral früherer Senatssitzungen geklont.

„Stellen Sie sich vor“, sagte Blumenthal, „ich hätte das Programm gebeten, mit meiner Stimme die Kapitulation der Ukraine zu fordern oder Putin zu unterstützen …“ Seine Konsequenz: Wir sollten nicht noch einmal den Zeitpunkt für wirksame Kontrollen verpassen, wie bei Social Media. Und Sam Altman, der Erfinder von Chat-GPT, bat die Regierung um eine Agentur zur Regulierung der Technik.

Das zweite Erlebnis, nicht weniger spooky: der Auftritt von Sascha Lobo auf der OMR („Online Marketing Rockstars“)-Konferenz von 70.000 Influencern und Online-Marketeers in Hamburg. Auch Lobo konnte sich den Klon-Trick mit einem Grußwort von Olaf Scholz nicht verkneifen, aber dann war, eine halbe Stunde lang, seine gemäßigt hysterisierte Botschaft an die Gemeinde: Ihr wart die Pioniere der Social Media, ihr müsst jetzt die Entwicklung vorantreiben, KI in jeden Winkel bringen, damit „Deutschland auch noch in zwanzig Jahren ein reiches Land“ ist.

Jeder hat persönlichen KI-Influencer

Lobo mokierte sich über die Bedenkenträger, die mit den Fakes und Bots das Ende der Demokratie, gar der Zivilisation kommen sehen, und blickte in eine lichte Zukunft, in der jeder seinen persönlichen KI-Influencer hat, eine „Person“, die das Intervall zwischen Wunsch und Bestellung radikal verkürzen könnte. Die Chinesen seien uns weit voraus, auch weil sie „großartige, fantastische“ Datenmengen aus den privatesten Chatbots ihrer Bürger abgreifen können, was hierzulande „manche Menschen ein bisschen verstört“.

Plenarsaal

Hat nicht heute schon Jeder der hier sitzenden mehrt Influenz-er als Finger an den Händen ?

Und deshalb: Gehet raus und überzeugt die Menschen, das zu beschleunigen, was ihr gerade mal ein wenig und sie noch gar nicht verstehen. Die Versammlung der kapitalistischen Zukunftsfreunde; die Furcht von Politikern vor einer Entkernung demokratischer Verfahren; die Angst von Militärs vor dem automatisierten Drohnenkrieg; die Verschärfung von Wahn und Fake in den Social Media – all das füttert meine Ohnmachtsgefühle.

Und ich bin umgeben von Menschen, denen es auch so oder ähnlich geht, und das sind nicht nur Rentner. Viele, die sowohl mit der Technik wie mit den Regulierungsversuchen vertrauter sind als ich, sind überzeugt, dass die Schwelle, über die „wir“, die Menschheit also, in globaler Gleichzeitigkeit gehen, ungefähr die Größenordnung des Übergangs zur Alphabetisierung, wenn nicht gar zur Sesshaftigkeit hat, nur nicht so allmählich wie die Ausbreitung von Feuer, Schrift und Webstuhl.

Und während Kulturkritiker und Soziologen noch versuchen zu begreifen, was da geschieht, werden die Claims gesteckt: in der globalen Privatisierung der digitalen Infrastrukturen, im „Chip War“ zwischen den beiden Supermächten. Die KI-Revolution ist global, sie erfordert eine globale Kontrolle – der Satz ist wirkungsloser als die Beschlüsse der Pariser Klimakonferenz. Europa humpelt hinterher, auch das ist ein Allgemeinplatz ohne Folgen. Belastbare Ahnungen vom Umfang kommender Arbeitslosigkeiten gibt es so wenig wie Ideen über ihre Kompensation.

Womöglich hilft Hölderlin

Politische Metaphysiker halten sich an Hölderlin: Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Ja, es stimmt: Eine Bewirtschaftung der Erde für 10 Milliarden Menschen, die noch ein paar Schmetterlinge und Urwälder übrig lässt, werden wir nur mit viel KI hinkriegen, mit smarten Gesellschaften, mit kollektiver Verhaltenssteuerung durch jede Menge Apps auf jeder der Milliarden Smartphones und Smart Watches auf Erden. Rückwärts nimmer und vorwärts im Nebel; wenn’s gut geht, mit politischen und nicht nur profitorientierten Lotsen.

Quelle        :          TAZ-online            >>>>>          weiterlesen

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Oben      —   Prompt: „1990s home movie footage of iridescent artificial intelligence carnival“ via Midjourney v4

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Die Linke im Bund

Erstellt von DL-Redaktion am 30. Mai 2023

  Kipping, Wissler und Korte – Arm im Arm mit der CSU von Söder und Dobrindt.

Von Wolfgang Gerecht

Unglaubwürdige ROT-GRÜN-ROT – Politik – Im Bundder sozialdemokratischen Partei DIE „LINKE“. 10 Jahre lang wurde viel hinter und wenig vor den parlamentarischen Kulissen zwischen den Parlaments-Parteien CDU-CSU-SPD-GRÜNEN-FDP wegen der Anzahl der Parlaments-Mandate im Bundestag herum gezerrt.

Das Parlament in der bisherigen Größe von 598 Mandaten wurde durch Überhang- und Ausgleich-Mandate bis heute auf 736 Mandate künstlich ausgeweitet.
https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/warum-der-bundestag-so-gross-ist-wie-nie,SkHfZ8H

Die Damen und Herren der Beute-Gemeinschaften der „Demokratischen Parteien“ schufen sich damit, – in Relation zur Bevölkerungszahl – nach der Volksrepublik China, das größte Parlament der Welt. Sie weigerten sich in den 16 Jahren der Merkel-Zeit unter
CDU-CSU-SPD-FDP eine gesetzliche Korrektur dieses Selbstversorgungs-Systems auf Kosten der hart arbeitenden Wahlberechtigten durchzuführen.

Jetzt hat ROT-GRÜN und GELB ein Gesetz mit ihrer parlamentarischen Mehrheit beschlossen, welches die Größe des Parlamentes auf absolut 630 Mitglieder begrenzt. Bemessungs-Grundlage für die Aufteilung dieser Parlamentssitze ist die (fälschlicherweise sogenannte) „Zweit“-Stimme, also die Stimmen, die jeweils auf eine Partei-Kandidatur entfallen.

Die fälschlicherweise sogenannte „Erst“-Stimme, die unter den jeweiligen Wahlkreis-Kandidaten das sogenannte „Direkt-Mandat“ für den Bundestag entscheidet, war nach bisherigem Wahlrecht die Ursache für die „wundersame“ Vermehrung der Parlamentssitze, nämlich die durch die sogenannten „Überhangs-Mandate“, die jeweils sogenannte „Ausgleich“-Mandate nach sich zogen.

Das Ergebnis der sogenannten „Zweit“-Stimmen für die jeweiligen Partei-Kandidaturen stellt also künftig die jeweils verbindliche bzw. endgültige Anzahl der Parlaments-Sitze dar.

Statt die sogenannte „Erst“-Stimme ganz abzuschaffen, ist jetzt ein neuer Streitpunkt mit dem „Platz-Hirschen“ der „Erst“-Stimmen-Parteien, der CSU und damit der CDU-CSU-Fraktionsgemeinschaft im Bundestag entstanden.

Einerseits muss die CSU – wie jede Partei – bei Bundestagswahlen mindestens 5% der abgegebenen wirksamen Wählerstimmen erreichen, andererseits steht der CSU nach dem neuen Wahlrecht nur so viele Abgeordneten-Mandate zu, wie mindestens 5% + X Stimmen für die CSU bewirken.

Die sogenannten Direkt-Kandidaten aller Parteien, bekommen – nach dem neuen, nun aktuellen Wahlrecht – nur dann einen Sitz im Bundestag, wenn dies die Höhe des Wahlergebnisses für die sogenannten „Zweit“-Stimmen für die Listen-Plätze der Parteien zulässt.
Gewinnt eine Partei mehr Direkt-Mandate über die „Erst“-Stimme als ihr nach dem „Zweit“-Stimmen-Ergebnis zusteht, haben die „siegreichen“ Wahlkreis-Gewinner keinen Anspruch auf ein Mandat.

Das ist e i n Konflikt im Streit. Der a n d e r e Konflikt ist der Wegfall der sogenannten Grund-Mandats-Klausel, die besagt, dass Parteien, die die 5% Klausel der Zweit-Stimmen nicht erreichen, wie z.B. DIE „LINKE“ mit 4,9% bei der BTW vom 26.09.2021, bei mindestens drei Direkt-Mandaten, trotzdem in Fraktionsstärke, im Parlament „vertreten“ sind.

Das wiederum hat den Zorn der Vertreter von DIE „LINKE“ erregt.

DIE „LINKE“ bedauert so „das Opfer der Wahlrechts-Reform“ der CSU und die CSU bedauert so„das Opfer der Wahlrechts-Reform“ DIE „LINKE“. Eine merkwürdige Koalition. Die RECHTEN mit den „LINKEN“. Wenn es um parlamentarische MACHT und GELD geht,
gibt es tatsächlich keine Partei-Grenzen.

DIE „LINKE“, schon seit ihrer Gründung i m m e r auf Koalitionen mit der SPD und den GRÜNEN (ROT-GRÜN-ROT) festgelegt,
wird jetzt genau von diesen Parteien, nämlich SPD (ROT) und GRÜNE in parlamentarische Existenz-Not gebracht. Doch das ist nur der Aspekt des neuen Wahlrechts der AMPEL. Der andere Aspekt, die a b n e h m e n d e politische Bedeutung der LINKS-Partei bei den Wahlberechtigten bei den Landtags – (SL, SH, NW, NI) und der Bundestagswahl vom 26.09.2021 (4,9%, aktuelle Umfragen bei permanent um die + – 5%)

Danke, Frau Wißler (Partei-Vorsitzende),
Danke, Frau Kipping, Danke, Herr Lederer und Frau Schubert ( Berlin)
Danke, Frau Vogt (Bremen),
Danke, Frau Oldenburg (Mecklenburg-Vorpommern),
Danke, Herr Ramelow, Herr Schirdewan, Frau Hennig-Wellsow (Thüringen).

Sowohl die Herren Merz (CDU), Söder (CSU), Dobrindt (CSU) als auch die selbsternannte Partei DIE „LINKE“, hier hatte sich deren parlamentarische Geschäftsführer, Herr Korte (Kennt den jemand?)  zu Wort gemeldet.

Diese Parteien wollen eine Verfassungsklage gegen das neue „Wahlrechts-Gesetz“ in den „nächsten Wochen und Monaten“ beim Bundesverfassungs-Gericht einreichen. Schauen wir mal, was daraus wird. Es würde den interessierten politischen Beobachter nicht wundern, wenn daraus – wieder einmal – eine juristische „Never End – Story“ werden würde.DIE „LINKE“ von Kipping und Wißler und Korte Arm im Arm mit der CSU von Söder und Dobrindt.

Unglaubwürdige ROT-GRÜN-ROT – Politik – Im Bund der sozialdemokratischen Partei DIE „LINKE“.

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Oben     —    Foto: Martin Heinlein

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Nebeneinkommen im BT.

Erstellt von DL-Redaktion am 15. April 2023

Die Diät ist ihnen nicht  genug

VON FREDERIK EIKMANNS, TOBIAS SCHULZE, ALEXANDRA HILPERT UND PASCAL BEUCKER

Mitglieder des Bundestags müssen neuerdings ihr Nebeneinkommen genau angeben. Die taz hat sich durch die Zahlen gewühlt. Auf die zehn Bestverdienenden entfällt über die Hälfte des Gesamtnebeneinkommens aller Abgeordneten.

Bei fast allen Bundestagsmitgliedern ist neuerdings online einsehbar, wie viel Geld sie nebenher erwirtschaften. Wenige Top­ver­die­ne­r*in­nen stehen einer großen Mehrheit gegenüber, die nur wenig einnimmt. Von rund 37 der 736 aktuellen und 11 ausgeschiedenen Abgeordneten fehlen die Daten noch, vor allem von Union und FDP. Die taz hat die Daten, die es schon jetzt gibt, ausgewertet und bei einigen Bundestagsmitgliedern genauer nachgebohrt.

Dabei zeigt sich, dass ein Großteil der Bundestagsmitglieder neben den normalen Diäten von rund 10.000 Euro monatlich nur wenig zusätzlich einnimmt. Im Schnitt liegt der Nebenverdienst derzeit bei nur rund 15.500 Euro brutto über die gesamte laufende Legislaturperiode, das sind weniger als 1.000 Euro im Monat. Insgesamt rund 490 Abgeordnete, also über die Hälfte der Bundestagsmitglieder, listen momentan keine Nebenverdienste auf, die über 1.000 Euro im Monat oder 3.000 Euro jährlich liegen. Das ist die Schwelle, ab der sie gemeldet werden müssen. Einige wenige Bundestagsabgeordnete geben dagegen Nebenverdienste von Hunderttausenden Euro brutto über die bisherige Legislatur­periode an. Dabei haben es vor allem Hinterbänkler in die ersten zehn geschafft (siehe Tabelle auf Seite 11).

Unter ihnen sind einige Selbstständige mit eigenen Unternehmen. Von ihnen erwirtschaftete Summen sind nicht mit Gewinnen gleichzusetzen, sondern geben vielmehr den Umsatz ihrer Firmen an, von dem unter Umständen ein großer Teil für Lohnzahlungen an Angestellte, Betriebskosten und anderes abgeht – wie groß dieser Anteil ist, müssen sie nicht an­geben. Das macht diese Angaben schwer vergleichbar mit denen von anderen Topverdiener*innen, etwa denen, die als Parteifunktionäre über 100.000 Euro brutto im Jahr verdienen oder als Buch­au­to­r*in­nen Tausende Euro im Monat nebenher erwirtschaften, ohne nennenswerte Betriebskosten zu haben.

Auch zwischen den Fraktionen gibt es beim Nebenverdienst Differenzen. Im Schnitt erwirtschaften die Mitglieder der Linken im Bundestag am meisten nebenbei. Ihr durchschnittlicher Brutto-Nebenverdienst liegt bei etwa 23.000 Euro über die gesamte bisherige Legislaturperiode. Das liegt vor allem an Sahra Wagenknecht, die seit November 2021 bisher beachtliche 792.961 Euro brutto einnahm. Weil außerdem die Linksfraktion mit nur 39 Abgeordneten sehr klein ist, hebt Wagenknecht den Schnitt gewaltig. Auf Platz zwei sind die Abgeordneten der Union und der Grünen (je durchschnittlich rund 18.000 Euro Brutto-Nebenverdienst seit Anfang der Legislaturperiode), dahinter die FDP (rund 16.000 Euro). Deutlich unter dem Schnitt wirtschaften dagegen AfD-Abgeordnete (rund 12.000 Euro) und Sozialdemokraten (rund 10.000 Euro).

Die Daten

Angaben von bundestag.de, Stand 13. April 2023. Im Bundestag sitzen derzeit 736 Abgeordnete, dazu kommen weitere 11, die im Verlauf der aktuellen Legislaturperiode ausgeschieden sind. Für insgesamt 710 aktuelle und ausgeschiedene Abgeordnete liegen aktuell Daten vor. Bei allen Verdienstzahlen handelt es sich um Brutto-Angaben ab 1. November 2021, nur vollständige Monate und Jahre wurden gezählt. Während dieser Legislatur ausgeschiedene Parlamentarier*innen und deren Nach­fol­ge­r*in­nen werden zusammen als ein*e Ab­ge­ord­ne­te*r gewichtet.

File:KAS-Politischer Gegner, SPD FDP-Koalition-Bild-1153-1.jpg

Dass Abgeordnete neben ihrer Parlamentstätigkeit noch andere Jobs ausüben, ist nicht prinzipiell verwerflich. Erfahrung in bestimmten Berufsfeldern kann für die Parlamentsarbeit sogar hilfreich sein. Problematisch werden Nebentätigkeiten dann, wenn politische Entscheidungen Auswirkungen auf das Berufsfeld haben, in dem Abgeordnete arbeiten. Genau das geschah mutmaßlich während der Pandemie, wie die sogenannte Maskenaffäre zeigt, die im März 2021 die Union erschütterte. Damals gelangte an die Öffentlichkeit, dass einige Bundes- und Landespolitiker von CDU und CSU in der Pandemie Geschäfte mit Maskenherstellern eingefädelt hatten, von denen sie selber profitierten. So etwa die damaligen Unions-Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein und Nikolas Löbel, die deswegen ihre Mandate abgaben und aus CSU bzw. CDU austraten. Auch gegen Ex-Kanzlerkandidat Armin Laschet und den damaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gab es Vorwürfe. Zwar wurde letztendlich niemand verurteilt, doch sorgten die Enthüllungen für die Einsicht, dass für das Vertrauen ins Parlament ein gewisser Grad an Transparenz nötig ist: Der Bundestag beschloss die neuen Transparenzregeln. Nach den Regeln, die bis dahin galten, mussten Abgeordnete ihre Nebenverdienste nur in Stufen angeben.

Anti-Korruptions-Aktivist*innen sehen in den neuen Transparenz­regeln einen Fortschritt. Norman Loeckel von Transparency International sagt: „Durch die Regeln werden mögliche Interessenkonflikte zwischen den eigenen wirtschaftlichen Interessen und den politischen Tätigkeiten für alle sichtbar und zugänglich.“ Um deren Legitimität beurteilen zu können, brauche es aber eigentlich auch Informationen über die Arbeitszeit, die durch Nebentätigkeiten anfällt. Die müssen Abgeordnete bisher nicht angeben. ­Loeckel sagt weiter: „Wichtig ist es, insbesondere bei den Abgeordneten hinzuschauen, die durch Dienstleistungen sehr viel Geld verdienen.“ Auch Léa Briand von Abgeordnetenwatch.de begrüßt die neuen Regeln. Sie sagt aber: „Es bleiben weiterhin viele Ausnahmen.“ Sie beklagt: „Wir wissen nicht, ob Regelverstöße kontrolliert und sanktioniert werden.“ Ebenfalls kritisch sieht Briand, dass das Gesamtvermögen von Mi­nis­te­r*in­nen und Abgeordneten nicht aufgelistet werden muss sowie die Regelungen für nebenberufliche Anwält*innen, die die Namen ihrer Man­dan­t*in­nen verschweigen dürfen.

Abgesehen von solchen Lücken gibt es aber noch ein weiteres Problem der neuen Transparenzregeln: die Bundestagsverwaltung. Denn sie scheint mit der Umsetzung völlig überfordert. So sind die Angaben, die es bisher auf bundestag.de gibt, teils chaotisch und schwer zu entziffern. Vor allem aber hängt die Bundestagsverwaltung dramatisch hinter ihrem Zeitplan her, den es für die Veröffentlichung der Nebeneinkünfte einst gab. Ursprünglich sollten die Angaben für alle Abgeordneten schon 2021 veröffentlicht werden, zuletzt hieß es dann, bis Ostern 2023 werde man fertig. Auch diese Frist ist nun verstrichen und noch immer fehlen einzelne Angaben. Auf Anfrage, wann die restlichen Angaben folgen sollen, sagt eine Sprecherin: „In den nächsten Tagen.“

1.) Die Erbin

Ophelia Nick verdient dank Fabrik-Anteilen nebenbei Millionen

2.) Die Pflege-Chefin

Kristine Lütke arbeitet als Geschäftsführerin eines Heims

3.) Die Autorin

Sahra Wagenknecht polarisiert – und macht das zu Geld

usw.

Quelle      :        TAZ-online         >>>>>        weiterlesn

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Oben        —       Karikatur

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KOLUMNE – NAFRICHTEN

Erstellt von DL-Redaktion am 6. April 2023

KI zeigt wahres Gesicht der AfD

Congrès international fasciste de Montreux 1934 (caricature).jpg

Von Mohamed Amjahid

AfD-Politiker Norbert Kleinwächter hetzte mit KI-Bildern gegen Geflüchtete. Die Täuschung zeigt aber auch ungeschminkte Realität – die des Rassismus.

Dies ist die Geschichte eines Politikers der AfD mit lebhafter Fantasie. Er heißt Norbert Kleinwächter und ist immerhin stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Bundestag. Norbert geht anscheinend mit der Zeit. Manchmal postet er auf Instagram Selfies von sich – so nah von seiner Fresse aufgenommen, dass man reflexhaft den Bildschirm etwas weiter von den eigenen Augen entfernen muss. Der moderne Norbert hat nun auch die künstliche Intelligenz für sich entdeckt. Auf seinem Instagram-Profil, wo sich eigentlich nicht so viele Use­r*in­nen verirren (sollten), tauchte also neben seiner AfD-Visage ein Bild von schreienden Männern auf.

Als Be­trach­te­r*in liest man sie als nordafrikanisch oder aus dem Nahen Osten stammend: Bärte, schwarze Haare, dunklerer Hautton. Sie sind wütend, ihre Augenbrauen sind zusammengezogen, eine Faust ist zu sehen. Unter der Szene steht in großen Lettern: „Nein zu noch mehr Flüchtlingen!“ In der Bildbeschreibung beruft sich der Norbert auf die Gewerkschaft der Polizei, die auf reiner Meinungsbasis mit mehr Geflüchteten in den kommenden Monaten rechnet und damit Stimmung macht. Da haben sich wohl zwei gefunden.

Schaut man genau hin, erkennt man schnell, dass an dem Bild von den Männern so einiges nicht stimmt: Die Proportionen in den Gesichtern sind komisch, die offenen Münder deformiert, die Haut der Männer wirkt unnatürlich metallisch, das Licht sehr künstlich. Mehrere User*innen, die sich mit künstlicher Intelligenz auskennen, entlarvten das Bild schnell als Fake. Auf Instagram verteidigt sich der Norbert daraufhin mit dem Satz: „Können Fakten Hetze sein?“ Man fragt sich halt nur, von welchen Fakten er da labert.

File:Keine AFD V1.svg

KI ganz ungeschminkt

Es liegt nahe, dass der Norbert die kostenlose Testversion der KI genutzt hat: Billige Hetze. Mehr braucht es auch nicht: Denn es ist davon auszugehen, dass viele Menschen im Netz keinen Unterschied zwischen realen und künstlich erzeugten Bildern machen. Vor allem die Adepten der AfD lassen sich, wie in den vergangenen Jahren auf sozialen Medien geschehen, gerne auf Fake News ein – wenn es ihr Weltbild bestätigt. Auf Pressenachfrage rechtfertigte die AfD Norberts Vorgehen. Auch andere Parteimitglieder nutzen gerne die KI für ihre faktenbefreite Hetze.

Quelle      :          TAZ-online           >>>>>          weiterlesen

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Oben     —       Caricature de R. Fuzier sur le congrès international fasciste de Montreux. Outre les fascistes italiens en chemise noire, on reconnaît un franciste français et un nazi allemand (en réalité, le parti d‘Hitler n’était pas représenté au congrès).

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Ein Kurt für alle Fälle

Erstellt von DL-Redaktion am 17. März 2023

Berlins Top-Kopfgeldjäger auf Jagd nach Mandatsdrückeberger-innen

Heute mit staatlichen Verdienstkreuz ?

Die Wahrheit von Patric Hemgesberg

Unterwegs mit Berlins Top-Kopfgeldjäger für Abgeordnete aller Art in freier Wildbahn. Ein gefährliches Unterfangen, eine exklusive Wahrheit-Recherche.

Auf der Inspektionsrunde durch das Berliner Zentrum hat Kurt Sievers plötzlich etwas gesehen. Der bärtige Mann mit der kugelsicheren Weste und dem muskulösen Oberkörper reißt das Steuer herum. Begleitet von wütendem Motorengeheul durchbricht sein wuchtiger SUV den Zaun vor dem Volkspark Friedrichshain und schlingert zwischen Spaziergängern und Sonnenanbetern über das Gras. In der Nähe des Märchenbrunnens kommt das 350 PS starke Gefährt schließlich mit einer letzten Drehung zum Stehen.

Sievers steigt aus und steuert zielstrebig auf einen am Boden kauernden Mittdreißiger zu, der beim Abbeißen von seinem Döner vor Entsetzen erstarrt ist. Bevor der arme Kerl überhaupt weiß, wie ihm geschieht, klicken schon die Handschellen. Wenig später wartet der Delinquent über die Motorhaube des SUV gebeugt auf die Überprüfung seiner Personalien.

„Kai-Malte Steffens, Bündnis 90/Die Grünen“, fasst Spürnase Sievers für uns noch mal die Eckdaten seiner „Person of Interest“ zusammen. „Sollte sich genau in diesem Moment in einer Abstimmung des Deutschen Bundestages zum ‚Chancen-Aufenthaltsrecht‘ befinden und wurde vor zehn Minuten als ‚unentschuldigt fehlend‘ gemeldet. Tja, Pech gehabt, Freundchen!“

Der gebürtige Spandauer Sievers verfrachtet seinen jüngsten Fang unsanft auf die Rückbank. Direkt daneben schmollt bereits eine Delegierte der CSU, die Sievers gerade erst bei Weißwurst und Hefeweizen in einem Biergarten erwischt hatte. Der 49-jährige „Bounty Hunter“ ist direkt der Bundestagspräsidentin unterstellt und treibt im Auftrag des Parlaments sitzungsmüde Abgeordnete sämtlicher Parteien im Berliner Stadtgebiet auf. Am heutigen Freitag hat er besonders viel zu tun.

Beschämte Mandatsdrückeberger

„Mit einem langen Wochenende vor der Nase möchte sich so mancher schon früher ins Privatleben verabschieden“, bellt Sievers in Richtung der beschämten Mandatsdrückeberger. „Aber nicht in meiner Schicht, verstanden?“

Nachdem wir die schwarz-grünen Ausreißer an der Bundestagspforte dem Sicherheitsdienst übergeben haben, dürfen wir die Streifenfahrt mit Sievers fortsetzen. Wie er uns erzählt, bezahlen geschnappte Volksvertreter die Prämie, die auf ihre Ergreifung ausgesetzt ist, bis auf den letzten Cent selbst.

„Die genaue Summe ergibt sich aus dem Betrag im persönlichen Fehlstundenkonto, multipliziert mit dem Faktor 100“, plaudert der Kopfgeldjäger bei der Tour durch die quirlige Hauptstadt aus dem Nähkästchen. Sein großer Traum sei es daher, nur ein einziges Mal die ständig abgängige Sahra Wagenknecht dingfest zu machen. Vom fürstlichen „Finderlohn“ könnte Sievers anschließend in Saus und Braus auf den Bahamas leben.

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Beth Chapman war eine US-amerikanische Kopfgeldjägerin und Reality-TV-Darstellerin.

Als wir bei Rot vor einer Fußgängerampel halten, watschelt zufällig Franziska Giffey mit einem Eis in der einen und einem Bündel bunter Tragetaschen in der anderen Hand über die Fahrbahn. Bedauerlicherweise sei er in diesem Fall nicht zuständig, seufzt der Abgeordnetenhäscher. Während wir weiterfahren, verständigt er netterweise per Funk den Kollegen in Diensten des Berliner Senats, damit er die SPD-Politikerin gleich vor ihrem Lieblingscafé in Berlin-Mitte einkassieren kann.

„Unter allen 736 Mitgliedern des Bundestags ist Armin Laschet übrigens der einzige Abgeordnete mit Dauerfreigang“, füttert uns der Fugitive Recovery Agent weiter mit Insiderwissen. „Aufgrund der bestehenden Härtefallregelung und des erlittenen Söder-Traumas während seiner Kanzlerkandidatur darf er kommen und gehen, wann er will.“

Sahra Wagenknecht einfach so auf einer Bank

Sievers würde uns gern noch mehr Geschichten aus dem Politbetrieb erzählen, doch plötzlich wird er Zeuge von etwas Unglaublichem. Sahra Wagenknecht, Berlins unangefochtene Blaumacherkönigin, sitzt in der Nähe des ZDF-Hauptstadtstudios einfach so auf einer Bank und blättert seelenruhig in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Ob der linke Friedensengel gerade ein Interview gegeben oder zum tausendsten Mal an einer Talkshow teilgenommen hat, ist dem Staatsdiener wurscht. Er will das schmale Zeitfenster für eine Frührente im sonnigen Süden unbedingt nutzen und fährt vorsichtig rechts ran.

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Oben     —       Foto: DIE LINKE NRW / Irina Neszeri

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Zyklopen der Politik

Erstellt von DL-Redaktion am 2. März 2023

Aus der altgriechischen Sage: – Zyklopen welche sich als Politiker tarnen.

Wer wird sich nun ob dieser Ähnlichkeit beschweren ?

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Nach der altgriechischen Sage ist ein Zyklop zwar ein riesiger Dämon mit allerdings nur einem Auge. Nach heutiger medizinischer Kenntnis konnte er daher nicht raumbildlich sehen, also das Gesehene nicht im Gesamtkontext richtig einordnen.

Genau diesen Eindruck muss man heute von so manchem Politiker bzw. Politikaktivisten haben. Der größten Politik-Zyklopen heute ist der US-Präsident Biden. Mit geradezu traumwandlerischer Fehlsichtigkeit folgt er bei jeder sich bietenden Gelegenheit und unter Berufung auf Gottes Segen nur einem Ziel: America First! Ohne Rücksicht auf die Belange anderer Teilnehmer am Weltgeschehen will er amerikanische Interessen auf der Welt militärisch wie wirtschaftlich durchsetzen. Dass ihn die Ereignisse rechts und links zu überholen beginnen, sieht er nicht.

In seinem Gefolge tummelt sich auch unser Bundeskanzler mit seiner abstrusen Zeitenwende, die offensichtlich nur für ihn und seine Regierung mit ihrer Kehrtwende von einer Friedens- zu einer Kriegspolitik gilt. Diese hat sich überraschend die Zyklopin und Außenministerin auf die Fahne geschrieben. Früher friedliebend grün, sieht sie heute nur noch eine kriegerische Auseinandersetzung mit Russland. Das sieht auch ihr Ko-Zyklop und Wirtschaftsminister so, der völlig übersehen hat, dass er mit seinen Sanktionen dem eigenen Volk mehr schadet als Russland.

Die Liste der Politik-Zyklopen ließe sich schier endlos fortsetzen. So z.B. mit dem MSC-Zyklopen Heusgen, der Recht mit der von den USA diktierten, regelbasierten Ordnung verwechselt und daher deren Durchsetzung postuliert sowie Bestrafung derjenigen fordert, die dieser internationalen Ordnung nicht folgen. Aufrufe für Frieden und gegen Schlachtgetümmel werden verrissen, Voten des Volkes gegen Waffenlieferungen missachtet.

Zur hälfte besetzt – aber voll bezahlt

All diese Zyklopen scheinen dabei getreu dem Kategorischen Imperativ von Kant zu folgen, denn alle handeln beharrlich nur nach den Maximen, durch die sie zugleich wollen können, dass sie zum allgemeinen Gesetz werden. Wunschdenken als politisches Prinzip? Dabei übersehen sie als Einäugige geflissentlich, dass die überwiegende Mehrheit der Erdbevölkerung die Maxime des Westens von Krieg, Frieden und Wirtschaft nicht mehr blind zu folgen bereit ist. Und bei der einäugigen Sicht der Dinge im Westen ist auf einmal das Reich der Mitte da und legt eine Globale Sicherheits-Initiative (GSI) vor. Prompt tobt der US-Zyklop, weil der Vorschlag Chinas den US-Hegemonie-Maximen umfassend widerspricht. Auch dem deutschen Leit-Zyklopen passt der Vorschlag nicht, will er doch gerade Indien bei den neu angestoßenen Vertragsgesprächen wegen Russland unter Druck setzen, muss aber schmerzlich erfahren, dass Druck kein gutes Argument beim Verhandeln ist..

Überhaupt: alle diese Politik-Zyklopen sehen in dem Ukrainekonflikt eine Zeitenwende und Zivilisationsbruch gerne deshalb, weil er von Russland ausgelöst wurde. Nicht gesehen und vergessen sind alle früheren Zeitenwenden als der Aggressor USA grund- und ruchlos über Länder und Völker hergefallen ist. Alles unter dem Deckmantel der von ihm selbst gewollten regelbasierten internationalen Ordnung. Leider gibt es in unserer realen Welt keinen Odysseus, der diesen Zyklopen ihr einziges Auge aussticht. Also tut sich der überwiegende Teil der Menschheit zusammen, um den Zyklopen Einhalt zu gebieten und gleiches Recht für alle Völker durchzusetzen.

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Oben       —      1914 Redon Zyklop anagoria

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DER ROTE FADEN

Erstellt von DL-Redaktion am 31. Januar 2023

Traumtänzer auf der Fakten-Autobahn

Roter Faden Hannover rote Zusatzmarkierung.jpg

Durch die Woche mit Ariane Lemme

Sich die Welt machen, wie sie uns gefällt, funktioniert nur bedingt. Und es gehört sicher nicht zu den Privilegien von Politikmachenden.

Leugnen ist enorm erleichternd. Für einen selbst. Für den Rest der Welt ist es oft einfach enervierend. Ändert aber nichts daran, dass wir uns alle schön und regelmäßig unser Leben zurechtleugnen. Ich zum Beispiel glaube zurzeit tatsächlich, dass ich noch nie besonders viel Schlaf gebraucht habe und einfach „effizient“ schlafe. Fünf Stunden Koma, dann bin ich wie neu. Oder dass ich ganz bestimmt, wenn unsere Kinder erst etwas größer sind, wieder mit meinen Freundinnen die Welt bereisen und Bücher schreiben werde. Was einen halt so durch den Tag bringt.

Gute Leugner gehen gern in die Politik. Sagen, was ist (etwa: wir sind im Krieg mit Russland, die Klimakatastrophe ist unausweichlich, falls wir nicht endlich unsere verweichlichten westlichen Hintern hochkriegen), kommt da irgendwie nicht so gut an. Wenn die eigenen Illusionen aber deckungsgleich genug mit denen anderer Traumtänzer sind, kann man sogar als vor wenigen Jahren noch halbtot geglaubte Partei eine Regierung terrorisieren.

Wie diese Woche: „Der Autobahnausbau hat mit den Klimazielen gar nichts zu tun.“ So gelogen vom FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler im Deutschlandfunk. Dabei hat eine Studie des Umweltbundesamts ebenfalls diese Woche erst gezeigt, dass ein Tempolimit zweieinhalbmal mehr CO2 einsparen würde als gedacht. Würde man nicht nur auf Autobahnen ein Limit von 120 km/h umsetzen, sondern auch eines von 80 km/h auf Landstraßen, könnte so ein Sechstel der nötigen CO2-Einsparungen für die 1,5 Grad-Grenze erreicht werden.

Gut, werden Sie jetzt denken, auch auf neu ausgebauten Autobahnen könnte man langsamer fahren, vorausgesetzt, die FDP ließe das zu. Doch für die Idee, mehr Straßen seien der richtige Abzweig in die Verkehrswende, braucht man natürlich ebenso viel guten Willen. Aber hey, nichts für ungut, FDP. Auch mein Gehirn spielt viele Fakten zugunsten meines Weltbilds runter und hält nur ein begrenztes Maß an Widersprüchen aus. Wie den, dass Menschen, die meine volle Solidarität haben, nicht unbedingt besonders nett sein müssen – sozusagen als Gegenleistung.

In Deutschland brauchen Idioten gar nicht geboren werdem. Wir sehen sie bereits in der Politik, frei umherlaufen.

Das Ganze funktioniert natürlich umso besser, je mehr Leute den Quatsch glauben wollen. Ja je größer die Zahl der Gläubigen, desto besser. Gut zu beobachten war das – ebenfalls diese Woche – mal wieder beim Erinnern an die Befreiung von Auschwitz vor 78 Jahren. Dem Auftakt sozusagen zu einer der Lieblings-Illusionen hierzulande, nämlich der, dass bald darauf auch wir Deutschen durch die Alliierten von dieser Zecke Nationalsozialismus befreit wurden – als hätte die nicht einen ganz dankbaren Wirt gehabt.

Geht’s dagegen um private Belange, ist das mit dem Leugnen meist nur so semi-erfolgreich. Mit Entsetzen (ob meines ebenfalls erfolgreich verleugneten Alters!) musste ich mich diese Woche auch noch an die Lewinsky-Affäre erinnern. 25 Jahre ist es her, dass Bill Clinton glaubte, das Leugnen sei eine super Idee. Und ja: Seine ist eine der ganz wenigen politischen Lügen, die mir sympathisch sind. Weil: was gehen­ mich und Millionen das Sexleben anderer an – auch wenn’s der US-Präsident ist?

Quelle        :        TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Oben        —     Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

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Knapp überm Boulevard

Erstellt von DL-Redaktion am 24. Januar 2023

Wenn das Volk die Demokratie stürmen will

Schafherde mit Schäfer.jpg

Eine Kolumne von Isolde Charim

Als am 8. Jänner Tausende Anhänger des abgewählten Präsidenten Jair Bolsonaro Regierungsbauten in Brasilia stürmten, war das ein Déjà-vu. Schon gesehen wurde es fast auf den Tag genau vor zwei Jahren – am 6. Jänner 2021 beim Washingtoner „Sturm aufs Kapitol“. Dieser hat nun eine Art Reenactment erfahren – eine Wiederaufführung, eine Re-Inszenierung.

Ein Déjà-vu hat man aber auch schon in Europa haben können. Etwa bei der Querdenker-Demonstration 2020 in Berlin, wo ein Sturm auf den Reichstag schon auf dessen Stufen endete. Auch bei der kürzlich inhaftierten Reichsbürgergruppe kursierten solche Vorstellungen – hier blieb es bei Fantasie und Plan. Insgesamt kann man aber sagen: Es gibt ein wiederkehrendes Muster, das sich in Brasilien nun in einer krassen Variante zeigte.

Wie bei all diesen Versuchen blieb man auch diesmal perplex zurück: Kann denn irgendjemand glauben, dass so ein Staatsstreich funktioniert? Kann irgendjemand glauben, dass solcherart ein Putsch gelingen könnte? In Brasilien waren noch nicht einmal Politiker am Ort des Geschehens. Es war Sonntag. Worum geht es dabei also?

Viele Kommentatoren sprachen von einem Fake-Putsch, von einer Umsturzgeste, die auf Demütigung, nicht auf Eroberung der Macht zielte. Ein anarchisches Spektakel, das eingängige Bilder produzierte.

Aber die Vorstellung eines Spektakels bleibt äußerlich. Damit erfasst man nicht, was diese Leute angetrieben und getrieben hat. Angetrieben sind sie von Politikern ebenso wie von Verschwörungsfantasien – getrieben zu etwas, was nicht nur ein Fake, eine Geste ist, sondern der reale Vollzug eines symbolischen Akts.

Das Paradoxe daran ist: Dieser symbolische Akt ist die Re-Inszenierung eines viel älteren Originals. Er ist gewissermaßen die Wiederaufführung einer demokratischen Urszene: Das Volk stürmt den Ort der Macht. Aber die Neuinszenierung weist deutliche Unterschiede auf. Richtete sich die historische Szene gegen eine monarchische Macht mit dem Ziel, Demokratie herzustellen, so ist es heute genau umgekehrt. Das ganze symbolische Arsenal an aufgeladenen Gesten, Parolen, Szenerien wird nun gegen die Demokratie aufgefahren.

Die Urszene wird gezielt als Überschreitung der Demokratie inszeniert. Dazu gehört wesentlich das ostentativ ungenierte Lümmeln auf Amtssesseln – nicht nur als Eindringen, sondern auch als Einnehmen des Sitzes der Macht. Physisch und symbolisch zugleich. Oder eine Kopie der Verfassung mitnehmen und sie johlend zur Schau stellen. Wie das Entweihen einer Reliquie. Eine Schändung der Demokratie gewissermaßen – was aber nur möglich ist, wenn diese zum Heiligtum erstarrt ist. Es geht also um Blasphemie, bei der demokratische Formen als Gegendemokratie aufgefahren werden.

Auch diese Gegendemokratie hat sich verändert. Ursprünglich bezeichnete der französische Theoretiker Pierre Rosanvallon eine aktive Zivilgesellschaft, die sich als Korrektiv der Politik verstand, als Gegendemokratie. Das meinte eine produktive Institutionalisierung von Misstrauen. Das genuin demokratische Konzept einer Kontrolle der Macht.

Quelle       :        TAZ-online          >>>>>          weiterlesen 

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Oben      —       Eingezäunte Schafherde mit Schäfer auf der Dreiborner Hochfläche im Nationalpark Eifel.

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Unten          —      Trump-Unterstützer vor dem Kapitol nach 16 Uhr

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Rechte Systemsprenger

Erstellt von DL-Redaktion am 15. Januar 2023

Die Politik mit dem Mythos

Englisch: Viktor Orbán auf Ungarisch Parlameint, 1997 Magyar: Orbán Viktor a Magyar Parlamentben, 1997-ben

Der russische Überfall auf die Ukraine, darüber besteht Einigkeit, ist eine Schocklüftung im Raum westlicher Illusionen. Der Traum von einer friedlichen Weltgesellschaft ist ausgeträumt, und anstatt kooperativ zusammenzuwachsen, zerfällt sie in feindliche Großräume, in Blöcke und Einflusszonen. Künftig, so heißt es, stehen sich zwei Systeme unversöhnlich gegenüber. Auf der einen Seite der neue Ostblock aus Russland und China mit Führerkult, Ultranationalismus, Hightech-Überwachung, Willkür, Massenmanipulation, Gehirnwäsche, Straflagern und einem autoritär erstickten Dasein. Auf der anderen, der westlichen Seite bleibe trotz innerer Anfechtungen alles beim Alten. Nach Putins Krieg wissen Liberale wieder, warum sie auf der Welt sind. Sie verteidigen den letzten Hort der Freiheit. Sie verteidigen den aufgeklärten Westen.

Waschechte Demokratien gegen lupenreine Despotien: Die Beschreibung klingt griffig, aber sie greift nicht. Es fehlt der Hinweis, dass auch in westlichen Staaten Systemsprenger am Werk sind und entlang einer identischen ideologischen Linie die Axt an den Liberalismus legen. David Brooks hat recht, wenn er bemerkt, die „verbitterten Hassreden illiberaler Herrscher wie Putin, Modi und Jair Bolsonaro“ klängen genau so „wie die populistische Rhetorik, die die Trumpsche Rechte, die französische, die italienische und die ungarische Rechte benutzt“.[1]

Komplizierter gesagt: Der Systemkonflikt zwischen Demokratie und Autokratie beschränkt sich nicht auf geopolitisch getrennte Großräume, sondern wiederholt sich als asymmetrische Spiegelung im Binnenraum westlicher Gesellschaften. Anders als die populäre Behauptung von der neuen Weltspaltung Glauben machen will, wird „der Westen“ nicht nur von außen bedroht, sondern auch durch sich selbst.

In Italien regiert die Postfaschistin Giorgia Meloni, deren Partei sich mit einem Wappen schmückt, das unter anderem den Sarg Mussolinis symbolisiert. In Frankreich schleicht die schwarze Katze eines „geläuterten“ Faschismus durchs Gelände, sie ist, auch dank Putins Zufütterung, dick und fett geworden; fast 42 Prozent der Wähler schenkten Marine Le Pen bei der letzten Präsidentschaftswahl ihre Stimme. In Ungarn gewann mit Viktor Orbán ein Mann die Wahl, der mitten in Europa ein zweiter Putin werden möchte. Im österreichischen Nachbarland führten FPÖ-Mitglieder über Jahre mit dem Kreml ihr Tänzchen auf, und die Alternative für Deutschland unterhält herzliche Beziehungen zur rechtsradikalen russischen Intelligenz.[2]

Derweil erweckt in den Vereinigten Staaten der Journalist Tucker Carlson (Fox News) stellvertretend für eine Vielzahl „patriotischer“ Rechter den Eindruck, seine Liebe zur russischen Diktatur sei größer als die zur eigenen Demokratie. Auch der Klerikalfaschist Franco kommt wieder zu Ehren, der Republikaner Anthony Sabatini verbreitet dessen Parole „Ich verantworte mich nur vor Gott und der Geschichte“.

Das alles wäre bloß bizarr, besäßen die politischen Kämpfe in den USA nicht eine weltgeschichtliche Dimension. Für den Fall, dass der Putschist Donald Trump (oder einer seiner ideologischen Doppelgänger) die nächste Wahl gewinnt, könnte die Rechte im Herzland des Westens ihr autoritäres Projekt vollenden. Als Präsident, sagt Fiona Hill, die frühere Russland-Direktorin des National Security Council, habe Trump „im Verlauf seiner Amtszeit Putin sowohl in seinen politischen Methoden als auch in seinen Vorlieben stärker geähnelt als seinen amerikanischen politischen Vorgängern der jüngeren Zeit“.[3]

Blockübergreifende Bündnisse der Neuen Rechten

Um es auf eine Formel zu bringen: Während die Welt in feindselige Lager zerfällt, schmiedet die internationale Rechte blockübergreifende Bündnisse und arbeitet an einer historisch neuen Konvergenz der Systeme.

Ihre Vordenker organisieren Austauschdiskurse und machen mobil für einen globalen Kulturkampf gegen den Liberalismus. Aufschlussreich ist dabei, dass dessen Inhaltsstoffe aus jenem Mythen- und Gedankendepot stammen, mit dem bereits die Abwehrschlacht gegen Aufklärung und Französische Revolution gespeist wurde.[4] Doch während sich der Antiliberalismus des 19. Jahrhunderts weitgehend innerhalb der europäischen Nationalstaaten entfaltete, so operiert er heute auf Weltebene. Im orchestrierten Gleichklang und über Ländergrenzen hinweg besingen russische, amerikanische und europäische Rechte die Herrlichkeit von Reich und Vaterland und machen, so Timothy Snyder, Reklame für eine reaktionäre „Politik der Ewigkeit“.[5] Mit wachsendem Erfolg bringen sie die „Wahrheit“ der Mythen gegen „die totalitären Tendenzen im Liberalismus“[6] in Stellung, gegen die Ideen von Fortschritt und Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit.

Es ist nicht ohne Ironie, dass Intellektuelle, die vom Rückzug in nationale Räume träumen, weltweit dieselben Gewährsleute in den Zeugenstand rufen, vorneweg Edmund Burke, Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger, Oswald Spengler, Julius Evola, Alain de Benoist sowie den deutschen Exportschlager Carl Schmitt.

Die Mythen der Vergangenheit feiern  heute wieder Zukunft.

Auch der gesichert konservative Philosoph Leo Strauss, der 1938 vor Hitler in die USA flüchten musste, ist ein gern zitierter Kronzeuge der antiliberalen Allianz und gehört sogar an chinesischen Universitäten zur Pflichtlektüre.[7] Vor allem das Claremont Institute nordöstlich von Los Angeles steht ganz im Zeichen von Strauss’ Liberalismuskritik, und man sagt nichts Falsches, wenn man die „Claremonsters“ als intellektuelle Eskorte der trumpistischen Revolution bezeichnet. Am Institut lehrt zum Beispiel der Jurist John Eastman, der Trump im Vorfeld des Kapitol-Sturms beratend zur Seite stand, und Senior Fellow ist jener Glenn Ellmers, der dem Ex-Präsidenten Versagen vorwirft. Trump habe die Disziplin gefehlt, um das „postamerikanische Amerika“ endgültig umzustürzen und eine Konterrevolution anzuzetteln. Zerstörung, nicht Bewahrung müsse das konservative Prinzip sein. Alles, auch die „großen Kirchen, die Universitäten, die Populärkultur und die Unternehmenswelt sind durch und durch verdorben […]. Was wir brauchen, ist ein Staatsmann, der sowohl die Krankheit, an der die Nation leidet, als auch die revolutionäre Medizin, die zur Heilung erforderlich ist, versteht.“[8]

Die Linke wiederholt ihre alten Fehler

Weit vor den Wahlen in Italien hat sich der englische Politikwissenschaftler und Autor Paul Mason alarmiert darüber gezeigt, dass die Öffentlichkeit die Faszinations- und Verführungskraft rechter Bewegungen unterschätzt. Auch die Linken, schreibt er in seinem Buch „Faschismus“, seien nicht gut gerüstet und wiederholten ihre alten Fehler im Kampf gegen die Weimarer Reaktion.[9] Fixiert auf die rechte Ideengeschichte, seien sie blind für die kulturrevolutionären Strategien, mit denen die globalisierte Anti-Moderne auf vorpolitische Gefühlslagen zielt, auf Deklassierungsängste und Weltbewältigungsstress. Mit ihren Mythen, so Mason, bewirtschaften rechte Politiker eben nicht nur die Wut der Unterprivilegierten, sondern auch den Zorn der Unglücklichen; sie dringen in psychische Resonanzräume ein, die linken und liberalen Politikern verschlossen bleiben. Linke, so ließe sich mit Mason sagen, fordern das Vernünftige und Richtige; sie fordern höhere Mindestlöhne, höhere Renten, bessere Schulen, mehr Kitaplätze und mehr Gerechtigkeit sowieso. Die Rechte verspricht – solange sie in der Opposition ist – zwar ebenfalls mehr Gerechtigkeit, doch darüber hinaus verspricht sie noch viel mehr. Sie verspricht nicht bloß praktische Erleichterung, sondern existenzielle Erfüllung. Nicht einen verbesserten Alltag, sondern ein neues Leben.

Nichts an diesem Programm ist überraschend. Rechte Theoretiker wie Carl Schmitt haben den Liberalismus schon immer wegen seiner „blutleeren“ Nüchternheit angegriffen und die imaginative Armut seiner Verfahren beklagt. Weder im demokratischen Prozess noch in Fetischbegriffen wie Menschheit und Vernunft, schrieb er 1926, liege „der stärkere Mythus“; er liege vielmehr „im Nationalen“, im „Bewusstsein einer Schicksalsgemeinschaft“, in Tradition, Sprache, gemeinsamer Kultur. Nicht leblose Verträge, sondern lebendige Affekte, nicht blasse demokratische Prozeduren, sondern plastische Mythen bildeten „das Prinzip der politischen Wirklichkeit“. Gegen den kollektiven Enthusiasmus, den Mythen erzeugen, habe der „relative Rationalismus des parlamentarischen Denkens seine Evidenz verloren“.

Schmitts Paradebeispiel ist der italienische Faschismus. Weil Benito Mussolini erkannt habe, dass die Gesellschaft nicht von demokratischer Übereinkunft, sondern von mythischem Begehren getragen werde, sei es ihm gelungen, „unter bewusster Berufung auf den Mythos Menschheitsdemokratie und Parlamentarismus verächtlich beiseite“ zu schieben. Und das, nachdem der „nationale Enthusiasmus auf italienischem Boden bisher […] ganz von der Ideologie des angelsächsischen Liberalismus beherrscht zu sein schien“.[10]

Überflüssig zu sagen, dass die Überzeugung, nur konkrete Mythen (und nicht abstrakte Verfahren) konstituierten „das Prinzip der politischen Wirklichkeit“, auch heute noch zum Glaubensbestand der kulturrevolutionären Rechten gehört. Niemand ist so besessen von schlagkräftigen Bildern und mythischen Formeln wie sie – „Gott, Familie, Vaterland“, so der Slogan der italienischen Postfaschisten –, und wenn die Sache nicht so ernst wäre, müsste man lapidar feststellen, dass die rechte Ideologieproduktion bloß die modulare Plattformstrategie der Autoindustrie kopiert. Das tragende Element ist überall identisch, es ist der Kampf gegen alles, was dem Autokraten störend im Wege steht, also unabhängige Gerichte, Medien, Künste, Wissenschaften und so weiter. Was dagegen je nach Land, Region und Gelegenheitsstruktur variiert, das ist die mythologische Lackierung des Produkts, die in Frankreich naturgemäß anders aussieht als in Polen.

Kulturkampf mit rechten Mythen gegen die »liberale Kultur«

Gewiss, auch in den Tempojahren der Globalisierung waren nationale Mythen nie vollständig verschwunden, einige erlebten sogar ein Revival. Der uniformierende Zwang, den das internationale Rechts- und Handelssystem ausübte, nötigte die Staaten dazu, durch Nation-Branding ein Alleinstellungsmerkmal zu erzeugen, ein kulturell zwar signifikantes, im Grunde aber beliebiges und politisch folgenloses Unterscheidungsmerkmal in der Arena der Weltgesellschaft. Heute, nach dem angeblichen Scheitern der Globalisierung, ist für rechte Vordenker die Ära der nationalfolkloristischen Selbsttätowierung vorbei. Die Kultur ist für sie kein Identitätsmarker mehr, keine Rest- und Randerscheinung in der Moderne, sondern ein Selbstbehauptungsmittel gegen die Moderne. Der Sieg über den Liberalismus, davon sind sie überzeugt, kann nur mit den Mitteln des Kulturkampfs errungen werden, mit der mythischen Reserve der Nation. Der Gegner heißt nicht Kapitalismus. Der Gegner heißt „liberale Kultur“.

Erst vor diesem Hintergrund wird der zähe Eifer verständlich, mit dem rechte Programmplaner nach sagenhaften Vergangenheiten und völkischen Narrativen graben. Vor allem Ursprungsmythen erfreuen sich großer Beliebtheit, zum Beispiel heldenhafte Geschichten aus dunkler Vorzeit, zarte reichsrussische Regungen im Quellgebiet der Kiewer Rus, siegreiche Schlachten auf Amselfeldern, der Kosovo als mythische Wiege Serbiens oder das Sacrum Imperium des Abendlands im Ganzen. Hinzu kommen triviale synthetische Neuschöpfungen. Auch sie verschmelzen die Erinnerung an eine glorreiche Vergangenheit mit der Kritik an der elenden Gegenwart zum kontrastiven Versprechen einer wieder goldenen Zukunft. Neo-Mythen verheißen die Rückkehr in eine Zeit, in der die Nation groß, der Kapitalismus unschuldig, das Klima mild, die Männer weiß, die Verhältnisse patriarchal und der nationale Raum geschlossen war.

Ob Hymne oder Fahne – im Reichstag sitzen republikanische Bananen. 

Die Zukunft als Wiederholung der Vergangenheit

Berühmt und berüchtigt ist das „Take back control“ der Brexiteers und ihr Mythos vom „Global Britain“: „Unsere gemeinsame Zukunft ist golden“ (Boris Johnson). In Frankreich stellt Marine Le Pen die Wiederkehr der Trente Glorieuses in Aussicht, jene zum Mythos gewordene Nachkriegsepoche, als das französische „Leben“ (ihr Lieblingswort) weder von Zuwanderern noch von deutschen Autos, noch von der mondialisation belästigt wurde. In den USA wiederum bilden nicht die 1950er, sondern die 1930er Jahre die Referenzepoche der Rechten. Damals tauchte zum ersten Mal der Schlachtruf „America First“ auf, übrigens als Kampfformel gegen Franklin D. Roosevelts New Deal. Damals wie heute ist es angeblich „das Volk“, das diese Politik einfordert, denn im rechten Weltbild ist das Volk revolutionär aus restaurativem Interesse. Der Sturm aufs Kapitol, weiß Putins Wunschkandidat Donald Trump, „stellte die größte Bewegung in der Geschichte unseres Landes dar, um Amerika wieder großartig zu machen“.[11] Wie der von Hedgefonds mitfinanzierte Brexit gezeigt hat, sind solche Neomythen kinderleicht zu fabrizieren und finden bei falschen Propheten rasend schnell Absatz, und zwar weltweit.

Längst ist die rhetorische Figur, wonach die Zukunft in der erlösenden Wiederkehr einer glücklichen Vergangenheit besteht, keine Spezialität der europäischen Rechten mehr, sondern existiert in allen möglichen Ausführungen, sogar in einer chinesischen. In seinem Buch „Alles unter dem Himmel“ preist der Pekinger Philosoph Zhao Tingyang eine uralte chinesische Herrschaftsordnung an, die zum Mythos verklärte „Tianxia“. Aufgrund ihrer föderalen Struktur sei sie bestens dazu geeignet, das amerikanische Modell der Globalisierung abzulösen und einer vom kapitalistischen Konkurrenzliberalismus zerfressenen Welt den Frieden zu bringen – die Zukunft liegt in der „Wieder-Holung“ der Vergangenheit.[12] Verblüffend ähnlich argumentiert Alexander Dugin. Zwar ist dem rechtsradikalen Moskauer Philosophen jede unipolare Weltordnung zuwider, selbst eine chinesische, doch auch das Idol aller westöstlichen Querfronten ist davon überzeugt, nur die Wiederbelebung des Alten könne Russland davor bewahren, von westlicher Dekadenz überrollt zu werden. „Nihilistisch“ nennt Dugin den Westen deshalb, weil er das Lebendige auslösche: Zuerst neutralisiere er die Geschlechterpolarität, dann schaffe er den Menschen selbst ab und ersetze ihn durch Maschinen. Dugins Alternative ist ein retrofuturistisches Regime, das Kommunismus, Faschismus und Liberalismus zugunsten einer – im Sinne des Wortes – postmodernen Gesellschaft überwindet.

Quelle    :         Blätter-online           >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben      —     Viktor Orbán im ungarischen Parlament, 1997Magyar: Orbán Viktor a Magyar Parlamentben, 1997-ben

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Unten         —       11. Februar 2012 Protest gegen ACTA in München, Flagge „Bananenrepublik

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Grüne für CO2-Endlager

Erstellt von DL-Redaktion am 23. Dezember 2022

Kehrtwende von Klimaminister Habeck

Reichstagsgebäude von Westen.jpg

Niemand will doch den Dreck haben! Warum wird nicht der Reichstag Untertunnelt? Wo doch nirgendwo Anders sonst,  die Ursachen und die eventuell entstehenden Nachwirkungen so eng beieinander lägen ? Fahne, Hymne, Adler und-und wer kassierte noch mit aus den politischen Atom-Clan ?? 

Von Bernward Janzing

Wirtschafts- und Klimaminister Habeck denkt über die Verpressung von Kohlendioxid unter der Erde nach. Die FDP applaudiert, Umweltverbände protestieren.

Die Grünen vollziehen eine markante Wende. Lange hatten sie die Abscheidung und Endlagerung von Kohlendioxid vehement abgelehnt. Jetzt zeigt sich Wirtschaftsminister Robert Habeck plötzlich offen für das soge­nannte CCS (Carbon Capture and Storage).

Im Evaluierungsbericht der Bundesregierung zum Kohlendioxid-Speicherungsgesetz heißt es, die Bundesregierung werde „die Ermöglichung der CO2-Speicherung in Deutschland“ prüfen, auch jene „unter dem Meeresboden“. Der Koalitionspartner ist seit Langem für CCS: FDP-Vizefraktionschef Lukas Köhler betonte, nun müssten die rechtlichen Rahmenbedingungen auch für „den Transport und den Export“ von CO2 geschaffen werden. Aktuell ist die Speicherung von CO2 in Deutschland sowohl an Land als auch im Meer unzulässig.

Das könnte sich nun ändern. Im kommenden Jahr will die Bundesregierung eine „Carbon-­Management-Strategie“ erarbeiten, in der CCS und zudem CCU untersucht und am Ende wohl zugelassen werden sollen. Unter CCU (Carbon Capture and Utilization) versteht man die anschließende Verwendung des CO2, zum Beispiel in der Chemieindustrie.

Ein Grund für die neue Stoßrichtung der Bundesregierung könnte in der Erkenntnis liegen, dass sie ihre großen Wasserstoffpläne nur mit dem sogenannten blauen Wasserstoff überhaupt erreichen kann; dieser wird aus Erdgas erzeugt, wobei das entstehende CO2 dann im Untergrund verpresst wird.

„Enormer zusätzlicher Energieaufwand“

Der Einsatz von CCS und CCU bedürfte zahlreicher neuer gesetzlicher Regelungen. Die Bundesregierung spricht unter anderem von einer „Erweiterung der Enteignungsvorschrift“ und davon, dass ein „insti­tu­tio­na­lisiertes Governance“ geschaffen werden müsse, ferner ein „robustes und transparentes System von Monitoring, Reporting and Verification“ – ein großes Geschäft also für Zertifizierungsunternehmen.

Die Kritikpunkte an CCS sind vielfältig. Wiederholt wies das Umweltbundesamt auf den „enormen zusätzlichen Energieaufwand für die Abscheidung, den Transport und die Speicherung“ hin. Der Einsatz der CCS-Technik erhöhe „den Verbrauch der begrenzt verfügbaren fossilen Rohstoffe um bis zu 40 Prozent“.

Radioactive keeper drums.JPG

Unterschiedlich positionieren sich die Umweltverbände. Germanwatch veröffentlichte diese Woche zusammen mit Industrieverbänden, wie etwa der Zementindustrie und der Gas Lobby, ein Positionspapier dazu. Es empfiehlt, „regulatorische Hindernisse für CCS und CCU aus dem Weg zu räumen“, um somit eine „CO2-Offshore-Speicherung in der Nordsee“ zu ermöglichen. Weil „CCS/CCU-Wertschöpfungsketten derzeit wirtschaftlich noch nicht darstellbar“ seien, bedürfe es zudem einer entsprechenden Förderung.

Konträr positioniert sich der Umweltverband BUND. Die Koalition dürfe „den klimaschädlichen Fantasien der Industrie nicht nachgeben“, sagt BUND-Chef Olaf Bandt. Die Meere seien „nicht die Müllhalde der Menschheit“. In den Seegebieten CO2 zu verpressen, könnte zwar profitabel für die Gasindustrie sein, bedrohe aber „den Lebensraum am Meeresboden“.

Risiko Erdbeben

Quelle         :          TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Oben     —      Reichstagsgebäude, von Westen gesehen

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Linke und Rechte Wege ?

Erstellt von DL-Redaktion am 2. Dezember 2022

Gegen den Links­konservatismus

Von Pascal Beucker

Am Samstag trifft sich die „progressive Linke“ in Berlin, um die Zukunft der Linken zu beraten: Eine zentrale Rolle dürfte eine Abrechnung mit dem Politikansatz von Sahra Wagenknecht spielen.

Es ist ein Rettungsversuch. „Es geht um nicht mehr und nicht weniger, als darum zu kämpfen, dass es die Linke auch in Zukunft noch gibt“, sagt der Ex-Bundestagsabgeordnete Thomas Nord, einer der In­itia­to­r:in­nen des „Treffens progressiver Linker in und bei der Partei Die Linke“, das am Samstag in Berlin stattfindet. Auf der Tagung wollen Bundes-, Landes-, Europa- und Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r:in­nen der Partei darüber beraten, wie der dramatische Abwärtstrend gestoppt werden kann.

Keine Frage, um die Partei ist es nicht gut bestellt: Zermürbt von heftigen innerparteilichen Grabenkämpfen, verliert sie massiv an Mitgliedern. Auf ihrem Höhepunkt 2009 gehörten der Partei noch mehr als 78.000 Menschen an, inzwischen sind es gerade mal noch rund 56.000. Ein zentraler Grund für den problematischen Zustand: Die Unfähigkeit der Partei- und der Unwillen der Fraktionsführung, den Konflikt mit den „linkskonservativen“ Positionen von Sahra Wagenknecht und ihrem Anhang zu klären, lässt viele ratlos zurück, wofür die Linkspartei eigentlich noch steht. Die Folge: In bundesweiten Umfragen rangiert sie nur noch zwischen 4 und 5 Prozent.

In manchen westlichen Ländern weisen die Umfragen mittlerweile nicht einmal mehr einen messbaren Zuspruch auf. Gleichzeitig kann die Schwäche im Westen nicht mehr durch gute Ergebnisse in den ostdeutschen Ländern kompensiert werden, weil dort – mit Ausnahme Thüringens – der Wäh­le­r:in­nen­zu­spruch ebenfalls rückläufig ist.

„Eine linke Partei, die nicht als solche erkennbar ist, wird nicht gewählt, verschwindet in der Bedeutungslosigkeit“, warnt der stellvertretende Parteivorsitzende Lorenz Gösta Beutin. „Deshalb brauchen wir die Entscheidung, welchen Weg wir gehen: weiter zu einer progressiven Linken, in der Menschenrechte und soziale Rechte unteilbar sind, oder hin zu einer national-populistischen Partei, die Minderheitenrechte verächtlich macht, Lohnabhängige gegen Klimabewegte, queere Menschen und Mi­gran­t:in­nen ausspielt“, sagte er der taz. Auch Beutin gehört zu den Ein­la­de­r:in­nen des Treffens.

Eine zentrale Rolle bei dem Event dürfte eine Abrechnung mit dem Politikansatz Wagenknechts sein. Ihr „Linkskonservatismus“ – eine Eigenbeschreibung aus ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ – grenze sich fatalerweise „offensiv von sozialen, antifaschistischen Bewegungen und solchen gegen Diskriminierungen, von linker Organisierung in Gewerkschaften, konkreter Solidarität und Internationalismus ab“, heißt es dazu in einem der taz vorliegenden Entwurf für eine gemeinsame Erklärung, die am Samstag verabschiedet werden soll.

Quelle        :       TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Oben     —       Foto: Martin Heinlein

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Politik+(ihre) Gerichtskultur

Erstellt von DL-Redaktion am 29. November 2022

Ist Unbefangenheit möglich?

Old Bailey Microcosm bearbeitet.jpg

„The Old Bailey, auch bekannt als Central Criminal Court“

Eine Kolumne von Thomas Fischer

Kann man von Gerichten fordern, sie mögen täglich wertegetränkte Zeichen setzen, und zugleich, sie sollten objektiv, neutral, distanziert sein? Über Parteilichkeit in der Justiz und bei uns allen.

Einleitung

Befangenheit. Wie lockt man, so fragt sich der Autor, die Leser auf diese Gedankenwiese, da doch täglich der Weltuntergang droht und das Parteiischsein sich als definitives Überlebensprinzip von uns, euch, des Guten, Deutschland usw. durchgesetzt zu haben scheint? Anders gefragt: Ist es noch vertretbar, nicht parteiisch zu sein? Wenn ja: für wen und gegen was?

Betrachten wir die öffentliche Kommunikation der professionellen Kommunikatoren, so erleben wir in endloser Wiederholung: Es habe, so dürfen wir sehen, hören und notfalls auch lesen, dieser und jene »auf Twitter geschrieben, dass…« »Auf Twitter« teilt niemand mit niemand, dass es regnet oder Bayern unentschieden gespielt hat, sondern alle immerzu nur, wie sie das »finden«. Es geht also um absurde Riesenwellen fertiger Ansichten; Begründungen stören nur.

Früher, als ich jung war, also vor etwa 15 Jahren, hieß dieses Universum noch »der Kurznachrichtendienst Twitter«, damit es die Pubertären nicht mit »Twix« und die Rentner nicht mit »Twiggy« verwechselten. Das haben wir hinter uns. Heutzutage bemüht sich, wer immer eine Tastatur oder ein Mikrofon sein Eigen nennt, rund um die Uhr um möglichst viel möglichst nachdrückliche »Meinung«, selbst wenn sie die Wettervorhersage oder die Lottozahlen betrifft: Das eine könnte mit der Schuld der Menschheit als solcher zu tun haben, das andere mit der Hoffnungslosigkeit angesichts dieser Schuld. Also jedenfalls mal eine Herausforderung an den Meinungsgenerator!

Damit bin ich jetzt, wenngleich unforced, bei der »Washington Post« vom 11. Oktober gelandet, die der Meinung ist, die russischen Raketenangriffe auf ukrainische Infrastrukturziele vom 10. Oktober seien eine Kopie der V2-Angriffe der deutschen Wehrmacht auf London und andere Ziele. Da ist einiges dran: »Terror« im ursprünglichen Wortsinn – die Herren Robespierre, Uljanow und Röhm wissen hoffentlich, wovon ich spreche – ist eigentlich keine Handlungsbeschreibung, wie das Volk der Meinungsmaster meint, sondern schlicht, was es heißt: Verbreitung von Schrecken.

