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RENTENANGST

Marx’ Missionare

Erstellt von DL-Redaktion am 5. Mai 2017

Wahl in Nordrhein-Westfalen

Hatten wir noch am Montag ein Stimmungsbild der SPD aus dem Essener Norden widergegeben, geht es heute um die Linke – in Essen-Altenessen, ebenfalls im Essener Norden., in direkter Nachbarschaft zu Bottrop der Heimat von Kapluk und Günter Blocks. Dort wird Wahlkampf an den Haustüren gemacht, mit anderen Worten, man tritt als Heilsarmee auf und putzt die Klinken.

Autorin Anna Lehmann

Im Essener Norden konkurriert die Linkspartei mit der AfD um die Wählerstimmen. Unterwegs im Häuserwahlkampf mit der Linken. „Nein, wir sind keine Zeugen Jehovas“, sagt Özlem Alev Demirel. Wie die Spitzenkandidatin Menschen im Brennpunktviertel Altenessen überzeugen will, die Linke zu wählen.

„Guten Tag, mein Name ist Özlem Alev Demirel, ich kandidiere für die Landtagswahl und wollte mal fragen, wo der Schuh drückt.“ Die Frau mit den kurz geschnittenen grauen Haaren, die Demirel die Tür geöffnet hat, schüttelt energisch den Kopf: „Nein danke, hier im Haus sind alle schon Christen.“ – „Aber ich bin von der Linken.“ – „Ach so“, sagt die Frau. „Ich dachte von den Zeugen Jehovas.“ Auch wenn Özlem Alev Demirel, die kurdischstämmige, kettenrauchende Kommunistin, berufstätige Mutter von zwei kleinen Kindern und Spitzenkandidatin der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen, kaum etwas mit den bibeltreuen Christen gemein hat – so ganz falsch ist der flüchtige erste Eindruck nicht. Wie Mis­sionare ziehen Demirel und andere Linkspartei-Aktivisten an diesem Sonnabend im ­April durch den Essener Stadtteil Altenessen und machen Haustürwahlkampf. Bewaffnet mit Klemmbrett, Umhängetasche und Wahlkampfzeitung.

Jede Stimme zählt

Im Norden des einstigen Ze

chenviertels stehen etliche Wohnungen leer, im Süden dagegen wächst der Bezirk durch, wie es im Verwaltungsjargon heißt, „marginalisierte Gruppen“ – Arme, Ausländer, Arbeitslose. Potenzielle Wähler der Linken also – Altenessen könnte eine Goldgrube für die Partei sein. Doch die Wähler in spe wollen überzeugt werden.

Ähnlich wie die Zeugen Jehovas bundesweit ist die Linkspartei in Nordrhein-Westfalen etwas marginalisiert. Bei der Landtagswahl vor fünf Jahren flog sie aus dem Landtag. Die Umfrageergebnisse sehen sie derzeit bei 5 Prozent. Am 21. Mai geht es für die Partei also um alles – oder wieder nichts. Etwa 450.000 Stimmen braucht die Partei für den Einzug in den Düsseldorfer Landtag – jede einzelne neu gewonnene Stimme zählt. Und wird hart erkämpft.

Die 33-jährige Demirel, die in Düsseldorf wohnt, hat sich an diesem wolkenverhangenen Samstag mit dem Altenessener Direktkandidaten Jasper Prigge zusammengetan. Prigge ist ungefähr der komplette Gegenentwurf zum Direktkandidaten der AfD in dem Bezirk, dem einstigen SPD-Ratsherren Guido Reil. Reil gibt sich breitbeinig und macht auf Malocher. Prigge ist Anwalt, schwul und geht trotz seiner 28 Jahre locker als Student durch. An den Wohnungstüren stellt er sich vor als „der Jasper aus Essen“.

„Ich bin gegen Demokratie“

Prigge und Demirel nehmen sich zusammen Haus für Haus in der schnurgeraden Karlstraße vor, die von Mehr- und einigen Einfamilienhäusern gesäumt ist. Prigge arbeitet sich durch das Klingelbrett des ersten Mietshauses. Es knackst in der Gegensprechanlage: „Hallo, hier ist die Linke, wir machen eine Umfrage“, erklärt er. Doch niemand öffnet. Weiter. Erst im sechsten Haus werden sie eingelassen. „Ich fange hier an, geh du nach oben“, meint Prigge zu Demirel. Die Teams sollen immer zu zweit in die Häuser gehen, aber möglichst allein mit den Leuten sprechen. Demirel schnauft, als sie in der vierten Etage ist. Ein älterer Mann öffnet die Tür. Demirel stellt sich vor. „Ich bin gegen Demokratie“, sagt der Mann knapp. Klapp.

Nicht zum ersten Mal, aber zum ersten Mal systematisch setzt die Linke bundesweit auf den „aufsuchenden Wahlkampf“. Dabei sollen die Aktivisten auf keinen Fall mit dem Mitgliedsantrag wedeln oder den Eindruck vermitteln, es ginge nur um die Stimme der Menschen. Man hat den Anspruch, die Leute mit ihren Problemen abzuholen und möglichst zu bereits existierenden Strukturen zu lotsen – zur Mieterinitiative oder zum Frühstück der Arbeitslosen. Die große Politik im Kleinen also; die Linke erfindet sich neu als Kümmererpartei auf Beinen und grast die ­Basis ab.

Wo die Rechte mobilisiert

Wie man mit den Leuten ins Gespräch kommt und das Klemmbrett dabei so ein bisschen schräg hält, damit Neugier geweckt wird, haben die Essener Wahlkämpfer in der Essener Geschäftsstelle der Linkspartei geübt. „Wir wollen die Leute nicht zutexten, sondern: Hey, wir wollen wissen, wie geht es euch“, erklärt Daniel Kerekeš, der Freiwillige in Essen für den Haustürwahlkampf schult. 29 Jahre ist er und sieht ein wenig wie der junge Karl Marx auf dem Filmplakat aus, das über dem Fenster des Büros hängt. Als Faustregel gelte: 30 Prozent selber reden, 70 Prozent reden lassen. Altenessen habe man bewusst ausgewählt. Weil es eben keine linke Hochburg sei, sondern ein Brennpunktbezirk, in dem sich aktuell die AfD breitmacht. „Wir müssen in die Viertel, wo die Rechte mobilisiert, aber wo die Leute eigentlich uns wählen müssten“, erklärt Kerekeš mit leuchtenden Augen. „Und macht es bitte nicht so wie die Grünen – voll Zeugen-Jehova-mäßig.“

Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen

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Grafikquelle  : Twitter 31. März

 Heute haben wir unsere Kampagne vorgestellt: soziale Sicherheit und Bildungsgerechtigkeit das sind unsere Themen

 

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