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Kinder für die Zukunft

Erstellt von DL-Redaktion am 4. August 2023

Arme sichern unsere Zukunft

Ein Debattenbeitrag von Barbara Dribbusch

Im Streit über die Kindergrundsicherung werden Vorurteile gegen Arbeitslose geschürt. Dabei brauchen wir wegen der Demografie kinderreiche Familien.

Eigentlich klingt der Begriff so gut, dass niemand was dagegen haben kann: Kindergrundsicherung. Schon vor mehr als 20 Jahren beschworen die Grünen mit diesem Wort eine auskömmliche staatliche Sicherung für Kinder in armen Familien. Doch jetzt droht das Projekt zu einer Enttäuschung zu werden.

Nach der Sommerpause will Bundesfamilienministerin Lisa Paus einen ersten Gesetzentwurf vorlegen und fordert dafür bis zu 12 Milliarden Euro im Jahr an Haushaltsgeldern. Bundesfinanzminister Christian Lindner will höchstens 2 Mil­liarden Euro für die Digitalisierung der Familienleistungen lockermachen. Man ahnt: Die Erwartungen an die Kindergrundsicherung, die ab 2025 kommen soll, waren zu hoch.

Es soll eine Leistung werden, die das Kindergeld, das Bürgergeld für Kinder und den Kinderzuschlag für arme Erwerbstätige in einer „einfachen, automatisiert berechneten und ausgezahlten Förderleistung bündelt“, wie es im Koalitionsvertrag der Ampel heißt. Im politischen Branding des Begriffs der Kindergrundsicherung liegt dabei eine Ungenauigkeit, die zuerst die Power des Wortes ausmachte, jetzt aber zu Problemen in der praktischen Umsetzung führt.

Dabei ist die Idee eigentlich gut: Mit der Kindergrundsicherung soll das Stigma der Armut verschwinden. In der Kindergrundsicherung sollen das bisherige Kindergeld und die Leistungen für Kinder im Bürgergeld aufgehen. Das Kindergeld heißt dann „Garantiebetrag“ und das bisher gezahlte Bürgergeld für Kinder (Ex-Hartz-IV) ist der „Zusatzbetrag“, den arme Familien zusätzlich zum „Garantiebetrag“ bekommen. Durch die Unterordnung unter den Begriff der Kindergrundsicherung will man der Stigmatisierung von Familien im Sozialleistungsbezug entgegenwirken. Die Kindergrundsicherung ist auch eine Art Integrationsprojekt zwischen Mittel- und Unterschicht.

Das ist gut gemeint. Nur leider ist es ein quantitativer und systemischer Unterschied, ob eine Familie nur den Garantiebetrag oder eben als arbeitslose Familie ohne Einkommen den Garantiebetrag plus den Zusatzbetrag bekommt. Letzteres erfordert eine andere Bedarfsrechnung. Zudem ist eine Kindergrundsicherung keine Hilfe für Kinder allein, mit der man sie aus der Armut rettet, sondern eine Sozialleistung, die immer zum Haushaltseinkommen auch der Eltern beiträgt.

Diese systemischen Realitäten kommen jetzt wieder auf den Tisch. Die Union befeuert die Debatte, ob es eine gute Idee ist, armen Familien mehr Geld zu geben, wo es doch am wichtigsten sei, die Eltern in Arbeit zu bringen. Eine Erhöhung der Sozialleistungen sei „ein süßes Gift: Es bringt die Menschen nicht in den Arbeitsmarkt, sondern macht sie abhängiger vom Staat“, sagt der arbeitsmarktpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Stephan Stracke, der FAZ.

Auch solch ein politisches Individuen darf sich Christlich nennen.

Da ist er wieder, der Wiedergänger jeder So­zial­staatsdebatte: Die faulen Arbeitslosen, diesmal arbeitslose Eltern, könnten wegen der neuen Sozialleistung die Motivation verlieren, einen Job anzunehmen. Das Ressentiment wird angeheizt durch die Tatsache, dass der Anteil der deutschstämmigen Familien im Bürgergeld-Bezug in den letzten Jahren zurückgegangen ist. Fast die Hälfte der ­Kinder im Bürgergeld-Bezug haben eine ausländische Staatsangehörigkeit, viele davon sind Geflüchtete.

Auf der einen Seite sieht man nun die deutschstämmigen Familien in den Mittelschichtmilieus, geplagt durch die Inflation, belastet mit Steuern und Abgaben. Auf der anderen Seite vermutet man die armen Familien mit Migrations- oder Fluchthintergrund, die auf Sozialleistungen angewiesen sind und die durch das Geld vom Staat „verwöhnt“ werden könnten.

Diese Spaltungen sind alte Mythen. Man weiß aus der Erfahrung der nuller Jahre: Wenn Konjunktur und Arbeitsmarkt besser laufen, geht die Arbeitslosigkeit runter. Und Zu­wan­de­re­r:­in­nen brauchen Zeit, um anzukommen im deutschsprachigen Jobmarkt. Punkt.

Wer Spaltungen vertieft, übersieht, dass wir in anderen Zeiten leben. Familien mit Migrations- oder Fluchthintergrund sind überproportional im Sozialleistungsbezug, weil sie oft mehrere Kinder haben. Anders gesagt: Viele Kinder zu haben kann arm machen. Überdies arbeiten Zu­wan­de­r:in­nen oft in schlecht bezahlten Jobs.

Auch viele Kinder zu haben sollte uns angesichts der Demografie mehr wert sein. Die demografische Zukunft in Deutschland, das Angebot an Arbeitskräften in den nächsten Jahrzehnten hängt auch an Familien mit Migrations- und Fluchthintergrund. Wer Ärmere abhängt, tut auch der Mittelschicht nichts Gutes.

Quelle       :           TAZ-online           >>>>>         weiterlesen

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Oben     — Ehemalige Märchenhain-Figuren „Mutterdenkmal“ des Bildhauers Ernst Heilmann (1877-1969). Als Modell dienten Heilmanns Ehefrau sowie seine Tochter Maria, für die Buben stand Alfred Stein Modell. Niederheimbach, Kreis Mainz-Bingen

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Wo ist der Gegenentwurf?

Erstellt von DL-Redaktion am 31. Juli 2023

Die Protestbewegung muss solidarisch sein mit den Pa­läs­ti­nen­se­rn …

Aber die Angebote zur Befriedung müssen von der Macht ausgehen !

Ein Debattenbeitrag von Gil Shohat

…. aber auch mit dem legitimen Interesse der jüdischen Bürger an einem Leben in Sicherheit. Weiterhin braucht es eine Verbindung mit der im Land höchst virulenten sozialen Frage und dem Rassismus.

Es gab im israelischen Parlament, der Knesset, einen symbolischen Moment an diesem für die Geschichte Israels denkwürdigen 24. Juli 2023. In Live-Aufnahmen der Plenardebatte zur Abschaffung der sogenannten „Angemessenheitsklausel“, mit der das israelische Oberste Gericht bisher Regierungsentscheidungen aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit dem Interesse der Allgemeinheit kassieren konnte, ist zu sehen, wie Verteidigungsminister Yoav Gallant vehement auf Justizminister Yariv Levin, den Architekten dieser radikalen Schwächung des Justizsystems, einredet. Levin solle wenigstens eine der unzähligen Einwände der Opposition in den Gesetzestext aufzunehmen, um zumindest ein kleines Entgegenkommen zu signalisieren „Gib ihnen doch etwas!“, sagt Gallant mehrmals. Levin beharrt darauf, dass der Gesetzesentwurf genauso durchgehen werde. Zwischen den beiden sitzt Premierminister Benjamin Netanjahu, scheinbar geistig abwesend, als ob ihn das alles nichts angehen würde. Er lässt die beiden munter auf offener Bühne streiten, während er parallel einen weiteren Einwand der Opposition mit seiner Stimme ablehnt. Kurze Zeit später steht er kommentarlos von seinem Sitzplatz auf und verlässt den Plenarsaal.

Dieses Video lief am Abend nach der Abschaffung der „Angemessenheitsklausel“, die trotz monatelanger, bisher nie dagewesener Proteste der israelischen Bevölkerung durchgesetzt wurde, in allen Hauptnachrichtensendungen des Landes. Der Tenor: Netanjahu habe sein politisches Schicksal in die Hände der antidemokratischen Hardliner seiner Regierung gelegt. Es seien diese Kräfte, die den radikalen, unilateralen Umbau Israels von einer liberalen, funktionierenden Demokratie mit einer dynamischen Wirtschaft in eine Diktatur vorantreiben würden. Die zunehmend fassungslosen Jour­na­lis­t:in­nen sprachen von der „Verantwortungslosigkeit“ Netanjahus im Hinblick auf die nationale Sicherheit sowie die finanzielle Stabilität des Landes. Er sei bereit, Israel „in den Abgrund zu führen“ – trotz des Drucks der israelischen Armeereservisten, trotz drohender Herabstufungen durch internationale Ratingagenturen und vor allem trotz der deutlichen Kritik der US-Regierung.

Was in der gegenwärtigen liberalen Medienlandschaft (mit wenigen Ausnahmen) in Israel zu wenig Beachtung findet: die zentralen Akteure beim anvisierten Abbau der demokratischen Schranken des israelischen Staates sind ebenfalls treibende Kräfte der nationalreligiösen Siedler:innenbewegung. Sie übertragen dabei ihre antidemokratischen Überlegenheitsvorstellungen aus dem Westjordanland auf das israelische Kernland. Gleichzeitig eskaliert die Gewalt von Sied­le­r:in­nen gegenüber Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen in den besetzten Gebieten unter Duldung der israelischen Armee, wie etwa beim Überfall auf das Dorf Huwara im Frühjahr 2023 oder in Umm Safa im vergangenen Juni. Als Finanzminister ist der Siedler Smotrich zudem für die massive Umschichtung von Steuergeldern aus dem israelischen Kernland in die völkerrechtswidrigen Siedlungen verantwortlich, was dort unter anderem zu einem regelrechten Bauboom führt.

Es ist gleichzeitig wichtig zu betonen, dass es zahlreiche Interessengruppen in dieser Regierung gibt (etwa die Ultraorthodoxen, die Mizrachim), die aus unterschiedlichsten Gründen die radikale Schwächung des Justizsystems unterstützen. Doch keine Gruppe benötigt die Abschaffung der unabhängigen Gerichtsbarkeit für ihre Ziele so sehr wie die Siedler:innen-Bewegung.

The funeral of Rabbi Gershon Edelstein Chazon ish street

Wegen diesen Verknüpfungen sprechen Ak­teu­r:in­nen des „Blocks gegen die Besatzung“, darunter „Breaking the Silence“ und „Standing Together“, im Kontext der Antiregierungsproteste von der „Siedler-Revolution“. Ihr Ziel ist es, die Mehrheit der Protestbewegung davon zu überzeugen, dass es keine „Demokratiebewegung“ ohne die Auseinandersetzung mit der 56 Jahre andauernden Besatzung der palästinensischen Gebiete geben könne.

Die nächsten Monate werden entscheidend sein für die politisch heterogene Protestbewegung. Die zentrale Frage ist, ob es ihr gelingen wird, einen programmatischen Gegenentwurf zu den rechtsautoritären Plänen der Regierung zu entwickeln, der einerseits die Mehrheit der Bewegung hinter sich versammelt, andererseits aber auch mutig genug ist, um den oben beschriebenen ideologischen Ursprung dieser rechtsautoritären Agenda zu benennen. Bisher sieht es jedoch nicht danach aus: Erst am vergangenen Demo-Wochenende hat eine der Anführerinnen der Protestbewegung, Shikma Bressler, mit Verweis auf Entwicklungen in Ländern wie Ungarn, der Türkei oder auch Iran öffentlich einen kausalen Zusammenhang zwischen Besatzungslogik und dem derzeit laufenden Umbau des Staates verneint. Dies ist taktisch und auch emotional verständlich.

Quelle         :          TAZ-online            >>>>>          weiterlesen

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Oben     —     Demonstration against judicial reforms (Tel Aviv, 25 March 2023)

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Kolumne FERNSICHT Israel

Erstellt von DL-Redaktion am 22. Juli 2023

Fromme Fundamentalisten vereint im Hass

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Von Hagan Dagan

Die USA initiierten jüngst eine scharfe Verurteilung der Anti-LGBT-Gesetze in Ungarn, der sich über 30 Länder anschlossen, darunter die Bundesrepublik. Das einzige europäische Land, das die Kritik verweigerte, war Polen. Auch Israel unterzeichnete die Stellungnahme nicht, obschon das Weiße Haus Jerusalem ausdrücklich dazu aufgefordert hatte. Grund für die israelische Haltung dürften die engen Beziehung zwischen Jerusalem und Budapest sein.

In den vergangenen Jahren sind sich Benjamin Netanjahu und Viktor Orbán noch näher gekommen. Rechte Politiker aus dem Umfeld Netanjahus reisen regelmäßig nach Budapest und preisen die weltanschaulichen Übereinstimmungen der Rechten Israels und Ungarns. Umgekehrt machen sich die Ungarn innerhalb der EU für Israel stark, wenn es um eine Verurteilung der israelischen Politik geht. Aber das ist nicht die ganze Geschichte.

Über Jahrzehnte war Israel ein konservatives Land, allerdings nicht im religiösen, sondern im sozialistischen Sinne. Die Jugendbewegung, der ich im Kibbuz angehörte, nannte sich „Hashomer Hatzair“, zu Deutsch: „der junge Wächter“, der, wie wir auswendig lernen mussten: „nicht trinkt, nicht raucht und sexuelle Reinheit bewahrt“. In den 90er Jahren wurde die Gesellschaft offener, entspannter und befreiter, vor allem in der Tel Aviver „Blase“. Außerhalb der Stadtgrenzen fand bisweilen genau das Gegenteil statt. Dort nahm der Einfluss der konservativen und fundamentalistischen Gruppen nur noch zu. Diese Gruppen standen auch unter dem Einfluss der Rechts-Religiösen in den USA, und so kam es, dass ein Teil der israelischen Rechts-Religiösen weniger vom „heiligen Land“ und dem unteilbaren Großisrael sprach, als von Geschlechtertrennung und der Wahrung der Jungfräulichkeit. Im Laufe der Jahre wurde die Auseinandersetzung mit dem Thema LGBT, allen voran schwule Männer, zu einer regelrechten Obsession. Ultraorthodoxe propagierten Kon­ver­sions­the­ra­pien und beschimpften Homo­sexuel­le als schmutzige, wilde Tiere, die sich wider die Natur verhielten. Infolge der letzten Parlamentswahlen zogen Vertreter dieser Gruppen in die Regierung Netanjahus ein. Dort sind sie Herren über umfangreiche Budgets, die es ihnen ermöglichen, ihre verstörenden, abscheulichen Vorstellungen in das israelische Bildungssystem einfließen zu lassen.

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So entsteht eine dichotome, brisante Situation. Während in Tel Aviv riesige Pride-Partys stattfinden, die gesamte Stadt und die Knesset in Jerusalem die Regenbogenfahne hisst, steht ein großer Teil der israelischen Gesellschaft der Queer-Community durch und durch feindselig gegenüber. In manchen Gegenden riskieren offen homosexuell lebende Menschen Übergriffe. Ein Abgeordneter verkündete jüngst in der Knesset, dass Queers „gefährlicher als der IS“ seien. Die Pride-Paraden finden zwar fast im ganzen Land statt, aber außer in Tel Aviv müssen sie polizeilich vor eventuellen Angriffen geschützt werden. In Jerusalem hat vor wenigen Jahren ein religiöser Fanatiker ein junges Mädchen im Verlauf der Pride-Parade erstochen. Die Lage im arabischen Sektor ist noch schlechter. Dort wurde vor Kurzem eine junge lesbische Frau von Familienangehörigen getötet.

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Oben     —     Vogelbeobachtung in Panama

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KOLUMNE-Fernsicht-Indien

Erstellt von DL-Redaktion am 15. Juli 2023

Sportfunktionäre sitzen Proteste der Frauen aus

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Kolumne Fernsicht von  : PRIYANKA BORPUJARI

Mit Helden ist das so eine Sache: Sie können immer scheitern. Einige junge Wrestlerinnen wurden gar von der Polizei geschlagen.

Aber was geschieht, wenn wir sie im Stich lassen und sie zu Opfern eines toxischen Systems machen? Schauen wir auf Vinesh Phogat, eine erfolgreiche indische Wrestlerin, die mehrere Gold- und Silbermedaillen bei den Weltmeisterschaften, den Commonwealth Games und den Asian Games gewonnen hat. Doch im Mai twitterte sie: „Vom Siegertreppchen auf die Straße, um Mitternacht unter freiem Himmel, in der Hoffnung auf Gerechtigkeit.“ Mit ihr demonstriert Sakshi Malik auf den Straßen Neu-Delhis. Sie war 2016 die erste olympische Bronzemedaillengewinnerin im Wrestling aus Indien. Seit Januar protestieren diese jungen Sportlerinnen gegen Brij Mohan Charan Singh, den Vorsitzenden des indischen Wrestlingverbandes WFI. Sie und weitere junge Wrestlerinnen werfen dem Funktionär sexuelle Belästigung vor. Er wird auch der Selbstherrlichkeit, des Mobbings und der Veruntreuung von Geldern bezichtigt. Als Politiker der regierenden BJP wurden ihm noch weitere schwere Straftaten vorgeworfen.

Als die Sportlerinnen mit ihrem Protest begannen, versprach man ihnen eine Untersuchung ihrer Vorwürfe. Die Polizei nahm sogar Ermittlungen auf. Wenn Athletinnen zusätzlich zu ihrem anstrengenden Training die mentale Stärke für einen öffentlichen Protest aufbringen, sollten sie aber nicht erleben müssen, dass Männer ihre Macht missbrauchen und den Frauen drohen, deren sportliche Karrieren zu beenden.

Für viele indische Sportlerinnen geht es nicht nur um einen persönlichen Lebenstraum und den Ruhm für ihr Heimatland, sondern schlicht um ihren Lebensunterhalt. Wer beruflich Sport treibt, mit Kollegen und Trainern zu tun hat und sich auch in Trainingscamps aufhält, muss immer wieder sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erleben. Der gesetzlich vorgeschriebene Ausschuss gegen sexuelle Belästigung existiert bei der WFI nur auf dem Papier.

Wirklich wie ein Keulenschlag trifft uns aber, dass diese Wrestlerinnen keinerlei Rückhalt aus der übrigen Welt des Sports erhalten. Sie ernten entweder dröhnendes Schweigen – oder sogar Vorhaltungen, weil sie sich beklagt haben. Einige von ihnen wurden gar von der Polizei geschlagen und festgenommen. Und dann geschahen seltsame Dinge, um die Proteste in Verruf zu bringen: Manipulierte Bilder der Ath­le­t:in­nen zeigten sie mit höhnischem Grinsen, als ob man zeigen wollte, dass sie einen heimtückischen Plan ausgeheckt hätten, das politische Aus des WFI-Vorsitzenden herbeizuführen.

Quelle         :       TAZ-online         >>>>>       weiterlesen

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Oben     —     Vogelbeobachtung in Panama

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Der Nahostkonflikt :

Erstellt von DL-Redaktion am 10. Juli 2023

Der Teufelskreis von Jenin

Quelle      :        INFOsperber CH.

Gudrun Harrer /   Die neuen bewaffneten palästinensischen Gruppen im Westjordanland sind ein Symptom für den Zusammenbruch der Palästinenserbehörde.

Jenin ist der Geburtsort der neuen palästinensischen «Banditen»: Diese Bezeichnung stammt nicht etwa von Israel, das nach eigenen Angaben seinen Militäreinsatz in der Stadt im Westjordanland am Mittwoch beendet hat, sondern von der Palästinensischen Behörde. Die neuen bewaffneten Gruppen, gegen die sich die israelische Militäraktion gerichtet hat, kämpfen gegen die israelische Armee und die Siedler – aber gleichzeitig sind sie eine Folge des Kontrollverlusts der Palästinenserführung.

Laut israelischer Armee waren alle zwölf getöteten Palästinenser Kämpfer, rund 300 «Terrorverdächtige» wurden festgenommen. Nominell sind die neuen bewaffneten Palästinenser von den «alten» bekannten radikalen Gruppen unabhängig, es wird jedoch immer wieder vermutet, dass etwa über den Islamischen Jihad iranische Unterstützung zu ihnen gelangt.

In Jenin ist eine solche Gruppe 2021 zum ersten Mal aufgetaucht, bezeichnenderweise nach der Absage der palästinensischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen: eine verpasste Chance, der palästinensischen Führung und Verwaltung wieder Legitimität zu verschaffen. Drei Viertel der Palästinenser und Palästinenserinnen sprechen sich bei Umfragen für einen Rücktritt von Präsident Mahmud Abbas aus. Er ist 87 und wurde 2005 auf vier Jahre ins Amt gewählt. Seinem eigenen Ansehensverlust sieht er in geistiger Versteinerung zu.

«Löwengrube» in Nablus

Neue bewaffnete Gruppen gibt es heute nicht nur in Jenin, sondern auch in anderen Städten, in Nablus – eine namens «Löwengrube» – oder etwa auch in Tulkarem und Jericho. Mit der Ankunft der Rechtsradikalen in der israelischen Regierung ergibt sich eine Art Teufelskreis. Siedlergewalt wird ermutigt, das Versagen der Palästinenserbehörde, für Sicherheit zu sorgen, wird immer offenkundiger, mehr junge Palästinenser radikalisieren und bewaffnen sich, und die israelische Armee verstärkt wiederum ihre Razzien – und zerstört den letzten Rest der Glaubwürdigkeit der Führung. Und so fort.

Die Palästinenserbehörde wurde 1994 im Rahmen des Oslo-Friedensprozesses geschaffen, sie war als Übergangsverwaltung auf dem Weg zu einem palästinensischen Staat gedacht. Der ist nicht in Sicht, und aus der aufgeblähten, durch Korruption und Nepotismus gekennzeichneten Behörde ist ein Dauerzustand geworden. Und nun gibt es eine israelische Regierung, zu deren Programm die «Anwendung von Souveränität» im Westjordanland gehört, was auf Annexion hinausläuft.

Schwere Finanzkrise

Die finanzielle Krise der Palästinenserbehörde wird durch israelische Schikanen und durch eigene Misswirtschaft dauerverschärft, dazu kamen zuletzt Covid und der internationale Anstieg von Energie- und Lebensmittelpreisen. Auf dem sogenannten C-Gebiet, das völlig unter israelischer Kontrolle steht und das laut Uno und EU die wirtschaftliche Entwicklung eines Palästinenserstaats ermöglichen sollte, dehnt sich Israel aus.

Die Behörde konnte ihre ureigenste Aufgabe nicht erfüllen, den Übergang von Besatzung zu einem freien Staat zu managen, aber sie scheitert auch dabei, die Bevölkerung mit Dienstleistungen zu versorgen. Dazu kommt ihre Unfähigkeit, die innerpalästinensische Spaltung mit der Hamas – die 2006 die Wahlen gewann und in der Folge den Gazastreifen unter ihre Herrschaft brachte – zu beenden.

Bei Umfragen stellt sich heraus, dass immer mehr Palästinenser und Palästinenserinnen der Meinung sind, ihr Leben würde sich nicht verschlechtern, sollte die Behörde zusammenbrechen. Genau das wird für den Fall befürchtet, dass es nach dem Tod von Mahmud Abbas Streit um die Nachfolge gibt.

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Abbas hat alle politischen Prozesse zur Klärung der Frage unterminiert, wer die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), die Fatah-Partei und die Präsidentschaft übernehmen sollte. Seit dem Machtkampf mit dem früheren Sicherheitschef von Gaza, Mohammed Dahlan, ersetzt Paranoia die Zukunftsplanung. Dass der israelischen Rechten, die einen Palästinenserstaat immer abgelehnt hat, diese politische Lähmung nicht unrecht kommt, liegt auf der Hand.

Alleinherrscher

Abbas übernahm nach dem Tod Yassir Arafats im November 2004 dessen Ämter, 2005 wurde er zum Präsidenten gewählt. Seine Herrschaft hat sich in den vergangenen Jahren zur Diktatur entwickelt. Die Gewaltenteilung ist de facto abgeschafft: 2016 wurde ein Verfassungsgerichtshof eingeführt, der Abbas‛ Entscheidungen scheinlegalisiert und 2018 das Parlament auflöste. Es gibt keine Medienfreiheit, Kritiker werden verfolgt, die Menschen leiden unter Repression und Menschenrechtsverletzungen.

Mehrere Personen werden als mögliche Nachfolger Abbas‛ genannt, wobei sich die Frage stellt, ob sie einen Konsens innerhalb von PLO und Fatah und danach eine Legitimation durch den Wählerwillen erreichen können: Da sind etwa PLO-Generalsekretär Hussein al-Sheikh oder Majed Faraj, der mächtige Geheimdienstchef, sowie einige andere. Alles Kaffeesatzleserei. Die Artikel über die «drohende palästinensische Nachfolgekrise» häufen sich, während die palästinensische Bevölkerung nie aus der Krise herausgekommen ist.

Dieser Artikel ist am 6. Juli im «Standard» erschienen.

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Oben      —   Jenin, West Bank, Palestine

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DIE * WOCHE

Erstellt von DL-Redaktion am 10. Juli 2023

Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1b/Die-Woche.png?uselang=de

Kolumne von Friedrich Küppersbusch

Sonne, Sommer,  –  Menschens Werk und Gottes Sohn vereinen sich aufs heißeste. Zuckerberg als kalifornischer Gegenpapst. –  Polizeigewalt und Recht vor Gnade.

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: US-Streubomben für die Ukraine.

Und was wird besser in dieser?

Es hat gedauert, aber – endlich mal eine Waffe, die die Grünen nicht gut finden.

Der Bundestag konnte sich beim Thema Sterbehilfe nicht einigen. Wo stehen Sie in der Debatte?

Wer den Freitod wählt, „springt aus dem brennenden Haus“. Niemand weiß, wohin. Die gegenwärtige Qual wird als unerträglicher empfunden als alles, auch das Ungewisse. Das schürt die Sorge, dass Menschen „springen“, bevor wirklich final ausgelotet ist. Also ist kluge Beratung nötig, ein neu­tra­ler Blick auf die Lage. Wer an der Selbsttötung verdient, scheidet als Berater aus. Hier hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil pro „geschäftsmäßige Sterbehilfe“ Recht vor Gnade ergehen lassen. Gibt es dann tatsächlich keinen Ausweg mehr, kommen Pflegende und ÄrztInnen in Not, weil ihnen das Strafrecht droht. Also: zwingende Beratungen, raus aus dem Strafrecht, kein Kommerz und das letzte Medikament in die Hände derer, die schon heute insgeheim viel auf ihr Gewissen nehmen.

Deutsche Haushalte mit einem Einkommen von 150.000 Euro sollen kein Elterngeld mehr bekommen. Halten Sie die Befürchtung für berechtigt, dass dies fatal für die Emanzipation in der Erziehung wäre?

Wenn es wirklich um Sozialpolitik und Kinderarmut ginge, würden wir diskutieren, warum Empfänger von Bürgergeld, formerly known as Hartz, weder Kinder- noch Elterngeld bekommen. Warum Alleinerziehende nach 14 Monaten kein Elterngeld mehr bekommen. Bei Spitzenverdienern dagegen – Paaren, die zusammen über 12.000 Euro im Monat kassieren – darf man schon fragen, ob ­monatlich 1.800 Euro Elterngeld bei denen große Lenkungswirkung entfalten. Männer, die so viel Kohle haben und sie nicht dazu nutzen, Zeit mit ihrem Kind zu verbringen, gehören bestraft. Was jetzt mustergültig erfüllt ist.

Für den französischen Polizisten, der den 17-jährigen ­Nahel M. erschossen hat, sind über eineinhalb Millionen Euro gesammelt worden. Die Spendenaktion für Nahels Familie hat weniger als 500.000 Euro eingebracht. Regiert Geld halt die Welt, oder steckt da Beunruhigenderes drin?

Was machen die mit der Kohle, wenn der Polizist straffrei davonkommt? Anzahlung auf den nächsten Schuss? In Frankreich sind Spendensammlungen für Straftäter verboten. Deshalb gelten beide Sammlungen formal den Familien von Täter und Opfer. Vor vier Jahren verprügelte ein Ex-Boxprofi als Gelbweste Polizisten, eine Spendensammlung für Anwaltskosten wurde unterbunden. Damals echauffierten sich ­Regierungsmitglieder: „Scheinbar zahlt es sich aus, Polizisten zu schlagen.“ Diesmal schimpfen Linkspolitiker: „Tötet einen Araber, und ihr werdet Millionär.“

Bis zur Frauen-WM sind Fußballfans auf Entzug gesetzt. Substituieren Sie eher mit Wimbledon oder mit der Tour de France?

Selber mal den Arsch bewegen. Im südmünsterländischen Selm – so weit bin ich mit dem Rad gekommen – gibt es einen schicken neuen ebenerdigen Flächenbrunnen. Rund 30 Düsen schießen aus dem Erdboden unberechenbar Wasser: ein Slalom der Freude.

Der vergangene Montag war der heißeste Tag seit Beginn der Aufzeichnungen. Greift der liebe Gott jetzt zur Brechstange?

Gott ist in der Tat verdächtig, weil sich des Menschen Werk und Gottes Sohn – El Niño, „der Knabe“ – aufs Heißeste vereinen. Es ist also das, was früher mal ein sehr heißer Sommer war, plus das, was heute ein sehr heißer Sommer ist.

Die Anzahl lesbarer Tweets wird eingeschränkt, Meta startet die Konkurrenz-App ­Threads – war’s das mit Twitter?

Quelle          :          TAZ-online           >>>>>      weiterlesen

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Die Hölle auf Erden

Erstellt von DL-Redaktion am 7. Juli 2023

Es gibt gute Gründe, Afghanistan zu helfen. 

Ein Debattenbeitrag von Theresa Breuer

Aber den Preis zahlen die Frauen und Mädchen. Für sie gibt es unter den Taliban keine Freiheit. Am Tag 1 ihrer Herrschaft schafften die Taliban das Frauenministerium ab und schlossen Mädchenschulen.

Kaum ein Land auf dieser Welt behandelt Frauen so schlecht wie das Taliban-Regime. In weniger als zwei Jahren haben die selbsternannten Gotteskrieger die Hölle auf Erden geschaffen. Nichts anderes hatten sie angekündigt. Die Taliban leben ihre menschenverachtende Geisteshaltung. Ihren Worten lassen sie Taten folgen – im Gegensatz zu unserer Bundesregierung.