Freilich sollten, wenn wir im Zentrum der Wahrhaftigkeit doch (zu Recht) überzeugt sind, dass Terror gegen die Zivilbevölkerung ein verabscheuungswürdiges Verbrechen ist, sich die »Washington Post« und im äußersten Notfall sogar die deutschen Bundesminister fragen (lassen) dürfen, warum die Terrorangriffe auf die Zivilbevölkerungen zum Beispiel von Hamburg (27. Juli 1943, 40.000 tote Zivilisten), Pforzheim (23. Februar 1945, 17.000 tote Zivilisten) oder Würzburg (16. März 1945, 5000 tote Zivilisten) strategisch genial und menschenrechtlich aufs Ganze gesehen okay waren, die Entlaubung von Südvietnam und Laos mittels Dioxin noch besser und die Bombardierungen von Bagdad (13. Februar 1991, 408 tote Zivilisten in einem Bunker) und Varvarin (30. Mai 1999) höchste Gebote der westlichen Werte. Wie Herr Shea, Nato-Sprecher, formulierte: »Der Sieg über das Böse hat immer einen Preis.«

»Ich rufe von dieser Stelle aus alle Mitbürgerinnen und Mitbürger auf, in dieser Stunde zu unseren Soldaten zu stehen.« Das hat nicht Wilhelm Zwo gesagt, auch nicht Herr Brandt oder Herr Kyrill. Es sprach ein Friedenskanzler aus Hannover und ließ, Herrn Joschka F. mit blutigem Ohr im Rücken, die Bundeswehr – vielleicht ein bisschen entgegen dem Völkerrecht, aber gewiss nicht ohne Grund – Fernsehsender, Raffinerien, E-Werke und Brücken bombardieren, also ähnliche Ziele wie derzeit der Kriegsverbrecher, der sein Freund ist. Deutschland war begeistert und wieder wer.

Der Kolumnist weiß nicht ganz genau, wie sich das aus der Sicht zum Beispiel des Pazifismus mit möglichst schweren Waffen anfühlt, also in einer Welt, in welcher die ideologisch wertebasierte Befangenheit sich zum praktisch bellizistischen Überlebensziel emanzipiert hat. Stalinistisch/maoistischer »Kommunismus« zum Beispiel ist, wie heutzutage alle Hauptschulabbrecher und Fachkräfte wissen, einfach mega falsch. Deshalb war es ja vielleicht doch richtig, dass die Herren (seufz!) Kennedy, Johnson und Kissinger und so weiter einfach getan haben, what a man had to do. Leider in die Hose gegangen, wie es auch den Bestmeinenden gelegentlich passiert: TschetschenienIrakAfghanistanMali

Warum, so ließe sich (ein wenig provokant) fragen, gibt es noch keine TV-Live-Show zur Frage, ob die feministische Außenpolitik und die wertegestützte Klimapolitik heute in den Korea- sowie den Vietnamkrieg ziehen würden, wenn sie es denn entscheiden müssten? Hypothetische Fragen machen ja schließlich auch sonst den weitaus größten Teil aller öffentlichen Diskussionen aus. Und eine wertegestützte Rückabwicklung der Welt-Kriegsgeschichte wäre mindestens so spannend wie die sprachgestützte Rückabwicklung des Handels mit schwarzen Sklaven für die amerikanische Tabakproduktion und mit weißen Sklaven für den Galeerenantrieb.

Unbefangenheit

Dem allgemeinen Rund-um-die-Uhr-Triumph der identitäts- und wertegeleiteten Befangenheit in allen Fragen steht erstaunlicherweise ein mit ebenso großer Leidenschaft vertretener Anspruch entgegen, wonach der Mensch ein allumfassendes individuelles Recht auf »unbefangene« Beurteilung seiner selbst, insbesondere seiner Handlungen, Versäumnisse, Ansichten und Erkenntnisse habe. Unbefangen, also nicht parteiisch, nicht voreingenommen, nur an sachlichen, rational begründbaren Kriterien und Maßstäben orientiert, sollen vor allem sein: Richter, Verwaltungsbeamte, die Entscheidungen treffen, und Sachverständige, die man nicht selbst bezahlt. Die Frage ist unter anderem, wie diese Personen das hinkriegen sollen, und wie das wiederum damit zusammenhängt, dass sie es müssen.

Nun könnte man sagen: So steht es halt in den Gesetzen, insbesondere auch im Grundgesetz. Allerdings ist es hier so wie stets: Aus dem bloßen Sollen folgt nicht zwingend ein Sein. Dass die Menschenwürde unverletzlich ist (Art. 1 Abs. 1 GG), bedeutet ja bekanntlich auch nicht, dass sie faktisch nie verletzt wird. Ganz so einfach ist es also nicht.

Man könnte auch sagen: Neutralität und Unbefangenheit sind einfach eine professionelle »Haltung«, die sich nach irgendwelchen Regeln herstellen, an- oder abschalten lässt, die man in der entsprechenden Ausbildung lernt. Das kommt der Sache schon näher, ist allerdings ebenfalls nicht ganz so schlicht, wie es klingt.

Sie merken das vielleicht, wenn Sie sich einmal probeweise fragen, warum Sie stets die Gerichte oder Sachverständigen, die in Ihrem Sinn entscheiden, für objektiv und neutral halten, diejenigen, die gegen Sie entscheiden, meist für voreingenommen, unqualifiziert und befangen. Oder indem Sie sich einmal fragen, wie es kommt, dass ihre eigenen »Meinungen« zu den Fragen der Welt stets so wunderbar mit der objektiven, unbefangenen Beurteilung übereinstimmen, während diejenigen, die anderer Ansicht sind, meist bewusst oder unbewusst interessengeleitet sind.

Gerichte

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 16.02.2021 (Az. 1128/17, Meng gegen Deutschland) entschieden:

»Die Besorgnis der Parteilichkeit lässt sich nicht allein damit rechtfertigen, dass ein Richter frühere Entscheidungen wegen derselben Strafsache (gegen Mittäter) erlassen hat. Enthält das frühere Urteil bereits eine detaillierte rechtliche Beurteilung der Rolle der später angeklagten Person, können derartige Ausführungen als Vorverurteilung angesehen werden. Das gilt vor allem dann, wenn das frühere Urteil so zu verstehen ist, dass das Gericht bei der später angeklagten Person alle Tatbestandsmerkmale einer angeklagten Straftat für gegeben hält.«

Quelle        :        Spiegel-online           >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —       „The Old Bailey, auch bekannt als Central Criminal Court“

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Unten          —        Thomas Fischer auf der re:publica 2016
Ot – Eigenes Werk
Thomas Fischer (Jurist)
CC-BY-SA 4.0
File:Thomas Fischer-Jurist-rebuliva16.JPG
Erstellt: 4. Mai 2016

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Stimmen aus der Linken?

Erstellt von DL-Redaktion am 28. November 2022

#MeToo und DIE LINKE

So stehe ich hier als arme Thorin und bin nicht Klüger als zuvor?

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Edith Bartelmus-Scholich

Am 15. April 2022 berichtete der Spiegel in einer fünfseitigen Reportage über sexuelle Übergriffe in der hessischen LINKEN. Das ist jetzt mehr als ein halbes Jahr her. Wie geht die Partei DIE LINKE mit den Problemen um?

Der Spiegel-Artikel erschütterte die ohnehin schon angeschlagene Partei. Er belastete die schon vorher geschwächte Vorsitzende Janine Wissler. Er hatte zur Folge, dass auf dem Bundesparteitag in Erfurt im Juni 2022 der Parteivorstand neu gewählt wurde und die Debatte über den Umgang mit #LinkeMeToo großen Raum einnahm. In dieser Debatte erhoben mehrheitlich junge Genossinnen sowohl vor dem gesamten Parteitag als auch im Frauenplenum die Stimme und schilderten eindrücklich ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen oder Sexismus in der Partei. Es waren bewegende Momente eines versuchten Bruchs mit der patriarchalen Unterdrückung von Frauen in der Partei. Sie blieben selten.

Was ist #MeToo?

#MeToo hat Millionen von sexuellen Übergriffen betroffenen Frauen seit seinem Beginn vor 5 Jahren eine Stimme und ein Gesicht in der Öffentlichkeit gegeben. Das war mutig und erfolgreich: Viele Mehrfachtäter sitzen heute hinter Gittern. Viele Millionen Frauen und Männer haben sich mit den Betroffenen öffentlich solidarisiert. Die Gesellschaft ist für sexuelle Übergriffe heute eher sensibilisiert.

Die eigene Geschichte, das eigene Leid, aber auch den Namen des Täters in der Öffentlichkeit zu nennen und seine Bestrafung einzufordern, ist der emanzipatorische Kern von #MeToo. Es ist nicht zufällig, dass #MeToo nicht vor 100 oder 50 Jahren, sondern erst vor 5 Jahren begann. Selbstbewusst das Gesicht zu zeigen und die Stimme zu erheben, die eigene Verletztheit und die Gewalterfahrung zum öffentlichen Thema zu machen, erfordert eine vorausgegangene Emanzipationsgeschichte sowohl wirtschaftlich als auch rechtlich. Die Grundlagen für #MeToo wurden in rechtlicher Gleichstellung und in massenhafter Frauenerwerbsarbeit gelegt. Fast alle Frauen, die sich mit #MeToo zu Wort melden sind erwerbstätig. Millionen Mal erfolgten die offenbarten sexuellen Übergriffe im Rahmen der Erwerbstätigkeit. Gleichzeitig erwächst #MeToo aus einer neuen kämpferischen Welle der Frauenbewegung, getragen von überwiegend jungen Frauen, die sowohl patriarchale Rollenzuweisungen als auch sexualisierte Frauenbilder und sexuelle Gewalt bekämpfen. Ohne diese Voraussetzungen wäre der Erfolg von #MeToo nicht darstellbar.

Patriarchale Reaktion

#MeToo hat allerdings auch zu heftiger Gegenwehr der patriarchalen Gesellschaft geführt. KritikerInnen der weiblichen Gegenwehr warnten schon 2018 vor dem „Klima einer totalitären Gesellschaft“. #MeToo habe eine „Kampagne der Denunziation und öffentlicher Anschuldigungen“ ausgelöst – die Beschuldigten seien auf eine Stufe mit sexuellen Aggressoren gestellt worden, ohne antworten oder sich verteidigen zu können. Als Folge konstatierten sie eine „Säuberungswelle“, von der insbesondere Kunst und Kultur betroffen sei, was letztlich zu einer unfreien Gesellschaft führen könne. Sie befördere zudem einen Puritanismus und spiele so den Gegnern der Emanzipation in die Hände. Zwar sei es legitim, die Formen sexueller Gewalt gegenüber Frauen zu vergegenwärtigen. Eine beharrliche oder ungeschickte Anmache sei jedoch kein Vergehen – schließlich gäbe es keine sexuelle Freiheit ohne eine „Freiheit, jemandem lästig zu werden“.

Aus diesen Argumenten wird klar, dass die sexuelle Freiheit (von übergriffigen Männern) offenbar der seelischen und körperlichen Unversehrtheit von Frauen übergeordnet werden soll. Noch weiter gehen die Angriffe von David Schneider und Thomas Maul in einem Essay in der Zeitschrift Bahamas von März 2018: Die MeToo-Bewegung habe keinen „rationalen bzw. feministischen Kern“ sondern sei „von Anfang an ein hemmungsloser Angriff auf das zivilisierte Zusammenleben in den westlichen Gesellschaften“ gewesen.

Und was ist #LinkeMeToo?

Alle vorgenannten Argumente bekommen betroffene Frauen und ihre UnterstützerInnen auch in linken Zusammenhängen bis hin zur Partei DIE LINKE täglich zu hören. Das Patriarchat bestimmt auch linkes Denken.

Das hat Folgen für den Umgang mit #linkemetoo in der Partei DIE LINKE :

Den Betroffenen von sexuellen Übergriffen und Sexismus in der Partei DIE LINKE wird konsequent die Stimme und das Gesicht genommen. Keinesfalls sollen sie parteiöffentlich sagen, dass sie betroffen von sexuellen Übergriffen sind. Es wird ihnen geraten, nicht den Namen des Täters zu nennen. Das genau ist jedoch der befreiende Kern von #MeToo. Die politische Praxis in der Partei DIE LINKE beraubt die Betroffenen des emanzipatorischen Moments. Wenn #MeToo als eine Selbstermächtigung verstanden werden kann, dann ist #LinkeMeToo das Ersticken einer Selbstermächtigung.

Folgerichtig wird Betroffenen in der Partei DIE LINKE Schweigen empfohlen. Seit einigen Monaten können sie sich zwar an Expertinnen Kommissionen und an Vertrauensgruppen wenden. Dort erfahren sie Unterstützung, aber nicht dabei die Vorwürfe parteiöffentlich zu erheben. Alle Vorwürfe werden praktisch als Geheimsache behandelt. Auch von Dritten, die von der Betroffenen über die Vorwürfe informiert wurden, wird verlangt zu schweigen. Die Unschuldsvermutung gegenüber dem Beschuldigten ist in der innerparteilichen Praxis der Stärkung der Betroffenen übergeordnet.

Betroffene werden ein zweites Mal zum Opfer

Frauen, die sich dem nicht unterwerfen, sondern den Namen des Täters nennen, werden oft mit Unterlassungsklagen überzogen. Im Landesverband Bayern ließ sich ein Beschuldigter dazu von einer Genossin, die Mitglied der Bundesschiedskommission war, anwaltlich gegen Genossinnen, die Vorwürfe gegen ihn erhoben, vertreten. Der Parteikarriere der Genossin aus der Bundesschiedskommission hat es nicht geschadet: Sie ist seit kurzem Sprecherin der bayrischen Landespartei.

Es gibt Rufmordkampagnen und Mobbing gegen Betroffene und deren UnterstützerInnen ohne dass die Vorstände dagegen einschreiten. Aber so gut wie nie hat der Vorwurf einer Genossin Folgen für den Beschuldigten Genossen. Die meisten Parteikarrieren gehen ohne Knick weiter. Zieht sich ein exponierter, beschuldigter Funktionsträger vom Amt zurück, wie zuletzt in NRW, wird die Legende verbreitet, dass seine Ex-Freundin und deren Unterstützerinnen ihn diffamiert und aus dem Amt gemobbt haben. Die Parteikarriere der betroffenen Genossin ist jedoch regelmäßig beendet, sobald sie sich wehrt.

Frauen, die in der Partei DIE LINKE gegen sexuelle Belästigung aufstehen, werden systematisch ein zweites Mal zum Opfer gemacht. Vorwürfe, die schon erwiesen sind, werden dabei kleingeredet und im Umgang mit den Tätern werden Samthandschuhe angezogen. Ganze Strömungen vertreten, dass es faktisch ein Recht auf Selbstverwirklichung durch sexistisches Verhalten geben müsse. Parteitage, wie zuletzt der Landesparteitag in NRW, entgleisen völlig, weil Delegierte ihr vermeintliches Recht Genossinnen herabzuwürdigen und als Objekt zu behandeln, in antifeministischen Redebeiträgen einfordern ohne, dass das Tagungspräsidium auch nur einmal einschreitet. Und in der patriarchalen Partei gibt es zudem eine langjährige Kultur der Kollaboration von Frauen mit übergriffigen Männern, die bis in die höchsten Parteiämter reicht.

Ständige Rückschläge im Kampf gegen Sexismus

Zum Bundesparteitag lag ein Antrag von Feministinnen zur Erneuerung des feministischen Konsens in der Partei DIE LINKE vor. Er wurde verabschiedet und soll nun in den Landesverbänden umgesetzt werden. In NRW war der Landesvorstand mehrheitlich bereit dazu. Der diesbezügliche Beschluss des Landesvorstands wurde von vier Landesvorstandsmitgliedern der Strömung Sozialistische Linke vor der Landesschiedskommission angefochten. Die Anfechtung richtete sich gegen eine Selbstverpflichtung von Funktions- und Mandats Trägerinnen zum Besuch eines Seminars, welches für Sexismus sensibilisieren soll. Im Kern richtete sich damit die Anfechtung auch gegen den Beschluss des Bundesparteitags. Zwei Tage vor einem Landesparteitag signalisierte die Landesschiedskommission, dass sie die Selbstverpflichtung als unzulässigen Eingriff in die Rechte von Funktions- und Mandats Trägerinnen einstuft, und den Landesvorstandsbeschluss aufheben wird. Auf dem anschließenden Landesparteitag gebärdete sich ein Teil der Delegierten triumphalistisch und wie ein sexistischer Sauhaufen.

Erschwerend kommt hinzu, dass es nicht gelungen war auf dem Bundesparteitag eine Satzungsänderung zu beschließen, die er erlaubt hätte, Sanktionen bis hin zum Parteiausschluss gegen überführte Genossen zu verhängen. So bleibt es dabei, dass selbst langjährig als übergriffig bekannte Männer nicht sanktioniert werden können. Auch ist es bislang nicht durchsetzbar, dass Beschuldigte bis zur Klärung der Vorwürfe ihre Ämter ruhen lassen.

Transformative Gerechtigkeit als Perspektive?

Bei sexuellen Übergriffen möchte die Partei DIE LINKE zukünftig das Konzept der transformativen Gerechtigkeit anwenden. Transformative Gerechtigkeit ist eine Idee und Bewegung, die in USA von Schwarzen Cis-Frauen, Queers und Trans*-Menschen getragen wird. Die Bewegungen steht auch für Widerstand gegen den industriellen Gefängnis- Komplex, weißen Mainstream-Feminismus und institutionalisierte Anti-Gewalt-Arbeit. Es handelt sich um ein Konzept welches auf Verbrechen angewendet wird bei denen Täter und Opfer gesellschaftlich marginalisiert sind.

Viele Jahre probiert – aber nichts ist passiert! Haben zu viele Sargnägel der Partei vielleicht im Bundestag gesessen?

Eine Verletzung, z.B. ein sexueller Übergriff, wird als zwischenmenschliche Verletzung begriffen. Daher steht die Wiedergutmachung des erlebten Unrechts im Verhältnis zwischen der verletzten Person und dem Täter im Vordergrund. Die Verantwortungsübernahme der gewaltausübenden Person für ihre Tat ist dabei ausschlaggebend.  Transformative Gerechtigkeit hat nicht das Ziel, die gewaltausübende Person zu bestrafen oder auszuschließen. Gleichwohl hat sie auch gerade nicht das Ziel, sie zu schützen. Vielmehr folgt sie der Annahme, dass für Verletzte oft bessere Ergebnisse erzielt werden können, wenn ausgehend von den Bedürfnissen und Wünschen der verletzten Person ein Dialog mit dem Täter versucht wird. Die kontinuierliche Einbeziehung der Betroffenenperspektive ist deshalb unverzichtbar.

Hierbei gibt es ein praktisches und ein grundsätzliches Problem. Erfolgreiche Prozesse der transformativen Gerechtigkeit dauern häufig bis zu mehreren Jahren. Das heißt praktisch mit einem einzelnen Täter muss eine Gruppe kontinuierlich lange Zeit arbeiten. In der Partei DIE LINKE gibt es jedoch viele Täter, so dass ein solcher Ansatz bald zur Überlastung der dafür geschaffenen Strukturen führen wird. Grundsätzlich stellt sich zudem die Frage, ob ein Konzept das für Verbrechen von Unterdrückten gegenüber anderen Unterdrückten entwickelt wurde, wird in einer linken, weißen, männerdominierten Partei unter Missachtung des gesellschaftlichen Machtgefälles zwischen einem Täter, der gesellschaftlich der Gruppe der Unterdrücker angehört, und einem Opfer, das gesellschaftlich zur Gruppe der Unterdrückten gehört, also unter Nichtbeachtung des gesellschaftlichen Machtgefälles, überhaupt erfolgreich einsetzbar ist.

Edith Bartelmus-Scholich, 27.11.2022

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

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Grafikquelle :

Oben      —   Foto: Martin Heinlein

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2.) von Oben     —         Foto: DIE LINKE NRW / Irina Neszeri

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Öffentliches Geld + Gut ?

Erstellt von DL-Redaktion am 6. November 2022

Es wird Zeit für freie Lizenzen bei Öffentlich-Rechtlichen

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Eine Kolumne von 

Alle sollten Wissensinhalte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks frei nutzen dürfen. Dies würde dem Bildungsauftrag der Anstalten gerecht werden, Lehrkräften helfen und auch freien Wissensprojekten wie der Wikipedia nutzen, sagt unser Kolumnist Jan-David Franke.

Vor kurzem feierte die Sendung Terra X ihren 40. Geburtstag. Nicht nur wegen dieser beachtlichen Laufzeit ist das ZDF-Dokuformat eines der Aushängeschilder des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Deutschland. Von ersten CGI-Gehversuchen in den späten 80er-Jahren hin zu der Entwicklung einer starken Online-Präsenz in den letzten zehn Jahren: Terra X ging oft mit großem (technischen) Innovationsgeist voran und modernisierte so das deutsche Wissensfernsehen ein ums andere Mal.

Pionierstatus besitzt Terra X auch durch seine offene Distributionsstrategie. So werden jede Woche neue Terra-X-Ausschnitte unter Creative-Commons-Lizenzen (CC BY bzw. CC BY-SA) veröffentlicht. Dadurch können diese Inhalte rechtssicher von Lehrkräften im Unterricht verwendet und auch in freie Wissensprojekte wie die Wikipedia eingebaut werden.

Letzteres geschieht seit über drei Jahren mit sehr großem Erfolg, wie ZDF-Programmdirektorin Nadine Bilke auf der diesjährigen re:publica unterstrich: Mehr als 2,6 Millionen Aufrufe monatlich allein in der Wikipedia, Tendenz steigend, und insgesamt über 50 Millionen Aufrufe. Sie sprechen für den großen Bedarf, den es für diese Art von frei lizenziertem Videomaterial gibt.

Zwar öffnet sich auch die ARD allmählich für Creative-Commons-Lizenzen. So hat der Bayerische Rundfunk angekündigt, sein Lehr- und Lernformat Telekolleg als kolleg24 multimedial umzubauen und ab 2023 weitestgehend unter der Lizenz CC BY-SA zur Verfügung zu stellen. Aber frei verfügbare öffentlich-rechtliche Inhalte sind immer noch die Ausnahme und nicht die Regel.

Dabei ermöglichen wir alle mit unserem Rundfunkbeitrag gut recherchierte und aufwändig produzierte Wissens- und Bildungssendungen. Dementsprechend müssen diese gemäß dem Bildungsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen auch der breiten Gesellschaft frei zur Verfügung stehen. Dass dies nicht der Fall ist, sorgt vor allem im Klassenzimmer für einige rechtliche Unsicherheit.

Was ist im Unterricht erlaubt?

Lehrkräfte wissen oft nicht, wie und ob sie urheberrechtlich geschützte Medien wie beispielsweise Wissensclips der Öffentlich-Rechtlichen im Unterricht oder in Uni-Seminaren nutzen dürfen. Um hier mehr Klarheit zu schaffen, hat Wikimedia Deutschland ein Rechtsgutachten bei Prof. Dr. Gerald Spindler, Professor am Institut für Wirtschafts- und Medienrecht in Göttingen, in Auftrag gegeben.

Der renommierte Jurist geht darin der Frage nach, ob die Wiedergabe solcher Medien im Unterricht eine öffentliche Wiedergabe darstellt. Denn nur dann wird das Urheberrecht überhaupt relevant, genauer gesagt greifen nur dann die Bildungs-Sonderregeln des Urheberrechtsgesetzes.

In seinem Gutachten kommt Professor Spindler zu dem Schluss, dass Unterricht im stabilen Klassen- oder Kursverband, Seminare an der Universität und digitale Lehrformate mit Zugangsbeschränkung nicht öffentlich sind. Also dürfen Lehrkräfte oder Dozierende in diesen Fällen öffentlich-rechtliche Wissenssendungen und auch andere urheberrechtlich geschützte Inhalte bedenkenlos wiedergeben, etwa direkt aus der Mediathek.

Doch bei der reinen Wiedergabe endet die Bedenkenlosigkeit. Alles, was darüber hinausgeht, ist und bleibt als urheberrechtliche Nutzungshandlung klärungs- beziehungsweise erlaubnisbedürftig.

Wollen Lehrkräfte beispielsweise eine Videodatei herunterladen, weil das WLAN im Klassenzimmer zu langsam für das Abspielen aus der Mediathek ist, gilt dies als Vervielfältigung. Dafür brauchen Lehrkräfte die Erlaubnis der jeweiligen Urheber*innen ‒ beziehungsweise greifen hier die Quotenregelungen im Urheberrechtsgesetz. Die besagen, dass etwa zur Veranschaulichung des Unterrichts bis zu 15 Prozent eines Werks vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben werden dürfen. Bei einer anderthalbstündigen Dokumentation wäre das ein Ausschnitt von nicht einmal 15 Minuten.

Die Verwendung von Werken in Arbeitsmaterialien stellt zudem nicht nur eine Vervielfältigung, sondern auch noch eine Bearbeitung dar und betrifft somit gleich zwei Urheberrechte. Dabei könnte gerade die Möglichkeit, Inhalte zu verändern, sie an die Bedürfnisse der Schüler*innen anzupassen und sie in Arbeitsmaterialien einzuarbeiten, den Schulunterricht weitaus mehr bereichern als ihre bloße Wiedergabe.

Die Lösung liegt auf der Hand

Freie Lizenzen ermöglichen es allen Nutzer*innen, die so gekennzeichneten Inhalte zu speichern, zu teilen und zu bearbeiten. Hier sind jetzt die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Pflicht. Sie müssen endlich dem Beispiel von Terra X folgen und, wo immer möglich, Bildungs- und Wissensinhalte unter eine freie Creative-Commons-Lizenz stellen – also CC BY-SA oder freier.

So können Lehrkräfte und Bildungsakteure qualitativ hochwertige Inhalte ohne Einschränkungen im Unterricht nutzen. Und so können diese Inhalte in gemeinwohlorientierte Wissensprojekte wie die Wikipedia eingebunden werden. Dort erlangen sie, ganz im Sinne der Sender und der Produzent*innen, nicht nur eine größere Reichweite, sondern fungieren auch als Bollwerk gegen Fake News und Desinformation.

An der Quelle sitzen Knaben, um sich an den Pfründen zu laben

Was hält die Rundfunkanstalten also davon ab, ihre Produktionen unter freie Lizenz zu stellen? Immer wieder begegnet uns bei Wikimedia Deutschland in Gesprächen das Argument, die nachträgliche Rechteklärung sei zu komplex. Gerade, wenn Sendungen neben selbst produziertem auch eingekauftes Material enthalten – was die Regel ist. Das ist aber längst kein Grund, ganz auf freie Lizenzen zu verzichten. Denn Lehrkräfte ebenso wie die Wikipedia-Community benötigen oft gar nicht ganze Produktionen, sondern einzelne, thematisch fokussierte Erklärstücke.

Das Creative-Commons-Projekt von Terra X zeigt: Wenn die öffentlich-rechtlichen Redaktionen einzelne Videopassagen in Eigenproduktion und ohne zugekauftes Material erstellen, lassen sich diese meistens problemlos aus Dokumentationen herauslösen und unter freier Lizenz veröffentlichen.

Doch es muss sich auch etwas daran ändern, dass Rechte immer nachträglich geklärt werden müssen, um freie Lizenzen zu ermöglichen. Aus Sicht von Wikimedia Deutschland ist es höchste Zeit, einen Standard für künftige Produktionen mit möglichen Freigaben für Lehrkräfte und freie Wissensprojekte zu schaffen, so wie der Bayerische Rundfunk es bei kolleg24 getan hat. Bei wissensrelevanten Formaten müssen passende Vorgaben bereits im Zuge der Produktion, beziehungsweise der Auftragsvergabe bedacht werden. Dass dies nicht zulasten einer angemessenen Vergütung von Filmschaffenden gehen darf, versteht sich von selbst.

Die Entscheider*innen in den Anstalten sollten freie Lizenzen endlich nicht länger als Wagnis, sondern als Chance begreifen. Gerade in Zeiten, in denen der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer stärker unter Druck gerät, kann ein klares Bekenntnis zu einer grundlegenden Freigabepraxis für Wissens- und Bildungsinhalte auch ein Befreiungsschlag sein. Und ein Zeichen dafür, dass ARD, ZDF und Co. nichts von ihrer demokratischen Legitimation eingebüßt haben.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

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Oben     —     Deutschland – Berlin: Logo der ARD-Zentrale

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Die tiefe – linke Kriese

Erstellt von DL-Redaktion am 14. Oktober 2022

Gegen den Linkskonservatismus

Von Pascal Beucker

Die Linke steckt in einer tiefen Krise. Zahlreiche Po­li­ti­ke­r:in­nen der Partei plädieren nun für einen Bruch mit dem Wagenknecht-Flügel.

Bei allen vier Landtagswahlen in diesem Jahr unter drei Prozent: Keine Frage, die Linkspartei befindet sich in einem desaströsen Zustand. Ob sie überhaupt noch eine Zukunft hat, ist mehr als offen. „Die Linke ist in einer existenziellen Krise“, sagt der frühere Bundestagsabgeordnete Thomas Nord der taz. „Wenn sie in absehbarer Zeit nicht eindeutig klärt, wofür sie steht, fällt sie im Verlauf des kommenden Jahres in die Bedeutungslosigkeit.“

Das will der 64-jährige Ex-Linken-Bundesschatzmeister und langjährige brandenburgische Landesvorsitzende verhindern. Doch die Zeit drängt. Auf ihrem Höhepunkt 2009 verzeichnete die Linke noch mehr als 78.000 Mitglieder, inzwischen zählt sie gerademal etwas über 56.000 Mitglieder, wobei seit dem Frühling die Zahl der Austritte stark zugenommen hat. Mit einer ganzen Reihe von Mit­strei­te­r:in­nen hat Nord nun einen Rettungsversuch gestartet. Es ist das Plädoyer für einen Bruch.

In ihrem der taz vorliegenden Aufruf zu einer Sammlung der progressiven Kräfte in der Linkspartei fordern sie als Ausweg aus der Krise nicht weniger als einen klaren Trennungsstrich zu Sahra Wagenknecht und ihrem Anhang: „Die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit der Linken erfordert, die Koexistenz mit dem Linkskonservatismus in der Partei zu beenden.“ Das ist eine klare Ansage.

Unterzeichnet haben den Aufruf etliche Bundes-, Landes-, Europa- und Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r:in­nen der Linkspartei. Das Spektrum reicht von den Bundestagsabgeordneten Gökay Akbulut, Cornelia Möhring und Martina Renner über die Berliner Ex-Senatorinnen Elke Breitenbach und Katrin Lompscher bis zu der Europaabgeordneten Cornelia Ernst, der Leipziger Landtagsabgeordneten Jule Nagel und dem Pankower Bezirksbürgermeister Sören Benn.

Bemerkenswert ist, dass sich die Auf­ru­fe­r:in­nen unterschiedlichen Parteiströmungen zuordnen. „Bewegungslinke“ wie der stellvertretende Parteivorsitzende Lorenz Gösta Beutin oder die Bremer Bürgerschaftsabgeordnete Sofia Leonidakis sind ebenso dabei wie die sächsische Landtagsvizepräsidentin Luise Neuhaus-Wartenberg, Bundessprecherin des reformerischen Forums Demokratischer Sozialismus (FDS). Es sei „an der Zeit, den Kampf um den progressiven Charakter der Partei auf allen Ebenen und über die Grenzen bisheriger Konflikte hinweg gemeinsam zu führen“, heißt es in dem Aufruf.

„Jede Glaubwürdigkeit der Partei zerstört“

Nach der Auffassung der Auf­ruf­ver­fas­se­r:in­nen hat Wagenknecht mit der Veröffentlichung ihres Buches „Die Selbstgerechten“ im April 2021 und der darin enthaltenen Konzeption eines „Linkskonservatismus“ eine Art Gegenprogramm vorgelegt. Dieser von Wagenknecht und ihrem Anhang vertretene Linkskonservatismus sei „radikal gegen das Programm der Partei gerichtet, bekämpft es aggressiv mit gesellschaftspolitisch regressiven, reaktionären Positionen und entsprechenden öffentlichen Aktivitäten“. Dadurch werde jede Glaubwürdigkeit der Partei zerstört und sie politikunfähig gemacht, konstatieren die Verfasser:innen.

Weit ist der Weg zurück ins Heimatland, soweit – soweit !

Egal ob es um Flucht und Migration, um Klimaschutz, um die Covid-19-Pandemie oder den Ukraine-Krieg geht: Tatsächlich vertraten und vertreten Wagenknecht und ihre geradezu religiös-fanatische An­hän­ge­r:in­nen­schaft immer wieder Positionen, die in einem krassen Widerspruch zur offiziellen Parteilinie stehen. Ihr Kurs lässt sich als sozialpopulistisch, nationalistisch, antiökologisch und gesellschaftspolitisch konservativ beschreiben.

So attackiert die Ex-Bundestagsfraktionsvorsitzende in ihrem am Mittwoch nun auch als Taschenbuch erschienenen Bestseller mit scharfen Worten jegliche emanzipatorischen Bewegungen, denen sich die Linkspartei eigentlich verbunden fühlt: von Fridays for Future über Black Lives Matter bis zum Seebrücke-Bündnis – für Wagenknecht alles unerquickliche Veranstaltungen einer degenerierten „Lifestyle-Linken“, die den Bezug zu den wahren gesellschaftlichen Problemen verloren habe.

Quelle       :        TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

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Oben     —       Politik, News, Bundesparteitag Die Linke: Eindruck vom Sitzungssaal; Symbolbild

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Linke Energiepolitik :

Erstellt von DL-Redaktion am 3. Oktober 2022

So erfolgreich, so gefährdet

Wo keine Angebote dort kommen keine Nachfragen hier ein Schurzschluss durch einen herabfallenden Ast.

Quelle        :      Scharf   —   Links

Von Edith Bartelmus-Scholich

DIE LINKE ist nicht gerade erfolgsverwöhnt. Und hinzu kommt, oft ist sie sich ihrer Erfolge nicht voll bewusst und kommuniziert sie unzureichend. Dies trifft zuletzt in besonderem Maße auf die Energiepolitik zu.

Ausgehend von den Anforderungen der Klimakrise hat DIE LINKE frühzeitig eine Energiepolitik entwickelt, die richtungweisend ist. Die linke Energiewende setzt auf einen raschen, unumkehrbaren Ausstieg aus fossilen Energieträgern und Atomkraft. An ihre Stelle sollen Erneuerbare Energien treten, dezentral erzeugt. Windkraft und Fotovoltaik sollen rasch ausgebaut werden; Erdgaskraftwerke zur Stromerzeugung sollen nur noch für eine Übergangszeit bei Flauten und Dunkelheit vorgehalten werden. Von Teilen der Industrie soll „grüner“ Wasserstoff eingesetzt werden. Energieverbrauch wird so klimaneutral und bezahlbar. Die linke Energiepolitik ist in ihrer Zielsetzung und mit ihren Schritten ausführlich, aber übersichtlich dargestellt in der Broschüre „Aktionsplan Klimagerechtigkeit“ der Bundestagsfraktion von 2020. Energiepolitischer Sprecher der Fraktion war seinerzeit Lorenz Gösta Beutin. Leider spielte die zukunftsweisende Klima- und Energiepolitik während des Bundestagswahlkampfs keine große Rolle.

Auch als im Verlauf des Ukraine-Kriegs durch den nach und nach erfolgten Ausfall russischer Gaslieferungen und die Spekulation an den Energiemärkten die Preise für Erdgas und Strom explodierten, machte DIE LINKE richtungweisende politische Vorschläge. Zu den Forderungen gehören nicht nur ein weiteres Entlastungspaket für von den Teuerungen betroffene Haushalte, sondern auch ein Gaspreisdeckel, die Zurücknahme der Gasumlage, ein Verbot von Strom- und Gassperren, die Unterstützung kommunaler Energieversorger (Stadtwerke), die Verstaatlichung von Energiehändlern und die Abschöpfung von Übergewinnen. Selbstverständlich fordert DIE LINKE nach wie vor den raschen Ausbau Erneuerbarer Energieträger.

Wie alternativlos die politischen Forderungen der LINKEN sind, wird durch den Schwenk der Ampel-Regierung bei der Krisenbewältigung, ausgelöst durch den Druck der Opposition und den Beginn von Protesten, deutlich. Das zusätzliche Entlastungspaket, der Gaspreisdeckel und die Zurücknahme der Gasumlage wurden – natürlich ohne Hinweis auf DIE LINKE – zwischenzeitlich von der Regierung zugestanden. Es gab selten einen schnelleren linken Erfolg. Nun kommt es darauf an, die restlichen Forderungen oder wenigstens Teile davon auch noch durchzusetzen. Nicht unerheblich wird dabei die Besetzung des Energiepolitischen Sprechers bzw. der Energiepolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion sein.

Für die Nachfolge von Ralph Lenkert, der auf der Grundlage des „Aktionsprogramms Klimagerechtigkeit“ im Ausschuss für Wirtschaft und Energie des Bundestags arbeitete, aber immer wieder Differenzen mit dem Ausschussvorsitzenden Klaus Ernst hatte, bewirbt sich Sahra Wagenknecht.

Sahra Wagenknecht. Leipziger Parteitag der Linkspartei 2018.jpg

Wer setzt die politischen Meinungsverkäufer-innen auf ihren Platz ?

In der jetzigen Krisensituation legt sie in Reden, Video-Clips und Artikeln den Fokus nicht auf die bereits durchgesetzten Forderungen der Partei DIE LINKE und die noch zu erreichenden Forderungen. Wagenknecht ignoriert die politischen Erfolge der LINKEN und stellt per Video-Botschaft sogar in Frage, ob ein Gaspreisdeckel hilfreich ist oder ob er nicht etwa volkswirtschaftlich zu teuer ist (1). Sie sorgt sich mehr um den deutschen Mittelstand oder die deutsche Industrie als darum, wie nun eine Übergewinnsteuer zu Lasten der Konzerne und das Verbot von Strom- und Gassperren zugunsten ärmerer Haushalte durchgesetzt werden könnten. Sie pflegt, wie übrigens auch weitere ihr nahestehende Abgeordnete, zudem Illusionen, dass in Verhandlungen mit Russland bei Unterordnung unter die imperialen Interessen Russlands eine Wiederaufnahme der Gaslieferungen zu billigen Preisen erreichbar wäre. Sie zeigte zudem in den letzten Jahren eine deutliche Distanz zur Klimapolitik der LINKEN. Bei vielen Gelegenheiten spielte sie Armut gegen Klimapolitik aus und beförderte den Widerstand gegen den Ausbau der Windkraft.

Die Fraktion tut sich, der Partei und den WählerInnen der LINKEN keinen Gefallen, wenn sie den Energiepolitischen Sprecher oder die Energiepolitische Sprecherin mit einer Person besetzt, die der Klima- und Energiepolitik der Partei kritisch gegenüber steht und keinen Blick für die zuletzt erzielten nicht unbeträchtlichen Erfolge hat.

Die Energiepolitik der LINKEN war bisher erfolgreich. Diese Erfolge dürfen durch falsche Personalentscheidungen nicht gefährdet werden.

Edith Bartelmus-Scholich, 2.10.2022

(1) https://www.sahra-wagenknecht.de/de/article/3210.rettet-uns-die-gaspreisbremse.html

Urheberrecht
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KOLUMNE * ERNSTHAFT?

Erstellt von DL-Redaktion am 2. Oktober 2022

Neuwahlen in Berlin: Demokratische Rutschpartie

File:Abfalleimer als Wahlurne.JPG

Die Wertschätzung von Deutschen Wahlen – im Volk!

Von Ulrike Winkelmann

In Berlin muss wohl die Wahl von Bundestag und Abgeordnetenhaus wiederholt werden. Das könnte massive Folgen haben.

Vor wenigen Tagen liefen Tausende von Menschen in Leibchen durch Berlin – es war Marathon. Mein erster Reflex: Himmel, sie werden doch heute nicht sonst noch etwas Großes veranstalten wollen, Wahlen etwa?

Vor einem Jahr fanden am Tag des Berlin-Marathons Wahlen statt – die Bundestagswahl, die Wahl zum Abgeordnetenhaus (das hiesige Landesparlament) und zu den Bezirks­parlamenten (eine Ebene drunter). Dazu gab’s noch ein Volksbegehren. Dem Marathon hat das nicht geschadet, den Wahlen schon. Deshalb müssen Letztere nun wiederholt werden. So jedenfalls hat es das Berliner Landesverfassungsgericht bei der Verhandlung diese Woche in Aussicht gestellt.

Überrascht schienen davon nicht nur die rot-grün-roten Regierungsparteien zu sein. Nun sind viele Berliner PolitikerInnen wirklich gut darin, Dinge zu ignorieren, die nicht klappen oder nicht klappen könnten. Anders lässt es sich sowieso nicht erklären, dass Wahlleitung und Innenbehörde den Herausforderungen des Wahltags, sagen wir: so gelassen entgegenblickten.

So hatte offenbar niemand gedacht, dass die WählerInnen angesichts der Vielzahl und des Ausmaßes der Wahlzettel in den Kabinen ins Grübeln geraten könnten. Das hatte unter Coronabedingungen zur Folge, dass sich vor den Wahllokalen lange Schlangen bildeten. Außerdem aber gab es zu wenige Wahlzettel – wobei besser von Wahlpapyrusrollen zu sprechen wäre. Um Nachschub zu holen, wurden Boten losgeschickt, doch ach, sie kamen nirgends durch – der Marathon! –, sie kamen zu spät, weshalb mancherorts die Kopierer angeworfen wurden (verboten) und vielerorts die 18-Uhr-Grenze gerissen wurde (auch problematisch).

Geschrumpfte Freude

Meine Freundin war Wahlhelferin und berichtete von kommunikativen Ausschreitungen im Wahllokal. Co-Helferinnen hätten zu entrinnen versucht – Kind allein daheim etc. –, doch der überforderte Wahllokalleiter habe schreiend Bußgelder angedroht. Ihre Wahlhelferinnenfreude dürfte arg geschrumpft sein.

Zu niedlich, wie nun die PolitikerInnen der rot-rot-grünen Koalition sich gegenseitig dazu aufrufen, es gebe so viel zu tun, man möge bitte nicht sofort in den Wahlkampfmodus verfallen. Die regierende Bürgermeistern Franziska Giffey von der SPD hat im Laufe des Jahres ohnehin schon Federn gelassen.

Doch auch die Linkspartei kann sich ausrechnen, dass die Sache für sie nicht gut ausgeht. Zumal ja auch noch eine Wiederholung der Bundestagswahl in Berlin droht, worüber freilich die Ampelkoalition entscheidet. Zur Erinnerung: Die Linke sitzt überhaupt nur wegen der Berliner Direktmandate im Bundestag. Werden Berliner Mandate neu vergeben, könnten noch ganz andere Dinge ins Rutschen geraten.

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Oben       —         Abfallbehälter mit Aufkleber „Deine Wahlurne – Bitte Wahlzettel gleich hier einwerfen […]“ – Schlagwöter: Wahlboykott oder Politikverdrossenheit), gesehen in München-Schwabing

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Unten       —       Ulrike Winkelmann. Foto: SeeSaw /Sophia Lukasch www.seewsaw-foto.com Veranstaltung „Öffentlich-rechtliche Medien im (digitalen) Wandel“ der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin

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Paternalismus in Reinkultur

Erstellt von DL-Redaktion am 26. September 2022

Wer sein Handeln erst im Nachhinein erläutert, will sich positionieren

Wichtig ist nur die Fahne, hinter den Bananen welche am wenigsten zu sagen haben.

Ein Debattenbeitrag von Thomas Gesterkamp

Erklärungen, die das Ziel haben, Widerspruch abzuschmettern, sind ein Problem. Gerade jetzt sind öffentliche Debatten an der Basis notwendig.

Zum Wesen des bundesdeutschen Parlamentarismus gehört, dass Abgeordnete sich nur alle vier Jahre den Urteilen der Regierten stellen müssen. Zwar gibt es zwischendurch regionale Wahlen, zudem spiegeln Umfragen stetig die Stimmung im Lande. Zentrale Entscheidungen aber werden in internen Zirkeln getroffen, bestenfalls ergänzt durch Anhörungen mit Interessenverbänden und politischen Lobbys. Ein echter Austausch mit „den Menschen da draußen“ ist in diesem System kaum vorgesehen. Über besonders strittige Themen, wie Aufrüstung, Atomkraft, Hartz IV oder die Coronapolitik, wird nicht direkt abgestimmt. Plebiszite, wie sie in der Schweiz regelmäßig stattfinden, haben in Deutschland einen schlechten Ruf, schon wegen negativer Erfahrungen in der Weimarer Republik. Die Direktwahl des rechtsnationalen Generalfeldmarschalls Paul von Hindenburg, der 1925 den sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert ablöste, erleichterte später die Machtübernahme der Nazis.

Volksbefragungen als Beteiligungskonzepte, die nicht durch parlamentarische Filter kanalisiert werden, können zu unbequemen Ergebnissen führen. Stattdessen ist das „Erklären“ die neue Zauberformel. Besonders häufig praktiziert sie Robert Habeck. Auf den ersten Blick hebt er sich damit positiv ab von einstigen „Basta“-Politikern wie Gerhard Schröder oder auch Helmut Kohl. Doch ob es um Waffen für die Ukraine oder um die Energiekrise geht, der Vizekanzler erklärt stets erst dann, wenn er eine Entscheidung getroffen hat.

Vorhaben, die erklärungsbedürftig sind, sollte die Politik jedoch vor ihrer Umsetzung debattieren – nicht nur im kleinen Kreis von Fachleuten, sondern auch mit denen, die die massiven Konsequenzen zu tragen haben. Das würde, gerade in der aktuellen Kontroverse um Sanktionen und ihre inflationären Folgen, Widerspruch ermöglichen. Wer sein Handeln erst im Nachhinein erläutert, will sich nicht rechtfertigen, er will sich positionieren. So stellt sich die Regierung nur scheinbar den Bedenken derjenigen, die sie gewählt haben. Dabei wäre echte Beteiligung notwendiger denn je, denn für viele Betroffene geht es derzeit um existenzielle Fragen.

Geduldig um Verständnis werben wirkt bürgernah und soll Nähe suggerieren. „Den Menschen da draußen“ die Welt zu erklären macht beliebt. Anfangs ging das von der Kommunikationsberatung inspirierte Kalkül auf. Habeck stand mit Annalena Baerbock – bei einer Reise ins Baltikum wollte sie ihre Politik „in 40 Punkten noch mal erklären“ – lange an der Spitze im ARD-Deutschlandtrend. Erst in den letzten Wochen sind die Werte wegen seines Managements der Energiekrise gesunken.

Hinter geschickter Rhetorik verbirgt sich ein hierarchisches Verständnis, wie Politik am besten zu vermitteln sei. Erklärungen, auch wenn sie gut gemeint sein mögen, ignorieren die Bedenken der Regierten, es handelt sich um Paternalismus in Reinkultur: Wir hier oben wissen Bescheid, wir haben den Überblick. Eure Einwände interessieren nicht, weil ihr unwissend seid. Deshalb sagen wir, warum es so und nicht anders laufen muss.

Stark zugenommen hat das Erklären während der Pandemie. Vor allem im ersten Lockdown ging es um das eingängige Verbreiten komplizierter wissenschaftlicher Zusammenhänge – und um die Akzeptanz angeblich unvermeidbarer „Maßnahmen“. Das Virus lässt sich nicht aufhalten, darum sind unsere Beschlüsse alternativlos! Wir verordnen sie einfach, aber wir sind bereit, sie euch zu erklären. Unterhalb dieser Oberfläche wurde auf einen anderen Effekt gesetzt: Blockade des Zweifels durch Angstmache. Wer Angst hat, kann nicht gut denken, und die Anziehungskraft autoritärer Ideen wächst, wenn Menschen an ihre Sterblichkeit erinnert werden.

Erklären ist nichts grundsätzlich Schlechtes. Wenn Eltern wissbegierige Fragen ihrer Kinder beantworten, ist das pädagogisch sinnvoll. Schwierig werden Erklärungen, wenn sie politische Macht durchsetzen sollen. Sie dienen dann schlicht dazu, Entscheidungen unhinterfragt zu lassen: Ihr müsst es jetzt endlich einsehen, ich habe es euch doch gerade erklärt! In Coronazeiten etablierte sich eine von Virologen, Medizinerinnen, Mathematikern und Physikerinnen dominierte Expertokratie. Diese geschlossene Front, an der sich Politik und auch weite Teile des Journalismus einseitig orientierten, duldete keine abweichenden Fakten und Meinungen.

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Oben       —     BT Plenum 25.08.2021

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Meine These heißt: Marsch

Erstellt von DL-Redaktion am 10. September 2022

Sparen ist auch für den Arsch

Von Uli Hannemann

Eine weitere Schockwelle erschüttert das Land: Der Toilettenpapierhersteller Hakle meldet Insolvenz an. Seit 1928 umschmeichelt der Traditionsbetrieb aus Düsseldorf die deutschen Popos.

Sein Flaggschiffprodukt Hakle Feucht revolutionierte vor 40 Jahren die deutsche Intimhygiene und hielt, ähnlich wie Tempo-Taschentücher oder Nescafé, Einzug in den allgemeinen Sprachgebrauch. Doch damit scheint es nun vorbei zu sein.

Nanu, denkt sich die Leserschaft, das ist ja merkwürdig: Ist die Verzweiflung schon so allumfassend, dass sich keiner mehr den Po abwischt? Sie erinnert sich an das Jahr 2020 mit dem legendären Run der Angsthasen und Gierhälse auf alles, was auch nur annähernd wie Klopapier aussah. Die ersten Lockdowns im Verlauf der damals noch völlig fremden Coronapandemie führten zu bizarren Massenübersprunghandlungen: Unerfahrene Prepper gingen den zweiten Schritt vorm ersten und wappneten sich statt mit Nahrung zunächst mit Tools für deren Ausscheidung. Die heimischen Hersteller kamen mit der Lieferung nicht nach. Wie kann es sein, dass so jemand jetzt einfach pleitegeht?

Die Nachfrage ist nämlich ungebrochen. Klopapier, Küchenrollen, Taschentücher werden immer gebraucht. Die entsprechenden Umsätze der Einzelhändler liegen erheblich über denen vom Vorjahr, und seit Klopapier in der Pandemie als Wertanlage entdeckt wurde, hat jeder Haushalt, der ein bisschen auf sich hält, permanent ein oder zwei Paletten gebunkert.

Doch wie viel kann man für Klopapier verlangen? Genau das ist die Zwickmühle, in der Hakle letztlich zerquetscht wurde. Denn gerade billige Massenprodukte gelten als besonders heikel in der Preisgestaltung. Aktuell sind Ladenendpreiserhöhungen um die 20 Prozent zu beobachten, auch bei Ebay tauchen bereits Angebote für Toilettenpapier auf. Damit ist für die Kundschaft oftmals schon die Grenze des Zumutbaren erreicht.

Auch hier wird die Bürgerin also sparen müssen. Ein, höchstens zwei Blätter pro Stuhlgang; mehr sollten verantwortungsvolle Stuhlgänger keinesfalls in Anschlag bringen. Da hat Wirtschaftsminister Robert Habeck vollkommen recht: Wo schnell geduscht wird, kann auch knapp geputzt werden.

Begleitend müssen natürlich nachhaltigere Wischmoves Einzug halten, die einzelnen Blätter intensiver genutzt werden. Entsprechende Tutorials auf Youtube und tagesschau.de könnten den Stuhlgehenden die ergonomisch optimierten Methoden didaktisch näherbringen. „Ein Blatt, alles glatt!“ oder „Denk an Olaf, wenn am After / hängt mehr als ein Zehntel Klafter“ – etwa so sähe womöglich eine offizielle Kampagne der Bundesregierung aus.

Die Einschränkungen werden für die Endverbrauchenden alles andere als einfach. In Bars werden die Blättchen am Tresen einzeln ausgegeben. Und speziell Konsumenten mit starker Behaarung rund um die Rosette werden mit Hakle den führenden Hersteller für feuchtes Toilettenpapier vermissen, mit dem sie sich in puncto Sauberkeit stets am sichersten fühlten.

Die Ursache für das Preisdilemma im Hy­gie­ne­pa­pier­sek­tor liegt, wie bei so vielen anderen Waren auch, im Krieg begründet. Neben der Unterbrechung der Lieferketten und der Zinswende der Europäischen Zentralbank (EZB) wiegen vor allem die steigenden Energiekosten schwer: Die Trocknungsverfahren bei der Produktion von Toilettenpapier, ob trocken oder feucht, sind äußerst gasintensiv. Und auch wer zu Hause das behutsam benutzte Klopapier zum Zwecke der Wiederverwendung auszuwaschen versucht, wird bestätigen können, dass das Trocknen über der aufgedrehten Heizung seinen Preis hat. Im Selbstversuch kann so nachvollzogen werden, was in der Industrie im Großen passiert. Das ist schon ausgesprochen scheiße.

Denn wer gedacht hat, das sei „doch bloß Klopapier“, landet auf einmal mit dem Hintern mitten in der Weltpolitik und ihrer seit Jahrzehnten größten Krise. Keinesfalls sollte man dabei das hochexplosive Konfliktpotenzial unterschätzen, wenn einer Bevölkerung plötzlich grundlegende Dinge fehlen oder die Preise dafür in für die breite Masse nicht mehr tragbare Höhen klettern.

Hommage an White Power

Hat nicht manch ein-e Politiker-in  das im Kopf was sich die Bürger-innen an anderer Stelle lieber  abwischen?

Meistens gilt das für Brot – die Brotunruhen 1984 in Tunesien sind längst nicht das einzige Beispiel –, und Klopapier ist nun mal das Brot der Deutschen. Diese Bedeutung hat es spätestens seit 2020 endgültig inne. Daher ist die Sorge alles andere als unbegründet, dass eine Verteuerung und Verknappung auch dieses stinknormalen Konsumprodukts Unruhen auslösen könnte.

Da stellt sich schon die Frage, ob die Gasumlage hier nicht viel zu spät kommt. Denn ganz offensichtlich wäre sie in diesem Fall ja mehr als angebracht gewesen. Wo eine Firma aufgeben muss, besteht schwerlich der Verdacht, dort werde mit Steuergeld ein Kriegsgewinnler gepampert. ­Apropos, wir hoffen natürlich alle, dass im Zuge der Entwicklungen nicht auch noch die Stoffwindel ihr Revival erlebt. Das wäre dem Hausmann kaum zuzumuten, der doch bereits mit dem Trocknen und regelmäßigen Wenden des gewaschenen Klopapiers mehr als ausgelastet ist.

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Oben     —      Souvenirs der Ukraine

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Abspaltungstendenzen links

Erstellt von DL-Redaktion am 30. August 2022

Konkurrenzkandidatur zur EU-Wahl?

Noch nicht einmal Manfred Kapluck mit Sarg wurde aufgefahren um die anwesenden Gemüter zu beruhigen. So gab es dann nicht einmal einen freien Sitzplatz für den KV – WAF mit ihrem Lieschen und der langer Schnute.

Von Pascal Beucker

Auf einem Fest der DKP ziehen Noch- und Ex-Abgeordnete der Linken über ihre Partei her. Das Wagenknecht-Lager scheint auf dem Absprung zu sein.

Rückt die Abspaltung des Wagenknecht-Lagers von der Linkspartei näher? Erstmalig hat jetzt einer der prominentesten Vertreter des linkskonservativen Flügels öffentlich eine Konkurrenzkandidatur bei der Europawahl 2024 ins Gespräch gebracht. „Es muss eine Kraft antreten, die diesem Abbruchunternehmen da drüben im Karl-Liebknecht-Haus eine Alternative entgegensetzt“, sagte der frühere Bundestagsabgeordnete Diether Dehm am Sonntag auf einer Veranstaltung in Berlin.

Dehm, der von 2005 bis 2021 dem Bundestag angehört hat, nahm an einer Diskussion im Rahmen des von der DKP organisierten „UZ-Pressefestes“ auf dem Rosa-Luxemburg-Platz teil, an den die Parteizentrale der Linken grenzt. Die Frage einer Alternativkandidatur sei „der weiße Elefant im Raum“, sagte der 72-jährige Musikproduzent, der als einer der treuesten Anhänger Sahra Wagenknechts gilt, in seinem Redebeitrag aus dem Publikum. Er hoffe auf ein „breites Bündnis“ für die Europawahl – unter Einschluss der DKP. Die Kleinpartei, die bis heute der DDR nachtrauert, war früher moskau- und ist heute mehr pekingorientiert.

Vom Podium der gut besuchten Veranstaltung, in der es laut Ankündigung über „die Perspektiven der Linkskräfte in Zeiten von Krieg und Krise“ gehen sollte, erntete Dehm keinen Widerspruch. Das ist bemerkenswert, weil dort neben dem DKP-Chef Patrik Köbele unter anderem die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen und ihr Ex-Fraktionskollege Wolfgang Gehrcke saßen. Beide wiesen Dehms Vorstoß nicht etwa offensiv zurück, sondern ließen stattdessen an ihrer (Noch-)Partei kein gutes Haar.

So empörte sich Gehrcke darüber, dass die Linkspartei es abgelehnt hatte, der DKP Räume im Karl-Liebknecht-Haus für ihr Fest zu vermieten. Das finde er „eine Schande“, sagte der 78-Jährige. „Ich schäme mich dafür.“ Für ihn passt das ins Gesamtbild: „Ich finde, die Politik der Linken ist auf der schiefen Bahn und die schiefe Bahn ist mit Schmierseife poliert“, sagte Gehrcke, der 2007 zu den Grün­de­r:in­nen der Linken gehörte und lange im Parteivorstand saß.

So verbinde ihn mit dem Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow nichts mehr, sie seien nur noch „zufälligerweise in einer Partei, ansonsten rutscht er mir den Buckel runter“. Die heutigen Linken-Parlamentarier:innen rief Gehrcke, der 2017 aus dem Bundestag ausgeschieden ist, auf: „Brecht die Fraktionsdisziplin der Linken, wenn sie weiter auf einen Pro-Nato-Kurs und Pro-Kriegskurs einschwenkt.“

Gehrcke: „Brutale Hetze gegen Russland“

Unter Zustimmung des Publikums machte er für den Überfall Russlands auf die Ukraine die USA und die Nato verantwortlich. Der Krieg sei „vom Zaune gebrochen worden“, weil diese die Sicherheitsinteressen von Russland und China nicht hätten anerkennen wollen. „Das ist der reale, tatsächliche Hintergrund des Krieges“, zeigte sich Gehrcke überzeugt – und beklagte eine „brutale Hetze gegen Russland“.

Fraktion vor Ort in Bochum (8404145869).jpg

Entgegen der Beschlusslage ihrer Partei sprach sich Sevim Dağdelen grundsätzlich gegen die verhängten Sanktionen gegen Russland aus. Denn es gäbe laut UN-Charta nur ein Gremium, „das befugt ist, Sanktionen völkerrechtskonform zu beschließen, und das ist der UN-Sicherheitsrat“. Daher seien nicht von ihm beschlossene Sanktionen völkerrechtswidrig. „Wenn Rechts als Hauptfeind China und Russland ausgemacht hat, dann denke ich, sollten Linke da besser aufpassen, dass sie sich nicht zu Instrumenten der Rechten machen“, sagte Dağdelen. „Unser Feind sind weder Russland noch China, unser Feind steht im eigenen Land.“

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Oben     —   Bundesparteitag DIE LINKE Mai 2014 in Berlin, Velodrom Diether Dehm

Autor   :   Blömke/Kosinsky/Tschöpe

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Unten        —       Bundestagsfraktion solidarisch mit Opelanern von Bochum

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Rumrenner ohne Ansagen

Erstellt von DL-Redaktion am 19. August 2022

TV-Moderator Plasberg hört auf

Nehmen nicht alle Talk-Shows den gleichen Verlauf, da niemand über Lügen und Betrügen in der Politik fragt?

Von Steffen Grimberg

TV-Moderator Plasberg hört auf. Moderator Frank Plasberg macht Schluss bei „Hart aber fair“ und geht in Rente. Tatsächlich? Schade wäre das – und Jobs gibt es ja gerade.

Gefühlt hat Frank Plasberg noch Jahrzehnte vor sich. Aber bei Wikipedia steht’s schwarz auf weiß: Der Kerl ist tatsächlich schon 65. Und „Hart aber fair“ läuft auch schon seit über zwei Jahrzehnten.

Als die Sache anno 2001 startete, hieß der ARD-Polittalk noch „Sabine Christiansen“. Davor hatte „Talk im Turm“ im Privatsender Sat.1 den lässigen TV-Austausch mit der Politik salonfähig gemacht. Die ARD schaffte das Kunststück, das Konzept fast eins zu eins zu klauen und gleichzeitig das Niveau zu senken. Jetzt sind sie nach einem absoluten Tiefpunkt namens „Günther Jauch“ bei „Anne Will“ angekommen. „Das hast du jetzt aber hart und gar nicht fair formuliert“, sagt die Mitbewohnerin.

Heute heißen alle Polittalks nach ihren Macher*innen. Nur Plasberg blieb stoisch bei „Hart aber fair“, obwohl er wie alle Politmoderatoren natürlich auch ein eitler Sack ist. Das liegt vermutlich an Jürgen Schulte, dem Regisseur und „Schnipselmann“, mit dem „Ansager“ Plasberg die Sendung erfunden hat und bis heute macht. Schulte sorgt für Bodenhaftung und die Einspielfilme, mit denen 2001 „Hart aber fair“ so richtig neu war.

Außerdem fragt Plasberg anders, schärfer und meistens immer noch interessanter als der Rest. Beim Start im WDR-Dritten war „Hart aber fair“ satte 90 Minuten lang und bezog von Anfang an die Zuschauerschaft mit ihren Fragen und Kommentaren ein. Dabei gab’s weder Twitter noch Facebook. „Man kann eben auch in der Regionalliga Bundesliga versuchen“, war Plasbergs Motto. Und plötzlich guckten in der Regionalliga eine Million zu. 2005 wurde Plasberg und Schulte der WDR-Byzantinismus zu bunt, sie gründeten ihre Produktionsfirma „Ansager und Schnipselmann“. Da hätten sie schon längst ins Erste gehört.

Keinen Bock auf Plasberg

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Oben     —    Frank Plasberg, deutscher Journalist und Fernsehmoderator. Foto nach der Aufzeichnung von Hart aber fair, eine Fernsehsendung des Westdeutschen Rundfunks

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Verzicht als Bürgerpflicht?

Erstellt von DL-Redaktion am 11. August 2022

Gegen die Politik des Laissez-faire

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Russische Propaganda

Erstellt von DL-Redaktion am 5. August 2022

Mit welchen Strategien Putin die EU zerstören will

Wusste nicht so ziemlich jeder über die Verbindungen Bescheid? Sage uns wo du erzogen wurdest – und alle wissen wer du bist.

Eine Kolumne von Sascha Lobo

Russland geht es nicht nur darum, die Ukraine zu vernichten. Putins Propaganda-Apparat versucht auch in Ländern wie Deutschland die liberale Demokratie zu schwächen: durch Beeinflussung der öffentlichen Debatte.

Die Radikalisierung der »Querdenker« und Impfgegner nimmt immer extremere Ausmaße an. Und dabei geht es nicht nur um den harten, gewaltbereiten Kern. Auch die Mitläufer*innen – allem voran in den sozialen Medien – befinden sich in einer selbst beschleunigenden Alarmspirale. Die häufiger geäußerte Hoffnung, dass mit der Zeit eine gewisse Entspannung käme, hat sich bei einem substanziellen Teil der Corona-Extremisten nicht bewahrheitet, im Gegenteil. Einer der Gründe dafür ist absichtsvolle Propaganda.

Auftritt Angela Merkel. Die Frau, die offenbar schon alles vorher wusste, und Deutschland irgendwie trotzdem in eine tiefe Abhängigkeit von Russland geführt hat. Im Juni dieses Jahres erklärt sie, dass sie bereits nach der Annexion der Krim gewarnt habe, dass Putin die EU zerstören wolle . Es bleibt vermutlich Merkels ewiges Geheimnis, warum sie mit diesem Wissen Deutschland in eine spektakuläre, tiefe, toxische Abhängigkeit von Putins Gas, Öl und Kohle hineinregiert hat.

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Gesammelte-AfD Brandreden

Erstellt von DL-Redaktion am 25. Juli 2022

Die AfD – brandgefährlich oder neue Friedenspartei?

Schlafen, Schlafen das ist unsere Lust, denn das bringt den wenigstens Verdruss.

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von       :    Johannes Schillo

Gesammelte „Brandreden“ aus dem Deutschen Bundestag. „Schoßhunde von Putin“ sind laut grünem Landeschef Kretschmann die Rechten von der AfD. Sie selber sehen sich als neue Friedenspartei, warnen vor „Kriegsrhetorik“ bei denen da oben und „Verelendung“ im Volk.

Kann man „lechts“ und „rinks“, anders als Ernst Jandl einst dichtete, doch „velwechsern“? Nein, natürlich nicht. Es wäre ja lachhaft, in den Rechten und Rechtsradikalen eine antimilitaristische Kraft zu sehen – gelten bei ihnen doch (männliches) Heldentum im Einsatz für Volk und Vaterland und soldatisches Ethos bei der Abwehr auswärtiger Bedrohungen als höchste Tugenden, Opferbereitschaft für die nationale Sache selbstverständlich inbegriffen. Aber es stimmt, „das rechte Lager in Deutschland und Europa sortiert sich neu, Zeitenwenden machen es erforderlich“, wie es jüngst im U-Blättle hieß. Dort ging es u.a. um die antikapitalistischen Töne, die man teilweise von rechts hört (siehe dazu auch die neue Studie von Norbert Wohlfahrt, um Figuren wie Sloterdijk, die sich aus der Mitte der Gesellschaft heraus oder quer zum Links-Rechts-Schema zu Wort melden, sowie um das altgediente Schreckgespenst einer „Querfront“ der diversen Extremismen.Die deutsche Innenministerin hat bereits kräftig in diese Kerbe gehauen und davor gewarnt, „dass diejenigen, die schon in der Coronazeit ihre Verachtung gegen die Demokratie herausgebrüllt haben, die stark steigenden Preise als neues Mobilisierungsthema zu missbrauchen versuchen“ (Junge Welt, 19.7.22). Dabei beschwor sie speziell die Gefahr, dass ein Bündnis „mit Rechtsextremisten“ zustande käme. Drei Tage später ergänzte Aussenministerin Baerbock dieses Szenario und sah schon „Volksaufstände“ am Horizont auftauchen (FAZ, 22.7.22). Wenn Protest dann wirklich stattfinden sollte, ist jetzt bereits klargestellt, dass öffentlicher Einspruch so oder so – sogar wenn er Querdenker-mäßig aus der Mitte der Gesellschaft kommt – extremistisch und damit ein Fall für den Staatsschutz ist.Gleiches gilt natürlich für einen Antikriegsprotest, wenn er sich denn einmal in der Öffentlichkeit bemerkbar machen sollte. Die AfD mag zwar damit liebäugeln, hier Stimmen abzugreifen, hat aber in der Sache nichts damit zu tun. Sie hat sich in einem „Positionspapier der AfD-Bundestagsfraktion zum Russland-Ukraine-Krieg“ als Partei „Für Frieden“ vor- und gleich klargestellt, wie das zu verstehen ist: Sie liefert brav im ersten Punkt eine Verurteilung des „völkerrechtswidrigen Angriffskriegs“ Russlands ab, um dann neben einer Forderung nach gezielteren Sanktionen „gegen Verantwortliche und Unterstützer des Angriffskrieges“ ein Friedensgesäusel üblicher Machart anzustimmen. Aber schon das – samt dem Wunsch nach Verhandlungen – qualifiziert sie als Putins fünfte Kolonne.

Wie gesagt, ein grüner Politiker weiss dann gleich, mit wem er es zu tun hat: „In Wirklichkeit sind Sie nichts anderes als die Schosshunde von Putin“, rief Kretschmann im Landtag der AfD-Fraktion zu; die Partei führe sich „als fünftes Rad am Wagen eines Aggressors“ auf (Die Zeit, 20.7.22). Dabei missriet ihm im Eifer des Gefechts auch noch das Bild von der Fünften Kolonne, das von seinen demokratischen Kollegen bereits ausgiebig gegen diverse Kritiker des Kriegskurses in Stellung gebracht wurde.Man kann der Zustimmung der AfD zur deutschen Aufrüstung entnehmen, womit man es bei dieser Partei zu tun hat. Deren Bundestagsfraktion hat ja sofort der Rhetorik vom Aufrüstungsbedarf, von einer Bundeswehr, die sich „blank gemacht“ hat, von einer beklagten Missachtung des Soldatischen, wie sie Politiker von Baerbock bis Klingbeil mittlerweile auflegen, zugestimmt. Bei der Abstimmung über das sogenannte „Sondervermögen Bundeswehr“ am 3. Juni hat die Partei im Bundestag zwar nicht einfach zugestimmt, war vielmehr gespalten. Ihre Kritik richtete sich allerdings auf die Modalitäten des Aufrüstungsbeschlusses durch Kreditaufnahme; die Partei wandte sich gegen unseriöse Praktiken und forderte eine Regelung zur Kontrolle des Sondervermögens, damit der deutsche Aufrüstungskurs solide finanziert wird.

Brandreden der AfD

Hier hat die AfD auch nichts an ihrer früheren Linie als „Soldatenpartei“ geändert. Das alles kann man jetzt in einer Publikation nachlesen, die Gerd Wiegel, Referent bei der Linkspartei, zum Frühjahr vorgelegt hat. Unter dem Titel „Brandreden“ dokumentiert Wiegel für jede Parlamentswoche von 2017 bis 2021 den zentralen Inhalt der Reden, die Abgeordnete der AfD in der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages hielten. Das Buch will zeigen, wie die Partei die parlamentarische Bühne gezielt nutzt, um über Provokation und Tabubruch ihrer Gefolgschaft zu beweisen, dass sie durch den Einzug in den Bundestag keineswegs zahmer geworden ist.

Das Material dazu ist eindeutig. Es belegt vor allem, wie die Partei daran arbeitet, das Nationalbewusstsein zu schärfen, während man in den tagespolitischen Sachfragen durchaus das Instrument des Pluralismus nutzt, sei es nun in der Rentenpolitik, bei der Pandemiebekämpfung oder – wie gegenwärtig – beim Vorschlag eines Verhandlungsfriedens mit Russland. In der grundsätzlichen Beurteilung kann man Wiegel ohne Weiteres zustimmen, dass der Einzug der AfD in den Bundestag 2017 als drittstärkste Partei und grösste Oppositionspartei eine Zäsur in der bundesrepublikanischen Parlamentsgeschichte bedeutet: „Was der neofaschistischen Rechten seit 1949 verwehrt blieb, gelang einer häufig mit dem Stichwort Rechtspopulismus bezeichneten Partei der modernisierten radikalen Rechten, die zwar viel Ballast der NS-Verherrlichung über Bord geworfen hat, sich ideologisch jedoch entscheidende Punkte der extremen Rechten zu eigen macht… Die parlamentarische und mediale Präsenz der AfD übertrifft damit alles, was die extreme Rechte nach 1945 in Deutschland jemals erreicht hat.“ (8)

Wiegel ist sich auch der Tatsache bewusst, dass reaktionäre Positionen, wie sie die AfD vertritt, schon immer zur Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland gehörten. Hinzu kommt, dass ihre Modernisierungsvorhaben für den Standort Deutschland immer wieder Kompatibilität mit dem von der AfD angegriffenen „Parteienkartell“ aufweisen – was gegenwärtig ja in der Aufrüstungsfrage zu beobachten ist. So legte die AfD-Bundestagsfraktion 2019 ein Strategiepapier zur Bundeswehr vor. Darin wird deutlich, wie die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG-VK) erläuterte wofür die Partei in Fragen des Militärs steht: „Die AfD möchte die Bundeswehr befähigen weltweit Einsätze durchzuführen. Dazu will sie noch mehr Geld ins Militär pumpen und auch alle NATO-Verpflichtungen erfüllen. Zudem soll die Wehrpflicht wieder eingeführt und ein Reservistenkorps, bestehend aus 50.000 Mann, gebildet werden. Insgesamt soll die Bundeswehr auf 230.000 Soldatinnen und Soldaten aufgestockt werden.“

Irgendwelche friedenspolitischen Aktivitäten, die sich gegen die offizielle bundesdeutsche Sicherheitspolitik gerichteten hätten, waren auch in der 19. Legislaturperiode nicht zu verzeichnen. Wenn Kritik vorgebracht wurde, dann richtete sie sich darauf, dass die militärischen Aktivitäten nicht an erster Stelle das deutsche Interesse im Auge hatten, stattdessen auswärtige Nationalinteressen bedienten. So etwa beim Afghanistan-Einsatz, wo die Bundesregierung laut AfD-Gauland „erneut deutsche Soldaten zur Staatenrettung“ an den Hindukusch schicke, „während afghanische Flüchtlinge auf dem Ku‘damm Kaffee trinken, anstatt beim Wiederaufbau ihres Landes zu helfen“ (18).

Dies war auch bei anderen parlamentarischen Interventionen zu diesem Thema die Leitlinie. MdB-Springer von der AfD definierte z.B. positiv, worin hier das deutsche Interesse besteht: „Das Ziel Deutschlands muss es sein, den Flüchtlingsstrom aus Afghanistan zu stoppen und die in Deutschland lebenden afghanischen Flüchtlinge in ihre Heimat zurückzubringen.“ (34) Dafür griff Springer dann auch noch auf ein Bismarck-Zitat zurück, demzufolge schon seit den Zeiten des alten Imperialismus dieses Stück Ausland „nicht die gesunden Knochen eines einzigen deutschen Soldaten wert“ sei. Dieser Rückgriff auf die Kolonialära, als deutsche „Schutztruppen“ in Übersee unterwegs waren, ist übrigens typisch für die AfD. Die Partei ist nämlich dafür – siehe die Bundestagsdrucksache Drs. 19/15784: „Die deutsche Kolonialzeit kulturpolitisch differenziert aufarbeiten“ –, dass auch die ‚guten Seiten‘ dieses damaligen Auslandsengagements zur Sprache gebracht werden. Es sei z.B. daran zu erinnern, dass man Afrika „aus archaischen Strukturen“ gelöst habe, wobei es leider im Fall der Herero und Nama „unverhältnismäßige Härten und Grausamkeiten“ gab, was aber heute „keinen Anlass für Entschädigungszahlungen“ abgebe (125).

Heute soll nämlich etwas anderes anstehen: die Anerkennung der Opferbereitschaft deutscher Soldaten, wozu nicht zuletzt ein Verwundetenabzeichen bei der Bundeswehr eingeführt werden sollte (vgl. Drs. 19/15736). Wiegel kommentiert: „Verstärkte Sichtbarmachung des Militärs in der Gesellschaft und Anerkennung von Kampf und Männlichkeit als zentrale Tugenden ist das Ziel.“ (125) Das stimmt, nur muss man hinzufügen, dass man das heute in jeder zweiten Rede der regierenden Politiker findet – mit dem feinen Unterschied, dass gegenwärtige die Warnung vor „Kriegsmüdigkeit“ auch im Namen einer „feministischen Außenpolitik“ vorgetragen wird.

File:Keine AFD V1.svg

Wenn also jetzt der ehemalige Law-and-Order-Minister par excellence, Otto Schily (erst Grüne, dann SPD), zum Schulterschluss mit AfD-Fraktionschef Chrupalla findet und vor „Bellizismus“ sowie einer „wirtschaftlichen Überforderung Deutschlands“ bei der Unterstützung der Ukraine warnt, dann eint diese Opposition das Bestehen auf dem Nationalinteresse Deutschlands. Und sie sind sich im Grundsatz auch mit einem SPD-Klingbeil einig, der in seiner programmatischen Rede vor der Ebert-Stiftung der Meinung war, „80 Jahre Zurückhaltung“ seien für Deutschland genug. Das ist genau das, was die AfD mit ihrem Angriff auf die deutsche Erinnerungskultur als „Schuldkult“ schon immer im Auge hatte: Eine selbstbewusste Nation macht endlich Schluss mit dem ganzen Erinnerungsgedöns und blickt nach vorn.

Und so ist das etwas gewagte Bismarck-Zitat, mit dem der AfD-Mann Kestner im Dezember 2019 seine Rede im Bundestag schmückte, heute im Grunde Allgemeingut: „Die Armee ist die vornehmste aller Institutionen in jedem Lande; denn sie allein ermöglicht das Bestehen aller übrigen Einrichtungen“ (126). Dazu steht die AfD in Treue fest – also hat ihr Gemecker über die Kosten der Freiheit, die Deutschland aufgebürdet werden, mit antimilitaristischer oder pazifistischer Opposition nicht das Geringste zu tun. Die Partei ist eher brandgefährlich, aber welche Partei, die zur Zeit etwas zu sagen hat, ist das nicht?

Gerd Wiegel, Brandreden – Die AfD im Bundestag. Neue Kleine Bibliothek 311. Köln (Papyrossa-Verlag) 2022. 220 Seiten, ca. SFr. 22.00 (daraus die Zitate mit Seitenangaben).

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

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Oben     —  AfD-Bundestagsfraktion, während einer Plenarsitzung im Bundestag am 11. April 2019 in Berlin.

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Demokratisch ungehorsam

Erstellt von DL-Redaktion am 17. Juni 2022

 „Die Zukunft der Demokratie nach den Vorstellungen der Politiker?“ 

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Aus keiner Regierung gab es einen Blick auf das eigene Unvermögen !!

Von Claus Leggewie

Der vehemente Protest der jungen Generation ist angesichts des Klimanotstands nachvollziehbar und sollte nicht billig abgetan werden.

In einem selbst veröffentlichten Video spricht Klimaaktivistin Luisa Neubauer offensichtlich witzelnd über ihre Bemühungen, den Bau einer Ölpipeline zu verhindern, und hält dabei ein Buch mit dem Titel „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“ ins Bild. In einer Stellungnahme versichert sie: „Wir sprechen mit der französischen Regierung, mit möglichen Investoren und Versicherern der Pipeline und mobilisieren über soziale Netzwerke, damit diese Klimakiller-Pipeline niemals gebaut, sondern endlich abgeblasen wird.“ Trotzdem rücken sie Teile der politischen Elite im Chor mit der Bild-Zeitung in eine Ecke mit Terroristen. Die vehemente Form des Auftretens von Klimaschützern darf allerdings deren politisches Engagement nicht abqualifizieren, in einem demokratischen Dialog schließen sich vielmehr drei Fragen an: Ist die Inszenierung von radikalen Protesten gegen unterlassenen Klimaschutz als Notwehr inhaltlich nachvollziehbar, ist sie demokratisch legitim, und ist sie geeignet, Klimaschutz zu verbessern und zu beschleunigen?

Um die Jahrtausendwende geborene Menschen erleben, dass die von der Forschung nachgewiesenen „Kipppunkte des Erdsystems“ in nicht allzu ferner Zukunft, also in ihrer Lebenszeit, eintreten können und dann in der ebenfalls wissenschaftlich plausibilisierten Kumulation in eine globale Katastrophe führen würden, wobei das Überleben der Spezies Mensch aufs Spiel gesetzt wäre. Die Selbstbezeichnung mancher Klimaaktivisten als „letzte Generation“ etwa verweist auf eine reale Gefährdung. Nachvollziehbar ist sie auch angesichts der bis dato insgesamt kaum erfolgten Verlangsamung der Erderwärmung oder des Artensterbens. Es ist die Eigenart und das gute Recht von Jugend(protesten), erkannte Missstände in aller Deutlichkeit, mit drastischen Übertreibungen und performativen Schocks herauszustellen.

Ein historisches Beispiel mag das illustrieren: Die außerparlamentarische Protestbewegung gegen die Notstandsgesetzgebung in den 1960er Jahren malte eine Faschisierung des politischen Systems der Bundesrepublik an die Wand, deren Eintrittswahrscheinlichkeit gering war. Dass die Befürchtungen nicht eintraten, machte den Protest nicht nutzlos. Denn er verwies auf überkommene autoritäre Strukturen und trug zur Herausbildung einer selbstbewussten Zivilgesellschaft bei. Die bedauerliche Kehrseite war die Radikalisierung einer Minderheit der außerparlamentarischen Opposition. Deren Frontalangriffe waren demokratisch nicht legitim, was ebenso für heutige militante Aktionen gelten kann.

War damals die unzulässige Ausrufung eines Notstands der Protestanlass, ist es bei der „letzten Generation“ die Unterlassung der Ausrufung des Klimanotstands. Wenn diese Prämisse stimmt und auch eine grüne Regierungsbeteiligung an der Sachlage wenig ändert, ist dann nicht ziviler Ungehorsam gerechtfertigt? Dieser ist im Sinne seiner Verfechter von Henry David Thoreau über Martin Luther King bis Gene Sharp grundsätzlich friedlicher Natur, beinhaltet aber kon­trol­lier­te, der breiten Öffentlichkeit gut kommunizierte Regelverletzungen. So gut wie kein demokratisches Recht, etwa das Wahlrecht von Frauen, ist ohne symbolische und faktische Regelverletzungen durchgesetzt worden. Insofern ist ziviler Ungehorsam Teil und nicht Gegenteil von Demokratie, seine Verfechter in die Nähe von Antidemokraten zu rücken ist absolut verfehlt.

Man darf nämlich sagen, dass das Auftreten zivilen Ungehorsams auf demokratische Defizite und Repräsentationslücken verweist, die es ohnehin zu schließen gälte. Die sinkende Wahlbeteiligung in vielen (nicht mehr so) repräsentativen Demokratien kann auch nicht mehr durch business as usual behoben werden, neue Formen der Bürgerbeteiligung müssen gefunden werden. Die große aktuelle Herausforderung demokratischer Gesellschaften ist die rasante Verknappung der Zeitspanne, in der der Klimawandel noch einzudämmen sein wird. Demokratien kaufen üblicherweise Zeit, um Kompromisse zu schließen; doch genau dem schiebt nun die Physik des Erdsystems einen mächtigen Riegel vor. Große Eile ist geboten! Nicht legitimierbar sind diverse Sabotageakte, die zwar nicht von Neubauer, sehr wohl aber von einigen Sprechern der „letzten Generation“ offen befürwortet werden, weil die damit verbundenen Risiken für die Allgemeinheit unüberschaubar sind. Wichtiger noch, sind solche Akte auch ungeeignet, das deklarierte Ziel des Klima- und Artenschutzes voranzutreiben.

Quelle      :     TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Sondervermögen für BW

Erstellt von DL-Redaktion am 3. Juni 2022

Im militärischen Kaufrausch

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Von Pascal Beucker

Die Bundeswehr soll mit zusätzlich 100 Milliarden Euro aufgestockt werden. Kri­ti­ke­r-In­nen sehen das geplante Sondervermögen als maßlos.

Es ist ein letztes, vergebliches Aufbäumen. Mit einer Kundgebung auf dem Platz der Republik vor dem Reichstagsgebäude will die Linkspartei am Freitagvormittag gegen die geplante Aufrüstung der Bundeswehr protestieren. Nützen wird es nichts mehr, die große Koalition für massive zusätzliche Militärausgaben steht. Die Einkaufsliste ist bereits geschrieben. Nur wenige Stunden nach der Linken-Protestaktion dürfte der Bundestag per Grundgesetzänderung die Regierung ermächtigen, dafür ein „Sondervermögen“ in Höhe von 100 Milliarden Euro einzurichten.

Dabei ist der Begriff „Sondervermögen“ missverständlich. Tatsächlich geht es um die Aufnahme von außerordentlichen Krediten, die von der Schuldenbremse des Grundgesetzes ausgenommen werden. Schulden, die zurückgezahlt werden müssen, bleiben es trotzdem. Dienen soll das Geld zur „Finanzierung bedeutsamer Ausrüstungsvorhaben der Bundeswehr, insbesondere komplexer überjähriger Maßnahmen“, heißt es in dem Gesetzentwurf, auf den sich SPD, Grüne und FDP mit der Union in zähen Verhandlungen verständigt haben.

Das „Sondervermögen“ ergänzt den in diesem Jahr ohnehin um 3,5 Milliarden auf rund 50,4 Milliarden Euro aufgestockten Verteidigungsetat. Dadurch werde „im mehrjährigen Durchschnitt von maximal fünf Jahren zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf Basis der aktuellen Regierungsprognose für Verteidigungsausgaben nach Nato-Kriterien bereitgestellt“.

Finanziert werden sollen von dem „Sondervermögen“ eine ganze Reihe von Rüstungsprojekten, die schon seit Langem auf der Wunschliste des deutschen Militärs stehen. Einiges davon kann direkt bestellt werden, anderes befindet sich erst noch in der Entwicklung. Die meisten größeren Anschaffungen werden erst in ein paar Jahren einsatzfähig sein, manches erst in den kommenden Jahrzehnten. Die Projektliste ist eine vorläufige, sie soll jährlich fortgeschrieben werden.

Hauptposten des Wirtschaftsplans, den das Finanzministerium am Mittwoch dem Haushaltsauschuss des Bundestags geschickt hat, ist dabei die „Dimension Luft“, für die insgesamt 40,9 Milliarden Euro bereitgestellt werden sollen. Konkret geht es dabei beispielsweise um den bereits angekündigten Kauf von F-35-Kampfjets des US-amerikanischen Rüstungskonzerns Lockheed Martin, die auch Atombomben abwerfen können. In den USA bestellt werden auch die neuen schweren Transporthubschrauber Modell CH-47 „Chinook“ und Seefernaufklärer vom Typ P-8 Poseidon, jeweils von Boeing. Der europäische Konkurrent Airbus kommt dafür bei Entwicklung und Kauf eines neuen Eurofighter-Modells für elektronische Kriegsführung zum Zuge.

Drohnen, Panzer und U-Boote

Die Bewaffnung der israelischen Drohnen des Typs Heron TP stehen ebenso auf der Liste wie Kommunikations- und Radarsysteme und das weltraumbasierte Frühwarnsystem Twister, ein nationenübergreifendes EU-Projekt. Auch ein Flugabwehrsystem mit einer bodengestützten Kurz- und Mittelstrecken-Flugabwehr sowie einem Drohnenschutzsystem ist dabei. Bis 2027 soll auch die Entwicklung des gemeinsam mit Frankreich und Spanien geplanten Kampfflugzeugprojekts Future Combat Air System (FCAS) aus dem Sondervermögen finanziert werden.

Bei der mit rund 19,3 Milliarden Euro veranschlagten „Dimension See“ steht die Anschaffung neuer Korvetten, Fregatten und Festrumpfschlauch- sowie Mehrzweckkampfboote ebenso auf dem Programm wie das gemeinsam mit Norwegen entwickelte U-Boot der Klasse 212 CD. Fehlen darf auch nicht das neue See-Ziel-Lenkflugköpersystem Future Naval Strike Missile, ebenfalls eine deutsch-norwegische Gemeinschaftsentwicklung. Hinzu kommen U-Boot-Flugabwehrflugkörper und Geräte zur Unterwasserortung.

16,6 Milliarden Euro sind für die „Dimension Land“ vorgesehen. Hier geht es insbesondere um die Nachfolge für den Schützenpanzer Marder und den Truppentransporter Fuchs sowie die Nachrüstung des Schützenpanzers Puma. Auch ein Nachfolger für das gepanzerte Schneefahrzeug BV 206 steht auf der Liste, ebenso der Transportpanzer Boxer mit Maschinenkanone. Hinzu kommen bis 2024 Mittel für die Entwicklung eines Nachfolgers für den Leopard-2-Panzer, der gemeinsam mit Frankreich entwickelt wird und wie das FCAS nur vorübergehend aus dem „Sondervermögen“ finanziert werden soll und danach aus dem normalen Verteidigungshaushalt.

Für die „Dimension Führungsfähigkeit/Digitalisierung“ sollen 20,7 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. Hier geht es vor allem um Gelder für einen Rechenzentrumsverbund, aber auch für neue Funkgeräte. Hinzu kommen elektronische Führungsinformationssysteme für Einsätze und Investitionen in Satellitenkommunikation.

Deutscher Bundestag

Wer hätte je gedacht, das künstliche Intelligenzen so aussehen?

Neben diesen vier „Dimensionen“ gibt es noch zwei kleinere Posten: Für Forschung, Entwicklung und künstliche Intelligenz (KI) sollen 500 Millionen Euro ausgegeben werden. Dabei geht es vor allem um eine bessere „land- und seegebundene robuste Navigation“ unter so genannten Navigation-Warfare-Bedingungen, wie der Störung von Satellitensignalen, sowie die Überwachung und Sicherung größerer Räume mittels KI. Außerdem gibt es für die Beschaffung von Bekleidung und Ausrüstung der Sol­da­t:in­nen rund 2 Milliarden Euro.

Nicht enthalten in der „Sonder­vermögen“-Liste ist die Munition für die Bundeswehr, die das Verteidigungsministerium drastisch aufstocken will. Einen Finanzbedarf von rund 20 Milliarden Euro hat es hierfür errechnet. Der soll aus dem laufenden Haushalt gedeckt werden. Das gilt auch für Maßnahmen zur Cybersicherheit, für den Zivilschutz sowie die Stabilisierung von Partnerländern, was weitere 10 Milliarden kosten dürfte.

So sieht also konkret das Aufrüstungsprogramm aus, das der sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner „Zeitenwende“-Rede Ende Februar angekündigt hatte. Im Bundestag wird es keine größeren Widerstände dagegen geben. Nicht nur die Ampelkoalition und die Union sind sich einig, dass in die Bundeswehr investiert ­werden müsse. Die AfD sieht das genauso, wie ihr Abgeordneter Michael Espendiller am Mittwoch bei der Debatte um den Verteidigungsetat im Bundestag bekundete. Die Rechtsaußenpartei kritisiert nur, dass dafür neue Schulden ­aufgenommen werden sollen. Espendiller forderte hingegen „radikale Kürzungen in sämtlichen anderen Etats“.

Im Parlament gibt es also nur wenige Stimmen des Aufbegehrens. Einzig die Linkspartei, die kleinste Fraktion, steht geschlossen dagegen. „Mit SPD, FDP, Grünen und der Union hat sich die größte Koalition aller Zeiten zusammengefunden, um ein gigantisches Konjunkturprogramm für die Rüstungsindustrie zu starten“, empörte sich die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gesine Lötzsch bei der Bundestagsdebatte am Mittwoch.

Ein paar Ab­weich­le­r:in­nen aus der SPD und den Grünen gibt es allerdings auch noch. So kündigte die Juso-Bundesvorsitzende Jessica Rosenthal in einem Gastbeitrag im Spiegel an, gegen die Grundgesetzänderung zu stimmen. Wie viele ihrer Fraktion sich auch noch verweigern werden, ist unklar.

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Sondervermögen für die Bundeswehr:

Teurer Aktionismus

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Ein Kommentar von Anna Lehmann

Die Probleme der Bundeswehr sind vor allem systemischer Natur. Milliarden hineinzupumpen, ohne Grundlegendes zu ändern, ist Verschwendung.

Der Bundestag wird am Freitag die größte jemals getätigte Ausgabenerhöhung für die Bundeswehr beschließen. 100 Milliarden Euro sollen in den nächsten fünf Jahren vor allem in Aufrüstung fließen: Kampfflugzeuge, Kampfpanzer, Mehrzweckkampfboote. Eine gigantische Summe, die in erster Linie von politischem Aktionismus zeugt.

Es waren ja nicht die Verteidigungs­po­li­ti­ker:innen, die nach sorgfältiger Bedarfsanalyse eine Einkaufsliste vorgelegt haben, die sich zufällig auf 100 Milliarden Euro beläuft. Das ist eine politische Summe, die Bundeskanzler Olaf Scholz drei Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Bundestag mit der Botschaft verkündete: Wir handeln jetzt, nimm Dich in acht, Putin.

Aber rasches Handeln ist kein Selbstzweck. Keine Frage, es musste etwas passieren. Angesichts eines hochgerüsteten Russlands mit imperialen Großmachtfantasien sind Landes- und Bündnisverteidigung seit dem 24. Februar keine abstrakten Begriffe mehr, sondern bittere Notwendigkeit. Und ja, die Bundeswehr ist in einem schlechten Zustand.

Schimmelige Kasernen, Soldat*innen, die sich ihre Schutzwesten privat kaufen, Panzer, die nicht fahren. Aber das ist nicht in erster Linie das Resultat einer „kaputt gesparten“ Bundeswehr. Der Rüstungsetat ist seit 2014 kontinuierlich gestiegen und beträgt derzeit 50,3 Milliarden Euro. Damit könnte man übrigens alle Schulen in Deutschland top sanieren.

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Vielleicht mal verzichten

Erstellt von DL-Redaktion am 30. April 2022

Entlastungspläne der Bundesregierung

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Von Barbara Dribbusch

Viele Menschen werden sich einschränken müssen, dank Inflation, Energiekrise, Kriegsfolgen, Alterung. Das sollte die Ampelregierung ehrlich sagen.

Nehmen wir die Avocado. Das begehrte Gemüse ist durch den hohen Wasserverbrauch beim Anbau unökologisch, teuer und steht vor allem bei Bes­ser­ver­die­ne­r:in­nen auf dem Speiseplan. Würde man die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse abschaffen, würden auch Avocados billiger. Muss das sein? Die Frage klingt nebensächlich. Ist sie aber nicht.

Eine mögliche Mehrwertsteuersenkung für Obst und Gemüse ist einer der Vorschläge in der Debatte, wer eigentlich wie entlastet werden soll oder nicht, wo doch alle unter der Inflation leiden. An dem Vorschlag sieht man, wie schwer es ist, zielgenaue Maßnahmen zu konzipieren, die einem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden entsprechen, obwohl sie Löcher in die Haushaltskassen reißen und Mitnahmeeffekte produzieren. Das betrifft auch die bereits angekündigten oder beschlossenen Entlastungspakete der Ampelregierung.

Beschlossen sind Zuschüsse für Hartz-IV-Empfänger:innen und Familien, Energiepauschalen für Erwerbstätige, ein befristetes Billigticket für den öffentlichen Nahverkehr, ein befristeter Tankrabatt, Heizkostenhilfen für Wohngeld­bezieher:innen und steuerliche Erleichterungen. Dabei gibt es jede Menge Mitnahmeffekte, von denen Besserverdienende profitieren. Braucht wirklich jeder ein Nahverkehrsticket für monatlich neun Euro? Müssen SUV-Fahrer:innen unbedingt billiger tanken können, wenn sie mit ihrem ­Wagen durch die Innenstädte cruisen? Und warum kriegen Rent­ne­r:in­nen keine Energie­pauschale?

Die Maßnahmen sind nicht zielgenau und können es auch nicht sein. Denn in Deutschland überlagern sich derzeit die Krisen durch Pandemie, Krieg, Klima und Alterung und schaffen alte und neue Gruppen, die staatliche Hilfen einfordern. Dazu gehören Hartz-IV-Empfänger:innen, Niedrigverdienende, Rent­ne­r:in­nen, Pflegebedürftige, Flüchtlinge, Familien, Wohnungs­suchende, Soloselbstständige, Au­to­pend­le­r:in­nen – die Liste wächst beständig an. Leider genügt es nicht, vonseiten der Ampelregierung einfach nur neue, möglichst flächendeckende Hilfen zu versprechen.

Staatliche finanzielle Kompensationen auch für die Mittelschicht werden immer auch von ­derselben finanziert. Es stellt sich ein unbestimmtes Unbehagen ein, wenn man von immer neuen milliardenschweren staatlichen Hilfspaketen hört, und dann kommen noch die Aufrüstungspläne der Bundeswehr dazu. Wer bezahlt das am Ende?

Dass es immer mehr Betroffene gibt, die infla­tionsbedingt unter Einbußen leiden, hat aber einen Vorteil: Wenn viele Menschen gleichzeitig Preissteigerungen und Einschränkungen erleben, ist klar, dass es nicht um persönlichen sozialen Abstieg geht, denn schließlich sind ja fast alle betroffen. Es könnte sogar ein solidarisches Gefühl wachsen, im Sinne von: Wir stehen die Krisen gemeinsam durch. In der Pandemie hat sich eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit an Konsumverzicht gezeigt. Wobei die Grundbedürfnisse aber natürlich erfüllt sein müssen.

Zum Gerechtigkeitsempfinden gehört auch, in Zeiten des Verzichts Vermögende stärker zu belasten.

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Wie wäre es denn, wenn die Obersten Staatsschnorrer mit Meilenstiel vorgingen ?

Die rot-grün-gelbe Koalition sollte daher vermitteln, dass auch Verzicht mal drin sein muss, wenn die Preise steigen, und dass Abgaben­bereitschaft im Sozialstaat eine gute Sache ist. Das Versprechen von allgemeinen „Entlastungen“ und flächendeckende staatliche Subventionen für alle sind hingegen keine gute Idee. Solche staatlichen Kompensationen produzieren Mitnahmeeffekte bei Leuten, die eigentlich keine Subvention nötig haben.

Das betrifft eine Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel oder auch das billige subventionierte Nahverkehrsticket für alle und erst recht den geplanten Tankrabatt. Es ist moralisch auch ein bisschen heikel, durch staatliche Hilfen etwa für den Obst- und Gemüse­konsum ein bestimmtes erwünschtes Ernährungsverhalten zu privilegieren. Statt allgemein Entlastungen zu versprechen, sollte die Koalition vielmehr Prioritäten benennen, welche Errungenschaften man im Sozialstaat unbedingt bewahren muss. Denn darum wird man vielleicht kämpfen müssen.

Das Ausland beneidet uns um die freien Zugänge zu Bildung und Gesundheitsversorgung. Für die einkommensunabhängige Gesundheitsversorgung werden demnächst wohl höhere gesetzliche Kranken- und vielleicht auch höhere Pflegekassenbeiträge fällig werden müssen. Das ist völlig o. k.

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IS in der Sahelzone

Erstellt von DL-Redaktion am 20. April 2022

Mali darf sich nicht wiederholen

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Von Katrin Gänsler

Die internationalen Militäreinsätze in Mali gelten als gescheitert. Jetzt wird der Niger wichtigster Standort ausländischer Antiterrortruppen.

Samstagmorgen auf einem Hinterhof am Stadtrand von Niamey, Hauptstadt von Niger. Seit vier Monaten lebt Issaka hier. Seinen richtigen Namen möchte er nicht nennen und auch nicht sagen, wie sein Heimatdorf heißt. „Man weiß nicht, wer mich erkennt. Die Angst ist zu groß“, erklärt der große hagere Mann, dessen Haare langsam grau werden.

Angst ist das beherrschende Wort, wenn Issaka über das vergangene Jahr spricht. Er kommt aus der Region Tillabéri in der Zone des trois frontières, dem Dreiländereck Niger, Mali und Burkina Faso, jenem Gebiet, das derzeit in der Sahelzone am stärksten von Terrorangriffen des „Islamischen Staats in der Größeren Sahara“ (EIGS) und der konkurrierenden „Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime“ (JNIM) betroffen ist. Dazu kommen Überfälle von bewaffneten Banden. Längst nicht immer ist klar, wer tatsächlich dahinter steckt, wenn wieder einmal Nachrichten über getötete Zivilisten die Runde machen.

Issaka beugt sich auf dem schwarzen Metallstuhl etwas nach vorne. Immer wieder sagt er über die Angreifer: „Wir wissen nicht, was sie wollen, was für ein Ziel sie haben. Alles ist unklar.“ Begonnen haben die Überfälle in seiner Region vergangenes Jahr am Ende des Fastenmonats Ramadan, erinnert er sich. Am Vormittag kamen elf oder zwölf Motorräder in den Ort, die Fahrer eröffneten das Feuer. Als jemand mit dem einzigen Auto, das im Dorf geparkt war, flüchten wollte, wurde er angeschossen. Fünf weitere Menschen wurden ermordet. „Beim zweiten Angriff starben zwei Personen, beim dritten zwölf. Dabei waren damals sogar Soldaten im Ort, um ihn zu bewachen. Sie haben sich danach zurückgezogen und hatten wohl nicht den Mut, wiederzukommen.“ Issaka hat beobachtet: „Eine kleine Gruppe von Soldaten werden Ziel von Terroristen. Diese greifen dann in großer Zahl an.“

So ähnlich laufen viele Terrorangriffe in der Sahelzone ab. Auf Motorrädern sind die Angreifer schnell und mobil. Im Dorf angekommen, wird willkürlich auf die Bevölkerung geschossen. Häuser und Geschäfte werden angezündet, Vieh gestohlen. Das schürt Angst, Unsicherheit sowie Misstrauen und macht aus Menschen psychische Wracks.

Die Extremisten haben auch Mobilfunknetze zerstört

Ruhig geschlafen hat Issaka seit dem ersten Angriff nie wieder: „Abends verlassen alle das Dorf. Man schläft irgendwo im Busch.“ Die Angst ist auch deshalb groß, weil die Extremisten die Masten der Mobilfunknetze zerstört haben. Sich gegenseitig zu warnen oder auch zu beruhigen, ist nicht mehr möglich. Es kann auch niemand mehr arbeiten. Die Felder liegen wegen der Angst vor Übergriffen brach, der lokale Handel ist zusammengebrochen.

Besonders schwierig ist die Situation für die Kinder, sagt Issaka. Leh­re­r*in­nen können nicht mehr unterrichten und ziehen stattdessen in die Goldminen, um etwas zu verdienen. Erst Anfang April ermordeten Bewaffnete in Burkina Faso 20 Menschen, als sie eine illegale Goldmine bei Barga im Norden des Landes überfielen.

Issaka hält seine linke Hand in die Luft: „Sie haben einen Bruder umgebracht, einen Onkel, mehrere Cousins. Insgesamt sieben Menschen habe ich verloren.“ Mit dem Sammeltaxi kam er schließlich vor vier Monaten nach Niamey und fand privat Unterkunft. Frau und Kinder sind im Dorf geblieben. Das klingt grausam. Doch Männer – vor allem die Jungen – sind derzeit bei Angriffen am meisten gefährdet. Zahlreiche Familien sind auseinandergerissen.

Niger zählt laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR mittlerweile rund 265.000 Binnenvertriebene; in Tillabéri sind es mehr als 134.000. Dazu kommen etwa noch einmal so viele Flüchtlinge aus den Nachbarländern. Das bitterarme Land liegt direkt zwischen den besonders von terroristischer Gewalt betroffenen Gebieten von Mali und Burkina Faso im Westen und der Region rund um den Tschadsee im Osten, wo Boko Haram aus Nigeria und der „Islamische Staat Provinz Westafrika“ (ISWAP) aktiv sind.

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Niger gilt als bester EU-Verbündeter der Region

Dabei gilt Niger als das letzte noch stabile Land im Sahel, als bester Verbündeter Frankreichs und Europas. In Mali und Burkina Faso gab es Militärputsche; in Tschad hievten die Generäle vor genau einem Jahr nach dem Tod des Langzeitpräsidenten Idriss Déby dessen Sohn Mahamat Idriss Déby an die Macht. Wahlen und die Rückkehr zu einer zivilen Regierung sind nirgends in Sicht.

In Niger wird darüber diskutiert, wie weit eine verstärkte Präsenz internationaler Armeen das Land sichern kann. Klar ist: Frankreich zieht sich aus dem Nachbarland Mali zurück, wo noch weit über 15.000 ausländische Sol­da­t*in­nen stationiert sind, meist im Rahmen der UN-Mission Minusma. Die französische Antiterrormission „Barkhane“, die seit zehn Jahren mit mehreren Tausend Soldaten Terrorgruppen in Mali bekämpft, gilt als gescheitert.

Während des Besuchs der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock in Niger und Mali vergangene Woche sagte ihr nigrischer Amtskollege Hassoumi Massoudou, man erwarte, „dass mit dem Abzug der französischen Streitkräfte aus Nordmali ein größerer Druck von Terroristen auf unser Land ausgeübt wird“.

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Oben     —   Comdt Mick Nestor, Co Offally, congratulates a Malian soldier for his efforts in the International Poc Fada

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Unten     —       Lt Seán Ryan, Limerick, unterrichtet „Hurler“ aus Frankreich, Großbritannien, Portugal, Schweden und Mali und dient mit EUTM Mali den Grundlagen in Erwartung der St. Patrick’s Mali ‚Poc fada‘

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Burgfrieden-Bazooka:

Erstellt von DL-Redaktion am 12. März 2022

100-Milliarden-Coup bestätigt Trend zur autoritären Demokratie

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Von : Wolfgang Michal

Aufrüstung : Eine ganz große Koalition von SPD bis Union will die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro weiter aufrüsten. Die Wähler sind bei dieser Burgfriedenspolitik die Dummen.

Als die SPD-Fraktion am Vorabend der Sondersitzung des Reichstags zur Bewilligung der Kriegskredite eine Probeabstimmung durchführte, votierten 78 Abgeordnete dafür und 14 dagegen. Zur überstimmten Minderheit zählte der Fraktionsvorsitzende Hugo Haase, Repräsentant des linken Flügels und überzeugter Pazifist. Als junger Rechtsanwalt hatte er viele im Kaiserreich verfolgte Sozialdemokraten verteidigt, darunter Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. 16 Jahre lang war er gegen das unverantwortliche Wettrüsten der imperialistischen Mächte aufgetreten, nun sah er sich außerstande, dem Reichskanzler fünf Milliarden Mark für den angeblichen „Verteidigungskrieg“ gegen Russland zu genehmigen. Weil die Mehrheit der SPD-Abgeordneten aber Fraktionszwang beschlossen hatte, musste der Pazifist Haase im Reichstag das Ja der SPD gegen seine innere Überzeugung verkünden. „Die freiheitliche Zukunft des deutschen Volkes“, rief er, „ist durch einen Sieg des russischen Despotismus bedroht“.

Rolf Mützenich ist der Hugo Haase von heute

So ähnlich muss sich der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich bei der Sondersitzung des Bundestages gefühlt haben, als er das von Kanzler Olaf Scholz über Nacht aus dem Hut gezauberte Rüstungspaket für die Bundeswehr verteidigte. Mützenich, der wie kein zweiter aktiver Politiker die traditionelle Abrüstungs- und Entspannungspolitik der SPD verkörpert, stand am Rednerpult und musste das größte Aufrüstungsprogramm seit Bestehen der Bundeswehr als alternativlos verkaufen. Der „Überfall Putins“ habe die internationale Ordnung zerstört und die europäische Friedenspolitik „um Jahrzehnte zurückgeworfen“.

Seit ihrem „Februarerlebnis“ im Bundestag reden die deutschen Sozialdemokraten (fast alle) so, als sei ihnen die luxuriöse Ausstattung der Bundeswehr mit modernsten Kampfpanzern, Kampfflugzeugen, Kampfschiffen und Kampfdrohnen schon immer eine Herzensangelegenheit gewesen, als hätte nie ein Sozi die von der Nato verlangte Steigerung der Verteidigungsausgaben in Zweifel oder gar – wie Sigmar Gabriel – ins Lächerliche gezogen. Noch im März 2017 spottete der damalige Außenminister gegenüber seinem US-Kollegen: „Ich weiß gar nicht, wo wir die ganzen Flugzeugträger hinstellen sollen … Ich halte es für völlig unrealistisch zu glauben, dass Deutschland einen Militärhaushalt von über 70 Milliarden Euro pro Jahr erreicht … Ich kenne auch keinen Politiker in Deutschland, der glaubt, dass das in unserem Land erreichbar oder auch nur wünschenswert wäre.“

Doch im Angesicht des Krieges trauen sich nicht einmal mehr die Jusos, einem Friedensbündnis beizutreten, das sich der geplanten Verschwendung entgegenstemmt. Nur die Sozialistische Jugend – Die Falken, der Sprecher der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, Klaus Barthel, und die zur Splittergruppe geschrumpfte Linke in der SPD namens Forum DL21 haben den Mut, dem Bundeskanzler offen zu widersprechen und den „beispiellosen Paradigmenwechsel“ anzuprangern: „Für eine gut ausgestattete Bundeswehr braucht es weder Sondervermögen noch weitere Milliarden. Die Bundeswehr ist nicht von einer Unterfinanzierung geplagt, sondern von strukturellen Problemen beim Management und der Beschaffung von Materialien.“

Deutschland pumpt fast so viel Geld ins Militär wie Russland

Mit dieser Meinung stehen die Linken allerdings auf verlorenem Posten. Sowohl die Ko-Vorsitzende Saskia Esken als auch der „Kurzzeit-Parteirebell“ Kevin Kühnert lobten den Milliardencoup des Kanzlers. Der zum Scholz-Verteidiger mutierte Generalsekretär geht von einer „geschlossenen Unterstützung der SPD-Fraktion“ für die Bundeswehr-Aufrüstung aus. Man müsse, so Kühnerts philosophische Begründung, „die Logik des Militärischen als letzte Instanz nutzen“.

Kein Wort mehr darüber, dass der Bundeswehr-Etat schon seit 2015 überproportional steigt, mal um vier, mal um sieben, mal um zwölf Prozent im Jahr, von 33 Milliarden Euro 2015 auf 50,3 Milliarden 2022. Kein Wort darüber, dass Deutschland fast so viel Geld ins Militär pumpt wie Russland, dass die Nato-Vormacht USA – nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI – gigantische 39 Prozent der weltweiten Militärausgaben bestreitet, Russland nur ganze 3,1 Prozent. Allein die Ausgaben der europäischen Nato-Mitglieder übersteigen die Ausgaben Russlands um das Sechsfache. Wozu also eine zusätzliche „100-Milliarden-Bazooka“? Um künftig China in Schach zu halten? Um eine neue deutsche „Weltpolitik“ einzuleiten?

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Deutsche Politiker brauchen ihre Krieg wie das Stinktier seinen markanten Duft

Auch die Grünen, die sich bei ihrer Gründung noch zur Gewaltfreiheit bekannten, haben ihre friedenspolitischen Überzeugungen den „neuen Realitäten“ angepasst. Zwar plagen die Grüne Jugend ein paar „Bauchschmerzen“, aber im Grunde hat man den Überwältigungsvergleichen der grünen Kabinettsmitglieder nichts entgegenzusetzen. So wie Außenminister Joschka Fischer 1999 die Teilnahme am Kosovokrieg mit Ausschwitz begründete, so spielt Robert Habeck nun auf der Klaviatur der feministischen Metoo-Bewegung: Man dürfe einer „militärischen Vergewaltigung nicht einfach zuschauen“. Für Grüne, die dennoch zweifeln, hält Habeck ein besonderes Zuckerl bereit. Man werde – dank Christian Lindners Verschuldungspolitik – jetzt noch schneller aus den fossilen Energien aussteigen.

Die Grünen möchten ihre Zustimmung zu den 100 Rüstungsmilliarden dadurch vergessen machen, dass sie einen Teil des Geldes für grüne „Energiesicherheit“ reklamieren. Ähnlich wie Lindner verklären sie deshalb den Ausstieg aus der Abhängigkeit von russischem Erdgas zur heroischen „Verteidigung der Freiheit“. Erneuerbare Energien, so Lindners jüngste Anpassungsvolte, seien „Freiheitsenergien“. Sie gewährleisten die Versorgungssicherheit wie die Aufrüstung den Frieden.

Parlaments-Lobbyisten der Union stehen Gewehr bei Fuß

Quelle         :      Der Freitag-online           >>>>>           weiterlesen

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Oben     — Ein US-Soldat mit einem Panzerfaust. Overloon War Museum.

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Stadtgespräch aus Berlin

Erstellt von DL-Redaktion am 24. Februar 2022

Wenn Macht krank macht

Selber Schuld : Denn niemand hatte sie gerufen – auch er fühlte sich Berufen! Es gibt auch ehrbare Jobs.

Von Simone Schmollack

In den vergangenen Jahren wurde die Öffentlichkeit sensibler dafür, unter welchem enormen Druck Po­li­ti­ke­r:in­nen stehen. Immer öfter ziehen diese deswegen nun einen Schlussstrich, um sich selbst und andere zu schützen.

Wie anstrengend, nervenaufreibend und gesundheitszehrend darf ein Job sein? Manche werden sagen: Stress lässt sich bei zahlreichen Jobs schlicht nicht vermeiden, mehr noch, der gehört einfach dazu. Andere werden widersprechen: Arbeit darf nicht krank machen.

Nun gibt es eine Branche, in der die Frage vermutlich erst gar nicht gestellt und die Antwort bereits eingepreist ist: Politik. Wer, wenn nicht Po­li­ti­ke­r:in­nen, sollte allseits bereit und einsatzfähig sein, zu nahezu allen Themen eine kompetente und vor allem die passende Antwort geben können, in Talkshows und anderswo öffentlich präsent sein, aber auch vor Ort bei den Menschen im Wahlkreis. So denken sicher viele Menschen im Land. Der Anspruch an Po­li­ti­ke­r:in­nen ist hoch. Und gleichzeitig ganz schön viel Ballast für die einzelne Person.

Wer hält so was lange durch? Welchen Preis zahlen Po­li­ti­ke­r:in­nen für die Macht, die mit einem Amt oder einem Mandat verbunden ist? Persönlich, gesundheitlich, familiär?

Gerade hat die Fraktionchefin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus Antje Kapek ihr Amt niedergelegt – nur einen Monat nach ihrer Wiederwahl im Januar. Sie begründete ihren Schritt mit „mentalen und physischen Spuren“, die der vergangene Wahlkampf, die Koalitionsverhandlungen und die Co­ro­na­pandemie hinterlassen hätten. Diese Spuren „kann ich nicht mehr weiter ignorieren“, sagte Kapek.

Ist das verantwortungslos gegenüber dem politischen Amt? Oder verantwortungsvoll gegenüber sich selbst?

Kapek ist nicht die Erste, die die Härte des Politikbetriebs anprangert. 12 Stunden Koalitionsverhandlungen, Dauersitzen, viel Kaffee, kaum Schlaf, die herumlungernde Presse, die nach einem astreinen O-Ton giert.

Claudia Roth, ein Grünen-Urgestein und heute Kulturstaatsministerin, erzählte vor gut zehn Jahren der taz, dass sie manchmal nachts nach Hause in eine leere Wohnung komme und sich wahllos durch das Fernsehprogramm zappe. Einmal sei sie wenige Stunden später auf dem Sofa aufgewacht – immer noch im Mantel.

Milliarden aus dem Fenster werfen? Kita-Plätze statt Betreuungsgeld Aktion mit Sylvia Löhrmann, Cem Özdemir und Stefan Engstfeld.jpg

Werden diese Klagen nicht auf einen sehr niedrigen Niveau geführt ? Für viele Selbstständige und in einer verantwortlichen Position stehenden ist ein 16 – 18 Stunden Tag keine Ausnahme und am Wochenende müssen dann die Bücher geführt werden! Auch trägt der Selbständige die ganze finanzielle Verantwortung und kann sich nicht, wie ein Politiker im Misserfolg vom Acker machen. 

Die Linken-Politikerin Anke Domscheit-Berg beklagte vor zweieinhalb Jahren öffentlich sowohl Arbeitsvolumen als auch Arbeitsbelastung im Bundestag, sie nannte sie „menschenfeindlich“ und „gesundheitsschädlich“. Kurz zuvor waren zwei Abgeordnete mit Schwächeanfällen zusammengebrochen, Domscheit-Berg hat selbst erlitt zweimal einen Burn-out. Auch ihre Kollegin, die Linke Sahra Wagenknecht, zog sich nach einem Burn-out aus der ersten Reihe zurück. Die Grüne Renate Künast offenbarte, dass die Härte des Politikbetriebs auch sie härter gemacht habe.

Bis vor Kurzem waren solche Outings ein absolutes ­No-go, ein Tabuthema, über das öffentlich zu sprechen lediglich eine offene Flanke bot – persönlich, vor allem aber für den politischen Gegner.

Auffällig ist, dass es Frauen sind, die Überlastungen des Politikbetriebs und das eigene Ausgebranntsein zum öffentlichen Thema machen. Männer hingegen zeigen sich meist von überbordender Potenz. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Phi­lipp Amthor findet, an die Belastungsgrenzen zu gehen, „gehört zu einer verantwortlichen Führungsposition dazu“. Oder anders formuliert: Heul nicht rum, du hast es so gewollt, also kommt damit klar.

Quelle         :        TAZ-online        >>>>>       weiterlesen

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„Ich war nicht feige“

Erstellt von DL-Redaktion am 23. Januar 2022

Linke Petra Pau über ihre Wurzeln

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Das Interview mit Petra Pau führte Emilie Plachy

Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau hat einen langen Weg hinter sich. Ein Gespräch über Herkunft, fehlende Tische und den Rucksack der linken Partei.

taz: Frau Pau, wir treffen uns in Berlin-Lichtenberg, einem Ostberliner Arbeiterbezirk. Was verbindet Sie mit dieser Gegend?

Petra Pau: Hier bin ich groß geworden. Von unserer Wohnung in der Türrschmidtstraße blickten wir über die S-Bahn-Gleise hinüber zur Erlöser­kirche, unserer Kirche. Meine Mutter ist Christin, mein Vater war getauft. Was übrigens nicht bedeutet hat, dass sie ein Problem damit gehabt hätten, dass ich auch bei den Pionieren war.

Was war das hier für eine Gegend?

Mein Schulweg führte mich hier in der Victoriavorstadt an alten Mietshäusern vorbei. Es gab noch Tiere: Kaninchen, Kühe und Hühner in den Höfen, auch Pferde. In der Nähe entstand ein nagel­neues Hochhausgebiet, dort stand meine Schule: acht Züge, in jeder Klasse dreißig Kinder.

Sie sind 1963 in Ostberlin geboren. Ihre Eltern waren Arbeiter. Würden Sie sagen, Sie kommen aus einfachen Verhältnissen?

Einfache Verhältnisse waren das in jedem Fall. Aber arm habe ich mich nie gefühlt, ich war es auch nicht. Es gab Kinder, die waren materiell besser ­gestellt, klar. Aber das Wichtigste war, dass ich eine gute Bildung bekommen habe. Das ist ja ein Thema, das mich als Politikerin bis heute umtreibt: dass Herkunft wieder so viel mit Bildung zu tun hat. Inzwischen ist die erste Hartz-IV-Generation erwachsen. Die Folgen von deren Armut und Benachteiligung sehen wir politisch und gesellschaftlich. Das darf nicht so bleiben. Ich hatte die Chance auf Bildung. Und das sage ich, ohne die DDR-Verhältnisse verklären zu wollen.

Mit Ihrer Herkunft kommen Sie aus der Arbeiterklasse. Das galt ja in der DDR als das Edelste. Wie edel war das denn tatsächlich?

Fangen wir mit Mama an. Sie ist 1945 aus Pommern mit ihren Eltern, drei Schwestern und zwei Brüdern nach Berlin gekommen. Ihre Traumata zeigt sie erst jetzt, in ihrer letzten Lebensphase. Sie lebt in einem Pflegeheim. Mama hat nach der achten Klasse als Verkäuferin ge­arbeitet und stand in den Sechzigern im Berliner Fernsehwerk am Fließband. 1961 hat sie meinen Papa kennengelernt, nach meiner Geburt und der meiner Schwester blieb sie mit uns zu Hause. Später hat sie hier im Viertel Pflegekinder betreut. Heute würde man Tagesmutter dazu sagen.

Und Ihr Vater?

Papa kam hier aus dem Kiez, den Krieg hat er im Luftschutzkeller erlebt. Gelernt hat er dann Kanalschacht­maurer. Ich erinnere mich sehr gut, wie er bei unseren Sonntagsspaziergängen durch Berlin zu jedem Gully eine Geschichte erzählt hat. Später hat er als Kraftfahrer bei Zoologica gearbeitet, einem DDR-Außenhandelsbetrieb für seltene Tiere. Er fuhr über Land und holte bei den privaten Zierfischzüchtern die Tiere ab. Später hat auch meine Mutter bei ­Zoologica als Tierpflegerin für Zier­fische angefangen, das war eine harte Arbeit.

Hat es der kleinen Petra genützt, aus einem Arbeiterhaushalt zu kommen?

Sagen wir mal so: Ich war stolz wie Bolle auf meine Eltern. Und wenn ich Anstalten gemacht hätte, mich doch noch für die Erweiterte Oberschule zu bewerben, hätte ich vermutlich einen der seltenen Abiturplätze bekommen. Aber ich wusste früh, dass ich Unterstufenlehrerin werden möchte, dafür reichte nach der Zehnten ein Fachschulstudium. Ich hatte eine großartige Lehrerin und Pionierleiterin, wie sie wollte ich werden.

In den DDR-Klassenbüchern stand hinter den Namen der Schüler A für Arbeiterklasse, I für Intelligenz. Müssen Sie daran manchmal denken, wenn heute von Klassismus die Rede ist?

Aus heutiger Sicht war das eine arg grobe Einteilung. In meinem Fall traf das ja zu. Aber die Kinder von Armeeangehörigen galten auch als Arbeiterklasse. Tatsächlich ging es der DDR darum, eigene Machteliten zu bilden. Es ist ja bekannt, wie vielen Kindern aus christlichen Familien die Bildungs­karriere verbaut worden ist.

Sie sind getauft und konfirmiert worden. Wann und warum sind Sie aus der Kirche ausgetreten?

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Ich bin in der zehnten Klasse ausgetreten, ich hatte Streit mit einigen Gemeinde­mitgliedern. Nach meiner Erinnerung habe ich damals gesagt, ich bräuchte nicht die Kirchenmitgliedschaft, um Christin sein zu können. Der Austritt hatte aber auch mit dem Abnabelungs­prozess von meinen Eltern zu tun.

Wie haben die reagiert?

Mama war entsetzt, obwohl sie eigentlich eine pragmatische Christin war, die nur an den Feiertagen mit uns Kindern in die Kirche ging. 1991 sind dann übrigens meine beiden Eltern aus der ­Kirche ausgetreten. Sie haben das ­Prinzip, dass der Staat die Steuern für ihren Glauben einzieht, nicht eingesehen.

Heute sind Sie Bundestags­vizepräsi­dentin. Haben Sie noch Reflexe wie „Das hätte ich mir selbst nicht zugetraut“ oder „Geht das alles nicht ein bisschen weniger opulent?“?

Durchaus (lacht). Das ging schon los, als ich 1995 in Berlin Abgeordnete geworden bin. Bis dahin hatte ich Basisarbeit gemacht und höchstens mal einen Kaffee spendiert bekommen. Das Niveau änderte sich schlagartig, als es auf die Landes- und später die Bundesebene ging. Auch wegen meiner eigenen Herkunft war es mir immer wichtig, mich bei den Servicekräften zu bedanken, das halte ich bis heute so.

Sind Sie je gedemütigt worden? Als Frau, als Ostdeutsche, als Linke?

Eher über die politische Auseinandersetzung. Ich habe kürzlich für meine jungen Mitarbeiter – die sind um die Jahrtausendwende geboren – eine Rede von mir zu Bürgerrechten und Demokratie aus dem Jahr 2013 rausgesucht. Es ging um den Großen Lauschangriff. Da hatten sich bei CDU und CSU einige Abgeordnete richtig reingesteigert und riefen ständig dazwischen: „Stalinistin!“ „Die war doch an der Parteihochschule!“ Solche Sachen. Da habe ich mein Manuskript beiseitegelegt und sinngemäß gesagt: Ja stimmt, ich bin 1989 nicht auf die Straße gegangen. Ich habe meine Lektion gelernt. Und gerade deshalb nehme ich mir heute das Recht heraus, auf die Verletzung von Bürgerrechten hinzuweisen. Da bin ich für meine Verhältnisse aus dem Anzug gestiegen.

Nach der Schule wurden Sie Pionierleiterin und Lehrerin. Was genau haben Sie da gemacht?

Jedenfalls nicht jeden Tag Fahnen­appell und Kampflieder singen (lacht). Sagen wir so: Wie man Deutsch und Kunsterziehung unterrichtet, habe ich genauso gelernt wie jede andere Studierende. Didaktik, Psychologie – das war eine grundsolide Ausbildung. Und statt des dritten Faches habe ich dann gelernt, Pionierleiterin zu sein. Wir verstanden uns da durchaus als Funktionäre der staatlichen Kinderorganisation. Wir hatten ideologische Vorgaben, wie die außerschulische Beschäftigung der Kinder organisiert wird, vom Basteln bis zur Faschingsparty.

Fanden Sie es angemessen, wie der Staat sich über Schule, Pioniere und die Jugendorganisation FDJ die Herzen und Köpfe der Kinder schnappte?

Aus heutiger Sicht nicht. Wir hatten vor zwei Jahren Seminargruppen-Treffen und haben genau darüber diskutiert. Meine Mitstudentinnen schöpfen bis heute aus den Kompetenzen, die ihnen damals vermittelt worden sind. Zugleich beurteilen sie das System rückblickend durchweg als falsch. Bis heute spüre ich da eine persönliche Verantwortung: Das war Indoktrinierung, durchaus auch gegen den Willen der Eltern.

Sie traten 1983 in die SED ein, studierten an der Parteihochschule und begannen ein Jahr vor dem Mauerfall, beim Zentralrat der FDJ zu arbeiten. Warum war aus der getauften Petra eine sozialistische Kaderfrau geworden?

1983 war ich mit dem Studium fertig und habe in einer Schule im Prenzlauer Berg angefangen. Der war damals wirklich noch ein Arbeiterviertel, mit teils krassen sozialen Problemen: Gewalt, Vernächlässigung, Verhaltens­störungen. Ich war 20 Jahre alt und kannte so was überhaupt nicht. Mein Plan war, noch ein Pädagogik-Studium dranzuhängen, um in die Lehrerbildung zu wechseln. Da schaltete sich meine Parteileitung ein und sagte: Dafür brauchst du erst mal eine gefestigte Weltanschauung. Ich wurde vor die Wahl gestellt: entweder vier Jahre Marxismus-Leninismus-Studium in Leipzig oder – große Auszeichnung! – drei Jahre Studium der Gesellschaftswissenschaften an der Parteihochschule. Dort war ich die Jüngste und eine von ganz wenigen Frauen. Die meisten waren mittelalte Männer, die für ihre Karriere einen Hochschul­abschluss brauchten.

Sie haben einfach gemacht, was Ihnen gesagt wurde?

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Zwei-Drei Linke aus der Villa Kunterbunt?

Ich habe alles brav mitgemacht. Aber dann passierte etwas: Ich erkrankte schwer an Rheuma, meine Perspektive war der Rollstuhl. Es war klar: Das war’s mit dem Unterrichten. Die Genossen schickten mich stattdessen 1988 in den Bereich Weiterbildung beim Zentral­rat der FDJ, wo ich als Angestellte für Freizeit­pädagogik zuständig sein sollte. Keine Ahnung, wer sich das wieder ausgedacht hatte. Dann kam 1989. Und das war’s dann auch fast schon.

Ende der achtziger Jahre fanden genau hier, in Ihrer Erlöser-Gemeinde, Proteste statt. Was haben Sie über Ihre Alters­genossen mit den Ausreise­anträgen und der Kritik an der Überwachung durch die Stasi gedacht?

In meiner Schule im Prenzlauer Berg unterrichtete ich Kinder, deren Eltern die DDR verlassen wollten. Aber ich fürchte, ich habe damals nicht so sehr viel über all das nachgedacht. Heute weiß ich, dass eine Studienfreundin damals mit ausgetestet hat, ob ich für die Opposition brauchbar wäre. War ich nicht.

Nach dem Mauerfall waren Sie 27 Jahre alt, die Welt stand Ihnen ­offen. Warum haben Sie sich damals mit denselben Genossen zusammengetan und in der PDS, später in der Linken, Karriere gemacht?

Quelle        :        TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

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Oben       —     10.05.2019 Lesen gegen das Vergessen »Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird.«  Erich Kästner – Über das Verbrennen von Büchern, 10. Mai 1953 Wir wollen an Schriftstellerinnen und Schriftsteller erinnern, deren Bücher am 10 Mai 1933 in 22 deutschen Universitätsstädten – beginnend auf dem heutigen Bebelplatz in Berlin – öffentlich verbrannt wurden. Das wollen wir nicht vergessen!

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Ein Schland – à la USA?

Erstellt von DL-Redaktion am 9. Januar 2022

Wollen wir wirklich eine Demokratie à la USA?

Quelle:    Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

In seiner Ansprache anlässlich des Jahrestages des Sturms auf das Capitol am 6.1.2021 spricht Joe Biden davon, dass Trump und seine Komplizen mit diesem Sturm den Dolch an die Kehle der amerikanischen Demokratie gesetzt haben (“dagger at the throat of American democracy”). Da stellt sich zwangsläufig die Frage, von welcher Demokratie der US-Präsident denn eigentlich spricht.

Die US-Verfassung von 1787 regelt im Wesentlichen ein Wahlverfahren mit dem Ziel einer Machtbalance (Gewaltenteilung) zwischen den Befugnissen des Präsidenten, der gleichzeitig Regierungschef ist, und den Rechten des Kongresses und des Abgeordnetenhauses. Und eben diese Machtbalence ist in USA seit 1787 mehrfach und bis heute gestört, wenn man nur z.B. an die gewaltsame Vertreibung der Indianer und deren Verbannung in Reservate denkt, oder an die rücksichtslose Ausbeutung der Bodenschätze des Landes und der Sklaven insbesondere in der Plantagenwirtschaft. Ganz zu schweigen von der Selbstherrlichkeit, mit der die USA militärisch in fremde Länder wie Vietnam, Irak und Kuba eingefallen sind, um ihren politischen Willen durchzusetzen. Unglaublich auch die Intervention in Guatemala zur Durchsetzung ihrer Truman-Doktrin. Spätestens seit Afghanistan dämmert es nun allen, dass die bis dahin eher bewunderte America-First-Attitude ein Rohrkrepierer ist, zumal der Dauerfeind Russland und jetzt auch China die bisher hingenommene Führunsgsrolle der USA insbesondere in den Bereichen Wirtschaft und Technik mehr als fragwürdig erscheinen lassen.

Gleichwohl kämpfen der ehemalige und jetztige Präsident weiter um den Besitz der Wahrheit und Macht. Während Biden Trump ein Lügennetz („web of lies“) vorwirft, spricht Trump bezüglich des Wahlsieges von Biden von einer großen Lüge („big lie“), die zur Zerstörung des Landes führen würde („leading to our country’s destruction”). Und das alles unter dem Schirm einer amerikanischen Demokratie und unter Berufung auf die Regierungsart der USA seit über 200 Jahren, in denen die USA einen sehr eigenwilligen Begfriff von Freiheit gepflegt, Gleichheit und Brüderlichkeit aber weitgehend vernachlässigt haben. Bis heute und mit der Waffe für jedermann, denn spezifisch dieses Recht ist in der Verfassung der USA festgeschrieben.

Wie viele von diesen  dicke Backen blasenden Trompetern laufen Tag für Tag hier im Bundestag als Vertreter ihrer Clan-Parteien  „Ein und Aus?“

Insofern unterscheidet sich die amerikanische Auffassung von Demokratie – was immer das sein soll – ganz entscheidend von dem Demokratieverständnis, wie es aus der Französischen Revolution von 1789 hervorgegangen und in Verfassungen mit dem Volk als Souverän und den Menschenrechten festgeschrieben ist. Erst einmal kräftig und verblüffend planlos draufhauen und dann erst schauen, wie es wohl weitergehen könnte, gilt nicht und führt die Demokratie à la USA ad absurdum. Ein willkürlicher und egozentrischer Gebrauch der Freiheit zum Schaden anderer Individuen und der Natur ist ein Beweis für ein stümperhaftes Verständnis von Demokraties. Demokratische Freiheit ist nur in Harmonie mit Gleichheit und Brüderlichkeit möglich. Aber das scheint die US-Politik erst noch lernen zu müssen. Und solange sie kein überzeugendes Reifezeugnis in Sachen Demokratie vorweisen kann, kann „amerikanische Demokratie“ kein Vorbild für die Welt sein. In einem „westlichen Wertekatalog“ hat sie bis dahin nichts zu suchen.

Urheberrecht
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Demokratie am Kipppunkt:

Erstellt von DL-Redaktion am 26. Dezember 2021

Die Ampel im Krisenjahrzehnt

Ampel Sondierungen und FridaysForFuture protestieren 2021-10-15 169.jpg

von Albrecht von Lucke

n der wohl größten Krise in der Geschichte der Republik hat am 8. Dezember 2021 die vielleicht labilste und jedenfalls unerfahrenste Koalition die Regierungsgeschäfte übernommen. Alles andere als gute Voraussetzungen für den versprochenen historischen Aufbruch. Kaum im Amt, ist die neue Bundesregierung mit der Coronakrise jedenfalls bereits mit einer immensen Bewährungsprobe konfrontiert. Ja mehr noch: mit einer Bewährungsprobe für die Demokratie insgesamt. Derweil der neue Bundeskanzler Olaf Scholz schon von einem „sozialdemokratischen Jahrzehnt“ schwärmt, geht es im Kern um etwas weit Fundamentaleres: nämlich um die Frage, ob die demokratische Politik als solche sich in dieser nicht nur klimapolitisch so entscheidenden Dekade als handlungs-, führungs- und damit letztlich als überlebensfähig erweisen wird.

Das kardinale Demokratieproblem der vergangenen 16 Jahre bestand darin, dass es keine überzeugende politische Alternative zur Dominanz des entpolitisierenden Merkelschen „Sie kennen mich“ gab. Das sorgte für gewaltige Frustration und die Gründung einer inzwischen in weiten Teilen rechtsradikalen „Alternative“ für Deutschland. Jetzt aber könnte die Desillusionierung eine noch größere sein, und zwar vor allem unter den dezidiert demokratischen Kräften, wenn sich nämlich herausstellen sollte, dass nun eine Alternative zur Vorherrschaft der Union zwar gewählt wurde, diese aber gar nicht über die erforderliche Handlungsmacht verfügt, um tatsächlich etwas Grundlegendes zu ändern – angesichts der Größe der Probleme und der Schwäche der politischen Akteure. Das gilt für die sich immer größer auftürmende Klimakrise und, höchst akut, für die aktuelle Corona-Lage. Angesichts steigender Infektionszahlen bei fast stagnierenden Neu-Impfungen kommt es daher für die neue Regierung vor allem darauf an, sofort politische Handlungsfähigkeit zu beweisen. Worum es aber letztlich geht, ist die Rückeroberung des Primats des Politischen. Andernfalls droht aus einem anfänglichen Politikerversagen, das inzwischen längst zu einem Politikversagen in Gänze geworden ist, am Ende ein Systemversagen der Demokratie zu werden.

Während der Coronakrise hat die Politik eine Menge Vertrauen in ihre Kompetenz verspielt. Es begann, nach einem gerade in Deutschland eigentlich verheißungsvollen Start, im Winter des ersten Corona-Jahres mit dem Versagen führender Politiker bei der Bestellung der erforderlichen Impfdosen für die Bundesrepublik und die EU; und es setzte sich fort mit den skandalösen Maskendeals der Union.