Am Flughafen von Kabul spielten sich apokalyptische Szenen ab, als die Taliban im August 2021 in Kabul einmarschierten. Zehntausende Menschen versuchten zu fliehen, klammerten sich in ihrer Verzweiflung an Flugzeuge und stürzten in den Tod. Die Welt war entsetzt. Trotzdem mahnten konservative Politiker in Deutschland, 2015 dürfe sich nicht wiederholen.

Nach der Bundestagswahl im Herbst 2021 kündigte Außenministerin Annalena Baerbock an: „Viele Menschen leben in täglicher Angst. Das gilt besonders für diejenigen, die mit uns für eine bessere Zukunft Afghanistans gearbeitet, daran geglaubt und sie gelebt haben. Am schwersten ist die Lage für die besonders gefährdeten Mädchen und Frauen. Gegenüber diesen Menschen haben wir eine Verantwortung, und wir werden sie nicht im Stich lassen.“ Die Ampelregierung beschloss ein Aufnahmeprogramm für gefährdete Afghaninnen und Afghanen. Es sollte gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Organisationen ausgearbeitet werden. Die Zusammenarbeit war ein einziges Debakel.

Monatelang ließ das Innenministerium auf sich warten, bis Gefährdungskriterien für das Programm veröffentlicht wurden. Das Geschlecht allein hätte gereicht. Die Zeit raste. Schon am Tag 1 ihrer Herrschaft schafften die Taliban das Frauenministerium ab, schlossen Mädchenschulen und schlugen die anschließenden Proteste nieder.

Trotzdem hatten die Vereinten Nationen gehofft, die Taliban zur Einsicht bringen zu können. Ohne Erfolg. Im Mai verkündeten die Taliban die Burka-Pflicht. Frauen sollten ab sofort nur noch im Ganzkörperschleier das Haus verlassen dürfen. Das Gewand schränkt Sicht und Bewegungsfreiheit ein, es gleicht einem Gefängnis aus Stoff. Auf die Ankündigung folgte ein internationaler Aufschrei. Der Erlass war provokativ und völlig überflüssig. Die Burka ist keine Erfindung der Taliban. In vielen Teilen des Landes gehen Frauen ohne Burka nicht aus dem Haus – sofern es ihnen überhaupt erlaubt ist, das Haus zu verlassen. Warum ein Gesetz erlassen, das ungeschrieben seit Generationen gilt?

Ganz einfach, weil sie es können. Die selbsternannten Gotteskrieger haben eine Weltmacht gedemügt und bloßgestellt. Von den hehren Motiven, mit denen die USA und ihre Verbündeten den Krieg rechtfertigten, ist nicht viel übrig geblieben. Der überhastete Abzug ist zum Sinnbild westlicher Scheinheiligkeit geworden. Nun herrscht ein Terrorregime, mit dem der Westen nicht verhandeln will, es aber auch nicht ignorieren kann. Zu viel Elend würde die Aufmerksamkeit wieder auf Afghanistan lenken, Fragen von Schuld und Verantwortung aufwerfen. Niemand hat ein Interesse daran, Bilder von hungernden Kindern zu produzieren. Das ist verständlich, aber verschlimmert das Problem. Wir helfen dem Taliban-Regime zu überleben und opfern dafür die Frauen.

Das System der Taliban ist perfide. Indem der Erlass nicht Frauen selbst, sondern ihre männlichen Angehörigen bei Verstößen bestraft, macht es alle Männer in Afghanistan zu Komplizen der Taliban. Sie sind für das Verhalten ihrer Frauen verantwortlich, müssen dafür sorgen, dass die weiblichen Angehörigen die Regeln der Taliban befolgen. Der Erlass beraubt Frauen jeglicher Autonomie, gibt ihnen keine Chance mehr, sich gegen­ die Vorschriften aufzulehnen oder bei Widerstand ins Gefängnis zu gehen. Das Gesetz entmenschlicht Frauen, degradiert sie zu Eigentum ihrer männlichen Verwandten. Es schränkt nicht nur die Freiheit von Frauen ein, es gibt vor allem Männern in der Gesellschaft uneingeschränkte Macht.

Kaum eine Frau in Afghanistan wird sich einer Regel widersetzen, wenn am Ende nicht sie selbst, sondern ihr männlicher Vormund dafür bestraft wird. Wenn es doch eine Frau wagen sollte, wird sie wahrscheinlich keine Märtyrerin für Frauenrechte, sondern nur ein weiteres Opfer von häuslicher Gewalt. Afghanistan galt auch vor der Herrschaft der Taliban als eines der schlimmsten Länder für Frauen weltweit. Frauen werden von männlichen Angehörigen geschlagen, verstümmelt, mit Säure überschüttet und in Brand gesetzt. Als ein guter Ehemann gilt allein ein Mann, der seine Frau nicht grundlos schlägt.

Die Taliban machen es einem leicht, Afghanistan zu vergessen. Sie begehen keine Massaker und ziehen auch nicht plündernd oder vergewaltigend durch das Land. Sie schränken Rechte ein. Die internationale Staatengemeinschaft fordert, das zu unterlassen. Die Taliban unterlassen es, dieser Forderung nachzukommen.

Quelle          :           TAZ-online            >>>>>        weiterlesen

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Oben      —      Afghanistan collage, from left to right: 1. Bamyan province, 2. The Salang Pass between Parwan and Baghlan provinces, 3. Band-e Amir National Park in Bamyan province, 4. River in Nuristan province.

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Von EU und Staatstrojanern

Erstellt von DL-Redaktion am 19. Juni 2023

Blankoscheck für Geheimdienst-Überwachung der Presse

Logo

Logo von: Komitee zum Schutz von Journalisten 

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Von           :    , Harald Schumannon

Ein geplantes Medienfreiheitsgesetz der EU sollte Journalist:innen vor Überwachung schützen. Doch Europas Regierungen planen eine Blankoausnahme für „nationale Sicherheit“, die den Vorschlag praktisch aushöhlen würde.

Kein Journalist darf wegen seiner Arbeit bespitzelt werden. Mit diesem klaren Satz begründete EU-Kommissarin Věra Jourová im vergangenen Herbst ihren Vorschlag für ein Gesetz, das die Pressefreiheit in allen EU-Staaten stärken soll.

Die EU-Kommission reagierte damit auf Enthüllungen über das Ausspähen von Journalist:innen, NGOs und Oppositionspolitiker:innen in mehreren EU-Staaten. In Ungarn ließ die Regierung von Viktor Orban Handys von Reportern hacken, die über Korruptionsvorwürfe berichteten. In Griechenland spionierte die Regierung Journalist:innen aus, die Finanzskandale enthüllten. In Spanien ging es gegen Journalist:innen im Umfeld der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Die Liste lässt sich fortsetzen. Expert:innen warnen, die sich ausbreitende Überwachung von Journalisten sei eine Bedrohung für die Pressefreiheit.

Das Mittel der Wahl bei den Überwachungsaktionen: Staatstrojaner. Berüchtigt ist insbesondere Pegasus, ein Trojaner der israelischen Firma NSO Group, der Handys praktisch unbemerkt infiltrieren kann. Dadurch kann selbst verschlüsselte Kommunikation über Dienste wie WhatsApp oder Signal ausgelesen werden. Journalist:innen, die mit Pegasus oder anderen Trojanern gehackt wurden, müssen die Preisgabe ihrer Quellen fürchten.

Um solchen Übergriffen einen Riegel vorzuschieben, verbietet der Gesetzesvorschlag der Kommission ausdrücklich den Einsatz von Staatstrojanern gegen Journalist:innen. Das Europäische Medienfreiheitsgesetz sollte außerdem jede Form von Überwachung oder Repressalien untersagen, mit denen die Offenlegung journalistischer Quellen erzwungen werden soll.

Doch die EU-Staaten arbeiten hinter verschlossenen Türen an einem Gegenvorschlag, der diese Vorschläge der Kommission praktisch wirkungslos macht. Das ist das Ergebnis einer gemeinsamen Recherche von netzpolitik.org mit dem Rechercheteam Investigate Europe.

Frankreich drängte auf Blankoausnahme

Der Rat der EU-Staaten will die Schutzbestimmungen für Journalist:innen durch eine generelle Ausnahme für die „nationale Sicherheit“ aushebeln. Das geht aus einem Textentwurf der schwedischen Ratspräsidentschaft vom 7. Juni hervor, den wir durch eine Informationsfreiheitsanfrage erhielten und im Volltext veröffentlichen. Der Rat geht damit über frühere Vorschläge zur Verwässerung des Textes hinaus, über die wir zuvor berichteten.

Schon der ursprüngliche Vorschlag der Kommission sah vor, dass der Staatstrojaner-Einsatz „im Einzelfall“ aus Gründen der nationalen Sicherheit gerechtfertigt sein soll. Aus dem Einzelfall soll nun eine Blanko-Erlaubnis werden, die nicht nur das Trojaner-Verbot aufweicht, sondern auch das generelle Verbot der Überwachung von Journalist:innen zur Ermittlung ihrer Quellen aushebelt. Außerdem schwächt die Ausnahme das Recht, eine Beschwerde bei einer unabhängige Behörde einzureichen, wie es der ursprüngliche Vorschlag vorgesehen hätte.

Diese Blanko-Ausnahme für „nationale Sicherheit“ in Artikel 4 des Gesetzesentwurfs hat Frankreich durchgesetzt. Unterstützung erhielt die Regierung in Paris dafür auch von Deutschland. Das geht aus einem vertraulichen Drahtbericht der deutschen Ständigen Vertretung in Brüssel hervor, den wir ebenfalls im Volltext veröffentlichen. Den Vorschlag unterstützte demnach außerdem Griechenland, wo die Regierung ihre Überwachungsaktionen gegen Journalist:innen mit Verweis auf die „nationale Sicherheit“ rechtfertigte.

Um den Schutz von Medienschaffenden gibt es nicht nur in der EU Streit. In Deutschland gibt es Verfassungsbeschwerden, weil Journalist:innen und ihre Quellen nicht ausreichend vor Überwachung durch den Bundesnachrichtendienst geschützt seien. Eine davon richtet sich auch explizit gegen Staatstrojanereinsatz, insbesondere weil es für Betroffene besonders schwer ist, sich gerichtlich gegen die heimliche Ausspähung zu wehren.

„Nationale Sicherheit als Vorwand“

Der griechische Journalist Thanasis Koukakis, der mit dem Trojaner Predator gehackt wurde, zeigte sich auf Nachfrage empört über die geplante Verwässerung des EU-Gesetzes. „Mein Fall zeigt deutlich, wie einfach die nationale Sicherheit als Vorwand für Drohungen gegen Journalist:innen und ihre Quellen benutzt werden kann.“ Die französische Journalistin Rosa Moussaoui, die Opfer von Pegasus wurde, kritisierte die Haltung Frankreichs. Eine allgemeine Ausnahme für nationale Sicherheit passe „perfekt zur Politik“ der französischen Regierung, sich nicht um den Quellenschutz zu kümmern.

Ein Sprecher der zuständigen grünen Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, erklärt auf Anfrage, es sei „in keiner Weise“ das Ziel der Bundesregierung, „die Ausspähung von Journalisten zu legalisieren“. Die Ausnahmeregelung zur nationalen Sicherheit im Ratsentwurf soll lediglich sicherstellen, „dass die im Vertrag der Arbeitsweise der Europäischen Union bestimmten Kompetenzen der Mitgliedstaaten im Bereich der nationalen Sicherheit unberührt bleiben.“

Dem hält allerdings der Europäische Journalistenverband entgegen, dass die Blankoausnahme keine Schutzmaßnahmen zur Sicherung von Grundrechten enthalte. Dadurch ignoriere der Rat die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der klargestellt habe, dass die nationale Sicherheit die EU-Staaten nicht von ihrer Verpflichtung zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit befreie. Durch die Ausnahme werde das geplante Medienfreiheitsgesetz in eine „leere Hülle verwandelt“. Auch Tom Gibson vom Committee to Protect Journalists warnt, der Rat erteile dadurch „willkürlicher Überwachung durch Länder mit geschwächter Rechtsstaatlichkeit“ seinen Sanktus.

Heftige Kritik gibt an den Plänen der EU-Staaten gibt es aus dem EU-Parlament. Die niederländische Abgeordnete Sophie in ‚t Veld aus der liberalen Fraktion Renew nennt den Ratsvorschlag eine „Katastrophe“. Die SPD-Politikerin Katarina Barley betont, „pauschale Ausnahmen ohne weitere Vorkehrungen gehen gar nicht“.

Der Bedenken zum Trotz planen die EU-Staaten einen Beschluss noch im Juni. Kommt kein entschiedener Widerstand aus dem EU-Parlament, das bislang noch keine eigene Position festgelegt hat, dann könnte das Medienfreiheitsgesetz die Blankoausnahme für Überwachungsmaßnahmen zur „nationalen Sicherheit“ festschreiben. Die Absicht von Kommissarin Jourová, Journalist:innen in ihrer Arbeit vor Überwachung zu schützen, bliebe damit ein frommer Wunsch.

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Grafikquellen     :

Oben           —       Logo     –      Komitee zum Schutz von Journalisten – https://cpj.org/

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Unten         —       Plastische Darstellung des Bundestrojaners vom Chaos Computer Club im Profil. Originalbeschreibung: im Chaos Computer Club Berlin: the Federal Troian Horse

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Kleinlaute Ratlosigkeit

Erstellt von DL-Redaktion am 9. Juni 2023

Beim Kirchentag darf die Nakba-Ausstellung nicht gezeigt werden.

Ein Debattenbeitrag von Wolfgang Benz

Aber nicht jeder Zweifel an der israelischen Besatzungspolitik ist antisemitisch. Die Weigerung, Probleme zu benennen, schafft sie nicht aus der Welt, sondern verstetigt sie, statt sie zu lösen.

Eine Zensur findet nicht statt – dieser Satz steht im Grundgesetz, der die Meinungsfreiheit aller Bürger garantiert. Zensur als staatliche Maßnahme, mit der Inhalt, politische Tendenz, gesellschaftliche Konformität geprüft und dann genehmigt oder verboten werden, gibt es tatsächlich nicht. Ein anderer Brauch bürgert sich jedoch stattdessen ein. Zu charakterisieren wäre er als stillschweigende Behinderung oder Unterbindung unerwünschter Debatten aus Konfliktscheu, aus kleinlauter Ratlosigkeit, aus Realitätsverweigerung oder Feigheit. Die Probleme existieren weiter, die Weigerung, sie zu erkennen und zu benennen, schafft sie nicht aus der Welt, sondern verstetigt sie, statt sie zu lösen oder auch nur zu verstehen.

Nun wurde die sogenannte Nakba-Ausstellung vom Bannstrahl der Verantwortungsträger des derzeit laufenden Evangelischen Kirchentags in Nürnberg als Maßnahme vorauseilenden Missionseifers getroffen. Die Organisatoren der Ausstellung dürfen zwar wie bisher ihren Stand auf dem „Markt der Möglichkeiten“ errichten, aber mit der ausdrücklichen Auflage, die Ausstellung nicht zu zeigen.

Die Nakba-Ausstellung, konzipiert vom Verein „Flüchtlingskinder im Libanon e. V.“, kuratiert und organisiert von Ingrid Rumpf, gefördert vom Evangelischen Entwicklungsdienst e. V. und der Stiftung Entwicklungszusammenarbeit Baden-Württemberg, wurde begrüßt und gelobt von Wissenschaftlern und Sachkundigen. In Deutschland geriet die Ausstellung ins Visier obrigkeitlichen Argwohns, nachdem sie eineinhalb Jahrzehnte lang gefördert worden war. Denunziert wurde sie schon lange zuvor von jenen, die mit viel Emotion unterwegs sind, um vermeintliches Unheil durch Zensur – nein: durch Unterbinden der Diskussion über das Problem – zu verhindern.

Das Wort Nakba (Zerstörung, Unglück, Katastrophe) umschreibt die Erfahrung des Heimatverlustes palästinensischer Familien anlässlich der Staatsgründung Israels 1948. Flucht und Vertreibung waren am Ende des Zweiten Weltkriegs auch ein deutsches Thema. Integration war von den Besatzungsmächten geboten und in beiden deutschen Staaten in erstaunlich kurzer Zeit erreicht.

Den Flüchtlingen und Vertriebenen aus Palästina war ein ärgeres Schicksal beschieden: Der Unterschied besteht darin, dass ein großer Teil der mehr als 700.000 Palästinenser, die in der Nakba ihre Heimat verloren, zum Generationen dauernden Lagerleben verurteilt war. Sie werden als Faustpfand und Drohpotenzial gegen Israel missbraucht, wo ihre Forderung nach Rückkehr zu Recht Furcht und Schrecken verbreitet. Den Palästinensern, die durch die Gründung Israels ihre Heimat verloren, wird 75 Jahre später immer noch das Minimum, die trauernde Erinnerung daran, verweigert. An die Nakba zu erinnern bedeutet, sich in Konfliktzonen zu begeben. Aus unterschiedlichen Gründen ist sie in Israel nicht Bestandteil der Erinnerungspolitik und in Deutschland wenn nicht völlig unbekannt, dann als vermutete Parteinahme für Palästina und Affront gegen Israel stigmatisiert. Das erfahren auch die wenigen, die über den historischen Sachverhalt informieren wollen, auf Schritt und Tritt.

Waren es nicht immer die fanatischen Religionsführer und Politiker dieser Welt, welche von Beginn der Menschheit an für die Kriege zeichneten ? Wenn der Verstand im Nebulösen verschwindet versagt die Humanität.

Die Ausstellung ist notwendig als Denkanstoß, und sie ist entgegen kleinmütiger Anfeindung seit 2008 mit Erfolg unterwegs. Bald erreicht sie die 200. Station. Auf dem Ökumenischen Kirchentag in München (2010), den Evangelischen Kirchentagen in Hamburg (2013), Stuttgart (2015), Berlin (2017), Dortmund (2019) wurde sie gezeigt. Sie stand in Straßburg im Europaparlament und in Genf im Haus der Vereinten Nationen.

Nicht jeder Zweifel am Ziel Jahrzehnte währender Besatzungspolitik, nicht jeder Hinweis auf das Völkerrecht, nicht jede Kritik an politischen Aktivitäten des Staates Israel ist Ausdruck judenfeindlicher Gesinnung oder eines rabiaten Antisemitismus. Angriffe aus dem besetzten Gebiet gegen israelische Bürger finden bei keinem vernünftigen Menschen Beifall, und judenfeindliche Hassparolen auf Palästinenserdemonstrationen in Deutschland sind abscheulich und unerträglich. Aber Mitleid mit dem Schicksal palästinensischer Kinder ist nicht gleichbedeutend mit Liebesentzug für den Staat, in dem Juden eine sichere Heimat haben sollen. Solidarität mit Israel ist schon aus Scham über die deutsche Schuld selbstverständliche deutsche Staatsräson.

Ignorieren und verhindern, dass auch über anderes Leid als das der Juden gesprochen wird, so der Publizist Micha Brumlik, birgt die Gefahr, dass israelbezogener Antisemitismus, der Aufklärung entzogen, „erst recht verstärkt wird: indem man dem Kirchentag und seinen auch jüdischen Teilnehmern nun leicht vorwerfen kann, die Wahrheit zu verschweigen.“

Quelle      :            TAZ-online         >>>>>      weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben      —       The war of Independence. Arab People fleeing from their galilee villages as israeli troops approach (30/10/1948). תושבים ערבים במנוסה מכפרם לאחר הכניסה של הכוחות הישראלים לשטח

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Ein patriotisches Bekenntnis

Erstellt von DL-Redaktion am 8. Juni 2023

Der Beitrag von Kirche und Staatsreligion zur herrschenden Kriegsmoral

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Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von               :      Manfred Henleon

Anlässlich der Verleihung des Karlspreises 2023 an den ukrainischen Oberbefehlshaber und dem ihm unterstehenden ukrainischen Volk für seinen Opfergang im übergeordneten NATO-Interesse, sehen sich Kirche und herrschende Staatsreligion aufgefordert, auch ihrerseits einen unbedingt offensiv-konstruktiven Beitrag zur herrschenden Kriegsmoral und Kriegspropaganda zu leisten.

1. Ein patriotisches Bekenntnis

Dies gemäss kirchlich-religiöser Tradition in Form einer Predigt und in Gestalt eines kirchlichen Würdenträgers, eines Bischofs. Eines Bischofs, der „bewusst als Angehöriger meines Volkes…als Deutscher“1 spricht. Das patriotisch-parteiliche Bekenntnis von Kirche und etablierter Staatsreligion zur demokratisch herrschenden „weltlichen Obrigkeit“ und ihrer jeweiligen Staatsräson ist erstens verlangt und zweitens Grundlage der staatlich erlaubten und gebotenen Freiheit der religiösen Verkündung und Betätigung.

Drittens gebietet das religiöse Selbstverständnis von sich aus, dem Bösen und Sündhaften entgegen zu treten. Diesen drei Maximen entsprechend haben Vatikan, Kirche und Staatsreligion seit jeher, von einigen wenigen und insofern harmlosen Abweichlern abgesehen, jede Gewalttat und Schlächterei ihres irdischen Oberhirten und Herren befürwortet und den kirchlich-religiösen Segen einschliesslich der Sieges-Hoffnung für das eigene Allgemeinwohl erteilt: sei es durch affirmatives Schweigen oder gleich als offensiv-militantes Bekenntnis zur herrschenden Kriegsmoral. Die hat heute dieses Gesicht:

Mit dem Ukrainekrieg und der von ihm – angeblich sachzwangmässig – ausgelösten »Zeitenwende« hat sich in Kürze eine Kriegsmoral durchgesetzt, die die neuen Zeiten beinahe euphorisch als Beendigung der westlichen Agonie des Zauderns und Zögerns begrüsst. Militarisierung, erfolgreiche Kriegsführung, innere Feindbekämpfung und eine unverbrüchliche Partnerschaft mit den Freiheitskämpfern der Ukraine geben den Ton an und abweichende Meinungen werden immer weniger toleriert. (N.Wohlfahrt/J.Schillo,2023)2

Die kirchlich-religiöse Befürwortung der jeweils geltenden Kriegsmoral, Kriegspropaganda und eines geplanten oder laufenden Krieges ist zwar im Westen nichts Neues. Wie sich gegenwärtig das militant-gewaltbereite, religiöse deutsche Bekenntnis in seiner Predigt und Fürbitte für den Sieg über Russland unter Indienstnahme der ukrainischen Bevölkerung vorträgt und begründet, ist einer kurzen, näheren Betrachtung würdig.

2. Der Krieg als anthropologische Verharmlosung

Dass die demokratische Obrigkeit jederzeit gewaltbereites Subjekt und Veranstalter des Krieges und der damit angeordneten Gewalttat und Schlächterei mithilfe modernster Waffengattungen um des Kriegsziels und Sieges willen ist, ist ein unangenehmer Sachverhalt und wirft kein gutes Licht auf dieses zu jeglicher Gewaltanwendung bereite politische Subjekt. Dieser Sachverhalt bedarf einer grundsätzlichen Umdeutung und kirchlich-religiösen Ermahnung:

„die Gewalttätigkeit des Menschen hat ihren Ursprung nicht etwa in der Religion selbst, sondern im Herzen des Menschen. Gewalt entsteht immer zuerst in unserem eigenen Denken, Sinnen und Trachten.“

Entschuldigt und aus der Schusslinie genommen sind somit Religion und Staat: Erstere in neuerer Geschichte als Befürwortung und Seligsprechung staatlicher und kriegerischer Gewalt, Letzterer als Urheber und Autor der diversen Schlachtfelder und des Abschlachtens. Die „Gewalttätigkeit“, die in uns allen lauert, bricht sich einfach, grundlos und unberechenbar ab und zu Bahn und ergibt dies moralisch und menschlich-human nicht hinzunehmende Resultat:

Und wie der Krieg so alle Gewaltausbrüche Einzelner oder im Kollektiv spontan oder als organisierter Mob auf der Strasse oder in Hooligan-Fan-Gruppen im Sport oder in netzwerkartig organisierter Kriminalität.

Dergestalt die staatliche Gewaltbereitschaft zum Krieg und die demokratisch organisierten Kriege in eine anthropologische Natureigenschaft urmenschlicher Böswilligkeit verharmlost und entpolitisiert, ruft, sehnt sich nach einer überlegenen ordnenden Gewalt, die der böswilligen menschlichen Gewalt, dem „dauernden Drang zur Selbstgerechtigkeit, denn das ist die Quelle aller Gewalt im Herzen des Menschen: die isolierte Selbstbezogenheit“ Einhalt gebietet.

3. Gewalt und Krieg – Höhepunkt der abendländischen Zivilisation und Menschlichkeit

Gottlob, aber keineswegs zufällig, steht die Errettung der Menschlichkeit und Menschheit gegenüber ihrer eigenen böswilligen, anthropologisch verankerten Gewaltbereitschaft längst vor der Tür; und tritt als zivilisatorischer Höhepunkt dem urzeitlich-paläogenetischen Willen zur Gewaltbereitschaft entschieden gewaltbereit entgegen:

Jahrtausende unserer europäischen Geschichte hat es gebraucht, bis wir das strikte Gewaltmonopol des Staates erreicht hatten. Zu dieser zivilisatorischen Errungenschaft gehört es, dass ausschliesslich Polizeikräfte und das Militär Gewalt einsetzen dürfen, dies aber wiederum nur im Rahmen des Rechtsstaates zur Sicherung und Durchsetzung des Rechts im Inneren und zur Verteidigung der staatlichen Sicherheit nach aussen im Rahmen des Völkerrechts.

File:2022 Aachen, Centre Charlemagne (53).jpg

Die als offensiv-konstruktiver Beitrag zur herrschenden Kriegsmoral und Kriegspropaganda vorgetragene Predigt und Fürbitte seitens der Kirche und Staatsreligion feiert die deutsch-europäische und westliche staatliche Gewalt mit ihren Kriegen als eine „zivilisatorische Errungenschaft“, die „wir“, als der europäische, also der vorbildlichste Teil der Menschheit, „uns“ gegeben haben. Die Rechtfertigung und Lobpreisung dieser „zivilisatorischen Errungenschaft“ machen andererseits einige Auslassungen in der historischen Erinnerungsarbeit notwendig: Kriegsführung nach dem Prinzip Shock and Awe („Angst und Entsetzen“), hie und da ein kleiner Wort- und Völkerrechtsbruch, hie und da ein Krieg auch ohne UN-Mandat, hie und da Erschaffung von und Kooperation mit Diktaturen, „Autokratien“ und ähnlichen „Werte-Partnern“, inklusive Folter und eigenen Foltergefängnissen, natürlich blacksites – und dergleichen mehr. Solche Erinnerungen vertragen sich nicht gut mit der herrschenden Kriegsmoral und Kriegspropaganda.

Und kommen sie doch zur Sprache so ist ausgemacht, dass sie der russischen Fehl- und Desinformation, Faktenfälschung, Putinversteherei und Putin-Parteinahme im ausschliesslich russisch geführten Informationskrieg entspringen. Gleichermassen und insbesondere gilt dies der 30-jährigen Vorgeschichte und gegenwärtigen Geschichte zum Krieg in der Ukraine: Vorgeschichte und gegenwärtige Geschichte sind öffentlich so zubereitet, dass die kriegsmoralisch und kriegspropagandistisch relevante Frage von Schuld und Bösartigkeit, von Unschuld und Gutwilligkeit, von Aggression und Verteidigung, von Täter und Opfer keine öffentliche Frage mehr ist. Die Rollenverteilung ist auch für Kirche und Staatsreligion geklärt, denn: „Es gilt das gesprochene Wort“.

Die auf diese Weise moralisch bereinigte westliche Gewaltbereitschaft und Gewalt ist nur gerecht: Im Krieg des Westens gegen die Russische Föderation mittels des ukrainischen Territoriums und der ukrainischen Bevölkerung erweisen sich kontinuierlich eskalierende Waffenlieferungen, die Aufherrschung eines gnadenlosen Stellungs-, Graben- und Zermürbungskrieges bis hin zur Hinterlassenschaft einer ruinierten, gegebenenfalls auch atomar verseuchten Ukraine3 als gerechter Krieg (bellum justum). Der erteilt seinen kriegsmoralischen Segen dem demokratisch ohnehin beschlossenen Krieg (jus ad bellum) gegen Russland einschliesslich der Beachtung des humanitären Rechts im Krieg (jus in bello). In dem zählt ausschliesslich der kompromisslose militärische und weltpolitische Sieg über Russland. Und da geht es um nichts Höheres als:

„Das weit verbreitete Wort ist wahr: Krieg ist eine Niederlage der Menschlichkeit.“

Und, wie bekannt, sind Kriege zur Verteidigung der Wahrheit, der Menschheit und der Menschlichkeit gegen das Unwahre und Unmenschliche die rücksichtslosesten und grausamst geführten Kriege. Dieser „zivilisatorischen Errungenschaft“ des Westens und der NATO nach sieht die Ukraine gegenwärtig aus.

In der kriegsmoralischen und kriegspropagandistisch öffentlich erzeugten Betrachtungsweise stellt die weltweit agierende, kriegsträchtige, NATO-bewaffnete europäische Friedensordnung die „Höhe der Zivilisationsgeschichte der Menschheit“ dar. Diese Friedensordnung hat es neben ihren in aller Handlungsfreiheit veranstalteten zahllosen Kriegen zur faktischen Eingemeindung der Ukraine in die NATO und in das Projekt der endgültigen Herabstufung oder Zerstörung Russlands mittels des Krieges in der Ukraine gebracht. Diese „grossen zivilisatorische Errungenschaft der Menschheit“ gilt es mit aller gebotenen Gewalt zu verteidigen. Will heissen, zu ihrem erfolgreichen Abschluss zu bringen.