Doch im vergangenen Sommer des zweiten Corona-Jahres wurde aus dem Politikerversagen ein Politikversagen. Über Monate wurde die realexistierende Chance verspielt, das zu erreichen, was den Nachbarländern gelungen ist, nämlich deutlich höhere Impfquoten. So wurde aus einem Scheitern einzelner Politiker, insbesondere des Gesundheitsministers Jens Spahn, das Scheitern der Politik als solcher. Dadurch hat diese erheblich an Gestaltungsmacht eingebüßt. Beispielhaft dafür stehen zwei zentrale Aussagen der damaligen Kanzlerin. Am Anfang der Krise, in Angela Merkels historischer Fernsehansprache vom 18. März 2020, stand die eindringliche Bitte: „Die Lage ist ernst. Nehmen Sie sie auch ernst.“ Dies führte zu erheblicher Folgebereitschaft, nämlich zu leeren Straßen und einer vorsichtigen Bevölkerung. Ein knappes Jahr später, Anfang Februar 2021, legte die Kanzlerin nach, mit dem von ihr immer wiederholten Satz, die Regierung wolle bis zum 21. September 2021 – also bis unmittelbar vor der Wahl – „jedem Bürger ein Impfangebot machen können“.

Mit diesem Satz aber setzte sie den völlig falschen Ton. Stets war nur von Angeboten und nicht von irgendwie gearteten verstärkten Anstrengungen die Rede, geschweige denn von Druck auf die Corona-Leugner. Im Gegenteil: Die Politik duckte sich weg unter dem permanenten Protest der Maßnahmengegner wie ihrer medialen Verstärker, insbesondere der „Bild“-Zeitung.

Auf diese Weise gab die Politik das Heft des Handelns bereitwillig aus der Hand – auch deshalb, weil insbesondere die beiden Parteien der großen Koalition während des Wahlkampf keinerlei Interesse daran hatten, ihre Fehler in der Coronakrise zu thematisieren. Die Konsequenz: Über die gesamten Sommer- und Herbstmonate erhöhte sich die Impfquote nur marginal. Faktisch wurde damit die Chance vertan, durch forcierte Aufklärung und echte materielle Anreize weit mehr Menschen zu einer Impfung zu motivieren,[1] zumal inzwischen viel weniger Krankenhausbetten zur Verfügung stehen.

Diese enorme Hypothek eines fundamentalen Scheiterns der großen Koalition erbt nun das neu konstituierte Ampelbündnis. Wobei nicht nur die SPD als Partei des bisherigen Vizekanzlers Olaf Scholz, sondern auch die anderen Parteien als Angehörige diverser Landesregierungen an diesem Politikversagen erheblichen Anteil hatten.

Das fatale Erbe der großen Koalition

Damit befindet sich die neue Koalition in der fatalen Lage, dass sie mit den bisherigen Maßnahmen nicht vorwärtskommt, die Pandemie aber weiter eskaliert, und sie deshalb einer fünften Welle des Virus mit dem Griff zur maximalen Maßnahme Einhalt zu gebieten versucht, nämlich durch die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Nachdem die Politik also mit dem harmlosen Zuckerbrot des bloßen Impfangebots radikal versagt hat – und dieses dann noch viel zu sehr abbaute –, versucht sie es nun mit der Peitsche.

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Wo hohle Köpfe alles verpennen,  da müssen die Bürger-Innen Farbe bekennen

Das allerdings beinhaltet die Gefahr maximaler Polarisierung in einer ohnehin massiv gespaltenen Gesellschaft. Und zugleich ändert es nichts an der Tatsache, dass der Erfolg des staatlichen Handelns weiterhin vom Goodwill der Bevölkerung abhängt, also von ihrer Bereitschaft zur Mitarbeit, sprich zur Impfung. Denn während eines in jedem Fall ausgeschlossen sein soll, nämlich der mit physischer Gewalt durchgesetzte Impfzwang, ist noch gar nicht ausgemacht, wie eine solche Impfpflicht faktisch umgesetzt werden kann – zumal schon jetzt diejenigen, die geimpft und geboostert werden möchten, nicht hinreichend bedient werden können

Hier zeigt sich: Der Aggregatzustand des Politischen, das Machtverhältnis zwischen Staat und Gesellschaft, hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten radikal verändert. Während in den 1970er Jahren der konservative Staatsrechtler Ernst Forsthoff von der „Staatsbedürftigkeit der Gesellschaft“ sprach, weil die Gesellschaft, um zu funktionieren, längst auf ihre vor allem wohlfahrtsstaatlichen Institutionen strukturell angewiesen sei, hat die Coronakrise gezeigt, dass auch das Gegenteil der Fall ist: Es gibt nämlich eine existenzielle Gesellschaftsbedürftigkeit des Staates. Ohne das Mittun der Bevölkerung bei der Bekämpfung der Pandemie ist die Politik völlig aufgeschmissen.

Während ironischerweise gerade die neuesten Staatsfeinde, nämlich Corona-Leugner, Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker, die Allmacht des Staates behaupten – „hinter Corona steckt eine Macht, die alles steuert“ –, ist der Staat in der Coronakrise von echtem Durchregieren maximal entfernt. Faktisch haben sich die Machtverhältnisse also radikal verkehrt. Um, notgedrungen, das Unwort von Carl Schmitt zu bemühen: Souverän sind heute die Ungeimpften, denn sie entscheiden über den Ausnahmezustand in den Krankenhäusern. Und der Staat hechelt ihrem Unwillen zur Impfung hilflos hinterher, indem er nur noch die Verlegung der Kranken mit Bundeswehr-Hubschraubern und -Flugzeugen in die letzten freien Betten zu organisieren versucht.

Quelle        :          Blätter-online          >>>>>         weiterlesen

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Oben     —       Protest von FridaysForFuture und Anderen, sowie Ankunft der Verhandlungsteilnehmenden an der Messe Berlin zum letzten Tag der Sondierungsgespräche für eine Ampelkoalition.

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Zukunft der Linkspartei

Erstellt von DL-Redaktion am 20. Dezember 2021

Linkspartei am Kipppunkt

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Für so einen unscheinbaren Gewerkschaffts-Fuzzi gleicht der Porsche einer Rakete ?

Von Anna Lehman

Eine Fraktion, die gegen die Partei agiert. Ein Klimapolitiker, der Autos liebt. Eine enttäuschte Basis. Kann die Linke die Spaltung überleben?

Hitzerekord in der Arktis! 38 Grad wurden in diesem Sommer gemessen, meldet die UN-Klimabehörde am 14. Dezember. Am Tag danach ist Maximilian Becker immer noch frustriert und wütend. „Ich weiß momentan nicht, wie ich Leute in meinem Bekanntenkreis davon überzeugen soll, in die Linke einzutreten.“ Becker kommt aus Leipzig, er ist aktiv in der örtlichen Klimabewegung Ende Gelände und seit Februar auch im Bundesvorstand der Linkspartei.

Am Tag, an dem die Dynamik des Klimawandels erneut deutlich wird, wählt die Bundestagsfraktion der Linken den Abgeordneten Klaus Ernst zum Vorsitzenden das Bundestagsausschusses für Klima und Energie. Ausgerechnet „Porsche-Klaus“! Der schnelle Autos liebt, sich für die Gaspipeline Nordstream2 ins Zeug legt und vor einer Anbiederung an die Klimabewegung warnte. Für die Partei ist Klimapolitik mittlerweile ein Kernthema, hereingetragen vor allem durch jüngere Mitglieder wie Becker, der 2016 in die Linke eintrat. „Der Einsatz für Klimagerechtigkeit ist eines unserer zentralen Politikfelder“, heißt es in einem Beschluss des Vorstands vom Oktober. Becker hat auf diese Formulierung gedrängt.

Nicht nur er ist über die Wahl von Ernst an die Spitze dieses wichtigen und einzigen Ausschusses für die Linksfraktion frustriert und wütend. Eine ehemalige Landesvorsitzende tritt nach 27 Jahren aus der Partei aus, der langjährige abrüstungspolitische Sprecher Jan van Aken zieht sich aus Ärger über die Fraktion aus dem Parteivorstand zurück und verwendet in seinem Austrittsschreiben Begriffe, wie sie sonst im Zusammenhang mit korrupten Regimen fallen.

Vor allem aber sind es jüngere Mitglieder und Aktivist:innen, die ihre Wut und Enttäuschung in den sozialen Medien verbreiten. Tausende haben einen einige Tage vor der Wahl initiierten offenen Brief unterschrieben und die Linksfraktion aufgefordert, den Ausschussvorsitz anders zu besetzen. Umsonst.

Die Seenotrettungskapitänin Carola Rackete, für viele Linke eine Gallionsfigur, twittert: „Die Linke ist mit der Wahl von Klaus Ernst als Vorsitzenden des Klimaausschusses scheinbar weiter im Selbstzerstörungsmodus, indem sie genau die sozialen Bewegungen abschreckt deren Inhalte sie eigentlich im Programm vertritt.“ Rackete hat mehr Follower als die Linkspartei Mitglieder.

39 gegen 60.000

Die Linkspartei, die es im September nur ganz knapp ins Parlament geschafft hat, bewegt sich auf einen Kipppunkt zu. Wird sie in Zukunft noch gebraucht, oder erledigt sie sich von selbst? Zumal sich nun der Eindruck verfestigt, dass ein Grüppchen von 39 Abgeordneten über Richtung und Themensetzung einer 60.000-Mitglieder-Partei entscheiden kann. Ein Grüppchen, das Kritik negiert, Beschlüsse ignoriert und Kommunikationskanäle dicht macht.

Die morgendlichen Telefonate zwischen Partei- und Fraktionsführung, wie sie im Wahlkampf üblich waren, sind längst wieder eingestellt. Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow spricht von einer Entfremdung zwischen Partei und Fraktion. Wie konnte es so weit kommen?

Zum einen hat das magere Wahlergebnis dafür gesorgt, dass es vorwiegend verdiente Parteikader, die auf vorderen Listenplätzen abgesichert waren, in den Bundestag schafften, während Nach­wuchs­po­li­ti­ke­r:in­nen das Nachsehen hatte. Die Linke stellt nun die zweitälteste Fraktion, und ihre Abgeordneten ticken oft traditioneller als die Parteibasis. Die hat sich in den letzten Jahren erheblich verjüngt, ein Fünftel der Mitglieder kam neu hinzu, zwei Drittel davon sind jünger als 35.

Die arrivierte Zusammensetzung der Fraktion stärkt aber auch das fraktionsinterne Machtbündnis aus, grob gesagt, ostdeutschen Prag­ma­ti­ke­r:in­nen und westdeutschen Orthodoxen. Die Mehrheiten sind klar verteilt: Zwei Drittel der Abgeordneten gehören zum sogenannten Hufeisen, der Rest muss sich hinten anstellen. Auch die beiden Parteivorsitzenden Janine Wissler und Hennig-Wellsow, die beide neu im Bundestag sind. Posten werden nach Loyalität und Machtinteressen vergeben, Inhalte spielen kaum eine Rolle.

Im Zentrum dieses Zweckbündnisses: Fraktionschef Dietmar Bartsch, gebürtiger Stralsunder, seit 44 Jahren Parteimitglied. Einer, dessen Karriere in der SED begann, der sich später in PDS und Linkspartei über verschiedene Ämter vom Schatzmeister, Bundesgeschäftsführer bis zum Fraktionschef und Spitzenkandidaten für die Bundestagwahl hochgedient hat. Ein vollendeter Funktionär, dessen Machtinstinkte verlässlich funktionieren. Dessen politische Landkarte sich aber auf Mecklenburg-Vorpommern beschränke, wie Ge­nos­s:in­nen lästern.

Bloß nicht grüner als die Grünen

Bartsch und Ernst seien sich menschlich nie besonders nah gewesen, berichtet ein Genosse, der beide lange kennt. Bartsch zündelte gegen Ernst als dieser Parteichef war, Ernst hielt sich umgekehrt nie mit öffentlicher Kritik zurück, wenn es um den Führungsstil von Bartsch und dessen damaliger Ko-Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht ging.

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Sind das nicht die Preise der Politik? Wo bei Bürger-Innen das Rückgrat endet ist bei den Politiker-Innen meistens schon alles im Arsch ?

Dass Bartsch ihn jetzt als Ausschussvorsitzenden durchgedrückt hat, mag zum einen daran liegen, dass er die Renitenz des Bayern fürchtet. Bei der Vergabe der Arbeitskreise war Ernst auf der Fraktionsklausur im Oktober leer ausgegangen. Es liegt aber auch am politischen Kurs, den Ernst verfolgt und den Bartsch teilt.

Die Linkspartei dürfe nicht „grüner werden als die Grünen“, betonen beide immer wieder. Statt immer ehrgeizigere Klimaziele zu formulieren, müsse sich die Linke auf ihren Markenkern konzentrieren, nämlich die soziale Frage. Auch wenn Ernst nach seiner Wahl in einem Video der Fraktion betont, er wolle die Interessen von abhängig Beschäftigten und sehr jungen Leuten in der Klimabewegung zusammenbringen, nutzt er doch auch die Gelegenheit, erneut für die Energiepartnerschaft mit Russland und für Nordstream2 zu werben. Es wäre blanker Unsinn, so eine Rieseninvestition im Meer zu versenken.

Quelle        :          TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

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Oben     —      Klaus Ernst während einer Plenarsitzung des Deutschen Bundestages am 2. Juli 2020 in Berlin.

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Unten      —   Bundesparteitag Die Linke 2018 in Leipzig

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Porsche-Klaus und die Autos

Erstellt von DL-Redaktion am 15. Dezember 2021

Ex-Linken-Chef soll Klimaausschuss leiten

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Hier will der Zeigefinger etwas erklären was er selber nicht versteht! Aber nicht zu Trotz: Ein Funktionär der Gewerkschaft bleibt immer ein Sprecher der Wirtschaft, sowie eine Bücherschreiberin ihre Bücher verkaufen will.  Da kommen dann schnell die Clans der Partei ins Gespräch.  So hatte es der Chor des WDR einst vorgetragen: „Unsere Oma fährt im Hühnerstall Motorrad, Motorrad ….. – ….. unsere Oma ist ne alte Umweltsau.“

Von Anna Lehmann

„Bist mit dem Porsche gekommen?“, fragte ein Genosse Klaus Ernst 2018 bei einer Wahlkampfveranstaltung. Ernst und Porsche – das gehört für viele zusammen. Nicht nur weil der Bayer, als er noch Linken-Parteichef war, tatsächlich in einem weißen Porsche durch die Gegend brauste.

Sondern auch, weil sein Leben eng mit der Automobilindustrie verwoben ist. Geboren 1954 in München, Ausbildung zum Elektromechaniker. Mit 18 Jahren Eintritt in die IG Metall, nach dem VWL-Studium Gewerkschaftssekretär und unter anderem Arbeitnehmervertreter im Porsche-Aufsichtsrat.

Auch als Linken-Abgeordneter machte Ernst keinen Hehl aus seiner Liebe zum Auto: Er kritisierte Anfang 2020 die Klimapläne der Linken, die ab 2030 auf Verbrennungsmotoren verzichten will, sah darin „eine gewisse Autofeindlichkeit und setzte dagegen auch auf „Verbrennungsmotoren, die mit Biogas oder Synfuels laufen“. Erst im Juli twitterte er ein Foto von sich vor einem Wasserstoffauto, das er gerade Probe gefahren war. Fazit: „Individuelle und ökologische Mobilität, es geht also!“

Mit den klimapolitischen Forderungen der Linken, die vor allem auf einen Ausbau des Nahverkehrs, auf Bahn und Fahrrad setzt, hat das nicht viel zu tun. Trotzdem hat ihn die Bundestagsfraktion nun für den Vorsitz des Ausschusses für Klima und Energie nominiert. Die Entscheidung fiel mit 23 zu 14 Stimmen klar für Ernst aus. Nicht wenige fragen sich, was die Ge­nos­s:in­nen im Bundestag da eigentlich treiben? Zumal sich der rüstige Ernst einst selbst gegenüber der taz als „eine Art Auslaufmodell“ bezeichnete.

Posten nach Loyalität vergeben

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Die naheliegende Antwort lautet, dass das von Fraktionschef Dietmar Bartsch geschmiedete Mehrheitsbündnis nun mal so funktioniert: Wichtige Posten – der Klimaausschuss als einziger, den die Linke führen darf – werden nach Loyalität vergeben. Und Ernst liegt in puncto Autofahren mit Bartsch, der auch gern aufs Gaspedal drückt, auf einer Wellenlänge.

Quelle       :      TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —      Klaus Ernst während einer Plenarsitzung des Deutschen Bundestages am 2. Juli 2020 in Berlin.

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Unten      —     Porsche 911 Carrera RS auf den Classic Days Schloss Dyck 2012. Ansicht: vorne links

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395 – mal ein Ja

Erstellt von DL-Redaktion am 9. Dezember 2021

Bundestag wählt Olaf Scholz zum Kanzler

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Von  Jasmin Kalarickal, Anna Lehmann und Stefan Reinecke

Mehr als 700 Bundestagsabgeordnete kamen am Mittwoch zusammen, um den neuen Kanzler Scholz zu wählen. Die taz hat drei von ihnen begleitet.

Ria Schröder, gekleidet in einem roten Hosenanzug aus Leinenstoff, eilt den Gang auf der Plenarebene des Bundestags entlang, da ertönt auch schon der Klingelton. „Es ist ein aufregender Tag, sagt sie, „für mich als neues Mitglied im Bundestag, für Deutschland, für die Welt.“ Ein friedlicher Machtwechsel, ohne Waffen, ohne Militär sei ja alles andere als selbstverständlich. „Wir wählen demokratisch aus dem Parlament heraus eine neue Regierung und einen neuen Kanzler, das ist so besonders“, sagt Schröder, 29, die für die FDP neu im Bundestag sitzt. „Ich bin geehrt, Teil davon sein zu dürfen.“

Am Mittwochmorgen um kurz nach acht kommt auch Katharina Beck schnellen Schrittes zum Osteingang des Reichstagsgebäudes. Im dicken Mantel gegen die Kälte und hochhackigen gelben Stiefeln für den Schick. Vor dem Mund trägt die Grünen-Abgeordnete eine, na klar, grüne Maske mit gelber Sonnenblume. Später im Plenarsaal muss sie die leider austauschen, denn die Sonnenblume gilt als politisches Abzeichen. Auch Beck, 39, ist neu im Bundestag. Vor einem Jahr arbeitete sie noch als Managerin bei einer großen Unternehmensberatung. Wie Schröder kommt Beck aus Hamburg. Was sie von Olaf Scholz hält, hat die taz sie in einem Vorgespräch gefragt. Sie hat verschmitzt gelächelt. „Ein Schlitzohr.“

Beck ist im selben Jahr bei den Grünen aktiv geworden, in dem Scholz Erster Bürgermeister von Hamburg wurde. 2011 war das. Die Kritikpunkte sind bekannt: Der in Krawallen endende G20-Gipfel in Hamburg, die Steuernachlässe in Millionenhöhe für Banker. All dies fiel in Scholz’ Amtszeit. Doch am heutigen Mittwoch hält Beck sich mit Kritik zurück: „Um das große Ganze nicht zu gefährden.“

Lars Klingbeil sieht am Mittwochmorgen um kurz nach acht aus wie immer. Ausgeruht. Das ist erstaunlich. Der Generalsekretär der SPD steht seit Monaten unter Stress. Er hat den Wahlkampf geplant und organisiert, er hat die Koalitionsverhandlungen gemanagt. „Ich bin schon sehr emotional“, sagt Klingbeil durch seine schwarze Maske auf dem Weg vom Abgeordnetenbüro in den Bundestag. Zwar hat er Angela Merkel schon zweimal zur Kanzlerin gewählt. Er kennt das Prozedere. Aber das jetzt ist anders. Ein SPD-Kanzler, „und ich habe Anteil daran“, sagt er.

Schröder, Beck, Klingbeil und die anderen Abgeordneten des Deutschen Bundestages kommen an diesem 8. Dezember 2021 zusammen, um den Bundeskanzler zu wählen. 369 Stimmen werden gebraucht, insgesamt 416 Abgeordnete stellen SPD, Grüne und FDP, die zusammen die Ampelkoalition bilden werden. Das sollte reichen.

Im Aufzug zur Fraktionsebene des Reichstages drängeln sich Abgeordnete auf dem Weg zur Kanzlerwahl. Klingbeil sagt: „Es wird nicht knapp. Es wird reichen.“ 202 SPD-Abgeordnete strömen um halb neun zur Fraktionssitzung. Vier sind krank. Eine Art Zählappell. Damit Olaf Scholz auch keine Stimme fehlt. Sind Sie stolz, Herr Klingbeil? „Megastolz“, sagt er. „Ich habe eineinhalb Jahre meines Lebens auf diesen Tag hingearbeitet. Vor eineinhalb Jahren haben viele gesagt: Du bist ein Spinner, du kriegst Scholz nie ins Kanzleramt. Wer hätte das der SPD zugetraut?“

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Lars Klingbeil, SPD :  „Ich habe eineinhalb Jahre meines Leben auf diesen Tag hingearbeitet. Wer hätte das der SPD zugetraut?“

Der wundersame Wiederaufstieg der SPD und Klingbeils Karriere verliefen synchron. Wahrscheinlich wäre er, Sohn eines Soldaten mit einer für SPD-Rechte typischen innigen Beziehung zur Bundeswehr, gerne Verteidigungsminister geworden. Aber das zählt heute nicht. Am kommenden Samstag wird er zum SPD-Vorsitzenden gewählt werden. Mit 43 Jahren. So jung wie noch keiner vor ihm.

Auch die Grünen haben noch einmal durchgezählt. Katharina Beck setzt sich danach in die fünfte Reihe der Fraktion. Ihre grüne Maske hat sie gegen eine lachsfarbene ausgetauscht. Auch auf der prangen Sonnenblumen, aber dezenter. Dass sie Scholz ihre Stimme geben wird, daran lässt sie keinen Zweifel. Denn nach diesem Tag geht es daran, den Koalitionsvertrag umzusetzen. Und diesem hat sie „aus vollem Herzen zugestimmt“.

Beck sieht sehr viele grüne Forderungen erfüllt, darunter eines ihrer Herzensprojekte. Unternehmen müssen künftig ökologische und soziale Aspekte in ihre Rechnungslegung integrieren. Häh? Beck, die Unternehmensberaterin, erklärt geduldig. Bisher weisen nur Umsätze oder Gewinne den Erfolg eines Unternehmens aus. Künftig werden auch CO2-Emissionen in die Bilanzen integriert, gewissermaßen das Herzstück der Unternehmenssteuerung. Erfolg werde damit neu definiert. „Klimaschutz wird sich endlich unternehmerisch lohnen – und zwar fair für alle Unternehmen.“ Dass die Grünen Scholz den Kohleausstieg 2038 „abgeluchst“ und im Koalitionsvertrag „idealerweise“ 2030 als Ausstiegsdatum definiert haben, sieht Beck ebenfalls als Er

Als Hamburgerin hat Ria Schröder den designierten Kanzler schon viele Jahre aus der Nähe erlebt. „Er hat als Bürgermeister in der Mietenpolitik einen respektablen Job gemacht, davon profitieren wir heute noch“, erzählt sie, aber sie war natürlich nicht mit allem einverstanden: „G20 hat die ganze Stadt erschüttert.“ Dennoch wird Ria Schröder ihm an diesem Mittwoch ihre Stimme geben, „einen Vertrauensvorschuss“.

Noch 20 Minuten bis zum Beginn der Sitzung. Auf der Ehrentribüne über Beck nimmt Angela Merkel Platz. Sie trägt einen schwarzen Hosenanzug, eine eher ungewöhnliche Farbwahl für die Ex-Kanzlerin in spe. Doch ein wenig Abschiedsschmerz könnte sich an diesem Tag wohl doch in die Vorfreude auf den Ruhestand mischen.

Vorn im Plenarsaal vor den Bänken der SPD-Fraktion steht ihr Nachfolger. Auch er in Schwarz – als hätten sie sich abgesprochen.

Applaus für Angela Merkel

Um neun Uhr eröffnet Bundestagspräsidentin Bärbel Bas die Sitzung. Sie begrüßt Angela Merkel, die geschäftsführende Bundeskanzlerin. Der Applaus der Abgeordneten ist warm und lang. Katharina Beck springt spontan auf, setzt sich wieder, doch dann folgen andere Abgeordnete ihrem Beispiel. Der ganze Bundestag steht auf für Merkel. Fast. Nur bei der AfD rührt sich kein Sitzfleisch und keine Hand. Klingbeil ist einer der Ersten, die aufstehen und weiterklatschen. „Merkel hat das verdient“, sagt er später. Beck gerät sogar richtig ins Schwärmen. „Sie ist eine unfassbar tolle und beeindruckende Person, die 16 Jahre lang das Land regiert hat.“

Dann erklärt Bas als Präsidentin die Formalitäten der Kanzlerwahl: Mit verdeckter Stimmkarte, ankreuzen in der Wahlkabine, dann in die Wahlurne einwerfen. „Bitte erst nach Aufruf, nicht alle auf einmal!“ Die Namen der Abgeordneten werden nun in alphabetischer Reihenfolge vorgelesen: Beck folgt nach Bayram, Klingbeil vor Klöckner, Schröder kommt ziemlich weit hinten.

Quelle        :          TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

Deutschlands neue Regierung: Keine Zäsur, aber eine Chance

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Kommentar von Stefan Reinecke

Die neue Ampelkoalition ist eher aus Not und praktischer Vernunft geboren. Doch sie ist das progressivste Bündnis, das derzeit geht.

Der Machtwechsel ist vollzogen. Er ging kühl und symbolarm über die Bühne, so wie die Bundesrepublik eben ist. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hob für den Tag das Verbot auf, im Parlament Fotos zu machen. Das war, vom Unterhaltungswert her betrachtet, der Höhepunkt. Die geschäftsführende Merkel-Regierung ist nicht mehr im Amt. Die neue Ampelregierung wirkt schon an ihrem ersten Tag geschäftsmäßig.

Dieser Wechsel ist keine Zäsur wie 1969 und 1998. 1998 war ein generationeller Bruch: Die mittig gewordenen 68er übernahmen die Macht. Willy Brandts Kanzlerschaft war ein Demokratisierungsschub und Ausdruck des Bündnisses von Arbeiterbewegung und liberalem Bürgertum. Die Ampel ist eher bedeutungsarm. Man kann sie nur schwer als Reflexion mächtiger gesellschaftlicher Umbrüche lesen. Es ist kein Zufall, dass die Ampel ihren Fortschritts-Slogan als Zitat von Willy Brandt verkauft.

Die Ampel ist eher aus Not und praktischer Vernunft geboren. Es gäbe sie kaum, wenn die Union nicht so ausgelaugt vom Regieren wäre. Die Kanzlerin trat nicht mehr an, nun sitzt der Vizekanzler auf ihrem Posten. Die Deutschen ziehen fast immer Kontinuität dem Wandel vor, das Vertraute dem Unbekannten.

Quelle         :      TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     — Olaf Scholz, Politiker (SPD) – Zur Zeit Vizekanzler und Bundesminister der Finanzen der Bundesrepublik Deutschland. Außerdem ist er Kanzlerkandidat der SPD für die Bundestagswahl 2021. Hier während einer SPD-Wahlkampfveranstaltung im August 2021 in München. Titel des Werks: „Olaf Scholz – August 2021 (Wahlkampf)“

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2.) von Oben        :         Lars Klingbeil, Netzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion zu Besuch am Stand des D-64 e.V. auf dem SPD-Bundesparteitag in Leipzig am 15. Oktober 2013

Verfasser Kaffeeringe         /      Diese Datei ist lizenziert unter der Creative CommonsAttribution-Share Alike 3.0 Unported Lizenz.

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Unten     —         Protest von FridaysForFuture und Anderen, sowie Ankunft der Verhandlungsteilnehmenden an der Messe Berlin zum letzten Tag der Sondierungsgespräche für eine Ampelkoalition.

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Die Suche nach den Wurzeln

Erstellt von DL-Redaktion am 8. Dezember 2021

Hat Deutschland eine souveräne Rolle im gegenwärtigen Umbruch?

Bundesarchiv Bild 102-05952, Wilhelmshaven, Stapellauf Kreuzer »Köln«.jpg

Was wäre für ein Land denn normal gewesen wo es nie über politische Floskeln hinauskam?

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Kai Ehlers

Und welche Aufgabe haben wir, Du und ich dabei?

Reden wir nicht darum herum: die Coronakrise hat auch die unbequeme Frage wieder hochgebracht, ob Deutschland souverän ist. Das führt zu der Notwendigkeit zu klären, was unter Souveränität zu verstehen ist und wer in Deutschland der Souverän ist, wenn die Frage nicht in skurrilen Theorien oder dumpfen Tabus steckenbleiben soll.

Um sinnlose Missverständnisse zu vermeiden, sei vorweggeschickt: Mit der Unterzeichnung des „Zwei-plus-Vier“-Vertrages am 1. Oktober 1990, mit dem die alliierten Siegermächte Frankreich, USA, Großbritannien und Russland im Beisein der Vertreter beider Deutscher Teilstaaten, BRD wie DDR, ihre Vorbehaltsrechte aufgaben, erhielt das wiedervereinigte Deutschland im heute geltenden völkerrechtlichen Sinne seine staatliche Souveränität auf der Grundlage des für die BRD seit dem 23.Mai 1949 geltenden Grundgesetzes.

Wir sehen keinen Anlass diese Vertragslage juristisch zu bezweifeln. Eine andere Frage ist, ob damit auch der geheime Zugriff der Westmächte auf den Post- und Fernmeldeverkehr sowie auf die Geheimdienste entfiel, den Konrad Adenauer seinerzeit außervertraglich legitimiert hatte oder ob dieser stillschweigend in die Zusatzvereinbarungen zum NATO-Truppenstatut eingegangen ist, wie es manche Staatsrechtler erklärten.

Eine andere Frage ist auch, wodurch die Souveränität der jetzigen Bundesregierung innenpolitisch legitimiert ist, wenn es im Grundgesetz heißt, dass alle Gewalt vom Volke ausgehe. Die neue Souveränität geht aber nur von dem „zwei-Plus-Vier“-Vertrag aus.

Nach diesem Vorspann können im Folgenden die eigentlichen Fragen erörtert werden: Wer oder was ist Deutschland? Worin besteht der Umbruch? Was heißt Souveränität? Und wer, schließlich, sind wir?

Beginnen wir mit dem Einfachsten, der Bedeutung des Begriffes „Souveränität“: Nach übereinstimmendem Sprachverständnis ist damit die Fähigkeit und Möglichkeit eines Menschen oder einer Gruppe von Menschen gemeint selbstbestimmtes Subjekt der eigenen Leistungen zu sein. Das Subjekt kann eine natürliche oder eine juristische Person sein.

Historisch hat der Begriff entscheidende Verwandlungen erfahren: Erstmals formuliert wurde er für den abendländischen Raum um das Jahr 1600 von dem französischen Staatstheoretiker Jean Bodin als Konzeption der absoluten Herrschaft. Mit dem westfälischen Frieden von 1648 bekam der Begriff eine allgemeine Gültigkeit für die aus dem Krieg hervorgehende Ordnung Europas. Für Frankreich definierte er den „Sonnenstaat“. Dazu gehört der bekannte Ausspruch Ludwig XIV. „Der Staat bin ich“. Er war der „Souverän“. Das übrige Europa gliederte sich in eine Vielzahl mittlerer und kleiner souveräner Fürsten- und Bistümer auf, deren Mächtige jeder für sich die Rolle des Souveräns beanspruchten. Daraus ergab sich, anders als im zentralistischen Frankreich, eine lebendige staatliche, geistige und kulturelle Vielfalt. Der deutsche Idealismus, generell die deutsche Geistigkeit ist ein Produkt dieser Realität; sie brachte aber auch die Gefahr der unproduktiven Zersplitterung einander bekämpfender souveräner Egos in einer unüberschaubaren Kleinstaaterei mit sich.

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Erst die Französische Revolution brachte das Volk als Souverän auf die historische Tagesordnung. Sie reduzierte, bzw. erhöhte, je nachdem, von welchem Blickwinkel aus man den Prozess betrachten möchte, das System absoluter Herrschaft staatsrechtlich auf den „contrat social“ zwischen Staat und Volk als Nation. Das hieß aber nicht etwa, dass Herrschaft und Beherrschte sich in Freiheit auf diesen Vertrag geeinigt hätten. Vielmehr ging diese Konstruktion als widersprüchlicher Zwitter in die Zukunft.

Mit dem Ende des 1. Weltkrieges wurde der so entstandene Zwitter aus staatlicher und persönlicher Selbstbestimmung, der alle Lebensbereiche einer Nation unter seinem Gewaltmonopol zusammenführte, nicht selten auch zusammenzwang, unter dem Stichwort der Selbstbestimmung des einheitlichen Nationalstaates zum Credo der neu entstehenden Völkerordnung erhoben, wie sie sich in den Vereinten Nationen abbildete. Diese Ordnung, dieses doppelte Verständnis von Souveränität gilt bis heute.

Real hat sich staatliche Souveränität immer an jeweils herrschenden Mächten ausrichten oder abarbeiten müssen, im 19. Jahrhundert am britischen Commonwealth, nach dem ersten Weltkrieg an der heraufziehenden bipolaren Frontlage zwischen den USA und der Sowjetunion, nach der „Wende“, die dem Zusammenbruch der Sowjetunion folgte, an der „einzig verbliebenen Weltmacht“ USA und jetzt an den sich neu herausbildenden Konstellationen. Und real wurde die Souveränität des Volkes immer wieder von Staatsführungen missachtet, eingeschränkt, umgangen oder direkt unterdrückt – und passte sich an, so dass die Aussage des deutschen Grundgesetzes, dass alle Gewalt vom Volke ausgeht, bis heute nicht Realität, sondern immer noch unerfüllter Anspruch für eine noch zu gestaltende Zukunft ist.

Damit sind wir bei einem wesentlichen Kriterium des heutigen Umbruchs angekommen – im Übergang von einer durch abendländische Kultur geprägten, zuletzt US-dominierten Weltordnung in eine große allgemeine Unsicherheit. Sie kann Verschiedenes bringen: neue Lagerbildungen, neue Dominanzen oder eine Explosion der nationalen Vielfalt – alles noch in den Strukturen des einheitlichen Nationalstaats mit ihrer widersprüchlichen Realität von Souveränität, die immer wieder in zwischenstaatlichen wie auch innenpolitischen Konflikten aufbricht und immer am Rande neuer kriegerischer Eskalationen entlangschliddert.

Ergebnis des Umbruchs kann aber auch eine Überwindung der Nationalstaatsordnung – wohlgemerkt: des herrschenden Credos einheitlicher Nationalstaaten – in Richtung selbstverwalteter Netzwerke entlang grenzüberschreitender Interessen, Wirkungen, kultureller Sphären bringen. Das wäre gleichbedeutend mit einer Reduzierung nationalstaatlicher Allmacht auf ein Verständnis von Staat, der darauf beschränkt wird, als Verwalter die Sicherheitsinteressen von Menschen wahrzunehmen, die lokal oder regional zusammenleben. Er hätte diese Menschen gegenüber anderen Regionen zu vertreten, während die in seinen Grenzen lebende Bevölkerung ihre wirtschaftlichen und kulturellen Interessen und Aktivitäten über die Grenzen des so definierten Staates hinaus selbst verwaltet und organisiert.

In dieser möglichen Entwicklung leuchten die Ideen auf, die seinerzeit unter dem Stichwort der Dreigliederung des sozialen Organismus von Rudolf Steiner und von verschiedenen rätesozialistischen Utopien vorgebracht wurden. Sie wurden bisher aber immer wieder von Realitäten des nationalen Einheitsstaates verdrängt, obwohl die materiellen Bedingungen der globalen Gesellschaft für eine solche Entwicklung reif wären. Schon 1918, erst recht nach dem Niedergang des Faschismus, später des Stalinismus war der nationale Einheitsstaat, der Staatssouveränität und Volkssouveränität, Wirtschaft und Geistesleben in einer Rüstung zusammenhalten und gegen alle anderen ebenso gerüsteten Staaten verteidigen muss, ein auslaufendes Modell. Inzwischen ist es sogar überfällig. Die Krise, die wir gegenwärtig erleben, ist Ausdruck dieser Tatsache. Neue Wege der zivilen, vielgliedrigen Organisation des Lebens werden gebraucht. Die materielle Grundlage für ihre Entwicklung ist gegeben.

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Damit sind wir endlich bei der Frage angekommen, welche Rolle Deutschland in diesem Prozess hat, haben könnte, haben sollte. Einfach gesprochen, die Deutschen könnten die Strukturen föderaler Vielfalt, die ihre Wurzeln tief in der Geschichte der staatlichen und geistigen Vielfalt Mitteleuropas haben, heute als bewusste Botschaft in die Welt hinaustragen. Darin könnten sich staatliche Vertreter/innen, ebenso wie eine wache Bevölkerung, welche die Geschichte Deutschlands als ihre eigene, unverwechselbare Geschichte ernst nimmt, als souverän im Sinne ihrer Selbstbestimmung erweisen.

Eine nähere Betrachtung dieser Frage zeigt jedoch, dass Deutschland diese Souveränität zurzeit nicht hat. Staatlich ist Deutschland eingeengt in die Westliche Allianz, die NATO-Mitgliedschaft, aktuell in das Vorkriegsbündnis gegen Russland und China. Innenpolitisch sind die staatlichen organisierten Kräfte dabei, die föderalen Wurzeln des deutschen Gemeinwesens den Anforderungen eines präventiven Sicherheitsstaates unter zu wollen. Corona macht es möglich.

Anders gesagt, der deutsche Staat leistet nicht, was er leisten könnte und sollte, nämlich Bedingungen herzustellen, die die Entfaltung von staatlicher Souveränität möglich machen – und die Bevölkerung duckt sich vor dieser Entwicklung in ihrer großen Mehrheit weg. Was also könnte, was sollte unsere Aufgabe in dieser Umbruchssituation sein? Wer sind „wir“?

„Wir“, um es kurz zu machen, sind diejenigen, die sich diese Souveränität, die „oben“ wie „unten“ nicht zu finden ist, selbst holen, selbst erarbeiten müssen, indem sie sich erinnern, was deutsche Geschichte, was deutscher Geist in ihren Höhen wie auch Tiefen war – und welche Impulse davon jetzt ausgehen könnten. Das ist zum einen der Rückgriff auf die geistige, kulturelle und staatliche Vielgestaltigkeit Mitteleuropas, aus dessen Schoß das heutige Deutschland hervorging. Das ist zum anderen die Erfahrung des tiefen Sturzes in den Ungeist des Faschismus, der zeigte, was geschieht, wenn die geistige Vielfalt in ihr Gegenteil, einen geisttötenden Zentralismus umschlägt. Aus beidem zusammen, aus der Erinnerung an die Kraft der Vielfalt und aus den Lehren, die aus der Brutalität faschistischer Gleichmacherei zu ziehen sind, können die Impulse gewonnen werden, welche die Deutschen, staatlich wie privat, heute in das gegenwärtige Umbruchgeschehen einbringen können. Es ist die Botschaft der Selbstbestimmung, die sich in organisierter Vielfalt verwirklicht. Erst aus der aktiven Vermittlung dieser Impulse kann Deutschlands wahre Souveränität erwachsen.

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de

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Grafikquellen :

Oben      —     Zu dokumentarischen Zwecken behielt das Deutsche Bundesarchiv häufig die original-bildunterschriften, die sein kann fehlerhaft, voreingenommen, veraltet oder politisch extrem. Der feierliche Stapellauf des neuen deutschen Kreuzers Köln auf der Staatswerft in Wilhelmshaven. Die feierliche Taufe wurde unter Anwesenheit des Reichswehrministers Groener, des Admiral Zenker, dem Oberbürgermeister von Köln Adenauer sowie dem Oberpräsidenten von Hannover Noske und einer vieltausendköpfigen Menschenmenge vollzogen. Die Festgäste anläßlich des Stapellaufes des Kreuzers Köln, v.lin.re.: Admiral Zenker, Reichswehrminister Groener, der Oberbürgermeister von Köln Adenauer, und der Oberpräsident von Hannover, Noske.

2.) von Oben    —     Weihnachtsmarkt

Eigene Arbeit (IPTC Unique Object Name: CS-jylidjvjyli)

Zuschreibung: C.Suthorn / cc-by-sa-4.0 commons.wikimedia.org

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NSU Stadtgespräch-Rostock

Erstellt von DL-Redaktion am 26. November 2021

NSU – Migrationspolitik der Union: Brutal zurück

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Eine Völkische Verbrüderung in Apolda der Clan-Scharfmacher ?

Von Volkan Agar

Unionsfraktionschef Brinkhaus kritisiert die „brutale Offenheit im Bereich Migration“ der Ampelkoalition – und zeigt die Verzweiflung seiner Partei.

Brutale Offenheit. Bei dieser Wortkombination handelt es sich um ein Oxymoron. Der gute alte Duden sagt, der Name dieser rhetorischen Figur bedeute „klugdumm“ und komme vom griechischen oxýs, was so viel bedeutet wie „scharf, spitz, scharfsinnig“, und móros, was „einfältig, dumm“ heißt. Das passt zu dem, was der Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus einen Tag nach Vorstellung des Koalitionsvertrags im Deutschlandfunk-Interview über die migrationspolitischen Ziele der Ampel­koa­li­tion gesagt hat: „Wir hätten sicherlich nicht diese brutale Offenheit im Bereich Migration gehabt.“

Warum haut Brinkhaus so früh am Morgen mit so widersprüchlichen Konstruktionen um sich? Das neue Regierungsbündnis hat in finanz- und sozialpolitischen Fragen zweifellos einen starken, dominanten Gelbstich. Man muss aber auch feststellen, dass dieses progressiv-neoliberale Bündnis in gesellschaftspolitischen Fragen Maßnahmen plant, die mit der Union nicht möglich waren.

Der Paragraf 219a, der Ärztinnen und Ärzten verbietet, über sichere Schwangerschaftsabbrüche zu informieren, wird abgeschafft. Im Bereich innere Sicherheit klingt es danach, als wolle die Ampelregierung das angehen, was die Union mit Innenminister Horst Seehofer lange blockierte: Sicherheitsbehörden sollen besser kontrolliert werden, etwa mit einem unabhängigen Polizeibeauftragten, der Einsatz von V-Leuten soll parlamentarisch nachvollziehbar werden.

Und auch in der Migrationspolitik sollen Dinge passieren, die mit der Union selbst unter der ach so progressiven Angela Merkel nicht möglich gewesen wären: Die Ampelkoalitionäre schreiben von mehr legalen Fluchtwegen, einer Zusammenarbeit mit einer Koalition der Willigen, falls die Herausforderung der Migration nicht auf EU-Ebene gelöst werden kann, wonach es derzeit stark aussieht. Die neue Regierung will dafür eintreten, dass keine Menschen mehr im Mittelmeer ertrinken und dass zivile Seenotrettung nicht mehr behindert wird. Sie will Bleibeperspektiven schaffen, Integrationskurse für alle, keine Arbeitsverbote, geduldete Azubis sollen eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen und der Zugang zum Arbeitsmarkt für Mi­gran­t:in­nen grundsätzlich erleichtert werden.

Erwartbar zynisch

Natürlich müssen diese Vorsätze dann an Taten gemessen werden. Aber sie liefern auch so schon eine Projektionsfläche für eine konservative Partei auf Identitätssuche. Deshalb sind Brinkhaus’ Worte erwartbar zynisch: Man denke bei der Wortkombination „brutale Offenheit“ einmal an die gegenwärtige Situation vieler Menschen an der polnisch-belarussischen Grenze. Und diese Worte klingen zynischer, wenn man bedenkt, dass auch ihr Urheber weiß: Deutschland leidet unter Fachkräftemangel, ist ein Land, das wegen seiner demografischen Entwicklung rein ökonomisch auf Migration angewiesen ist. Die FDP, deren lautesten Akteure gern auf den Grenzen nach Rechts balancieren, wenn es ihnen politisch opportun vorkommt, dürfte die neue liberale Migrationspolitik deshalb nicht so sehr als Zugeständnis empfinden.

Quelle        :         TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —   Ralph Brinkhaus beim Politischer Aschermittwoch der CDU Thüringen am 6. März 2019 in Apolda.

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B.T. zur epidemischen Lage

Erstellt von DL-Redaktion am 12. November 2021

Bei weitern Fragen zu Corona rufen sie bitte 112 an:
Schlagabtausch im Bundestag

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Von Andre´ Zuschlag und Christian Rath

Scholz bleibt Scholz: Der designierte Kanzler liefert bei seiner ersten Rede zur Lage im Land keine Gefühlsregung und keine neuen Pläne zur Bewältigung der Pandemie. Aber immerhin funktionieren die Notrufnummern wieder. (Schlagzeile-TAZ).  Im Bundestag wurde in neuen Rollen über den Infektionsschutz diskutiert. Die Union kritisiert die Ampel-Fraktionen scharf.

Offiziell sprach Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag im Bundestag noch für die amtierende Bundesregierung. Doch Applaus erhielt er nicht mehr vom alten Koalitionspartner, der Unionsfraktion, sondern auch von FDP und Grünen, die bislang in der Opposition saßen. In der Debatte über die geplante Novelle des Infektionsschutzgesetzes warb Scholz für die von SPD, Grünen und FDP vorgeschlagenen Änderungen, um Deutschland „winterfest“ zu machen. Und er warb mit trockenem Pathos: „Lassen Sie sich impfen! Es ist wichtig für Ihre Gesundheit und wichtig für unser Land.“

Mit Spannung war Scholz’ Rede anlässlich der ersten Arbeitssitzung des neu gewählten Parlaments erwartet worden. Bislang hatte er sich aus der Debatte, wie die künftige Ampel-Koalition auf die drastisch steigenden Infektionszahlen und die auslaufende Feststellung der epidemischen Lage reagieren soll, zumindest öffentlich herausgehalten. Highlight seiner gewohnt nüchternen Rede: Scholz kündigte ein kurzfristiges Bund-Länder-Treffen zur Coronabekämpfung an, was insbesondere die SPD-Ministerpräsidenten bislang abgelehnt hatten. Das Treffen soll am kommenden Donnerstag stattfinden.

Die meisten Bundestagsfraktionen fanden sich bei dieser ersten parlamentarischen Arbeitssitzung seit der Bundestagswahl in neuen Rollen wieder: Die SPD als designierte Kanzlerpartei und die CDU als Oppositionsführerin, während Grünen- und FDP-Abgeordnete bei ihren Reden nun plötzlich Beifall von der Mehrheit des Hauses bekamen.

Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus brauchte für seine neue Oppositionsrolle keine Eingewöhnungszeit; frontal attackierte er die Ampel und warf ihr „Realitätsverweigerung“ vor. Sowohl Katrin Göring-Eckardt (Grüne) als auch Marco Buschmann (FDP) nahmen das genüsslich zum Anlass, der Union unter gegenseitigem Beifall Versäumnisse in der Vergangenheit vorzuwerfen.

RALF BRINKHAUS, UNIONS-FRAKTIONSCHEF –  „Den Ländern werden Handlungsoptionen genommen“

Konkret ging es bei der Debatte um einen gemeinsamen Gesetzentwurf von FDP, Grünen und SPD. Die „epidemische Lage nationaler Tragweite“ soll demnach vom Bundestag nicht verlängert werden. Als Folge könnten die Bundesländer ab dem 25. November keinen Shutdown für Gastronomie, Handel und Schulen mehr anordnen, auch keine Ausgangsbeschränkungen für die Bürger:innen. Stattdessen sollen die Länder einen stark reduzierten Instrumentenkasten bekommen, so der Gesetzentwurf. Sie könnten noch Maskenpflicht, Abstandsgebote und Hygieneregeln vorschreiben. Auch 2G-Regelungen sollen die Länder im öffentlichen Leben einführen oder fortsetzen können.

Die Union hält das Auslaufen der epidemischen Lage für falsch. „Den Ländern werden Handlungsoptionen genommen“, kritisierte Brinkhaus. „Sie setzen ein völlig falsches Signal an die Gesellschaft“, monierte Nina Warken (CDU). Der Bundestag sollte entweder die epidemische Lage verlängern, so Brinkhaus, oder den Ländern mehr Flexibilität bei der Auswahl ihrer Maßnahmen gewähren.

Scholz will „parteiübergreifend“ verhandeln

Quelle      :      TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

Olaf Scholz’ Rede zur Corona-Lage
Kein Mut, kein Aufbruch

2018-03-12 Unterzeichnung des Koalitionsvertrages der 19. Wahlperiode des Bundestages von Sandro Halank–057.jpg

Kommentar von Pascal Beucker

Mit einer geschäftsmäßig abgespulten Rede präsentiert sich Olaf Scholz im Bundestag als künftiger Kanzler. Aufbruchstimmung kommt keine auf.

Ach, der ist auch noch da? In den vergangenen Wochen schien die Vorfreude auf das Kanzleramt Olaf Scholz derartig in Beschlag genommen zu haben, dass der Noch-Vizekanzler keine Zeit fand, sich wahrnehmbar mit der Coronapandemie zu beschäftigen.

Nun hat er endlich das Wort ergriffen. Angesichts der galoppierenden Infektionszahlen und der sich zuspitzenden Lage in den Krankenhäusern blieb ihm auch gar nichts anderes mehr übrig. Aber seine geschäftsmäßig runtergespulte Rede im Bundestag am Donnerstag war genauso kraft- und mutlos, wie es der Gesetzentwurf von SPD, Grünen und FDP ist, der die noch bis zum 25. November geltende epidemische Lage von nationaler Tragweite ablösen soll.

Mutig wäre es gewesen, wenn es die potenziellen Ampelkoalitionäre gewagt hätten, klare bundesweit geltende Regeln aufzustellen, in welcher Situation welche Maßnahmen zur Pandemie­bekämpfung ergriffen werden müssen. Denn es ist nicht einsehbar, warum bei gleichen Voraussetzungen in einem Bundesland Schü­le­r:in­nen eine Maske tragen müssen, im anderen jedoch nicht.

Aber dafür hätten sich SPD, Grüne und FDP untereinander erst mal einig sein müssen, was sie unter welchen Umständen für nötig halten. Doch schon die Frage, ob 2G- oder 3G-Regeln besser sind, entzweit die Ampelparteien. Soll das etwa der von Scholz propagierte „Aufbruch“ sein?

Zur richtigen Zeit das Richtige zu tun

Quelle        :       TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     Olaf Scholz bei der SPD Regionalkonferenz zur Wahl des SPD-Vorsitzes am 10. September 2019 in Nieder-Olm.

Unten       —     Unterzeichnung des Koalitionsvertrages für die 19. Bundestagswahlperiode: Olaf Scholz, Angela Merkel

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Wenn das Volk stört

Erstellt von DL-Redaktion am 8. November 2021

Bürgerräte können produktive Lösungen für verfahrene Sachdiskussionen liefern. 

Plenarsaal

Die „Akademiker“ lassen sich doch nicht in die erste Klasse wählen – um anschließend auf dem Parkett der dritten Klasse auf Holzstühlen sitzend – mit ihren Wählern zu diskutieren.

Von Gerd Grözinger

Leider sind die Ampelparteien bei mehr Partizipation sehr zögerlich. Tempobeschränkung auf Autobahnen – diese Frage ließe sich zivilgesellschaftlich gut diskutieren.

Das Sondierungspapier von SPD, Grünen, FDP ist immerhin 12 Seiten stark. Und es enthält einen expliziten Punkt zu „Freiheit und Sicherheit, Gleichstellung und Vielfalt in der modernen Demokratie“. Zur Stärkung der demokratischen Partizipation jenseits von Wahlen findet sich dort aber … nichts. Dafür die unschöne Stilblüte, dass man, natürlich „entschlossen“, gegen jede „Form von Menschenfeindlichkeit“ vorgehen will, wobei sich in der beispielhaften Aufzählung neben „Antisemitismus, Rassismus“ etc. auch der „Linksextremismus“ wiederfindet, pikanterweise direkt vor „Queer-Feindlichkeit“. Dabei dachte man eigentlich, dass die simple Gleichsetzung Rot gleich Braun nun wirklich intellektuell überholt sei und dies wenigstens bei den Grünen auch angekommen wäre.

Inhaltlich gibt es zu den formellen Grundlagen der Demokratie nur diese konkreten Aussagen im Sondierungspapier: „Wir wollen das Wahlrecht überarbeiten, um nachhaltig das Anwachsen des Deutschen Bundestages zu verhindern. Das Wahlalter für die Wahlen zum Deutschen Bundestag und Europäischen Parlament wollen wir auf 16 Jahre senken.“

Das sind sicher ehrenwerte Vorhaben. Aber was ist mit einer stärkeren BürgerInnenbeteiligung zwischen den gelegentlichen Akten des Ankreuzens in der Wahlkabine oder auf Briefwahlleporellos? Nur im Anfangsteil, nicht etwa zu „Demokratie“, sondern zum „Modernen Staat“ liest man vorher ganz allgemein: „Wir wollen die Entscheidungsfindung verbessern, indem wir neue Formen des Bürgerdialogs, wie etwa Bürgerräte nutzen, ohne das Prinzip der Repräsentation aufzugeben.“

Diese Einschränkung, bloß nicht das Prinzip der Repräsentation aufzugeben, ist wirklich auffällig. Denn eigentlich haben alle drei beteiligten Parteien zu BürgerInnenräten in den Wahlprogrammen stärkere positive Signale gesetzt, so dass man hier mehr erwarten durfte. Und wohin eine Pseudolösung führt, die ein öffentlich viel geäußertes Anliegen zwar scheinbar aufgreift, es aber zugleich so entschärft, dass am Schluss garantiert nichts die Ruhe Störendes herauskommt, lässt sich am letzten Bundestag beobachten. Auch der hatte schon einmal ein „Modellprojekt Bürgerrat“ gestartet. Und damit der bloß nicht aus dem Ruder läuft, ihm das schöne Besinnungsthema verpasst: „Deutschlands Rolle in der Welt“. Das erinnert doch sehr an eine Schülervertretung, die gern mit so ungemein wichtigen Aufgaben betraut wird, wie auf ein Angebot an Hafermilch im Schulkiosk zu achten.

Datei:Buergerrat Demokratie Hotel.jpg

Die Ratenden haben Angst vor den Bürgerräten ?

Es wäre mehr als angebracht, wenn aus dieser selbsternannten Reform- und Fortschrittskoalition auch in Bezug auf die demokratische Partizipation etwas Vorzeigbares und Verbindliches folgen würde. Oder sind die Verhandlungspartner der gleichen Meinung wie alle Parlamentsmehrheiten der letzten Jahrzehnte? Demokratie, ja bitte – aber zwischen Wahlterminen stört das Volk beim Regieren? Dabei würde die Chance vergeben, umstrittene politische Streitthemen aus dem normalen, parteipolitisch gefärbten Diskurs zu lösen und sie einer anderen demokratischen Institution mit (nach aller Erfahrung schnell aufgebauter) großer Legitimität anzuvertrauen. Denn die Problemlösungskapazität von Parlamenten scheint zunehmend schon dadurch eingeengt zu werden, dass sich die Parteienlandschaft ausdifferenziert und zur Regierungsbildung Koalitionen aus mehreren Gruppierungen gebildet werden müssen, die oft wenig Inhaltliches verbindet. Parallel hat die Bevölkerung aber höhere Ansprüche an politische Konsistenz entwickelt – ein Nebenprodukt steigender Bildung.

Ein europäisches Vorbild dafür, wie man die Institution BürgerInnenrat produktiv für politische Lösungen nutzt, ist die Republik Irland. Dort wurden selbst extrem umstrittene Fragen wie der Umgang mit Abtreibungen durch eine ausgeloste Citizens’ Assembly konstruktiv und unter großer Beteiligung der Öffentlichkeit diskutiert. Ein folgendes Referendum für eine recht liberale Regelung wurde im früher erzkatholischen Land mit relativ großer Mehrheit angenommen.

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Ein Neu-Start der Linken ?

Erstellt von DL-Redaktion am 8. November 2021

DIE LINKE zwischen Erneuerung und Rückbesinnung

2021-09-26 Bundestagswahlabend DIE LINKE by Sandro Halank–040.jpg

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Edith Bartelmus-Scholich

Am 26. September 2021 hat DIE LINKE bei der Bundestagswahl die 5%-Hürde gerissen. Sie ist nur noch im Bundestag vertreten, weil drei Kandidierende je ein Direktmandat errungen haben. Da es für eine Fraktion im Bundestag nur darauf ankommt, ob 5% der Abgeordneten sich zusammenschließen, reichte es mit viel Glück doch noch zum Fraktionsstatus.

Nun hat in der Partei und auch in der stark verkleinerten Bundestagsfraktion die Aufarbeitung der Niederlage begonnen. Personell ist dabei zunächst alles beim Alten geblieben. Forderungen, dass der Parteivorstand zurücktreten solle wurden ebenso wenig nachgegeben wie Forderungen, die Fraktionsspitze auszuwechseln. In der Debatte melden sich die unterschiedlichen Flügel mit im Wesentlichen lange bekannten Ratschlägen zu Wort. Und noch vor einer Entscheidung des Parteivorstands legt sich die Bundestagsfraktion auf ein „Weiter so“ fest.

Wie ist die Ausgangslage?

Nach 1998 entstand durch eine zunehmend neoliberale Politik in den sieben Jahren der Regierung Schröder / Fischer eine Repräsentationslücke links von der SPD. Massenproteste gegen Agenda 2010 und Hartz IV und wachsender Unmut unter GewerkschafterInnen und SozialdemokratInnen bildeten die personelle Grundlage für eine Sammlung, aus der die WASG hervorging, eine Partei, die die Vertretungslücke in den Parlamenten füllen wollte. Von Anfang an war die WASG eine plurale Partei, denn außer Hartz IV-Betroffenen, GewerkschafterInnen und SozialdemokratInnen engagierten sich auch Aktive aus den Sozialen Bewegungen sowie radikale Linke in der neuen Partei. Der Pluralismus wuchs noch an, als 2005 bedingt durch die von Schröder vorgezogene Bundestagswahl ein Fusionsprozess der WASG mit der PDS in Gang gesetzt wurde.

Als 2007 DIE LINKE gegründet wurde, war es ihr bereits gelungen, die Repräsentationslücke, die die SPD geschaffen hatte, in den Parlamenten teilweise zu besetzen. Sie präsentierte sich als die bessere, die eigentliche Sozialdemokratie, angeführt von einem ehemaligen Vorsitzenden der SPD. Mit diesem strategischen Ansatz war sie so lange auf der Wahlebene erfolgreich, wie die SPD klar von ihr unterscheidbar war durch eine ausgeprägt neoliberale Politik. Ferner wurde sie in den ersten Jahren nach ihrer Gründung noch von einem großen Anteil ostdeutscher WählerInnen gewählt und sie erreichte damals auch viele ProtestwählerInnen.

Nach 2009 begann sich die potentielle Wählerschaft der Linkspartei zu verändern. ProtestwählerInnen, aber auch ArbeiterInnen und Erwerbslose wählten immer seltener DIE LINKE. Die Republik rückte in diesen Jahren noch einmal sehr nach rechts. Mit der AfD erschien eine zunächst Euro- und EU-kritische Partei, die sich rasch zu einer rechtspopulistischen Partei, gespeist von rechten, rassistischen Bewegungen, entwickelte. Ein rassistischer Mob setzte mehr und mehr Themen auf die Agenda und wurde zunehmend zur Bedrohung für MigrantInnen und andere gesellschaftliche Minderheiten.

DIE LINKE war sich von Anfang an nicht einig, wie mit diesen Entwicklungen umzugehen sei. Während die Parteispitze um Katja Kipping und Bernd Riexinger ein Konzept entwickelte um auch jüngere Menschen in urbanen Milieus zu erreichen und mit aktiven Mitgliedern in Solidarität mit gesellschaftlichen Minderheiten den Rechten überall entgegentraten, wollte ein Flügel der Partei mit Wagenknecht und Lafontaine an der Spitze, ArbeiterInnen und Erwerbslose sowie Teile der Wählerschaft der AfD durch ein Anknüpfen an rechte Narrative zurückgewinnen. Der rechte Mob hätte dann auch die Agenda der Partei DIE LINKE bestimmt.

Die Bundestagswahl 2017 und ein Wahlkampf in dem die sog. Flüchtlingsfrage eine große Rolle spielte, gaben der Parteispitze um Kipping und Riexinger Recht. DIE LINKE erzielte ein achtbares Ergebnis, sie schaffte es viele neue WählerInnen in urbanen Milieus zu erreichen und die sozialkonservativen WählerInnen nicht in großem Umfang zu verlieren. 62% ihrer WählerInnen kamen 2017 aus urbanen Milieus. Sie waren durchschnittlich jünger und gebildeter als viele sozialkonservativen WählerInnen und konnten mit Konzepten sozialer Modernisierung gewonnen werden.

Im Wahlkampf 2021 allerdings stellte DIE LINKE sich falsch auf. Trotz eines guten Wahlprogramms setzte sie auf einen Wahlkampf, der mit Portemonnaie-Themen überwiegend das kleinere sozialkonservative Potential ansprach. Zudem hatte sie nicht realisiert, wie wichtig in diesem Wahlkampf die „Klimakrise“ werden würde. Es war auch ungünstig, dass sie sich von der SPD, die erstmals wieder soziale Versprechungen machte, nicht grundlegend unterschied. Während des Vorwahlkampfs zertrümmerte DIE LINKE ihr gesamtes gesellschaftliches Sympathisantenumfeld, weil sie es nicht schaffte dem Bashing potentieller WählerInnen in links-grünen Milieus durch Wagenknecht etwas entgegenzusetzen. Da Wagenknecht über die bürgerlichen Medien nicht das Parteiprogramm, sondern ihr „Gegenprogramm“ vertrat, wußten viele WählerInnen nicht mehr wofür DIE LINKE steht. Den Rest besorgte dann die einseitige Eröffnung eines Lagerwahlkampfs, in dem sich DIE LINKE bei SPD und GRÜNEN als Koalitionspartnerin andiente und so die Unterschiede zwischen den Parteien einebnete.

Und nun?

Noch am Wahlabend verkündete Wagenknecht im Fernsehen, dass die Niederlage der LINKEN auf die Abwendung der Partei von ArbeiterInnen und Erwerbslosen zurückzuführen sei. Die Partei müsse sich wieder auf ihren Markenkern, die Soziale Gerechtigkeit, und auf ihre ursprüngliche Idee, Vertreterin des sozialkonservativen Milieus zu sein, besinnen. Die Bundestagsfraktion verständigte sich danach ohne großes Nachdenken auf eben diese Agenda der Rückbesinnung, auf ein „Weiter so“ mit der Strategie, die schon im Bundestagswahlkampf keinen Erfolg gebracht hatte.

2019-05-09 Lorenz Gösta Beutin LINKE MdB von Olaf Kosinsky 1343.jpg

In den Reihen des Parteivorstands mehren sich nun allerdings Stimmen, die diesen Weg eines „Weiter so“ nicht für zielführend halten. Lorenz Gösta Beutin, Mitglied des Parteivorstands aus Schleswig-Holstein, lehnt gut begründet die Verkürzung des Markenkerns auf Soziale Gerechtigkeit ab. Er schreibt: „Doch die alten Zeiten sind vorbei: Agenda-Schröder ist kein Kanzler mehr, die bleierne Merkel-Ära zu Ende. Neue Herausforderungen sind zur sozialen Frage hinzugekommen, auf die eine linke Partei Antworten geben muss: Wir erleben ein Europa, das Menschenrechte mit Füßen tritt. Gefährliche Machtkämpfe zwischen den USA, China, Russland. Eine soziale Spaltung, die eine Gefahr für unsere Demokratie ist. Die Folgen der Coronakrise, deren Kosten auf den Schultern der Schwächsten der Gesellschaft abgeladen werden, während der Reichtum der Reichsten weiter explodiert. Über allem hängt die Klimakrise, die wie ein Brandbeschleuniger alle sozialen und gesellschaftlichen Missstände befeuert. (1)“

Seine Argumentation ist schon deswegen nicht von der Hand zu weisen, weil die SPD den Platz in den Parlamenten für eine „bessere, eigentliche Sozialdemokratie“ links neben der SPD durch einen neuen Mix ihres politischen Angebots sehr verkleinert hat. Eine SPD 2.0 wird zukünftig kaum noch jemand wählen. Und eine Konzentration nur auf das rückwärtsgewandte, sozialkonservative Milieu verbietet sich aufgrund des Umbaus von Wirtschaft und Gesellschaft und aufgrund seines höheren Durchschnittsalters. Frühere Wähler, die während der Legislatur versterben, werden zukünftig nicht nur im Osten, sondern auch im Westen ein Problem sein.

Die Zukunft der Partei DIE LINKE liegt vielmehr da, wo frühere Vorsitzende sie schon gesehen haben: Zuwendung zu den zwischen Grünen und LINKEN schwankenden jüngeren, urbanen Schichten, die mit ihren sozialen Problemen als eine neue Arbeiterklasse erreicht werden können, und Aufnahme der Themen Klima, Umwelt, Artensterben, Resourcenverbrauch etc. in den Markenkern, der dann ökologisch-sozialgerecht sein wird. Dazu gehört die Entwicklung von Praxiskonzepten einer verbindenden Klassenpolitik, die kulturelle Unterschiede überwindet. Dass eine linke Partei antirassistisch und humanitär zu sein hat, und der Unterdrückung von Minderheiten politisch entgegentritt, muss selbstverständlich sein. Fischen am rechten Rand verbietet sich auch deshalb, weil dadurch linke WählerInnen verloren gehen.

Das „sozialkonservative Milieu“ sollte zusätzlich von der Partei DIE LINKE angesprochen werden, aber nicht mit arbeitertümelnder, populistischer Rhetorik, sondern durch eine stetige, zugewandte und ermutigende Arbeit in Quartieren und Betrieben. Dadurch kann eine Bindung an die Partei entstehen. Viele Menschen, die zu den Armen zu zählen sind, wählen heute nämlich nicht mehr DIE LINKE, weil eine kleine linke Oppositionspartei ihnen nicht dazu geeignet erscheint, ihre realen Lebensverhältnisse auch nur ein bißchen zu verbessern. DIE LINKE muss ihren Gebrauchswert für diese Menschen auf andere Art beweisen.

Es kann der LINKEN gelingen sich aus der Sackgasse zu befreien, in die sie geraten ist, weil sie sich stets als die etwas linkere Sozialdemokratie verstanden hat. Der gesellschaftliche Wandel und die multiple weltweite Krise erfordern heute eine Partei mit einem ökosozialistischen Markenkern. Eine solche Partei ist auf der Höhe der Zeit. Sie transportiert eine „neue soziale Idee“. Eine „kleine Schwester der SPD“ werden die WählerInnen hingegen in den „politischen Kindergarten“ schicken.

(1) https://www.nd-aktuell.de/artikel/1158042.die-linke-die-falsche-partei.html

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KOLUMNE * ERNSTHAFT?

Erstellt von DL-Redaktion am 30. Oktober 2021

Repräsentation ist noch keine Macht

Wurde nicht immer ein Kopf zum Schattenboxen in der Demokratie benötigt ?

Von Ulrike Winkelmann

Entschuldigen Sie die Störung, ich komme von der Abteilung „Wasser in den Wein“. Steht er noch vor Ihnen, der Kelch mit der Freude über das Feuerwerk des modernen Parlamentarismus, das wir mit der ersten Sitzung des neuen Bundestags diese Woche erleben durften?

Einen „Festtag der Demokratie“ machte der Deutschlandfunk daraus. Das Echo in den Zeitungen tags drauf klang ebenso: Es tritt ein nigelnagelneues Parlament zusammen, es ist jünger, es ist diverser – und das Präsidium ist rein weiblich! Plus Wolfgang Kubicki, ja. Dessen Witze der kommenden vier Jahre darüber, wie er sich freut, bei der Arbeit stets von Frauen umgeben zu sein, haben wir alle jetzt schon im Ohr.

Chefin des Bundestagspräsidiums aber, also Bundestagspräsidentin, ist Bärbel Bas von der SPD. Sie wurde diese Woche gehandelt als Zeugnis der gewandelten Kultur im Bundestag – weg vom wolfgangschäublischen Griesgramgrau der Großkoalitionäre. Und so diente Bärbel Bas als Beweis dafür, dass in der mutmaßlich anbrechenden rotgrüngelben Zeit eben nicht alle herausragenden Posten der Republik mit Männern besetzt werden, dass die SPD also diesen Fehler eben gerade nicht macht, sondern eine Frau fürs „zweithöchste deutsche Staatsamt“ präsentieren kann. Fortschritt ist möglich, hurra!

Ulrike Winkelmann - Zukunft des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks (34715387826).jpg

Aber ich hatte ja Wasser in den Wein versprochen, hier kommt es: Das Bundestagspräsidium, so leid mir das tut, hat nichts zu sagen. Es ist eben nicht so, dass mit Bärbel Bas als Bundestagspräsidentin die Sonne der Gleichberechtigung überm Regierungsviertel aufgeht. Vielmehr hat die SPD auf den letzten Drücker eine Frau gefunden, die sie auf den unwichtigsten der Posten schieben kann, die sie nun zu vergeben hat.

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Oben     —   Bärbel BasPräsidentin des Bundestags (seit 2021)

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Linke-mehr Pellmann wagen

Erstellt von DL-Redaktion am 16. Oktober 2021

Linke müssen zeigen wie Sozialismus im Kleinen funktioniert

Von Anna Lehmann und Rieke Wiemann

Beinahe wäre die Linkspartei aus dem Bundestag geflogen. Auch dank Sören Pellmanns Direktmandat in Leipzig kam es nicht dazu. Was lässt sich aus seinem Erfolg für die Linke lernen?

Der Mann, der der Linken den Arsch gerettet hat, kommt als letzter zur Fraktionssitzung. Aktentasche in der Hand, graues Hemd, Brille, leicht nach vorn geneigt. Eine Haltung, die große Menschen einnehmen, wenn sie versuchen, nicht aus der Menge herauszuragen.

Sören Pellmann ist seit 2017 für die Linke im Bundestag. Bislang ein typischer Hinterbänkler, sagen Fraktionskollegen, einer der wenig sagte, kaum auffiel. Das hat sich mit der letzten Bundestagswahl über Nacht geändert. „Sören, unser Held“ begrüßen ihn die Ge­nos­s:in­nen zur ersten Sitzung der Fraktion Anfang Oktober. Dass sie sich an jenem Dienstag unter der Reichstagskuppel treffen, dass es sie als Fraktion überhaupt noch gibt, das verdanken sie auch Sören Pellmann.

Der 44-Jährige hat eines von drei Direktmandaten für die Linke gewonnen. Wenn eine Partei in drei Wahlkreisen die Mehrheit der Erststimmen bekommt, dann darf sie Mitglieder gemäß ihrem Zweitstimmenergebnis in den Bundestag entsenden, auch wenn dieses Ergebnis unter 5 Prozent liegt. So wie es der Linkspartei am 26. September passiert ist.

Nur noch 4,9 Prozent der Wäh­le­r:in­nen stimmten bei der Bundestagswahl für die Linke. Ein Absturz um fast 5 Prozentpunkte. Seitdem steht die Partei unter Schock. Dass die Linke in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin wohl mitregieren kann, ändert nichts am bundesweiten Problem: Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird es existenzbedrohend. Und bei der Frage, wie sich die Linke von dieser Niederlage erholt, wie sie sich bundesweit wieder aufrappeln kann, da schauen jetzt viele auf Sören Pellmann. „Ich bin bereit, mehr Verantwortung in der Fraktion zu übernehmen“, sagt er.

Kann dieser Mann die Linke retten? Und wenn ja, wie lautet die Formel?

Altes Rathaus Leipzig 2013.jpg

Einen ersten Hinweis liefern drei Fotos an der Wand seines Berliner Bundestagsbüros: Sie zeigen das Leipziger Rathaus, das Verwaltungsgericht und den „Uniriesen“, ein Hochhaus, das einst die Universität und nun den MDR beherbergt. Sören Pellmann ist Leipziger, dort geboren und geblieben. „Für die Leute vor Ort da zu sein, das war ein wesentlicher Grund, warum wir es geschafft haben, das Mandat zu verteidigen“, sagt er.

Zu Besuch in einem Wahlkreis, zu dem ganz unterschiedliche Stadtteile gehören, darunter auch Grünau, wo die SED einst für 85.000 Menschen Plattenbauwohnungen errichten ließ. Hier wuchs Sören Pellmann mit seinen zwei Schwestern auf. Heute leben noch 44.000 Menschen in den Plattenbauten.

Viele Leipziger kennen noch Sörens Vater Dietmar Pellmann, der die Leipziger PDS nach der Wende prägte. So wie jene ältere Dame, die in Grünau mit ihrem Hund spazieren geht. Sie sei froh, dass Pellmann junior sein Mandat verteidigen konnte. „Ich kannte seinen Vater sehr gut“, sagt die 68-Jährige, die seit 1980 in Grünau wohnt. „Sören ist in die Fußstapfen seines Vaters getreten. Er interessiert sich für die Wünsche der Bürger.“ Auch außerhalb des Wahlkampfes sei er oft im Viertel zu sehen, sagt sie. „Vor seinem Wahlkreisbüro veranstaltet er Events für Kinder, mal wird eine Suppe gekocht, mal werden Luftballons verteilt.“

Nicht nur Grünau, auch das ländlich geprägte Liebertwolkwitz gehört zu Pellmanns Wahlkreis, hier hat er nicht punkten können, 25 Prozent stimmten für den AfD-Kandidaten. Das alternative Connewitz ist dagegen eine Hochburg der Linken, 42 Prozent der Wäh­le­r:in­nen gaben Pellmann hier ihre Stimme. Eine Mutter, die mit ihren Kindern auf einer Brache nahe dem Connewitzer Kreuz spielt, hat Pellmann aus Überzeugung gewählt, wie sie sagt. „Er war der einzige Kandidat, der während des Wahlkampfes präsent war in Connewitz, ich habe ihn häufig vorm Rewe gesehen.“ Ihre Haare hat sie feuerrot gefärbt. Die Linke, sagt sie, gehöre in den Bundestag, denn es sei die Partei, die sich am ehesten für soziale Gerechtigkeit einsetze. Ein Mann mit abrasierten Haaren sagt über Pellmann: „Obwohl er im Bundestag sitzt, ist er ein cooler Lokalpolitiker. Ich habe mich mit ihm im Juli über eine Stunde beim Schönauer Parkfest unterhalten, er ist sehr angenehm.“

Beim Gespräch in seinem Bundestagsbüro erzählt Pellmann, sein Vater habe ihm eigentlich abgeraten, Berufspolitiker zu werden. Er solle sich nicht von der Politik abhängig machen, sich ein zweites berufliches Standbein suchen. Bis zum Einzug in den Bundestag arbeitete Sören Pellmann als Lehrer. Pellmann senior unterstützte den Sohn im Wahlkampf 2017, dessen Einzug in den Bundestag erlebte er nicht mehr, er starb wenige Monate vor der Bundestagswahl.

Kaum jemand hatte 2017 damit gerechnet, dass Pellmann junior das Direktmandat gewinnen würde. Er habe auch sofort begonnen, für seine Wiederwahl zu kämpfen, sagt Sören Pellmann. Und zwar vor Ort in Leipzig. Er blieb für die Linke Mitglied im Stadtrat, der im Rathaus tagt. Er ist dort Frak­tionsvorsitzender und Mitglied in 13 Gremien, vom Sozialausschuss über den Kleingartenbeirat bis zum Aufsichtsrat Städtisches Bestattungswesen Leipzig GmbH.

Die Linke setzt sich in Leipzig für Schulstandorte ein, für abgesenkte Haltestellen, für stabile Fahrpreise und Fahrradwege auf der Karl-Liebknecht-Straße. In seinen zwei Bürgerbüros in der Südvorstadt und in Grünau bietet Pellmann jede Woche Beratungen für Erwerbslose an. Pellmann, der Kümmerer. Diesen Spruch ließ er auch so auf seine Wahlplakate drucken.

Da wundert es nicht, dass Pellmann im Bundestag eher unauffällig blieb. Er wohnt in Leipzig, pendelt in den Sitzungswochen nach Berlin. Was in seiner Fraktion zuweilen belächelt wurde. Als er sich 2019 als stellvertretender Fraktionsvorsitzender bewarb, habe er von einigen Ge­nos­s:in­nen gehört, er habe durch sein kommunalpolitisches Engagement doch gar nicht die Zeit dafür, erzählt er. Gewählt wurde er nicht. Zwei Leute hätten sich inzwischen bei ihm entschuldigt.

Man könnte also sagen: It’s the Kommunalpolitik, stupid. Wenn die Linke bundespolitisch erfolgreich sein will, muss sie beweisen, dass der Sozialismus auch im Kleinen funktioniert.

Das war jedenfalls das Erfolgsrezept der PDS, die sich im Osten als Kümmerpartei profilierte. „Die PDS hat Probleme vom Kopf auf die Füße gestellt“, sagt der sächsische Landesvorsitzende Stefan Hartmann. Das müsse man sich bewahren. „Insofern brauchen wir mehr Pellmänner.“ Aber dass die Linke sich nicht dauerhaft auf populäre Direktkandidaten stützen kann, das weiß auch Hartmann. Die Linke brauche auch eine programmatische Erneuerung. „Kümmern allein reicht nicht mehr.“

Heißt: Neben dem Einsatz für Radwege und Schulstandorte muss die Linkspartei auch einige große Fragen für sich klären: Wie sieht eine Friedenspolitik aus, die nicht allein darauf setzt, dass Deutschland sich aus Konflikten raushält? Wie eine Reform der EU, die mehr ist als Dauerkritik am neoliberalen Status quo? Wie eine Einwanderungpolitik, die nicht pauschal offene Grenzen postuliert? Und wie gelingt eine Klimawende, die sozial gerecht ist? Diese Debatten werden der Partei Schmerzen bereiten. Und es wird nicht nur um Positionen, sondern auch um Posten und Personen gehen.

Die derzeit prominenteste Persönlichkeit, die die Linke hat, ist Sahra Wagenknecht. Sie ist auch die, die am stärksten polarisiert. Im Gegensatz zum Rest der Partei ist sie dauerpräsent in der Öffentlichkeit. Wagenknecht hat auf viele dieser großen Fragen bereits Antworten gefunden. Und diese fallen oft etwas anders aus, als auf Parteitagen von der Mehrheit der Ge­nos­s:in­nen beschlossen. Beim Thema EU zog Wagenknecht einst auch den Austritt aus dem Euro in Betracht, Zuwanderung in den Arbeitsmarkt sieht sie kritisch und die Klimapolitik nicht als Kernthema der Linken. In ihrem aktuellen Buch „Die Selbstgerechten“ teilt sie gegen jene aus, die die Klimakrise und Identitätsdebatten über „wirkliche“, über soziale Probleme stellen. Aktuell trenden ihre impfskeptischen Beiträge in sozialen Medien.

Viele Ge­nos­s:in­nen kriegen mittlerweile Herzrasen, wenn sie den Namen Wagenknecht hören. In Gesprächen hört man immer wieder, sie möge die Partei verlassen. „Wagenknecht lebt davon, der Linken zu schaden, es wäre besser für alle, wenn sie ginge“, sagt ein Vorstandsmitglied. Namentlich will die Person nicht genannt werden. Noch nicht.

Auch Sören Pellmann ist Teil dieses Konflikts. Er gehöre klar zum Wagenknecht-Lager und habe stets Partei für sie ergriffen, heißt es, wenn man in der Fraktion herumfragt. Dass er 2019 die Wahl zum Fraktionsvize verloren hat, mag wohl vor allem daran gelegen haben, dass ihn das Wagenknecht-Lager nominierte, weniger an ihm als Person oder seinem kommunalpolitischen Engagement. Nach diesem Muster verläuft die Meinungsbildung in der Bundestagsfraktion, aber auch in der Partei seit Jahren: Entscheidend ist weniger, welche Position jemand vertritt, sondern welches Lager.

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Oben     —    Antikapitalistische Parole auf einer Black-Lives-Matter-Demo im Rahmen der Proteste infolge des Todes von George Floyd in Minneapolis

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Mögliche Koalitionen – Berlin

Erstellt von DL-Redaktion am 14. Oktober 2021

SPD und Grüne ringen um die Macht

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Von Uwe Rada

Eine Ampel oder wieder SPD, Grüne und Linke? In Berlin hat sich die Frage nach der Koalition zu einem Machtkampf entwickelt. Der Ausgang ist ungewiss.

Wer wird im Roten Rathaus in Berlin künftig regieren? Eine Ampel aus SPD, Grünen und FDP, wie sie derzeit im Bund immer wahrscheinlicher wird? Oder gibt es eine Fortsetzung des bisherigen Bündnisses aus SPD, Grünen und Linkspartei?

Diese Frage hat sich inzwischen zu einem Machtkampf entwickelt, der auf offener Bühne ausgetragen wird. Auf der einen Seite steht SPD-Spitzenkandidatin und Exfamilienministerin Franziska Giffey. Auf der anderen die grüne Frontfrau Bettina Jarasch.

Am Dienstag haben SPD, Grüne und Linke sieben Stunden lang sondiert. Jarasch sprach im Anschluss von „klärenden“ Gesprächen. Giffey schwieg. Natürlich haben alle Parteien Stillschweigen vereinbart.

Tags zuvor, nach siebeneinhalb Stunden Verhandlungen mit SPD und FDP, betonte Jarasch, es seien „extrem intensive Gespräche“ gewesen. Das klang, trotz des Stillschweigens, nach großem Klärungsbedarf, den die Grünen mit den Linken offenbar schon hinter sich haben.

Eine Pattsituation

Ohnehin macht Bettina Jarasch, die bei den Wahlen am 26. September 18,9 Prozent für die Grünen geholt hatte, keinen Hehl daraus, dass sie das Bündnis mit SPD und Linken fortsetzen will. Auch am vergangenen Freitag, als eine Entscheidung über die Koalitionsbildung schon mit Händen greifbar war, hatte sich Jarasch für Rot-Grün-Rot ausgesprochen. Zuvor hatten Grüne und SPD mehrere Stunden lang miteinander verhandelt. Gerne hätten beide Parteien anschließend bekannt gegeben, mit wem sie Koalitionsverhandlungen aufnehmen wollen.

Doch zu einer Einigung war es dann doch nicht gekommen. Stattdessen hatten sich Grüne und Linke, die beide unabhängig voneinander zu Pressestatements eingeladen hatten, in eine Pattsituation manövriert. Denn während Jarasch ihre bekannte Präferenz nur wiederholen musste, ließ Giffey überraschend die Katze aus dem Sack. „Die Präferenz liegt auf dem Ampel-Bündnis“, twitterte sie am Freitag.

An der Pattsituation haben auch die beiden Dreiersondierungen am Montag und Dienstag nichts geändert. Nun diskutieren beide Spitzenfrauen erst einmal in ihren Parteien die Lage. Den größten Klärungsbedarf wird dabei Franziska Giffey haben. Ihre Vorliebe für eine Ampel teilen längst nicht alle in der Berliner SPD.

Antifascist RCC bicycle demonstration Berlin 2020-05-30 03.jpg

Schon kurz nach der Wahl haben sich vier einflussreiche Kreisverbände für weitere fünf Jahre Zusammenarbeit mit Grünen und Linken ausgesprochen. Inzwischen hat sich auch der Co-Vorsitzende des Kreisverbandes Neukölln dafür stark gemacht. Selbst in ihrem Heimatbezirk, in dem Giffey als Stadträtin und Bezirksbürgermeisterin ihre politische Karriere begonnen hatte, kann sie sich einer Mehrheit also nicht mehr sicher sein.

Giffey ist das Druckmittel weggebrochen

Nichts fürchtet Giffey deshalb so sehr wie einen Landesparteitag, der über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entscheidet. Eine entsprechende Forderung der vier Kreisverbände hat sie deshalb barsch abgelehnt. Stattdessen soll die Entscheidung im Landesvorstand fallen. Dort hat Giffey, die seit vergangenem November auch Co-Landesvorsitzende ist, eine komfortable Mehrheit.

Doch auch zwischen Landesvorstand und Giffey läuft nicht alles rund. Nach dem Giffey-Tweet vom Freitag legte der stellvertretende SPD-Landeschef Julian Zado Wert darauf, dass es Giffey war, die sich für eine Ampel ausgesprochen hatte und nicht der Landesvorstand. „Es ist gut, dass für die @spdberlin eine Koalition mit der #cdu jetzt vom Tisch ist“, schrieb Zado ebenfalls auf Twitter. „Der geschäftsführende Landesvorstand der SPD Berlin hat gleichrangige und ergebnisoffene Sondierungen von #R2G und #ampel beschlossen.“

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Nach Pleite bei Bundestagswahl
Linke ringt um Neuaufstellung

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Von Anna Lehmann

Der Parteivorstand der Linken will bei der Entscheidung über die Fraktionsspitze mitmischen. Er befürchtet: Trotz Wahldebakel bleibt es, wie es ist.

Während die CDU nach ihrer Wahlniederlage um Plan und Personal für eine Neuaufstellung ringt, ist es um die gleichfalls gebeutelte Linkspartei seit dem Wahlsonntag ruhig geworden. Viel zu ruhig für den Geschmack mancher Genoss:innen. Sie befürchten, dass die Fraktion auf ihrer Sitzung am 25.Oktober erneut Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali an die Spitze wählt, ohne dass zuvor mit der Partei darüber gesprochen wurde, ob und wie beide die Fraktion künftig führen.

„Ich fordere eine gemeinsame Sitzung von Vorstand und Fraktion noch bevor der Fraktionsvorsitz neu gewählt wird“, sagte Maximilian Becker, Mitglied des Parteivorstands, der taz. „Das gebietet der Respekt vor der innerparteilichen Demokratie.“ Die beiden zentralen Gremien der Linken müssten sich über den Prozess der Neuaufstellung verständigen. „Erst wenn dieser Prozess klar ist, sollte das dazu passende Personal gefunden werden.“

Der Parteivorstand hatte Anfang Oktober eine solche „zeitnahe“ gemeinsame Sitzung beider Gremien beschlossen, „in der Konsequenzen aus dem Ergebnis für die gemeinsame Arbeit und die Arbeit der Fraktion diskutiert werden“. Linkenchefin Janine Wissler sagte der taz, ein solches Treffen werde es geben. „Aber vor dem 25. Oktober ist es nicht realisierbar.“ Die Parteiführung und die Fraktionsvorsitzenden seien aber im ständigen Austausch.

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Oben     —     2021 German federal election and Berlin election party organized by SPD Berlin in Station Berlin.

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Grün-gelbes Streitgespräch

Erstellt von DL-Redaktion am 10. Oktober 2021

„Wir müssen uns halt zusammenraufen“

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Interview von Kersten Augustin und Malte Kreutzfeldt

Können sie das Klima retten? Ein Streitgespräch mit der Grünen Kathrin Henneberger und Lukas Köhler von der FDP über Kohle, CO2-Preis und Subventionen.

Aus den Vorsondierungen zwischen Grünen und FDP ist nichts nach außen gedrungen. Beide Parteien waren darauf bedacht, ihre Konflikte nicht in der Öffentlichkeit breitzutreten. Die taz konnte trotzdem zwei Bundestagsabgeordnete zu einem Streitgespräch gewinnen: Kathrin Henneberger von den Grünen und Lukas Köhler von der FDP.

Am Dienstagabend kommen sie in das taz-Gebäude in Berlin-Kreuzberg, sie mit der U-Bahn, er mit dem Fahrdienst des Bundestags. Sie treffen sich zum ersten Mal, nach wenigen Minuten sind sie beim Du. Für den Fotografen spielen sie zusammen Tischtennis im Doppel und schnippeln an einer Gemüsesuppe. Man merkt: Beide Seiten geben sich große Mühe.

taz: Herr Köhler, Ihre Parteifreundin Ria Schröder hat die Aktivisten von „Ende Gelände“ mal als „Verbrecher“ bezeichnet. Jetzt sollen Sie mit der ehemaligen Sprecherin dieser Initiative eine Koalition eingehen. Kann das gelingen?

Lukas Köhler: Es gibt rechtsstaatliche Prinzipien, und die werden von den Leuten von „Ende Gelände“ bewusst gebrochen. Ich denke, so war der Kommentar von Ria zu verstehen. Aber das heißt ja nicht, dass man über die Themen, die der Anlass dafür waren, nicht diskutieren kann.

Kathrin Henneberger: Wenn wir über Rechtsstaatlichkeit sprechen: Ich stand schon mal in der Grube vor einem Kohlebagger, aber noch nie vor einer Richterin oder einem Richter. Anders als die schwarz-gelbe Landesregierung von Nordrhein-Westfalen: Bei der hat ein Gericht festgestellt, dass die Räumung des Hambacher Waldes illegal war.

Frau Henneberger, bei Ihnen könnte es auch Vorbehalte geben: Viele Ak­ti­vis­t*in­nen halten die FDP für einen Lobbyverband, der beim Klimaschutz nur an die Industrie denkt. Können Sie Ihren Leuten im Hambacher Wald vermitteln, dass Sie mit denen jetzt koalieren wollen?

Henneberger: Das kommt auf die Inhalte an. Wenn wir es schaffen, eine Regierung zu bilden, die die 1,5-Grad-Grenze nicht nur respektiert, sondern auch umsetzt, wenn wir es also schaffen, für unsere Generation eine Zukunft aufzubauen: Warum sollte man es dann nicht versuchen?

Ihre Parteivorsitzenden haben geschrieben, man müsse jetzt nach Brücken suchen, nach Verbindendem. Können Sie etwas Nettes sagen über die Klimapolitik der jeweils anderen Partei?

Köhler: Die Grünen haben klare Zielvorstellungen, wohin die Reise gehen muss, nämlich in Richtung 1,5 Grad. Es ist wichtig, dass man harte Ziele setzt, um die man nicht herumkommt. Den Weg dahin muss man diskutieren.

Henneberger: Vor 15 Jahren musste man mit der FDP noch streiten, ob es überhaupt eine Klima­krise gibt. Das ist jetzt nicht mehr so. Da würde ich liebevoll sagen: Die wissenschaftlichen Erkenntnisse kommen an.

Aber schon beim Ziel gibt es ja Differenzen: Die Grünen wollen – ebenso wie Union und SPD –, dass Deutschland spätestens 2045 klimaneutral ist, die FDP erst 2050.

Köhler: Wir orientieren uns am europäischen Paris-Ziel, und das lautet 2050.

Würden Sie denn ein deutsches Ziel für 2045 mittragen?

Köhler: Das müsste man in den Sondierungen noch mal durchdeklinieren.

Viele Berechnungen kommen aber zum Ergebnis, dass Klimaneutralität bis 2045 auch nicht reicht, um einen fairen Anteil Deutschlands fürs Erreichen des 1,5-Grad-Ziels zu erbringen. Müssten Sie als Klimapolitiker nicht beide mehr fordern?

Henneberger: Ja, natürlich. Als Industrienation müssen wir vorangehen. Je länger wir damit warten, massiv die Emissionen zu reduzieren, desto kleiner wird unsere Chance, die 1,5 Grad einzuhalten.

Das heißt, das Wahlprogramm der Grünen reicht nicht aus?

Henneberger: Jakob Blasel [FFF-Aktivist, der sich um ein Bundestagsmandat bemüht hatte; Anm. der Redaktion] und ich haben immerhin einige Verschärfungen eingearbeitet. Aber ich bin ein sehr praktischer Mensch. Ich diskutiere lieber darüber, was wir in dieser Legislaturperiode anstoßen, damit wir so schnell wie möglich reduzieren.

Köhler: Ich finde es richtig zu fragen: Wie kommen wir auf einen 1,5-Grad-Pfad? Aber bei der Frage, ob uns das gelingt, gibt es mehrere wissenschaftliche Ansätze. Der Pro-Kopf-Ansatz, der ergibt, dass Deutschland für 1,5 Grad zu viel ausstößt, ist nur einer davon. Wir folgen einem anderen. Wie man das berechnet, ist eine Frage der Sondierungen und Koalitionsverhandlungen. Aber ich stimme zu: Deutschland muss vorangehen.

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Henneberger: Für mich bedeutet das 1,5-Grad-Ziel, dass wir die Klimaneutralität nicht bis 2045 aufschieben dürfen. Das ist unsere Verantwortung. Wir beiden werden es nicht in der Hand haben, was im Jahr 2040 passiert. Aber wir haben es in den Händen, was dieses Jahr passiert. Und da müssen wir alles geben, um zum Beispiel neue Autobahnen zu verhindern und Kohlekraftwerke abzuschalten.

Welche Kraftwerke wollen Sie denn in dieser Legislaturperiode stilllegen?

Henneberger: Wir brauchen zuerst einen massiven Ausbau der Erneuerbaren. Der muss sich in dieser Legislaturperiode verfünffachen, damit wir in zehn Jahren bei 100 Prozent sind. Dann müssen wir sehen, wie wir den Kohleausstieg beschleunigen. Welche Maßnahmen sind dafür effektiv, welche dienen dem Wohlergehen der Menschen – sowohl den Ar­beit­neh­me­r*in­nen als auch der Bevölkerung am Tagebau.

Köhler: Ich denke, bei Ausbauzielen und Jahreszahlen sollten wir jetzt nicht den Sondierungen vorgreifen. Das funktioniert nicht. Wir sollten uns darauf konzentrieren, wer welchen Teil einbringt und wie man den Fortschritt erreicht, der dringend erforderlich ist.

Aber der Kohleausstieg ist ja schon ein wichtiger Punkt. Wann muss aus Ihrer Sicht das letzte Kohlekraftwerk stillgelegt werden, um die Klimaziele zu erreichen?

Köhler: Wenn es sich nicht mehr lohnt, es zu betreiben. Und das geht über den CO2-Preis.

Henneberger: Das ist für meine Region, die Menschen rund um den Tagebau, nicht akzeptabel, die brauchen Planungssicherheit. Die haben wir nicht, wenn wir uns allein auf den CO2-Handel verlassen, weil wir dann nicht wissen, wann wir die Kraftwerke abschalten. Außerdem zeigen Studien, dass im Tagebau Garzweiler und Hambach nur noch 200 Millionen Tonnen Braunkohle abgebaggert werden dürfen, wenn wir unter 1,5 Grad bleiben wollen. RWE möchte aber um die 780 Millionen Tonnen verfeuern und dafür im Jahr 2021 noch Grundstücke enteignen und Dörfer abreißen. Das müssen wir verhindern.

Enteignung ist ja auch keine klassisch liberale Politik, Herr Köhler – oder?

Köhler: Nein, aber staatliche Zusagen einzuhalten schon. Aber das ist gar nicht das Thema. Es kann nicht das Ziel sein, den Kohleausstieg so zu gestalten, dass wir den Betreibern noch einmal enorme Entschädigungen für etwas bezahlen, was sie marktgetrieben von allein machen. Bei der Strukturpolitik bin ich total dabei: Wir können die Regionen nicht alleine lassen.

Aber gehört dazu nicht, dass Sie den Menschen ehrlich sagen, dass nicht erst 2038 Schluss mit der Kohle sein wird, wenn wir die Klimaziele ernst nehmen, sondern schon deutlich früher, also 2030?

Köhler: Wir werden wahrscheinlich marktgetrieben 2030 oder sogar davor aussteigen. Aber dafür müssen wir mehr Erneuerbare und mehr Gas zubauen. Und wir sollten dafür nicht mehr Entschädigung bezahlen als nötig.

Henneberger: Habe ich das richtig verstanden – du bietest einen Kohleausstieg deutlich vor 2030 an?

Köhler: Ich biete heute gar nichts an. Dafür ist jetzt nicht die Zeit.

Henneberger: Neurath und Niederaußem sind die zwei CO2-intensivsten Kohlekraftwerke Europas. Die sollen noch bis 2038 laufen. Wenn wir eine Koalition sein wollen, die Deutschland modernisiert, ist das unerträglich. Wir können nicht nur auf den Emissionshandel setzen, der 15 Jahre lang nicht funktioniert hat. Ich kann nicht das Wohlergehen meiner Region darauf verwetten, dass es funktionieren wird.

Köhler: Wie kommst du darauf, dass der Emis­sionshandel nicht funktioniert hat? Klar gab es am Anfang Designfehler, wie bei jedem neuen Instrument. Aber insgesamt hat er das getan, was er sollte, nämlich über die Mengensteuerung die Emissionen reduziert.

Henneberger: 15 Jahre lang war der Preis so niedrig, dass er nichts bewirkt hat. Jetzt erst haben wir einen Preis von 60 Euro pro Tonne – aber weil die Gaspreise enorm gestiegen sind, ist Kohlestrom trotzdem noch profitabel. Und der CO2-Preis kann immer wieder schwanken.

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Köhler: Aber die vorgegebenen Ziele hat der Emissionshandel immer erreicht.

Aber auch die Grünen wollen den früheren Kohleausstieg doch über den CO2-Preis erreichen und nicht das Ausstiegsgesetz neu verhandeln, um neue Entschädigungen zu verhindern.

Henneberger: Es kann gut sein, dass die EU die Entschädigungen in der derzeitigen Höhe für unrechtmäßig hält. Das wäre eine von mehreren Möglichkeiten, neue Verhandlungen für einen früheren Ausstieg aufzunehmen. Außerdem ist fraglich, ob der Paragraf im Kohleausstiegsgesetz, der festschreibt, dass der Tagebau Garzweiler energiepolitisch notwendig ist, überhaupt verfassungsrechtlich in Ordnung ist. Und wir haben im Wahlprogramm auch geschrieben, dass die Dörfer nicht den Kohlebaggern weichen dürfen.

Quelle           :           TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquelle :

Oben         —         Anti-Kohle-Kidz Finger bei Ende Gelände am 26. September 2020.

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Maaßen säuft ab

Erstellt von DL-Redaktion am 29. September 2021

CDU-Rechtsaußen scheitert in Thüringen

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Eine Qualifikation als Laschets Ziegenhüter in der CDU ?

Von Michael Bartsch

Der umstrittene Ex-Verfassungsschutzchef scheitert in Südthüringen mit seiner Bundestagskandidatur. Statt seiner holt ein SPD-Mann das Direktmandat.

 Es war mehr als die Feier eines Direktkandidaten im Volkshaus Meiningen. Die SPD kann wieder gewinnen! Ihr siegreicher Kandidat, der Ex-DDR-Biathlet Frank Ullrich, bezwang im Wahlkreis auch noch Hans-Georg Maaßen, ehemaliger Verfassungsschutzpräsident und Rechtsausleger der CDU. Beim Eintreffen Ullrichs brach zur Wahlparty eine Stimmung unter den knapp 100 SPD-Genossen los wie im Fußballstadion. Minutenlange „Ulle, Ulle“- und „Hey, hey“-Rufe, Gesangsfetzen, eine große rote SPD-Torte, Wein und Blumen, intensive Umarmungen.

Der erst im Frühjahr in die SPD eingetretene Olympiasieger und ehemalige Biathlon-Bundestrainer Ullrich gewann mit etwa einem Drittel der Erststimmen das Direktmandat in Südthüringen. Maaßen dagegen erreichte lediglich 22,3 Prozent, liegt damit nur knapp vor dem AfD-Kandidaten Jürgen Treutler. Die AfD holte dafür die meisten Zweitstimmen im Wahlkreis.

Am Wahlabend hatte die ganze Bundesrepublik aber vor allem wegen der Direktkandidaten, genauer wegen Maaßen auf den Wahlkreis geblickt. Er war vom Landtagsabgeordneten Michael Heym nach Südthüringen gerufen worden, nachdem der Wahlkreis seinen CDU-Bundestagsabgeordneten Mark Hauptmann verloren hatte. Der hatte sein Mandat niedergelegt, nach Vorwürfen im Zusammenhang mit den Maskenaffären der CDU und Anschuldigungen, er sei in die sogenannte Aserbaidschan-Connection verwickelt.

Zu den Unterstützern Maaßens zählten Rechte wie Thilo Sarrazin oder der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt. Überraschend und für viele Thüringer enttäuschend schlug sich aber auch die ehemalige Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) auf die Seite des in der Union höchst umstrittenen Ultrakonservativen.

Support von Neonazis

Unterstützt wurde Maaßen auch von Thüringens bekanntestem Neonazi, Tommy Frenck, der unter anderem die berüchtigten Rechtsrockkonzerte in Themar organisiert hatte. Frenck bot Maaßen vor der Wahl nicht nur seine Unterstützung an, sondern rief am Wahltag auch per Facebook zu dessen Wahl auf. Geholfen hat es nichts.

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Am Sonntag hielt der CDU-Kreisverband Schmalkalden-Meiningen den Ort seiner Wahlparty bis zum Nachmittag geheim und schirmte Maaßen schließlich mit einer geschlossenen Veranstaltung in Zella-Mehlis vor der Presse ab. Mit Bier standen dessen Unionsanhänger dennoch lärmend und scheinbar unbeeindruckt draußen vor dem Veranstaltungsort. Der taz wurde der Zutritt zu einem angekündigten Pressestatement verwehrt. Ein bulliger Türsteher sagte: „Es ist alles erledigt“ und wünschte eine „gute Heimfahrt“.

„Maaßen ist hier als fremd empfunden worden“, erklärt SPD-Kreisvorsitzender Christoph Zimmermann. Anbiederungsversuche hätten nicht gefruchtet. „Ich bin froh, wenn er wieder verschwindet. Den braucht hier keiner“, stimmt der Meininger Oberbürgermeister Fabian Giesder ein.

Der siegreiche Ullrich ging auf seinen unterlegenen CDU-Kontrahenten gar nicht erst ein. „Es fühlt sich tatsächlich wie ein Olympiasieg an“, bedankte sich der nach wie vor drahtige Mann. Er dankte in seiner zurückhaltenden Art seiner Frau und den zahlreichen Wahlhelfern.

Die Linke ist sauer auf Campact

Quelle        :           TAZ-online           >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben  —     Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

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Postmoderne – Identitätsp.

Erstellt von DL-Redaktion am 24. September 2021

Gegen die neoliberalen Ideologien

File:G-20 - Hamburg Schulterblatt zerstörte Geldautomaten 01.jpg

Quelle     :     Untergrundblättle – CH 

Von Prolos

Der Versuch bürgerlicher IdeologInnen, Verwirrung in den unteren Klassen zu stiften, hat in der Geschichte der Klassenkämpfe eine lange Tradition. Postmoderne Identitätspolitik als ideologischer Generalangriff auf die klassenkämpferischen Linke.

Schon Marx und Engels, und später Lenin, mussten die Angriffe kleinbürgerlichen Gedankenguts auf die damals junge ArbeiterInnenbewegung abwehren (Vergl. Engels; „Antidühring“ MEW Bd. 20, Lenin; Werke Bd. 14).Bis heute wird versucht, durch eine massive Ideologieproduktion in den Thinktanks und Universitäten der herrschenden Klasse eine präventive Aufstandsbekämpfung zu betreiben, die der materiellen Repression vorgelagert ist. Diese Ideologien sind fester Bestandteil der aktuellen Counterinsurgency-Programme.Leider sind bis heute auch grosse Teile der politischen Linken anfällig für mannigfaltige Nebelkerzen dieser Art. Zusätzlich nutzt und fördert die herrschende Klasse Ideologiegebäude, die ihre Absichten unterstützen und bekämpft auf schärfste Ideen, die ihren Machenschaften entgegenstehen.Diese Broschüre setzt sich mit der zersetzenden Wirkung der bourgeoisen, neoliberalen Ideologien auseinander und kritisiert ihren Inhalt – auch unter erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten. Jede Ideologie oder Theorie muss kritisch darauf überprüft werden, wem sie letztlich nützt und welche Rolle sie im Klassenkampf spielt. Ohne diese klare Unterscheidung wird praktische Politik bestenfalls durch Zufall richtig. Es ist eben nicht egal, auf welcher ideologischen Basis sich die Kämpfe vollziehen. Nur mit einer richtigen Theorie kann es zuverlässig und langfristig eine richtige Praxis geben.Heute gibt es verschiedenartigste Kämpfe gegen Ausbeutung, Diskriminierung, Unterdrückung, Krieg und Umweltzerstörung und die revolutionäre Linke hat die Pflicht, lebendiger Teil dieser Auseinandersetzungen zu sein.

Deshalb muss die revolutionäre Linke den heutigen neoliberalen Ideologien ihre eigene klassenkämpferische Theorie entgegensetzen. Der dialektische Materialismus bildet nach wie vor die erkenntnistheoretische Grundlage, um bestehende Situationen korrekt zu analysieren und emanzipatorische Kämpfe richtig zu gestalten. Davon handelt dieser Beitrag.

Ein herzlicher Dank geht an alle, die uns mit ihrer Expertise in ihren jeweiligen Fachgebieten, mit Kritik und Anregungen bei der Erstellung dieser Broschüre geholfen haben.

In Ermangelung einer einheitlichen, von allen akzeptierten Schreibweise, haben wir uns in dieser Abhandlung für das Binnen-I entschieden. Angesprochen sind selbstverständlich alle Menschen.

Prolos, September 2021

Die Aufklärung

Die Aufklärung war eines der einschneidendsten geistigen Ereignisse der Weltgeschichte. Sie hat von Europa aus fast die gesamte Welt beeinflusst. Widersprüchlichste Denk- und Gesellschaftssysteme wie Kapitalismus, Sozialismus, Liberalismus, selbst der Faschismus, sind ohne die Aufklärung nicht vorstellbar. Die janusköpfige Gestalt der Aufklärung ergibt sich daraus, dass es von Anfang an zwei Hauptströmungen gab.

Eine linke, emanzipatorischen und eine rechte, reaktionäre Interpretation. Beide stellten den Menschen in den Mittelpunkt und waren in ihrer Abkehr vom Gottesprinzip gleichsam fortschrittlich. Doch während die linke Strömung das Wohl des Menschen in Abhängigkeit vom Wohle aller sah, predigte die rechte die unerbittliche Konkurrenz der Individuen („Der Mensch ist des Menschen Wolf“).

Die eine wollte die Freiheit durch Gleichheit erreichen, während die andere die Freiheit der Konkurrenz beschwor. Es gibt eine Aufklärung des kleinbürgerlichen Idealismus und eine Aufklärung, die zum dialektischen Materialismus führte (Linkshegelianer). Dazwischen gibt es unendlich viele Nuancen, Untergruppen und Variationen. In dieser Ambivalenz liegt die Problematik der unterschiedlichen Interpretationen, die sich aus der Aufklärung ergeben.

Die ökonomische Entwicklung zum Kapitalismus hin wäre ohne den geistesgeschichtlichen Hintergrund der Aufklärung nicht denkbar gewesen. Als politisches Ereignis brachte sie die Französische Revolution hervor, bei der schliesslich die Bourgeoise als Klasse die Macht erringen konnte. Gleichzeitig entstand aber auch die ihr antagonistisch (in unauflöslichem Widerspruch) gegenüberstehende Kraft – das Proletariat.

Im Wesentlichen stehen sich also heute nach wie vor zwei Interpretationen der Aufklärung gegenüber: Eine, die während der industriellen Revolution die Doktrin des Liberalismus des Kapitalismus hervorgebracht hat und eine zweite, die zur Ideenwelt des Sozialismus führte. In den grossen Revolutionen des 20. Jahrhunderts (Russische Revolution, Chinesische Revolution, antikoloniale Kämpfe) konnte die linke Interpretation der Aufklärung grosse Siege vermelden.

Seither geht das zähe Ringen um die Zukunft der Menschheit weiter. Die beiden Denkansätze stehen sich unversöhnlich gegenüber und bilden die Grundlage der wichtigsten Widersprüche in Gesellschaft, Politik und Kultur. Auf dieser Ebene vollzieht sich die Auseinandersetzung bis heute. Auf der eine Seite der bürgerliche Idealismus im Gewandt des Liberalismus und auf der anderen der Sozialismus. Sie stellen die inhaltliche Basis dessen, was man Klassenkampf nennt.

Dies darf bei keinem der politischen Kämpfe vergessen werden.

Dialektischer Materialismus versus Idealismus, von der Antike bis heute

Der grundlegende philosophische Hintergrund der Auseinandersetzung ist die Diskrepanz zwischen materialistischer und idealistischer Denkweise. Die materialistische Denkweise wurde (im europäischen Kulturkreis, und wir wollen uns erst mal hierauf beschränken, um die Sache nicht unnötig zu verkomplizieren) zuerst von den griechischen Denkern und „Naturphilosophen“ verkörpert.

Im antiken Griechenland, einer Wiege der westlichen Kultur, waren viele Menschen gebildet genug, um nach natürlichen Erklärungen für die Phänomene, die sie umgaben, zu suchen. Damit lagen sie zwar nicht immer richtig, kamen der Wahrheit aber oft erstaunlich nahe, wenn man die begrenzten Mittel bedenkt, die ihnen zur Verfügung standen.

Es waren (Natur-)Wissenschaftler und Philosophen – in der Antike keine getrennten Disziplinen – wie Thales von Milet, Pythagoras, Demokrit, Heraklit und Epikur, die ihre Erkenntnisse aus der Beobachtung der Natur mit dem eigenen Verstand ableiteten und in deren Denken kein höheres Wesen vorkam – und wenn, dann nur am Rande als Konzession, um nicht mit den Religiösen ihrer Zeit in Konflikt zu geraten. Vieles von diesem wertvollen antiken Wissen ist nicht zuletzt unter dem Einfluss der Religionen, allen voran der christlichen, wieder in den Hintergrund gedrängt worden.

Von dieser materialistischen Grundidee abweichend entwickelte Platon ein idealistisches Weltbild. Nach der Ideenlehre Platons waren nicht die Dinge an sich real, sondern die ihnen übergeordneten Begrifflichkeiten. Nicht den Pferden als Einzelwesen kam Wirklichkeit zu, da sie in ihrer individuellen Erscheinung alle unterschiedlich sind, sondern dem übergeordneten Begriff Pferd.

Die eigentlichen Objekte stellen demnach nicht die Wirklichkeit dar, sondern die Ideen. Damit stellt Platon die Welt „von den Füssen auf den Kopf“. Die eigentliche Realität existiert nur in unserem Bewusstsein, das Sein ist diesem untergeordnet. Damit formulierte er den Grundgedanken des Idealismus.

Der gewöhnliche Mensch, so Platon weiter, kann die Wirklichkeit nicht erfassen. Wie ein Mensch, der in einer Höhle angekettet ist und nur die Schatten der wirklichen Dinge wahrnimmt, erfassen wir die Wirklichkeit nur schemenhaft. Obwohl Platon betont, dass zumindest dem Philosophen möglich ist „die Höhle zu verlassen und die eigentliche Wirklichkeit zu erkennen“, und er damit zwar elitär aber auch progressiv ist, legt er den Grundstein für Interpretationen, die zu Relativismus und Skeptizismus (Denkrichtungen die sagen, dass die Wahrheit/Realität nicht erkennbar ist) führen. Wir werden später darauf zurückkommen.

Diese prinzipiell idealistische Auffassung prägte die westlichen Kulturen über Jahrhunderte und Jahrtausende. Auch die christliche Scholastik war von dieser Grundidee durchdrungen und unterzog die überhöhte Rolle des menschlichen Bewusstseins (Idealismus) einer nochmaligen Steigerung ins Übersinnliche hin zu Gott (monotheistische Religion). Wodurch die Irrationalität des Denkens buchstäblich ins Unendliche gesteigert wurde.

Der dialektische Materialismus – Philosophie des Proletariats und der Wissenschaft

Erst mit der Renaissance und der darauf folgenden Aufklärung vollzog sich wieder eine Abkehr von diesem jahrhundertelang in Europa geltenden Gottesprinzip. Den „Linkshegelianern“ Marx und Engels gelang es mit der Entwicklung des dialektischen Materialismus „die Philosophie vom Kopf auf die Füsse zu stellen“.

Sie erreichten nicht nur eine Abkehr vom Idealismus, sondern legten auch das Fundament für den wissenschaftlichen Sozialismus. Dabei mussten sie sich immer wieder mit rechten Tendenzen auch in der aufkommenden ArbeiterInnenbewegung auseinandersetzen. Nicht zuletzt im Band 20 MEW – dem sogenannten „Anti Dühring“ – tritt Engels dem Idealismus scharf entgegen. Später tat dies auch Lenin in seiner Schrift „Materialismus und Empiriokritizismus“ (LW Band 14), wo er sich unter anderem mit den Thesen Ernst Machs und der Machisten auseinandersetzt.

Mao Zedong endlich widmete sich in seinen „Fünf philosophischen Monographien“ in klaren, einfachen Worten den grundlegenden Thesen des dialektischen Materialismus. Sie schufen mit dieser wissenschaftlichen, fortschrittlichen Weltanschauung ein scharfes Schwert gegen Idealismus, Religion und Irrationalismus jeglicher Art.

Dies ist immer wieder notwendig, weil auch grosse Teile der Linken für kleinbürgerliche, idealistische Auffassungen empfänglich waren und sind. Dies gilt heute mehr denn je, da sich kaum noch jemand mit den philosophischen Grundlagen des wissenschaftlichen Sozialismus auseinandersetzt und sich nicht zuletzt die studentische Linke gern aus einem Potpourri kleinbürgerlicher, idealistischer Theorien bedient.

Sein und Bewusstsein

Ein grundlegender Unterschied zwischen Idealismus und Materialismus ist die Fragen nach dem Verhältnis von Sein zu Bewusstsein. Während der Idealismus im Bewusstsein das Primäre sieht, behauptet der Materialismus, dass sich das Bewusstsein vom Sein ableitet. Viele kennen den Satz „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“, aber so einfach ist die Welt nicht. Tatsächlich behaupteten die frühen mechanistischen Materialisten (Julien Offray de La Mettrie – Die Maschine Mensch), dass das Sein absolut wäre und das Verhalten der Menschen damit determiniert (unabänderlich festgelegt) wäre.

Der von Marx und Engels entwickelte dialektische Materialismus jedoch betont die dialektische Beziehung zwischen Sein und Bewusstsein. Deshalb stellen Marx und Engels auch die materiellen Grundbedingungen der Menschen in den Mittelpunkt (Entwicklung der Produktivkräfte, Produktionsverhältnisse, Klassengesellschaft).

Den menschlichen Bewusstseinsprozess selbst beschreiben Lenin und später Mao im Wesentlichen wie folgt: Die sinnliche Erfahrung wird durch den Denkprozess zur rationellen Erkenntnis. Diese bestimmt unser Handeln und findet ihre Überprüfung durch die Praxis. Die in der Praxis gemachten neuen Erfahrungen fliessen in die erneute Analyse ein und der Erkenntnisprozess beginnt auf einer weiteren Stufe neu. Über viele relative Wahrheiten nähern wir uns immer mehr der objektiven Wahrheit an. (vergl. hierzu auch Mao Zedong „Über die Praxis“)

Das bedeutet aber auch im Klartext: Es gibt eine unabhängig von unserem Bewusstsein existente äussere Realität und unser Leben hängt ganz wesentlich davon ab wie gut oder schlecht wir diese erkennen. Selbst die phantastischsten Auswüchse unseres Bewusstseins leiten sich immer in gewisser Weise aus der Wirklichkeit ab. (Deshalb sehen die Ausserirdischen in den SF-Filmen auch immer so humanoid aus.) Trotz aller zivilisatorischer Errungenschaften erhebt sich das menschliche Bewusstsein nicht über die Natur, aus der wir Menschen hervorgegangen und deren Teil wir weiter sind – nackte Affen eben.

Die Fähigkeit aller Lebewesen, mit der objektiven Realität (oder philosophisch gesprochen der Wahrheit) für ihre Lebensweise bestmöglich zu interagieren, ist ein wesentlicher Baustein der Evolution. Die Lebewesen, die dies nicht in tauglicher Weise tun, sind nicht dauerhaft überlebensfähig und haben damit eine geringere Chance, ihre Gene weiterzugeben. Auch das menschliche Bewusstsein, wie erhaben und kompliziert es auch erscheinen mag, dient dieser Aufgabe.

Da der Mensch ein „Kopftier“ ist, ist dieser Mechanismus äusserst komplex und die menschliche Psyche nicht einfach auf eine eben mechanische Effektivität zu reduzieren. Auch die Sozialisation in der menschlichen Gesellschaft spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle. Letztendlich ist das alles aber dennoch das vorläufige Ergebnis von Jahrmilliarden Evolution des Lebens auf unserem Planeten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Mögen unsere oberschlauen Universitätskoryphäen noch so hochtrabende Ideen entwickeln, die einfache Tatsache, dass sie dabei immer älter, kränker und blöder werden, führt ihre anthropozentrische Hybris (menschlich Selbstüberschätzung) jeden Tag mehr ad absurdum. Endlich ihr Tod beweist, dass das Bewusstsein nicht unabhängig von der Realität existiert, sondern ein höchst materielles Ding, das Gehirn, braucht.

Es gibt kein von der Materie unabhängiges Bewusstsein/Geist, und schon gar keine Seele. Das Denken ist eine Eigenschaft der Materie (vergl. Lenin; Kritik am Empiriokritizismus) und damit auch an sie gebunden, wie komplex und kompliziert unser menschliches Denken und unsere „Zivilisation“ auch erscheinen mag.

Ist die Wahrheit erkennbar?

Der komplizierte Prozess zum Erkennen der objektiven Wahrheit verleitet manche ZeitgenossInnen, die grundsätzliche Möglichkeit dazu in Frage zu stellen. In manchen Fällen ist dies tatsächlich sehr schwierig, und viele Fragen werden vielleicht nie zufriedenstellend gelöst. Aber der dialektische Erkenntnisprozess ermöglicht uns tatsächlich in den allermeisten Fällen des täglichen Lebens die objektive Wahrheit tauglich zu erkennen. Wäre dies nicht der Fall, so wäre die Menschheit im Evolutionsprozess längst unterlegen.

„Wir gehen davon aus, dass die Materie die Grundlage des Bewusstseins ist. Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Das Denken und das Bewusstsein sind Entwicklungsprodukte und Eigenschaften der Materie. Sinnliche Erkenntnis kann sich in rationale Erkenntnis umwandeln und so die Grundlage für konkrete Handlungen bilden: Vom Sein zur Idee zur Praxis.

Dies bedeutet aber auch, dass die objektive Wahrheit (Realität), grundsätzlich erkennbar ist. Durch den dialektischen Erkenntnisprozess, das heisst mit Hilfe unendlich vieler relativer Wahrheiten, nähert sich der erkennende Mensch der absoluten Wahrheit immer mehr an.

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Im dialektischen Erkenntnisprozess wirkt die Materie (das Sein) auf das Bewusstsein ein, aber auch umgekehrt wirken sich die entwickelten Ideen und die sich daraus ergebenden Handlungen wiederum auf das Sein aus. Auch dies ist ein sich immer wiederholender Prozess. Zudem stehen alle Dinge in einem objektiven Zusammenhang zueinander.“

Relativismus und Skeptizismus

Die Tatsache, dass die objektive Wahrheit nicht immer sofort erkennbar ist, führt zu den philosophischen Richtungen des Skeptizismus und des Relativismus, die die Möglichkeit, die Wahrheit zu erkennen, grundsätzlich in Frage stellen oder gar leugnen. Witzig, denn all die superkritischen SkeptikerInnen verhalten sich im täglichen Leben ebenso wie die von ihnen so gescholtenen EmpirikerInnen (Menschen, welche die Erfahrung/ das Experiment als Grundlage des Wissens begreifen, z.B. die allermeisten (Natur-) WissenschaftlerInnen).

Sie langen nicht auf heisse Herdplatten (weil „warm“ und „heiss“ sehr wohl ein qualitativer Unterschied ist, was die Verletzungsgefahr betrifft) oder stürzen sich von Hochhäusern mit der Begründung, die Schwerkraft sei nur ein repressives Konstrukt weisser, alter Männer. Sie trauen in den allermeisten Fällen nicht nur ihren eigenen Erfahrungen, sondern auch den Überlieferungen des von ihnen verachteten, überlieferten Wissens. Endlich bezeichnen sich viele von ihnen selbst als WissenschaftlerInnen und beziehen vom Wissenschaftsbetrieb der Universitäten ihr Salär, obwohl es ihrer Theorie nach Wissen als solches gar nicht geben kann. Aber dies nur am Rande.

Natürlich kann es eine Kritik an „Wissenschaft“ geben, denn Wissenschaft ist mitunter alles andere als neutral. So wie Kunst und Kultur steht auch sie unter dem Diktum der herrschenden Klasse. Aber die Kritik an der bestehenden Wissenschaft muss selber wissenschaftlich sein, auf dem Boden der Tatsachen stehen und den Willen zur Erkenntnis haben. Mit Relativismus und Skeptizismus kommt die Menschheit nicht weiter.

Subjektivismus und Irrationalismus

Der Subjektivismus wiederum ist eine Spielart des Idealismus, der die eigene Empfindung und das daraus resultierende Bewusstsein in den Mittelpunkt stellt. Er passt hervorragend zu den Ideologien des westlichen, liberalen Individualismus. Er stellt in egozentrischer Weise das Ich in den Mittelpunkt und hat damit vielerlei Anknüpfungspunkte an die alternative und studentische Linke.

Ausgangspunkt ist die „Betroffenheit“, die oft nichts weniger ist als das. Als altruistische (selbstlose) Äusserung in der Anlage richtig, weil auf der Grundlage von Empathie (Mitgefühl) Solidarität lebbar wird, verkommt sie in linksliberalen Kreisen meist zum egoistischen Selbstmitleid. Es ist oft weniger das Schicksal der Anderen, das betroffen macht, sondern durch allerlei Taschenspielertricks wird die eigene persönliche Betroffenheit konstruiert um sich selbst als Opfer zu inszenieren. Die „objektive Wahrheit“ (deren Existenz ja eigentlich von diesen Leuten grundsätzlich bestritten wird) wird dabei ausschliesslich über das subjektive Empfinden hergestellt.

Dieser Haltung kann zu Sentenzen führen wie: „Es kommt nicht darauf an, wie jemand es meint, sondern wie es bei seinem Gegenüber ankommt.“ Bei aller Liebe zur Empathie, die man seinen Mitmenschen gegenüber empfinden sollte, kann diese These nicht Grundlage unseres Zusammenlebens sein. Selten gelingt es Menschen, sich gänzlich in andere Menschen hineinzuversetzen. Vor allem macht diese Proklamation eine Verpflichtung daraus. Wie egozentrisch muss man gestrickt sein, um von seinen Mitmenschen diese Unmöglichkeit zu verlangen.

Der Egoismus, der hinter diesen Aussagen steckt wird von den VertreterInnen dieser Linie natürlich nicht erkannt und ist im Endeffekt eine klare Absage an empathisches Verhalten.

Alltagstauglich ist diese Haltung ohnehin nicht. Beispielsweise wünscht Person A Person B einen „Guten Tag“. Person B hatte aber, ohne dass Person A davon Kenntnis hat, einen absoluten Scheisstag. Der Gruss kommt bei B wie blanker Zynismus an, was sie auch überdeutlich zu verstehen gibt. Wie oft wird Person A Person B in Zukunft noch grüssen?

Die eigenen Befindlichkeiten nicht mehr mit der objektiven Realität abzugleichen führt auf Dauer zu schweren Bewusstseinsstörungen. Grosse Teile der Alternativbewegung sind in der Vergangenheit folgerichtig in die Esoterik und andere Irrationalitäten abgedriftet. Zusammen mit dem allgegenwärtigen Credo „Ich muss mal was für mich machen.“ füllt das mittlerweile zahlungskräftige Publikum die Kassen der Wohlfühlindustrie mit ihren Reiki-Kursen und Seminaren zu „schamanischen Erfahrungen“. Die vielbeschworene Achtsamkeit steht dem Fahren eines SUV nicht entgegen.

Ein guter Teil dieser Ich-Bezogenen tritt mittlerweile als WutbürgerInnen und Corona-LeugnerInnen nach aussen auf, entschlossen „ihre Freiheit“ zu verteidigen, die nichts weiter ist als rücksichtsloser, kleinbürgerlicher Individualismus. Leider ist die Linke mit ihrem „sich an seinen Bedürfnissen zu organisieren“ an dieser Denkweise nicht unschuldig. Es gibt halt immer eine linke und eine rechte Interpretation der Lösung. Das ist eine der Grundproblematiken der meisten heutigen Gesellschaften.

Der kleinbürgerliche Liberalismus

Die rechte Interpretation der Aufklärung ist eben jene Form des Liberalismus, welche uns heute politisch als neoliberaler, totalitärer Imperialismus (vergl. Prolos, Imperialismus und Totalität) entgegentritt.

Der Freiheitsbegriff des Liberalismus beinhaltet die Freiheit zur individuellen Bereicherung auf Kosten anderer, die Freiheit fremde Arbeitskraft auszubeuten, die Proklamation der gnadenlosen gegenseitigen Konkurrenz und die Forderung nach weitgehendem Fehlen gesellschaftlicher Regularien. Viele Versatzstücke dieser Ideologie finden sich aber auch in der undogmatischen Linken wieder, was seine Tücken hat, weil die Konsequenzen vieler Forderungen von vielen nicht zu Ende gedacht werden. „Chancengleichheit“ und „Teilhabe“ sind zwei gute Beispiele dafür. Klingt erst mal gut, ist es aber nicht.

Chancengleichheit existiert sowieso nicht in Verhältnissen, die die Ungleichheit zum Ziel haben (Kapitalismus). Die sogenannte Chancengleichheit impliziert das Anerkennen der gnadenlosen Konkurrenz im kapitalistischen Hauen und Stechen um die besten Plätze. Die zu Anfang (hypothetisch) vielleicht sogar hergestellte Chancengleichheit verwandelt sich unter dem bestehenden Konkurrenzkampf doch von der ersten Sekunde an schon wieder in Ungleichheit. Was ja auch Sinn und Zweck der Veranstaltung ist. Unter den derzeitigen Verhältnissen ist die Forderung nach Chancengleichheit also eher eine Luftnummer.

Dasselbe gilt für „Teilhabe“. Das klingt so schön, dass sich die Frage nach dem Woran für viele beinahe erübrigt. Teilhabe wird meist für oder von Minderheiten gefordert, die im derzeitigen System offensichtlich zu kurz kommen. Und tatsächlich sind der Hintergrund hierfür systemimmanente (dem System innewohnenden) Ungerechtigkeiten, die zu Recht angeprangert werden. Mehr Frauen in DAX-Vorständen. Schwarze US-Präsidenten. Schwule Aussenminister. Lesbische Polizeipräsidentinnen. Warum nicht. Sie sind tatsächlich Menschen wie alle anderen auch.

Aber macht ihre Teilhabe die Sache in irgendeiner Weise besser? Wird das System durch die sogenannte „Diversity“ auch nur um ein Jota gerechter? Wenn man Teilhabe am Status quo will – ja. Dabei sein ist alles. Will man wirklich Gerechtigkeit, wird man um die Systemfrage nicht herumkommen. Und dabei ist unbedingt die Klassenfrage zu stellen.

Mit emanzipatorischer Politik haben diese kleinbürgerlichen Ansätze letztlich wenig zu tun. Im Gegenteil. Es steht der neoliberalen Agenda, alles und jeden in das System der unbegrenzten Ausbeutung miteinzubeziehen, in keinster Weise entgegen. Freilich ist es dem System immanent Unterschiede als Spaltungselement (Rassismus, Sexismus) zu nutzen. Wo sie sich jedoch als Hemmnis erweisen, Menschen in den Verwertungsprozess mit einzubeziehen, sind die Neoliberalen die ersten, die diese Mechanismen und Spaltungslinien modifizieren.

Das Aufspringen auf den Zug der „Diversity“ von Werbung und Konzernen beweist genau dies. Und grosse Teile der sogenannten Linken, vor allem diejenigen, die eine universitäre Ausbildung genossen haben, fallen auf diese billigen Werbegags rein. Sie sind weitgehendst brainwashed durch den Schwachsinn, der an den jeweiligen Hochschulen (vor allem den sozialwissenschaftlichen Fakultäten) gelehrt wird und somit Teil des „cultural turns“, der eine Abkehr von den Klassenkämpfen der 60er und 70er ist.

Die „Postmodernen“

Besonders beliebt sind die Theorien der sogenannten Postmodernen. Speziell zu nennen die (Post-)StrukturalistInnen und in deren Folge die DekonstruktivistInnen. Viele linke Publikationen werden mit Zitaten von Foucault, Derrida und Butler garniert, ohne die dahinterstehenden Ideologien gross zu hinterfragen. Die Wenigsten haben sich eingehend damit beschäftigt, noch weniger was davon kapiert.

Konsequent zu Ende gedacht wurden deren Theorien von höchstwahrscheinlich noch weniger Menschen, sonst hätten sie nicht so viele AnhängerInnen. Es würde hier zu weit führen auf die einzelnen Spielarten und diversen Thesen der Postmodernen einzugehen, weshalb die Kritik hier eine wesentliche bleiben muss. Die Postmodernen sind keine einheitliche Theorie und vieles bleibt im Vagen, so dass sie positiv schwer zu beschreiben sind (Foucault selbst wollte sich nicht unter die Postmodernen eingeordnet sehen). Dennoch sind zeit- und ideengeschichtliche Gemeinsamkeiten zu erkennen.

Gemeinsam ist den Postmodernen die Absage an das Vernunftprinzip der Aufklärung und eine kritische bis ablehnende Haltung zur objektiven Wissenschaftlichkeit (deren Möglichkeit sie in Frage stellen). Sie lehnen universelle Wahrheitsansprüche ab und fordern radikale Pluralität. Sie neigen deshalb zum Relativismus und Subjektivismus, bis hin zum Irrationalismus (alternative Fakten) und zur sogenannten „Spiritualität“.

Letztlich sind sie spekulativ und können nur innerhalb ihres eigenen ideologischen Konstrukts Geltung beanspruchen, da sie oft den Erkenntnissen anderer Disziplinen widersprechen. Es sind in erster Linie nur Hypothesen, erdacht von AkademikerInnen, die sich immer weiter von der Lebensrealität entfernen. Wissenschaftlichkeit sieht anders aus.

Weil die VordenkerInnen der Postmodernen die totalitären Züge der Moderne und den Despotismus, den die kapitalistische Moderne entwickelt hat, scheinbar kritisieren, werden sie für die neue Linke attraktiv. Ihre „Kritik“ ist oftmals allerdings meist nur beschreibender Art und in keinster Weise so systemantagonistisch wie ihre linken AnhängerInnen sie lesen wollen.

Ihre Ansätze sind zudem durchwegs idealistisch geprägt und lassen sich umgekehrt wunderbar in die neoliberale Ideologie einbauen. Ihre scheinbare Ablehnung von universellen Denksystemen und ihr Relativismus machen sie für die herrschende Klasse zum hervorragenden Element, Verwirrung in die unteren Klassen zu tragen und somit zum optimalen präventiven Aufstandsbekämpfungsmittel, weswegen die Popularisierung dieser Ideen von jener Seite auch maximal gefördert wird.

Ähnlich der Romantik des 19. Jahrhunderts ist ihre Kritik an der Moderne jedoch über weite Strecken rückwärtsgewandt bis reaktionär.

Die Kritik an den Ordnungssystemen der Moderne und die idealistische Vorstellung, dass die Begrifflichkeiten der Dinge allein aus dem menschlichen Bewusstsein, ohne zwingenden Bezug zur Realität, entstanden sind, führt bei verschiedenen AnhängerInnen der Postmoderne zu der Annahme, dass die Welt und speziell die menschliche Gesellschaft nur ein Konstrukt ist – und so wie alles eben nur konstruiert ist, lässt es sich demnach auch dekonstruieren. Das transportiert die Vorstellung, wer die Sprache verändert, verändere die Wirklichkeit.

Bei den Spielarten der sogenannten Postmoderne handelt es sich um idealistische Denksysteme, die vor allem die menschliche Sprache in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen. Deshalb sind sie bei den LinguistInnen und SozialwissenschaftlerInnen (und was sich daraus so alles ableitet) so populär. Sie sehen, nicht ganz zu Unrecht, in der Sprache den Ausdruck des menschlichen Bewusstseins. Im Wesentlichen nähren sie die Vorstellung, dass durch Veränderung der Sprache die gesellschaftliche Wirklichkeit verändert werden kann.

Dies ist eine charmante Vorstellung für alle, die das Bewusstsein über das Sein stellen und glauben, gesellschaftliche Veränderungen allein durch intellektuelle Arbeit („Diskurs führen“) herbeiführen zu können. Das scheint so bequem. Einfach von der Uni aus, ohne reale gesellschaftliche Kämpfe. Ohne Stress mit den Bullen. Vielleicht sogar noch bezahlt, als Leitung bei einem der zahlreichen angestossenen Genderstudies-Studiengänge oder „Forschungsprojekte“.

Selbstverständlich ist es richtig, dass das gesellschaftliche Bewusstsein – und Sprache ist Ausdruck davon – einen wichtigen Einfluss auf das gesellschaftliche Sein hat. Aber das Bewusstsein ist eben nicht das Primäre. Vielmehr bildet sich das Bewusstsein, und damit auch die Sprache, auf Grundlage des gesellschaftlichen Seins, vor allem der gesellschaftlichen Produktionsbedingungen. Letzteres wird von den „Postmodernen“ in der Regel völlig aussen vor gelassen.

Die Sprache hat ihre Grundlage natürlich erst mal in den existenten realen Dingen (auch abstrakte Dinge wie Liebe und Freiheit stellen reale Dinge dar, denn auch sie basieren auf realen Gefühlen oder Zuständen). Kommunikation entstand aus der Notwendigkeit heraus als Gemeinschaft, in der Menschen nun mal leben, zu überleben. Sie ist wie viele Dinge, die die Evolution hervorgebracht hat, aus realer Zweckmässigkeit entstanden. Die Sprache ist entstanden aus der Notwendigkeit, sich über die Wirklichkeit auszutauschen. Auch wenn unsere komplizierte arbeitsteilige Gesellschaft viele kunstvollen Variationen hervorgebracht hat.

Realitätsleugnung ist den idealistischen Denkweisen grundsätzlich zu eigen. Mit fatalen Folgen, wie wir noch sehen werden. Sie wenden sich in dieser Logik auch gegen Kategorisierungen, die sie lediglich als Konstrukte zum Machterhalt und zur Machtausübung beschreiben. Damit erscheinen sie manchen als oppositionell, gar revolutionär und werden deshalb in einschlägigen Publikationen gerne zitiert.

Natürlich versteigt sich das Gros der ProtagonistInnen und deren AnhängerInnen nicht zu eindeutig klaren Aussagen, sondern verklausuliert die Grundaussagen in kaum leserlichem SoziologInnen-geschwurbel. Das macht sie relativ unangreifbar. Viele Menschen, die diese PhilosophInnen zitieren, kennen oft nicht mehr als die landläufigsten Sentenzen und setzen sich mit dem philosophischen Hintergrund dieser Denkrichtungen kaum auseinander.