4. Das ukrainische Erfolgsmodell – zivilisatorisches Schutzschild gegen das Böse

Das westliche Angebot an die Ukraine, sich im Krieg gegen Russland zu bewähren und in diesem westlicherseits ihm angetragenen Überlebenskampf seine Staats- und Nationenwerdung als antirussischer NATO-Frontstaat zur Vollendung zu bringen, lässt sich die ukrainische Führung nicht zweimal sagen. Mittels Eingemeindung in EU und NATO sich einen rein ukrainischen Erfolgsweg zu eröffnen und sicherzustellen, um innerhalb uns ausserhalb der EU ein respektables aussenpolitisches Gewicht zu erlangen, ist längst ukrainische Staatsräson und geht konform mit dem westlichen Kriegsziel der Benutzung der Ukraine als Waffe zur weltpolitischen Zurückstufung oder definitiven Zerstörung Russlands. Dementsprechend herrscht Einigkeit in der Bestimmung des gegenwärtigen, realen Hauptfeindes – als Verkörperung des Aggressiven und Emanation des Bösen schlechthin: kriegsmoralisch, kriegspropagandistisch und kirchlich-religiös gewendet. In ukrainischen Worten:
Ukraine is now the wall that protects European civilization, so it is in the interests of Western partners to provide the Armed Forces of Ukraine with as many modern weapons as possible. We tell them [NATO] that even after the victory, Russia will not change immediately… This means that we are the eastern shield of European civilization that continues to defend European civilization. We are the wall, as the famous TV series [Game of Thrones] shows, on which we stand and hold the defense and will continue to do so.4

Kein Wunder also, dass sich die anthropologische Natureigenschaft urmenschlicher Böswilligkeit wie von selbst gegenwärtig in Russland Bahn bricht. Wie Zeitenwende und Kriegsmoral gebieten, offenbart sich, wie kann es anders sein, der „dauernden Drang zur Selbstgerechtigkeit…die isolierte Selbstbezogenheit..“ in Russland: „Das sage ich bewusst als Angehöriger meines Volkes.“ Dem so eindeutig identifizierten Bösen mit dem seiner Natur entsprechenden „verbrecherischen Angriffskrieg“ nicht entschlossen und mit aller Gewalt entgegenzutreten, bedeutete:

Ihn zu akzeptieren oder gar akzeptabel machen zu wollen durch beschwichtigendes oder wahrheitswidriges Appeasement, verletzt und verlässt die Höhe der Zivilisationsgeschichte Europas und der Europäischen Einigung.

5. Das Evangelium der Zeitenwende

„Das Geheimnis der Göttlichen Dreifaltigkeit“ in Form der bischöflich-religiöse Segnung, Feier und Verherrlichung westlicher „Gewalt als Mittel der Politik“ stellt klar, dass die demokratisch geläuterte Staatsreligion, „hier insbesondere die christliche“, keinesfalls „immer neu aus der Betrachtung der Heiligen Schrift“ als Quelle ihre geistliche Inspiration gewinnt. Vielmehr und ganz im Gleichklang mit seinem irdischen Herren, liefert das Gebot „Haltet Christus heilig in euren Herzen als euren einzigen Herrn!“ mit seinem kriegsmoralisch-patriotischen Bekenntnis einen konstruktiv-militant gemeinten Beitrag dazu, dem ukrainischen und NATO-Kriegsziel rückhaltlos zuzustimmen und jeglichen pazifistischen Anflug als „beschwichtigendes oder wahrheitswidriges Appeasement“ moralisch herabzusetzen und zu exkommunizieren.

Sosehr sich die etablierte Staatsreligion vorbehaltlos für „die Verbindung der Religion mit der Gewalt“ ausspricht hinsichtlich der heute gültigen, produktiven Arbeitsteilung „Nur der Staat trägt das Schwert, nicht aber die Religion!“; und in dem Sinn „Staat, Nation und Kirche eins werden“, sowenig kann davon die Rede sein: „Das Reich Christi ist nicht von dieser Welt.“ Mehr Weltgebundenheit des Reiches Christi in der gegenwärtigen Zeitenwende-Zivilisation, da Staat, Nation und Kirche einschliesslich der medialen Öffentlichkeit sich hinsichtlich des Hauptfeindes einig sind und „keine kritisch-konstruktive Distanz mehr zueinander wahren“, ist schwer vorstellbar.

Die exklusive Quelle auch der geistlich-religiösen Inspiration ist die weltpolitische Zurückstufung oder Zerstörung Russlands. Darin ist das Evangelium der Zeitenwende zusammengefasst. In dem Sinn das Gebet und die Fürbitte: „…möchte ich auch als Deutscher die Verleihung des Karlspreises an Präsident Selenskyj und an das ukrainische Volk heute ausdrücklich begrüssen!… Amen.“

Fussnoten:

1 Predigt von Bischof Dr. Helmut Dieser am Sechsten Sonntag der Osterzeit, 14. Mai 2023, in der Hohen Domkirche in Aachen, unter: https://www.karlspreis.de/Portals/0/pdf/Predigt-von-Bischof-Dr_-Helmut-Dieser-vor-Verleihung-des-Karlspreises-2023.pdf?ver=2023-05-15-170109-080; soweit nicht anders vermerkt entstammen alle folgenden Zitate dieser bischöflichen Predigt.

2 Norbert Wohlfahrt/Johannes Schillo Die deutsche Kriegsmoral auf dem Vormarsch Lektionen in patriotischem Denken über »westliche Werte«, Berlin, 2023: 125.

3 Zumindest verseucht durch panzerbrechende, abgereichtere Uranmunition, die die USA und der NATO-Westen ab 1990 auf ihren diversen Kriegsschauplätzen zum Einsatz gebracht haben; und zwar: 1990/1991 im Golfkrieg gegen den Irak, 1992-1995 in Bosnien/Herzegowina, 1999 in Kosovo/Serbien/Montenegro, 2003 im Golfkrieg gegen den Irak, in Syrien ab 2011. vgl. dazu: https://www.truppendienst.com/themen/beitraege/artikel/uran-munition-sondermuell-auf-dem-gefechtsfeld Die britische Entscheidung, der Ukraine panzerbrechende DU-Munition zu liefern bereichert die Welt nebst einem Balkan- und Golfkriegsyndrom demnächst wohl um ein Ukrianesyndrom; vgl. dazu: https://www.berliner-zeitung.de/open-source/krieg-britische-regierung-will-uranmunition-an-ukraine-liefern-trotz-gefahr-fuer-leben-und-gesundheit-li.337209; und: https://www.infosperber.ch/politik/welt/england-liefert-der-ukraine-munition-mit-abgereichertem-uran/

4 So der ehemalige ukrainische Verteidigungsminister Reznikow am 24.4.2023, unter: https://www.ukrinform.net/rubric-polytics/3702002-ukraine-is-shield-that-protects-european-civilization-reznikov.html; ssowie unter: https://twitter.com/ZentraleV/status/1612014109473521664

Quellen:

Norbert Wohlfahrt/Johannes Schillo, Die deutsche Kriegsmoral auf dem Vormarsch Lektionen in patriotischem Denken über »westliche Werte«, Berlin, 2023 vgl. auch unter:

Internetquellen:

Predigt von Bischof Dr. Helmut Dieser am Sechsten Sonntag der Osterzeit, 14. Mai 2023, in der Hohen Domkirche in Aachen, unter: https://www.karlspreis.de/Portals/0/pdf/Predigt-von-Bischof-Dr_-Helmut-Dieser-vor-Verleihung-des-Karlspreises-2023.pdf?ver=2023-05-15-170109-080;

Berliner Zeitung, 19.4.2023: Uranmunition in der Ukraine – trotz Gefahr für Leben und Gesundheit? https://www.berliner-zeitung.de/open-source/krieg-britische-regierung-will-uranmunition-an-ukraine-liefern-trotz-gefahr-fuer-leben-und-gesundheit-li.337209; und: https://www.berliner-zeitung.de/open-source/krieg-britische-regierung-will-uranmunition-an-ukraine-liefern-trotz-gefahr-fuer-leben-und-gesundheit-li.337209 Infospreber, 25.5.2023: England liefert der Ukraine Munition mit abgereichertem Uran https://www.infosperber.ch/politik/welt/england-liefert-der-ukraine-munition-mit-abgereichertem-uran/

Ehemaliger ukrainischer Verteidigungsminister Reznikow, 28.4.2023: https://www.ukrinform.net/rubric-polytics/3702002-ukraine-is-shield-that-protects-european-civilization-reznikov.html; sowie unter: https://twitter.com/ZentraleV/status/1612014109473521664https://www.ukrinform.net/rubric-polytics/3702002-ukraine-is-shield-that-protects-european-civilization-reznikov.html

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Das Ende des Kapitalismus

Erstellt von DL-Redaktion am 31. Mai 2023

Funktionsweise und Abschaffung

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von      :      Gerd Stange

Das Buch von Ulrike Herrmann mit diesem Titel macht Hoffnung, denn es trifft auf grosses Interesse. Leider ist ihre Analyse unzulänglich, auch wenn sie sich auf Karl Marx beruft.

Die Produktion braucht:1. Menschen
2. Natur (Boden, Rohstoffe)
Sie sind die einzigen Quellen von Reichtum. Für den Produktionsprozess brauchen wir ausser Menschen und Natur noch 3. Produktionsmittel
3.1. Boden
3.2. Gebäude
3.3. Arbeitsmittel und Maschinen

Voraussetzungen für kapitalistische Produktion sind zusätzlich

4. Privateigentum an Produktionsmitteln
5. Bürgerliche Freiheit : Mittellose freie Arbeitskräfte
6. Marktwirtschaft
7. Reichtum und Armut: Ursprüngliche Akkumulation
8. Konkurrenz um Profit

In der Feudalgesellschaft am Ende des Mittelalters beruhte die Herrschaft des Adels auf nackter physischer Gewalt. Der Ritter war der Reiter mit Dolch, Schwert und Lanze. Ihm beiseite stand die geistige Macht der Kirche mit ihrem Geheimwissen (Bibel auf Latein) und dem Analphabetismus der Landbevölkerung. Die arbeitende Bevölkerung waren Leibeigene oder Sklaven.

Ausser den Produktionsmitteln Boden und Gebäuden musste der Kapitalist also genügend Geld haben, um sich die Produktionsmittel zu kaufen oder zu mieten. Im letzteren Fall musste er kreditwürdig sein, also genügend Geld zur Absicherung haben. Das bedeutet heute: Sein monatlicher Überschuss muss dauerhaft das Dreifache seines Darlehens betragen, sonst gibt die Bank keinen Kredit.

Seit Abschaffung der Leibeigenschaft und der Sklaverei muss die Arbeitskraft gemietet werden. Dafür mussten die Menschen befreit werden und mittellos sein. Die formale Freiheit warf sie auf den Arbeitsmarkt, denn gleichzeitig wurde das Land, von dem sie bis dahin gelebt hatten, privatisiert. Die gemeinschaftliche Verfügung über den Boden (Allmende) wurde mit Gewalt beseitigt und war ein entscheidender Schritt der ursprünglichen Akkumulation, der zuerst in der feudalen englischen Gesellschaft geschah (vor dem Kapitalismus). Freiheit und Mittellosigkeit bedeutet bis heute weiterhin Arbeitszwang, auch wenn die körperliche Arbeit überwiegend von Ausländern oder im Ausland gemacht wird.

Das machte es damals den Kapitalisten möglich und macht es heute immer noch, nicht die geleistete Arbeit zu bezahlen, sondern den Lebensunterhalt − wie in anderen Gesellschaften den Sklaven oderLeibeigenen. Die Länge und Intensität der Arbeit bestimmt das Kapital. Durch die gewerkschaftliche Organisierung wurde der tödlichen Ausbeutung im Raubtierkapitalismus eine Grenze gesetzt, aber auch die gebildeteren Mittelschichten übersehen, dass sie ihre Arbeit nur notwendigerweise machen. Die Identifikation mit dem Beruf (Frage: „Was bist du? Ich meine: von Beruf?“ täuscht darüber hinweg, dass erst im Rentenalter die Freiheit beginnt, falls das Rentenalter erreicht wird und die Rente zum Leben reicht.

Die Arbeitszeit ist nicht bestimmend für die Bezahlung, sondern ihr Wert, der sich nach den Kosten des Lebensunterhaltes der „Besitzer“ der Arbeitskraft richtet. Früher war das klassisch eine Arbeiterfamilie. Heute kann sich der Kapitalismus nicht mehr leisten, auch noch die Frau des Arbeiters zu bezahlen, weil sie eine billigere „Ressource“ in vielen Bereichen ist, wo die Männer ungeübt sind.

Der Gewinn des Kapitalisten entsteht daraus, dass er die geleistete Arbeit nicht bezahlt, sondern nur die Miete der Arbeitskraft.

Kredit ist keine Voraussetzung für den Kapitalismus, sondern ein teures Accessoire, das es schon lange zuvor gab, wie Ulrike Herrmann gut beschreibt. Geld kann nur zu Kapital werden, wenn es die Voraussetzungen erfüllt und in die Produktion gesteckt wird. Und Kredit kann es nur geben, wenn schon Kapital vorhanden ist. Deshalb ist Finanzkapital kein Kapital im Sinne des Kapitalismus, denn es bestand schon vor ihm. Es gehört zur Voraussetzung der ursprünglichen Akkumulation von Reichtum. Anders gesagt: Der Feudalismus ist nicht abgeschafft. Der Adel hat nicht nur Schlösser und Geld, sondern auch Wälder, Bodenschätze und einen Hang zum Militär, wo er im 2. Weltkrieg eine grosse Rolle spielte. Durch den Schutz des Privateigentums ist sein Weiterbestand gesichert.

Das Finanzkapital wächst in der Regel auch dann, wenn es nicht in Kapitalunternehmen angelegt wird, aber es ist verwundbarer, es kann durch Inflation oder staatliches Handeln wertlos gemacht werden. Seitdem Geld an keine Materie mehr gebunden ist, kann es nach Belieben auf und abgewertet werden und sehr flüchtig sein. Geldvermögen können innerhalb von Minuten vernichtet werden.

Kapitalismus ist also, dass Geld mit den oben genannten Produktionsmitteln in die Herstellung von Waren gesteckt wird. Dabei interessiert der Kapitalismus sich nicht ernsthaft für den Gebrauchswert (China macht es besonders deutlich), sondern nur für den Tauschwert der Produkte. Er will sie als Ware verkaufen, mehr nicht. Zu seinen Voraussetzungen zählen also frei Märkte ohne Beschränkungen. Die liberalen Parteien, die für bürgerliche Freiheit kämpfen, haben also auch noch den freien Markt im Forderungskatalog. Sie haben die Globalisierung vorangetrieben – insbesondere für die nationalen Monopole, die auf den Weltmarkt angewiesen sind. Zölle sind eine Reduzierung des Gewinns.

Konkurrenz

Sie ist der Motor und das Verhängnis kapitalistischer Produktion. Die Aussicht auf Profit kurbelt die Produktion an, solange die Nachfrage wächst. Am Ende bleiben die Waren mit der geringsten Profitspanne unverkäufliche und einige Wettbewerber scheiden in der Krise aus. Arbeitskräfte werden entlassen, technische Neuerungen entwickelt, so dass die verbleibenden Konkurrenten profitabler mit weniger Menschen weitermachen können. Dieser Prozess hat in einigen Branchen (von der Automobilindustrie bis zur Agrikultur) zur Einführung von Robotern und Monopolähnlichen Strukturen auf Weltniveau geführt.

Die Planwirtschaft hat seit 1918 in zahlreichen Ländern immer wieder gezeigt, dass sie dem Kapitalismus unterlegen ist, weil sie das Konkurrenzprinzip aufgibt und die gesellschaftlichen Bedürfnisse von oben bestimmt. Zuletzt hat die VR China ihren Kurs gewechselt und den Kapitalismus zugelassen, bevor sie den USA unterlegen und untergegangen wäre. Mit dem Einzug des Kapitalismus kam es dort schliesslich auch zu einer Überproduktions und Gesundheitskrise trotz Planwirtschaft.

Entstehung von Profit

Wert Wenn alle Produktionsmittel gekauft sind und die Arbeit gemacht ist, ergeben sich zwei Werte des Produktes. Der erste ist der Gebrauchswert, der nicht quantitativ zu bemessen ist, weil er die Qualität des Produktes für den Gebrauch meint. Für den Tausch jedoch, also den Verkauf als Ware erhält das Produkt einen Tauschwert, der den eigentlichen Wert des Produktes übersteigt, weil der Kapitalist einen Profit aufschlägt. Sonst würde er sich nicht auf diesen Prozess einlassen. So wird aus dem Tauschwert der Preis. Der ganze Produktionsprozess könnte also ohne den Kapitalisten billiger sein, zumal er in der Regel die Produktionsleitung nicht selbst macht. Facebook sähe anders aus, wenn kein Zuckerberg mehr Hass predigen würde, weil Hass den optimalen Profit bringt, und wäre preiswerter. Der Einsatz von Geld in die Produktion hat zwei Stellschrauben:

1. Wert der Ware Arbeitskraft
2. Einsatz von Technik

Bei gleichem Stand der Technik kann nur durch Verbilligung der Arbeitskraft ein höherer Preis erzielt werden. Das hat die Auslagerung vieler Industriezweige nach Asien gezeigt. Aber irgendwann ist das ausgereizt. Also gibt es einen immanenten Druck, Arbeitskraft durch Technik zu ersetzen, die Produktionssteigerung möglich macht und damit den Tauschwert senkt. Dieser Druck hat letztlich zur Roboterisierung der Produktion geführt. Der Mensch in der Produktion wird abgeschafft und hört auf, neben der Natur eine Quelle des Reichtums zu sein.

Krisen

Es gibt Wirtschafts und FinanzKrisen.

Jede Wirtschaftskrise ist eine Überproduktionskrise und eliminiert alle Unternehmen, die nicht auf dem technischen Stand sind oder zwingt sie zur weiteren Technisierung. Zugleich entlässt sie die überflüssig werdenden Arbeitskräfte und erzeugt Arbeitslosigkeit bei den Menschen. Jede Wirtschaftskrise bedeutet Produktionsrückgang, Entwertung und Vernichtung von Gebrauchswerten.

2008ff war eine Wirtschaftskrise, die durch Überproduktion entstanden ist. Vor allem Wohnraum in den USA, aber auch Automobile weltweit. Die Bankpleite von Lehmann Brothers hätte vermieden werden können, das war anscheinend nicht gewollt.

Die Überproduktion in der ökonomischen Krise ist systemimmanent, weil jedes einzelne Kapitalunternehmen maximalen Absatz sucht und es dafür keine Grenze gibt, denn die Konkurrenz würde sonst obsiegen. Der Raubbau an der Natur ist also ebenso zwangsläufig wie die Vernichtung von Gebrauchswerten durch Überproduktion. Diesen Wettkampf verlieren die Unternehmen, die den geringsten Profit erwirtschaften, so dass eine Kapitalkonzentration Richtung Monopol zwangsläufig ist. Am deutlichsten in der Luftfahrt und der Automobilindustrie zu sehen. Weitermachen dürfen die Firmen mit der grössten Gewinnspanne (Beispiel: Tesla). Wenn die Roboterisierung in allen Produktionsbereichen durchgesetzt sein wird, steht eine immer grössere Menschenmasse weltweit ohne Einkommen da, was die Migrationsströme und Verteilungskriege brutal verschärft. Für 8 Milliarden Menschen ist Flucht und Krieg keine Lösung. Das ist aber die logische Folge von Roboterisierung und Einsparung von Arbeitskräften. Vorübergehend wird der Profit für Musk & Co steigen, weil er Arbeitskräfte eingespart hat. Aber wenn alle Konkurrenten nachziehen und automatisieren, gibt es nichts mehr zu sparen für ExtraProfite.

Finanzkrisen hingegen sind Spekulationsfolgen, die wie in einem riesigen Casino die Geldbesitzer beschäftigen. Sie sind die Folge von Geldreichtum und können durch Geldentwertung gelöst werden. Finanzkrisen ziehen nicht zwangsläufig Wirtschaftskrisen nach sich, weil sie nur Geld entwerten, kein Kapital. Sie betreffen nur die mit Finanzen.

Abschaffung des Kapitalismus

Die Abschaffung des Kapitalismus kann nur gelingen, wenn seine Voraussetzungen und darüber hinaus seine Funktionsprinzipien abgeschafft werden.

Funktionsweise des Kapitalismus

Kapital ist Geld, das in die Produktion von Gebrauchswerten investiert wird, damit es mehr Geld wird. Es geht ihm ausschliesslich um Quantität, weil es selbst nur Quantität ist. Wachstum ist seine Zauberformel. Deswegen muss das Bruttosozialprodukt selbst dann immer wachsen, wenn ein Land im Überfluss schwimmt. In kaum einem Land ist der Wachstumsdruck höher als in der Schweiz.

Der kapitalistische Produzent ist also nur so weit an der Qualität des Gebrauchswerts seines Produktes interessiert, als er es auf dem Markt in Warenform verkaufen will. Für ihn ist es eine TauschwertProduktion zwecks Gewinnerzielung. Der Gewinn entsteht dadurch, dass er sich die Arbeit bezahlen lässt, die seine Arbeitskräfte in der Produktion hineingesteckt haben. Das ist seine einzige Stellschraube, denn der Stundenlohn verschleiert, dass nur ein Bruchteil des Wertzuwachses durch Arbeit bezahlt wird.

Schon lange ist die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse nicht mehr das Ziel, denn das wäre erreichbar, jedoch würde es Stillstand bedeuten. Stattdessen müssen ständig neue Bedürfnisse kreiert werden, um die Produktion am Laufen zu halten. Die Ausgaben für Werbung sind zu lästigen, aber notwendigen Kosten der Produktion geworden. Es gibt einen Überfluss an Überflüssigem und trotzdem nicht das Notwendige für alle. Eine Abkehr vom Kurzlebigen, Nutzlosen und Überflüssigen ist Voraussetzung für eine Gebrauchswertproduktion:

Die quantitative Tauschwertproduktion muss in eine qualitative Gebrauchswertproduktion verändert werden. Das Sozialprodukt darf nicht mehr am Tauschwert der Waren (folglich dem Preis) gemessen werden. Bestimmendes Kriterium für die Produktion muss die Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse durch entsprechend gebrauchsorientierte Waren sein. Den Gebrauchswert kann man nicht messen, nur erfragen und ständig verbessern: den Nährwert von Nahrungsmitteln, die Haltbarkeit von Kleidung, die Umweltverträglichkeit…

Für eine Gebrauchswertorientierung bedarf es gesellschaftlicher Diskussionsprozesse, also einer Neuerfindung und Erweiterung der Demokratie. In diesem Bereich könnten soziale Medien ihrem Namen gerecht werden. Keine Planwirtschaft von oben kann ernsthaft die Bedürfnisse bestimmen. Sie hat in England im Krieg funktioniert, weil es eine nationale Angelegenheit war, in der es um das Überleben ging.

In einer nachkapitalistischen Gesellschaft muss sich unser ausbeuterisches Verhältnis zur Umwelt verändern, das den Menschen und die Natur gleichermassen unterwirft, missbraucht, vernichtet, mit Krieg und Forstwirtschaft die Erde verwüstet, mit Verkehrsmitteln und Agroindustrie uns die Luft zum Atmen nimmt. Es geht nicht darum, einen bestimmten erreichten Standard zu bewahren, sondern unser Verhalten und die Verhältnisse zu verändern. Der Mensch ist nicht die Krone der Schöpfung, die sich die Natur zum eigenen Nutzen unterwerfen soll. Er muss sich als Teil der Natur begreifen, die dabei ist, sich massiv gegen sein Schmarotzertum zu wehren. Es ist Konsens in der Wissenschaft, dass die Pandemien weiter zunehmen werden, und sie betreffen vor allem die sogenannte zivilisierte Welt.

Vergesellschaftung der Produktionsmittel: Die Enteignung zum Wohle der Gemeinschaft ist im Grundgesetz enthalten. Sie müsste ersatzlos sein, denn dieses Privateigentum basiert historisch auf Raub oder anderer gewaltsamer Aneignung. Das gilt insbesondere für adligen Grossgrundbesitz (zum Teil aus dem Mittelalter) und für Kolonien, in denen viele Bodenschätze Westeuropas lagern.

Geldreichtum müsste begrenzt und von einer Währungsreform begleitet werden, um die extreme Ungleichheit nicht fortzusetzen.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

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DER ROTE FADEN

Erstellt von DL-Redaktion am 25. Mai 2023

Eine große Woche für den Antisemitismus geht zu Ende

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Durch die Woche mit Adriane Lemme

Das Prinzip Antisemitismus funktioniert – immer anders, aber zuverlässig. Das haben diese Woche Elon Musk und Roger Waters vorgeturnt.

„A Great Day for Freedom“ heißt ein Song von Pink Floyd. Ein ziemlich guter, wie viele ihrer Songs. Diese Woche war leider eher a great week for Antisemitismus. Auch und vor allem dank Roger Waters, einst Mitgründer und Chef-Songschreiber von Pink Floyd, heute eher singender Reichsbürger.

Okay, den Davidstern auf dem Schwein lässt er inzwischen weg. Und er hat – sicher ist sicher – vorher per Durchsage kundgetan, kein Antisemit zu sein. Puh, ach so, na dann. Rock on. Die Show in Berlin war dann aber, nach allem, was kolportiert wird, doch nur eine seiner Weltanschauung. Die ist as plump as possible, Gut gegen Böse. Und böse ist nicht etwa Putin, sondern Biden und Obama. Und wenn man schon nichts gegen Juden oder Israelis sagen darf, buhu, dann halt: „Fuck Krieg gegen den Terror“, hehe, immer schön quergeschnitten mit dem Leid der Palästinenser. Da versteht auch jeder, wer und was gemeint ist. Das ist Gehirnwäsche, keine Kunst.

Deshalb sind auch alle Verteidigungen à la „Freiheit der Kunst“ bei solchen Typen unangebracht. Klar, Kunst muss frei und in ihrer Freiheit geschützt sein, das steht außer Frage. Aber sie muss halt den Anspruch von Kunst erfüllen, um solche zu sein: Ein Mindestmaß an Transzendenz. Denn, sorry, ein politisches Statement ist genau das – aber eben noch lange keine Kunst. Aber genau deshalb kann natürlich Kunst selbst von solchen Firecrackers wie Waters – sprich seine alten Songs – weiter Kunst und als solche geschützt sein. Aber dazu haben sich diese Woche ein paar klügere Leute als ich im Haus der Wannseekonferenz Gedanken gemacht.

Aber ganz ehrlich: In jüngster Zeit habe ich persönlich ziemlich viel Agitprop gesehen, die sich einfach das Label Kunst aufgeklebt hat. Ja, ich denke da auch an die vergangene documenta. Aber hey, in Berlin störte sich anscheinend niemand an Waters’ Judenhass-Show – zumindest gab’s keinen großen Protest. Aber vielleicht ist er in guter Gesellschaft.

Israels Politik vergleichbar mit die der Nazis?

36 Prozent der Deutschen finden einer Studie der Bertelsmann Stiftung zufolge, dass Israels Politik mit der der Na­tio­nal­so­zia­lis­t:in­nen verglichen werden kann. Und die Amadeu Antonio Stiftung hat am Mittwoch ihr jüngstes „Zivilgesellschaftliche Lagebild Antisemitismus“ vorgestellt.

Kabinett Hitler

Darin geht’s unter anderem um die enge Verbindung des durchaus auch in linken Kreisen verbreiteten Antiamerikanismus zu antisemitischen Wahnvorstellungen; und darum, wie sich infolge des Ukrainekriegs, auch getrieben von diesem Antiamerikanismus, eine neue „Friedens“-Querfront bildet. Klar, der wahre Feind ist kein russischer Kriegsverbrecher, sondern der Kapitalismus und dieser ganze modernistische Materialismus.

Wie absurd derlei Logiken sind, wurde die Woche perfekt vorgeturnt von Elon Musk – einem, vorsichtig ausgedrückt, prominenten Vertreter des Kapitalismus. Über den Finanzier und Holocaustüberlebenden George Soros twitterte der Twitter-Chef, dieser hasse die Menschheit und wolle „die Struktur der Zivilisation zersetzen“.

Antisemitische Bilder immer zurechtgehauen

Er erinnere ihn an den ­Marvel-Schurken ­Magneto – in den Comics ebenfalls ein Holocaustüberlebender und später selbst Massenmörder. Soros ist immer wieder Angriffsziel von US-Rechten – denen Musk nahesteht. Einer ihrer Vorwürfe: Soros unterstütze bei Wahlen eher tendenziell linke Staatsanwälte.

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Kolumne-Fernsicht-Israel

Erstellt von DL-Redaktion am 13. Mai 2023

Klassenfahrt zu Denkmälern für Antisemiten

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Von Hagai Dagan

Polen und Israel sind vor nicht allzu langer Zeit über ein Abkommen einig geworden, das die Besuche jugendlicher israelischer Delegationen in Polen regelt und einen jahrelangen diplomatischen Streit beendet.

Die Besuche in den Konzentrationslagern sind ein Erziehungsritual und aus dem Curriculum staatlicher israelischer Schulen nicht wegzudenken. Tatsächlich aber sind sie umstritten.

Die Rechte und die politische Mitte Israels tendieren dahin, sie als pädagogische Notwendigkeit zu betrachten, während die Linke eher auf Distanz geht und sie als nationalistische Indoktrination ablehnt. Linke Lehrkräfte protestieren dagegen, dass die Schoah eine so zen­trale Rolle für die israelischen Identität spielt. Stattdessen müsse man sie als universales Phänomen betrachten.

Die Polen wiederum stören sich an der Tatsache, dass sie auf diesen Reisen oft in eine Reihe mit Antisemiten und Nazikollaborateuren gestellt werden. Die polnische Regierungspartei PiS versucht nun ein neues historisches Narrativ zu erstellen. Man könnte das Geschichtsbeschönigung nennen. Die neue Version stellt den polnischen Widerstand gegen die Nazis, den es in der Tat gab, in den Mittelpunkt und strebt gleichzeitig danach, die in der polnischen Bevölkerung damals durchaus vorhandene Kollaboration zu vertuschen. Dieses Narrativ stellt die Polen als zweifache Opfer dar: der Nazibesatzung und der sowjetischen Besatzung.

Diese Haltung spiegelt sich in gewisser Weise auch in der Wiedergutmachungsforderung Polens an Deutschland wider. Man ist Opfer – nicht Täter. Das ist insofern bemerkenswert, dass, auch wenn dieses Narrativ zum Teil unwahr ist, es doch die Einsicht signalisiert, dass die heutige Norm eine Distanzierung von jeglichem Antisemitismus erforderlich macht. Antisemitismus und Fremdenhass sind nicht mehr gesellschaftsfähig.

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Die europäische Rechte entwickelte über die Jahre eine gespaltene Identität. Sei ein Fremdenhasser daheim, aber ein bisschen weniger fremdenfeindlich, wenn du in die Öffentlichkeit gehst. Dieser heuchlerische Liberalismus löscht die Xenophobie nicht aus, aber es besteht doch ein Konsens darüber, dass die „Wahrheit“ verheimlicht werden muss. Die neue Rechte sagt nicht mehr: „Gut, dass die Juden vernichtet wurden“, sondern sie hält sich an die Version, dass es gar keinen Holocaust gegeben hat.

Auch die israelische Rechte befindet sich in einem Dilemma. Traditionell tendierte sie dazu, den Antisemitismus als Hauptmerkmal für Nichtjuden zu betrachten und beharrte darauf, dass die ganze Welt gegen uns ist. Wir sind die ewigen Opfer, deshalb müssen wir stark sein und erbarmungslos. Auf der anderen Seite empfindet die israelische Rechte in ihrer aktuellen Version eine Nähe zur europäischen Rechten und identifiziert sich mit ihrem Fremdenhass, vor allem mit der Islamophobie.

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75 Jahre Israel

Erstellt von DL-Redaktion am 7. Mai 2023

Mit offenen Grenzen

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Ein Debattenbeitrag von Hiba I Husseini und Jossi Bellin

Palästinenser und Israelis, die die Hoffnung auf Frieden nicht aufgeben, formulierten gemeinsam einen neuen Plan: die Konföderation im Heiligen Land.

Mag sein, dass der Osloer Friedensprozess tot ist. Eine Rechtfertigung, aufzugeben, ist das nicht. Deshalb haben wir, eine Gruppe von Palästinensern und Israelis, über zwei Jahre lang einen neu­artigen Vorschlag für eine Konföderation im Heiligen Land erarbeitet.

Seit Jahrzehnten trennt Palästinenser und Israelis im Friedensprozess eine Kluft. Verschiedene Vorschläge wurden zur Beilegung der Hauptstreitpunkte unseres Disputs gemacht: zum Verlauf der Grenze zwischen beiden Staaten, zur Zukunft von Jerusalem, dem Schicksal der israelischen Siedlungen und palästinensischen Geflüchteten wie auch zu kooperativen Sicherheitsregelungen.

Grundsätzlich besteht Einigkeit über die Prinzipien einer dauerhaften Konfliktregelung, wie sie die Resolution 2334 des UN-Sicherheitsrats aus dem Jahr 2016 festhält. Diese Prinzipien finden von allen Vorschlägen die größte Unterstützung bei Palästinensern und Israelis, auch wenn die Zustimmung bei beiden Völkern von einer absoluten auf eine relative Mehrheit sank. 30 Jahre nach Unterzeichnung der Osloer Prinzipienerklärung dauern Besatzung und Gewalt an.

Die Schuld dafür den Politikern zuzuschieben ist wenig hilfreich. Stattdessen könnten neue Ideen dieses stete Patt aufrütteln und Verhandlungen über eine dauerhafte Friedenslösung anstoßen. Angesichts der veränderten Ausgangslage erscheint es aussichtsreicher für eine bilaterale Einigung auf eine Zwei-Staaten-Lösung, wenn diese unter dem Schirm einer Konföderation konzipiert wird und wenn der Grundsatz der Gegenseitigkeit gilt.

Siedler könnten bleiben

Wenn also die israelische Führung nicht mehr gezwungen wird, Siedler aus ihren Häusern zu holen, sollte derselben Zahl von Palästinensern ermöglicht werden, sich in Israel anzusiedeln. Prinzipiell könnte diese Lösung auch ohne Konföderationsvereinbarung umgesetzt werden. Eine israelisch-palästinensische Konföderation, die sich am Modell der Europäischen Union orientiert, hätte allerdings den Vorteil, dass sie eine verstärkte Wirtschafts- und Sicherheitskooperation mit sich brächte.

Zudem würde dieses Modell Bürgerinitiativen die das gegenseitige Verständnis stärken wollen und die Ablehnung und Feindseligkeit auf beiden Seiten abbauen, die Arbeit erleichtern. Die Konföderation im Heiligen Land sieht vor, dass zehntausende Bürger der beiden Staaten mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht auf der jeweils anderen Seite der Grenze leben.

Die israelischen Siedler, deren Ortschaften auf dem Territorium des zukünftigen Palästinenserstaats bleiben, könnten wählen, ob sie nach Erhalt einer angemessenen Entschädigung nach Israel umziehen, oder sie bleiben in Palästina und halten sich an die dort geltenden Gesetze und Regeln. Eine ebenso große Zahl palästinensischer Bürger könnten umgekehrt mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht in Israel leben.

Kooperation statt Abgrenzung

Beide Gruppen, Israelis wie Palästinenser, nehmen jeweils an den eigenen nationalen Wahlen teil sowie an den Kommunalwahlen des Landes, in dem sie ihren offiziellen Wohnsitz haben. Sie genießen dort die gleichen bürgerlichen Rechte und erhalten die gleichen Sozialleistungen wie die Staatsbürger vor Ort. Palästinensische Geflüchtete von 1948 sollten in vereinbartem Umfang die Möglichkeit einer Einbürgerung haben.

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Zudem ist ein gemeinsames historisches Narrativ anzustreben, das die wichtigsten Wegmarken in den Jahrzehnten des Konflikts umfasst. Bislang erschien es unmöglich, sich auf mehr einigen zu können, als die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Geschichte zur Kenntnis zu nehmen. Sobald Kooperation den Vorzug vor Abgrenzung hat, wird sich das ändern. Die Grundlagen einer Konföderation, wie wir sie uns vorstellen, müssen nicht auf ewig Bestand haben, um einen wertvollen Beitrag zu leisten.

Es bleibt Israelis und Palästinensern überlassen, ob sie in der Zukunft stärker miteinander kooperieren oder eher weniger. Unverrückbar wird aber der Grenzverlauf zwischen den beiden Staaten sein. Dem Entwurf der Konföderation zufolge wird es einen sogenannten Landswap geben, dem zufolge Israel 2,25 Prozent der Westbank annektiert und eine gleich große Fläche an anderer Stelle an die Palästinenser abtritt.

Dementgegen flexibel wird – jeweils die beiderseitige Zustimmung vorausgesetzt – das Grenzregime und das Maß an Bewegungsfreiheit für Menschen und Güter. Im Abstand von mindestens allen vier Jahren sollte dann geprüft werden, ob weitere Liberalisierungen möglich sind. Ist aktuell der richtige Zeitpunkt für einen diplomatischen Vorstoß und kann der Vorschlag im herrschenden politischen Kontext den Friedensprozess wirklich neu beleben?

Quelle        :          TAZ-online         >>>>>       weiterlesen

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KOLUMNE-Fernsicht-Indien

Erstellt von DL-Redaktion am 6. Mai 2023

In Indien schreiben sie jetzt die Geschichtsbücher um

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Kolumne Fernsicht von  : PRIYANKA BORPUJARI

Das selektive Ausradieren der indischen Vergangenheit wurde lange vorbereitet – mit dem Ziel, die muslimische Bevölkerung auszugrenzen. Nun passiert es wirklich, und zwar in den Lehrbüchern für Geschichte. Nicht einmal mehr erwähnt wird dort nun das vom 16. bis zum 19. Jahrhundert existierende Mogulreich.

Dessen bedeutende Rolle für die Herausbildung einer „indischen Kultur“ soll fortan unterschlagen werden, denn man wolle doch die Arbeitsbelastung der Schulkinder senken. Aber wer ließ dann den Tadsch Mahal bauen, jenes prächtige Marmormausoleum aus dem 17. Jahrhundert, das auf jeder Tourismusbroschüre abgebildet ist? Das bleibt nun der Fantasie überlassen.

All das ist ein weiterer Schritt, um den rechtsgerichteten Hindufundamentalismus, auch Hindutva genannt, systematisch durchzusetzen. Die extrem rechte Hinduorganisation Rashtriya Swayansevak Sangh (RSS), die die ideologische Vorarbeit für die Regierungspartei Bharatiya Janata Party (BJP) macht, versucht schon lange, Indien als einen Staat für Hindus allein darzustellen. Niemand hat die Unruhen von 2002 nach einem Attentat auf einen Zug in Godhra im Bundesstaat Gujarat vergessen, als Mus­li­m:in­nen verbrannt, getötet und vergewaltigt wurden. Damals war ­Narendra Modi als Chief Minister der Regierungschef Gujarats. Sein Schweigen und seine Untätigkeit angesichts der Ausschreitungen waren vielsagend, sein Name kam in mehreren Petitionen vor, die Gerechtigkeit einforderten. Seit 2014 ist er Indiens Premierminister. In den neun Jahren seither hat fortgesetzte Gewalt gegen Mus­li­m:in­nen dazu gedient, seine Agenda des Hindu­staats zu fördern. Es überrascht kaum, dass auch die Godhra-Unruhen aus den Lehrbüchern getilgt worden sind.

Auch der Satz, dass Mahatma Gandhi „überzeugt war, dass jeder Versuch, Indien zu einem Staat nur für Hindus zu machen, Indien zerstören würde“, bleibt Schulkindern vorenthalten. Gandhi wurde bekanntlich von dem RSS-Anhänger Nathuram Godse erschossen. Muslime, die sich am Unabhängigkeitskampf gegen das britische Kolonialreich beteiligten, finden sich in den Lehrbüchern ebenso wenig wie Muslime, die an der Ausarbeitung von Indiens Verfassung beteiligt waren.

Über die Jahre sind von den Mogulherrschern erbaute Orte umbenannt worden. Die Zerstörung der Babri-Moschee in Ayodhya im Jahr 1992 wurde damit gerechtfertigt, dass sie auf dem Gelände eines Hindutempels stehe. Es war ein entscheidendes Vorhaben der RSS auf dem Weg weg von einem säkularen Indien hin zu einem rein hinduistischen Staat.

Quelle      :        TAZ-online        >>>>>       weiterlesen

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Kolumne-Fernsicht-Israel

Erstellt von DL-Redaktion am 8. April 2023

Für Benjamin Netanjahu ist noch kein Messias in Sicht

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Von Hagai Dagan

Die schweren Unruhen auf dem Tempelberg, die die Schlagzeilen im Heiligen Land beherrschen, könnten erneut zu militärischen Auseinandersetzungen führen und die Beziehungen Israels zu den Nachbarstaaten belasten.

Mag sein, dass die Ausschreitungen von palästinensischen Organisationen angefeuert wurden. Ihren Anfang nahmen sie indes, als jüdische religiöse Fundamentalisten mit der Absicht auf den Tempelberg zogen, dort eine Opferzeremonie abzuhalten. Die Misere ist, dass genau diese Fundamentalisten in der Regierung repräsentiert werden, namentliche durch die Minister Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich. Weitere extrem Religiöse, die in der Regierung sitzen, sind die Haredim, die ultraorthodoxen Juden. Sie lehnen es grundsätzlich ab, Opferzeremonien auf dem Tempelberg abzuhalten, aber auch sie versuchen, radikalreligiöse Gesetzesreformen voranzutreiben, die dem liberalen Charakter des Staates Israel widersprechen.

Eins dieser Gesetze verbietet die Missionierung, tatsächlich geht es dabei nur um die christliche Mission. Nach haredischer Logik sind Versuche seitens christlicher Organisa­tio­nen, die jüdische Öffentlichkeit zu beeinflussen gleichzusetzen mit dem Versuch, das jüdische Volk zu vernichten. Diese Logik stützt sich auf die Tradition, die religiöse Bekehrung als spirituelles Aussterben interpretiert. So empfinden die Haredim die physische Vernichtung der Juden und Jüdinnen in der Shoah und die Assimilierungsprozesse der Juden und Jüdinnen in die moderne Gesellschaft in Europa als gleichermaßen gravierend.

Die geplante Gesetzesreform alarmiert die US-Evangelisten. Ihre Haltung dem Staat Israel gegenüber ist sehr positiv. Traditionell unterstützen sie tatkräftig vor allem Israels Rechte. Diese Haltung stützt sich allerdings auf eine bestimmte Theologie. Demnach ist es die Aufgabe der Juden, den Boden für die Erlösung zu bereiten, und wenn es so weit ist und das Reich Gottes kommt, sollen sich alle Juden taufen lassen und Christen werden. Im Grunde wäre es schön, wenn sie schon jetzt damit anfingen.

Die Haltung der Haredim, die die evangelistische Mission als Ketzerei und Gräuel empfindet, ist für die Evangelisten unerträglich.

Für Regierungschef Benjamin Netanjahu wie auch für seine Koalitionspartner ist das ein Problem, denn von den Evangelisten kommt umfangreiche finanzielle Unterstützung für die jüdischen Siedlungen im besetzten Westjordanland. Sie stehen rechten israelischen Gruppierungen zur Seite und engagieren sich in den USA für die Sache Israels. Im Grunde gibt es da keinen Unterschied zwischen den Evangelisten und den Republikanern.

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Erkenntnis mit Götzenfleisch

Erstellt von DL-Redaktion am 6. April 2023

1. Brief des Paulus an die Korinther

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Ein Schlaloch von Ilija Trojanow

Wow. Im ersten Korintherbrief von Paulus finden sich erstaunlich aktuelle Handlungsanweisungen für ein besseres Leben und eine bessere Welt. Zwar haben wir die Sklaverei abgeschafft, uns aber innerlich einem Selbst unterworfen, das stark fremdbestimmt ist.

Am Palmsonntag stand ich in der Stadtkirche zu Darmstadt und hielt die Predigt. Die keine Predigt war. Der Pfarrer lädt vor Ostern Auswärtige ein, das Wort an die Gemeinde zu richten, unabhängig von ihrer Konfession. Eine willkommene Gelegenheit, sich mal wieder ins Neue Testament zu vertiefen. In diesem Fall in den ersten Korintherbrief von Paulus.

Das Thema erscheint nebensächlich. Darf man Götzen geopfertes Fleisch essen? Eigentlich nein, und somit wäre alles gesagt, aber was auf das Verbot folgt, ist erstaunlich: Die Erkenntnis bläht auf; aber die Liebe baut auf. Wow.

Was für eine Ohrfeige gegen die Löffel, mit denen manche von uns die Weisheit fressen. Gegen das Dogma der reinen Vernunft. Fast eine polemische Beschreibung der pompösen Selbstherrlichkeit jener unter uns, die meinen, das wahre Wissen gepachtet zu haben. Stattdessen der Bezug auf die Liebe. Liebende sind geneigt, mit Mitgefühl zu verstehen und Nachsicht zu üben, sich Gedanken und Sorgen zu machen. Es gehört zu den fatalen Missverständnissen im Patriarchat, dass Apodiktik und Liebe zusammengehen.

Der zweite Vers lässt die Antwort noch komplexer erscheinen: Wenn jemand meint, er habe etwas erkannt, der hat noch nicht erkannt, wie man erkennen soll. Doppelwow. Was ist das? Erkenntnistheorie? Warnung vor Selbstherrlichkeit im öffentlichen Diskurs? Postmoderne Skepsis des Schreibenden, der sich damit auch selbst infrage stellt? Ein Schlag ins Kontor orthodoxer Autoritäten? Die tiefere Frage lautet an dieser Stelle: Was ist Wahrheit? Und die Anregung von Paulus ist verwirrend klar: Wahrheit ist ein Prozess. Entscheidend ist das Verfahren der Erkenntnis. Wahrheit ist kein Diplom, das man an die Wand hängen kann. Sie ist die Betrachtung des Vogelflugs und nicht der Kolibri im Käfig.

Erkenntnis sollte nicht sesshaft werden.

Der nächste Vers – Wenn aber jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt – überfordert mich, weil ich nicht verstehen kann, wie wir Gott lieben sollen, ohne seine Schöpfung zu lieben. Und das tun wir nicht. Nicht als Individuen, nicht als Gesellschaft. Nicht als Wirtschaftssystem. Als hätte Paulus dieses Unbehagen vorausgeahnt, schreibt er im achten Vers: Essen wir nicht, so fehlt uns nichts, essen wir, so gewinnen wir nichts. Das ist eine Provokation, die es in sich hat. Vielleicht sogar für uns mehr als für die Korinther. Was ist wesentlich, was ist notwendig, was ist überflüssig, und wieso tun wir uns so schwer, zwischen beidem zu unterscheiden? Wieso zerstören wir das Wesentliche, um das Überflüssige zu produzieren? Unsere Drogerien sind voller Produkte, deretwegen das göttliche Wunder eines Regenwalds abgeholzt wurde, ersetzt durch die Monokultur einer Palmölplantage. Für viele der Waren, die wir kaufen, konsumieren, wegwerfen, gilt dieser Satz. Ob wir sie im übertragenen Sinn „essen“ oder nicht, ist aus essenzieller Sicht für unser Leben irrelevant. Wir versündigen uns an der Natur, um meist gedankenlos im übertragenen Sinn „Götzenfleisch“ zu essen.

Vor Kurzem sah ich ein Foto von der Atacama-Wüste im Norden Chiles. So weit das Auge reichte ein bunter Fleckenteppich, der zunächst fröhlich aussah, bis die Bildunterschrift mich ernüchterte: Altkleidung, in der Wüste deponiert, weil viel mehr in den Warenkreislauf gelangt, als wir tragen, spenden oder zu Putzlappen zertrennen können. Bald werden wir unseren Kinder die Wüste neu erklären müssen: Einst eine trockene Landschaft voller Dünen, heute eine Mülldeponie. Kaufen wir es nicht, so fehlt uns nichts, kaufen wir es, so gewinnen wir nichts. Triplewow.

Mosaik im Mausoleum der Galla Placidia, Ravenna, um 450

Wenn wir Luxus als existenzielle Notwendigkeit betrachten, gibt es zudem – auch das deutet Paulus an – ein Problem der gesellschaftlichen Selbstdisziplin. Es ist fast unmöglich, zu verzichten und zu verweigern, wenn dies um einen herum kaum jemand tut. Vers 10: Denn wenn jemand dich, der du die Erkenntnis hast, im Götzentempel zu Tisch sitzen sieht, wird dann nicht sein Gewissen, da er doch schwach ist, verleitet, das Götzenopfer zu essen? Eine Erkenntnis, die bei jedem ökologischen Diskurs in verschiedenen Variationen bestätigt wird. Was bringt das schon (so heißt es)? Wieso sollen gerade wir damit anfangen …? Verzicht gilt als Mundraub an einem selbst. Im Gegensatz zur frühchristlichen Gemeinde in Korinth haben wir nicht einmal ein schlechtes Gewissen, wir haben – was exzessiven Konsum betrifft – überhaupt kein Gewissen. Gelegentliche Anregungen, sich auf bescheidenste Weise zu bescheiden, werden in einem Sturm der Entrüstung ertränkt. Und weil wir konditioniert sind, den eifrigen Verzehr von Götzenfleisch stets relativ zu betrachten, also im Vergleich mit unseren Nachbarn, bilden wir uns ein, noch lange nicht zu jenen zu gehören, die den Bogen überspannen. Übertreiben tun immer nur die anderen.

Darin besteht unsere Freiheit, und sie ist den Schwachen längst zum Anstoß geworden. In unserem Land, wo die Zahl der Tafeln und der Menschen, die von diesen abhängen, kontinuierlich zunimmt. Zwar haben wir die Sklaverei in Europa abgeschafft, aber wir haben uns innerlich einem Selbst unterworfen, das in hohem Maße fremdbestimmt ist, manipuliert von den Algorithmen des Internets, den Verführungen des Wachstumswahns. Wie viel freien Willen braucht es, um nichts zu verändern?

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Oben     —     Die Bekehrung des Paulus von Caravaggio 1600

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Die Volksrepublik China

Erstellt von DL-Redaktion am 2. April 2023

Die chinesische Auffassung von Demokratie

In Schland durfte von der FDP  nur „Hoch auf den gelben Wagen“ gesungen werden.

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Während der Westen der VR China jegliches Demokratieverständnis schlichtweg abspricht, erläutern und veröffentlichen hochrangige Experten des ältesten und heute wieder sehr lebendigen Kulturstaates der Welt auf einem Forum des Central South University’s Human Rights Centers die Besonderheiten der chinesischen Demokratie.

Ein Blick in die chinesische Verfassung erleichtert das Verständnis. Dort wird schon in der Präambel eine ‚demokratische Diktatur des Volkes‘ skizziert. Im Kapitel I. Art. 1 steht dann: „Die Volksrepublik China ist ein sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht“.

Seit 40 Jahren hat sich in China viel getan, um zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt zu werden. Dringend Zeit also für eine aktuelle Bestandsaufnahme in Sachen Demokratie chinesischer Art (DCA). Alle Experten sind sich darin einig, dass das Wesentliche des chinesichen Demokratie der Respekt und die Wahrung der Menschenrechte ist. Chen Youwu, Dekan der Guangdong University of Technology’s School of Law sieht die DCA pragmatisch als Mittel zur Realisierung eines Gemeinwohls für die chinesische Bevölkerung von 1,4 Mrd Menschen, also zur koordinierten, friedvollen Entwicklung von Zivilisation, Menschen, Natur und materiellen Gütern.

Aus chinesischer Sicht ist Demokratie demnach ein Gesamtprozess (whole-process), der auch international gelten sollte. Die Rolle der Komunistischen Partei ist eine Besonderheit der DCA und in diesen Gesamtprozess eingebunden. Dabei geht die Macht im Staat vom Volke aus, denn neben der CPC sind im Volkskongress noch weitere acht Parteien und andere Interessengruppen vertreten und werden gehört.

Aus Unwissen über oder Desinteresse an chinesischer Kultur und Geschichte übersehen wir, dass die CPC (Communist Party of China) China von Unterdrückung und Ausbeutung durch westliche Demokratien befreit und wieder zu Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein entwickelt hat. Seit der Gründung 1949 hat China mehrere Reformen hinter sich gebracht und sich bemerkenswert entwickelt.

Ein großer Unterschied zwischen der DCA und anderen Demokratieformen ist ihr sozialer Charakter und ihre stetige Entwicklung. Für China gibt es gewichtige historische und soziale Gründe, einen eigenen demokratischen Weg einzuschlagen, der sich von westlichen Demokratien deutlich unterscheidet. Andere Länder, andere Sitten, also Gegebenheiten, die aus unserer Sicht nicht verständlich oder ungewöhnlich sind, haben tief wurzelnde Bedeutung und sind nur im Kontext des Landes und seiner Geschichte zu verstehen. Die Werte asiatischer Gesellschaften können ohne tiefere Kenntnis asiatischer Zivilisationen nicht verstanden werden. Umso wichtiger ist es gerade bei den aktuellen Veränderungen in der Welt, sich ehrlich mit der Kultur und Geschichte Chians zu beschäftigen, bevor man voreielige Beurteilungen abgibt.

Demokratie gibt es bei der Diversität der Staatsformen und Kulturen auf unserer Welt nicht in nur einer Art und Weise. Die westliche Denke, ihre Demokratie mit Gewalt durchzusetzen und anderen Ländern aufzuzwingen ist falsch, denn ein Volk will stets eine Politik, die seine Probleme löst. Es gibt kein Monopol auf Demokratie und ihre Definition. Alle Menschen haben das Recht, ihre Volksherrschaft (Demokratie) so zu gestalten und fortzuentwickeln, dass alle sich in kulturtypischer Weise an der politischen Willensbildung beteiligen können. Die DCA als Gesamtprozess ist da neu.

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KOLUMNE-Fernsicht-Indien

Erstellt von DL-Redaktion am 1. April 2023

Es gibt eine Chance für Homo-Ehen in Indien

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Kolumne Fernsicht von  : PRIYANKA BORPUJARI

Vor zwei Jahren kostete das Coronavirus in Indien eine halbe Million Menschen das Leben. Damals, als die Leichenhallen überfüllt waren, konnte vielleicht nur ein Mitglied der Familie die Verstorbenen zum Krematorium geleiten. Doch wer sollte den letzten Weg mit ihnen machen?

Verkehrsunfälle sind in Indien eine vergleichbare, wenn auch meist vernachlässigte Epidemie. Wer wäre für Sie der Notfallkontakt? Bei Verheirateten würde man erwarten, dass der Ehepartner benachrichtigt wird. In Indien werden die Krankenhausbeschäftigten dies allerdings dann nicht tun, wenn ihr Partner oder ihre Partnerin das gleiche Geschlecht wie Sie haben. Er oder sie dürfte auch keine Entscheidungen für Sie fällen. So wird nicht nur für den Fall eines Ablebens deutlich, dass die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe benötigt wird, herbeigesehnt wird – als rechtlicher Hebel zur Umwälzung des Status quo.

Nun eröffnet sich die Chance, dass die Homo-Ehe genauso wie die Ehe für heterosexuelle Paare durch die indische Justiz und das Parlament anerkannt wird. Auf den Weg gebracht wurde dies, als an mehreren lokalen Gerichten Petitionen eingereicht wurden. Nun hat der vorsitzende Richter des Obersten Gerichts in Indien gefordert, dass alle Petitionen gemeinsam dem höchsten Gericht vorgelegt werden. Er heißt Dhananjaya Chandrachud, und er hat bereits das Recht auf Privatsphäre anerkannt, hat „unnatürliche sexuelle Handlungen“ entkriminalisiert und hat Frauen unabhängig von ihrem Familienstand das Recht auf eine Abtreibung zugesprochen. Die lokalen Petitionen nahmen Bezug auf bestehende Gesetze. Einige dieser Gesetze sollen nur geringfügig umformuliert werden, bei anderen soll eine freiere Interpretation ermöglicht werden.

Die Ehegesetze in Indien hängen im Wesentlichen von der Religion der Eheschließenden ab. Das Ehegesetz für Hindus erlaubt eine Heirat „zwischen zwei Hindus“ und geht nicht auf deren Geschlecht ein, sodass eigentlich die Option für gleichgeschlechtliche Ehen von Hindus besteht. Sollten diese erlaubt werden, müsste dies automatisch auch Homo-Ehen unter dem „Special Marriage Act“ zulassen. Er regelt Ehen zwischen Partnern unterschiedlichen Glaubens. Ein anderes Gesetz, der „Citizenship Act“, ermöglicht es indischen Staatsbürgern im Ausland, den Status eines „Overseas Citizen of India“ zu erlangen. Dies gilt auch für deren nichtindische Ehepartner, und im Wortlaut des Gesetzes wird nicht spezifiziert, welches Geschlecht die Ehepartner haben müssen. Also könnte das Oberste Gericht auch für diese Personengruppe gleichgeschlechtliche Ehen legalisieren.

Rechtsgerichtete Hindus kritisieren diese Petitionen und sagen, dass die Justiz dies nicht für die Gesellschaft entscheiden könne. Aber der große juristische Erfolg von 2018, als das Oberste Gericht „unnatürliche sexuelle Handlungen“ – gemeint war damit vor allem Homosexualität – entkriminalisierte, ist Grund genug für Hoffnung. Im April soll über die Petitionen verhandelt werden.

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Her mit dem Unterhalt!

Erstellt von DL-Redaktion am 28. März 2023

Unterstützung für Stiefmütter und -väter

Ein Debattenbeitrag von Elsa Koester

Als Stiefmutter trägt unsere Autorin Verantwortung für zwei kleine Menschen – auch finanziell. Doch der Staat behandelt sie, als sei sie kinderlos.

Was stimmt nicht mit meinem Kontostand? Da ist ein Minus, wo doch sonst immer ein Plus war? Ist das die Inflation? Denn meinen Lebensstil habe ich kaum geändert: Dieselbe Wohnung, kein Auto, und Restaurants, Bars und Reisen sind doch viel seltener geworden, seit der … richtig: Seit der Kids! Mein Kontostand leidet, seit ich Stiefmutter geworden bin. Wo ich vorher Miete nur für mein WG-Zimmer zahlte, zahle ich jetzt mehr Miete für eine Vierzimmerwohnung, in der mein Partner, ich und zeitweise die zwei Kinder leben. Wo ich vorher nur für meine Fischstäbchen zahlte, zahle ich jetzt Fischstäbchen für zwei kleine Menschen mit. Und der Staat? Gibt mir nichts dafür! Keine Stiefkinder-Freibeträge, keine Steuererleichterungen. Vom Kindergeld sehe ich nichts. Kinderzuschläge zahlt mir mein Arbeitgeber keine. Denn aus sozialstaatlicher Perspektive bin ich ja: kinderlos. Erklären Sie das mal meinem Konto.

Nun lässt sich das alles ja wunderbar erklären: Die Kinder, für die der Staat Unterstützung zahlt, sind ja nicht mehr geworden, es waren zwei, als sie nur zwei Eltern hatten, und es sind immer noch zwei, jetzt, wo sie zwei Eltern plus eine Stiefmutter haben. Die Freibeträge gelten also weiter für beide Eltern, und das Kindergeld geht an dasjenige „echte“ Elternteil, das das Kind gerade mehr betreut, und Kinderzuschläge gibt es bei den Arbeitgebern der Eltern meiner Stiefkinder eh keine. Ich mag zwar Stiefmutter geworden sein und immer mehr Verantwortung für die Kids tragen, aber finanziell bin ich aus der Elternsache raus: Das für die Kindersorge notwendige Geld landet bei den biologischen Eltern, also sollen sie auch zahlen.

Aber haben Sie mal mit einer Familie zusammengelebt? Das geht ja ungefähr so: Fünf Uhr abends, Heimweg, Whatsapp: „wir brauchen noch Fischstäbchen für heute Abend, ich schaff es nicht, hol noch den Kleinen ab“, „ok kauf ich“, „ah und Ketchup“, „ok“, dann die Stieftochter: „hey hab gehört du gehst einkaufen bitte sushipapier und die geilen onigiri und saft“, „ok“, „kaffee ist auch alle“, und guck mal, der Lieblingsjoghurt vom Kleinen, und ach ja, Klopapier und Olivenöl, zack, 40 Euro für einen ungeplanten Feierabendeinkauf. Und dann drei Tage später noch mal und dann noch mal. Machen Sie dann wirklich eine Liste? „1 Onigiri für Stieftochter, Saft“?

Und dann holen Sie sich das Geld von Ihrem Partner fein säuberlich wieder, wenn dieser gerade mit Kopfschmerzen auf dem Sofa liegt, weil sein Konto seit der Trennung ständig ins Minus rollt am Ende des Monats, seit zwei Eltern plötzlich zwei Wohnungen finanzieren müssen, und nicht mehr nur eine? Ich bringe das nicht übers Herz. Und ich bin ja auch Stiefmutter! Ich trage die emotionale Verantwortung für die kleinen Menschen, mit denen ich jetzt seit drei Jahren zusammenlebe. Warum sollte ich nicht auch finanziell Verantwortung übernehmen? Ich muss nach einer Trennung ja auch keinen Unterhalt für meine Stiefkids zahlen, heißt es. Ja, warum eigentlich nicht?