Gegen „Schubladendenken“

Im Alltag äussert sich dies als beliebter Allerweltsansatzpunkt, um sich gegen „Schubladendenken“ zu wenden. Hintergrund dieses Ausdrucks ist die Kritik am Aufstellen und Verwenden von Kategorien insgesamt. Die Welt sei nicht starr einzuteilen und zu kategorisieren. Das würde Vorurteile und eben das sogenannte „Schubladendenken“ fördern. Bekannt wurde auch der Spruch „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann“ von Francis Picabia, der in vielen linksalternativen WGs der 70er und 80er Jahre in der Küche hing.

Klingt alles wieder sehr progressiv. Ist aber, konkret zu Ende gedacht, leider kompletter Schwachsinn. So richtig die Kritik an überkommenen Vorstellungen und Vorurteilen ist, so falsch ist die Pauschalisierung. Sehr richtig und wichtig ist es, die Welt realistisch einzuschätzen und zu bewerten. Ohne eine ständige Analyse der Wirklichkeit wäre der Mensch verloren.

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Der Genosse Christian Klar hat zu Francis Picabias Spruch die passende Antwort gegeben.

„Der Kopf mag ja rund sein und uns damit der Gefahr aussetzen, dass sich die Gedanken in beliebige Richtungen wenden, aber vorne auf dem Kopf sitzt auch eine Nase, die hilft, vorwärts und rückwärts zu unterscheiden. Er enthält eine kleine Leinwand hinter der Stirn, auf die der Verstand Visionen wirft, und er besitzt Augen, um den Blick kühl über Kimme und Korn zu führen.

Allerdings beherbergt der Kopf, wie weit man das Teil auch ausräumt, nicht das Herz, das noch in den ärgsten Zeiten gegen Kleinmut und links-deutsche Einseiferei revoltieren könnte.“ (Christian Klar, Stammheim, Leserbrief an die Konkret)

Schon sehr früh haben die Menschen versucht die Dinge der Welt einzuordnen, um sie besser zu verstehen. Schon JägerInnen und SammlerInnen, ViehzüchterInnen und BäuerInnen mussten ein genaues Verständnis von den Gemeinsamkeiten der Dinge und ihren Unterschieden haben. Sie mussten wissen welche Pflanzen essbar und welche giftig sind, welche Tiere und Pflanzen sich untereinander kreuzen (fortpflanzen) liessen und welche nicht.

Das heisst sie mussten Einteilungen vornehmen um sich in der Natur besser zurechtzufinden und um zu überleben. Eben z.B. giftige und ungiftige Pflanzen zu unterscheiden lernen. Dazu mussten sie „Kategorien“ zur Bestimmung einführen und mit ihren gemachten Erfahrungen abgleichen – also in einen Lernprozess eintreten. Diese Erfahrungen wurden weitergegeben und wurden dadurch zu Wissen und damit auf eine qualitativ höhere Stufe im Erkenntnisprozess gestellt.

Dies wurde im Laufe der menschlichen Entwicklung immer weiter verfeinert und ausgebaut. Die entstehenden Wissenschaften haben verschiedene Systeme von Kategorisierungen vorgenommen, um die Dinge besser zu verstehen und die Zusammenhänge der Welt deutlich zu machen und einzuordnen, z.B. chemische Elemente und Periodensystem in Chemie und Physik, Nomenklatura in der Biologie.

Dieser im Kern vernünftige Ansatz wurde vom rechten Teil der Aufklärung in unwissenschaftlicher Weise auf Bereiche ausgeweitet und interpretiert für die das so keinen Sinn macht. So haben schliesslich die Nazis in scholastischer Weise ihren Rassenwahn versucht wissenschaftlich zu begründen.

Der Hauptfehler dabei ist, den Dingen Wertungen zuzuschreiben, die nichts mit der Beschaffenheit des Dings an und für sich zu tun haben. Das Periodensystem beschreibt die Elemente anhand der Neutronen, Protonen und Elektronen. Es gibt keine guten oder schlechten Elemente. Die biologischen Bezeichnungen bezeichnen Lebewesen und weisen gegebenenfalls auf Artverwandtschaften hin (.B. Canis Lupus – der Wolf, Canis Lupus familiaris – der Hund).

Zu sagen der Wolf ist „böse“ oder „der Hund ist der beste Freund des Menschen“, ist eine Wertung, die mit Wissenschaftlichkeit nichts zu tun hat. Auch die Evolutionslehre von Darwin lässt sich nicht ohne weiteres auf die menschliche Gesellschaft übertragen, wie dies die fälschlicherweise als „SozialdarwinistInnen“ Bezeichneten, tun. Diese „SozialdarwinistInnen“ sind in der Regel nichts weiter als SexistInnen und RassistInnen, die ihren kruden Vorstellungen den Anstrich der Wissenschaftlichkeit geben wollen. Sie haben nicht nur die Evolutionstheorie, sondern auch die menschliche Gesellschaft nicht verstanden. „Survival of the fittest“ bedeutet eben nicht „Das Recht des Stärkeren“.

Auch im Alltag nehmen wir ununterbrochen Kategorisierungen vor, um uns besser in der Welt zurechtzufinden. Haben wir einmal einen Apfel einer bestimmten Sorte gekauft, die unserem Geschmack nicht entsprach, werden wir dies nicht unbedingt ein zweites Mal tun. Unsere gemachte Erfahrung wird zu einem „Vorurteil“, das uns hilft eine schlechte Erfahrung nicht zu wiederholen. Die Welt zu ordnen und zu beurteilen ist also nicht per se schlecht.

Das Problem beginnt erst dann, wenn das Vorurteil falsch ist, z.B. weil sich die Umstände mittlerweile geändert haben, weil unsere subjektive Erfahrung nicht mit der objektiven Realität übereinstimmt, oder weil wir ein (falsches) Urteil von anderen übernommen haben, ohne seine Richtigkeit zu prüfen.

Im Falle unseres Apfels heisst dies, dass sich im Laufe der Jahre vielleicht unser Geschmackssinn verändert hat, oder wir beim ersten Mal einfach einen faulen Apfel erwischt haben. Vielleicht schmecken uns auch Dinge, die anderen nicht schmecken. Es lohnt sich also, einmal getroffene Urteile in gegebenen Abständen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Falsch ist es jedoch, jede gemachte Erfahrung als null und nichtig abzutun und als Empirismus zu verunglimpfen.

Auch brauchen wir „Vorurteile“ um im Alltag schnell reagieren zu können. Polizei auf Demo = Gefahr. Ist sicher nicht verkehrt, auch wenn es immer wieder Menschen gibt, die privat einen Bullen kennen und ihn „ganz OK“ finden. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.

Die Einordnung von Dingen hilft uns also, die Welt zu verstehen, auch wenn sie beständig auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden muss (Praxis). Sie pauschal abzulehnen ist wenig praktikabel. Dennoch haben die Pervertierungen der Wissenschaften, die die Moderne auch hervorgebracht hat, dazu geführt, dass manche KritikerInnen der Moderne der Wissenschaft an und für sich skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen.

So wichtig es ist die wissenschaftlichen Erkenntnisse einer fortdauernden Überprüfung zu unterziehen (und das tut nicht zuletzt die Wissenschaft andauernd selbst), bedeutet eine wissenschaftsfeindliche Position, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Die von manchen Postmodernen angeführte Skepsis führt in der heutigen Zeit zu Verschwörungsmythen, Fake News und „alternativen Fakten“. Auch in Teilen der Linken führt die Kritik am Rationalismus eben zum genauen Gegenteil – zum Irrationalismus.

Nicht alle Erfahrungen können wir selbst machen. Deshalb übernehmen wir auch häufig Urteile Anderer. Auch dies ist nicht unbedingt falsch. Sich fremdes Wissen anzueignen ist Teil des Lernens. Falsch wird es erst, wenn wir unhinterfragt falsche Urteile übernehmen. Der dialektische Materialismus empfiehlt daher, unsere Vorurteile immer wieder in der Praxis zu überprüfen und gegebenenfalls nachzujustieren. Eine kritisch Linke sollte dazu immer in der Lage sein.

Auch der Satz „Man kann Äpfel nicht mit Birnen vergleichen“ wird meist wie ein Argument gehandelt. Dabei wird Vergleichen mit Gleichsetzen verwechselt.

Dabei ist dieser Satz grundfalsch. Kann man nämlich doch, denn:

1. kann man alles miteinander vergleichen, auch wenn dabei herauskommt, dass die verglichenen Dinge grundverschieden sind.

2. bei allen Vergleichen wird man immer mehr oder weniger Gemeinsamkeiten oder Unterschiede feststellen.

Vergleicht man Äpfel mit Birnen, so wird man z.B. feststellen, dass beides Früchte sind. Weiter essbare Früchte, die an Bäumen wachsen. Man kann aber auch Unterschiede in Form, Farbe und Geschmack erkennen. Äpfel und Birnen können auch zu anderen Dingen in Bezug gesetzt werden, z.B. zu Hunden. Dann wird man feststellen, dass sehr grosse Unterschiede bestehen. Beispielsweise, dass Äpfel und Birnen in unseren Breiten sehr gern gegessen werden, Hund eher seltener.

Ideologien aus den universitären Thinktanks der herrschenden Klasse

Im Laufe der Jahre kam der kleinbürgerliche Liberalismus in eine Legitimationskrise. Die negativen Auswirkungen der kapitalistischen Moderne traten überdeutlich zum Vorschein. (Hemmungslose Ausbeutung von Mensch und Natur, Krieg, Unterdrückung). Nicht zuletzt die Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus und ihre politischen Auswirkungen trieb die herrschenden kapitalistischen Ideologien vor sich her. Sie fand letztlich ihren Widerhall in den sozialistischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts.

Die Bourgeoise musste also neue Theorien ins Feld führen, weil sich die alten über weite Strecken als falsch oder unpraktikabel erwiesen. (Was nicht heisst, dass sie verschwunden sind). Deshalb wurden Theorien entwickelt und gesponsert, die eine vordergründige „Kritik“ an der Moderne und ihren verheerenden Auswirkungen entwickelten, den Kern des Problems aber, die kapitalistische Produktionsweise, aussparen.

Sie sind also bewusst so angelegt keine systemantagonistischen Widersprüche erkennen zu wollen, den Klassenkampf entweder zu negieren oder zu relativieren und die Systemfrage nicht zu stellen. Dabei geben sie sich kritisch und werden von Vielen fälschlicherweise als revolutionär, weil wortradikal, angesehen. Dabei stützen all diese Theorien, so fortschrittlich sie auch daherkommen mögen, nur die (neo-)liberale Agenda der herrschenden Klasse.

Bei dieser Aufgabe standen unsere SoziologInnen Gewehr bei Fuss.

Wessen Brot ich ess‘, dessen Lied ich sing.

Bezeichnend ist allein der Ursprung dieser Theorien.

Obwohl oft als „PhilosophInnen“ betitelt, ist die Heimat der meisten ModernekritikerInnen, sprich Postmodernen, eher die soziologischen Fakultäten des Mainstream-Wissenschaftsbetriebs der herrschenden Klasse und ihrer angeschlossenen oder vorgelagerten „Thinktanks“. Dass die herrschende Klasse sich nicht ihre eigenen TotengräberInnen heranzieht und grosszügig finanziert, dürfte einleuchten. Dass sie sich dennoch einige „superkritische“ Geister leistet, ist teilweise Kalkül oder der in der herrschenden Klasse herrschenden Inhomogenität geschuldet. Die meisten dieser „MahnerInnen“ bleiben einflusslos, ungefährlich und erfüllen ihre Alibifunktion anstandslos.

Man mag einwenden, dass die Wissenschaft „frei“ sein muss um die Produktivkräfte nicht zu hemmen, aber das ist mindestens für die Geisteswissenschaften als Ideologieproduzent eher fraglich. Sie erfüllen bestenfalls ihre Rolle als Frühwarnsystem für gesellschaftliche Stimmungen.

Prinzipiell sollte klar sein, dass von den Mainstream-Universitäten des Systems keine Ideologien gefördert werden, die dem System ernsthaft gefährlich werden können.

Die Rolle Soziologie und Sozialpädagogik

Es ist eine bestehende Tatsache, dass grosse Teile der Linken heute mittlerweile stark studentisch geprägt sind und davon der übergrosse Teil den soziologischen Fachbereichen entstammt. Der geringere Anteil ArbeiterInnen (ProletarierInnen) wirkt sich dahingehend aus, dass weniger Themen der politischen Ökonomie, als vielmehr Themen aus dem Bereich der Soziologie die politische Praxis bestimmen.

Zudem gehen viele die sich heute kritisch, gar revolutionär wähnen, sehr unkritisch mit dem um, was ihnen an den Unis serviert wird. Die Soziologie wird heute weitgehendst beherrscht von den Theorien der sogenannten Postmodernen. Sie sind die Antwort der herrschenden Klasse auf den Einfluss der marxistischen Ideen auch auf weite Teile der Intellektuellen. Natürlich war es nicht mehr so leicht möglich den Kapitalismus direkt zu verteidigen, dazu waren die Widersprüche die die Marxisten aufgedeckt hatten, zu offensichtlich. Nein, man musste zu subtileren Mitteln greifen, um der Kritik am System die Spitze zu brechen.

Die scheinbar kritischen Theorien der Postmodernen eigneten sich optimal für die Strategie des Kapitals: für das System ungefährliche „Kritik“ zulassen und Verwirrung in den Massen zu sähen. Ziel war es Systemantagonismus (unversöhnlichen Widerspruch zum System) und Klassenkampf zu verhindern und Widerstand in Reformismus und Sozialdemokratisierung zu kanalisieren.

Deshalb entlassen die Fachhochschulen eine Armee an staatlich bezahlten SozialarbeiterInnen, die zur Disziplinierung der Massen abgestellt werden. Diese mit universitärem „Wissen“ und naivem Sendungsbewusstsein Ausgestatteten machen sich nun daran „das Gute“ zu tun. Viele tun dies aus ehrlichem Antrieb heraus und bewirken damit tatsächlich Einiges um das Los Vieler zu verbessern. Allein, dies ist nicht Sinn und Zweck der Veranstaltung. Es ist nur Teil des Spiels „Zuckerbrot und Peitsche“.

Tatsächlich ist die Sozialarbeit ein wichtiger Baustein des Systems zur Disziplinierung der Massen und den Bullen nur vorgelagert. Letztlich ist es nichts anderes – auch wenn viele SozialarbeiterInnen dies nicht erkennen – nur das gute alte „Guter Bulle/Böser Bulle – Spiel“. Vielen ist dies bewusst und sie versuchen für ihre Leute trotzdem das Beste herauszuholen, am schlimmsten sind die, die ernsthaft glauben dem derzeitigen System ein Schnippchen schlagen zu können.

Jugendlichen die “Scheisse bauen“, mal was klauen, sich auf dem Schulhof prügeln oder schwarzfahren, werden erst einmal die JugendsozialarbeiterInnen auf den Hals gehetzt. Die quatschen sie dann solange tot bis sie freiwillig aufgeben. Andernfalls kommt der Gummiknüppel um die Ecke.

Auch im Bereich der Geflüchteten und der Migration sind unsere professionellen, vom Staat bezahlten SozialarbeiterInnen Teil des Spiels. Sie suggerieren Rechtsstaatlichkeit in einem System, in dem der grosse Teil der Geflüchteten immer Verlierer sein wird. Die, denen sie überhaupt helfen können, sind nur Teil eines nicht von ihnen, sondern vom System festgelegten Kontingents. Ihr grösster Erfolg ist es dann, diese Verbliebenen erfolgreich ins bestehende (kapitalistische) System zu integrieren.

Auch die wichtige Arbeit, die manche Feministin in den Frauenhäusern leistet, ist in gewisser Weise Teil des kapitalistischen Reparaturbetriebs. Entgegen den Vorstellungen von einigen ist es nämlich nicht opportun, wenn Männer ihren Frauen oder Kindern Gewalt antun. Das System braucht, um die arbeitende Klasse zu reproduzieren, funktionierende Familien. Letztlich hat sich in den demokratisch kapitalistischen Ländern, unabhängig wie viele frauenverachtende Chauvinisten es beherbergt, die Position durchgesetzt, dass eine Beziehung heute auf Dauer nicht auf Prügel und Vergewaltigung aufgebaut sein kann.

Deshalb Sozialarbeit, die das Opfer unterstützt und den Täter diszipliniert. Die meisten Frauen (und es sind in der Mehrheit Frauen), die Opfer häuslicher Gewalt wurden, gehen folgerichtig zurück zu ihren Peinigern (und die sind in der Mehrheit Männer) oder landen als alleinerziehende SozialhilfeempfängerInnen in Abhängigkeit von „Vater Staat“. Die ökonomischen Grundlagen der Frauenunterdrückung werden nicht beseitigt, sondern nur kaschiert, um den Laden am Laufen zu halten. Nicht selten kann man von SozialarbeiterInnen die Meinung hören, die Bullen wären in diesem Fall die „Guten“.

So jedenfalls wird die Zusammenarbeit mit der Polizei gerechtfertigt. Tatsächlich kann es unter den derzeitigen Verhältnissen notwendig sein in gewissen Fällen auf die Polizei zurückzugreifen, aber damit werden die Bullen noch lange nicht zu den „Guten“. Sie erfüllen nach wie vor ihre systemkonforme Aufgabe, die nur manchmal mit den eigenen Interessen korreliert. Menschen, die sie sich revolutionär nennen, sollte dies bewusst sein oder sie haben das System nicht kapiert.

Ähnliches in Bezug auf Drogenpolitik: Da gilt es schon als fortschrittlich Drogenabhängigkeit als Krankheit zu akzeptieren und nicht ausschliesslich repressiv zu agieren. Letztlich geht es bei allen Akteuren (Sozialfuzzis, Bullen, PolitikerInnen, Justiz), wie unterschiedlich ihre Ansätze auch scheinen, um „Integration“ ins bestehende Ausbeutungsverhältnis (also Arbeitsfähigkeit herzustellen). Das alles klingt sehr zynisch und lässt Reformen und partiellen Verbesserungen scheinbar keinen Raum.

Tatsächlich ist der Kampf um Reformen und Verbesserungen dringend notwendig um uns das alltägliche Leben irgendwie erträglicher zu machen, aber wir müssen klar sehen, dass diese Massnahmen dem System keinen Schaden zufügen, sondern Teil seiner Überlebensstrategie sind. Sozialarbeit unter den derzeitigen Bedingungen fungiert objektiv als präventive Aufstandsbekämpfung, egal wie engagiert das einzelne Subjekt innerhalb des Systems auch agiert.

Eins steht fest: Vom Staat bezahlte Sozialarbeit im kapitalistischen System ist nie eine Strategie im revolutionären Kampf. Eher im Gegenteil. Letztlich darf es nicht um den Erhalt des Sozialstaats unter kapitalistische Bedingungen gehen, sondern um das Erkämpfen der sozialen Revolution.

Wie systemkonform die Sozialarbeit in der Praxis ist wäre hiermit geklärt. Leider hat die Sozialpädagogisierung der Linken aber auch verheerende ideologische Auswirkungen. Dies ist wiederum nicht zuletzt auf den Einfluss der sogenannten postmodernen Ideologien zurückzuführen.

Die Queer-Ideologie

Wie viele postmodernen Bewegungen kommt auch die Queer-Bewegung so locker, flockig, tolerant, modern und bunt daher, dass man seine Freude daran haben möchte. Tatsächlich hat kein/e wirklich Linke/r etwas dagegen, dass Menschen sich frei entwickeln können und ihr Leben so bestimmen wie sie es für richtig halten. Ist nicht ein Grundsatz der Aufklärung, dass jeder Mensch nach seiner Façon glücklich werden soll?

Alle sollten ihre individuellen Bedürfnisse und Orientierungen ausleben können, das impliziert auch ihre sexuellen Dispositionen (immer mit der Einschränkung, dass sie andere in ihrer Freiheit nicht einschränken). Niemand sollte etwas dagegen haben, wenn Menschen sich lieben. Und jeder Mensch hat natürlich auch das Recht, dass seine Sexualität als die anerkannt wird, wie er sie für sich bestimmt. Auf diesen positiven Aspekt baut die Queerbewegung auf und ist somit eigentlich genuin links.

Leider haben auch hier die postmoderen Ideologien einen verheerenden Einfluss, Wer ernsthaft behauptet die tatsächlichen körperlichen, biologischen Gegebenheiten eines Menschen würden keine Rolle spielen („Es gibt keine biologischen Geschlechter“) wird auf ein paar sehr materielle Probleme stossen.

Von der Bedeutung biologischer Tatsachen

Die Erde ist ca. 4,5 Milliarden Jahre alt. Seit ca. 3,7 Milliarden Jahren gibt es Leben auf der Erde. Die ersten Lebewesen vermehrten sich asexuell (vegetativ) durch einfache Zellteilung, was zu genetisch identischen Nachkommen führte. In einem weiteren Schritt im Laufe der Evolution kam es zu einer Vereinigung zweier Individuen mit Neuverteilung der Gene. Dies führte zu genetisch verschieden Nachkommen. Diese Tatsache bildet die Grundlage für die Vielfalt des Lebens auf unserer Erde (Evolutionslehre). Es kam dadurch zu einer regelrechten Explosion der Artenvielfalt.

Bei den meisten Lebewesen kommen nur zwei Paarungstypen vor, die als Geschlechter männlich und weiblich bezeichnet werden. Bei Lebensformen wie den Säugetieren kommt es bei der geschlechtlichen Fortpflanzung – durch Austausch und die Rekombination des Genoms bei der Befruchtung – zur Bildung einer Keimzelle, aus der ein neues Lebewesen hervorgeht, das eine völlig neue Kombination der Erbinformation der Elterngeneration enthält. Dieses neue Lebewesen reift ausschliesslich in den weiblichen Lebewesen einer Art heran (Ausnahme eierlegende Säugetiere, z.B. das Schnabeltier).

Das männliche Lebewesen gibt durch seinen Samen lediglich seine Erbinformation weiter. Der Unterschied zwischen männlich und weiblich stellt somit einen qualitativen Unterschied dar. Alle quantitativen Unterschiede zwischen Individuen (Hormonkonzentration, unterschiedlich deutliche Ausprägung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale) und auch Ausnahmen von der Regel stellen die Grundsätzlichkeit der Bipolarität der geschlechtlichen Fortpflanzung als solche nicht in Frage. Das sind biologische Tatsachen und sie bedeuten nicht mehr und nicht weniger als das eben Dargestellte.

So wie es eine physikalische Tatsache ist, dass zwei Wasserstoffatome und ein Sauerstoffatom das Element Wasser ergeben. Es ist in diesem Zusammenhang irrelevant ob Menschen das Wasser als einen Segen oder als einen Fluch empfinden. Das menschliche Bewusstsein hat keinen Einfluss auf die physikalischen Tatsachen. Das Wasser selbst ist davon unbeeindruckt und fliesst seinen Weg.

Die Tatsachen materieller Bedingungen als Voraussetzungen, auch unserer menschlichen Gesellschaft, werden von grossen Teilen der postmodernen Ideologien abgelehnt. Es gibt Menschen, die diese Tatsachen mehr oder weniger bestreiten und sich gar zu der Äusserung versteigen, dass es ein biologisches Geschlecht als solches nicht gäbe oder jeder Mensch sein Geschlecht (einfach aus seinem Bewusstsein heraus) frei wählen könne.

Judith Butlers „Das Unbehagen der Geschlechter“ kann so gelesen werden und wird von vielen AnhängerInnen der Queer-Bewegung auch so interpretiert. Den Sexus als scheinbare „Ursache“ sehen sie als „Effekt“ (Foucault) hervorgegangen aus einem „repressiven Diskurs“ (Butler S. 47). „Die Institutionalisierung einer naturalisierten Zwangsheterosexualität fordert und reguliert die Geschlechtsidentität als binäre Beziehung, in der sich der männliche Term vom weiblichen unterscheidet. (Butler S.46).“ So beschrieben kann man lesen, dass auch das natürliche Geschlecht eben nur ein Konstrukt eben dieses repressiven Diskurses ist.

Naturgegebene Ursachen der Sexualität (Sex – biologisches Geschlecht) werden von gewissen AnhängerInnen deshalb geleugnet, der Hinweis darauf mit wütenden Angriffen („Biologist“, „Sexist“) quittiert.

In typisch idealistischer Denkweise behaupten die postmodernen JüngerInnen, dass weiblich/männlich nicht als solches erkannt wird, sondern vielmehr dadurch entsteht, weil es so „gelesen“ wird. Einmal mehr wird die Welt auf den Kopf gestellt: das Denken schafft die Realität, nicht die Realität das Denken. Diese Herangehensweise wäre freilich dem Menschen vorbehalten – in diesem Verständnis steht der Mensch komplett ausserhalb und über der Natur. Das ist genau die Vorstellung, die die Menschheit an den Rand der ökologischen Katastrophe gebracht hat. In dieser Denkweise gleichen sie mehr dem Denken der von ihnen verfemten alten Männer als ihnen bewusst ist.

Eigentlich lehnen die postmodernen Ideologien Kategorisierungen im Prinzip ab, dennoch entstehen grade dort unzählige „neue“ (LGBTIQ, FLINTA*, cis Mann), die freilich so neu auch wieder nicht sind. Diskriminierungsmechanismen werden angeprangert nur um neue aufzustellen. Zum Beispiel weisse (rassistisch), alte (diskriminierend) Männer (sexistisch). Wo es doch Männer (wie sonstige biologistische Zuschreibungen) eigentlich gar nicht geben dürfte.

Diese Theorien bergen sehr viele Widersprüche in sich, die durch allerlei sophistische Erklärungen zu lösen versucht werden. Die unterschiedlichen Erklärungsversuche führen zu immer abstruseren Auswüchsen und vermehren die Spaltung und Atomisierung einer Bewegung, die in ihrem Ursprung eigentlich zusammenführen wollte. Unter dem Vorzeichen der „Selbstermächtigung“ der „Unterprivilegierten“ führte dies zu der verhängnisvollen Entwicklung einer Identitätspolitik, die mehr spaltet, als eint im Kampf gegen die herrschende Klasse.

Sex und Gender

Während die meisten Tiere ihre Sexualität relativ sorglos leben, wird bei den Menschen meist ein grosses Tamtam darum gemacht. Das hat den tieferen Grund, dass Sexualität bei den Menschen auch eine wichtige kulturelle und soziale Funktion hat und nicht nur der Fortpflanzung dient. Diese doppelte Bedeutung macht es kompliziert und deshalb ist die Sexualität in den meisten menschlichen Gesellschaften mit vielerlei Regeln, Gesetzen und Tabus belegt.

Deshalb trennt der angelsächsische Sprachraum in sex (biologisches Geschlecht) und gender (soziales Geschlecht). Und das zu Recht, denn das soziale Geschlecht ist vielfältigen Normen unterworfen, die mit der eigentlichen Sache wenig zu tun haben, ja dem Zweck der Sexualität direkt entgegenstehen können (z.B. sexualfeindliche Positionen der Religionen).

Diese gesellschaftlichen Normen, sofern sie Menschen unterdrücken und entrechten zu hinterfragen und gegebenenfalls zu verändern, ist eine andauernde Aufgabe der menschlichen Gesellschaft. Die Wertungen und Rollenverteilungen, die an den jeweiligen biologischen Gegebenheiten festgemacht werden, sind historisch und kulturell bedingt. Sie stellen somit keine unbedingte Wahrheit dar.

Vielmehr sind sie Grundlage für Unterdrückungsmechanismen wie das Patriarchat und deshalb aufs Schärfste zu bekämpfen. Letztlich gilt im Sinne des Universalismus, der allen Menschen gleiche Rechte zuspricht, dass jeder Mensch seine Sexualität leben darf wie er will, solange er die Freiheit anderer nicht einschränkt. Aus den Grundgedanken der Aufklärung und des Humanismus (und des Sozialismus) heraus ist zu befürworten, dass jeder Mensch sein soziales Geschlecht so leben kann wie er will. Alle sollen so leben können wie sie sich fühlen und niemand soll jemandem dieses Recht in einer freien Gesellschaft streitig machen dürfen.

Diese Grundannahme ignoriert morphologische (körperliche) Unterschiede zwischen den Menschen nicht, sondern setzt sie sogar voraus. Ihre rechtliche Gleichheit jedoch bleibt davon unberührt. Es ist also die proklamierte Gleichheit trotz aller akzeptierten Unterschiede.

SprachjongleurInnen

Wir haben gesehen, dass allein durch das Bewusstsein reale materielle Tatsachen nicht aufgehoben werden. Könnten wir unsere materiellen, natürlichen Gegebenheiten allein von unserem Bewusstsein aus bestimmen, würde vielen Menschen viel Leid erspart bleiben.

Immer wieder wird die Ansicht geäussert, dass durch Veränderung des Sprachgebrauchs die bestehenden Verhältnisse verändert werden können. Leider ist dies nur in beschränktem Masse möglich. Es ändert auch nichts, wenn wir in sprachliche Euphemismen (beschönigende Formulierungen) flüchten, wenn die realen Verhältnisse dem nicht entsprechen.

Wenig hilfreich beispielsweise sind die Vorschläge unserer „SprachjongleurInnen“ die behaupten Behinderung sei nur ein gesellschaftliches Produkt und könne durch veränderten Sprachgebrauch ungeschehen gemacht werden.

Dass in einer Leistungsgesellschaft Behinderte diskriminiert werden, liegt an den bestehenden Verhältnissen und es grenzt an Zynismus Behinderung als „anders begabt“ zu bezeichnen. Keinem blinden Menschen hilft es, wenn man ihm sagt: „Was macht´s, du bist halt anders begabt“. Blind sein, ein Bein verloren haben oder eine Depression zu durchleben stellt für die betroffenen Menschen ein reales Handikap dar, das sich meist in individuellen, realen Konsequenzen ausdrückt. Das kann nicht einfach wegdiskursiert werden.

Formulierungen wie diese können dazu führen, dass gerade unsere Neoliberalen den Ball aufnehmen und mit Sprüchen wie „Jeder soll seine Begabung für sich nutzen“ auf die Idee kommen, Behinderten gesellschaftliche Unterstützung zu versagen, weil „…die halt nur ihre anderen Begabungen nutzen müssen“, bzw. selbst schuld sind, wenn sie Ihre Begabungen nicht sinnvoll nützen.

Dieser ganze „Orwellsche Neusprech“ verschleiert die Realität und passt Begriffe herrschaftskonform an.

Im Sinne des Humanismus, dem man sich als SozialistIn verpflichtet fühlen sollte, ist es selbstverständlich, dass behinderte Menschen gleichberechtigt sind und ihnen auf Augenhöhe begegnet werden muss. Damit dies wahr wird, müssen die realen Bedingungen so gestaltet werden, dass dies möglich ist.

Dies bedeutet, dass die Verhältnisse soweit umgestaltet werden müssen, dass sie den Bedürfnissen behinderter Menschen entsprechen und eine in welcher Form auch immer behinderte Person weitgehend am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann. Dafür muss die real existierende Behinderung aber sagbar bleiben und darf nicht durch Euphemismen verschleiert werden. Mit dieser Art von political correctness ist niemanden geholfen. Im Gegenteil.

Wie so oft, gut gemeint und zu kurz gedacht. In einer behinderten-feindlichen Welt werden auch die neuen erfundenen Formulierungen schnell zu Schimpfworten. Man beschimpft sich heute eher seltener als Krüppel, aber „du Behinderter!“ ist auf jedem Schulhof zu hören. Und wer besonders süffisant ist, tituliert schon heute ungeliebte Menschen als „andersbegabt“ oder „verhaltensoriginell“.

Identitätspolitik

Viele Menschen, die sich zusammentun, um ihre Rechte zu vertreten oder um gegen ihre Unterdrückung aufzubegehren, tun dies aufgrund äusserer Merkmale. Nicht selten werden diese von der Aussenwelt mit Eigenschaften und Bewertungen belegt, die völlig willkürlich sind nur um Ressentiments zu schüren die Ausgrenzung und Unterdrückung von bestimmten Gruppen zu rechtfertigen.

Das was heute als Identitätspolitik bezeichnet wird geht von derselben Grundannahme aus. Oft rein äussere Merkmale oder zufällige, wie ethnische Herkunft oder sexuelle Orientierungen werden zum bestimmenden Moment der „Identität“ hochstilisiert. Postmoderne Identitätspolitik erhebt diese angebliche „Identität“ zum Dreh und Angelpunkt ihrer Überlegungen. Sie hat deshalb einen rassistischen und sexistischen Kern.

Mit linkem Universalismus ist diese Herangehensweise nicht zu vereinbaren. Denn diese Äusserlichkeiten allein machen eben gerade nicht die „Identität“ eines Menschen aus. Die Reduktion eines Menschen auf ein Merkmal ist mehr als problematisch. Ein Mensch, der beispielsweise schwul ist, reduziert sich nicht allein auf seine sexuelle Orientierung.

Er arbeitet nicht schwul, er fährt nicht schwul Auto, er schwimmt nicht schwul. Nur im Hinblick auf seine emotionalen und sexuellen Bedürfnisse unterscheidet er sich von den Menschen, die andere sexuelle Orientierungen haben. Ansonsten ist er einfach nur ein Mensch. Soll man diesen Menschen, oder er sich selber, allein über diese Eigenschaften definieren? Das ist ein Denken, das man eigentlich überwinden will bzw. muss.

Sicher muss man dahin kommen, dass derlei Dinge keine Rolle mehr spielen. Aber die Realität sieht anders aus. Deshalb ist es weiterhin notwendig, dass Menschen sich an Gemeinsamkeiten organisieren. Aber nicht zu dem Zweck diese „Identität“ abzufeiern, sondern um sie zu überwinden. Auch der Klassenkampf will ja nicht die ArbeiterInnenidentität zum Endziel, sondern mit Überwindung der Klassengesellschaft auch die ArbeiterInnenklasse als solche abschaffen. Als Negation der Negation (in diesem Fall: Verneinung der Entfremdung) sozusagen.

Natürlich arbeiten wir dann noch, oder sind schwul. Aber wir sind nicht mehr die „ArbeiterInnen“ oder die „Schwulen“.

Dieser identitäre Ansatzpunkt ist nicht neu. Auch in der Vergangenheit gab es immer wieder Gruppen, die die „Identität“ in den Mittelpunkt stellten. Im Gegensatz zur Black Panther Party (BPP), die antirassistische Positionen vertraten, die Gleichheit aller Menschen und den Sozialismus als Ziel proklamierten, prägten die sogenannten „KulturnationalistInnen“ den Slogan „Black is beautiful“.

Dieser Slogan, der das Selbstbewusstsein der AfroamerikanerInnen steigern sollte, kann aber zur Falle werden. „Schön“ ist ein rein subjektives Empfinden. Schwarz ist also nicht als Absolutheit „schön“. Man kann auf dieser Ebene genauso gut sagen, „schwarz ist nicht schön“. Zudem impliziert dieser Spruch, dass nur „schön“ etwas wert ist. Menschenrechte sind aber universell, haben mit „schön sein“ nichts zu tut. Der Slogan reproduziert den amerikanischen Traum, dazu zu gehören, zu den „Reichen und Schönen“.

Genau dies taten auch die Black Muslims, die sich für einen „schwarzen Kapitalismus“ stark machten. All das hat mit linken, egalitären Ideen nichts zu tun, wird im Extremfall reaktionär und irrational. Elijah Muhammad oder Louis Farrakhan, Führer der Nation of Islam, vertraten die Ansicht, dass die „weisse Rasse“ aus einem eugenischen Experiment des bösen Wissenschaftlers Yakub hervorgegangen und teuflisch sei – weisse, blauäugige Teufel eben. Dass sich, nur weil sich die Hautfarbe der herrschenden Klasse ändert, noch lange nicht die realen Verhältnisse verändern, zeigt sich leider in Südafrika. Und eine Michelle Obama verbessert auch nicht die Lage einer afroamerikanischen Fliessbandarbeiterin.

Kulturelle Aneignung

Identitätspolitik hat mittlerweile Formen angenommen, die in ihrer Konsequenz über weite Strecken ins Reaktionäre abgedriftet sind. Als ein Gedicht der afroamerikanischen Lyrikerin Amanda Gorman von hellhäutigen Menschen übersetzt wurde, rief dies einen Proteststurm hervor. Ein „junger, weisser Mann“ mit Rastalocken wird auf einem Campus von einer dunkelhäutigen Frau wegen kultureller Aneignung angegangen.

Hinter diesen Attacken steckt die Vorstellung, dass kulturelle Errungenschaften von einer bestimmten „Rasse“ geschaffen wurden, dieser dann gehören und „geklaut“ werden können. Tatsächlich hat sich der Kapitalismus alles, was ihm lohnend erschien, angeeignet und in Profit verwandelt. Das gilt für Rohstoffe, menschliche Arbeit ebenso wie für menschliche Bedürfnisse und kulturelle Errungenschaften. Der Kapitalismus/Kolonialismus hat sich zu diesem Zweck oft genug rassistischer Momente bedient. Dies muss zu Recht kritisiert werden.

Die Vorstellung, eine gewisse kulturelle Ausdrucksform würde einer bestimmten „Rasse“, einem Volk oder einer Ethnie „gehören“, ist jedoch falsch. Seit der neolithischen Revolution hat die Menschheit vielerlei Fortschritte in Produktion und Kultur gemacht. Arbeitende und Kunstschaffende haben sich aus diesem Fundus immer bedient und inspirieren lassen und diesen weiterentwickelt. Keine zivilisatorische Errungenschaft ist das Ergebnis nur einer Menschengruppe allein und „gehört“ dieser. Wenn die Menschheit sich so verhalten hätte, würde sie sich kaum über den Stand der Jungsteinzeit hinausentwickelt haben. Wenn sie es überhaupt bis zur Jungsteinzeit gebracht hätte.

So wie diese Identitären kulturelle Aneignung auslegen, würde das in der Praxis bedeuten: Die ChinesInnen dürfen Reis und Nudeln (haben die ChinesInnen erfunden) essen, die ItalienerInnen aber keine Spaghetti. Die Bayern müssten ständig Schuhplatteln, die Wiener Walzer tanzen bis ihnen schwindelig wird. Jeder Einzelne wäre auf seine kulturelle „Identität“ festgeschrieben – was immer das auch sein soll.

Es gäbe aber demzufolge auch nicht die „urschwarze“ Musik des Blues. Die Gitarre wurde in Spanien erfunden, die Mundharmonika kam ebenfalls mit europäischen Einwanderer nach Amerika. Getrommelt (Schlagzeug) wird in allen Kulturen der Menschheit. Ohne kulturelle Aneignung wäre der Blues unmöglich.

Kultur – Erbe der gesamten Menschheit

Das kulturelle Erbe der Menschheit ist ein Gemeinsames. Es macht keinen Sinn einen bestimmten kulturellen Ausdruck exklusiv für eine „Rasse“/Ethnie zu reklamieren. Kultur ist immer das Ergebnis und das Erbe der gesamten Menschheitsgeschichte.

Auch muss es möglich sein in andere Rollen zu schlüpfen. Ausgerechnet die BefürworterInnen von Diversity, die dafür eintreten, dass jeder Mensch so sein kann wie er sich fühlt, regen sich auf, wenn kleine Kinder sich als „IndianerInnen“ verkleiden. Und „weisse“ MusikerInnen dürfen, selbst wenn sie die den Blues „spüren“ (was ihnen natürlich grundsätzlich abgesprochen wird) ihn nicht mehr spielen, weil dies „Schwarzen“ vorbehalten bleibt.

In diesem Punkt treffen sich verschieden VertreterInnen der „Identitätspolitik“ auf ungute Weise mit den rechten „Identitären“, von deren Seite auch prompt Applaus für diese Ansichten kommt. Es ist zu befürchten, dass ein guter Teil dieser „Antirassisten“ ihre Theorien wieder einmal nicht konsequent zu Ende gedacht hat.

Kritik an der gnadenlosen Kommerzialisierung von Kultur muss Kritik am Kapitalismus sein und nicht Kritik an gegenseitiger Inspiration von Menschen unterschiedlicher kultureller Hintergründe.

Hautfarben?

Überhaupt, Schwarz und Weiss. Tatsächlich gibt es weder schwarze noch weisse Menschen. Die Pigmentierung der menschlichen Haut weist allenfalls Hauttöne zwischen „rosa“ bis hin zu verschiedenen Nuancierungen von „braun“ auf. Die Menschheit ist kein Farbkasten. Es gibt keine Rothäute, AsiatInnen sind nicht gelb und AfrikanerInnen nicht schwarz. Es gibt auch keine blauen, grünen oder orangen Menschen.

Mittlerweile hat sich der Begriff POC (People of Color) im politischen Sprachgebrauch eingebürgert. Eigentlich ist der Ausdruck POC ein typischer Fall von Verschlimmbessern, denn er stellt ja ebenfalls mehr oder weniger die „Hautfarbe“ in den Mittelpunkt. Davon sollte man eigentlich wegkommen, denn die Hautfarbe ist tatsächlich ein eher zu vernachlässigendes Kriterium zur Beurteilung eines Menschen.

Die Behauptung, das wären „politische“ Hautfarben, macht die Sache nicht besser. So stellen manche die Behauptung auf, slawische Menschen wären den POC zuzurechnen. Schätzungsweise wird man sich, beispielsweise in Polen, über diese Zuschreibung sehr wundern.

Letztlich ist diese neoliberale Form der Identitätspolitik keine Lösung. Sie verhindert internationale Solidarität, wirkt spaltend, bekämpft die Grundlagen der freien Meinungsäusserung, sie wendet sich gegen die gegenseitige Befruchtung unterschiedlicher Menschen und Kulturen. Sie ist sexistisch, rassistisch, nationalistisch und reaktionär und bekommt genau deshalb von manchen Rechten Applaus.

Selbstorganisation Betroffener nach wie vor notwendig

Wer jetzt jedoch ruft, die Identitätsbewegungen provozieren eine Spaltung der Gesellschaft, ist aber ebenfalls auf dem Holzweg. Die Identitätspolitik ist sicher kein Mittel die Trennungslinien zu überwinden, aber Schuld an der Spaltung der Gesellschaft hat sie nicht. Es ist allein die herrschende Klasse, die Verhältnisse geschaffen hat, die Menschen dazu bringt sich in „ihre Community“ zurückzuziehen, um von dort aus ihre Kämpfe zu gestalten.

Das wird auch noch eine gute Zeit lang nötig sein, denn die sogenannten „Minderheiten“ (Frauen sind schon mal keine Minderheit) brauchen sich keine Hoffnungen machen, dass die „Mehrheit“ von sich aus Diskriminierungen unterlässt. Auch wenn das Wort Identitätspolitik dafür aus genannten Gründen schlecht gewählt ist, ist die Notwendigkeit zur Selbstorganisation Betroffener nicht in Frage zu stellen.

Insgesamt ist es also (leider) nach wie vor richtig und wichtig, dass unterdrückte Teile einer Gesellschaft sich organisieren und den Kampf gegen ihre Unterdrückung und Ausbeutung aufnehmen. Dies war und ist immer ein zentraler Standpunkt aller wirklich linken, fortschrittlichen Menschen und deshalb muss die Linke Kämpfe um Gerechtigkeit und gegen Diskriminierung immer mit aller Kraft unterstützen.

Aber es ist nicht egal, auf welcher ideologischen Basis sich dies vollzieht. Wie so oft gibt es eine linke und eine rechte Lösung. Die zu unterscheiden, ist ein ausschlaggebendes Moment in der politischen Arbeit.

Verbürgerlichter Feminismus

Das Drama des Feminismus (und nicht nur dort) ist das mittlerweile fast völlige Fehlen einer proletarischen (Frauen-)bewegung. Mindestens in den westlichen Metropolen dominieren die kleinbürgerlichen Strömungen die Inhalte fast total. Der internationale Frauenkampftag, einst von der Kommunistin Klara Zetkin ausgerufen, als kämpferischer Ausdruck des weiblichen Proletariats, verkommt immer mehr zum „Weltfrauentag“ und wird zunehmend sozialdemokratisiert.

Mit den Schlagworten „Teilhabe“, „Empowerment“ und „Gendergerechtigkeit“ werden letztlich nur bessere Chancen auf die vorderen Plätze im kapitalistischen System eingefordert. Das Kapital kratzt´s nix, solange die Systemfrage nicht gestellt wird. Nischen werden bereitwillig bereitgestellt, um die „kritischen Geister“ zu absorbieren und ins bestehende System einzubinden. Gross zu bitten braucht man die meisten nicht. Die Hoffnungen der wirklichen RevolutionärInnen liegen heute oft bei den migrantischen Frauenorganisationen und den Bewegungen im globalen Süden, die die Klassenrealität noch krasser am eigenen Leib verspüren.

Definitionsmacht

Im kleinbürgerlichen Feminismus haben sich weitgehendst idealistische Vorstellungen durchgesetzt, was sich gut am Konstrukt der sogenannten „Definitionsmacht“ dokumentieren lässt, welches genau dieser Ideenwelt entspringt.

Aus Sicht des dialektischen Materialismus muss man sich gegen das Konstrukt der so bezeichneten „Definitionsmacht“ wenden, wenn sie so ausgelegt wird, dass eine subjektive Empfindung bei einem Sachverhalt automatisch und unhinterfragt mit der objektiven Wahrheit gleichgesetzt wird.

Damit wird in krassester Weise einem kleinbürgerlichen Individualismus und Subjektivismus das Wort geredet. Der dialektische Erkenntnisprozess besagt, dass die subjektive Empfindung einer rationalen Erkenntnis standhalten muss, welche sich wiederum in der Praxis zu bestätigen hat. Kein Mensch ist allein aufgrund seines Seins automatisch im Besitz der objektiven Wahrheit. Umgekehrt gibt es kein Bewusstsein unabhängig vom Sein.

Das dialektische Verhältnis von Sein und Bewusstsein muss ständig analysiert und in der Praxis überprüft werden. Das schliesst das Recht, Einordnungen und Darstellungen kritisch zu hinterfragen, um sich eine Meinung zu bilden, ein – und dieses Recht darf unter keinen Umständen ausgehebelt werden. Es ist eine bedeutende Grundlage linker Politik. Ausnahmen kann es nicht geben. Deshalb darf und muss jeder Sachverhalt überprüft werden, wenn auch mit der notwendigen Empathie und Vorsicht, wie sie manche Situationen erfordern (Opferschutz).

Der Sicht des Opfers von Gewalttaten oder anderen Übergriffen muss eine bedeutende Rolle eingeräumt werden, aber sie steht nicht automatisch für die objektive Wahrheit. Deshalb sind Aussagen wie „Wenn Frau das so empfindet/sagt, dann ist das so.“ falsch. Menschen können irren, lügen oder in ihren subjektiven Empfindungen stark voneinander abweichen. Aussagen wie diese predigen nackten Subjektivismus und öffnen Willkür Tür und Tor. Oft ist es gerade die subjektive Sichtweise, die den Blick auf die Realität verstellt. Sie kann (im Kant’schen Sinne) keine Grundlage für allgemeine Grundsätze sein.

Des Weiteren hat jeder Mensch, der sich einer Anklage gegenüber sieht, grundsätzlich das Recht auf Verteidigung. Auch wenn es verständlich ist, dass dabei manches individuell (vom Opfer) als unerträglich empfunden wird, kann ein Abrücken von diesem Recht nicht gewünscht werden. Natürlich muss es einen weitgehenden Opferschutz geben, aber wer das Recht auf Verteidigung negiert oder die VerteidigerInnen als TäterschützerInnen generell diffamiert, landet – konsequent zu Ende gedacht – bei einem reaktionären Rechtsverständnis, das mit dem Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz nichts gemein hat.

Auch die Aussagen wie: „Der Mann muss grundsätzlich seine Unschuld beweisen und nicht die Anklage seine Schuld“ ist als allgemeines Rechtsverständnis nicht hinzunehmen. Man kann und muss das bürgerliche Recht aus gutem Grund einer kritischen Überprüfung unterziehen, darf aber nicht hinter das bürgerliche Recht und damit hinter die Errungenschaften der Aufklärung zurückfallen.

Die Unschuldsvermutung (dem oder der Angeklagten muss seine/ihre Schuld nachgewiesen werden) hat ihren guten Grund, weil es viele Sachverhalte gibt, bei denen die Unschuld nicht, oder nur schwer nachgewiesen werden kann („Der Angeklagte hat am 12. 12. 2001 auf dem Mond einen Mann ermordet“).

Linke Politik und damit auch linkes Rechtsverständnis muss in die fortschrittliche Richtung weisen, darf niemals rückschrittlich (reaktionär) sein.

„Folter ist kein revolutionäres Kriegsmittel“ (Rote Armee Fraktion) Deshalb muss man den Kollektivschuldgedanken (Prinzipielle Schuld durch Zugehörigkeit zu einem oft nicht selbstbestimmten „Kollektiv“ ohne Ansehen der Person), als auch den Rückfall in die Anwendung von Körperstrafen (Schwanz ab, Kopf ab) unbedingt ablehnen.

Konsequent zu Ende gedacht sind diese nämlich zutiefst reaktionär. Auch wenn man die Wut und das Rachebedürfnis von Opfern von Verbrechen verstehen kann, dürfen sie nicht allgemeine Rechtsgrundlage sein. Die Linke wäre als erste Opfer davon. Wir haben in Deutschland eine verhängnisvolle Geschichte mit diesen „Rechtsgedanken“. Revanchistische Argumentationen wie „Jetzt sind wir mal am Drücker“ können nicht Grundlage linker Politik sein. Individuelle Rachegelüste sind nachvollziehbar, stehen aber den Vorstellungen einer Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung diametral entgegen.

Mechanismen die den dialektischen Erkenntnisprozess blockieren sind nicht links, schon gar nicht sozialistisch/kommunistisch.

Die Klassismusdebatte

Die im Zuge der Identitätspolitik angestossene Klassismusdebatte trägt letztlich alle Züge neoliberaler Verwirrungstaktik und entlarvt ihre VertreterInnen endgültig als das, was sie sind: KonterevolutionärInnen oder solche, die diesen als nützliche IdiotInnen auf den Leim gegangen sind.

Bei der Klassismustheorie erscheint die Klassenfrage als eines unter vielen Problemen, die die Gesellschaft beschäftigen. Schlimm finden ihre VertreterInnen primär die Diskriminierung der unteren Klassen, nicht ihre ökonomische Lage und das Moment der Ausbeutung.

Es ist mal wieder der Versuch, die Klassengesellschaft sprachlich zu tilgen, aber real unangetastet zu lassen. (Nett, dass sich jemand sorgt, dass man zusätzlich zur Ausbeutung nicht auch noch verarscht wird.) Dies zeigt wieder die klassisch idealistische Herangehensweise, die das Bewusstsein, die abstrakten Begriffe über das reale Sein stellt.

Logisch ist, dass bei diesen Leuten die Klassenfrage komplett hintangestellt wird, solange sich noch trefflich über Sprachgebrauch und *-Schreibweise debattieren lässt. Das ist endlich das, was die herrschende Klasse schon lange erreichen will und wozu sie immer wieder neue Theorien ins Feld führt. (z.B. Becks „Risikogesellschaft“ verkündete das Ende des Klassenkampfes. Fukuyama verkündete gar „Das Ende der Geschichte“)

„Zudem wird eine neue Stufe der Verwirrungsrakete gezündet. Sie zielt insbesondere auf linksorientierte Menschen. Ein Mittel dazu ist der »Intersektionalismus«. Sein mangelhafter Gesellschaftsbegriff kann dazu führen, dass der Grundwiderspruch, dessen Aufhebung sicher nicht alle Probleme beseitigt, aus den Augen verloren wird. Das ist das Ziel: das artikulierte Problem vom Grundwiderspruch abzutrennen. Vielfach ist das gelungen.“ (Frank Rehberg; Junge Welt 19.7.2021)

Mehr soll an dieser Stelle über diesen Scheissdreck nicht gesagt werden. Weiteres zu dieser Debatte siehe auch in Autonomie Magazin und Debatte in der Jungen Welt.

Taktik: verwirren, diffamieren, sich verpissen, Chaos hinterlassen und heim ins Reich der bürgerlichen Gesellschaft

Um ihre Vorstellungen durchzusetzen bedienen sich diese – sich mordsradikal gebenden – „Linken“ einer Methode, die so denkbar einfach wie infam ist und schon wiederholt angewendet wurde. Ein von fast allen, wenn auch mit unterschiedlichen Deutungen, akzeptierter Standpunkt (antipatriarchal, antirassistisch, antinational) wird von einer kleinen Gruppe okkupiert und jede/r, der oder die sich ihrer Deutung der Materie widersetzt als ChauvinistIn, RassistIn, SexistIn oder AntisemitIn diffamiert.

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Und wer noch nicht gestorben ist – der spielt noch munter weiter.

Je abstruser die Behauptung umso besser. Deshalb werden auch eher nicht wirkliche FrauenfeindInnen, RassistInnen oder AntisemitInnen angegriffen (weil es diesen wohl auch am Arsch vorbeigehen würde oder sie zu gefährlich scheinen), sondern immer mehr Menschen, die selber in ihrer politischen Praxis gerade gegen diese Erscheinungen kämpfen. Diese sind durch die harten Anschuldigungen meist schwer getroffen und versuchen sich verzweifelt gegen die, zu grossen Teilen völlig haltlosen, Angriffe zu verteidigen. Damit kommen sie aus der Defensivposition nicht mehr heraus und sind auf Dauer wie gelähmt.

Mit jeder Verteidigung reiten sie sich weiter rein. Die Sätze „Nein, ich habe nie behauptet, dass alle Frauen dumme Schlampen sind „, oder „Nein, ich will nicht, dass alle Juden ins Meer zurückgetrieben werden“ klingen an und für sich schon Scheisse. Die AngreiferInnen werden darauf mit Rundumschlägen antworten, wie dass man „nicht bereit sei seine gesellschaftlich privilegierte Stellung zu reflektieren“ oder „die strukturellen Gewaltverhältnisse zu hinterfragen“.

Die AngreiferInnen ihrerseits machen sich unangreifbar, weil sie zwar harte Kritik an anderen üben, selber aber kaum fassbare konkrete Aussagen treffen und schon gar keine vorzeigbare Praxis entwickeln, die eine Kritik möglich machen würde. Ihr eigenes Verhalten stellen sie nur oberflächlich als Lippenbekenntnis in Frage („Ich als weisse privilegierte Person, …“). Letzteres ist jedoch nur Scheinheiligkeit und widerlicher Opportunismus, denn in der Praxis ist bei ihnen selbst wenig von der Zurückhaltung und der Reflexion zu spüren, die sie immer wieder anderen predigen.

Diese Handlungsweise ist insofern infam als sie gar nicht als konstruktive Kritik gedacht ist, die zu einem konstruktiven Miteinander führt. Vielmehr geht es darum mit perfiden Mitteln seine Positionen durchzudrücken, wie hirnrissig sie auch sind. Wer sich widersetzt wird sofort mit dem Pauschalvorwurf „Macker“, „Antisemit“, „Biologist“, „Ökonomist“ und dergleichen überzogen.

Es geht um nichts weiter als ein maximal unsolidarisches Fertigmachen und die Aufkündigung jeglicher Solidarität. Eine analytische Herangehensweise an komplizierte Sachverhalte wird dadurch verunmöglicht. Mit wirklichen Argumenten wird sich in der Regel eh nicht auseinandergesetzt. Weder mit den eigenen noch mit denen der Anderen. Bei den meisten reicht es nicht über oberflächliche Schlagworte hinaus. Selten wird sich mit genuin linker Literatur auseinandergesetzt.

Selbstredend kommen die HauptprotagonistInnenen dieser Strömungen meist aus den Hochschulen und Universitäten, nennen sich PostmarxistInnenen oder Postautonome und sind mitnichten RevolutionärInnen, sondern gehören schon, oder sind auf dem Weg zum politischen Mainstream und stehen oft genug bei diesem in Lohn und Brot. Es geht also nicht um konstruktive Kritik, die immer willkommen zu heissen wäre, sondern einzig und allein um Destruktion, Wichtigtuerei, Verwirrung bis hin zu direkt reaktionären Positionen.

Nachdem das Fussvolk dieser Gruppierungen ein paar Jahre rumgenervt und ernsthafte politische Arbeit blockiert hat, verziehen sich ihre Angehörigen in der Regel zurück in die Klasse die sie ausgespuckt hat, ins Klein- und Grossbürgertum und treiben auch dort teilweise noch ihr Unwesen weiter (Journalismus, Uni). So bringt jede Dekade zuverlässig ihren wahnhaften Bullshit hervor.

Diese Art von „Kritik“ richtet in der Linken seit jeher grossen Schaden an. Denn solcherlei „KritikerInnen“ halten viele Menschen, die ernsthaft linke Politik machen wollen, mit ihrem Klamauk von der Arbeit ab mit ihren Scheindebatten, blockieren und sabotieren wichtige Kämpfe und stellen die Linke in der Öffentlichkeit als durchgeknallten Hanswurstenhaufen dar. Wenn es sie nicht gäbe, die Bullen und die Geheimdienste würden sie erfinden (oder haben sie erfunden).

Dennoch darf man es sich nicht so einfach machen mit dem Abschmettern jeglicher Kritik an etablierten Positionen der Linken. Neben all der Destruktion, welche immer abstrusere Positionen hervorbringt, legen sie doch zu Anfang oft einen Finger auf empfindliche blinde Flecken und Tabuthemen. Deshalb ist es richtig die Diskussion solange zu führen, wie sie konstruktiv und zielführend ist. Kritik sollten wir nutzen um unser Schwert der Argumentation zu schärfen. In der konkreten Auseinandersetzung können wir unsere Positionen Unentschlossenen und Interessierten deutlich machen und den besseren Teil für uns gewinnen.

Für eine emanzipatorische Politik die allen Menschen gerecht wird

Um eine emanzipatorische Politik, die allen Menschen gerecht wird, zu entwickeln braucht man ein Werkzeug, das einem hilft die Welt zu erkennen. Dieses Werkzeug ist die Philosophie des dialektischen Materialismus, die Philosophie des wissenschaftlichen Sozialismus.

Leider sind selbst grosse Teile der Linken heute nicht mehr geschult in philosophischen Fragen, so dass sie sich in den Fallstricken kleinbürgerlicher Ideologien verfangen und diesen auf den Leim gehen. Ihre Ausbildung in den Ideologieproduktionsstätten der herrschenden Klasse tut ein Übriges. Zu viele hinterfragen zu wenig. Die VertreterInnen kleinbürgerlicher Ideologien treten zudem so aggressiv auf, dass viele sich aus Opportunismus wegducken, kritische Fragen unterlassen und bestimmte Themen lieber nicht ansprechen. Der Opportunismus ist jedoch ein Feind jeder wirklich revolutionären Politik.

Trotz aller inhaltlicher Kritik darf nicht übersehen werden, dass viele AktivistInnen in antipatriarchalen, antirassistischen, antifaschistischen und sonstigen emanzipatorischen Kämpfen in der Praxis gute Arbeit leisten, auch wenn sie teilweise irrigen Theorien aufgesessen sind.

Deshalb ist es die Aufgabe aller RevolutionärInnen den ideologischen Kampf um die Köpfe und für die richtigen Ideen zu führen. Eine revolutionäre Praxis braucht eine revolutionäre Ideologie. Deshalb müssen sich alle RevolutionärInnen zusammenschliessen und konsequent gegen kleinbürgerliche Versatzstücke in der Linken auftreten, die daraus resultierenden Fehler aufdecken, die GenossInnen überzeugen, und die, die weiter die Ideologien der herrschenden Klasse predigen, als das entlarven was sie sind: konterrevolutionäre Elemente und ihre HelfershelferInnen.

Der Kampf um Befreiung kann nur erfolgreich geführt werden mit einer Weltanschauung, die alle Nebelkerzen der Religion, der Esoterik, des kleinbürgerlichen Liberalismus und des Idealismus verwirft und die Menschen in die Lage versetzt die Welt zu erkennen wie sie ist.

Deshalb lasst uns gemeinsam eine tragbare Position entwickeln und mutig nach außen tragen.

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Oben     —  G-20 Inpressionen aus der Straße Schulterbatt nach der dritten Kravallnacht

Author Frank Schwichtenberg        /      Source  :    Own work      /      Date      :    9 July 2017, 10:18:30

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2.) von Oben      —        Plakat „Doppelleben – Der Film“

Author DWolfsperger       /       Source     :      Own work       /      Date     :      1 August 2012

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3.) von Oben      —       Détail sur les tiroirs de fiches de la Bibliothèque de Genève (Suisse)

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Wahlkampf unter Walen

Erstellt von DL-Redaktion am 23. September 2021

Aus dem geschäftigen Leben eines gütigen Potentaten

Whale shark Georgia aquarium.jpg

Von Corinna Stegemann

Auch auf dem Meeresgrund wird der turnusgemäße Urnengang vorbereitet.

Dick, der Wal, zerrte schwitzend an seiner scheuernden Krawatte herum, am ganzen Körper juckte es ihn. Es war wieder Wahlkampf, und alle wollten etwas von ihm. Lautlos zog er durch sein Atemloch an einer Algenzigarre und versank in Erinnerungen …

Als junges Kalb hatte er mit seiner Schule oft Ausflüge an die Wasseroberfläche unternommen. Und da waren immer Menschen in lustig schaukelnden Booten, die freuten sich, wenn die Schulkälber auftauchten, sie riefen ihnen nette Dinge zu und waren immer fröhlich. Dann jauchzte Dick: „Wie schön muss es an Land sein, denn die Menschen sind allesamt immerzu glücklich und lachen unentwegt. Wenn ich groß bin, will ich auch an Land gehen und wie die Menschen leben.“

Der Schulleiter aber, der alte, weiße Pollard, runzelte dann nur seine breite, zerfurchte Stirn, verzog sein ohnehin schiefes Maul noch ein bisschen schiefer, schlug unwirsch mit seiner gewaltigen, muschelbedeckten Fluke auf und ab, dass es nur so spritzte, und stimmte schließlich wehmütige Gesänge an …

Als Dick älter, größer und kräftiger wurde, versuchte er immer wieder, dem Ozean zu entsteigen, doch wenn er dann gerade mal so mit Ach und Krach zumindest bis auf eine Sandbank gelangt war, schoben ihn die schreienden Menschen zu Hunderten mit Gewalt wieder zurück ins Meer. Irgendwann hatte er bitterlich enttäuscht aufgegeben, er wurde wasserscheu und erschuf tief auf dem Meeresgrund unter einer riesigen Panzerglaskuppel eine fast landähnliche, trockene Welt, in der er nun als selbstgewählter parteiloser Gebieter, gütiger Monarch und gestrenger, aber gerechter Potentat über ein glückliches Volk von vernünftigen und aufgeklärten selbstbestimmten Pflanzen und Tieren herrschte …

Das Telefon schrillte! Dick schreckte aus seinen Träumen von der fernen Vergangenheit hoch, zog sich schnell einen Happs Schillerlocken durch die Barten, warf eine Dose Sardinen hinterher und nahm hektisch den Hörer ab. Er hatte ein Retrotelefon. „Hier Lefti!“, bölkte es aus der Leitung. „Wie sieht’s denn nun aus? Können wir?“

Alle verfeindeten Lager hängten Poster und Plakate auf

Verdammt, der Wahlkampf! Den hatte er schon wieder verdrängt. Er hatte nie verstanden, was so aufregend an Wahlen sein sollte, doch die Menschen machten es halt auch und seine Untertanen freuten sich jahrelang darauf: Sie malten bunte Poster und Plakate, erfanden sich immer neue Lebensläufe, spalteten sich spielerisch in verfeindete Lager und diskutierten monatelang über Dinge, die sie eh nicht ändern konnten oder wollten – aber das war egal, es machte ihnen einfach Freude.

„Hey, Dick“, tönte es abermals aus dem Telefon, „Dick, hörst du mich? Dick, hier ist Lefti, können wir? Du weißt doch, unser heimlicher Deal, Dick, weißt du noch? Dick, der Deal von gestern. Weißt du noch? Dick? Können wir, Dick? Di-i-ick?“

Dick verdrehte die Augen zweimal im Kreis. Nicht jetzt auch noch Lefti vom BFS (Bündnis für Sauberkeit). Dick legte auf. Seine Gedanken schweiften in wabernden und bunten, mit sirrender Musik untermalten, wellenartigen Bewegungen ein weiteres Mal zurück …

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Erst gestern war er mit Lefti, dem Parteivorsitzenden der Schwämme, Schwämminnnen und Schwammartigen in der zwielichtigen Spelunke Zum letzten Tran versackt, wo in finsteren Ecken unter den dunklen Holzbänken illegal mit gefälschten Kapitänspatenten, getürkten Kaperbriefen und künstlichem Seetang gehandelt wurde. Sie hatten etwas wirklich Wichtiges besprochen, doch Dick konnte sich beim besten Willen nicht mehr an das Thema erinnern. Nur am Rande seines rechten Schläfenlappens kam ihm das Bild eines Purzelbaum schlagenden Fischbrötchens in den Sinn, das aber garantiert nichts mit Lefti und dem geheimnisvollen Deal zu tun hatte …

Das mit dem Fischbrötchen hatte er wahrscheinlich geträumt. Beim Gedanken daran bekam er schon wieder Hunger. Dick seufzte und wählte die Nummer der WSDG-Zentrale. Er ließ es genau einmal bimmeln, dann legte er sehr schnell wieder auf mit den Worten: „Keiner da, ich hab’s immerhin versucht.“ Die Seegurken von der WSDG (Wir sind die Gurken) nervten noch mehr als der verdammte Lefti, immerzu wollten sie Absprachen treffen und geheime Signale bestimmen, oder sie lagen ihm quengelnd in den Lauschlöchern, dass diesmal aber wirklich sie mit Gewinnen dran wären.

Nach Lust und Laune wurde in unregelmäßigen Abständen gewählt

Quelle          :       TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

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Oben     —   „cropped and adjusted version of IMG 1023.JPG in commons“

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Gelder für Stiftungen ?

Erstellt von DL-Redaktion am 11. September 2021

Steuergelder für politische Unbildung

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Politische Bildung . Wie könnte eine Partei – oder eine ihrer Institutionen ein Parteimitglied bilden ? Zwecks Einhaltung  ihrer Grundsätze ? In einer Demokratie ?  Unterstützen Stiftungen welche von Parteien gegründet wurden nicht allgemein die Steuerhinterziehung und gehören in einen Rechtsstaat generell Verboten ? 

Von Gareth Joswig

Die AfD-nahe Erasmus-Stiftung könnte ab der nächsten Legislatur eine Millionenförderung erhalten. Während zivilgesellschaftliche Akteure einen bildungspolitischen Rechtsruck fürchten, gibt sich die Stiftung demokratisch. Doch wie glaubhaft ist das angesichts ihres arg rechten Personals?

Ihr Steuergeld könnte künftig der AfD gehören. Das ist die Kernaussage der Kampagne „Kein Geld für die AfD“. Sie fragt derzeit in den sozialen Medien die Spit­zen­kan­di­da­t*in­nen der Bundestagswahl, wie sie es finden, dass Steuergeld bald der AfD zukommt und was sie dagegen tun wollen. Geantwortet haben die jeweils mit dem Vornamen angesprochenen Olaf, Annalena und Armin bisher allerdings nicht.