Das kleine Sorgerecht ist ein Witz: Wer es hat, darf gerade mal die Kleine von der Kita abholen

Mit Zeit. Anerkennung. Und Geld auf dem Konto

Diese Gesellschaft verändert ihr Familienleben. Die Ampelregierung hat das eigentlich längst verstanden: „Familien sind vielfältig. Sie sind überall dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen, und brauchen Zeit und Anerkennung“, so steht es im Koalitionsvertrag. In Regenbogenfamilien tun sich häufig drei Eltern für ein Kind zusammen: Zwei Väter und eine Mutter, zwei Mütter und ein Vater. Und auch werdende Hetero-Eltern suchen sich manchmal eine dritte Elternperson, um die Familie für die Kinder zu vergrößern. Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP hat deshalb Pläne: Er möchte das „kleine Sorgerecht“ auf bis zu vier Elternpersonen ausweiten. Vier rechtliche Eltern? Wow!

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Leider ist es so: Außer auf dem Koalitionspapier verändert sich überhaupt nichts. Zum einen ist das „kleine Sorgerecht“ ein Witz: Wer es hat, darf gerade mal die Kleine von der Kita abholen (geht auch so) und entscheiden, was der Kleine auf sein Brot bekommt. Zum anderen geht es da um Rechte, nicht um Geld. Finanzielle Unterstützung der multiplen Elternschaft? Da wartet man bei einer Regierung mit FDP-Beteiligung lange. Auch queere Mütter warten noch immer auf ihr Elterngeld und ihre Kinderfreibeträge – auf die Gleichstellung zu Heteromüttern also.

Den Liberalen geht es weniger um soziale Sicherheit als mehr um liberale Freiheit: Alles muss möglich sein im Zusammenleben, aber bitte ohne Verbindlichkeit, und kosten darf es auch nichts. Ihr wollt zu dritt ein Kind? Bitteschön, wir ermöglichen euch alles, wir sind ja liberal! Aber wie ihr das finanziert bekommt, das schaut doch bitte selbst. Und so ist die Frage der Familiengründung, der Trennung und der Familienneugründung als Patchworkfamilie in dieser Gesellschaft leider weiterhin eine soziale Frage. Wer zu wenig Geld hat, kann keine zwei Wohnungen finanzieren und bleibt womöglich als sich hassendes Elternpaar zusammen. Wer zu wenig Geld hat, kann als Stiefelternteil weniger Verantwortung für die Kinder übernehmen, als sie oder er das vielleicht möchte.

Quelle        :          TAZ-online          >>>>>       weiterlesen

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« Jetzt ist die Zeit ! »

Erstellt von DL-Redaktion am 21. März 2023

Der Deutsche Evangelische Kirchentag übt Zensur aus

Auf schwarze Seelen fällt kein Segen

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von        :        Andreas Zumach /   

Die Vertreibung und Flucht von 750’000 Palästinenserinnen und Palästinensern 1948 darf man am Kirchentag nicht thematisieren.

«Jetzt ist die Zeit!» – unter diesem biblischen Motto aus dem Markus-Evangelium findet vom 7. bis 11. Juni in Nürnberg der Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT) statt. Erwartet werden bis zu 100’000 TeilnehmerInnen.  «Wichtige Themen der Zeit werden diskutiert, Fragen nach Frieden und Gerechtigkeit… und der Würde des Menschen gestellt», kündigt der DEKT in seinen Einladungen und Werbematerialien für die Grossveranstaltung an.

Der Präsident des Kirchentages, Bundesminister a.D. (Verteidigung und Innen) Thomas de Maizière (CDU) betont: «Wir brauchen einen offenen, ehrlichen Austausch untereinander, um der Zeit gerecht zu werden und gemeinsame Schritte zu gehen.»

Die Ausstellung wurde schon in über 150 Städten gezeigt

Diese wohlklingenden Ankündigungen gelten allerdings nicht für das Konfliktthema Israel/Palästina. Die Wanderausstellung «Die Nakba – Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948» thematisiert die Vertreibung und Flucht von rund 750’000 PalästinenserInnen im Jahr 1948 – zunächst durch jüdisch-zionistische Milizen und nach der Staatsgründung Israels am 14. Mai 1948 durch die Streitkräfte des Landes – darf ausgerechnet zum 75. Jahrestag dieses Geschehens auf dem Kirchentag DEKT in Nürnberg nicht gezeigt werden.

Nur mit dieser Verbotsauflage erhielt der Verein «Flüchtlingskinder im Libanon» (FiL) e.V., der die Nakba-Ausstellung im Jahr 2008 aus Quellen israelischer Historiker konzipiert hatte, von der DEKT-Geschäftsstelle in Fulda die Zulassung für einen Stand auf dem Markt der Möglichkeiten beim Nürnberger DEKT.

Dieses von DEKT-Generalsekretärin Kristin Jahn und der für das Kirchentagsprogramm verantwortlichen Studienleiterin Stefanie Rentsch im November letzten Jahres übermittelte Verbot kam sehr überraschend. Denn auf vergangenen Kirchentagen seit 2010 wurde die Nakba-Ausstellung ohne Probleme gezeigt. Ebenfalls seit 2008 in über 150 Städten im In-und Ausland, auch in Basel, Bern, Biel, St. Gallen, Zürich und Bülach sowie bei der EU in Brüssel und der UNO in Genf.

Die Verantwortlichen drücken sich um eine Begründung

Für die Verbotsentscheidung gaben Jahn und Rentsch auch auf mehrfache Nachfragen hin keine Begründung. Die Entscheidung habe das für «das Programm des Kirchentages gesamtverantwortliche DEKT-Präsidium» getroffen «nach vorheriger Durchsicht und Prüfung» der Bewerbung des Vereins Flüchtlingskinder im Libanon «durch ein vom Präsidium eingesetztes Expertengremium».

Auch zahlreiche schriftliche Nachfragen bei dem «gesamtverantwortlichen» Präsidium nach den Gründen für das Verbot seit November letzten Jahres wurden bis Ende Februar nicht beantwortet. Selbst langjährige ehemalige Mitglieder des Präsidiums wie die frühere Kirchentagspräsidentin Elisabeth Raiser und ihr Mann, der ehemalige Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, Konrad Raiser, erhielten keine Antwort.

Photo of the village or town

Der aktuelle Kirchentagspräsident Thomas de Maizière reagiert auf Briefpost an seine Dresdner Anschrift bisher nicht. Anfragen per E-Mail-Schreiben an sein Büro lässt der Kirchentagspräsident durch seine Mitarbeiterin, die Flensburger CDU-Landtagsabgeordnete Uta Wentzel mit diesen Worten abwimmeln: «Das Schreiben wurde gar nicht gelesen und daran besteht auch überhaupt kein Interesse. Wenn Sie vom DEKT keine Antwort auf Ihre Frage erhalten, müssen Sie sich halt damit abfinden.»

Von den übrigen 30 Mitgliedern des Präsidums (darunter Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, BWI-Staatssekretär und ATTAC-Mitbegründer Sven Gigold sowie BGH-Präsidentin Bettina Limperg) und den acht «ständigen Gästen» des Präsidiums aus der für den DEKT in Nürnberg gastgebenden Bayerischen Landeskirche, darunter Bischof Heinrich Bedford Strohm, antworteten nur wenige, die an die DEKT-Geschäftsstelle in Fulda verwiesen.

Auffällig viele der Angefragten erklärten zudem, sie seien gar nicht auskunftsfähig. Denn sie hätten an der Präsidiumssitzung, auf der das Verbot der Nakba-Ausstellung beschlossen wurde, gar nicht teilgenommen. Das wirft Fragen auf: Gab es überhaupt eine solche Sitzung? Und wenn ja: Existiert ein ordentliches Sitzungsprotokoll, aus dem Beschlüsse und ihre Begründungen hervorgehen? Wenn nicht: Von welchem Personenkreis wurde das Verbot tatsächlich beschlossen?

Wer die Mitglieder des «Expertengremiums» waren, das zum Verbot der Nakba-Ausstellung geraten hat, hält der DEKT bislang ebenfalls geheim. Nach informellen Informationen aus Kirchentagskreisen soll ein Experte (möglicherweise der einzige?) Christian Staffa gewesen sein, der Antisemitismusbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Staffa ist auch im Vorstand der seit 1961 bestehenden «AG Juden und Christen» beim DEKT.

Der Deutsche Evangelische Kirchentag ist auskunftspflichtig

Das Verbot der Nakba-Ausstellung auf dem Nürnberger Kirchentag ist ein unakzeptabler Akt der Zensur und des Eingriffs in die Meinungsfreiheit. Der DEKT verhindert damit den demokratischen Dialog. Der bisherige Umgang des DEKT mit Fragen nach einer Begündung des Verbots ist willkürlich und selbstherrlich. Und das DEKT-interne Verfahren, das zu dem Verbot geführt hat, ist offensichtlich nicht einmal für Mitglieder des «gesamtverantwortlichen» Präsidiums transparent.

Der DEKT ist zwar ein Verein. Aber die Grossveranstaltung in Nürnberg ist keine Privatveranstaltung. Sie wird ausser durch Ticketverkäufe, Spenden und Sponsoring ganz wesentlich mit öffentlichen Geldern (Kirchensteuern und anderen Zuschüssen) finanziert. Aus diesem Grund ist der DEKT auskunftspflichtig.

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China zeigt es der Welt?

Erstellt von DL-Redaktion am 17. März 2023

Wie man trotz schärfster Gegensätze wieder ins Gespräch kommt

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Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Ohne viel Tamtam und Gedöns hat China ein Kunststück an Diplomatie vollbracht, indem es am 10. März 2023 in Peking die beiden seit 40 Jahren zutiefst zerstrittenen Staaten Iran und Saudi-Arabien dazu gebracht hat, wieder diplomatische Beziehungen aufzunehmen.

Prompt fühlen sich die USA in ihren Interessen und hegemonialen Ambitionen bedroht, müssen das Abkommen aber grundsätzlich anerkennen. Selbst wenn man davon ausgehen kann, dass China in der Golfregion wirtschaftliche Interessen hat, muss man doch neidlos feststellen, dass China hier zum ersten Mal ein Beispiel für sein Denken und Handeln in Sachen friedlicher Koexistenz der Völker geliefert hat, an dem sich anderen Länder messen lassen müssen, insbesondere die USA.

Dies zumal bei der extrem religiös beherrschten Politik der beiden Golfstaaten und der geradezu laizistischen Trennung von Staat und Religion in China. Dieser Erfolg in der internationalen Diplamatie zeigt, dass die Global Security Initiative (GSI) von China keineswegs ein Traumschloss ist, sondern sich zwar langsam aber sicher weltweit durchsetzen wird, damit alle Völker bei allen kulturellen und politischen Unterschieden in der Zukunft wieder friedlich miteinander leben können.

Dieses chinesische Kunststück ist auch deshalb so bemerkenswert, weil die USA die Konflikte zwischen diesen beiden Golfstaaten immer wieder geschürt haben. China geht es nicht um gut und böse, sondern um Ausgleich, Sicherheit sowie Stabilität undist sich sehr bewusst, dass da noch ein langer Weg zu gehen ist. Das aber kann China nicht erschüttern, denn dort ist der Weg das Ziel (Konfuzius).

Solche Denke ist den ‚Westmächten‘ aber fremd, und so ziehen unsere ‚Experten‘ oft aus chinesischen Aktivitäten und Aussagen die falschen Schlüsse. So z.B. aus den Aussagen und Beschlüssen des soeben beendeten Volkskongresses. Lauthals und voreilig plärren unsere Politiker und die ‚Leitmedien‘ von der kriegerischen Aufrüstung Chinas und übersehen naiv, dass die ‚Große Mauer‘ im ältesten Kulturstaat der Welt ein Sinnbild für Verteidigung und Sicherheit ist. In diesem Sinne wird verständlich, wenn Xi Jinping das Militär zu einer ‚Großen Mauer‘ aus Stahl entwickeln will, um sein Volk und die Errungenschaften seines Landes vor westlichen Aggressoren zu schützen und „um wirksam die nationale Souveränität, Sicherheit und Entwicklungsinteressen zu sichern“.

Es geht China also keineswegs um Krieg gegen Dritte à la USA. Ganz im Gegenteil beschwört Xi die friedliche Wiedervereinigung mit Taiwan, und der neuen Regierungschef Li Qiang forderte den Ausbau der Zusammenarbeit mit den USA, weil China und die USA zusammenarbeiten können und müssen. Dass sie das können, haben die USA selbst bewiesen, als sie vor 40 Jahren China mit Aufträgen nur so überschüttet haben und von chinesischen Erzeugnissen gar nicht genug haben konnten. Nun ist aber aus dem damaligen Lehrling und Werkbänkler ein Meister geworden, was die USA lange einfältig übersehen haben und jetzt mit ihrem hegemomialen Denken nicht vereinbaren können. Für das erstarkte China gilt klar und langfristig: „Sicherheit ist das Fundament für Entwicklung, und Stabilität ist die Vorbedingung für Wohlstand“. Vor diesem Hintergrund kann man nur hoffen, dass China noch viele diplomatische Kunststücke gelingen.

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Der Beginn einer Diktatur?

Erstellt von DL-Redaktion am 15. März 2023

Das Ende der israelischen Demokratie?

von Eliav LieblichAdam Shinar

Nach seinem unerwartet hohen Wahlsieg im November 2022 bildete Benjamin Netanjahu die am weitesten rechtsstehende Regierung der israelischen Geschichte. Ihre ultranationalistischen und ultraorthodoxen Mitglieder sind sich nicht in allem einig, wohl aber über ein Ziel: Die israelische Justiz zu schwächen und die Kontrolle der Regierung über Gerichte und Beamte zu stärken.

Im Januar hat die Regierung ihre Pläne dafür vorgestellt. Obwohl sie moderat formuliert wurden, würden die geplanten Änderungen nahezu alle institutionellen Kontrollmechanismen aushebeln und große Macht in den Händen der Exekutive konzentrieren. Dies würde wiederum weitere, von der Koalition bereits beschlossene Schritte in Richtung Autoritarismus ermöglichen – sowohl in Israel als auch in den besetzten Gebieten.

Netanjahu behauptet, dass die Reformen notwendig seien, um das Machtgleichgewicht zwischen Legislative und Judikative wieder herzustellen. Viele Israelis bestreiten dies, und so gingen am 21. Januar mehr als 130 000 Menschen auf die Straßen von Tel Aviv und anderen Städten, um gegen die Pläne zu protestieren. Seitdem hat es täglich Proteste gegen die von vielen Israelis befürchtete drohende Diktatur gegeben. Eine weitere Demonstration am 28. Januar zog eine Menge von über 100 000 Menschen an. Netanjahu und seine Verbündeten kanzeln die Proteste populistisch als elitär, auslandsfinanziert und linksradikal ab. Aber Studenten, Akademiker, Hochqualifizierte und Mitglieder der Zivilgesellschaft mobilisieren gemeinsam gegen die Pläne der Regierung, die laut Ökonomen der israelischen Wirtschaft schaden und ihre Fähigkeit beeinträchtigen könnten, ausländische Investitionen für den Hochtechnologiesektor anzuziehen.

Niemals zuvor ist die israelische Politik so polarisiert gewesen. Netanjahus Partei hat das Justizsystem mehrfach attackiert, insbesondere als die Klagen gegen ihn an Fahrt aufnahmen. Netanjahu bestreitet vehement, dass die geplanten Gesetzesänderungen irgendetwas mit seinem Gerichtsverfahren zu tun hätten. Aber wenn sie in Kraft treten, kann er die Behörden des Justizministers und des Generalstaatsanwalts umstrukturieren und die Beamten ernennen, die sich mit seinen Verfahren befassen. Kontrolliert die Regierung künftig die Ernennung von Richtern, könnte Netanjahu zudem entscheiden, wer für seine Berufungsverfahren zuständig ist.

Gegenwärtig sieht es so aus, als würden die Reformen verabschiedet werden. Netanjahu verfügt über eine stabile parlamentarische Mehrheit und seine Koalition hat ihre Attacke auf das Justizwesen mit einer Flut von Gesetzesvorhaben beschleunigt. Die Opposition kritisiert, dass dabei etablierte Verfahren missachtet werden. Der Oberste Gerichtshof könnte die Reformen nach ihrer Verabschiedung noch kippen, was das Land in eine ausgemachte Verfassungskrise stürzen würde. In jedem Fall hätte Netanjahus Regierung die Spaltung im Land verstärkt und Israels Demokratie geschwächt.

Land ohne formale Verfassung

Netanjahus Gesetzesvorschläge können vergleichsweise einfach verabschiedet werden, da Israel – anders als die USA – keine starre Verfassung hat. Pläne für eine solche Verfassung waren in Arbeit, als Israel 1948 gegründet wurde, und im Jahr 1949 wurde zu diesem Zweck auch eine Verfassunggebende Versammlung gewählt. Diese konnte sich jedoch nicht einigen, und ihre Mitglieder beschlossen, das Gremium in ein Parlament umzuwandeln – die Knesset – und die verfassunggebende Macht dort zu belassen. Anstatt eine fertige Verfassung zu verabschieden, einigte sich die Knesset darauf, die Verfassung in Kapitel mit jeweils einem „Grundgesetz“ aufzuteilen, die eines Tages Teil einer formalen Verfassung werden sollten.

Zwischen 1949 und 1992 prüfte der Oberste Gerichtshof die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsentscheidungen. Er schätzte also die Legalität des Regierungshandelns ein, konnte aber nicht Gesetze auf der Basis anfechten, dass sie gegen individuelle Rechte verstießen. 1992 verabschiedete die Knesset dann aber zwei Grundgesetze, die solche individuellen Rechte betrafen: das Grundgesetz zur menschlichen Würde und Freiheit sowie das Grundgesetz zur freien Berufswahl. Diese Gesetze waren neuartig, nicht nur weil sie bestimmte Rechte wie Würde, Freiheit, Privatsphäre, Eigentum, Freizügigkeit und Berufsfreiheit schützen. Sie enthalten darüber hinaus sogenannte Beschränkungsklauseln, die klarstellen, dass die aufgezählten Rechte nur im Einklang mit den Werten des Staates beschränkt werden können, und nur, wenn die Einschränkung zweckmäßig ist. Zudem darf sie nicht das erforderliche Maß überschreiten. Auf dieser Grundlage entschied der Oberste Gerichtshof drei Jahre später, dass die Grundgesetze einfacher Gesetzgebung übergeordnet seien und er daher befugt sei, Gesetze aufzuheben, die gegen die Grundgesetze verstoßen.

Seitdem hat der Oberste Gerichtshof 22 Gesetze und Bestimmungen aufgehoben, darunter Regeln zur Inhaftierung von Asylbewerbern, zur Privatisierung von Gefängnissen und zur Enteignung von palästinensischem Land in Privateigentum für den Bau jüdischer Siedlungen im Westjordanland. Im Laufe der Zeit hat das Gericht auch die grundgesetzlich geschützte Menschenwürde so ausgelegt, dass sie die Meinungsfreiheit und das Gleichheitsrecht einschließt.

Seit 1953 werden Richter in Israel von einem Ausschuss ausgewählt, der aus drei Richtern des Obersten Gerichtshofs, zwei Ministern, zwei Mitgliedern der Knesset und zwei Mitgliedern der israelischen Anwaltskammer besteht. Richter des Obersten Gerichtshofs müssen eine Mehrheit von sieben Stimmen in dem neunköpfigen Ausschuss erhalten, was bedeutet, dass keine Gruppe alleine handeln kann. Richter können ihr Veto gegen das einlegen, was die Politiker wollen, und Politiker können ihr Veto einlegen, gegen das, was die Richter wollen. Dies hat zu einem System der Konsensbildung und Verhandlung geführt, welches meist Richter hervorbringt, die als Zentristen wahrgenommen werden.

Das Oberste Gericht im Visier der Rechten

Doch seine Urteile zur Verteidigung der Grundgesetze und seine Zusammensetzung haben den Obersten Gerichtshof zur Zielscheibe der israelischen Rechten gemacht. Sie beschuldigt das Gericht immer öfter, zu liberal zu sein und seine Befugnisse zu überschreiten. Netanjahu und seine Verbündeten argumentieren, dass die Grundgesetze das Gericht nicht explizit ermächtigen, Gesetze aufzuheben, und dass das Gericht in jedem Fall sowohl seine verfassungsrechtlichen als auch seine verwaltungsrechtlichen Kontrollbefugnisse sehr weit auslegt, während es gleichzeitig seine Rechte erweitert. Die Rechten behaupten des Weiteren, dass der Oberste Gerichtshof in Fragen der nationalen Sicherheit äußerst interventionsfreudig sei.

Members of the transgender family organisation Brit HaLeviot in the Red Line for Hate protest against the anti-lgbt coalition agreements of the upcoming 37th Government of Israel, Tel Aviv, 29 December 2022

Tatsächlich aber hat sich der Oberste Gerichtshof dem Staat gegenüber sehr zurückhaltend verhalten, insbesondere in Fragen der nationalen Sicherheit und sehr explizit bei der Überprüfung von Regierungsmaßnahmen in den besetzten Gebieten. Das Gericht hat sich stets geweigert, die grundsätzliche Rechtmäßigkeit der israelischen Siedlungen im Westjordanland zu beurteilen, die völkerrechtlich als illegal gelten. Es hat den Abriss von Häusern militanter Palästinenser genehmigt, was gegen das Kriegsvölkerrecht verstößt. Jenseits des begrenzten Schutzes palästinensischen Privateigentums hat das Gericht tatsächlich fast jede politische Maßnahme in Bezug auf die Siedlungen genehmigt, während es gleichzeitig der seit 55 Jahren andauernden Besatzung einen Anstrich internationaler Legitimität verschaffte.

Doch Netanjahus neuer Regierung reicht das nicht. Sie ist entschlossen, dem Obersten Gerichtshof die Macht zu nehmen, auch nur für den geringsten Schutz der Bürger zu sorgen. So hat sich die extrem rechte Koalition daran gemacht, vom Verfahren der Richterernennung bis hin zum Status und den Befugnissen der juristischen Berater der Regierung alles zu überarbeiten: Nach dem Plan der Regierung wird der Oberste Gerichtshof Gesetze zukünftig nur noch dann aufheben können, wenn sich alle fünfzehn Richter mit der jeweiligen Angelegenheit befassen und zwölf von ihnen zustimmen. Eine solch hohe Hürde würde bedeuten, dass nur sehr wenige Gesetze außer Kraft gesetzt werden könnten – wenn überhaupt. Und selbst wenn es dem Gericht gelänge, ein Gesetz aufzuheben, wäre der Fall damit nicht abgeschlossen. Denn das Regierungsvorhaben enthält auch eine Klausel (notwithstanding clause), die der Knesset ermöglichen würde, jede Gerichtsentscheidung zur Aufhebung eines Gesetzes mit der einfachen Mehrheit aller Mitglieder zu überstimmen. In Israels parlamentarischem System hat jede Regierung eine Mehrheit. Deshalb würde diese Klausel es erlauben, dass jedes Recht außer Kraft gesetzt werden kann: Grundrechte, politische Teilhaberechte, selbst das Stimmrecht. Damit das Gericht nicht vom Kurs der Regierung abweicht, zielt das Vorhaben auch darauf ab, den Ausschuss für die Ernennung von Richtern so umzugestalten, dass die Regierung automatisch über eine Mehrheit verfügt.

Quelle         :       Blätter-online         >>>>>          weoterlesen

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Aufbegehren im Iran

Erstellt von DL-Redaktion am 9. März 2023

 Die Ruhe vor dem Sturm im Iran

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Am Kipppunkt

Erstellt von DL-Redaktion am 8. März 2023

Zuspitzung im Nahost-Konflikt

Von   :   Judith Poppe

Es brennt in den besetzten Gebieten. Ein Besuch in der jüdischen Siedlung Yitzhar und dem Dorf Huwara, in dem es gerade heftige Ausschreitungen gab.

auchwolken hängen am Nachthimmel über dem palästinensischen Dorf Huwara, Dutzende Häuser und Autos stehen in Flammen. So ist es kurz darauf auf Fotos in den sozialen Medien zu sehen. Geschäfte brennen, Steine fliegen in dieser Nacht. Ein Palästinenser wird getötet, Hunderte werden verletzt.

Am vergangenen Sonntag hatte zunächst ein Palästinenser zwei Israelis in Huwara getötet, Siedler aus einer nahe gelegenen Siedlung, die im Auto die Hauptstraße entlangfuhren. Wenige Stunden später dringt eine Gruppe israelischer Sied­le­r*in­nen in das Dorf ein, um Rache zu nehmen. Die Armee greift erst spät in der Nacht ein.

„Ich habe solche Angst um meine Familie“, schreibt per Whatsapp Shadeen Saleem, die wir zwei Wochen zuvor in Huwara getroffen haben: „Meine Brüder und meine Eltern sind in unserem Haus, Siedler greifen sie an.“ Saleem ist während des Angriffs nicht zu Hause, sie studiert im nahe gelegenen Nablus, doch die Stadt ist vom israelischen Militär abgeriegelt. Saleem hat keine Chance, zu ihrer Familie durchzukommen.

Während Huwara brennt, tanzen nicht weit entfernt auf einem Hügel ein Dutzend Siedler*innen, Schulter an Schulter. In dieser Nacht haben sie einen neuen Außenposten besetzt. Der Knessetabgeordnete Zvi Sukkot ist einer von ihnen. „Tänze der Liebe zum Land. Tränen des Schmerzes und der Hoffnung vermischen sich“, schreibt er zu dem Video auf Twitter.

Zwei Wochen zuvor liegen diese Ereignisse noch in der Zukunft – doch im Rückblick kann man sagen, sie standen schon wie Zeichen an der Wand.

„Schade, dass es bewölkt ist“, sagt Zvi Sukkot und blickt Richtung Westen zum Mittelmeer: „Normalerweise kann man bis Netanja sehen.“ Er steht vor seinem Büro auf dem höchsten Punkt der Siedlung Yitzhar, auf der Spitze des Hügels. Von dem weißen Container aus hat er eine Rundumsicht auf das, was er „unser Land“ nennt.

Er zeigt auf das Mittelmeer und Tel Aviv, dann dreht er sich im Halbkreis. Seine Hand gleitet über das Westjordanland hinweg, über arabische Dörfer, auch über Huwara. Über weitere jüdische Siedlungen, bis sein Zeigefinger auf der Grenze nach Jordanien ruht. Eine imperiale Geste, könnte man meinen, doch dafür ist sein Blick zu kritisch, seine Bewegung zu vorsichtig. Er gleicht eher einem Wächter, der sich in Abwesenheit des Besitzers um dessen Land sorgt.

Sukkot trägt Schläfenlocken und Tzitziot, weiße Fäden, die religiöse Juden an den Oberteilen befestigen und an den Seiten der Hosen entlangfallen lassen. Auf dem Kopf hat er eine gehäkelte Kippa, Markenzeichen der Siedler.

Steile Karriere in der Politik

Er ist erst 32 Jahre alt und hat eine steile Karriere hingelegt: Zwei Tage nach dem Interview wird er für die rechtsextreme Partei Religiöser Zionismus als Nachrücker in die Knesset einziehen. Ihr Programm sieht unter anderem die Annexion von Land für Siedlungen im Westjordanland, die Ausweisung von Geflüchteten und eine Entmachtung des Obersten Gerichtshofs vor.

In Sitzungszeiten wird er von nun an in der Knesset sein, den Rest der Zeit in seinem Büro in Yitzhar arbeiten – einem Büro, das sich nach internationalem Recht illegal dort auf der Hügelspitze befindet: Es liegt in den besetzten palästinensischen Gebieten.

Im Westjordanland war das vergangene Jahr das blutigste seit dem Ende der Zweiten Intifada. 2022 starben mehr als 150 Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen durch israelische Sicherheitskräfte und Zivilist*innen. Siebzehn Israelis wurden bei Anschlägen von Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen getötet. Im Jahr 2023 sind allein in den ersten zwei Monaten bereits 61 Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen von israelischen Sicherheitskräften getötet worden.

Der CIA und israelische Sicherheitsapparate warnen, dass eine dritte Intifada bevorstehen könnte. Noch gibt es keinen Aufruf der großen palästinensischen Fraktionen dazu. Doch viele sorgen sich, dass die neue rechtsextrem-religiöse Regierung Israels den Konflikt zwischen Sied­le­r*in­nen und Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen weiter anheizt.

Zvi Sukkot schließt die Tür zu seinem Containerbüro auf. Seine Zusage zu dem Interview kam prompt – anders als die meisten radikalen Sied­le­r*in­nen ist er bereit, mit den Medien zu sprechen. Die Welt sei gegen die Siedler*innen, sagt er, er will das Image verbessern.

Jüdische Israelis haben unterschiedliche Gründe, in eine Siedlung zu ziehen. Die meisten Sied­le­r*in­nen leben in Pendlerstädten in der Nähe zum Kernland Israel oder in Ostjerusalem. Viele ziehen wegen der günstigen Mieten und der Lebensqualität dorthin. Aber wer nach Yitzhar zieht, macht das, um das Versprechen Gottes einzulösen: Dieses Land wurde den Jü­d*in­nen von Gott versprochen, komplett, inklusive des Westjordanlandes – davon sind die Be­woh­ne­r*in­nen Yitzhars überzeugt. Etwa 2.000 radikale Sied­le­r*in­nen leben hier.

Bezalel Smotrich, Chef der Partei Religiöser Zionismus und neuer Finanzminister, war einmal in seinem Büro, erzählt Sukkot. Beide waren in der Hilltop-Jugend aktiv – hier sammeln sich junge extremistische Siedler*innen, die Gewalt für ein legitimes Mittel halten, und die sogenannte Außenposten im Westjordanland errichten, die auch nach israelischem Recht illegal sind. Die Hilltop-Jugend ist überzeugt davon, dass die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen aus den palästinensischen Gebieten vertrieben werden müssen.

Für Sukkot ist die Hilltop-Jugend eine Gruppe junger Menschen, die sich zum Ziel gesetzt haben, Gottes Versprechen einzulösen: die Besiedlung von Eretz Israel, dem gelobten Land. Dazu gibt es Lagerfeuer auf den Hügeln des Westjordanlandes, Zusammengehörigkeitsgefühl und Pioniergeist.

Bis vor Kurzem waren die extremistischen Sied­le­r*in­nen die Outlaws der israelischen Gesellschaft, die Troublemaker unter den 500.000 Siedler*innen, die mittlerweile im besetzten Westjordanland leben. Nun lenken sie die Geschicke des Landes mit.