Klar spitzt die Kampagne etwas zu, aber im Kern stimmt es: Wenn die AfD nach der Wahl ein zweites Mal in den Bundestag einzieht, steht ihrer parteinahen Des­­iderius­-Erasmus-Stiftung nach bestehender Praxis eine staatliche Förderung zu – ebenso wie sie andere parteinahe Stiftungen wie die Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD oder die Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU in Anspruch nehmen.

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Die parteilose Vorsitzende der Erasmus-Stiftung, Erika Steinbach, rechnet im ersten Jahr nach der Wahl mit rund acht Millionen Euro Förderung, im zweiten Jahr gar mit 14 Millionen, wie sie der taz sagte. Die genauer Förderungshöhe ergebe sich aus dem Wahlergebnis der AfD. Zum Vergleich: Die der AfD zustehende Parteienförderung lag 2020 bei 11,8 Millionen Euro.

Fließen soll das Geld in den Aufbau eines AfD-nahen Bildungswerks: Die Stiftung will Politikberatung für AfDle­r*in­nen organisieren, Stipendien vergeben und Auslandskontakte pflegen. Steinbach sagt, man habe bereits begonnen, in allen Teilen des Landes Personal für den Aufbau zu suchen. Steinbach ist bemüht, einen handzahmen Eindruck zu vermitteln. „Die Themenpalette ist breit gestreut“, wie sie sagt, „uns geht es um Schulbildung, Hochschulbildung sowie um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit, aber auch eine Zukunft Deutschlands als Nation.“ Ab dem zweiten Jahr wolle man auch ein Stipendienprogramm aufsetzen, so Steinbach. Man wolle für eine „Erweiterung des Diskurses“ sorgen, weil die Meinungsfreiheit in Deutschland bedroht sei, wie sie behauptet.

Die Stiftung könnte mit dem Staatsgeld Personal einstellen, rechte Karrieren ermöglichen und dabei helfen, extrem rechte Positionen gesellschaftsfähig zu machen und so die AfD weiter zu normalisieren. Steuergeld würde einen Rechtsruck in der politischen Bildung finanzieren, sagen Kritiker*innen. Geld, das der Stärkung demokratischer Parteien und politischer Bildung dienen soll, würde in antidemokratische Strukturen fließen – und dafür sorgen, dass rechtsextreme Inhalte in Hochglanzbroschüren mit intellektuellem Anstrich verpackt würden.

Davon jedenfalls ist ein breites Bündnis von mittlerweile über 80 Organisationen und Initiativen überzeugt, das in einem zivilgesellschaftlichen Manifest vor dem „Stiftungstrick der AfD“ warnt. Beteiligt sind der Zentralrat der Juden, der Deutsche Gewerkschaftsbund, Fridays for Future und viele mehr. Sie fordern ein Stiftungsgesetz für die Förderung parteinaher Bildungsinstitutionen – Geld soll es künftig demnach nur geben, wenn klar sei, dass die Einrichtung sich demokratischen Grundwerten verpflichtet fühlt. Steinbach sagt, sie habe nichts zu befürchten: Ihre Stiftung stünde mit beiden Beinen fest auf dem Grundgesetz.

Meron Mendel von der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main ist da anderer Meinung. Er ist Initiator des Protests und beschäftigt sich seit drei Jahren intensiv mit der Stiftung. Er sagt: „Diejenigen, die in der Erasmus-Stiftung sitzen, haben nachweislich keine Qualifikation, um politische Bildung zu machen.“ Inhaltlich erschöpften sich viele Äußerungen von Mitgliedern des Vorstands und des Kuratoriums in Hetze gegen Geflüchtete, Antisemitismus, Sex­ismus, Homophobie oder Geschichtsrevisionismus. „Es ist in der Verantwortung der neuen Koalition, eine gesetzliche Regelung zu treffen.“

Kritik an mangelnder Transparenz bei der Finanzierung der parteinahen Stiftungen gibt es schon länger. Jährlich werden an diese rund eine halbe Milliarde Euro ausgeschüttet. „Das ist keine Parteienfinanzierung, sondern zweckgebundenes Geld für politische Bildung. Es kann nicht sein, dass Organisationen nicht nachweisen müssen, dass sie den Zweck erfüllen“, sagt Mendel.

File:Keine AFD V1.svg

Dass die Steuergelder für die Erasmus-Stiftung tatsächlich demokratieförderlich wären, erscheint besonders fraglich, wenn man sich mit den Köpfen in Vorstand und Kuratorium auseinandersetzt. Die Liste problematischer Personen ist lang. Kurzer, unvollständiger Auszug: Marc Jongen, AfD-Bundestagsabgeordneter, sprach mit Blick auf Geflüchtete von einer „Migranteninvasion“. Vorstand Sebastian Wippel darf laut Landgericht Görlitz als Faschist bezeichnet werden und wünschte Angela Merkel den Tod durch Terror. Das Kuratoriumsmitglied Angelika Barbe beteiligte sich an „Querdenken“-Demos und Kuratoriumsmitglied Karl Albrecht Schachtschneider gehört dem inneren Kreis der extrem rechten Initiative „Ein Prozent“ an.

Auffällig sind zudem personelle Kontinuitäten zum geheimdienstlichen Beobachtungsobjekt Institut für Staatspolitik (IfS). Dessen Geschäftsführer Erik Lehnert war bis Mai 2020 auch Vorstand in der Erasmus-Stiftung. Er musste gehen, als der Verfassungsschutz den neurechten Thinktank als rechtsextremen Verdachtsfall einstufte. Inhaltliche Differenzen waren nicht der Grund für seinen Abgang. Das aktuelle Vorstandsmitglied Jan Moldenhauer ist als Referent und Autor auch im Umfeld des IfS zu verorten.

Quelle      :        TAZ-online            >>>>>          weiterlesen

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Oben     —     

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Deutsch: Logo der Desiderius-Erasmus-Stiftung
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2.) von Oben      —     Erika Steinbach am Bad Kissinger Heiligenhof

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Linke Bundestagswahl 2021

Erstellt von DL-Redaktion am 11. September 2021

Wenn Linke träumen könnten

Wahlplakat 2021 Die Linke Obergiesing Muenchen-2.jpg

Von Stephan Hebel

Rechnerisch wäre Rot-Grün-Rot wohl möglich, auch die Wahlprogramme würden das hergeben. Was fehlt? Der Mut zu sozialen und klimagerechten Zukunftsvisionen.

Sollte auf dem linken Flügel der SPD jemand zum Träumen neigen, dann sähe das etwa folgendermaßen aus: Eines schönen Tages erscheinen Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler an der Pforte des Willy-Brandt-Hauses, in der Hand einen verschlossenen Umschlag. Was kann ich für Sie tun?, fragt der Pförtner, und die beiden Linken-Vorsitzenden murmeln gesenkten Hauptes: Wir haben ein Bekenntnis zur NATO mitgebracht. Aha, antwortet der Pförtner, dann legen Sie es doch einfach hier ab.

In diesem Moment öffnet sich die Tür, im Gegenlicht erscheint Olaf Scholz und ruft den beiden schon von Weitem zu, was er immer ruft: Respekt! Dann fallen sich alle drei in die Arme und hören von Stund’ an mit dem Sondieren nicht mehr auf. Eine linke Bundesregierung steht unmittelbar bevor, und auch Scholz ist erleichtert: Gerade hat Christian Lindner die Ampelkoalition platzen lassen, weil er von der SPD und den Grünen ein Bekenntnis zum Bund der Steuerzahler verlangte. Scholz fand gar nichts dabei, aber Saskia Esken wollte nicht. Nun also Rot-Grün-Rot.

So würd’s geträumt, nun jedoch sind sie wach auf dem linken Flügel der SPD, und sie stellen fest: So kann es ja gar nicht laufen! Denn alle wissen, dass die ohnehin erstaunliche Kompromissfähigkeit der Linken dann doch nicht ausreicht, um auf die Knie zu gehen und Bekenntnisse abzulegen. Und dass Kanzlerkandidat Scholz das „Bekenntnis“ auch genau deshalb verlangt. Wie soll er Rot-Grün-Rot denn sonst verhindern, wenn die Linken so gemein sind, ihm meilenweit entgegenzukommen? Und wenn sie dann hören, dass auch Saskia Esken das unsinnige Spiel mit dem „Bekenntnis“ spielt, schlafen sie am besten gleich wieder ein, auf dem linken Flügel der SPD.

So ist die Lage gut zwei Wochen vor einer Bundestagswahl, die eigentlich das Zeug zu einer Richtungsentscheidung hätte. Es ist nun nicht so, dass die Welt im Allgemeinen und das Klima im Besonderen gerettet wäre, wenn in Deutschland ein Mitte-links-Bündnis zustande käme. Die ökologisch-soziale Transformation, die wir brauchen, wird auch Rot-Grün-Rot ohne massiven Druck aus der Gesellschaft nicht bewerkstelligen (können). Aber ganz ohne Belang ist es auch wieder nicht, wer regiert.

Zumindest Räume für Veränderung könnte ein Reformbündnis öffnen, das sich in wenigstens einem wichtigen Punkt von CDU/CSU und FDP unterscheiden würde. Die Scheidelinie verläuft an der altbekannten, aber immer wieder neu zu bestimmenden Grenze: Hier die leider gewohnte Politik der Marktgläubigkeit nebst größtmöglicher Rücksicht auf Kapitalinteressen; dort eine Politik, die im Ansatz versteht, dass Transformation ohne Einhegung dieser Kapitalinteressen und entschiedene Regulierung nicht gelingen wird.

Die Angst vor „den Leuten“

Was auf der linken Seite dieser Grenze programmatisch geschieht, ist wahrlich noch nicht anti-kapitalistisch. Für eine Konfrontation mit dem Marktliberalismus der Ära Angela Merkel und ihres Nachfolge-Aspiranten Armin Laschet hätte es dennoch gereicht. Das aber fand viel zu wenig statt.

Die SPD, die schon lange mit einem Fuß auf der rechten Seite der beschriebenen Grenze steht, kann sich zumindest seit Gerhard Schröder nicht entscheiden. Und sie hat es vorgezogen, ihre Unentschiedenheit in der Arbeitsteilung zwischen dem reformlahmen Kanzlerkandidaten und der etwas linkeren Parteispitze zu personifizieren. Dass das Programm durchaus einen Hauch von Rot-Grün-Rot atmet, vom Festhalten an der Schuldenbremse einmal abgesehen, geht dabei fast unter.

Wahlplakat 2021 Die Linke Obergiesing Muenchen-4.jpg

Die Grünen werben zwar für „Aufbruch“ und haben auch programmatisch einiges zu bieten. Aber auch sie haben es versäumt, sich im Streit um öffentliche Hegemonie klar auf die Seite eines linken Politikmodells zu stellen. Zu fixiert waren sie auf Rücksicht gegenüber einer möglichen Koalition mit der CDU/CSU.

Bei der Linken schließlich sind Hennig-Wellsow und Wissler womöglich zu spät gekommen. Die durch Corona bedingte Verzögerung hat sie wertvolle Zeit gekostet, um Brücken zu bauen über die innerparteilichen Gräben. Vor allem das absurde Entweder-oder zwischen Freiheitsrechten für alle („Identitätspolitik“) und Umverteilung hat dadurch viel zu lange angehalten. Die Partei als eine linke Kraft erkennbar zu machen, die diesen Scheinwiderspruch produktiv auflöst, konnte (noch) nicht gelingen. Auch hier: Die guten Ansätze im Programm gehen fast unter.

Quelle        :        Der Freitag-online         >>>>>        weiterlesen

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Oben     —     Wahlplakat der Linken zur Bundestagswahl 2021, Obergiesing, München

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Scharf rechts –

Erstellt von DL-Redaktion am 2. September 2021

Ideologieproduktion aus dem Geist des nationalen Mainstreams

Erasmus, Roundel, 1532, by Hans Holbein (Kunstmuseum Basel).png

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Johannes Schillo

Mit Blick auf die Bundestagswahl 2021 hat sich die Auseinandersetzung um die öffentliche Förderung der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) zugespitzt. Schließlich geht es um deftige Beträge. Weit mehr als eine halbe Milliarde Euro bekamen in der vergangenen Legislaturperiode die sechs politischen Stiftungen, die von den im Bundestag vertretenen Parteien anerkannt sind.

Nach parlamentarischem Brauch erhält eine Partei bislang erst nach dem zweiten Einzug in den Bundestag öffentliche Mittel zur Finanzierung ihrer Stiftung. Am 26. September wird es also ernst (vgl. Rechtspopulismus – vom Bund gesponsert? https://www.heise.de/tp/features/Rechtspopulismus-vom-Bund-gesponsert-6176838.html). Wenn es bei der bisherigen Regelung bleibt, könnte die AfD auf bis zu 80 Millionen Euro aus Steuergeldern für ihre Stiftungsarbeit hoffen.

Kampf dem Extremismus?

Gegner einer Finanzierung der AfD-Stiftung aus dem Bundeshaushalt gehen daher vermehrt an die Öffentlichkeit und versuchen diesen Geldsegen etwa durch ein Gesetz, das die Stiftungsfinanzierung regelt, zu verhindern. So vorgetragen im „Manifest der Zivilgesellschaft“ (https://www.stiftungstrick-der-afd.com/manifest-der-zivilgesellschaftlichen-organisationen/). Die Kritiker – die aus dem DGB, den Fridays for Future, Attac oder dem Zentralrat der Juden stammen – rufen damit die Fraktionen des Deutschen Bundestags dazu auf, ihre „apathische Haltung gegenüber Parteien wie der AfD und ihrer Desiderius-Erasmus-Stiftung aufzugeben“. Sie sollten schnellstmöglich ein Demokratiefördergesetz auf den Weg bringen, „das sicherstellt, dass Verfassungsfeinde keine Steuergelder erhalten“.

Für die AfD, die mit privaten Spenden bekanntlich gut ausgestattet ist, wäre ein solcher Eingriff qua Extremismusklausel nicht dramatisch, aber natürlich ein gefundenes Fressen. Reitet sie doch beständig darauf herum, dass der öffentliche Diskurs in Deutschland vom bestehenden „Parteienkartell“ gesteuert und reguliert wird. Und in der Tat, wie Linke hierzulande wissen, gibt es bei den öffentlichen Wortmeldungen eine ganze Menge Dinge, die das liberalste Deutschland, das es je gab, nicht aushält (https://krass-und-konkret.de/politik-wirtschaft/was-das-liberalste-deutschland-das-es-je-gab-alles-nicht-aushaelt/). Entsprechende Vorkehrungen der Obrigkeit sind an der Tagesordnung, bedeuten aber keine Zensur, sondern sind mit dem bürgerlichen Recht der Meinungsfreiheit vereinbar, ja stellen dessen eigentlichen Sinn in einer Privateigentümergesellschaft klar.

„Meinungsfreiheit – nur noch eine leere Hülle?“fragte die Erasmus-Stiftung bei ihrem Kongress vom Sommer 2019, der jetzt in der neuen DES-Schriftenreihe „Faktum“ dokumentiert ist (https://erasmus-stiftung.de/). Wie die Stiftungsvorsitzende Erika Steinbach (Ex-CDU) erläutert, startete man „nicht ohne Grund mit dem elementarsten Thema jedweder Demokratie“, denn die rechte Partei wie ihre Stiftung sehen die Bürger im Land von lauter Denk- und Sprachverboten umstellt. Ein Zustand, dem die AfD mit ihrer Gründung entschieden den Kampf angesagt hat.

Ganz im Sinne von Thilo Sarrazins Enthüllungen über den „neuen Tugendterror“ in Deutschland und seinen Angriffen auf den „Kulturmaxismus“ bekennt sich auch das AfD-Wahlprogramm 2021 in seinem medienpolitischen Teil zu „Meinungsfreiheit statt Tugendterror“ (https://www.afd.de/wahlprogramm/) und zum Angriff auf die „Vormachtstellung“ des Establishments: „Diffuse Vorstellungen von ‚politischer Korrektheit‘ ersticken die öffentliche Diskussion durch Sprach- und Denkverbote. Tatsachen werden verdreht und kontroverse Themen tabuisiert. Das Zusammenrücken der Altparteien zu einem politischen Meinungskartell hat die linke Dominanz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und in privaten Mainstream-Medien verfestigt.“

Gegen den „Deutschlandabschaffungskurs“

Über die akademische Intelligenz, die die AfD mittlerweile eingesammelt hat und mit ihrer Stiftung bündeln will, gibt der Eröffnungsband „Nachdenken für Deutschland“ (2018) der DES-Buchreihe Auskunft. „Deutschland verflüchtigt sich“ heißt dort der Schlussbeitrag des AfD-Philosophen Marc Jongen, in dem er Merkels „Deutschlandabschaffungskurs“ geißelt.

Dieser Kurs werde hierzulande von breiten Kreisen – zumindest da, wo das gesunde Volksempfinden noch intakt ist – als „Resultat einer gigantischen, gegen Deutschland und Europa gerichteten Verschwörung, die die systematische Zerstörung des historisch gewachsenen Nationalstaats zum Ziel hat“, wahrgenommen. Jongen kokettiert damit, dass man das in Deutschland eigentlich nicht mehr sagen darf, tritt aber als mutiger Anwalt des Volkes auf, der dessen Sorgen letztlich mit einer philosophischen Tiefenbohrung ernst nehmen will.

Wichtig ist hier, dass Europa im gleichen Atemzug mit der Sorge um den Bestand Deutschlands genannt wird. Die Partei bekennt sich ja mit der Wahl ihres Stiftungspatrons entschieden zum christlichen Abendland. Die Bezugnahme auf „unser Europa“ ist dabei im Rechtsradikalismus nichts Ungewöhnliches. Das geeinte Europa hat propagandistisch eben die doppelte Funktion: als Feindbild für die Unterdrückung der nationalen Identität seiner Völker zu dienen und zugleich als Bollwerk gegen die anstürmenden, mit abendländischen Werten ganz unvertrauten Massen geschätzt zu werden.

Intellektuelle, die die AfD um sich und in ihrer Stiftung versammelt, haben es also nicht allein mit der vom rechten Lager als „Schuldkult“ geschmähten Vergangenheitsbewältigung in Sachen NS-Herrschaft zu tun. Beim DES-Kongress 2019 trat z.B. der bekannte Medientheoretiker Prof. Norbert Bolz auf und unterhielt das Publikum mit den letzten Kalauern über den „Rotfunk WDR“, der mittlerweile „wie eigentlich das ganze öffentlich-rechtliche System“ zu einem „Grünfunk“ mutiert sei. O-Ton Bolz: „Mir hat besonders gut der Tweet eines besonders intelligenten Menschen gefallen: ‚Alle 11 Minuten verliebt sich ein Journalist in einen Grünen‘.“ Wahrlich, alternative Medientheorie, wie sie dem Land seit Langem fehlt!

Die AfD lädt auch schon einmal einen akademischen Apologeten des europäischen Kolonialismus in den Bundestag ein, um die Meisterleistungen des christlichen Abendlandes bei der Ausplünderung der Dritten Welt hochleben zu lassen etc. Wenn die Stiftung gemäß der Parteilinie also endlich die Tabus darüber, was man hierzulande über das Ausland und die Ausländer sagen darf, bricht oder die deutsche Erinnerungskultur – mit der angesagten Kehrtwende um 180 Grad – renoviert, dann bietet sich ihr ein breites Betätigungsfeld: Von der Kolonialära und dem Ersten Weltkrieg, zu dem die Stiftung 2018 ihren ersten Kongress veranstaltete, bis zum modernen Globalismus gilt es, das Deutschtum wieder ins Recht zu setzen.

Nationalismus kritisieren – statt Verbote fordern

Es wäre, wie gesagt, fatal, wenn jetzt solchen Tendenzen mit einer erneuerten Extremismusklausel entgegen getreten würde, etwa im Rahmen eines „Demokratieförderungsgesetzes“, das dann auch gleich alle meinungsbildenden Aktivitäten in der Zivilgesellschaft unter einen Extremismus-Vorbehalt stellt – so weit öffentliche Mittel tangiert sind. Aber das kann ja schnell der Fall sein, wenn sich eine Initiative in einer Uni, einem Bürgerzentrum oder einer Volkshochschule trifft… Wenn die öffentliche Hand mit dem Extremismus-Hammer zuschlägt, steht fest, was folgt (siehe: Marx, dieser Linksextremist! https://www.heise.de/tp/features/Marx-dieser-Linksextremist-6045658.html). Dann geraten auch und gerade linke, linksliberale oder radikaldemokratische Aktivitäten ins Visier. Dann fallen mit Sicherheit Versuche, die Legitimität staatlicher Maßnahmen zu bezweifeln oder die bundesdeutsche „Klassengesellschaft“ zu kritisieren, unter das Extremismus-Verdikt. Dann zählt nur noch explizite Staatstreue.

Hinzu kommt: Die AfD, die sich dank Nachhilfe vom Bundesamt für Verfassungsschutz vom Extremismus distanziert hat, könnte mit einer solchen Klausel eigentlich gut leben. Sie müsste sich taktisch darauf einstellen und ein paar Sprachregelungen berücksichtigen. Dann könnte sie beim antiextremistischen Kampf volles Rohr mitmachen. Denn die offizielle Linie der Bundesregierung, die dem Marxismus in Medien und öffentlicher Meinungsbildung den Kampf angesagt hat, stimmt inhaltlich mit dem rechten Feindbild vom „Kulturmarxismus“ überein (siehe: Bundesregierung: Sozialistische Gesellschaftsordnung schließt „freiheitliche Demokratie“ aus https://krass-und-konkret.de/politik-wirtschaft/bundesregierung-sozialistische-gesellschaftsordnung-schliesst-freiheitliche-demokratie-aus/).

Natürlich sehen Seehofer und sein Staatssekretär Krings die Gefahr nicht bei den Mainstream-Medien, die von Sarrazin, Maaßen oder Höcke mit dem „Kulturmarxismus“-Vorwurf ins Visier genommen werden, sondern bei der Restlinken, bei Armutsforschern oder Neoliberalismus-Kritikern. Aber wenn die staatlich beauftragten Extremismusforscher ans Werk gehen, ist das Ergebnis programmiert: dass nämlich marxistische Theorie im öffentlichen Diskurs nichts verloren hat, also da, wo sie sich Gehör verschafft, ausgegrenzt werden muss (siehe: Amtlich bestätigt: Marx ein Linksextremist https://krass-und-konkret.de/politik-wirtschaft/amtlich-bestaetigt-marx-ein-linksextremist/). Statt nach mehr Anti-Extremismus zu rufen sollte man also besser den deutschen Nationalismus in all seinen Varianten kritisieren – etwa auch da, wo er sich stiftungsmäßig auf glühende Antikommunisten wie Konrad Adenauer, Friedrich Ebert oder einen Pionier des deutschen Imperialismus wie Friedrich Naumann beruft. In den Club passt Desiderius-Erasmus bestens hinein!

Neue = alte Rechte = gute alte BRD

Wie der deutsche Rechtspopulismus taktisch vorgeht, um dem Rechtsextremismus-Vorwurf den Wind aus den Segeln zu nehmen, legt jetzt übrigens das „Schwarzbuch Neue/Alte Rechte“ von Christian Niemeyer minutiös, ja mit erschlagender Detail- und Materialfülle dar. Dort widmet sich ein ausführlicher Text (Essay, Nr. 13) einem Protagonisten der neurechten Intelligenz, nämlich Erik Lehnert, seines Zeichens promovierter Philosoph, Mitarbeiter eines AfD-MdB und Mitherausgeber des „Staatspolitischen Handbuchs“. Er ist Geschäftsführer des Instituts für Staatspolitik (IfS), einer Denkfabrik der Neuen Rechten, die 2000 von Götz Kubitschek und anderen Aktivisten aus dem Umfeld der rechtsradikalen Zeitung „Junge Freiheit“ gegründet wurde. Vom Bundesamt für Verfassungsschutz wird das IfS seit 2020 als rechtsextremer Verdachtsfall geführt.

Im Jahr 2020 hat Lehnert deswegen seinen Job als Schriftführer der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) verloren. Denn, so die DES-Vorsitzende Steinbach, Lehnerts führende Funktion im IfS vertrage sich aufgrund der Verfassungsschutz-Entscheidung, das Institut „wegen extremistischer Tendenzen als Verdachtsfall einzustufen und damit permanent zu beobachten, nicht mit der Satzung der DES“ (taz, 26.5.20). Das Schwarzbuch von Niemeyer wertet dies als eine taktische Entscheidung – typisch für die Art und Weise, wie sich die Partei und ihre Stiftung um Seriosität bemühen.

Niemeyers Ausführungen zeigen paradigmatisch an einem IfS-Handbuch-Artikel Lehnerts zur westdeutschen NS-Vergangenheitsbewältigung, wie der Rechtspopulismus heute taktiert und laviert, um dem Rechtsextremismus-Vorwurf zu entgehen. Der Sache nach gehe es bei Lehnerts Rückblick auf NS-Kriegsverbrecherprozesse eindeutig darum – was Niemeyer minutiös darlegt –, eine Relativierung bzw. „Bagatellisierung der NS-Verbrechen vom Typ Vogelschiss à la Gauland“ zu lancieren; also die bekannten zwölf dunklen Jahre als Fußnote einer 1000-jährigen Nationalgeschichte herabzustufen und so das deutsche Nationalbewusstsein aufzuhellen. Hier zeige sich auch, was AfD-Flügel-Mann Höcke mit seiner erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad gemeint hat: eine Beendigung des ewigen „Schuldkults“, auf den sich AfD-Politiker sowieso eingeschossen haben. Man wolle, so Niemeyer, in diesen Kreisen „das Volk der Täter als Volk der Opfer inszenieren“.

2019-04-11 AfD Fraktion im Bundestag by Olaf Kosinsky-7933.jpg

Eine gewisse Ähnlichkeit der Beiden mit dem Portrait des Erasmus ist nicht ganz abwegig – sähen wir sie nicht wie im Koma dort.

Die Kritik des Schwarzbuchs trifft zu: Der heutige Rechtspopulismus betreibt ja keine Holocaustleugnung, sein Geschäft ist die Relativierung von Schuld und Schande, die angeblich die deutsche Nation niederdrücken – eine nationale Macht- und Selbstvergessenheit, die die Populisten an der Macht beseitigen wollen, was ja in gewisser Weise ihr ganzes Programm darstellt! Bei dieser Diagnose vom nationalen Defizit erliegt die Alternativpartei allerdings einem grandiosen (gewollten?) Missverständnis, verkennt sie doch die politisch-diplomatische Wucht, mit der das neue Deutschland dank seiner außergewöhnlichen Läuterung auf der weltpolitischen Bühne agiert: Die Singularität des Holocaust ist mittlerweile zum moralischen Gütesiegel der Nation geworden.

Für den Hausgebrauch, im Innern der Nation, ist das Singularitäts-Konstrukt allerdings eine etwas sperrige Angelegenheit. Hier wird seit Adenauers Zeiten – mit gewissen Konjunkturen – auch die Normalversion gepflegt, dass nämlich das deutsche Volk das eigentliche Opfer einer Clique von (wie man seit den jüngsten Enthüllungen von Norman Ohler weiß: drogensüchtigen) NS-Verbrechern war und von diesen missbraucht wurde. Diese Relativierung der NS-Zeit – gutes deutsches Volk, inklusive gute Soldaten, durch „böse“ Kräfte verführt – ist eben kein Alleinstellungsmerkmal der AfD, sondern Allgemeingut.

Das belegt übrigens das neue Schwarzbuch minutiös an der westdeutschen Nachkriegsgeschichte – vom Pacelli-Papst über Strauß, Filbinger, Dregger, Kiesinger bis zum „führenden“ neudeutschen Militärhistoriker Sönke Neitzel, der jetzt gerade als gefragter Experte zum Afghanistan-Krieg gilt.„Es fehlte bisher der Dank der Nation für den Afghanistan-Einsatz. Und es fehlen schon lange die ikonischen Bilder, die für die Verbundenheit von deutscher Gesellschaft und Bundeswehr stehen.“ (NZZ, 22.7.21) Das weiß der Mann zum allseits konstatierten Debakel beizusteuern. „Insgesamt bescheinigt Neitzel den Deutschen ein gestörtes Verhältnis zu einer Armee, die Gewalt anwendet“. Eine Rettung deutscher Soldatenehre, die Lehnert sicher sofort unterschreiben würde!

Mehr noch: Der offizielle Standpunkt der demokratischen deutschen Vergangenheitsbewältigung ist gar nicht so weit entfernt von den Relativierungskunststücken rechtspopulistischer Geschichtsexperten. Exemplarisch vorgeführt wurde das etwa von Bundespräsident Steinmeier beim Auschwitz-Gedenktag 2020, wo sich z.B. die AfD im Bundestag ganz konstruktiv aufführte, die Feierstunde mitmachte und den israelischen Staatspräsidenten mit gesteigerter Israel-Solidarität, nämlich in der Zuspitzung des Iran-Konflikts, beeindrucken wollte (siehe: „Kulturkampf von rechts“? https://www.heise.de/tp/features/Kulturkampf-von-rechts-4657804.html). Wenn die Erinnerungskultur zu national aufbauenden Ergebnissen führt, kann eben auch die AfD Positives an ihr entdecken.

Hierzu hatte Steinmeier bereits bei seinem Auftritt in Yad Vashem die Vorgabe gemacht. Demnach war damals „das Böse“ für die Ermordung der europäischen Juden verantwortlich; es wurde zwar 1945, als das Gute siegte, weitgehend ausgerottet, aber irgendwo fanden die „bösen Geister der Vergangenheit“ Unterschlupf und machen sich heute wieder bemerkbar. Diese Inschutznahme des nationalen Kollektivs, an das jeder einzelne Deutsche unaufhebbar zurückgebunden sein soll, ist im Prinzip derselbe Standpunkt, den ein Gauland vertritt, wenn er die Güte der Nation gegen ihre dunklen Seiten stellt.

Literaturhinweis

Christian Niemeyer, Schwarzbuch Neue/Alte Rechte – Glossen, Essays, Lexikon. Mit Online-Materialien (http://beltz.de). Weinheim (Beltz-Juventa) 2021, 795 S., 39,95 €.

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Oben      —   Roundel Portrait of Erasmus of Rotterdam.

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No-Go für die Demokratie

Erstellt von DL-Redaktion am 13. August 2021

Die Kriminalisierung parlamentarischer Beobachter*innen

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Nur die Politiker-Innen welche sich in den Hängematten des Volkes  schaukeln reden von einer Demokratie – welche aber nicht Richtet – sondern regiert!

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Ende Gelände

Demonstrationsbegleitung durch Abgeordnete führt zur Einleitung von Strafverfahren

Abgeordnete unterschiedlicher Parteien begleiten immer wieder Protest- und Blockadeaktionen der Klimagerechtigkeitsbewegung. Sie beobachten, dokumentieren Fehlverhalten von Werkschützern und polizeilichen Einsatzkräften, stellen vor Ort die parlamentarische Kontrolle polizeilichen Handelns sicher und versuchen zu vermitteln. Als parlamentarischer Beobachter hat Lorenz Gösta Beutin, Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke für Energie- und Klimapolitik, im Februar 2020 die Proteste gegen die Inbetriebnahme des Kohlekraftwerks Datteln 4 in Nordrhein-Westfalen begleitet. Der Betreiber Uniper wirft ihm nun Hausfriedensbruch vor und hat Strafanzeige gestellt. Der Bundestag hat im März 2021 den Weg für die Strafverfolgung frei gemacht, indem er Beutin die Immunität entzog. In Recklinghausen beginnt jetzt der Prozess gegen den Bundestagsabgeordneten.

Dazu Joli Schröter, Pressesprecherin von Ende Gelände:

„Kriminell ist es, wenn mitten in der Klimakrise ein Steinkohlekraftwerk ans Netz geht, wenn der Konzern Uniper unsere Zukunft verspielt, um mit dreckiger Energie Gewinne zu machen. Weil Ende Gelände sich diesem Wahnsinn immer wieder entgegenstellt, werden wir regelmäßig zur Zielscheibe von Polizeiwillkür und Repression. Umso wichtiger ist es, dass parlamentarische Beobachter*innen den Kohle-Polizeistaat vor Ort in seine Schranken verweisen. Dass mit Lorenz Gösta Beutin jetzt ein Bundestagsabgeordneter im Auftrag eines Energiekonzerns kriminalisiert wird, weil er sein parlamentarisches Kontrollrecht ausgeübt, ist ein No-Go für eine Demokratie.“

2019-05-09 Lorenz Gösta Beutin LINKE MdB by Olaf Kosinsky 1343.jpg

Am 02. Februar 2020 hatten etwa 150 Aktivist*innen von Ende Gelände und DeCOALonize das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 blockiert. Neun Stunden lang hielten sie die Blockade der Verladeanlagen und Förderbänder aufrecht. Der Bundestagsabgeordnete Lorenz Gösta Beutin hatte die Aktion als parlamentarischer Beobachter begleitet. Der Energiekonzern Uniper, auf dessen Initiative die Strafverfolgung von Beutin erfolgt, ließ das umstrittene Kraftwerk noch im selben Jahr ans Netz gehen und will es trotz dem beschlossenen Kohleausstieg bis 2038 weiter betreiben.

Die parlamentarische Kontrolle polizeilichen Handelns gilt als wichtiges Instrument von Rechtsstaatlichkeit und als Element der Versammlungsfreiheit. Ende Gelände erwartet daher eine Einstellung des Strafverfahrens gegen den Bundestagsabgeordneten. Mit einer Kundgebung zum Prozesstermin will das Aktionsbündnis Solidarität mit Lorenz Gösta Beutin und allen parlamentarischen Beobachter*innen zum Ausdruck bringen und deren wichtige Rolle in einer lebendigen Demokratie unterstreichen.

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Oben      —     by @sebaso CCBY4.0

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Skandale = AfD Politik

Erstellt von DL-Redaktion am 4. August 2021

Der NRW AfD Nazi Skandal

2019-04-11 AfD Fraktion im Bundestag by Olaf Kosinsky-7936.jpg

Wäre das nicht ein Beispiel für die niedrige Wertigkeit des Hauses der Clans

Von Jimmy Bulanik

Das Dortmunder AfD Mitglied Matthias Helferich darf trotz eines bekannten Nazi Skandales weiterhin Mitglied in der AfD bleiben. Auch seinen Listenplatz sieben auf der Landesliste der AfD für den Bundestag behält dieser. Dies stellt ein Skandal nach dem Skandal dar.

Die Bürgerinnen und Bürger in haben mittels dem Kugelschreiber und Wahlzettel in der Wahlkabine die Initiative in Ihren eigenen Händen. Insbesondere respektive der Wahlbeteiligung. Es ist zu wünschen das die Wahlbeteiligung bei der anstehenden Bundestagswahl 2021 so hoch als möglich ausfallen werden wird, damit die demokratische Gesellschaft gestärkt daraus hervorgehen werden wird.

Dies stärkt die Demokratie im Land. Für die AfD wird dies Nachteile bedeuten. Durch den vermehrten Einzug durch MdB aus demokratisch gesinnten Parteien wird es im Deutschen Bundestag mehr Ruhe und Sachlichkeit geben.

Es wird in dem Fall mehr um die Inhalte in der Sache gehen, weniger um das künstliche Schüren von negativen Emotionen wie Neid oder Hass. Die Anliegen der sozialen Gerechtigkeit, Sozialstaatlichkeit und Ökologie gewinnen deutlich mehr an Bedeutung. Die Ökonomie in der Bundesrepublik Deutschland wird dadurch demokratischer und ökologischer werden.

Die neoliberalen Vorstellungen wie Steuersenkungen für die reichsten im Land, den Abbau des Sozialstaates für jene welche die Solidarität und Empathie brauchen, Privatisierungen des öffentlichen Eigentum hat keinen Platz. Weder in der Gegenwart, noch in der Zukunft. Die AfD steht genau für diese neoliberale Inhalte.

Noch schlimmer. Die AfD steht für antidemokratische Gesinnungen. Dies hat diese Partei immer wieder unter Beweis gestellt.

Dabei hat die AfD kaum versteckt wofür sie steht. Die Gegnerschaft der Sozialverbände wie Gewerkschaften, Arbeitnehmerschaft und Gerechtigkeit sind abwählbar.

Durch ein zu bevorstehendes, schwächeres Ergebnis der AfD bei der Bundestagswahl 2021 ist folgendes zu erwarten. Wie negative Wahlergebnisse bei den anstehenden Landtagswahlen. Insbesondere in urbanen Gebieten wie in Westdeutschland.

In den Bundesländern Hamburg, Bremen, Saarland, Schleswig – Holstein wo die AfD bisher bei sechs Prozent stand, ist ein zukünftiger Einzug in den Landtag unwahrscheinlich. Ähnliches gilt für die Flächenbundesländer Niedersachsen mit sieben Prozent, Nordrhein – Westfalen mit sieben Prozent als auch den Freistaat Bayern mit acht Prozent.

2019-10-27 Wahlabend Thüringen by Sandro Halank–18.jpg

Eine gängige Fußballerweisheit alter Tage: Hacke, Spitze, Höcke – 1-2-3

Mit einem verpassten Einzug in die Landtage von den sechs benannten Bundesländern stellt dies eine Schwächung der AfD als Bundespartei dar.

Gegenwärtig hat die AfD 32.000 Mitgliederinnen und Mitglieder im Bundesgebiet. Durch empfindliche Verluste bei den Wahlen ist ein Mitgliederschwund in der AfD zu erwarten. Dies stellt für jeden Bundesparteivorstand eine Zäsur dar.

Der Anfang des Endes der AfD ist eingeläutet. Die Zeitspanne dafür sind die kommenden fünf Jahre. Die Menschen in der Republik erkennen immer mehr das sie die AfD nicht braucht.

Jetzt gilt es das die demokratisch orientierten Fraktionen in den Landtagen und dem Bundestag für die Menschen im Land zeitnah, eine erkennbar bessere Politik zu betreiben.

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Grafikquellen          :

Oben     —        AfD-Bundestagsfraktion, während einer Plenarsitzung im Bundestag am 11. April 2019 in Berlin.

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Unten     —       Election night Thuringia 2019: Björn Höcke (AfD)

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In Merkels Fußstapfen

Erstellt von DL-Redaktion am 8. Juli 2021

Kleiner Mann in Merkels Spuren ?

PEGIDA Demonstration Dresden 2015-03-23 16741539780 481a3dd066 o.jpg

Ohne Spuren von Vergangenheit – keine Zukunft in der CDU.

Von Julia Boek

Georg Günther heißt der Mann, der für die CDU den Wahlkreis der noch amtierenden Bundeskanzlerin verteidigen will. Hoch oben im Norden liegt der, um die Insel Rügen. Von einem, der aus den Tiefen der Kommunalpolitik in den Bundestag strebt.

Was für ein Reinfall. Georg Günther hatte die Reporterin nach Stralsund eingeladen, damit sie ihn bei seiner allerersten Bürgersprechstunde im Wahlkreis mit dem sperrigen Namen „Vorpommern-Rügen ­–­ Vorpommern-Greifswald I“ begleitet. Jenem Wahlkreis 15 an der Küste Mecklenburg-Vorpommerns, den die CDU seit der Wiedervereinigung stets gewann, der Angela Merkel seit 1990 acht Mal in Folge das Bundestagsmandat sicherte und den die Bundeskanzlerin ihre politische Heimat nennt. Für die Ära nach Merkel läuft sich derzeit der 33-jährige Günther aus der Gemeinde Süderholz bei Greifswald warm. Bei der Bundestagswahl im September möchte der Kommunalpolitiker erstmalig das Direktmandat für die CDU in Berlin holen.

Doch nun das: Zur ersten Bürgersprechstunde tauchen nur zwei Männer auf, die aus ihren Sympathien für die AfD keinen Hehl machen. Zur zweiten Sprechstunde, später in Ribnitz-Damgarten, unweit der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst, kommt überhaupt niemand. Sind Merkels Fußstapfen etwa zu groß für einen wie Georg Günther?

Aber der Reihe nach: Am späten Freitagvormittag geht es in der Hansestadt Stralsund mit ihren hübsch sanierten Giebelhäusern und Backsteinkirchen beschaulich zu. An den Ständen am Neuen Markt unweit der dreischiffigen St.-Marien-Kirche packen die Händler den RentnerInnen das Gemüse in die Drahtkörbe ihrer Rollatoren. In der Ossenreyerstraße, dort, wo Angela Merkel ihr Wahlkreisbüro hat, bummeln Familien zwischen Schuhgeschäften und Eisdiele. Ein Straßenmusiker spielt rhythmisch „Tico-tico“ auf seinem Akkordeon, dazu kreischen die Möwen im Wind.

Ein paar Ecken weiter betritt Georg Günther, dezente Retrobrille, Hemd und Leder-Sneakers, die dunkelblonden Haare kurz geschnitten, zusammen mit einem Wahlkampfhelfer das Büro der CDU-Kreisgeschäftsstelle. Drinnen stellt er Kaffeegeschirr und Mineralwasser auf die Tische mit den orangefarbenen Platzdeckchen. Im Regal dahinter beobachtet Angela Merkel auf mehreren CDU-Flyern das Geschehen. „Da könnte ich meine Karten mal dazulegen“, sagt Günther und legt ein paar der frisch gedruckten Vorstellungskarten auf den Tisch. „Zuhören und anpacken“ steht unter dem Foto geschrieben, das den jungen Mann lächelnd im Gespräch zeigt. Das Motto seiner Wahlkampftour habe er sich selbst ausgedacht, sagt Günther, „das passt so gut“. Er arrangiert die Wasserflaschen nochmals auf dem Deckchen, alles soll perfekt sein, gleich beginnt die Bürgerstunde. Günther wirkt etwas nervös.

Kurz vor zwölf Uhr klingelt es an der Tür der CDU-Kreisgeschäftsstelle. Zwei Männer, der eine wohl Ende fünfzig, der andere Mitte sechzig, ihre Hemden tragen sie leger über die Hosen, wollen Günther kennenlernen. Der CDU-Politiker bittet, Platz zu nehmen, die ersten Fragen der Herren wirken fast großväterlich. Was der junge Mann studiert habe, wollen sie wissen. Ob er sein Studium abgeschlossen habe, woher er komme und warum er sich gerade für die CDU engagiere.

Günther stellt sich vor: 1988 in Greifswald geboren, duales Studium zum Diplom-Finanzwirt an der Fachhochschule Güstrow, Metier Steuerrecht, Arbeit als Betriebsprüfer im Finanzamt Stralsund, Weg zur CDU über die Kommunalpolitik, „in die Partei, die sich für Arbeitsplätze vor Ort einsetzt“. Sollte Günther hier gerade zwei Stimmen für die Bundestagwahl gewinnen?

St. Jakobi (Stralsund).jpg

In den Balkankriegen, Mitte der Neunziger, setzt der Mittsechziger mit dem gestreiften Hemd über der Bauchwölbung nun an, hätte Deutschland viele Flüchtlinge aufgenommen, die nach Kriegsende größtenteils wieder nach Hause gegangen seien. Wie, so fragt er den CDU-Bundestagskandidaten, sähe es jetzt mit den Flüchtlingen aus, „die zuletzt zu Millionen nach Deutschland kamen?“

Stimmungswechsel – aber Günther bleibt gelassen. Erklärt, die Hände liegen ineinander gefaltet auf dem Tisch, dass es darauf ankäme, wie sich diese Menschen in die deutsche Gesellschaft einbringen würden. Dass die Lebensbedingungen in Syrien und Afghanistan entscheidend seien, um den Geflüchteten in ihren Herkunftsländern eine Perspektive zu geben.

Die Antwort stellt die Herren nicht zufrieden, es wird kompliziert. Der Mittsechziger, er kommt gebürtig aus Sachsen, wie er sagt, hakt noch einmal nach, fragt, ob Sozialleistungen wie Kindergeld, das Geflüchteten in Deutschland zustehe, nicht viel zu hohe finanzielle Anreize biete? „Wie viele Millionen Menschen sollen denn noch kommen?“, poltert es aus seinem Mund.

Spätestens jetzt ist die Maskerade der Männer gefallen. Was hier nach nur fünf Minuten Bürgersprechstunde passiert, ist ein Feuerritt durch die Brandherde der zündelnden AfD. Der Getriebene: Georg Günther. Abwechselnd feuern die Männer, „die sich nur um Deutschland sorgen“, Salven in Richtung des CDU-Direktkandidaten, der immer weniger zu Wort kommt: Es geht um den Islam, „kreuzgefährlich“, ums Gendern, „Goethe würde sich im Grab umdrehen“, Nationalstaaten, „die Deutschen sind eine aussterbende Ethnie“, die AfD, „bürgerliche Partei“, die CO2-Besteuerung, „Nonsens!“, Angela Merkel, „Wischiwaschi“ und die Antifa, „Terrororganisation“.

Und Günther? Hört geduldig zu, ohne eine Miene zu verziehen, und fragt nach: Etwa woran die Herren es festmachen würden, dass die Geflüchteten größtenteils Analphabeten seien? Oder wo genau im Land die Antifa Angst und Schrecken verbreite? Er argumentiert, warum er ­– der CDU-Mann – ungern mit den Grünen koalieren würde, sagt, dass viele Menschen seiner Generation über ein starkes europäisches Gemeinschaftsgefühl verfügen würden.

Eines wird dabei klar: Georg Günther hat Nehmerqualitäten. Zuhören kann er, aber kann er auch austeilen? Die Männer jedenfalls, so sagen sie nach einer guten halben Stunde, haben genug gehört. Per Handschlag bedanken sie sich für das Gespräch ­– fast so, als hätte man hier gerade einen heiteren Abend miteinander verbracht.

Alter Markt mit Wulflamhaus (43308422884).jpg

Georg Günther kennt Gespräche wie diese zur Genüge. Auf den Wahlkampftouren durch sein Bundesland, die er seit 2011 als Kreisvorsitzender und seit 2018 als Landesvorsitzender der Jungen Union Mecklenburg-Vorpommerns begleitete, habe er die Unzufriedenheit einiger Menschen deutlich zu spüren bekommen. Dem Flächenland geht es durchwachsen: Rund jeder Fünfte im Nordosten ist von Armut bedroht, die Arbeitslosenquote lag – trotz boomendem Tourismusgeschäft – im Juni 2021 mit 7,5 Prozent deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 5,7 Prozent. Die Schiffswerften, früher Wirtschaftsmotor der Region, befinden sich in der Dauerkrise, der Küstenfischerei machen immer strengere Quoten und der Hunger der wieder angesiedelten Kegelrobben zu schaffen. Im Kreistag Vorpommern-Rügen hält die AfD 10 Sitze (CDU 20), im Landtag Mecklenburg-Vorpommerns sind es 14 (CDU 18). Tragen die Christdemokraten eine Mitschuld am aufbrisenden Gegenwind von rechts?

Gewiss, auch seine Partei habe dazu beigetragen, sagt Günther, der sich selbst eher im liberalen denn konservativen Flügel der CDU verortet wissen will. So fehle es im Land an Personal bei Polizei und Gerichten, zudem habe man es versäumt, den Mittelstand zu stärken oder berufliche Ausbildungswege zu fördern. „Eingebrannt haben sich auch die Bilder der Flüchtlingskrise 2015“, als in vielen Landkreisen und Kommunen Fehler mit dem Flüchtlingsmanagement passierten, auch die Kommunikation sei damals nicht optimal gelaufen. Trotzdem – und das betont Georg Günther mehrfach an diesem Vormittag – „ist Flüchtlingshilfe ein Akt der Humanität und die Abgrenzung zur AfD eine klare Sache“.

Quelle       :         TAZ-online          >>>>>           weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —   PEGIDA Demonstration Dresden 2015-03-23

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2.) von Oben     —       The church ‚St. Jakobi‘, the ‚Ozeaneum at the Strelasund strait, Stralsund, Mecklenburg-Vorpommern, Germany.

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Hitlergruß im Reichstag

Erstellt von DL-Redaktion am 19. Juni 2021

Rechtsextreme bei der Bundestagspolizei

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Die Uniformierten gleichen sich den Zeitgeist der Konservativen  Politik an, von  daher  müssen sie wohl schon sehr verwaschen aussehen ?

Von Kersten Augustin und Sebastian Erb

Die Bundestagspolizei soll das Parlament schützen. taz-Recherchen zufolge arbeiten dort Reichsbürger, Rassisten und Coronaleugner.

Bewaffnete De­mons­tran­t*in­nen stürmen den Bundestag in Berlin. Sie brechen in Büros ein, durchwühlen Dokumente, suchen nach Abgeordneten, die sich zwischen den Sitzreihen verstecken.

Klingt unrealistisch? In den USA ist genau das passiert: Am 6. Januar drangen Rechts­ex­tre­me ins Kapitol ein.

In der deutschen Hauptstadt kam es Ende August vergangenen Jahres nicht so weit, als ein paar hundert Menschen auf die Treppen des Reichstagsgebäudes stürmten, über denen der Schriftzug „Dem Deutschen Volke“ steht. „Das Haus der Deutschen besetzen“, hatten sie vorher in Chatgruppen geschrieben, und: „Diese Wichser da drinnen aufhängen, wenn es nach mir gehen würde.“

Nur drei Streifenpolizisten stehen zwischen dem Mob und der Glastür, so sieht man es in Handyvideos. Zwei Meter dahinter sitzt ein Pförtner in einem Glaskasten, vor ihm ein weißer Kippschalter und ein roter Knopf. Er könnte die Tür zum Reichstagsgebäude jetzt öffnen, wenn er wollte.

Der Bundestag braucht Schutz. Aber wer sind die Personen, die ihn schützen?

Die taz hat mit einem Dutzend aktuellen und ehemaligen Be­am­t*in­nen der Bundestagspolizei und weiteren Personen gesprochen, die für die Sicherheit im Parlament zuständig sind. Wir sind auf eine Gefahr von innen gestoßen. Auf Reichsbürger in Uniform, die das Parlament schützen sollen, aber glauben, dass die Bundesrepublik nicht existiert. Auf Coronaleugner und Rassisten, die Namibia noch heute als Deutsch-Südwestafrika bezeichnen. Auf Pfört­ne­r*in­nen, die aktuell für die AfD-Fraktion arbeiten und bald wieder an einem der Eingänge sitzen könnten.

Es geht dabei auch um rechte Memes in dienstlich genutzten Chatgruppen. In einem weiteren Fall soll ein Beamter im Pausenraum der Bundestagspolizei den Hitlergruß gezeigt haben.

Doch wir sind nicht nur auf Rechtsextremismusfälle gestoßen, denen bislang offenbar niemand nachgegangen ist. Je länger wir uns mit der Polizei des Bundestags beschäftigen, desto stärker bekommen wir den Eindruck: Das ist eine Organisation, die sich verselbstständigt hat. In der Parlamentspolizei mit ihrer historischen Sonderstellung mischen sich eine gute finanzielle Ausstattung mit regelmäßiger Unterforderung im Alltag. Das führt beispielsweise dazu, dass die Polizei des Bundestags Scharfschützengewehre angeschafft hat, die sonst nur ein SEK besitzt. Und eine mysteriöse Spezialeinheit gegründet hat, die öffentlich noch nie erwähnt wurde und von der selbst im Bundestag kaum einer weiß.

Die Bundestagspolizei

Der Bundestag ist der kleinste Polizeibezirk der Republik, rund 200 Be­am­t*in­nen arbeiten hier. Sie sind ausschließlich für die Liegenschaften des Bundestags verantwortlich. Die Bundestagspolizei untersteht dem Bundestagspräsidenten, Wolfgang Schäuble von der CDU. Nur mit seiner Zustimmung dürfen Be­am­t*in­nen in den Parlamentsgebäuden Personen festnehmen oder Büros durchsuchen. Die Polizei des Landes Berlin oder die Bundespolizei sind nicht zuständig, so will es das Grundgesetz. Die Idee ist gut: Im Falle eines Staatsstreichs soll das Parlament nicht schutzlos sein. Das bedeutet aber auch: Es muss sich im Zweifelsfall selbst schützen können.

Nach dem versuchten Reichstagssturm und dem Sturm des US-Kapitols hat Schäuble angekündigt, die Sicherheit des Bundestags zu verbessern. Die Berliner Landespolizei hat ihre Präsenz vor dem Gebäude verstärkt. Die Bundestagspolizei arbeitet jedoch weiter wie vorher, erfahren wir in mehreren Gesprächen mit Polizist*innen, Abgeordneten und Ver­tre­te­r*in­nen der Bundestagsverwaltung.

Dabei gibt es Beamt*innen, bei denen man als Dienstherr genauer hinschauen müsste. Da wäre etwa der Polizist Michael R. 2014 wird er stellvertretender Bundesvorsitzender der Splitterpartei „Deutsche Nationalversammlung“. Es ist eine Reichsbürgerpartei, die das Grundgesetz nicht anerkennt. Unter dem Motto: „Achtung! Wach­ablösung! Das Grundgesetz geht – Die Verfassung kommt! Für ein souveränes Deutschland!“ demons­trierte die Partei damals vor dem Reichstag, für dessen Schutz Michael R. zuständig ist.

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So große Weideflächen und keine Bullen in Sicht

Im Pausenraum der Polizei im Bundestag lag einmal ein Flyer aus, der der taz vorliegt. Es ist ein Flyer der Preußischen Gesellschaft, einer na­tio­na­lis­tischen Vereinigung, die Deutschland „geistig erneuern“, „Überfremdung stoppen“ und einen „Freistaat Preußen“ errichten will. Michael R. habe ihn dort verteilt, sagt ein Kollege von ihm. Er habe eine Zeit lang versucht, Mitstreiter anzuwerben, sagt ein anderer. Er hat zudem nach Aussage eines Kollegen rechte Memes im Chat seiner Dienstgruppe gepostet. Im Pausenraum habe R. seine Thesen wiederholt: Er sei kein Bürger der BRD, es habe keinen Einigungsvertrag gegeben. Deutschland sei kein Staat, sondern eine GmbH.

Michael R. war früher bei den Reichsbürgern, dann trat er der AfD bei

Irgendwann nach dem Vorfall mit dem Flyer bekommt R. Ärger von Vorgesetzten. Auf taz-Anfrage teilt die Pressestelle des Bundestags mit: Gegen den Polizeibeamten wurde 2019 ein Disziplinarverfahren eingeleitet, weil er sich verfassungswidrig geäußert haben soll. Der Verdacht habe sich nicht bestätigt, das Verfahren wurde eingestellt.

Michael R. ist jetzt Polizeiobermeister und arbeitet immer noch im Bundestag. Die Reichsbürgerpartei ist nicht mehr aktiv, dafür ist R. der AfD beigetreten. Bei Facebook gefällt ihm die German Defence League, Pegida und „Keine weiteren Asylantenheime in Deutschland“, er ist Mitglied der Gruppen „Pa­trio­ten Brandenburg-Preussen“ und „Weltweiter Widerstand“.

Michael R. wohnt in einer Neubausiedlung in Brandenburg. Als wir klingeln, ist er überrascht und aufgebracht, dass wir bei ihm zu Hause das Gespräch suchen. Inhaltlich sagt er nichts, aber er fragt nach unseren genauen Namen. Dann sagt er spöttisch, dass er mal nachschauen werde. „Wir haben da ja unsere Computer.“

Michael R. ist nicht der einzige problematische Polizist in den Reihen der Bundestagspolizei. In Chats wurden in den vergangenen Jahren zweifelhafte Inhalte geteilt. Ein Meme aus einer Chatgruppe, das der taz gezeigt wurde, zeigt Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einem Hundekopf: „Die Kanzlerin wurde geimpft. Keine Nebenwirkungen, sagt der Gesundheitsminister“. In anderen Memes wurde laut Aussagen mehrerer Po­li­zis­t*in­nen Merkel als Verräterin bezeichnet oder es wurde gegen Minderheiten gehetzt.

„Am Ende sind wir die mit den Knarren im Haus“, sagt ein Bundestagspolizist. „Es ist wie bei Troja: Wer hat den Schlüssel zur Tür?“

Ein Polizist erinnert sich an ein Bild in einem Chat mit einem Gewehr und einem Gewaltaufruf gegen Schwarze Menschen: „Springt der N**** wild herum, schalt’ auf Automatik um“. Er war so entsetzt, dass er das Bild damals einer Person zeigte, die uns das ebenfalls bestätigt. Ein anderer Polizist erinnert sich im Gespräch mit der taz an ein Bild mit dem Schriftzug: „Dem Führer hätte das nicht gefallen“ und an antisemitische Witze, etwa, wie viele Juden in einen Aschenbecher passen würden. Nicht alle dieser Chatinhalte dürften strafrechtlich relevant sein, sie könnten aber disziplinarrechtliche Konsequenzen haben. Und sie weisen auf eine fragwürdige Polizeikultur hin.

„Am Ende“, sagt ein Bundestagspolizist, „sind wir die mit den Knarren im Haus.“ Und: „Es ist wie bei Troja: Wer hat den Schlüssel zur Tür?“

Eine Recherche in den Reihen der Polizei ist nie leicht, so auch in diesem Fall. Viele Be­am­t*in­nen wollen nicht mit der Presse sprechen, anderen ist angeblich nie etwas Problematisches aufgefallen. Die, die Probleme thematisieren, haben Angst vor Konsequenzen und äußern sich nur, wenn ihre Identität geschützt bleibt.

Aus den Äußerungen dieser Po­li­zis­t*in­nen geht hervor, dass auch außerhalb von Chatgruppen rassistische Bezeichnungen wie „Kanacke“, „N****“ oder „Schwarzkopf“ bei der Polizei des Bundestags alltäglich sind. Besonders schlimm sei es nach dem Sommer 2015 geworden, als viele Geflüchtete nach Deutschland kamen. Im Pausenraum hätten Polizisten Flüchtlinge als Terroristen bezeichnet. Bei der Arbeit zeigten einige Kol­le­g*in­nen ihre Missachtung für die Bundesregierung und Sympathien für die AfD. Mehrere Bundestagspolizisten sollen an Demonstrationen der rechtsextremen Organisation Pegida teilgenommen haben, berichten aktuelle und ehemalige Polizist*innen.

„Es gibt einige Polizisten, die das im Pausenraum nicht mitanhören wollen, die nehmen sich ihre Stulle und essen die auf der Leitstelle“, sagt einer von ihnen.

Ein Beamter, der sich laut Aussage mehrerer Polizisten regelmäßig rassistisch äußert, ist ein Polizeihauptmeister und Mitglied einer Reservistenkameradschaft. Und bei Äußerungen soll es nicht geblieben sein. Er habe mehrfach den Pausenraum im Reichstagsgebäude betreten und dabei zur Begrüßung den Hitlergruß gezeigt, sagt ein Polizist, der damals nach eigenen Angaben im Raum war. Er habe dabei die Hacken zusammengeschlagen und die Radiostimme von Adolf Hitler imitiert.

Wir rufen bei zwei Polizisten an, die im Raum gewesen sein sollen. Beide reagieren nervös, dementieren den Hitlergruß nicht und brechen das Gespräch ab. Der Polizeihauptmeister sagt am Telefon, er schaue gerade eine Doku über Treblinka und Auschwitz, „ich würde so etwas nie tun.“ Er dementiert rassistische Äußerungen, er habe „genügend Freunde, die schwarze Hautfarbe haben“.

Nachdem die von der taz befragten Polizisten ihre Vorgesetzten über den taz-Anruf informierten, hat die Bundestagsverwaltung disziplinarische Vor­er­mittlungen wegen des mutmaßlichen Hitlergrußes eingeleitet. Der Polizeihauptmeister und die beiden anderen Polizisten stritten den Vorfall ab und die Angelegenheit wurde zu den Akten gelegt.

Ein ehemaliges Mitglied des Personalrats im Bundestag bestätigt, dass sich Polizisten bei ihm über rechte Sprüche beschwert haben. „Das ist mir nicht neu“, sagt er. „Einzelne haben mir das berichtet, das war aber kein Anlass für mich, das zu objektivieren.“

Er ist mit dieser Haltung nicht allein. Leitende Beamte der Bundestagspolizei haben in den vergangenen Jahren keinerlei Fortbildungen zu politischem Extremismus besucht. Nur zwei Polizisten des mittleren Dienstes besuchten auf eigene Initiative mehrtägige Fortbildungen zu islamistischem Terrorismus und Linksextremismus.

Hat die Verwaltung des Bundestags die Gefahr von rechts jahrelang nicht ernst genommen?

Die Pressestelle des Bundestags antwortet auf taz-Anfrage, man handle bei rechtsextremen Verdachtsfällen „klar und konsequent“. Eine verdachtsunabhängige Überprüfung finde jedoch nicht statt. Seit 2013 habe es insgesamt drei Fälle gegeben, die sich aber nicht bestätigt hätten. Von den Fällen, die von der taz recherchiert wurden, fällt nur der Hitlergruß darunter. Er wurde aber erst im Zuge der Recherchen im Bundestag Thema. Bundestagspräsident Schäuble wollte sich auf Anfrage nicht äußern.

Im Präsidium des Bundestags – dem Leitungsgremium, das der Bundestagspräsident mit seinen Stell­ver­tre­te­r*in­nen bildet – waren mögliche Bedrohungen lange Zeit kein Thema. Nach dem versuchten Sturm auf das Reichstagsgebäude ging es vor allem um die Frage, warum die De­mons­tran­t*in­nen von der Berliner Polizei so unterschätzt wurden. Bundestagspräsident Schäuble traf sich mit Bundesinnenminister Horst Seehofer und Berlins Innensenator Andreas Geisel, um die Zusammenarbeit mit Bundes- und Landespolizei zu verbessern. Um mögliche Gefährdungen des Bundestags von innen ging es nicht.

Das änderte sich im vergangenen November. Eine rechte Aktivistin, die als Gast eines AfD-Abgeordneten in den Reichstag gekommen war, bedrängte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) vor einem Aufzug. Bemängelt wurde intern, dass in der Nähe stehende Polizisten nicht eingeschritten waren. Die Aktion hatte Konsequenzen, allerdings nicht für die Polizei, sondern für die Abgeordneten: Sie müssen nun die Namen ihrer Gäste hinterlegen.

Nach dem Sturm auf das US-Kapitol waren viele deutsche Abgeordnete geschockt. Sie hatten live verfolgt, wie ihre amerikanischen Kol­le­g*in­nen sich vor dem Mob verstecken mussten, ihre Büros durchsucht wurden. Wie Demonstranten Selfies mit Polizisten machten. Könnte so etwas auch hier passieren?

Der Referatsleiter, der für die Bundestagspolizei zuständig ist, verneinte das im Ältestenrat und gegenüber den Sicherheitsbeauftragten der Fraktionen. Die Abgeordneten kennen höchstens zwei ältere rechtsextreme Verdachtsfälle in den Reihen der Bundestagspolizei: In einem geht es um einen Polizisten, der eine Motorradkutte mit eisernem Kreuz getragen haben soll. Im anderen um einen Polizisten, der in einer problematischen Chatgruppe erwähnt worden sein soll. In beiden Fällen sind die Polizisten nach einer Überprüfung weiter im Dienst. Weder der Flyer im Pausenraum noch andere von der taz recherchierte Fälle wurden den Abgeordneten genannt.

Quelle          :       TAZ       >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben      —      Royal London Wax Museum – Adolf Hitler Royal London Wax Museum, Victoria, British Columbia, Canada

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2.) von Oben      —   Ehemaliger Fußballplatz

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Linke nah am Abgrund

Erstellt von DL-Redaktion am 17. Juni 2021

Linkspartei in der Krise

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Eine Partei deren gewählte Mitglieder-Innen in Zeiten zwischen den Wahlen durch Abwesenheit glänzen – um auf anderen Bühnen präsent zu sein, oder Bücher zu schreiben, darf sich über Nicht-Wähler-Innen nicht beklagen.

Von Ines Schwerdtner

Die Linkspartei verzettelt sich in einem internen Richtungsstreit. Ihr fehlen Strategien und Zuversicht. Daran wird auch der Parteitag wenig ändern.

Die Linkspartei lädt am Wochenende zum Wahlprogrammparteitag, Ein Aufbruch soll es sein, das Spitzenkandidatenduo Janine Wissler und Dietmar Bartsch soll öffentlich gekrönt werden. Doch statt des berauschenden Wahlkampfstarts wird es vermutlich zäh werden. Die Partei ringt um die Außenpolitik, um eine mögliche Regierungsbeteiligung, vor allem aber ringt sie mit sich selbst. Sie steht gefährlich nah am Abgrund.

Die Linkspartei ringt um Außenpolitik und Regierungsbeteiligung –und vor allem mit sich selbst

Bei Umfragewerten von 6 Prozent ist es nicht mehr unmöglich, dass die Linkspartei dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören wird. Wie konnte es so weit kommen?

Um das zu verstehen, reicht es nicht, auf den Parteitag zu schauen. Er ist nur Ausdruck einer tieferen Lähmung, die auch in die gesellschaftliche Linke hineinreicht. Die Linkspartei ist inDeutschland derzeit im Grunde bedeutungslos. Ihre Debatten drehen sich weitgehend um sich selbst. Man zerfleischt sich lieber selbst als den politischen Gegner.

Das wurde deutlich, als auf Sahra Wagenknechts zur Unzeit erschienenes Buch „Die Selbstgerechten“, eine Abrechnung mit der eigenen Partei im Wahljahr, manche GenossInnen mit einem Antrag auf ein Ausschlussverfahren reagierten. Hier das egozentrische Verhalten Wagenknechts, dort Linkssektierertum. All das sind Zeichen der Schwäche. Es scheint, als würde man lieber bereitwillig im Besitz der reinen Wahrheit untergehen, als dem anderen einen Punkt zuzugestehen.

Und das passiert während einer Gesundheitskrise mit sozialen Folgen. Es passiert in einer Zeit, in der Fragen der sozialen Sicherheit hoch im Kurs stehen und sich mit Fridays for Future eine Jugendbewegung formiert hat, die nach einem Systemwechsel ruft.

Vor uns steht die Mammutaufgabe, den anstehenden sozial-ökologischen Umbau der Industrie anzugehen und die schwarze Null zu kippen. Ein grün-rot-rotes Bündnis schneidet, wenn in Umfragen nach Koalitionen gefragt wird, gar nicht schlecht ab. Von alldem müsste die Linkspartei eigentlich profitieren.

Sterile Scheindebatten

Doch das tut sie nicht. Statt konkrete Vorhaben ins Zentrum zu rücken, führt sie Debatten um Klasse und Identitätspolitik, um eine „Lifestyle-Linke“ und „Bewegungslinke“. Das Paradoxe an diesen sterilen Debatten ist, dass sie durchaus einen realen Kern haben. Denn natürlich teilt sich die Gesellschaft in Milieus auf, die einer spezifischen Ansprache und Politik bedürfen. Das Problem ist vielmehr, dass diesen Debatten der Bezug zu den realen Menschen fehlt.

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In  Sachsen-Anhalt haben jene, die sich selbst als Arbeiterinnen und Arbeiter bezeichnen, eher die AfD als die Linkspartei gewählt. Diesen Trend gibt es nicht nur im Osten – und er muss die ­Partei beunruhigen. Die alte soziale Basis stirbt förmlich weg oder wendet sich von der einstigen Protestpartei ab.

Weder Fisch noch Fleisch

Die Partei gewinnt zwar in den urbanen Milieus, doch dies macht diese Verluste nicht ausreichend wett. Die Ironie ist, dass man am Ende weder Fisch noch Fleisch ist, weder Arbeiterpartei noch eine moderne, bewegungsnahe linke Partei. Der Linkspartei geht damit ein Stück Identität verloren.