Judäa und Samaria

Benjamin Netanjahu hat die radikalen Siedlerparteien hoffähig gemacht und ihnen in den Koalitionsvereinbarungen weitreichende Zugeständnisse eingeräumt. Er, der derzeit in drei Korruptionsfällen vor Gericht steht, will vor allem eins: nicht ins Gefängnis. Immunität versprechen ihm seine Bündnispartner. Und die wissen, wie erpressbar Netanjahu ist. Zum ersten Mal in der Geschichte Israels steht das „exklusive und unbestreitbare Recht auf alle Teile des Landes“ in der Koalitionsvereinbarung, auch auf „Judäa und Samaria“ – die biblischen Namen für das besetzte Westjordanland.

Aus einem Haufen grüner T-Shirts, die in einer Ecke seines Büros liegen, zieht Sukkot eines hervor. „Mein Herz brennt für Josef“, steht darauf. Zurückkehren zu können an das Grab des jüdischen Stammvaters Josef – auch das ist eines der Ziele von Sukkot. Derzeit dürfen jüdische Israelis nur mit Spezialgenehmigung dorthin, an den Stadtrand von Nablus: Für Israelis gilt die palästinensische Stadt als Terrornest, für Palästinenser als eine Zentrale des Widerstands. „Manchmal lassen sie uns dorthin“, sagt Sukkot. Dann werden sie vom Militär eskortiert, es kommt dabei regelmäßig zu heftigen Zusammenstößen.

„Es kann doch nicht sein, dass wir uns nicht überall in unserem Land bewegen dürfen“, sagt Sukkot. Der Ort ist für ihn nicht nur in religiöser und politischer Hinsicht wichtig, auch privat. Im Oktober 2000, kurz nach dem Beginn der Zweiten Intifada, wurde der Vater seiner heutigen Frau am Josefsgrab von Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen getötet. Man fand ihn erschossen am Stadtrand von Nablus. Sukkots Frau war damals acht Jahre alt. Im Wohnzimmer über einem Bücherregal hängt ein Bild von ihrem Vater. Ein Mann mit spitzem Bart und Nickelbrille liest in der Bibel. Er war Rabbiner und 36 Jahre alt, als er starb. Mehr erzählt Sukkot dazu nicht.

Bis Juden im ganzen biblischen Israel ohne Einschrän­kungen leben können, werde er kämpfen, sagt Zvi Sukkot. Seine Partei ist nun Teil der israelischen Regierung.

Fragen nach Gefühlen scheinen ihm nicht zu behagen. Überhaupt private Fragen. „Mh?“, antwortet er, scheinbar abgelenkt, und kaut seinen Kaugummi fester. Über seine Eltern ist wenig aus ihm herauszukriegen: Er ist in einem ultraorthodoxen Elternhaus aufgewachsen. Damit ist das Thema erledigt.

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Politische Fragen beantwortet er geduldig, mehr oder weniger freundlich. „Als Knessetabgeordneter will ich dafür sorgen, dass alle Terroristen entweder im Knast oder tot sind“, sagt Sukkot. Die Palästinensische Autonomiebehörde ist für ihn eine Terrororganisation. In anliegende palästinensische Städte und Dörfer fahre er nicht. „Die wollen uns umbringen.“

Zvi Sukkot sorgt sich um seine fünf Töchter. Seine Waffe liegt auf dem Nachttisch in seinem Schlafzimmer. Wenn er die Siedlung verlässt, trägt er sie am Gürtel. Doch die besetzten Gebiete zu verlassen und seine Kinder in einer weniger konfliktgeladenen Gegend aufzuziehen, kommt für ihn nicht infrage.

Für ihn wäre das Verrat, und Verrat – oder das, was er dafür hält – hat ihn nach Yitzhar gebracht. Sukkot war 15, als die israelische Armee nach dem Abkoppelungsplan des damaligen Ministerpräsidenten Ariel Scharon die Sied­le­r*in­nen aus den Siedlungen im Gazastreifen evakuierte. Sukkot konnte nicht fassen, was er im Fernsehen sah: Soldaten, die ihre Landsleute aus ihren Häusern trugen und in Tränen ausbrachen. Bulldozer, die Häuser zerstörten, Männer, die ihre Haare rauften und zum Himmel beteten, Frauen, die mit ihren Babys im Arm von Soldaten aus den Häusern eskortiert wurden – für sie viel mehr als eine Bleibe. Der Inbegriff dessen, woran sie glaubten und wofür sie kämpften: Gott zu gehorchen, sein Erbe anzunehmen.

„Sie haben unser Land einfach der Hamas überlassen“, sagt Sukkot. Noch heute spürt man die Wut darüber in ihm. Nach diesem Ereignis beschloss er, seinen Weg zu ändern: Aus dem ultraorthodoxen Studenten wurde ein nationalreligiöser Zionist. Er schloss sich der Hilltop-Jugend an und zog nach Yitzhar.

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Kolumne-Fernsicht-Uganda

Erstellt von DL-Redaktion am 4. März 2023

Zynische Hatz auf homosexuelle Sündenböcke

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Von Joachim Buwembo

Wie kommt es zum erneuten Aufblühen von Homosexuellenfeindlichkeit in manchen Parlamenten Ostafrikas? Ist der Kampf gegen Homosexualität dringender als der gegen Diebstahl?

Als Kenias Oberster Gerichtshof Ende Februar das Recht von Schwulen auf Vereinigungsfreiheit und damit auf Gründung eigener Verbände bestätigte, reagierte der Abgeordnete Peter Kaluma umgehend mit einem Gesetzesvorhaben, für homosexuelle Aktivitäten oder deren Förderung lebenslange Haft zu verhängen. In Uganda ging der Abgeordnete Asuman Basalirwa noch weiter, seltsamerweise zur selben Zeit: Er brachte einen Antrag zur weiteren Verschärfung der ohnehin drakonischen Antihomosexuellengesetzgebung ein.

Es mangelt in beiden Ländern nicht an Gesetzen in dieser Sache. Die 100 Jahre alten scharfen Gesetze gegen Homosexualität aus der britischen Kolonialzeit sind weiterhin in Kraft. In Uganda kippte das Verfassungsgericht 2014 eine Reihe geplanter Verschärfungen, während Kenias Justiz 2019 das geltende Homosexualitätsverbot bekräftigte.

Eine nur scheinbar zusammenhanglose Entwicklung in Kenia ist die Wahl von William Ruto zum Präsidenten vergangenes Jahr. Ruto ist für klare Ablehnung von Homosexualität bekannt. In Uganda hat die Aufregung über das Thema in den letzten Jahren abgenommen, weil es sehr wenige bekennende Schwule gibt, bis dieses Jahr soziale Medien behaupteten, es gebe eine „Schwulenrekrutierungskampagne“ in Internaten, finanziert von Ausländern. Infolgedessen wurde am letzten Februartag verkündet, das Parlament werde das Antischwulengesetz neu behandeln, das das Verfassungsgericht vor neun Jahren gekippt hatte. Der Abgeordnete Asuman Basalirwa, der das vorantreibt, ist seltsamerweise ein Oppositioneller, der einzige Vertreter seiner muslimischen Partei und Jurist. Jetzt arbeitet er eng mit der gefürchteten Parlamentspräsidentin Anita Among zusammen.

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Die Karawane zieht weiter — !!

Ugandas Parlament ist eigentlich mit Korruptionsskandalen beschäftigt. Es hat empfohlen, dass die für den 8,5 Milliarden US-Dollar schweren Sozialversicherungsfonds NSSF zuständige Arbeitsministerin Betty Amongi zurücktritt und die NSSF-Leitung vor Gericht gestellt wird. Mehrere weitere Kabinettsmitglieder sollen Wellblechdächer veruntreut haben, die an Arme im dürregeplagten Nordosten gehen sollten. Ein Dach kostet 8 US-Dollar, pro Minister sind mehrere Hundert gestohlen worden.

Man würde in dieser Situation nicht die Jagd auf mutmaßliche Schwule zur Priorität erklären. Aber die Parlamentspräsidentin will das durchziehen: Die Abstimmung über das neue Antihomosexualitätsgesetz soll öffentlich stattfinden, per Handzeichen, und religiöse Führer sollen zuschauen. Jeder soll wissen, wer für Homosexualität ist und wer dagegen. Man kann dies als Einschränkung der Gewissensfreiheit der Abgeordneten werten. In einem so ultrareligiösen konservativen Land setzt jeder Abgeordnete, der hier mit Nein stimmt, seiner Karriere ein Ende. Homosexualität ist in der Gesellschaft zwar kein Thema, aber das ist kein Widerspruch: Sie gilt als fürchterliche Sünde, die sehr selten ist. Kein Führer darf den Eindruck erwecken, diese Sünde zu fördern, wie die Gegner es unweigerlich ausdrücken würden.

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Tyrannei der Mehrheit

Erstellt von DL-Redaktion am 2. März 2023

Umbau von Israels Justiz

Ein Debattenbeitrag von FANIA OZ-SALZBERGER und ELI SALZBERGER

Demokratie ist Teil von Israels Sicherheit. Deutschland ist aufgerufen, Angriffe auf Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Bürgerrechte zu kontern.

Benjamin Netanjahus zwei Monate alte Regierung – eine Koalition aus extremen nationalistischen und ultraorthodoxen Kräften – ist das erste durchgängig rechte Kabinett unseres Landes. Es könnte auch dessen letzte demokratische Regierung sein. Ihre Mitglieder sind entschlossen, nicht nur Gesetze und Politik zu verändern, sondern auch das Wesen Israels als Staat. Keine liberale Demokratie mehr, stattdessen wird geschickt ein nationalistisch-religiöses, autoritäres Regime etabliert.

Netanjahu war einmal ein lautstarker Unterstützer des Obersten Gerichts und stolz auf das internationale Ansehen der Unabhängigkeit israelischer Rechtsprechung – doch nur so lange, bis er sich wegen Korruption vor Gericht verantworten musste. Seit zwei Jahren arbeitet er faktisch auf einen Staatsstreich hin, inspiriert von Viktor Orbáns feindlicher Übernahme der ungarischen Demokratie. Ein Netzwerk aus Pseudo-Journalisten und Chaos-Agenten in den sozialen Netzwerken sorgt dafür, dass Netanjahus Unterstützer mit Lügen gefüttert werden. Sie sollen die bestehende Justiz als Volksfeind betrachten. „Zion wird durch Recht erlöst“ (Jesaja 1:27) ist die offizielle Bezeichnung ihres geplanten Regelbruchs – Orwell hätte seinen Spaß daran. Nichts weniger als das jüdische Erbe wird damit missbraucht und untergraben.

Mehrere wichtige Minister haben bereits ihre Absicht kundgetan, das öffentliche Leben Israels umzugestalten, indem sie Persönlichkeitsrechte einschränken, vor allem die arabischer Bürger, Frauen und LGBTQ. Das Streikrecht soll beschnitten werden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die Pressefreiheit sind bedroht. Im Schulunterricht sollen die Werte Gleichheit und Schutz von Minderheiten nicht länger vermittelt werden.

Einige der „Reformen“, wie die Regierung sie bezeichnet, liegen der Knesset bereits als Gesetzentwürfe vor. Klar ist, dass sie unter den bisherigen Regeln nicht in Kraft treten dürften, denn das Oberste Gericht würde sie mit Verweis auf bestehende Gesetze und die Tradition von 75 Jahren Rechtsprechung sicher für ungültig erklären. Aus diesem Grund zielt gleich die erste Initiative des Kabinetts darauf, die Unabhängigkeit der Justiz und Möglichkeiten abzuschaffen, Gesetze und Entscheidungen der Regierung zu überprüfen.

Im politischen Lexikon Netanjahus und seiner Partner ist jeder Gegner der sogenannten Reform – ja jeder liberale Israeli mit Bürgersinn, egal ob links, Mitte oder rechts – ein Verräter. Unpatriotisch. Dem jüdischen Staat gegenüber untreu. „Geht doch nach Berlin“, höhnen sie in den sozialen Netzwerken und in der Knesset. „Ihr habt hier nichts mehr zu suchen“, sagen sie den Tausenden Demonstrierenden, die ihr ganzes Leben mit Überzeugung für dieses Land gearbeitet und gekämpft haben. Unser neuer „Propagandaminister“ erzählt der Welt, dass unser Bürgerprotest „aus Deutschland und dem Iran finanziert“ werde. So entsteht in ihrer ignoranten und verwirrten Einbildung eine neue Achse des Bösen.

Diese rasche und unheilvolle Entwicklung ist nur teilweise mit den antidemokratischen Erdrutschen in Polen oder Ungarn vergleichbar, denn die Konsequenzen für Israel werden sehr viel verheerender sein. Zum einen, weil Israel keine geschriebene Verfassung hat und das Oberste Gericht, der Generalstaatsanwalt und die Rechtsabteilungen der Knesset wie der Ministerien die einzigen Kontrollmechanismen darstellen, wobei die Rechtsabteilungen nun zu politischen Ausführungsorganen werden sollen. Sollten diese Instanzen und ihre Rechtsprechung ausgeschaltet werden, öffnete sich damit die Tür zu einer Tyrannei der Mehrheit.

Berlin and Israel walls

Anstelle einer liberalen Demokratie wird geschickt ein nationalistisch-religiöses autoritäres Regime etabliert

Zweitens wird Israels Gesellschaft von zahlreichen Bruchlinien durchzogen: zwischen rechts und links, Juden und Arabern, Orthodoxen und Säkularen, Juden und Jüdinnen mit orientalischen Wurzeln und denen, deren Vorfahren aus Europa einwanderten. Schon häufen sich die gesellschaftlichen Konflikte – bald wird es keinen Mechanismus mehr geben, um Kompromisse zu finden und den Hass in Schach zu halten.

Drittens gibt es den langen und blutigen Konflikt mit den Palästinensern und Palästinenserinnen, von denen viele unter Besatzung leben. Die Gewalt eskaliert. Netanjahus Regierung plant, die jüdische Besiedlung im Westjordanland auszuweiten und palästinensische Gebiete zu annektieren. Aber vorher versucht die Regierung, das Leben der Pa­läs­ti­nen­se­r zusätzlich zu erschweren, mit unverhältnismäßigen Maßnahmen und Kollektivstrafen. Eine neue Komponente ist das schamlose Niederbügeln zivilgesellschaftlicher Kritik. Eine israelische Armee oder Polizei ohne Kontrollinstanz bereitet aber den Weg zu schrecklicher Gewalt, was nicht nur Israel und Palästina beträfe, sondern einen großen Teil der islamischen Welt.

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Falsche Linke Socken ?

Erstellt von DL-Redaktion am 28. Februar 2023

Antifaschismus ist unverhandelbar.

So wie die Alten sungen – so zwutschern es die Jungen !

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von     :    Edith Bartelmus-Scholich

Machen wir uns nichts vor: Ein Nazi bleibt ein Nazi – auch wenn er seine Fahne zuhause lässt. Die Debatte, wie, wann und weshalb wir als Linke mit Nazis demonstrieren können, ist ein Armutszeichen für die Linke und weist auf nichts anderes hin als auf unsere eigene Schwäche.

Am 25. Februar fand vor dem Brandenburger Tor in Berlin eine Friedenskundgebung von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer statt. Die 50.000 Teilnehmer:innen, die die Veranstalter:innen angeben, waren es sicher nicht. 25.000 können es gewesen sein. Das ist eine große Demonstration, aber wen wundert das. Die Kundgebung wurde über alle Massenmedien bekannt gemacht, den Aufruf haben mehr als 600000 Menschen unterschrieben. Berlin ist eine Millionenstadt. Gemessen daran, war es dann doch keine so große Veranstaltung. Viel wichtiger ist aber, wer da mit wem demonstrierte. Was ich so von der Kundgebung zu sehen bekommen habe – es gibt ja zahlreiche Videos und viele Bilder – belegt, dass dort Linke, Querdenker, Prorussische Kräfte und Rechtsextreme gemeinsam unterwegs waren.

Ein Querfront-Szenario

Es kursieren Videos in denen die Menschenmenge „Lügenpresse“ skandiert. Das ist seit dem „Friedenswinter“ 2014 ein deutlicher Hinweis auf rechte Bewegungszusammenhänge. Inzwischen ist belegt, dass mindestens ein Dutzend bekannter AfD-Funktionäre teilnahm, obwohl die Spitze um Tino Chrupalla zuletzt erklärt hatte, dies nicht zu tun. Aus Hamburg kamen die MdBÜ Olga Petersen und Dirk Nockemann. Es gibt zudem Bilder der AfD-Politiker Gunnar Lindemann (Berlin), Jörg Urban (Sachsen), Hans-Thomas Tillschneider (Sachsen-Anhalt), Karsten Hilse (MdB AfD Sachsen), des Holocaust-Leugners Nerling und Jürgen Elsässer vom Compact – Magazin wird in einem Video von Linken abgedrängt, als er mit einer ganzen Gruppe und einem großen Transparent zur Bühne unterwegs war. Es liefen Gruppen von AfD-Mitgliedern mit, die alle große blaue Pappherzen mit dem Wort „Frieden“ auf der einen und dem Spruch „Deutschland zuerst“ auf der anderen Seite hochhielten. Es gab jede Menge rechter Aufnäher auf Kleidungsstücken zu sehen. Und auch die Originaltöne von vielen Demonstrierenden in den Videos sind eindeutig rechtslastig. In einem Video erklärt ein „Friedensfreund“, dass Putin den Krieg schon hätte 10 Jahre früher beginnen sollen. https://twitter.com/i/status/1630046980318679043

Wie groß der Anteil von AfD-Unterstützer:innen und anderen extremen
Rechten prozentual in Berlin war, bleibt Spekulation. Die eindeutig antifaschistischen Bekundungen durch Buttons, Plakate, Transparente waren jedoch nicht dominierend. Der Vorstand der Partei DIE LINKE hatte nicht zu der Kundgebung aufgerufen und die Teilnahme von LINKEN belief sich auf wenige Hundert.

Die Teilnehmer:innen setzten sich nach Einschätzung eines Genossen aus folgenden Spektren zusammen:

1) Unterstützer*innen des Putin-Regimes und des russischen Angriffskrieg. Auf der Kundgebung waren Russland- aber keine Ukraine-Fahnen, die faschistischen, russischen Nachtwölfe waren vertreten. Es wurde masssenhaft gebuht, als die Demoauflagen verlesen wurde, und damit kriegsverherrlichende Symbole wie das „Z-Symbol“ verboten waren. Schließlich zog eine Gruppe von etwa 1000 Menschen mit prorussischen Fahnen und Zeichen als Demonstrationszug in Richtung Potsdamer Platz.

2) Wohlstandsverwahrloste Kleinbürger:innen, denen das Völkerrecht und die Leiden der ukrainischen Bevölkerung egal sind. Wichtig ist ihnen billiges Benzin, weniger Inflation und eine geringere Anzahl (ukrainischer) Geflüchteter. Im reaktionären Sinne wollen sie zurück zu einer angeblich  „heilen Welt“ ohne „Belästigung“ durch einen Krieg vor der Haustür. Ein egoistisches Spektrum, welches auch schon bei den Corona-Protesten gegen Impfpflicht und Hygiene- Maßnahmen demonstrierte.

Sage mir mit wem du sitzt und andere sagen dir mit wem du aufstehst ?

3) Lernresistente Altlinke, die Imperialismus immer noch nur als us-amerikanisch dominiert denken können und die das post-sowjetische Russland mit seinem Oligarchen-Kapitalismus dann letztendlich doch noch als irgendwie positives Bollwerk verteidigen. Und welche die sonstige Kritik am Putin-Regime (Rassismus und Unterdrückung ethnischer Minderheiten, Homophobie, Mysogenie, Maskulinismus und Militarismus) sowieso für woke Identitätspolitik einer Lifestyle-Linken halten.

4) Menschen, die wirklich von Angst getrieben sind, dass sich der Krieg ausweiten könnte bis hin zu einem Atomkrieg. Und die ernsthaft wollen, dass das Sterben in der Ukraine so schnell wie möglich beendet wird.

Das letzte Spektrum ist das, um welches Linke kämpfen müssen, ohne sich mit Rechten gemein zu machen. Dem Rest müssen Linke aus antiimperialistischer, antifaschistischer und antimilitaristischer Perspektive heraus entgegentreten.

Die Lehren aus „Berlin“

Es gab an diesem Wochenende mehrere größere Friedensdemonstrationen. Die größte war die Friedenskette zwischen Münster und Osnabrück. Das ist eine Veranstaltung der Friedensbewegung mit Tradition, fest in der Hand eines Bündnisses. Dort demonstrierten überwiegend bürgerliche Menschen, und von Nazis wurde bislang nichts bekannt.

In Köln demonstrierten 2000 Menschen, Nazis wurden nicht gesehen, auch hier gab es ein Bündnis, der Aufruf war nicht rechtsoffen wie der nach Berlin.

In Berlin demonstrierten ca. 25000 Menschen, darunter namhafte Nazis, viele nicht namhafte Nazis, erkennbar an Schildern und Aufnähern. In Berlin waren auch viele Querdenker und sonstige Rechte dabei.

Weshalb war das so?

1) In Berlin gab es kein Bündnis. Der Aufruf wurde von einer kleinen Anzahl prominenter Personen (Wagenknecht, Schwarzer etc.) veröffentlicht und medial gepusht.

2) Einen demokratischen Prozess gab es auch nicht. Der Aufruf wurde ohne jede Beteiligung aller bisherigen Akteure der Friedensbewegung und der politischen Linken vorbei von einem kleinen Kreis um Wagenknecht geschrieben. Auch die Kundgebung wurde in diesem kleinen Kreis geplant.

3) Der Aufruf war rechtsoffen. Nazis fühlten sich angesprochen. Wagenknecht hatte vor der Veranstaltung mit der Aussage, dass „Jeder“ willkommen sei, der „reinen Herzens“ für Frieden und Verhandlungen mit Russland“ sei, die extreme Rechte nicht ausgeschlossen, sondern nur deren publicity-schädliche Symbolik als unerwünscht erklärt. Ihr Ehemann und prominenter Erstunterzeichner des „Friedensmanifests“ Oskar Lafontaine hatte in einem Video sogar explizit nicht nur AfD-Mitglieder, sondern auch -Politiker eingeladen.
https://www.youtube.com/watch?v=DGiSk0MTSW0&t=2331s (Minute 40ff)

Daraufhin hatte sich die DFG-VK von der Demo in Berlin distanziert und auch darauf hingewiesen, dass Friedensfahnen nicht etwa auf die Anwesenheit der DFG-VK hinweisen. Sie seien im Online-Shop von jeder Person zu erwerben.

Was lernen wir aus „Berlin“?

„Berlin“ zeigt, wohin wir treiben, wenn wir einen populistischen Weg unter Führung weniger Prominenter gehen. Demokratische Prozesse und Bündnisstrukturen werden ausgehebelt, es gibt keine legitimierten Korrektive mehr und die Abgrenzung nach Rechts geht verloren.

Wir brauchen für unsere Friedensaktivitäten immer eine Bündnisstruktur unter Ausschluss von Nazis. Wir brauchen immer einen demokratischen Prozess. Unsere Aufrufe dürfen nie rechtsoffen sein. Antifaschismus ist nicht verhandelbar.

Edith Bartelmus-Scholich, 27.02.2023

DIE LINKE: Querfront-Alarm – 18-02-23 20:58

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

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Grafikquellen       :

Oben       —   Lafontaine Fotomontage:

Die Fotomontage stammt aus der Projektwerkstatt


Virtuelle Projektwerkstatt von SeitenHieb Verlag steht unter einer Creative Commons

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Unten     —      Rechte Tasche – linke Tasche – übrig blieb die leere Flasche /  Screenshot  YOUTUBE

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Wider den Fatalismus

Erstellt von DL-Redaktion am 15. Februar 2023

Der Planet wird uns – wenn nötig – abschütteln

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Ein Schlagloch von Ilja Trojanow

Wenn ohnehin alles schon zu spät wäre, könnten wir uns die Mühe gleich sparen. Ist es aber nicht und Panikmache allenfalls kontraproduktiv. Der Planet wird uns – wenn nötig – abschütteln wie eine lästige Erkältung und ohne uns weiter existieren.

Zu spät“, sagte die Frau im Radio. „Es ist zu spät.“ Die Politikerin wiederholte ihre Klage ein Dutzend Mal. Um das Zögern des Bundeskanzlers bei Panzerlieferungen anzugreifen. Auf Kosten der deutschen Sprache, denn wenn etwas zu spät ist, kann man es auch gleich bleiben lassen. Wer zu spät zum Bahnhof kommt, verpasst den vorgesehenen Zug. Endgültig. Aber es gibt – bei der Bundesbahn wie auch im richtigen Leben – meist einen anderen Zug, einen nächsten. Laut Fahrplan und Lebenserfahrung. Einen Zug, in den man trotz vorangegangenen Gejammers einsteigen wird.

Wir sind derartige Hysterisierung inzwischen gewohnt. Seit einigen Jahren mit endzeitlichem Horizont. Ob beim Krieg gegen die Ukraine oder im Kampf gegen die Klimazerstörung, stets handelt es sich um unsere letzte Chance. Um einen finalen Showdown mit dem Schicksal. Als spielten wir beim Poker all-in. Ob es um unsere Freiheit oder das Überleben der Menschheit geht: It’s now or never!

Das Endgültige zeichnet sich dadurch aus, dass es selten vorkommt – die Apokalypse hat ein solides Alleinstellungsmerkmal. Das Hierundjetzt hingegen wiederholt sich unzählige Male, täglich, stündlich, augenblicklich. Es eignet sich schlecht zur Überdramatisierung, zur existenziellen Reizüberflutung. Und die Gelassenheit, die sich aus dem Wissen um eine weitere Chance ergibt, ermöglicht einen aufgeklärteren Diskurs als das Drohen mit dem Weltuntergang, das uns in die Arme der Alternativlosigkeit treiben soll.

Strukturell ist das Kröchsen der Krähen von allen Kriegstürmen herab dem Sirenengeheul an Bord des untergehenden Planeten Erde ähnlich. Natürlich bin auch ich angesichts der Faktenlage überzeugt, dass wir nur durch radikale Transformation schwerste ökologische Schäden vermeiden können. Weder technologische Lösungen noch grüner Habitus werden uns dabei wesentlich helfen. Aber ich bezweifle, angesichts der Erfahrungen der letzten Jahre, dass krypto-religiöser Alarmismus einen wertvollen Beitrag leistet.

Zumal die apokalyptische Erwartung wenig mit der Realität zu tun hat. Unsere Freiheit wird natürlich nicht nur in der Ukraine verteidigt. Zum einen, weil sie sich vieler anderer Angriffe erwehren muss (das Erstarken autoritärer und repressiver Kräfte, Vermögenskonzentration, Überwachungskapitalismus, die globale Ungerechtigkeit usw.). Zum anderen, weil es gute Gründe gibt zu bezweifeln, dass eine geschwächte Armee, die nicht einmal einige Provinzen des Nachbarlandes okkupieren kann, in absehbarer Zeit Länder der Nato angreifen oder gar besetzen wird.

Ähnlich verhält es sich bei den ökologischen Herausforderungen. Die Erde wird nicht untergehen, sondern wenn überhaupt die Menschheit. Das Gleichnis von der Arche Noah, das uns hierzulande stark geprägt hat, entstand in einer Wüste, wo es wenige Tiere gab. Die Indigenen im Amazonas, umgeben von allem, was fleucht und kreucht, wären nie auf so eine Geschichte gekommen, weil sie wussten, dass es auch Tiere im Wasser gibt. Jede Dystopie trägt ihre eigenen Scheuklappen. Der Planet wird uns – wenn nötig – abschütteln wie eine lästige Erkältung und ohne uns weiter existieren. Und wer die Natur liebt oder verehrt, wird diese Aussicht vielleicht als beglückend empfinden – schließlich ist schwer erträglich, dass wir das Wunder des Urwaldes zerstören, um veganen Käse zu produzieren. Was untergehen könnte, ist unsere dekadent-destruktive Lebensweise.

Panische Zuspitzungen verhindern, dass wichtige Entwicklungen Beachtung finden. Ein Beispiel hierfür war die Berichterstattung über Lützerath. Die Medien servierten uns ein „High Noon in Niederrhein“: Bagger gegen Baumhäuser. Und übersahen dabei, dass sich dort lebendige und belebende Formen eines alternativen Miteinanders bildeten, wie mir drei Teilnehmerinnen erzählten. Das selbstorganisierte Wirken von Tausenden von Menschen (ein beeindruckendes Panorama der Klimabewegung von gemäßigt bis radikal), die auf basisdemokratische Weise ein funktionierendes Kollektiv formten.

Quelle        :          TAZ-online        >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     Full disk view of the Earth taken on December 7, 1972, by the crew of the Apollo 17 spacecraft en route to the Moon at a distance of about 29,000 kilometres (18,000 mi). It shows AfricaAntarctica, and the Arabian Peninsula.

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KEINER WARS GEWESEN

Erstellt von DL-Redaktion am 14. Februar 2023

Corona-Kommandeure: Irre irrten gern

So winkt eine politische Winkerkrabbe ihren Fans zu.

Quelle       :    RATIONALGALERIE

Autor: Uli Gellermann

„Was Schwachsinn gewesen ist, wenn ich so frei sprechen darf, sind diese Regeln draußen (gewesen)“, sagt der Haupteinpeitscher des profitablen Corona-Schwachsinns, Karl Lauterbach, heute. Er führt eine Riege von Zurückruderern an, die für die Lockdowns, die ungesunden Maskeraden und das Gesangsverbot ebenso verantwortlich waren, wie für die Angstmacherei durch täglich hämmernde Inzidenz-Verkündungen, wie das Verbot, Sterbende zu besuchen. Alles angeblich im Namen der Gesundheit, aber in Wirklichkeit im Auftrag der Pharma-Industrie, die ihre gefährlichen Spritzstoffe in die Arme von Millionen gesunder Menschen drücken wollte und daran blendend verdiente.

Da habe ich mich halt geirrt

In der ZEIT, die in der Zeit der Corona-Repression nie den Mund aufgemacht hat, nichts zu schreiben wußte gegen die Gleichschaltung der Medien oder die Liquidierung der wissenschaftlichen Debatte; in dieser ZEIT „bekannten“ jüngst 25 Menschen „Da habe ich mich geirrt“. Von Ministerpräsidenten über Wissenschaftsjournalisten bis zu Ärztefunktionären tun die 25 heute so, als wären sie damals irrtümlich bei Rot über die Straße gegangen. Dass eine nicht kleine Zahl ihrer Irrtumsopfer heute auf Friedhöfen liegt? Denn die angeblich heilbringenden Stoffe von Biontech oder AstraZeneca oder Moderna wurden hoppla-hopp entwickelt, ohne die notwendigen mehrjährigen Placebo-kontrollierten Studien. Und die EU-Kommission hat im Oktober 2022, an allen gesetzlichen Regeln vorbei, Millionen Menschen als Versuchstiere derPharma-Industrie vor die Spritzen getrieben. Und nur dafür war der „Irrtum“ gut: Mit Panikmache und Hysterie wurde ein profitables Pharma-Marketing betrieben.

Lesen wir jetzt Entschuldigungen?

Der NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) zum Beispiel quasselt von einem anonymen WIR: „Wir haben jede Bewegung in jedem Friseursalon, Kosmetik- und Tattoostudio reglementiert, bis ins allerletzte Detail.“ WIR? Der Feigling kann nicht mal ICH sagen, obwohl er als Ministerpräsident an der Spitze einer Corona-Befehlskette gestanden hat, die jeden Bürger drangsalierte. Der Ministerpräsidentin von Mecklenburg Vorpommern, Manuale Schwesig (SPD) fällt jetzt ein: „Die Schließung der Spielplätze war ein Fehler“. Jetzt, wo in einem „Abschluss-Bericht von Familienministerin Lisa Paus (GRÜNE) und Gesundheitsminister Karl Lauterbach festgestellt wird, dass 73 Prozent aller Minderjährigen noch immer durch Corona psychisch belastet sind, das manche Kinder in der ersten Klasse keinen Stift halten können. Das waren doch die Paus und Konsorten, die im August 2022 ultimativ die Maskenpflicht in Schulen forderten und mit diesen gesundheitsschädlichen Lappen unseren Kinder das Lächeln aus dem Gesicht wischten. Unseren Kinder hat man die Spielplätze mit rotweißem Unfallbändern abgesperrt, unseren Kindern hat man den Kontakt zu ihren Freunden brutal verboten, unseren Kindern hat man drei Jahre lang einen geregelten Schulunterricht gestohlen. Lesen wir jetzt Entschuldigungen? Hat man von Wiedergutmachung gehört? Keineswegs.

RKI-Funktionär Lothar Wieler schummelt bis heute

Bis heute schummmelt der RKI-Funktionär Lothar Wieler: „Es gab nie nur die Alternative: Entweder wenige Tote oder Schulen offen halten“. Die Bande lügt bis heute. Es gab Alternativen: Zum Beispiel den Gouverneur des US-Bundesstaates Florida, Ron DeSantis, der Geschäften, die Kunden ohne Masken, Tests oder Impfungen abwiesen, sogar empfindliche Geldbußen androhte. Seine Philosophie als Gouverneur sei es, die „individuelle Freiheit zu schützen“, sagte er. Jeder solle selbst seiner Gesundheit Schmied sein. Der Präsident von Belarus, Aljaksandr Lukaschenka nannte die angebliche Pandemie sogar eine „Corona-Psychose“ . Und? Gab es in diesen Ländern signifikant mehr Tote als in anderen Ländern? Nein. Aber damit hatte man doch die Menschen weltweit in die Todesangst getrieben, mit dem „Killervirus“.

Kein Killervirus!

Und wenn ein Wissenschaftler, ein Epidemiologe, vor Uli Gellermanns Kamera sagte, dass das Coronavirus eben kein Killervirus sei, dann wurde sein Video auf YouTube gelöscht, und er bekam Berufsverbot. Heute sagt der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar, der damals eine Sendung über die „Pandemie“ nach der anderen machte, in der ZEIT: Es „hätte mich eines noch stutziger machen müssen: wie wenig wir bei den Corona-Toten darüber wussten, wie viele Menschen wirklich an (nicht nur mit) Covid gestorben waren“. Damals zählte jeder Krebstote, jedes Unfallopfer und jeder Schlaganfall als Corona-Toter, wenn man auch nur in seiner Nähe das Virus festgestellt hatte. Wer Obduktionen forderte, um die Todesursachen zweifelsfrei festzustellen, galt als Leichenfledderer. Der angebliche Kampf gegen Corona war in Wirklichkeit nicht nur ein Kampf gegen die Demokratie, sondern auch gegen die medizinische Wissenschaft.

Linke: Mit Corona verstorben

Heute erfährt man vom thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow „Am schlimmsten aber waren für mich die Schulschließungen. Wir hätten die Schulen und Kindergärten während der zweiten Welle offen halten müssen. Da sind wir als Landesregierung von der Hysterie getrieben worden, und Hysterie ist nie ein guter Ratgeber.“ Dass Ramelow die Hysterie unterstützt hat, sieht man nicht nur daran, dass er lieber mit den Wölfen heult statt sie zu jagen, sondern auch an der über alle Medien verbreiteten Verleumdung aller Maßnahmenkritiker: Die seien irgendwie „rechts“. Im Mai 2022 wußte zum Beispiel die „DEUTSCHE WELLE: „Impfgegner, Demokratiefeinde und Verschwörungstheoretiker demonstrieren gemeinsam gegen Deutschlands Corona-Politik“. Wer sich die Demonstrationen selbst anschaute, sah eine Mischung von Menschen, die er auch bei jedem Bundesligaspiel hätte sehen können. Aber selber sehen? Bloß nicht, man hätte ja der Wahrheit ins Gesicht sehen müssen. Und spätestens seit Corona weiß man, dass die Wahrheit krank macht. Und an der Lüge starb dann auch die deutsche Linke.

Es gibt Virologen und Virolügner

Jonas Schmidt-Chanasit ist einer der Virologen, der führend an der Corona-Panikmache beteiligt war. Dem fällt heute in der ZEIT ein: „Vielleicht habe ich mich deshalb in der Folge zu wenig gegen Schul- und Kita-Schließungen engagiert.“ Zu wenig? Gar nicht! Mit dem Mogelwort „vielleicht“ wird immer gern gelogen. Viola Priesemann, 40, ist Physikerin und berechnete viele Corona-Modellierungen. Die wagt, heute zu sagen: „Ich habe mich lange gefragt, woher die Missverständnisse in den Corona- Debatten kommen. Mir war es als Modelliererin wichtig, Faktengrundlagen zu liefern – deren politische Bewertung ist nicht meine Aufgabe. Irgendwann ging mir auf, dass oft Fakten und Wertung vermengt werden“. Vermengt, vermanscht, verdorben: Die Physikerin hat sich zur Dienerin von Pharma-Industrie und Politik gemacht. Dass ihr das heute erst aufgeht, ist billig.

Mein Arm gehört mir!

Andere Präsenter der Coronalügen waren sicher nicht billig. Die Scharf- und Mitmacher in Politik und Kultur wie Frau Wagenknecht, die jämmerlich von ihrem Mann Herrn Lafontaine zu erzählen wusste, dass der schon geimpft sei oder Herr Nideggen von BAP, der zwar von der Kristallnacht zu singen weiß, aber die Nacht nicht sehen kann, wenn sie finanziell gut ausgeleuchtet wird und der seinen Arm für ein Plakat der Pharma-Industrie gern unter die Spritze hielt. Demonstrativ und plakativ gespritzt hat auch Alice Schwarzer, von der man gehofft hatte, dass sie sagen würde: Mein Arm gehört mir! Wie wurde sie für das Spritz-Poster entlohnt? Haben die sich alle irgendwie bloß geirrt? Nein, sie haben mitgemacht. Sie waren Werbeträger, sie haben der unmenschlichen Spritzen-Kampagne ein menschliches Antlitz gegeben, sie alle gehören vor ein ordentliches Gericht. Aber das wird es nicht geben, weil die Gerichte, bis hin zum Bundesverfassungsgericht, das die Bundesnotbremse durchwinkte, Corona-korrupt sind. Es wird ein Volks-Tribunal geben müssen, das dem guten Recht der Bürger zu seinem Recht verhilft.

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Grafikquelle :

Oben      —    Prof. Dr. Karl Lauterbach (Gesundheitspolitischer Sprecher, SPD), Foto: <a href=“http://www.stephan-roehl.de“ rel=“nofollow“>Stephan Röhl</a> Tagung „Wie geht es uns morgen?“ in der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin

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Ende eines Kulturkampfs

Erstellt von DL-Redaktion am 7. Februar 2023

Als letztes Bundesland muss Berlin Lehrerinnen mit Kopftuch zulassen.

Ein Debattenbeitrag von Daniel Bax    –  er ist Sprecher des Deutschen Zentrum für Integration-und Migrationsforschung und lebt in Berlin. In seiner Grundschule in Baden-­Württemberg nahm er, obwohl ungetauft, am Religionsunterricht teil. Getauft ist er bis heute nicht.

Dass Gerichte das wiederholt einfordern mussten, wirft kein gutes Licht auf die Politik. Wenn selbst Lehrerinnen ein Kopftuch tragen, dann taugt es nicht mehr als Zeichen des Protests.

Die letzte Abwehrschlacht ist geschlagen, das Rückzugsgefecht verloren. Das Land Berlin darf seinen Lehrerinnen nicht pauschal verbieten, ein Kopftuch zu tragen. Das hatte das Bundesarbeitsgericht in Erfurt zwar bereits vor zweieinhalb Jahren festgestellt.

Doch die damalige Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) wollte das so nicht hinnehmen und reichte, unterstützt von der Rechtsanwältin Seyran Ateş, Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Diese Beschwerde wurde jetzt abgewiesen. Damit endet ein Berliner Sonderweg – und zugleich auch ein zäher und erbittert geführter Kulturkampf.

Der begann vor ziemlich genau 25 Jahren, als die deutsch-afghanische Lehrerin Fereshta Ludin in Baden-Württemberg nicht in den Schuldienst aufgenommen wurde, weil sie im Unterricht aus Glaubensgründen ein Kopftuch tragen wollte. Damit begann 1998, was als „Kopftuchstreit“ in die deutsche Geschichte eingehen sollte. Die rechtspopulistischen „Republikaner“ saßen damals noch im Stuttgarter Landtag und machten Druck, und die damalige CDU-Kultusministerin Annette Schavan gab sich betont hart: Das Kopftuch sei ein „Symbol des Islamismus“ und der „Unterdrückung der Frau“ und habe nichts in Lehrerzimmern zu suchen. Diese schrillen Töne sollten die Debatte fast zwei Dekaden lang prägen.

Es ging dabei meist um mehr als nur um das Kopftuch: Bei vielen „Islamkritiker:innen“ schwangen Verschwörungsfantasien von einer angeblich schleichenden „Islamisierung“ mit.

Mit seinem ersten Kopftuch-Urteil 2003 sorgte das Bundesverfassungsgericht für Verwirrung. Viele Bundesländer verstanden es als Aufforderung, gesetzliche Kopftuchverbote für Lehrerinnen einzuführen. Das Land Berlin ging sogar darüber hinaus und untersagte es allen Lehrkräften an öffentlichen Schulen, im Dienst irgendein religiöses Symbol zu tragen – egal ob Kopftuch, Kippa oder Kreuz am Hals. Erst zwölf Jahre später stellten die Rich­te­r:in­nen in Karlsruhe klipp und klar fest, ein pauschales Kopftuchverbot sei nicht mit der Religionsfreiheit vereinbar, die das Grundgesetz garantiert. Nur wenn der Schulfrieden bedroht sei, könne es im Einzelfall verboten werden.

Seither unterrichten in mehreren Bundesländern an staatlichen Schulen muslimische Lehrerinnen, die ein Kopftuch tragen. Der Schulfrieden wird dadurch nicht gestört – außer durch intolerante Eltern oder Kolleg:innen, die damit ein Problem haben. Die Schreckensszenarien haben sich nicht erfüllt, die moralische Panik war unbegründet.

Natürlich dürfen Lehrkräfte nicht missionieren. Das gilt aber nicht nur für muslimische Lehrerinnen und das war auch schon immer so. Bisher ist auch nicht bekannt, dass Schü­le­r:in­nen beim Anblick eines Kopftuchs spontan zum Islam konvertiert wären. Ganz im Gegenteil: Wenn selbst Lehrerinnen ein Kopftuch tragen, dann taugt es nicht mehr als Zeichen des Protests, als Mittel zur Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft oder der Erwachsenenwelt. Durch seine Normalität wird das Kopftuch mehr und mehr entpolitisiert.

Fast alle Bundesländer erlauben Lehrerinnen inzwischen ein Kopftuch, wenn diese das wollen – alle, außer Berlin. Die Hauptstadt zahlte zuletzt sogar lieber Entschädigungen an Lehrerinnen, die sich diskriminiert fühlten, als ihr fragwürdiges „Neutralitätsgesetz“ abzuschaffen. Der Name ist geschickt gewählt, aber irreführend: Er verkehrt den Sinn staatlicher Neutralität in sein Gegenteil. Denn ein wirklich religionsneutraler Staat beschneidet nicht die Religionsfreiheit seiner Leh­re­r:in­nen und macht ihnen auch keine Bekleidungsvorschriften. Das hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt.

Im Berliner Sonderweg wirkt ein preußischer Staatsprotestantismus nach, der sichtbare Zeichen der Religiosität stets mit Argwohn beäugte. Im Kaiserreich richtete sich das gegen Katholiken, in der „Berliner Republik“ gegen Muslime. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass in Berlin – neben der AfD – nur noch die Partei mit dem „C“ im Parteinamen an dem Gesetz festhalten will. Es gefährde „den Frieden und Zusammenhalt“, wenn religiöse Symbole „in staatlichen Einrichtungen demonstrativ zur Schau gestellt werden“, kommentierte die Berliner CDU-Politikerin Cornelia Seibeld trotzig den Entscheid aus Karlsruhe. Die kirchenpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus meinte damit natürlich nicht Weihnachtsbäume oder Osterschmuck, sondern das Kopftuch bei Lehrerinnen.

Dass Gerichte immer wieder auf Religionsfreiheit für alle pochten zeigt zwar einerseits, dass der Rechtsstaat funktioniert. Allerdings brauchten die Gerichte dafür viel Zeit. Und auf die Politik wirft das kein gutes Licht. Insbesondere christdemokratisch geprägte Landesregierungen trieben lieber populistische Gesetze voran, die muslimische Lehrerinnen im Namen einer vorgeblich christlichen „Leitkultur“ diskriminierten.

Quelle       :          TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —   A woman carries her baby inside a compound where Ugandan soldiers and doctors serving with the African Union Mission in Somalia (AMISOM) were providing free medical check-ups and treatment in the Kaaran district of the Somali capital Mogadishu. The free medical care and distribution of mosquito nets were part of a week-long programme called Tarehe Sita – Swahili for 6 February – which is the commemorative date that the Ugandan People’s Defence Force (UPDF) was formed. This year marks 31 years since the UPDF’s creation, which currently has around 6,500 personnel serving with AMISOM in Somalia. AU-UN IST PHOTO / STUART PRICE.

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Bitterer Nachgeschmack

Erstellt von DL-Redaktion am 6. Februar 2023

Integrationsdebatte und Rassismus

Ein Debattenbeitrag von Tuba Ahmed-Butt

Der Diskurs über die Hintergründe der Gewalt in der Silvesternacht ist wenig zielführend. Konstruktive Lösungsansätze kommen dabei viel zu kurz.

Was muss ich sein oder machen, damit ich deutsch bin?“, fragt Dilan Sözeri. Die 17-jährige Jugendliche war von mehreren Tätern rassistisch beleidigt und dann zusammengeschlagen worden. Betrachtet man die seit der Silvesternacht in Deutschland stattfindende Integrationsdebatte in der Metaebene, so wird schnell deutlich, weshalb Politikwissenschaftler Carlo Masala diese Debatte „nicht gut für die Zukunft dieses Landes findet“ und anführt, dass sie „komplett aus dem Ruder läuft“.

Wenn wir nämlich so weit sind, dass die führenden deutschen Politiker von „Integrationsverweigerern“ (Faeser, SPD) und dem „Phänotypus: westasiatisch, dunkler Hauttyp“ (de Vries, CDU) sprechen, von „bestimmten jungen Männern mit Migrationshintergrund“ (Fae­ser, SPD), „kleinen Paschas“ und „Jugendlichen aus dem arabischen Raum“ (Merz, CDU) zusammen mit „ungeregelter Migration“, „gescheiterter Integration“ (Spahn, CDU) und „kultureller Überfremdung“ (Adler, FDP) und wenn keine dieser polemisch verwendeten Begriffe und Denunzierungen aus dem AfD-Milieu, sondern aus der bürgerlichen Mitte stammen, dann müssen wir doch laut aufschreien.

Es muss diesen Politikern doch bewusst sein, dass mit ihrer Sprache nicht nur die sozioökonomisch benachteiligte, kriminell auffällig gewordene und vom Rechtsstaat geahndete kleine Gruppe von 38 Personen in Berlin-Neukölln ansprechen, sondern alle 21 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Die Debatte über Integration, Migration und dunklen Hauttyp trifft unweigerlich uns alle.

Der gravierendste Fehler bei der Debatte nach Silvester ist die irrtümliche Annahme, der Migrationshintergrund der gewalttätigen Jugendlichen sei Grund für die Gewalt gegen Polizei und Rettungssanitäter. Tatsächlich ist Gewalt, in der Polemik der aktuellen Debatte formuliert, auch deutsche Norm. Stichwort Dresden 2021, Borna 2022, Lützerath 2023. So sieht auch Jugendrichter Andreas Müller nicht die Herkunft als das Problem, sondern vielmehr „ob diese Jugendlichen eine Perspektive haben“.

Entscheidend ist der Vorname

Gewalt gegen unsere Einsatzkräfte und Rettungskräfte ist zu verurteilen und strafrechtlich zu verfolgen. Die Polemik dieser entgleisten Integrationsdebatte ist dennoch fatal, denn sie perpetuiert rassistische Narrative. Menschen mit Migrationshintergrund wird „kulturelle Überfremdung“ angelastet, anstatt sie als Bereicherung wahrzunehmen. Das ist die laute Debatte, die geführt wird. Das bleibt in den Köpfen hängen.

Das Ziel, dass Menschen mit Migrationshintergrund irgendwann auch tatsächlich als Deutsche wahrgenommen werden und nicht als Fremde, rückt damit nicht gerade näher. Die Diskriminierung deutscher Tatverdächtiger anhand ihrer Vornamen ist der Gipfel der rassistischen Narrative. Der Soziologe und Bildungsforscher El Mafaalani bringt es auf den Punkt: „Das Signal ist, selbst wenn ihr eingebürgert seid, selbst wenn ihr hier geboren seid, am Ende gucken wir uns noch mal euren Vornamen an.“

Das Signal ist das Gegenteil von dem, was eine sinnvolle zukunftsorientierte Integrationspolitik wäre. Ironischerweise wird die aktuelle Integrationsdebatte weder zu einer verbesserten Sicherheitssituation unserer Rettungskräfte führen, noch zu mehr Achtung und Respekt vor dem Staat. Im Gegenteil: Das Ergebnis ist Frustration, ist Verbitterung und Spaltung auf beiden Seiten. Die einen kämpfen darum, als Teil der Gesellschaft akzeptiert zu werden, und die anderen rufen laut, dass sie hier nichts zu suchen haben.

Einen Tag nach dem Auftritt des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz bei Markus Lanz, wo er sich darüber echauffiert, dass in Deutschland alle Menschen die gleichen Chancen hätten, veröffentlicht die Integrationsbeauftragte und Beauftragte für Antirassismus, Reem Alabali-Radovan, einen Bericht, der genau das Gegenteil belegt. Merz setzt obendrauf, dass Deutschland durch die heute 8-jährigen Grundschüler, die er als „kleine Paschas“ denunziert, eine Bedrohung besteht.

40% der unter Fünfjährigen

Das sind Kinder, für die wir als Gesellschaft die Verantwortung tragen. In welcher verzerrten Realität leben Merz und seines Geistes Brüder? Glücklicherweise positionierte sich Berlins Bürgermeisterin Franziska Giffey umgehend gegen diese „absurde Debatte“, die uns keiner Lösung näherbringt. Welche Versäumnisse müssen wir jetzt aufholen? Wem müssen wir zuhören? Und wen müssen wir unterstützen? Wo investiert Deutschland in die Zukunft?

Quelle        ;        TAZ-online         >>>>>       weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben     —   Wer Waffen verkauft, soll für Geflüchtete zahlen !  : slogan sur un mur de Berlin (Allemagne).

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Mit unterschiedlichem Ziel

Erstellt von DL-Redaktion am 4. Februar 2023

Beim Protest gegen den Schah hatten nicht alle dieselbe Alternative vor Augen. 

Von den Völkern schon 1970 gefeuert

Von Batman Nirumand

Wer die Fehler nicht wiederholen will, muss sämtliche Gesellschaftsschichten berücksichtigen. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass Millionen Menschen nicht unserem Ruf nach Freiheit, sondern dem Ruf Ajatollah Chomeinis folgen würden.

Unsere Kinder und Enkelkinder, die seit Mitte September gegen die Islamische Republik rebellieren und deren Sturz fordern, stellen uns immer wieder die Frage, warum wir den Aufstand gegen das Schah-Regime mitorganisiert, 1979 die Revolution unterstützt und damit ihnen den islamischen Gottesstaat beschert haben. Ihr habt doch wissen müssen, was die Mullahs im Schilde führten, welche Vorstellung sie vom Leben hatten, sagen sie vorwurfsvoll.

Vermutlich werden viele von denen, die solche Fragen stellen, nicht wissen, dass wir damals, genau wie sie heute, von einem demokratischen Staat, von Gleichberechtigung, sozialer Gerechtigkeit und Freiheit träumten. Ja, Iran war damals zwar ein säkularer Staat, die Religion hatte kaum Einfluss auf die Politik, sie war eine private Angelegenheit. Aber das Land wurde von einer Diktatur beherrscht, die 1953 durch einen von den USA und den Briten organisierten Putsch gegen die demokratische Regierung von Mohamad Mossadegh an die Macht gekommen war. Mossadegh hatte die iranische Ölindustrie, die bis dahin von Briten beherrscht wurde, nationalisiert und er war der erste Politiker in Iran, der versuchte, in unserem Land demokratische Strukturen zu etablieren. Der Putsch setzte diesem Versuch ein jähes Ende. Die Briten und die USA holten den Schah, der nach Italien geflüchtet war, ins Land zurück, rüsteten sein Regime mit modernsten Waffen auf, organisierten den Geheimdienst Savak und den gesamten Machtapparat und sicherten damit ihre ökonomischen und geostrategischen Interessen, nicht nur in Iran, sondern in der gesamten Region des Nahen und Mittleren Ostens. Mit Recht wurde das Schah-Regime als Gendarm am Persischen Golf bezeichnet, der die Aufgabe hatte, jede Opposition gegen die Interessen des Westens niederzuschlagen.

wirde noch 1979 nicht nur geredet. Das genau ist Politk. 

Der Putsch war die Erniedrigung eines ganzen Volkes, er wurde zu einem Trauma, das bis heute anhält. Ohne diesen Putsch hätte es nie und nimmer eine Machtübernahme durch die Islamisten geben können. Die 25-jährige Diktatur, die dem Putsch folgte, hielt das Land unter strenger Kontrolle. Jeder Protest, jede Kritik wurde erstickt und mit Strafen bis zur Hinrichtung geahndet. Allein der Besitz eines verbotenen Buchs reichte, um mit mehrjährigem Gefängnis bestraft zu werden. Hätten wir da schweigen und die Unterdrückung erdulden sollen?

Natürlich wären Reformen weitaus besser ­gewesen als eine Revolution. Doch so wie heute zwang auch damals das Regime durch seine ­Weigerung, Reformen zuzulassen, Kritiker und Gegner zu radikalen Positionen. Es ließ keine unabhängigen Parteien, Gewerkschaften, Vereine und Verbände zu. Alle Rechte, wie Freiheit der Meinungsäußerung und der Versammlung, waren ­außer Kraft gesetzt. Genauso wie die ­Demonstranten heute hatten wir damals das Recht, ja die Pflicht, gegen das Regime zu rebell­ieren und seinen Sturz zu fordern.

Für uns, die von Freiheit und Demokratie träumten, stand die Fortsetzung des Weges von Mossadegh auf der Tagesordnung der Geschichte. Dem entsprach auch die Parole „Unabhängigkeit und Freiheit“, die zu Beginn des Aufstands gerufen wurde. Wie glücklich waren wir, als Millionen auf den Straßen den Sturz des Regimes forderten, als das Regime kapitulierte, als wir die Tore des berüchtigten Eviner Gefängnisses in Teheran aufbrechen und die Gefangenen befreien konnten. Alle fühlten sich glücklich, jeder hoffte auf die Erfüllung seiner Wünsche und Bedürfnisse. Aber nicht jeder träumte von Demokratie und Freiheit. Es gab auch Kräfte im Land, die andere Träume hatten, zum Beispiel Träume von einem islamischen Gottesstaat.

Auf diesem Auge waren wir blind. Wir hatten unsere Gegner unterschätzt, wussten nicht, welche Kraft der Islam hatte, wie hoch der Einfluss der Geistlichkeit war. Wir hatten uns nicht vorstellen können, dass Millionen Menschen nicht unserem Ruf nach Freiheit und Demokratie, sondern dem Ruf Ajatollah Chomeinis und seinen Anweisungen folgen würden.

Chomeini versprach nach seiner Übersiedlung aus dem irakischen Exil nach Paris dem Volk den Himmel auf Erden, und die Massen glaubten ihm, sahen sein Antlitz im Mond und hielten ihn für den Messias, den verborgenen Imam, der sie aus ihrem Elend retten und für Gerechtigkeit sorgen werde. Chomeini richtete seine Appelle an die „Barfüßigen und Habenichtse“, wie er die verarmten Massen nannte, wir hingegen appellierten an Intellektuelle, Akademiker, Studenten und Angehörige der Mittelschicht. Die breiten bildungsarmen, unaufgeklärten Massen, die die Mehrheit der Bevölkerung bildeten, kannten wir kaum, wussten nicht, wie gläubig, ja abergläubig sie waren. Daher konnten wir uns auch nicht vorstellen, dass die Islamisten irgendwann die Macht übernehmen könnten.

Nicht wir, sondern die Islamisten waren in der Lage, Millionen Menschen zu mobilisieren. Damit konnten sie sich wenige Monate vor dem Sturz des Schah-Regimes an die Spitze des Aufstands stellen. Von da an wurde die Parole der Revolution durch „Islamische Republik“ ergänzt. „Unabhängigkeit, Freiheit, Islamische Republik“, skandierten fortan die Millionen Demonstranten, wobei kaum jemand wusste, wie eine islamische Republik überhaupt aussehen sollte.

Mit Hilfe dieser Massen übernahmen die Islamisten die Macht. Ihr Ziel war die totale Islamisierung der Gesellschaft, eine Gesellschaft wie die, die die Taliban in Afghanistan später schon einmal praktiziert haben und nun wieder aufzubauen versuchen. Alles sollte sich nach den Wünschen Chomeinis und seiner Weggefährten nach dem Islam richten. Damit sollte das Volk eine neue Identität bekommen, eine islamische Identität. Dass sie dieses Ziel auch nach 44 Jahren nicht erreicht haben, ist der iranischen Zivilgesellschaft, allen voran iranischen Frauen, zu verdanken.

Diese Zivilgesellschaft, die die Revolution unterstützte, um Freiheit, Gerechtigkeit und Unabhängigkeit zu erlangen, war dieselbe, die von Anbeginn gegen die Pläne der Islamisten Widerstand leistete. Ihr ist auch zu verdanken, dass die Menschen sich schrittweise von den Islamisten abwendeten. Unsere Kinder und Enkelkinder, die sich heute mutig der klerikalen Despotie entgegenstellen, sind ein Produkt dieses zähen, über die Jahrzehnte andauernden Widerstands. Es bedurfte eines langen Prozesses und des Scheiterns der Reformversuche, bis der Widerstand die heutige Qualität erreicht hat. Dieser Prozess und zuletzt die gegenwärtigen Proteste haben schrittweise die Fratzen der korrupten Islamisten entlarvt, die hinter religiösen Masken getarnt waren.

Dennoch sollte man nicht übersehen, dass weite Teile der Bevölkerung an diesem Prozess nicht beteiligt waren. Noch pilgern täglich Tausende Frauen und Männer zu dem Brunnen in Jamkaran, in dem sich vermeintlich der verborgene Imam Mahdi (der schiitische Messias) befinden soll, werfen ihre Bittschriften und Spenden hinein, mit der Hoffnung, der „verborgene Imam“ werde ihre Wünsche erfüllen.

Nun kann man hoffen, dass die Akteure der gegenwärtigen Proteste unsere Fehler nicht wiederholen und mit Blick auf die gesamte Bevölkerung und auf die Bedürfnisse unterschiedlicher Gesellschaftsschichten strategisch und planmäßig vorgehen und dabei bedenken, dass sie nur erfolgreich sein können, wenn sie die Massen für sich gewinnen können. Daher müssen sie konkrete Forderungen stellen und eine für das Volk glaubwürdige Alternative anbieten. Auch sollten sie nicht, wie wir damals, den Gegner unterschätzen und nicht die Tatsache außer Acht lassen, dass Millionen Menschen existenziell von dem Regime abhängig sind, dass jene, die auf Seiten des Re­gimes kämpfen, einer ideologischen Gehirnwäsche unterzogen wurden.

Quelle         :        TAZ-online           >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben        —   Photograph of a protest held in Helsinki against the visit of the Shah Mohammad Reza Pahlavi.

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2.) con Oben      —      Vom 4. Januar bis 7. Januar 1979 fand auf Einladung des französischen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing in Guadeloupe die Konferenz von Guadeloupe statt. Die Konferenz wurde als informelles Treffen deklariert, um strategische und ökonomische Fragen zu diskutieren. Eine der Hauptfragen, die auf der Konferenz diskutiert wurden, war die Krise im Iran. An der Konferenz nahmen neben dem Gastgeber Valéry Giscard d’Estaing aus Frankreich, Präsident Jimmy Carter aus den USA, Premierminister James Callaghan aus Großbritannien und Bundeskanzler Helmut Schmidt aus Deutschland teil. Quelle: Wikipedia

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1700 Militärdekrete

Erstellt von DL-Redaktion am 13. Januar 2023

Systematische Einschüchterung und Terrorisierung palästinensischer Kinder

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von     :  Basil Farraj  –  palaestina-info.ch

Die routinemäßige Verhaftung palästinensischer Kinder ist Teil einer Strategie, die gesamte Bevölkerung in Schach zu halten und einzuschüchtern. Dabei werden die von den Vereinten Nationen definierten Kinderrechte ebenso ignoriert wie korrekte strafrechtliche Verfahren.