Das müsste nicht so sein. Jede sozialistische Partei tritt mit dem Anspruch an, für die Geknechteten einzustehen und eine menschliche Gesellschaft für alle anzustreben. Eigentlich müssten sich sowohl die Jüngeren, die sich um das Klima sorgen, wie die Älteren, die sich von der Wende noch betrogen fühlen, bei der Linken sammeln.

Jede erfolgreiche sozialistische Partei lebt von ­einer Bewegung, die sie trägt. Es gibt also keine bewegungslose Linkspartei, so wie es keine ohne die Schwächsten geben kann. Die Debatten, die die Partei und auch die gesellschaftliche Linke so umtreiben, sind so lange Scheindebatten, wie sie keinen Kontakt zur realen Welt haben.

Quelle        :          TAZ          >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —       Bundesparteitag DIE LINKE Mai 2014 in Berlin, Velodrom

Author  :       Blömke/Kosinsky/Tschöpe

This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany license.

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Unten       —       Abstimmung im Plenum des Deutschen Bundesatges am 11. April 2019 in Berlin.

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DER ROTE FADEN

Erstellt von DL-Redaktion am 1. Juni 2021

Disruptiv begabt in Küche und Politik

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Durch die Woche mit Silke Mertins

Die Woche im Rückblick. Diesmal über die Gemeinsamkeiten von TikTok-Rezepten, Parteichefs und Impfempfehlungen.

Die Minderjährige, die zu meiner Infektionsgemeinschaft gehört, findet mich sehr begabt. Sie hebt hierbei besonders meine Talente im Bereich Putzen, Kochen, Aufräumen und Katzenklo hervor. Warum also sollte sie im Haushalt zur Hand gehen, etwa die Spülmaschine ausräumen oder den Müll raustragen, wenn ich derart mit Begabungen gesegnet bin? „Du kannst das einfach besser als ich.“

Neuerdings treibt sich die Minderjährige jedoch auffällig häufig in der Küche herum. Da werden kurze Anweisungen erteilt, welche Zutaten zu besorgen sind, und bitte ohne wieder herumzutrödeln, und dann geht es ans Werk. Ich soll mich derweil woanders aufhalten, nur nicht im Weg stehen oder gar Ratschläge erteilen. Gekocht wird nach Tiktok-Rezepten, wie ich erfahren durfte. Daraufhin habe ich mir vorsichtshalber schon mal einen kleinen Notvorrat im Schlafzimmerschrank angelegt.

Für Dinge wie diese neue Tiktok-Küche sind Adjektive wie disruptiv erschaffen worden. Hier wird etwas zerstört und nach und nach vollständig ersetzt durch etwas Neues. Disruptiv ist beispielsweise, wenn ein Technologieunternehmen Autos baut, ein Discounter Strom anbietet oder ein grüner Parteichef Defensivwaffen in ein Krisengebiet liefern will. Die jeweilige Infektionsgemeinschaft, Branche oder Partei sieht in diesem Augenblick aus wie eine Schneekugel, die brutal durchgeschüttelt wird.

In etwa so wie ein Teenager­gehirn mehrmals am Tag. Zur Tiktok-Küche und den betroffenen Branchen lässt sich noch nichts Abschließendes sagen, aber Robert Habeck hat ganz offensichtlich keine Lust, mit dem Schütteln aufzuhören. Im Schneegestöber ist diese Woche plötzlich einer zu sehen, von dem man gehofft hatte, er sei vollauf damit beschäftigt, sich aus recycelten Pfanddosen ein Denkmal zu bauen: Jürgen Trittin, der Mann mit dem großem Talent dafür, die Wahlergebnisse der Grünen nach unten zu korrigieren.

Auf diese Weise gelang es ihm schon, die Bundestagswahlen 2013 und 1998 zu versemmeln. Warum sollte es nicht auch dieses Mal klappen? Trittin möchte nun also, dass Habeck nicht mehr schüttelt, sondern der Partei bitteschön nur noch das sagt, was sie gerne hört, damit sie es sich mit ihren wunderbaren Grundsätzen in der duftig-grünen Kuschelecke gemütlich machen kann. Diese Hoffnung wird sich wohl nicht erfüllen. Trittin hätte vielleicht eines der letzten vier Bücher seines Parteichefs lesen sollen, dann wüsste er:

Disruption ist Habecks besondere Begabung. Eher würde er beim Kühemelken Völkerrecht studieren als davon abzurücken, dass Europa die Ukrai­ne sicherheitspolitisch allein gelassen hat und Hilfe zur Selbstverteidigung braucht. Begabungen können allerdings sehr verschieden sein. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz etwa ist sehr speziell talentiert. Er kann den Charakter und Klang von Worten beeinflussen.

Quelle        :        TAZ        >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben        —             Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

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Unten         —   Schneekugel als Reisemitbringsel; durch Verdunstung ist die Wassermenge bereits verringert

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Boomendes »True Crime«

Erstellt von DL-Redaktion am 19. Mai 2021

Boulevard für Besserverdienende

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Eine Kolumne von Margarete Stokowski

Wenn Frauen entführt, gefoltert und ermordet werden, was ist das dann? Vor allem spannend! Finden die zahllosen »True Crime«-Formate, die pietätlos die Schicksale von Verbrechensopfern für Unterhaltung nutzen.

Wir sind uns wahrscheinlich einig, dass es grauenvoll ist, wenn Menschen ermordet werden. Sind wir uns aber auch einig, dass man real geschehene Morde und andere Gewalttaten nicht zur Belustigung, zur Befriedigung der Sensationsgier und für Profite nutzen sollte?

Nein. Denn sonst würde das Genre »True Crime« nicht heillos boomen. Laber-Podcasts mögen langweilig sein, Pärchen-Podcasts mögen peinlich sein, es mag generell sein, dass es viele Podcasts gibt, die die Welt nicht braucht, aber die allermeisten »True Crime«-Podcasts sind der räudigste Auswurf seit Erfindung von Aufnahme- und Sendetechnik.

Falls es jemand nicht kennt: »True Crime« ist ein Genre, in dem tatsächlich passierte Verbrechen in entweder halbwegs journalistischer Form, oft in Podcasts oder Magazinen, oder belletristisch, im Theater, Film und Fernsehen oder sonstigen Formaten nacherzählt werden, teils mit Recherche über die Akten hinaus, teils ohne. Wobei »nacherzählt« sehr neutral formuliert ist, denn oft geht es dabei um eine möglichst spannende, gruselige Darstellung der Geschehnisse, um möglichst schockierende Einblicke in die Psyche der Täter und pietätloses Stochern im Leben der Opfer. Nicht immer geht es um Mord, manchmal auch um Banküberfälle oder anderes.

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Post von Augstein

Erstellt von DL-Redaktion am 9. Mai 2021

Das Ende der Covid-19-Politik

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Eine Kolumne von Franziska Augstein

Das öffentliche Klima ist schlechter als zu Zeiten des Kalten Kriegs. Wer damals Verständigung mit dem Osten forderte, wurde nur angefeindet. Wer sich aber heute über die Anti-Corona-Maßnahmen lustig macht, wird geradezu verteufelt.

In den Neunzigerjahren hatte ich gedacht, Neonazis seien gegen den Rechtsstaat und gegen die bundesdeutsche Demokratie und ihre Gesetze, mit einem Wort: gegen unseren Staat. Dann erhielt ich eine Lektion. Das sei so nicht richtig: Neonazis hielten korrekte, staatliche Ordnung für sehr wichtig, weshalb sie sich an Geschwindigkeitsbegrenzungen auf den Straßen halten würden. Später war ich bei Freunden auf dem Land eingeladen. Einer warnte mich telefonisch, bevor ich mich ins Auto setzte: Aufpassen möge ich, es gebe einige Blitzanlagen auf dem Weg. Meine Antwort: Er müsse sich keine Sorgen machen, ich würde fahren wie ein Neonazi.

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Dehm in fanatischer Rolle

Erstellt von DL-Redaktion am 22. April 2021

Ein Bänkelsänger kämpft um seine politische Bühne

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Ist denn für das linke Wagenbrett schon wieder rechter Karneval, oder warum macht er so verbiestert auf  seine Zwergen-Größe aufmerksam ?

Von Anna Lehmann

Am Samstag wählen die Linken in Niedersachsen ihre Landesliste. Liedermacher Diether Dehm will wieder in den Bundestag einziehen – mit allen Mitteln.

 Im Bundestagsbüro des Linken-Abgeordneten Diether Dehm sind lauter Freunde versammelt: kleine Porträts von Marx und Engels, ein Foto, auf dem er neben Rudi Dutschke steht, eine Kopie der Titelseite des Playboy mit Katarina Witt. Jenseits des Büros aber lauern die Feinde – das Großkapital, die AfD und die rosa-grünlich angehauchten Medien. Und auch Teile der eigenen Partei.

Dehms Mobilisierungsmechanik funktioniere über Feindbilder, erzählen Ge­nos­s:in­nen aus seinem niedersächsischen Landesverband, mit denen die taz gesprochen hat. Wer ihn unterstütze, werde belohnt, wer sich vorwage, hart angegangen. „Das ist reine Machtpolitik.“

Diether Dehm will wieder in den Bundestag. Er bewirbt sich für den aussichtsreichen 4. Listenplatz auf der Landesliste seines niedersächsischen Landesverbands. Auf Platz 1 kandidiert Amira Mohamed Ali, deren Wahl zur Fraktionsvorsitzenden 2019 er sehr unterstützt habe, wie er der taz sagt. Es wäre Dehms fünfte Legislaturperiode im Bundestag, seit 2005 ist er Abgeordneter. Doch es könnte knapp werden für Dehm. Er hat zwei Gegenkandidaten, den 29-jährigen Mizgin Ciftci, einen Gesamtschullehrer und Verdi-Gewerkschaftssekretär, und den 36-jährigen Stephan Marquardt, einen Energieelektroniker, der für die IG Metall arbeitet. Sie rechnen sich beide gute Chancen aus. Am Samstag wählen die niedersächsischen Delegierten die Landesliste.

Dehm nennt gute Gründe, die für ihn sprechen: Er sei erfahren, auch im Wahlkampf. Er war es, der als Landesvorsitzender die niedersächsische Partei 2008 erstmals in den Landtag geführt hat. Und er habe in der Bundestagsfraktion ein Alleinstellungsmerkmal. „Ich bin der Einzige in der Fraktion, der als Unternehmer bei Unternehmern einen guten Namen hat und als Künstler bei Künstlerinnen“ – Pause. „Sie merken, wie ich eben schon gegendert habe – vorher Unternehmer, jetzt Künstlerin.“

STEPHAN MARQUARDT, GEGENKANDIDAT„Es gibt Leute, die können gut mit Diether arbeiten, und andere, die können es nicht“

Der Musikproduzent und Liedermacher ist zudem ein treuer Unterstützer Sahra Wagenknechts, einer von wenigen in der Fraktion, die sie noch öffentlich verteidigen. „Wenn auch nicht in jeder Wortwahl.“ Wagenknechts aktuelles Buch „Die Selbstgerechten“ halten viele Linke für eine Abrechnung mit der eigenen Partei. Dehm aber findet: „Sie hat dort prinzipiell recht, wo sie sagt, dass der werktätige Alltagsverstand unser Referenzmodell sein muss. Wenn wir den ans Nirwana der Nichtwähler verlieren oder gar der AfD überlassen, dann werden wir zu schwach, um auch Flüchtlingen, Transmenschen oder sonstigen Minderheiten wirkmächtig beizustehen, was ich will.“

Gelesen hat er das Buch aber noch nicht. Er schlägt die Beine übereinander. „Wissen Sie, ich habe noch relativ viel Engels, Hegel, Dostojewski zu lesen, und sogar noch ein früheres Buch von Sahra Wagenknecht auf dem Lesestapel.“

Wagenknecht teilt in ihrem aktuellen Buch nicht gerade zimperlich gegen jene aus, die für die Rechte dieser Minderheiten kämpfen. In ihren Augen sind das „Lifestyle-Linke“. Aus der Linkspartei sparten viele nicht mit Kritik. Was dahintersteckt, ist für Dehm sonnenklar: „Die Bewegungslinke steht hinter vielen unfairen Attacken auf Sahra und gegen viele meiner Freunde in Nordhrein-Westfalen.“ Im Dehm’schen Freund-Feind-Schema stehen die Bewegungslinken eindeutig auf Seiten der Feinde.

Feinde: Bewegungslinke, Medien, BND

Die Bewegungslinke ist ein junger Zusammenschluss innerhalb der Linkspartei, in dem sich ab 2017 zunächst jene zusammenfanden, die wenig von Wagenknechts „Aufstehen“-Bewegung und ihrer Kritik an wirtschaftlicher Einwanderung hielten. Nun ist die strömungsübergreifende Bewegung zu einem Machtfaktor in der Partei geworden – alle von ihr unterstützten Kandidat:innen, von orthodoxen Linken bis zu Pragmatiker:innen, wurden beim Parteitag in den Parteivorstand gewählt und besetzen dort die Hälfte der Sitze.

Das „Mobbing“ gegen die populäre Wagenknecht werde aber auch von anderen Parteien und den Medien vorangetrieben, sagt Dehm. Welche Gründe die haben? Weil Wagenknecht eine von ganz wenigen Po­li­ti­ke­r:in­nen sei, die wirtschaftliche Zusammenhänge verständlich erklären können, so Dehm. Und im Ranking des Focus ist sie die drittbeliebteste Politikerin Deutschlands – „Weit vor Baerbock und Laschet. Das nicht zu nutzen und den Einflüsterern der Medien zu glauben, die uns sagen, macht eure Wagenknecht kaputt, damit ihr für SPD und Grüne wählbar seid, wäre fatal.“

In Dehms Welt arbeiten feindselig gesinnte Medien im Verbund mit dem Bundesnachrichtendienst daran, die Linke vom Gedanken der demokratischen Umwälzung abzuhalten.

Die Gefahr ist akut:­ Die Linke steht in Umfragen bei sieben Prozent und muss um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen. Dass Wagenknecht nun nordrhein-westfälische Spitzenkandidatin ist, macht es nicht besser. Sie polarisiert. Genauso wie Dehm.

Ein gespaltener Landesverband

„Unser Landesverband ist sehr zerstritten“, sagt Dehms Mitbewerber Stephan Marquardt. Die Lagerkämpfe schadeten der Partei: „Selbst wenn Leute gute Ideen haben, werden sie nicht unterstützt, wenn sie zum anderen Lager gehören.“ Und viel habe sich an der Polarisierung um Dehm festgemacht. „Es gibt Leute, die können gut mit Diether arbeiten, und andere, die können es nicht. Das sind zwei harte Fronten.“ Er selbst habe viele gute Aktionen mit beiden Lagern gemacht.

Vor seiner Kandidatur habe er mit Dehm und Ciftci gesprochen. „Wir wollen einen Wahlkampf führen, nach dem wir uns noch in die Augen gucken können“, sagt Marquardt.

Mizgin Ciftci möchte sich öffentlich zu Dehm nicht äußern. Schließlich trete er nicht gegen Dehm an, sondern für Inhalte: Er kämpfe gegen Armut genauso wie gegen Rassismus und Sexismus, sagt Ciftci, der in einem sozialen Brennpunkt aufwuchs und an dem Hanau nicht spurlos vorbeigegangen sei. „Zwei Wochen vor den Anschlägen habe ich selbst mit Freunden meinen Geburtstag in einer Shisha-Bar gefeiert.“ Ciftci kommt aus einer Arbeiterfamilie, jener Klientel also, von der Wagenknecht und Dehm meinen, dass die Linke sie stärker vertreten soll. Dehm spricht von Mizgin Ciftci aber nur im Zusammenhang mit der Bewegungslinken.

Ciftci ist einer von zwölf Mitgliedern im bundesweiten Koordinierungskreis der Bewegungslinken. Doch in Niedersachsen ist sie auf Landesebene nicht einmal organisiert und Ciftci betont, er trete nicht als Kandidat einer Strömung an. Mehr möchte er dazu nicht sagen.

Mit juristischen Mitteln gegen Kritik

Quelle        :      TAZ          >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben        —        Diether Dehm, Mitglied des Deutschen Bundestages, während einer Plenarsitzung am 11. April 2019 in Berlin.

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Unten       —       LAKL / SKPF deckt auf: Dehm enttarnt!

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Umverteilung der Steuerlast

Erstellt von DL-Redaktion am 17. April 2021

Ran an die Obermittelschicht!

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Von Barbara Dribbusch

In der Umverteilungspolitik fordern die Parteien viel zu wenig. Die höhere Mittelschicht muss mit ins Boot genommen werden.

Die obere Mittelschicht kann unsympathisch sein, jedenfalls aus der Perspektive von Sophie Passmann. „Immer, wenn ich mit solchen Menschen Zeit verbringe, die allem Anschein nach ihr Leben nur bis zur Erstausschüttung des Erbes ihrer Eltern geplant haben, denke ich Nazis“, schreibt Sophie Passmann in ihrem Bestseller „Komplett Gänsehaut“. Die Erbengesellschaft, die „obersten zehn Prozent“, das ist ein Milieu, das „stinkt vor Geld“, wie Passmann in einem Interview sagte.

Das Gegenstück zu den vermögendsten 10 Prozent stellt die besitzlose „Working Class“ dar im gleichnamigen Buch von Julia Friedrichs. Dazu gehören ein Putzmann in U-Bahnhöfen, eine freiberufliche Musiklehrerin, ein prekär beschäftigter Marktforscher. Es sind „Menschen, die keine Unternehmensanteile halten, über keine Mietshäuser verfügen, keine Erbschaften erwarten, denen keine Windräder gehören, nicht mal Fonds für die Altersvorsorge“, schreibt Friedrichs. Diese Hälfte werde zu wenig gehört, meint sie.

Ist das die neue soziale Spaltung, die sich auftut in Deutschland? Die Spaltung zwischen Vermögenden und Erben einerseits und besitzlosen ArbeitnehmerInnen und Kleinselbstständigen andererseits? Wenn dem so ist, müsste auch hier jede Umverteilungspolitik ansetzen. Umverteilungspolitik, die im Wahlkampf 2021 von den Parteien propagiert wird. Wer sich die Wahlprogramme der Parteien anschaut, dem fällt aber auf:

Die obere Mittelschicht mit ihrem erheblichen Privatbesitz wird ziemlich geschont. Die SPD will laut Wahlprogramm eine Vermögensteuer von jährlich 1 Prozent für „sehr hohe Vermögen“ einführen. Die Grünen sprechen sich für eine Vermögensteuer von 1 Prozent aus, wobei Freibeträge von 2 Millionen Euro pro Person gelten sollen. Die Linkspartei will Vermögen von über 1 Million Euro mit einem Satz ab 1 Prozent besteuern, der dann erst bei hohen Vermögen steigt.

Bis zu einer Million Euro schonungsbedürftig

In Sachen Erbschaftsteuer sind SPD und Linke lediglich dafür, die privilegierte Freistellung für Erben von Betriebsvermögen einzuschränken. Wer etwas unter 1 bis 2 Millionen Euro besitzt, pro Person wohlgemerkt, gilt also noch als ­schonungsbedürftig. Früher war man weniger zimperlich im Umgang mit Wohlhabenden. Wer ein langes politisches Gedächtnis hat, erinnert sich noch an die Ideen der Grünen in den 90er Jahren, die Erbschaftsteuer auf 30 Prozent anzuheben. Bis 1996 gab es die Vermögensteuer:

Sie betrug jährlich 1 Prozent auf ein Vermögen, das die Freigrenze von pro Person 120.000 Mark, also umgerechnet etwa 60.000 Euro, überstieg (inklusive Immobilien). Die historische Inflation berücksichtigt, müsste ein entsprechender Freibetrag heute bei 84.000 Euro liegen. Doch die Forderung nach einer Vermögensteuer von 1 Prozent auf alle Vermögen über 84.000 Euro käme heute einem politischen Selbstmord gleich.

Wie kommt es zu dieser Schonung von Vermögenden, von denen viele rein statistisch schon zur Oberschicht zählen? Nach der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) gehören Haushalte mit einem Vermögen ab 477.000 Euro (inklusive Immobilien) rechnerisch zum reichsten Zehntel der Gesellschaft.

Wer aber etwa mit einer Erbschaft in Berlin eine Eigentumswohnung für 500.000 Euro erwirbt, um mit der eigenen Familie dort einzuziehen, wird argumentieren, dass das Erbe ja nur für das Nötigste reicht, nämlich die Wohnung, und dass deshalb keinesfalls eine alljährliche Besitzsteuer erhoben werden sollte.

Immobilien für den Eigenbedarf zählen nicht

Im Wahlprogramm 2021 der Linkspartei heißt es, dass die Vermögensteuer auch jene nicht belasten sollte, die „etwa mit einer Eigentumswohnung in der Innenstadt lediglich ‚Papier-Millionäre‘ “ seien. „Dies ist insbesondere wegen der Entwicklung der Immobilienpreise wichtig“, so das Linken-Programm. Der große besitzsteuerfreie Schonbereich wird also mit steigenden Kosten für einen Lebensstandard, den man als mittelschichtig empfindet, gerechtfertigt.

Die reichsten 10 Prozent empfinden sich auch kaum als „Oberschicht“, sondern eben als Mittelschicht. Diese Verschiebung der Selbstwahrnehmung ist entscheidend für die Verteilungsdebatte in Deutschland. In den Milieus der oberen Mittelschicht herrscht nicht das Bewusstsein vor, privilegiert zu sein. Es mischen sich vielmehr Absturzängste, die Furcht vor steigenden Lebenshaltungskosten mit der Abwehr von höheren Steuern und Abgaben.

File:Armut Bettler Obdachlos (12269249596).jpg

Ein Grund für diese Ängste ist die Metro­po­lisierung, die das Wohnen viel teurer macht: ­Doppelverdienende Paare bevorzugen Metropolen, denn dort lassen sich am leichtesten Arbeitsplätze für beide Elternteile und Kitaplätze finden. Der Zuzug wiederum verschärft die Konkurrenz um Wohnungen. Wenn bezahlbare Miet­wohnungen in den Metropolen knapp werden, wird es zur Existenzfrage, ob man sich eine Eigentums­wohnung leisten kann, am besten mithilfe einer Erbschaft, oder eben nicht.

Das durchschnittliche ­Netto­vermögen von Haushalten, die bereits geerbt haben, ist mit 470.000 Euro mehr als doppelt so hoch wie das von Haushalten ohne Erbschaft mit 185.000 Euro, heißt es im neuen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Ein weiterer Grund für die Ängste der Wohlhabenden ist der Druck, für das Alter viel Vermögen aufbauen und halten zu müssen. Die Appelle der Politik, dass private Altersvorsorge unerlässlich sei, weil die gesetzliche Rente nicht ausreiche, verstärken diesen Druck.

Steigende Angst vor Altersarmut

Quelle       :          TAZ         >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen         :

Oben       —       „Das Thüringer Festmahl“ von Arno Funke – Standort 1. Bratwurstmuseum Holzhausen Personen auf dem Bild „Das Thüringer Festmahl“ von Arno Funke: Thomas Münzer Martin Luther Johann Sebastian Bach Friedrich Schiller Lucas Cranach der Ältere Anna Amalia von Sachsen-Weimar Johann Wolfgang von Goethe Bratwurstkönig Obama Otto Dix Elisabeth von Thüringen Alfred Brehm Kloßmarie Angela Carl Zeiss

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Streit um Wagenknecht

Erstellt von DL-Redaktion am 17. April 2021

Im Teufelskreis der Pappkameraden

Schon als Gründerin der Kommunistische Plattform zog sie die Aufmerksamkeiten auf sich. Heißt es nicht schon immer: Zeige mir mir wem du gehst – dann sage ich dir wer du bist !“

Von Alban Werner

Der Streit um Wagenknecht zeigt: Solange die Partei keine konstruktive Vorstellung ihrer eigenen Zukunft hat, bleibt sie ihrer eigenen Gegenwart ausgeliefert.

Mitte April erhitzte im politisch linken Spektrum der Listenaufstellung der LINKEN in Nordrhein-Westfalen die Gemüter. Schon vor der Zuspitzung in der zweiten Aprilwoche war die Lage im größten Landesverband aufgeheizt. Obwohl im Landesverband ansonsten nie Vorschläge zur Wahl von Reservelisten durchsetzbar waren, hatte der Landesvorstand bereits vor Monaten in einer umstrittenen Entscheidung ein Votum für eine erneute Kandidatur von Sahra Wagenknecht auf dem Spitzenplatz zur Bundestagswahl ausgesprochen. Umstritten war die Entscheidung nicht nur, weil Wagenknecht seit 2019 nicht mehr Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag ist; nicht nur, weil sie ihren Lebensmittelpunkt nicht in NRW, sondern im Saarland hat und auch nicht allein, weil sie in der politischen Arbeit des Landesverbandes außerhalb der Wahlkämpfe nur eine geringe Rolle spielt. Umstritten war die Nominierung Wagenknechts vor allem, weil sie mit ihren migrationskritischen Positionen die Sprecherin und Projektionsfläche für ein Ende in der innerparteilichen Polarisierung darstellt. Diese begann bereits vor mehreren Jahren, gewann aber an Kontur und verfestigte sich im Umfeld der Flüchtlingskrise und endgültig nach der letzten Bundestagswahl.

Nun wurde noch zusätzlich massiv Öl ins Feuer des ohnehin schon schwelenden Streits gegossen, als Wagenknecht jüngstes Buch Die Selbstgerechten eine Woche vor dem Listenparteitag in Nordrhein-Westfalen zugänglich wurde. In verschiedenen Rezensionen und Zitatesammlungen, die ihren Weg in die innerparteiliche oder allgemeine Öffentlichkeit fanden, sahen sich viele GenossInnen von ihrer designierten Spitzenkandidatin mitunter im Grundsatz und aufs Schärfste angegriffen. Der Streit eskalierte, griff dabei weit über Nordrhein-Westfalen hinaus. Etliche AktivistInnen, Funktions- und MandatsträgerInnen der Partei wendeten sich nach der Wahl Wagenknechts zur Spitzenkandidatin am 10. April an enttäuschte LINKE-MitgliederInnen mit dem Appell, nicht aus Wut über das Ergebnis auszutreten Viele SympathisantInnen beeilten sich in sozialen Netzwerken, die Partei für aus ihrer Sicht als nun unwählbar zu deklarieren. Deswegen sind die Vorgänge in NRW bedeutsam – nicht nur, weil sie sich größten Landesverband der Partei zutrugen, sondern weil sie Aussagekraft für die Gesamtpartei haben. Und tatsächlich ist die Lage der LINKEN umso besorgniserregender, je aussagekräftiger diese Vorgänge sind.

In den Vorgängen in NRW verdichten sich innerparteiliche Entwicklungen, die DIE LINKE schnell in eine politische Sackgasse führen, wenn nicht möglichst bald umgesteuert wird. Diese Entwicklungen lassen sich auf fünf Aspekte zuspitzen.

Je geringer die Streitwerte, desto größer die Emotionen

Die Auseinandersetzung, die sich anhand der Spitzenkandidatur in NRW kristallisierte ist erstens Symptom dafür, dass DIE LINKE auf der Stelle tritt. Obwohl angesichts der Umfragen für die Bundesebene, der offenkundig gewordenen Schwierigkeiten der Unionsparteien bei Regelung der Merkel-Nachfolge und den fortschrittlich ausgefallenen Wahlprogrammentwürfen von SPD und Bündnisgrünen die Chance auf linke politische Einflussnahme nach der Bundestagswahl gut sind wie selten, wirkt die Partei unvorbereitet, desorientiert und richtungslos. Obwohl die Randbedingungen mit dem Ende der Ära Merkel und dem gewachsenen Staatsinterventionismus zur Bewältigung der Corona-Pandemie günstig sind wie selten zuvor, spielt DIE LINKE für machtpolitische Kalkulationen zur tatsächlichen Durchsetzung einer ökologisch-sozialen Wende derzeit kaum eine Rolle. Stattdessen zerfleisch sie sich über Fragen, die außerhalb ihres innerparteilichen Paralleluniversums eigentlich niemanden interessieren, als wolle sie das ›Sayre’sche Gesetz‹ bestätigen, wonach sich in jedem Streit die gefühlte Intensität umgekehrt proportional zum Gewicht der Streitwerte verhält. Je mehr die Substanz schrumpft, desto hochgejazzter werden die Auseinandersetzungen. Das gilt jedenfalls für die Schlachtrufe und die Labels, die voraussichtlich nochmals schrumpfende Zahl an Mandaten, die Bearbeitung politischer Inhalte, die schrumpfende Repräsentativität und Aufnahme gesellschaftlicher Impulse und die schwindende politische Klugheit der Partei.

Zweitens haben nämlich die Auseinandersetzung in der LINKEN bis auf die meistens mit Verweis auf die vorhandenen Glaubenssätze schnell abgehakte Außenpolitik wenig wirklich politisch-praktischen Bezug; vielmehr geht es um Etikettierungen und Selbstverständnisse. Das wird noch dadurch verschlimmert, dass die in Anschlag gebrachten Labels von ›Identitätspolitik‹ und ›Klassenpolitik‹ die Realität der politischen Praxis gar nicht sinnvoll einfangen. Antidiskriminierungs-, Gleichstellung- und Inklusionspolitiken, die gesellschaftliche Benachteiligung von Gruppen aufgrund äußerer Merkmale (z.B. Hautfarbe), Behinderung oder Religion bekämpfen, sind nicht dasselbe wie eine Politik, die bestimmte Menschen wesensmäßig auf Gruppenidentitäten festschreibt, die sich an eben diesen Merkmalen festmachen und die beansprucht, gegenüber der Mehrheitsgesellschaft für diese zu sprechen.

Konkrete Politiken, die die soziale Durchmischung von Stadtteilen erhöhen, mehr Auszubildende und Studierende aus solchen (meist stark migrantisch geprägten) Stadtteilen anwerben, Nachteile von Frauen oder Menschen mit Migrationshintergrund im Bildungssystem oder auf dem Arbeitsmarkt bekämpfen sind nicht dasselbe wie eine Politik, die pauschalisierend-diskriminierende Begriffe zur Beschreibung der Mehrheitsgesellschaft (›Weiße‹, ›Almans‹, ›Kartoffeln‹, ›Menschen mit Nazi-Hintergrund‹) in die Welt setzt, zudem der Mehrheit sachlich falsch ›Privilegien‹ vorwirft (statt von den Nachteilen für die Benachteiligten zu sprechen) und versucht, sie durch Beschwörung einer Art Kollektivschuld in die moralische Dauer-Defensive zu bringen und die über kleinste reale und angebliche Vergehen Empörungsschleifen in den sozialen Medien und Massenmedien lostritt. Bei den jeweils erstgenannten Beispielen hat DIE LINKE sicherlich noch Luft nach oben, aber die jeweils zweitgenannten, im wörtlichen und schlechten Sinne ›identitätspolitischen‹ Praktiken beschäftigten in der Partei und in Deutschland überhaupt nur eine kleine Minderheit. Eben weil es sich um ein Minderheitenphänomen handelt, das zudem in Deutschland noch sehr jung ist sich zu weiten Teilen daraus speist, wie unreflektiert wir US-amerikanische Diskurse über Rassismus und Diskriminierung hierzulande übernehmen, kann auch die vielfach geäußerte These nicht stimmen, die Identitätspolitik habe den Aufstieg des radikalen Rechtspopulismus mitverschuldet, weil sie ihm ArbeiterInnenklasse in die Arme getrieben habe.

Plausibler ist es vielmehr die umgekehrte Entwicklungsfolge: der Rechtspopulismus hat in Deutschland und einigen anderen Ländern nahezu alle demokratischen politischen Kräfte in vielen Sachfragen zu einer ›Gemeinschaft der Anständigen‹ zusammengebracht. Im Lichte menschenfeindlicher Angriffe durch Rechtspopulismus und mörderischer Attentate durch den Rechtsterrorismus wird erst richtig deutlich, wie weit diese Gesellschaft schon liberalisiert ist und sich als weltoffene, tolerante Einwanderungsgesellschaft versteht, die unterschiedliche Lebens- und Liebesarten akzeptiert. Entsprechend der These vom ›Integrationsparadox‹ ging es mit der Identitätspolitik erst richtig los, nachdem sich die AfD auf einem erschreckend hohen, aber nicht mehr steigenden Niveau eingependelt hatte und alle anderen sich ihr als GegnerInnen gegenübersahen. Dass der radikale Rechtspopulismus überhaupt so stark werden konnte, lag eher an schon zuvor vorhandenen rechten Einstellungsreserven auch in den Zielgruppen und Klientelen linker Parteien, die vormals latent geblieben waren und dann durch Krisenkonjunkturen und Schwächen linker Politik leichter angesprochen werden konnten.

Was bedeutet eigentlich ›Klassenpolitik‹?

Nicht besser verhält es sich mit dem Begriff der ›Klassenpolitik‹ – was soll das eigentlich bedeuten? Es gibt in Deutschland keine gesamtwirtschaftlich zentralisierten, das heißt alle Lohnabhängigen abdeckenden, sondern nach Branchen organisierte Tarifverhandlungen. Wenn linke VertreterInnen in Kommune, im Land, im Bund oder auf europäischer Ebene für bessere Ausstattung der Kindertagesstätten, einen attraktiveren ÖPNV, ein höheres Arbeitslosengeld, eine Erwerbstätigenversicherung in der Rente und eine BürgerInnenversicherung im Gesundheitssystem streiten, bedienen sie damit immer eine mal größere Menge (weil Selbstständige und Einkommen aus anderen Quellen als Erwerbsätigkeit), mal kleinere Menge (weil nicht alle Beschäftigten den Bus nehmen oder Kinder haben) als die ›ArbeiterInnenklasse‹ – ganz gleich, wie man diese auch definiert.

Quelle       :         Der Freitag         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen         :

Oben        —

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Unten          —    Lafontaine Fotomontage:

Die Fotomontage stammt aus der Projektwerkstatt


Virtuelle Projektwerkstatt von SeitenHieb Verlag steht unter einer Creative Commons

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Pandemie und Klima

Erstellt von DL-Redaktion am 13. April 2021

Überraschte Politiker sind schlechte Politiker

Reichstag Plenarsaal des Bundestags.jpg

Gab es als Politiker-Innen je etwas anderes als abzockende Kriegs -Gewinnler oder -Verlierer ? Die Völker haben immer derer für Unfähigkeiten bezahlt.

Eine Kolumne von Christian Stöcker

Die dritte Coronawelle hat Deutschland erfasst, und manche Politiker sind wieder überrascht. Leider ist das ein globaler Trend: Exponentielles Tempo und damit ständige unangenehme Überraschungen werden zum Alltag.

Michael Ryan, bei der Weltgesundheitsorganisation für Pandemienotlagen zuständig, muss man ernst nehmen. Er war zum Beispiel 2000 und 2001 in Uganda, um den dortigen Ebola-Ausbruch zu bekämpfen. Im März 2020 sagte Ryan bei einer WHO-Pressekonferenz zur Coronapandemie:

»Perfektion ist der Feind des Guten, wenn es um Notfallmanagement geht. Geschwindigkeit schlägt Perfektion. Und das Problem, das wir im Moment haben, ist, dass alle Angst haben, einen Fehler zu machen, einen Irrtum zu begehen. Aber der größte Fehler ist, nichts zu tun. (…) Das Virus wird Sie kriegen, wenn Sie nicht schnell sind.«

Leute wie Ryan, die in ihrem Leben schon ein paar todbringende Epidemien bekämpft haben, nehmen die Welt anders wahr als die meisten. Das liegt daran, dass sie die katastrophalen Auswirkungen viraler – und das heißt im Zweifelsfall: exponentieller – Ausbreitung aus eigener Anschauung kennen.

Überraschte Fachleute überall

Wir Menschen sind leider sehr schlecht darin, exponentielles Wachstum zu verstehen. Das führt dazu, dass wir in Situationen mit exponentiellen Entwicklungen ständig überrascht werden. Man kann das im Moment an vielen Orten immer wieder beobachten, achten Sie mal darauf. Immer wieder kann man live miterleben, wie ausgewiesene Fachleute in ihren eigenen Fachgebieten Überraschungen erleben.

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Deutsche Waffen für Mexiko

Erstellt von DL-Redaktion am 6. April 2021

Bankrotterklärung für die deutsche Rüstungsexportkontrolle

File:Bundesverfassungsgericht karlsruhe 2.jpg

Quelle     :     Untergrund-blättle CH

Von  pm

Bundesgerichtshof urteilt im Fall illegaler Waffenexporte von Heckler und Koch nach Mexiko.  Im Fall der illegalen Rüstungsexporte von Heckler & Koch (H&K) nach Mexiko hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe heute die Revision der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten verworfen und damit das Urteil aus vorheriger Instanz weitgehend bestätigt.

Von Heckler & Koch werden mehr als drei Millionen Euro aus dem illegalen Mexiko-Geschäft eingezogen. Endverbleibserklärungen sind nicht Teil von Exportgenehmigungen nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz. Dies ist ein wegweisendes Urteil mit Sprengkraft für die gesamte deutsche Rüstungsexportkontrolle.„Mit dem heutigen Urteil ist die bisherige deutsche Rüstungsexportkontrolle am Ende!,“ kommentiert Jürgen Grässlin, Sprecher der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.), den Verfahrensausgang. Grässlin fordert Konsequenzen aus dem Prozess: „Ein ‚Weiter-so‘ in der deutschen Rüstungsexportkontrolle ist nicht haltbar. Der Gesetzgeber muss umgehend ein Rüstungsexportkontrollgesetz auf den Weg bringen, das der bisherigen Exportpraxis einen Riegel vorschiebt und die Interessen der Betroffenen von Schusswaffengewalt endlich berücksichtigt.“ Rückenwind dafür ergebe sich auch aus dem Urteil: „Laut dem vorsitzenden Richter Dr. Schäfer, muss die Rechtslage gegebenenfalls geändert werden, das ‚wäre Aufgabe des Gesetzgebers’“.Nach einer Strafanzeige von Grässlin und dem Tübinger Anwalt Holger Rothbauer im Jahr 2010 verhandelte zunächst das Landgericht Stuttgart zwischen 2018 und 2019 den Fall illegaler Waffenexporte von H&K. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Genehmigung für den Export von mehr als 4.200 Sturmgewehren nach Mexiko mit bewusst falschen Endverbleibserklärungen (EVE) erschlichen worden war. EVE sind ein Kernstück der deutschen und europäischen Rüstungsexportkontrolle. Sie dokumentieren gegenüber den deutschen Genehmigungsbehörden vorab, wo die exportierten Waffen eingesetzt werden sollen.

In dem Fall des illegalen Exports der G36 Sturmgewehre durch Heckler und Koch waren mehrere mexikanische Bundesstaaten, die die Bundesregierung offenbar als kritisch einstufte, nicht als Empfänger in den EVE aufgeführt. Dennoch gelangten die Gewehre dorthin. Anders als bislang üblich sah das Landgericht Stuttgart die EVE nicht als Bestandteil der Exportgenehmigung an. In der Genehmigung selbst war als Empfänger Mexiko benannt, weshalb die Angeklagten nur wegen des Erschleichens der Genehmigungen nach dem Aussenwirtschaftsgesetz verurteilt werden konnten.

„Dieses Urteil ist ein politisches Erdbeben. Bislang wird von Seiten der Bundesregierung argumentiert, Endverbleibserklärungen seien Teil einer Rüstungsexportgenehmigung und könnten sicherstellen, dass aus Deutschland exportierte Waffen nicht an unerwünschte Empfänger weitergegeben werden,” so Anwalt Holger Rothbauer. „Mit dem heutigen Urteil, das die Stuttgarter Einschätzung bestätigt, Endverbleibserklärungen seien kein Bestandteil der Exportgenehmigung, wird ein bisheriges Kernstück der deutschen Rüstungsexportkontrolle ad absurdum geführt.

Damit wird bestätigt, was wir bereits seit Jahren kritisieren. Endverbleibserklärungen sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind und werden vielmehr als Feigenblatt für heikle Geschäfte genutzt“, so Rothbauer weiter.„Das Urteil offenbart eine klaffende Lücke im Rüstungsexportrecht,“ ergänzt Stephan Möhrle vom RüstungsInformationsBüro.

„Sowohl Landgericht als auch BGH argumentieren schlussendlich damit, sie müssten hinnehmen, dass der Gesetzgeber im Kriegswaffenkontrollgesetz – im Gegensatz zum Aussenwirtschaftsgesetz – das Erschleichen von Genehmigungen nicht als strafbare Handlung bewertet. Eine Genehmigung, die erschlichen wurde, ist damit trotzdem erstmal gültig. Dieser Missstand muss umgehend vom Gesetzgeber behoben werden, endgültig geht das nur mit einem eigenen Gesetz, einem Rüstungsexportkontrollgesetz“ so Möhrle.

Die Leidtragenden der deutschen Rüstungsexportpraxis sind die Betroffenen in den Empfängerländern. „Die Exportbeschränkung der G36-Schnellfeuergewehre auf einige besonders konfliktive Bundesstaaten war auch damals aus menschenrechtlicher Sicht nicht haltbar. Vielmehr deutet es daraufhin, dass eine vermeintliche Kompromisslösung gefunden werden sollte, um die Exporte zu ermöglichen. Schon damals war das Land geprägt von Gewalt, Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Straflosigkeit.

Es ist beschämend, dass die Opfer dieser verantwortungslosen Exportpraxis im gesamten Verfahren zu keinem Zeitpunkt berücksichtigt wurden“, kritisiert Carola Hausotter von der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko. „Der Gesetzgeber muss klarstellen, dass Rüstungsexportkontrolle auch die Opfer von Schusswaffengewalt in den Empfängerländern zu schützen hat. Diese haben ein Recht darauf, an den Verfahren beteiligt zu werden,“ ergänzt Christian Schliemann von der Menschenrechtsorganisation ECCHR.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.
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Grafikquelle
Oben       —    Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. / RoBi (PD)
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Die polarisierende Pandemie

Erstellt von DL-Redaktion am 22. März 2021

»Auch in der Coronakrise gilt: Wer hat, dem wird gegeben.«

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Je mehr sie Haben, je mehr sie Wollen! 

von Christoph Butterwegge

Die Bundesregierung rühmt sich, die sozialen Härten der Coronakrise politisch aufgefangen zu haben. Zu Unrecht, argumentiert der Armutsforscher Christoph Butterwegge: Während der Pandemie sind die Reichen reicher geworden und die Armen ärmer.

In der Covid-19-Pandemie hat sich die soziale Ungleichheit auf der ganzen Welt zum Teil drastisch verschärft.[1] Dafür ist allerdings nicht primär SARS-CoV-2 verantwortlich, denn vor diesem Virus sind, was seine Infektiosität betrifft, alle Menschen gleich. Doch weil sich deren Gesundheitszustand, Arbeits- und Lebensbedingungen sowie Einkommens-, Vermögens- und Wohnverhältnisse stark voneinander unterscheiden, sind auch die Infektionsrisiken sehr ungleich auf einzelne Gruppen verteilt.

Ungerecht ist nicht das Virus an sich, sondern die Klassengesellschaft, auf deren Mitglieder es trifft. Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse, Machtstrukturen und Verteilungsmechanismen bewirken, dass Covid-19 den Trend zur sozioökonomischen Polarisierung verstärkt. Die Pandemie erzeugt schwere wirtschaftliche Verwerfungen und macht so das Kardinalproblem der Bundesrepublik, die wachsende Ungleichheit,[2] nicht bloß wie unter einem Brennglas sichtbar, sondern wirkt auch als Katalysator, wodurch sich die Ungleichheit weiter verschärft. Die Pandemie wirkt polarisierend – ökonomisch, sozial und politisch.

Von der Pandemie am stärksten betroffen sind die Immun- und die Finanzschwächsten – zwei Gruppen, die sich personell nicht zufällig überlappen. Denn sozial bedingte Vorerkrankungen wie Asthma bronchiale, Adipositas (Fettleibigkeit), Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) oder COPD (Raucherlunge), katastrophale Arbeitsbedingungen beispielsweise in der Fleischindustrie sowie beengte und hygienisch bedenkliche Wohnverhältnisse erhöhen das Risiko für eine Infektion und einen schweren Krankheitsverlauf beträchtlich. Die Hauptleidtragenden der Pandemie sind die überwiegend einkommens- und immunschwachen Obdach- und Wohnungslosen, aber auch andere Bewohner*innen von Gemeinschaftsunterkünften wie Strafgefangene oder Geflüchtete. Ähnliches gilt für Suchtkranke, Erwerbslose, Geringverdiener*innen oder Kleinstrentner*innen.

Länger geltende Kontaktverbote, Ausgangsbeschränkungen und Einrichtungsschließungen zerstören die ohnehin brüchige Lebensgrundlage der ärmsten Menschen. So führen das Ausbleiben von Passant*innen und die Furcht vor Infektionen manchmal zum Totalausfall der Einnahmen von Bettler*innen oder Pfandsammler*innen. Auch die Schließung der meisten Lebensmitteltafeln erhöht die finanzielle Belastung Bedürftiger. Zudem leeren Hamsterkäufer*innen oft ausgerechnet Regale mit preiswerten Grundnahrungsmitteln.

»Zu den Hauptprofiteuren der Krise gehören einige der derzeit profitabelsten Unternehmen.«

Aufgrund der stärkeren Krisenbetroffenheit gering entlohnter Berufsgruppen hat das Armutsrisiko im unteren Einkommensbereich stark zugenommen. Wissenschaftler*innen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gelangen zu dem Ergebnis, „dass die besser entlohnten Arbeitskräfte in Deutschland im Mittel in deutlich geringerem Maße den krisenbedingten Ausschlägen am Arbeitsmarkt ausgesetzt waren als die Beschäftigten im unteren Lohnbereich.“[3]

Im scharfen Kontrast dazu steht der obere Teil der Einkommenspyramide: Zwar brachen die Aktienkurse hierzulande nach Ausbruch der Pandemie im März 2020 wie an sämtlichen Börsen der Welt vorübergehend ein. Dramatische Verluste erlitten jedoch primär Kleinaktionär*innen, die generell zu Panikreaktionen und überhasteten Verkäufen neigen. Hedgefonds und Finanzkonglomerate wie BlackRock hingegen wetteten sogar mittels Leerverkäufen erfolgreich auf fallende Aktienkurse und verdienten an den Einbußen der Kleinanleger*innen. Großaktionär*innen dürften die Gunst der Stunde außerdem für Ergänzungskäufe zu relativ niedrigen Kursen genutzt und davon profitiert haben, dass der Kurstrend in Erwartung eines staatlichen Konjunkturprogramms bald wieder nach oben zeigte. Ungefähr zur selben Zeit, als die Zahl der täglich an Covid-19 Verstorbenen kurz nach Weihnachten einen Höchststand erreichte, stieg der Deutsche Aktienindex (Dax) sogar auf einen historischen Rekordwert.

So kann es nicht verwundern, dass zu den Hauptprofiteuren des Krisendesasters einige der profitabelsten Unternehmen mit den reichsten Eigentümern gehören. Unter dem Druck der Coronakrise, die zu Einkommensverlusten durch Kurzarbeit, Geschäftsaufgaben und Arbeitslosigkeit geführt hat, kauften mehr Familien bei Lebensmittel-Discountern ein, wodurch die Besitzer solcher Ladenketten, die ohnehin zu den vermögendsten Deutschen gehören, noch reicher geworden sind. So hat Dieter Schwarz, Eigentümer von Lidl und Kaufland, sein Privatvermögen allein in den vergangenen zwei Jahren laut dem US-amerikanischen Wirtschaftsmagazin „Forbes“ um 14,2 Mrd. Dollar gesteigert, während sich für die Aldi-Erben Beate Heister und Karl Albrecht junior ein Zugewinn von 6,4 Mrd. Dollar ergab.[4] Hingegen haben viele kleine Einzelhändler*innen während der Lockdowns wegen der Schließung ihrer Läden und ausbleibender Kund*innen ihre Existenzgrundlage verloren.

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Während es in der Gastronomie, der Touristik und der Luftfahrtindustrie zu zahlreichen Konkursen und Entlassungen kommt, haben Großkonzerne krisenresistenter Branchen in der Coronakrise sogar Extraprofite realisiert. Das gilt etwa auch für Drogeriemärkte, den Versandhandel, Lieferdienste, die Digitalwirtschaft und die Pharmaindustrie. Auch ist der Besitzer eines Baumarktes nunmehr in einer sehr viel günstigeren Situation als ein Unternehmer im Messebau. Ob man als Steuerberater*in arbeitet oder in einem Reisebüro beschäftigt ist, macht gleichfalls einen riesigen Unterschied.

Zudem verschärft sich die Ungleichheit der Geschlechter, denn Frauen sind, anders als bei der Finanzkrise 2008/09, stärker vom Beschäftigungsrückgang betroffen, weil sie häufiger in Krisenbranchen wie dem Gastgewerbe tätig sind.[5] Außerdem sind es hauptsächlich Mütter, die im Erwerbsleben zurückstecken müssen, weil sich Beruf und Familie im Homeoffice bei geschlossenen Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen noch weniger miteinander vereinbaren lassen als sonst. Während sich so das Erwerbseinkommen von Frauen verringert, vermehrt sich die von ihnen erbrachte Sorgearbeit, weshalb man von ihrer „doppelten Benachteiligung“ sprechen kann.[6]

Quelle        :     Blätter          >>>>>          weiterlesen

Oben       —   Karikatur

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Unten      —     Christoph Butterwegge, Professor für Politikwissenschaft am Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln, auf der Veranstaltung „Aus der Geschichte lernen – Die Kölner Friedensverpflichtung leben“ im Gürzenich im Rahmen von „Köln stellt sich quer“.

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Wirtschaftsrat der CDU

Erstellt von DL-Redaktion am 17. März 2021

Ein Lobbyverband im Parteivorstand

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Von Malte Kreutzfeldt

Der „Wirtschaftsrat der CDU“ genießt großen Einfluss in der Partei, obwohl er formal unabhängig ist. Der Verein Lobbycontrol fordert Änderungen.

Joachim Pfeiffer ist ein vielbeschäftigter Mann: Neben seinem Bundestagsmandat gibt der energiepolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf seiner Internetseite 3 bezahlte Nebentätigkeiten an, dazu 11 Posten in Aufsichtsräten oder Beiräten von Unternehmen und 10 Leitungsfunktionen in Vereinen. Doch während selbst der Sitz im Beirat des Sportkreises Rems-Murr e. V. in Backnang aufgeführt ist, fehlt ein einflussreicher Posten: Pfeiffer ist Vorstandsmitglied im Landesverband Baden-Württemberg des sogenannten Wirtschaftsrats der CDU.

Dies werde „umgehend und rückwirkend nachgeholt“, erklärte Pfeiffer als Reaktion auf eine Anfrage der taz. Ähnlich verhält es sich beim Bundestagsabgeordneten Christian von Stetten: Auch seine Mitgliedschaft im Bundespräsidium des Wirtschaftsrats war auf seiner Webseite bisher nicht unter den veröffentlichungspflichtigen Angaben aufgeführt, der Abgeordnete will das jetzt ändern.

Erwähnt wurde von Stettens Mitgliedschaft dagegen auch bisher schon in seinem allgemeinen Lebenslauf, und zwar zwischen diversen Ämtern in der CDU. Das passt zum Bild des Verbands: Der Wirtschaftsrat wird in der Öffentlichkeit meist als Parteiorganisation wahrgenommen – was beim besitzanzeigenden Namensbestandteil „der CDU“ ja auch nicht verwunderlich ist. Doch es entspricht nicht den Tatsachen: Tatsächlich ist der Wirtschaftsrat ein Lobbyverein, der organisatorisch und finanziell offiziell unabhängig von der Union ist.

Obwohl der Name nach Auskunft des Verbands historisch begründet ist und lediglich eine Nähe zur CDU andeuten soll, gibt es aber auch formal eine enge Anbindung. Diese zeigt sich vor allem daran, dass die Spitze des Verbands – derzeit die Präsidentin Astrid Hamker – qua Amt einen Sitz im Vorstand der CDU hat, zwar ohne Stimmrecht, aber durchaus mit Einfluss, etwa um im Sinne des Vereins gegen eine ambitionierte Klimapolitik zu kämpfen. Umgekehrt ist der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion traditionell Mitglied im Präsidium des Wirtschaftsrats.

Quelle        :         TAZ          >>>>>       weiterlesen

Lobbyismus in der CDU

Röring und die Ämterhäufung

Von Jost Maurin

Der Obmann der Union im Landwirtschaftsausschuss hat nur noch 7 statt rund 30 Nebenjobs. Vor allem ist Johannes Röring nicht mehr Funktionär im Bauernverband. Die Grünen kritisieren aber auch die verbleibenden Aufsichtsratsposten.

Der wegen Interessenkonflikten und Ämterhäufung kritisierte CDU-Agrarpolitiker Johannes Röring hat die meisten seiner umstrittenen Nebentätigkeiten aufgegeben. Auf seiner Internetseite nannte der Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Bundestagsausschuss für Ernährung und Landwirtschaft am Dienstag nur noch 7 statt wie früher ungefähr 30 Nebentätigkeiten. Der Deutsche Bauernverband etwa bestätigte der taz, dass Röring keine Funktion mehr innerhalb der Organisation habe. Er war dort Präsidiumsmitglied und Vorsitzender des Fachausschusses Schweinefleisch, während er im Bundestag Gesetze für die Branche beschloss.

Röring rangierte bislang unter den Top Ten der Bundestagsabgeordneten mit den höchsten Nebeneinkünften. Neben seiner Diät von rund 10.000 Euro pro Monat nahm er laut abgeordnetenwatch.de von Ende 2017 bis Juli 2020 mindestens 693.000 Euro ein. Der Naturschutzbund nannte ihn als Beispiel dafür, wie eng die Landwirtschaftspolitik mit dem Bauernverband verflochten sei. Kritiker fragten, wie er bei so vielen Nebentätigkeiten noch sein Bundestagsmandat vollständig ausüben könne.

Arbeiten wollen die Sitzenden in der Fäkaliengrube Bundestag eher nicht!

Jetzt sagte Röring der taz: „Ich habe nur noch sehr wenige Nebentätigkeiten.“ Das liege vor allem daran, dass er die Präsidentschaft des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV) abgegeben habe. „Wenn man dort Präsident ist, dann kriegt man wie ein Weihnachtsbaum alles Mögliche angehängt, was noch dazugehört“, so Röring. Da er diese Funktion nicht mehr habe, seien „natürlich alle anderen Ämter damit weggefallen“. Das betreffe seinen Posten im Kuratorium der Firma QS Qualität und Sicherheit, die das gleichnamige Prüfzeichen für Lebensmittel vergibt. Auch bei der Ini­tia­tive Tierwohl sei er nicht mehr aktiv. Seinen Hof, von dem der Großteil der Nebeneinnahmen stammte, habe er vor zwei Jahren seinem ältesten Sohn vererbt, sagte Röring. Es habe sich auch immer nur um Einnahmen gehandelt, die zuweilen die Kosten nicht gedeckt hätten.

Quelle        :       TAZ          >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben       —       Joachim Pfeiffer (* 25. April 1967 in Mutlangen) ist ein deutscher Politiker (CDU). Er ist seit 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages.

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Unten     —     Misthaufen

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Frage der inneren Sicherheit

Erstellt von DL-Redaktion am 13. März 2021

 Organisierte Kriminalität

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Eine Kolumne von Thomas Fischer

Alles hängt mit allem zusammen, lehrt das Leben. Unter den Oberflächen liegen die geheimen Gänge des Verbrechens. Der Kampf geht weiter, immer weiter.

Sie wissen, sehr geehrte Leser, dass die organisierte Kriminalität eine Geißel der Menschheit ist. Diese Erkenntnis darf als Allgemeingut selbst bei den Bevölkerungsgruppen mit unterdurchschnittlichem Bildungsniveau gelten, wenn nicht sogar beides in einer gewissen Korrelation steht. Letzteres darf, wie sich ebenfalls von selbst versteht, nicht mit Kausalität verwechselt werden: Wenn also zum Beispiel, wie ich kürzlich las, 125 Polizeibeamte in Berlin dauerhaft damit beschäftigt sind, im Görlitzer Park die organisierte Kriminalität zu bekämpfen, indem dort Fahrrad fahrende oder umherschlendernde Menschen aus Westafrika verfolgt und Erdbunker mit hochgradig THC-haltigen Pflanzenresten ausgegraben werden, und wenn andererseits die Zahl der registrierten Delikte gegen das BtMG an der genannten Örtlichkeit steigt, ist das zwar eine Korrelation wie die zwischen Storchenankunft, Frühlingsgefühlen und Kitaplätzen, aber nicht unbedingt eine Kausalität: Es könnte sein, dass die Polizisten und die Dealer einfach jeweils ihren Job machen und sich gar nicht umeinander kümmern. Dann wäre alles Zufall. Das ist zwar, wie ich zugeben muss, nicht besonders naheliegend, aber immerhin möglich. Genaues wissen wir erst, wenn jemand »eine neue Studie« gemacht hat, am besten in Amerika, wo, wie ich vermute, inzwischen alle Studenten (oft »Wissenschaftler« genannt) verpflichtet sind, einmal monatlich »eine neue Studie« herauszuhauen. Natürlich nur, wenn ihnen das aktuell vorgeschriebene Betroffenheitsgefühl Zeit und Energie dafür lässt.
Wir überspringen an dieser Stelle die sich intuitiv aufdrängende Frau Oprah Winfrey sowie die Herzogin von Sussex und ihre beste Freundin, die Gräfin von Los Angeles und berühmte Schauspielerin Janina G. Nicht weil es nicht total interessant wäre, was diese uns zu sagen haben, sondern weil es uns intellektuell überfordert: Zu viele Hütchen sind auf dem Spielfeld, eines immer intelligenter als das andere. Und man muss sagen, dass die Schraube des Metajournalismus auch hier wieder der Selbstüberrundung bedrohlich nahekommt: Geschichten darüber, wie Dritte Geschichten daraus machen, was wiederum andere darüber vermuten, was jemand ganz anderes gemeint hat, als sie oder er etwas nicht sagte. Man kennt das aus den »Fünf Freunde«-Büchern von Enid Blyton; aber damals waren wir noch jung, frisch und aufnahmebereit und fürchteten uns nicht vor den kniffligsten Kriminalfällen.
Eine schon friseurtechnisch naheliegende Assoziation zu Oprah Winfrey ist Herr Wolfgang Thierse, der zwar nichts mit der organisierten Kriminalität zu tun hat, aber seit Kurzem noch mehr als früher mit der Betroffenheit. Allerdings betrifft die Betroffenheit, die Herr Thierse soeben kritisch angesprochen hat, wofür sich sodann wiederum der Kevin und die Saskia peinlicherweise beim deutschen Volk entschuldigt haben, gar nicht die organisierte Kriminalität, sondern andere Dinge, Umstände, Zustände und Probleme.
Wir erkennen hinter den Nebelbänken der Interviews die langen Wellen der Menschheitsthemen. Ist Herr Laschet der Richtige, obwohl oder weil Herr Nüßlein der Falsche war? Ist Frau Malu fröhlich genug und Herr Winfried ausreichend präsidial? Soll man das Wort »Rasse« in Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz streichen, ersetzen, umschreiben oder ergänzen? Wir hörten, es hätten die Bundesminister Lamprecht und Seehofer entschieden, dass ja, und sich auch schon auf die neue Form des Grundrechts geeinigt. Das ist insoweit überraschend, als eine Änderung des Grundgesetzes genau genommen nicht von zwei Bundesministern beschlossen werden sollte, sondern von einer Zweidrittelmehrheit des Parlaments. Aber vielleicht geht das ja auch durch Ministerialerlass aufgrund einer Infektionsschutzverordnung. Irgendwie hat die Gleichheit ja schließlich auch mit dem Impfen zu tun.

Ohne Rasse kein Rassismus, sagt mir mein Sprachverständnis.

Der Begriff »Rasse« ist, zumindest in der deutschen Sprache, definitiv verseucht durch die organisierte Kriminalität des volksganzen Massenmords. Man kann ihn daher ruhig ersetzen durch »Ethnie« oder »Population«. Das Wort »Rasse« kann allerdings nichts dafür, dass es Rassisten gibt. Und wer das Wort abschaffen will, kann eigentlich nicht zugleich darauf bestehen, eine verwerflich feindselige Geisteshaltung gegen fremde Ethnien »Rassismus« zu nennen. Denn den gibt es nur, wo eine Abwertung (und spiegelbildlich Aufwertung) ethnisch/populationsmäßig bestimmter Menschengruppen an den (angeblichen) Inhalt des Wortes »Rasse« anknüpft. Vereinfacht gesagt: Ohne Rasse kein Rassismus, sagt mir mein Sprachverständnis. Um Fremdenfeindlichkeit zu verdammen, muss man es für möglich halten, dass es Fremde gibt, und auch der »Männerhass« ist ohne einen Begriff für »Mann« einfach schwierig.
Dass es keine (verschiedenen) Ethnien gibt, behauptet ja niemand. Wenn alle Menschenpopulationen genetisch identisch wären, kämen die offenkundigen Unterschiede zum Beispiel in Größe, Körperbau, Gesichtsformen und so weiter durch pure Wunder zustande, was wenig wahrscheinlich ist. Die weitverbreitete Abwertung ganzer Bevölkerungsgruppen und Populationen beruht nicht auf Worten oder Namen und erst recht nicht auf Körperformen oder Haarwuchs. Sie ist vielmehr seit jeher Ergebnis und Kennzeichen von Macht und Gewalt, Zugang zu oder Ausschluss von Ressourcen. Es ist daher in der Sache eigentlich gleichgültig, ob man ethnisch abgrenzbare Gruppen »Rassen« nennt; das Wort ändert weder etwas an der Genetik noch an der Soziologie noch an Rassismus.

Erleichtert hört der Bürger, dass zukünftig nicht mehr Abgeordneter sein darf, wer sich in bedenklicher Weise für die Interessen Aserbaidschans einsetzt. Gut, dass unser Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder das nicht gemacht hat.

Die Kolumne muss an dieser Stelle den Weg von der Grundgesetzänderung zurück zur organisierten Kriminalität finden. Das klingt schwerer, als es ist, denn dieser Weg führt angesichts des Artikel 79 Absatz 3 Grundgesetz zwangsläufig über den Bundestag. Man könnte als Wähler, Maskenträger und Medienkonsument derzeit den Eindruck haben, die Krakenarme der weltumspannenden Mafia hätten sich bis in die Mitte unseres Parlaments vorgeschlängelt. Entsprechend gewaltig sind die verlautbarten Betroffenheiten, Distanzierungen, Drohungen und Maßnahmen. Nun wird man, so oder so, nicht wirklich glauben wollen, dass die Parteien und die Fraktionen sowie deren Leitungen bis vor zwei Wochen ganz fest daran geglaubt haben, dass auf gar keinen Fall irgendjemand ein Mandat innehat oder haben darf, der damit auch noch eigene, zum Beispiel wirtschaftliche Interessen verfolgt. Und die moralische Fassungslosigkeit darüber, dass jemand am Maskenwesen und an der Seuchenbekämpfung Geld verdient, kommt einem auch nicht vollständig überzeugend vor angesichts der allgemeinen »Geld spielt keine Rolle«-Stimmung und der wöchentlich neuen öffentlichen Konfiguration der erst-, zweit- und drittempörendsten Versäumnisse »der Politik«, »der Bürokratie«, »der EU« oder allermindestens mal des Herrn Spahn oder der Kanzlerin.

Quelle        :       Spiegel-online           >>>>>     weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben       —       This photo shows more than one million pounds in cash that was seized from a bedroom by officers. A Birmingham court ordered the seizure of £1.33m that was found hidden in the bedroom of a man, after a successful application by West Midlands Police under the Proceeds of Crime Act (POCA). The forfeiture, which is the biggest ever achieved by the force, follows an application by the West Midlands Police Economic Crime Unit (ECU). Despite initial criminal proceedings being dropped, officers pursued the cash seizure through POCA. Police believe the cash, discovered during a search at the Shropshire home of Phillip Hartill in December 2010, is derived from crime. The court accepted the police proposition that the money should be considered to be the proceeds of haulage theft. The money was discovered by officers during a search warrant at an address in Highley in connection with an incident in the Black Country in November 2010, where a lorry driver had his load of televisions worth £250,000 stolen. The driver was later discovered dead in Dudley from a suspected heart attack. Nine men were convicted for offences linked to the robbery of the driver in January 2012. During the inquiry officers searched the address in Highley and the cash was seized from a bedroom at the address. The occupant of the premises, Phillip Hartill, aged 56 was initially detained on suspicion of money laundering and handling stolen goods, but following extensive police enquiries was released and no criminal charges were brought against him. However officers from the ECU proceeded with an inquiry and subsequent application under POCA to confiscate the money.

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Deutsches Wahljahr 2021

Erstellt von DL-Redaktion am 8. März 2021

Enttäuschte wählen weniger

File:Abfalleimer als Wahlurne.JPG

Von Armin Schäfer

Solange sich soziale Ungleichheit in den Parlamenten widerspiegelt, wird es Misstrauen gegen die Demokratie geben.

Populistische Parteien sind in vielen demokratischen Ländern erfolgreich. Dies ist schon lange in Österreich oder Frankreich der Fall, aber inzwischen auch in Spanien, Portugal oder Deutschland, die lange als immun galten. Für diese Entwicklung werden besonders oft zwei Erklärungsangebote diskutiert: die Modernisierungs- und die Globalisierungsthese.

Die erste These besagt, dass Gesellschaften mit der Zeit liberaler werden, also toleranter gegenüber alternativen Lebensentwürfen, sexuellen Identitäten und kultureller Vielfalt. Dagegen regt sich Widerstand. Die Globalisierungsthese hebt die zunehmende Vernetzung der Weltwirtschaft und den daraus resultierenden Wettbewerbsdruck hervor. Diese beiden Großtrends erzeugen eine Gruppe von Ver­lie­r:in­nen, deren Lebensentwürfe und Qualifikationen entwertet werden.

Ihnen verleihen, so die verbreitete Annahme, populistische Parteien eine Stimme, weil sie nostalgisch eine bessere Vergangenheit beschwören: Make America Great Again. Beide Thesen erklären den Populismus weitgehend politikfrei durch unaufhaltsame, langfristige Trends. Gesellschaftlicher Wertewandel wird durch Faktoren wie Bildungsexpansion oder Urbanisierung angetrieben und wirtschaftliche Globalisierung ist Ergebnis veränderter Technologien, die grenzüberschreitende Investitionen erleichtern.

Populisten wie Ex-US-Präsident Donald Trump beharren dagegen darauf, dass diese Prozesse gestaltbar sind und ihren Konsequenzen unterschiedlich begegnet werden kann. Wer gewinnt und wer verliert, hat mit politischen Entscheidungen zu tun, die stärker die Anliegen derjenigen beachten, denen es ohnehin besser geht. Seine Kraft bezieht der Populismus auch daraus, dass diese Beobachtung nicht ganz falsch ist: Demokratie verspricht politische Gleichheit, doch sie löst dieses Versprechen nur unvollständig ein.

Insgesamt steigt die Wahlbeteiligung

Rein rechtlich betrachtet ist die Demokratie heute vielerorts egalitärer als in der Vergangenheit. Mehr Menschen als früher haben das Wahlrecht, und es wird darüber diskutiert, wie diese Rechte auf noch ausgeschlossene Gruppen ausgeweitet werden können – beispielsweise, indem das Wahlalter abgesenkt wird oder die Verbindung zwischen Wahlrecht und Staatsbürgerschaft gelockert wird.

Fragt man jedoch, ob diese rechtliche Gleichheit zu gleichen Einflu