Amal Nakhleh war erst 17 Jahre alt, als er am 21. Januar 2021 in seinem Haus im Flüchtlingslager alJalazone verhaftet wurde. Amal wurde in Administrativhaft genommen. Diese erlaubt den israelischen Behörden, Palästinenser:innen in Gefängnissen zu verwahren, ohne sie einem Gerichtsverfahren oder einer Verurteilung zu unterziehen. Trotz seines jungen Alters und einer seltenen Autoimmunerkrankung haben die israelischen Behörden ihn seitdem in Haft behalten. Bis zum heutigen Tag wurde die Verhaftung nicht begründet und es wurde keine Anklage erhoben. Allein gestützt auf die Behauptung, er stelle «ein Sicherheitsrisiko» dar, befindet sich Amal seit mehr als einem Jahr in Haft.Amal ist kein Einzelfall. Allein zwischen 2000 und 2015 haben die israelischen Militärbehörden fast 8500 palästinensische Kinder festgenommen, verhört, strafrechtlich verfolgt und inhaftiert. Nach Angaben des palästinensischen Ablegers von Defense for Children International (DCIP) verhaftet das israelische Militär jedes Jahr etwa 500 bis 700 palästinensische Kinder. Einige von ihnen sind noch nicht einmal zwölf Jahre alt. Seit 2012 hält Israel jeden Monat durchschnittlich 200 palästinensische Kinder in Gewahrsam. In den Haftanstalten sind sie einer Vielzahl diskriminierender Gesetze unterworfen. Bei den Verhören durch israelische Polizei und Sicherheitsdienste werden die Kinder regelmässig misshandelt, bedroht und isoliert. Die von Israel für die Verhaftung vorgebrachte Begründung, die Kinder stellten eine «Sicherheitsbedrohung» dar, ist nur ein Vorwand. Vielmehr wird die Inhaftierung systematisch dazu eingesetzt, die palästinensische Bevölkerung und insbesondere die Kinder einzuschüchtern. Grundlage für diese Praxis der israelischen Sicherheitsbehörden ist das Militärdekret 1651. Es regelt die Art und Weise, wie Palästinenser:innen inhaftiert, verhört und vor israelischen Militärgerichten verurteilt werden.

Nicht alle Menschen, die in den von Israel kontrollierten Gebieten leben, unterstehen den gleichen Gesetzen. In der Praxis gibt es im Westjordanland zwei Rechtssysteme: Palästinenser:innen werden nach israelischem Militärrecht und israelische Siedler:innen nach israelischem Zivilrecht verurteilt. Palästinenser:innen aus Ostjerusalem werden meist vor israelischen Zivilgerichten verurteilt, können aber auch der Autorität von Militärgerichten unterstellt werden, während palästinensische Bürger:innen Israels vor israelischen Zivilgerichten verurteilt werden. Das schafft eine völkerrechtswidrige Ungleichbehandlung vor dem Gesetz, die vor allem die im Westjordanland lebenden Palästinenser:innen massiv benachteiligt.

1700 Militärdekrete

Seit der Besetzung des Westjordanlandes und Gazastreifens 1967 hat das israelische Militär durch die Befehlshaber seiner «Verteidigungskräfte» über 1700 Militärdekrete zur Verwaltung des besetzten Gebiets erlassen. Diese regeln unterschiedliche Themen wie Eigentumsrechte, Bewegungsfreiheit, Festnahmen, Inhaftierungen, Verhöre und Gerichtsverfahren von Palästinenser:innen. Das 2009 erlassene Militärdekret 1651 stellt die rechtliche Basis für Festnahmen, Inhaftierungen und Verhöre, aber auch Verurteilungen und das Strafmass dar. Es ist bezeichnend für die im Westjordanland herrschenden Machtverhältnisse. Durch die Militärgerichte und das Militärgesetz wird die palästinensische Bevölkerung unter Besatzung für die Ausübung ihrer zivilen und politischen Rechte kriminalisiert und gezielt eingeschüchtert.

Militärdekret 1651 ist auch maßgeblich für die Rechte von Kindern, da das Mindestalter für ihre Strafmündigkeit darin auf zwölf Jahre festlegt ist. Jedes palästinensische Kind ab zwölf Jahren kann also festgenommen, verhört und inhaftiert werden. Daneben werden von den israelischen Streitkräften aber auch Kinder unter diesem Alter ohne rechtliche Grundlage festgenommen, verhört und dann wieder freigelassen. Im Wesentlichen ermöglicht das Militärdekret die Inhaftierung und Befragung palästinensischer Kinder unter dem häufig genannten Vorwand des Schutzes der «öffentlichen Ordnung und Sicherheit». Diese Verhaftungen sowie die Vorgehensweise der Militärgerichte sind Teil der Gewalt, der palästinensische Kinder ständig ausgesetzt sind.

Datei:Westbankmauer in Kalandia (174617673).jpg

DCIP hat mehrere Fälle dokumentiert, in denen Kinder während ihrer Verhaftung Formen körperlicher Gewalt ausgesetzt sind. Oft werden sie in den frühen Morgenstunden zu Hause mit übermässiger Gewaltanwendung festgenommen. Nach israelischem Militärrecht besteht zudem keine gesetzliche Verpflichtung, dass die Eltern bei den Verhören ihrer Kinder anwesend sein müssen. Damit sollen die inhaftierten Kinder gezielt isoliert und eingeschüchtert werden, um sie unter Zwang zu falschen Geständnissen zu bringen. Bei Verhaftung, Verhören und dem Transport in die Gefängnisse werden die Kinder regelmässig mit Zwang festgehalten. Physische und psychische Gewalt, beispielsweise während der Verhöre oder durch das Verbot von Familienbesuchen, stellen nach internationalem Recht eine Form von Folter dar. So werden verhafteten palästinensischen Kindern systematisch ihre Rechte vorenthalten und sie werden von ihren Gemeinschaften isoliert.

In diesem Rahmen kann nur ein kleiner Einblick in die Lage der von Israel inhaftierten palästinensischen Kindern gegeben werden. Er zeigt aber, dass das israelische Militär palästinensischen Kindern systematisch Gewalt und Schmerz zufügt und die Inhaftierung von Kindern zu einer Taktik der israelischen Besatzung geworden ist. So im erwähnten Fall von Amal Nakhleh. Seine durch die Autoimmunkrankheit ausgelösten Atemprobleme führen dazu, dass er auch angesichts von Covid19 einem besonderen Risiko ausgesetzt war. Nach seiner Infizierung mit dem Virus im Januar 2022 haben UNICEF, OHCHR und UNRWA einmal mehr seine Freilassung gefordert, bisher jedoch ohne Erfolg.

Der Zweck der israelischen Strafmaßnahmen besteht nicht nur darin, Kinder zu inhaftieren. Es soll eine Realität geschaffen werden, in der die gesamten Kindheitserfahrungen junger Palästinenser:innen durch die israelischen Praktiken des Freiheitsentzugs beeinflusst und geprägt werden. Sie sollen in Angst leben, jede Chance auf eine «normale» Kindheit soll ihnen verwehrt werden.

Angesichts dieser israelischen Strafverfolgungspraxis bedarf es einer breiten, starken Mobilisierung zur Unterstützung der betroffenen Kinder. Damit der Inhaftierung von Kindern durch das im Westjordanland herrschende Militärregime Einhalt geboten werden kann, muss die internationale Boykottkampagne gegen Israel ausgeweitet und der Siedlerkolonialstaat weiter isoliert werden. Israel muss – sowohl verbal als auch praktisch – als rassistisches Apartheidregime eingestuft werden, das mit allen Mitteln zu bekämpfen ist.

Basil Farraj ist Doktorand in Anthropologie und Sozio-logie und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Vio-lence Prevention Initiative am Graduate Institute of International and Development Studies in Genf. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf politischen Gefan-genen, ihren Widerstandsformen und den Formen der Gewalt, denen sie ausgesetzt sind.

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Oben        —     “Kill or deport.” Graffiti settlers spray-painted in Hebrew on the wall of a home in a-Sawiyah, Nablus District. Photo by Salma a-Deb’i, B’Tselem, 18 April 2018.

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DER ROTE FADEN

Erstellt von DL-Redaktion am 11. Januar 2023

Erhitzung über Israel und den Tempelberg  –  Furor und Fische

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Durch die Woche mit Ariane Lemme

Das Kabinett um Netanjahu ist ein Gruselkabinett. Doch die Kritik an der Politik des kleinen Landes schäumte diese Woche etwas zu sehr.

Über die Feiertage haben Sie sicher schöne Dinge getan. Bücher gelesen, lecker gegessen, bisschen gespendet. Ich war im Tierpark. Hellabrunn natürlich, da finde ich den Weg zum Affenhaus am schnellsten, und am schönsten ist er auch.

So schön, wie ein Ort halt sein kann, an dem Tiere in Gefangenschaft leben. Aber was soll ich machen: Es war ein herrlicher Tag mit Freunden, meine Tochter liebt Tiere. Andere Gaudi, wie etwa verschneite Pisten runterzubrettern, ist für immer vorbei.

Ich selbst halte mich ja eigentlich auch für einen Tierfreund, immerhin esse ich seit Jahrzehnten kein Fleisch. So weit, so heuchlerisch. Als ich diese Woche las, dass ein kleines Gorillababy in Hellabrunn eingeschläfert werden musste, zerriss es mir natürlich das Herz. Dasselbe Herz, das doch relativ kalt blieb, als in Berlin neulich ein Aquarium platzte und mehr als tausend Fische elend verendeten. Taten die mir gar nicht leid? Doch, aber so nah wie Affen sind sie mir dann doch nicht.

Wenigstens bin ich mit meiner Durchmogelei nicht allein. Auch das zeigte die Woche sehr deutlich. So las ich mit Erstaunen, dass sich in Deutschland die Zahl der Kriegsdienstverweigerer drastisch erhöht hat. Einer der Hauptgründe – Überraschung! – ist offenbar der Ukraine-Krieg. Ehrlich gesagt war mir Kriegsdienstverweigerung nur aus Zeiten bekannt, als es noch die Wehrpflicht gab. Dass Leute sich aber erst für ein Berufsheer verpflichten, dann aber nicht auf andere Menschen schießen wollen, ist doch recht erstaunlich – geradezu süß. Und natürlich bin ich sehr dafür, wenn Menschen zu dieser Erkenntnis kommen, und finde, sie sollten jedes Verständnis und jede Unterstützung bekommen.

Gleichzeitig landet man, wenn man weiterdenkt, natürlich irgendwann bei der Frage der Sinnhaftigkeit des Militärs insgesamt. Wenn das vergangene, furchtbare Jahr eines gezeigt hat, dann doch, dass es in einer Welt von Bullys und Despoten eben nicht ganz verkehrt ist, wehrhaft zu bleiben. Oder zynisch gesagt: Schön, wenn die ukrainischen Männer Putin in Schach halten, solange müssen wir es nicht selbst tun.

Jerusalem Felsendom BW 14.JPG

Wie sollte man sonst erklären, dass von allen Idiotien, die uns gerade um die Ohren pfeifen, gerade der Besuch des Tempelbergs die ist, die diese Woche eine Einberufung des UN-Sicherheitsrats erfordert?

Dann ist es doch intellektuell bequemer, sich über etwas aufzuregen, bei dem man aber ganz sicher richtig ­liegt: die neue israelische Regierung. Nur damit wir uns nicht falsch verstehen: Das Kabinett um Netanjahu ist ein Gruselkabinett. Ich verzweifle daran, nicht nur politisch. Doch so sehr mich die Knessetwahl enttäuscht, so sehr geht mir der Furor auf die Nerven, mit dem der Rechtsruck hier verdammt wird. Es ist nicht die Kritik selbst, es ist der Eifer, mit dem sie vorgebracht wird, der mir verdächtig erscheint.

Es gibt ähnliche Entwicklungen in Europa. Länder mit rechtsextremer Regierung wie Italien, Länder, in denen die unabhängige Justiz massiv ausgehebelt wird, wie Ungarn. Länder also, mit denen wir engere wirtschaftliche Beziehungen haben und in die wir öfter in Urlaub fahren. Das mediale Fauchen darüber aber klingt dann doch etwas rationaler. Warum? Wenn man nicht heucheln will, findet man die Antwort schon in der gespreizten Erklärung, Deutschland habe eine besondere Verantwortung für Israel. Das ist natürlich richtig, aber so, wie sie gebraucht wird, klingt sie manchmal ein bisschen nach: „Ich bin kein Rassist, aber …“

Quelle       :            TAZ-online        >>>>>       weiterlesen

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Oben        —     Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

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Kolumne * FERNSICHT Polen

Erstellt von DL-Redaktion am 7. Januar 2023

An der Mission Versöhnung gescheitert

Vogelbeobachtung (8618362879).jpg

Von  :  Karolina Wigura und Jaroslaw Kuisz

Kurz nachdem Joseph Ratzinger die Nachfolge von Karol Wojtyła auf dem päpstlichen Thron angetreten hatte, unternahm er seine erste Pilgerreise nach Polen, dem Land seines „großen Vorgängers“, wie er es ausdrückte.

Als Journalisten beobachteten wir damals, inwieweit die Polen, die daran gewöhnt waren, ihren Landsmann auf dem Heiligen Stuhl zu sehen, einen Deutschen als seinen Nachfolger akzeptieren würden.

Natürlich wurde Ratzinger als Papst in Polen nie so behandelt wie Wojtyła. Zwar mangelte es nicht an Ehrungen, aber man betrachtete ihn nicht als Nachfolger, sondern allenfalls als Stellvertreter. Ratzinger wirkte kein bisschen wie der Showman Wojtyła, der die kollektiven Emotionen der Gläubigen wie ein Berufspolitiker lenkte. Fotos von ihm mit der Brille von Bono von U2 gingen um die Welt. Ein solcher Moment in der Karriere von Benedikt XVI., dem todernsten Geistlichen aus Marktl, wäre unvorstellbar.

Heute ist der Ton, in dem über den einen und den anderen Papst gesprochen wird, in unserem Land hingegen auffallend ähnlich. Polen wird mehr denn je von der Empörung über die Missbrauchsskandale der Kirche erschüttert. Wenn sich vor nicht allzu langer Zeit mehr als 90 Prozent der Bevölkerung als Katholiken bezeichneten, geben heute nur noch 42 Prozent der Befragten an, ihren Glauben regelmäßig zu praktizieren. Die Unterlassungssünden beider Päpste sind für die Zeitgenossen schwer zu akzeptieren, und so finden sie sich Jahre später an der gleichen Stelle wieder.

In Rom Vor der Generalaudienz 2. Mai 2007

Viele Tausende von Gläubige aus aller Welt nahmen dennoch an der Beerdigung von Benedikt XVI. teil. Auf die Frage, was ihnen an seinem Charakter wichtig war, antworten sie oft, dass es sich um theologische Schriften handelt. Ob dies auch aus polnischer Sicht der Fall ist, darf bezweifelt werden, denn die Polen kennen die Schriften Ratzingers kaum. Allerdings ist aus hiesiger Sicht vor allem die Diskussion über die christliche Theologie des Holocaust interessant, der Ratzinger viele Jahre seines Lebens gewidmet hat, noch bevor er Papst wurde.

Während seiner Pilgerreise 2006 gab es nur einen einzigen Ort, an dem Benedikt XVI. nicht in die Fußstapfen von Johannes Paul II. trat: das ehemalige deutsche Nazi-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Viele Menschen erinnern sich noch gut an die Bilder dieses Besuchs und besonders an den Regenbogen, der erschien, als er seine Predigt hielt.

Quelle         :       TAZ-online            >>>>>         weiterlesen

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Oben     —     Vogelbeobachtung in Panama

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Iran: Rund um die Rebellion

Erstellt von DL-Redaktion am 28. Dezember 2022

Der Aufstand im Evin Gefängnis von Teheran

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von         :      Slingers Collectives   —     Übersetzung von Sūnzǐ Bīngfǎ

Dies ist die Übersetzung eines Berichts, der zuerst von Manjanigh veröffentlicht wurde, mit einigen zusätzlichen Informationen über die Geschichte und die bauliche Struktur des Evin-Gefängnisses für englische Leser, die mit dem Kontext des Gefängnisses nicht vertraut sind.

Dieser Bericht ist eine der detailliertesten Beschreibungen des Brandes im Evin-Gefängnis und der darauf folgenden Unruhen, die am 15. Oktober 2022 ausbrachen. Im Folgenden geben wir zunächst eine kurze Beschreibung der historischen und politischen Bedeutung des Evin-Gefängnisses. Dann folgt eine kurze Beschreibung der Ereignisse vom 15. Oktober, gefolgt von einer detaillierteren Darstellung aller Phasen des Aufstands auf der Station 8, dem Innenhof und der anschließenden Übergriffe auf die Gefangenen in der Sporthalle am nächsten Morgen.

Im Gegensatz zu den herablassenden Darstellungen von profitorientierten „Menschenrechts“-Organisationen zielt dieser Bericht nicht darauf ab, Gefangene zu Opfern zu machen. Vielmehr werden die an dem Aufstand beteiligten Gefangenen als die mutigen Kämpfer dargestellt, die sie sind. Diejenigen, die trotz der brutalen Unterdrückung, umgeben von Mauern aus Projektilen, zerschrammt von Schlagstöcken, ohne Schlaf, durstig, mit verbrannten Schuhen und Kleidern, vom 15. Oktober als „einer der schönsten Nächte im Evin-Gefängnis“ sprechen. Die Nacht, in der alle Kräfte des Unterdrückers (einschließlich der Gefängnisleitung, der Spezialeinheiten, der Basij-Miliz und der Polizeikräfte) und ihre Waffen dem Willen und der Entschlossenheit der Gefangenen nicht standhalten konnten. Die Nacht, in der der Unterdrücker innerhalb der Mauern seiner eigenen Gefängnisse bis ins Mark gedemütigt wurde. Der 15. Oktober machte das Evin-Gefängnis zu einem weiteren Schlachtfeld gegen die Tyrannei, parallel zu dem weit verbreiteten sozialen Aufstand. Über Evin Evin ist eines der größten und berüchtigtsten Gefängnisse, in dem politische Gefangene untergebracht sind, denen die nationale Staatssicherheit vorgeworfen wird. Das Gefängnis befindet sich auf einem 40 Hektar großen Gelände im Stadtteil Evin im Norden der Stadt Teheran. Das Gefängnis wurde in den 1960er und 1970er Jahren gebaut, aber erst 1972 in Betrieb genommen. Vor der Revolution von 1979 stand Evin unter der direkten Aufsicht und Kontrolle der SAVAK (der Geheimdienst- und Sicherheitsorganisation des Schahs).

Das Gefängnisgebäude umfasste ursprünglich 20 Hafträume und 2 Gemeinschaftsstationen mit einer Kapazität von 320 Häftlingen. In den folgenden Jahren wurde das Gefängnis um weitere Gebäude erweitert, z.B. um eine spezielle Abteilung für politische Gefangene, einen Hinrichtungshof, einen Gerichtssaal und separate Abteilungen für weibliche Gefangene und nicht-politische Häftlinge. Bis 1978 (ein Jahr vor der Revolution) verfünffachte sich die Zahl der Zellen auf etwa 100, und die nominelle Kapazität stieg auf mehr als 1500 Personen, obwohl die Zahl der Insassen mehr als doppelt so hoch war. Gegenwärtig ist das Evin-Gefängnis mit zwei- bis dreitausend Insassen belegt, und in Zeiten des Aufruhrs sind es bis zu doppelt so viele.

Evin war von Anfang an eines der berüchtigtsten politischen Gefängnisse (viel schlimmer als andere grosse Gefängnisse). Vor der Revolution gehörten die Insassen einem breit gefächerten politischen Spektrum an, das sich gegen die Pahlavi-Monarchie richtete (einschließlich verschiedener linker Gruppen, Mudschaheddin und Islamisten). Zu den wichtigsten Hinrichtungen in diesem Gefängnis gehörten die von Mitgliedern der Fedaijin (Organisation der iranischen Volksfedayin-Guerillas) und zwei Mitgliedern der Mudschaheddin (Volksmudschaheddin-Organisation des Iran) im Jahr 1975 auf den Hügeln hinter dem Gefängnisgelände. Sie wurden hingerichtet, obwohl sie zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden waren und nicht die Todesstrafe erhalten hatten.

Kurz nach der Revolution wurden in Evin weiterhin einige der politischen Gefangenen untergebracht, die bereits während der Herrschaft des Schahs verurteilt worden waren (hauptsächlich die linke Opposition und die Mudschaheddin). Doch erst im berüchtigten Sommer 1988 wurde das Evin-Gefängnis zum Hauptschauplatz einer der grössten Massenexekutionen von politischen Dissidenten in der Geschichte Irans. Tausende von Gefangenen aus dem ganzen Land, die des Verrats beschuldigt wurden („Apostaten“, „Atheisten“ und „eingeschworene Feinde der Islamischen Republik Iran“), wurden auf direkten Befehl Khomeinis hingerichtet. Die bauliche Struktur von Evin Evin steht unter der Aufsicht der Gefängnisbehörde, einer staatlichen Organisation, die der Justiz untersteht. Je nachdem, welche Behörde für die Verhaftung verantwortlich ist, werden die Gefangenen jedoch in verschiedenen Abteilungen und Stationen von Evin untergebracht, die von verschiedenen Organisationen (einschliesslich des Geheimdienstes und der Revolutionsgarden) überwacht und kontrolliert werden.

Die Struktur der Abteilungen hat sich im Laufe der Zeit geändert. Gegenwärtig umfasst der Unterbringungsbereich:

Station 325 (klerikale Gefangene);

Station 240 (hauptsächlich für nicht-binäre Häftlinge und andere vorübergehende Häftlinge)

Abteilung 2-A (politische Gefangene der Nachrichtendienste der IRGC); Abteilung für weibliche Gefangene

Station 4 (Quarantäne und Angeklagte, die auf ihre endgültige Verurteilung warten)

Station 350 (ehemals politische Abteilung, seit 2014 als Arbeitsstation eingerichtet)

Abteilungen 209 und 240: sind die berüchtigten Haftzentren für politische Gefangene und stehen unter der Kontrolle des Geheimdienstministeriums, ohne Verbindung zur Justiz und zur Gefängnisverwaltung

Abteilung 7: Hauptsächlich für Personen, die wegen Finanzdelikten verurteilt wurden, und bekannt als die am besten ausgestattete Gefängnisabteilung des Landes. Diese Abteilung umfasst 8 Säle mit einer Kapazität von jeweils 200 Gefangenen, wobei manchmal mehr als 700 Gefangene in einem Saal untergebracht werden können. Von diesen 8 Hallen sind 7 Hallen für nicht-politische Gefangene reserviert, aber manchmal werden auch politische Gefangene aufgenommen.

Skyline von Teheran, dahinter das Elburs-Gebirge

Station 8: Diese Station ist als das Verbannungslager des Gefängnisses bekannt, in dem politische Gefangene untergebracht sind. Der Brand in Evin am 15. Oktober Der Gefängnisaufstand vom 15. Oktober brach in der fünften Woche des Aufstands im Iran aus und sollte als integraler Bestandteil des Widerstands des Volkes betrachtet werden. Der Evin-Aufstand war eine Revolte gegen die ständige Demütigung, Beleidigung und Unterdrückung innerhalb des Gefängnisses, die im September und Anfang Oktober zugenommen hatten.

Bei diesem Bericht handelt es sich um ein Zeugnis, das von den an dem Aufstand in Abteilung 8 beteiligten Gefangenen bestätigt wurde. Den Zeugenaussagen zufolge hatten die Gefängniswärter einen fortgeschrittenen Plan, um die Gefangenen zu provozieren, indem sie einige von ihnen in andere Gefängnisse verlegten. Als Reaktion darauf organisierten die Gefangenen der Abteilungen 7 und 8 während des Hofgangs einen Marsch und skandierten „Tod der Islamischen Republik“, „Tod für Khamenei“ und „Verdammt sei Khomeini, Tod für Khamenei“. Außerdem wurde den Gefängniswärtern befohlen, seit dem Morgen des 15. Oktober in Alarmbereitschaft zu sein. Einige der Gefangenen, die der herrschenden Klasse nahe stehen, wurden zwei Tage zuvor gewarnt, „in den kommenden Tagen vorsichtig zu sein“.

Obwohl die Regierung Spannungen schürte, um die Verlegung und Hinrichtung politischer Gefangener zu rechtfertigen, zwang die Rebellion gegen diese Bemühungen die Todesschwadron zu einem Verteidigungsmanöver gegen die Rebellen, die ihr Gefängnis in Brand setzten. Dieser kollektive Akt des Widerstands zeigte, dass die Islamische Republik auch hier nicht sicher war. Während dieser Rebellion wurde viel Blut vergossen. Viele Menschen verloren ihr Leben, die als Märtyrer der Bewegung in Erinnerung bleiben sollten. Dieser Aufstand wird als ein mutiger Akt des Widerstands in Erinnerung bleiben. Hintergrund Der unmittelbare Anlass für diesen Aufstand waren die verschärften Restriktionen in der Station 8, die die schlechten Bedingungen, unter denen die Gefangenen bereits litten, noch verschlimmerten.

Einige dieser Einschränkungen waren:

  • Der obligatorische Einschluss um 17 Uhr, der auch für die Bibliothek galt.
  • Dieser früher als üblich verhängte Einschluss wurde zu Beginn des Aufstandes verhängt, da die Wärter die Möglichkeit eines Aufstandes vermuteten
  • Der vorzeitige Einschluss war von besonderer Bedeutung, da das Gebäude der Station 8 nicht über Sicherheitsvorkehrungen verfügte und die Abriegelung der Station die Gefahr von Bränden erhöhte.
  • Die Zwangsverlegung einiger Gefangener, die sich am lautesten über die schlechten Sicherheitsbedingungen im Gefängnis beschwerten, in andere Städte, darunter das Rajaee-Shahr-Gefängnis in Karadsch. Diese Zwangsverlegung wurde als Strafe durchgeführt, obwohl sich die Gefangenen dagegen gewehrt hatten.
  • Die Anwesenheit von Anti-Aufruhr-Polizisten in den Abteilungen 7 und 8: Tage vor dem Brand wurden Anti-Aufruhr-Polizisten in den Abteilungen 7 und 8 postiert, die die Gefangenen verärgerten, indem sie in der Abteilung aufmarschierten und religiöse (Kriegs-)Parolen wie „Haydar Haydar“ riefen (Haydar ist der Spitzname des ersten Imams der Schiiten und wurde zuvor von der Miliz und den Streitkräften als Sprechgesang verwendet).
  • Das häufige Abstellen von fliessendem Wasser (z. B. warmes Wasser zum Duschen) ist eine gezielte Schikanemethode.

Die Kombination dieser Bedingungen schuf eine bedrückende Atmosphäre für die Gefangenen. Nach Aussage der Gefängniswärter selbst würden diese Bedingungen so lange anhalten, wie die Strassenproteste andauerten. Die Unfähigkeit des Staates, den Aufstand auf der Strasse zu unterdrücken, gab den Gefängniswärtern einen Grund, dies durch die Unterdrückung der Gefangenen zu kompensieren, was jedoch spektakulär nach hinten losging. Widerstand der Station 8 Am 15. Oktober 2022, gegen 20.30 Uhr, hörten die Häftlinge der Station 8 Schreie und Schüsse aus der Station 7. Durch die Fenster, die die beiden Stationen untereinander als Sichtachse verbinden, konnten die Häftlinge der Station 8 sehen, wie auf die Häftlinge der Station 7 geschossen wurde, während das Feuer loderte. Station 8 brach aufgeregt die Türen in ihren Fluren auf, skandierte „Tod für Chamenei“ und „Tod für die Islamische Republik“ und versuchte, Station 7 zu helfen.

Um den Flammen und dem Tränengas zu entgehen, versuchten die Gefangenen, den Haupteingang von Station 8 mit Hilfe der Insassen von Station 7 zu öffnen. Sie fanden jedoch heraus, dass der Spion/Gefangene Irfan Hatami in Zusammenarbeit mit dem Wachoffizier der Station, Tavakoli, die Türen der Station 8 verschlossen hatte.

Die Häftlinge der Station 8 bewegten sich daraufhin auf die Hoftür zu und brachen sie auf. Nachdem die Gefangenen der Station 8 aus der Station in den offenen Hof ausgebrochen waren, versuchten sie, ein Feuer zu entfachen, um die durch die Intensität des Tränengases verursachten Erstickungserscheinungen zu überwinden. Unter dem Bombardement von Kugeln, Schrotkugeln und Tränengas, das die Gefängniswärter auf sie abfeuerten, wehrten sich die Gefangenen und skandierten gleichzeitig Slogans gegen das Regime. Der Innenhof verwandelte sich in ein Kriegsgebiet, wobei eine Seite unbewaffnet war. Nach offiziellen Angaben wurden fast 700 Spezialkräfte nach Evin geschickt.

Aufgrund des schweren Kugel- und Feuerregens hatten die Gefangenen der Station 8 keine Möglichkeit, in die Säle zurückzukehren. Während dieses Beschusses des Hofes und der Station 8 wurde Mehran Karimi von einer Kugel in den Unterleib getroffen. Auf dem Hof war die Situation noch schlimmer: Yashar Tohidi wurde ins Bein getroffen, und auch Mohammad Khani wurde getroffen. Die Schwere der Wunden der Häftlinge zeugt von einem regelrechten Krieg gegen sie. Darüber hinaus wurde eine Reihe weiterer Gefangener durch Gummigeschosse getroffen. Zu ihnen gehören Ayub Ahrari, Reza Salmanzadeh, Seyed Javad Sidi, Mehdi Vafaei, Omid Rafiei und Mohsen Sadeghpour. Während dieses brutalen Angriffs wurde die Parole „Tod der Islamischen Republik“ ohne Unterlass gerufen, während die Gefangenen dem Tod ins Auge blickten.

Als schliesslich die Spezialeinheit, die Wachoffiziere und der Leiter der 8. Abteilung (Oberst Mahmoudi) den Hof betraten, mussten sich die Gefangenen im Hof, die sich um ihre verletzten Freunde kümmerten und vor dem Kugelregen unter einem kleinen Dach im Hof Schutz gesucht hatten, ergeben und wurden auf dem Boden fixiert.

Die Sicherheitskräfte waren äusserst wütend. Ihre Autorität war stark untergraben, und die Parolen der Gefangenen hatten ihren Stolz verletzt. Der Kugelregen war nun einem Regen von Beleidigungen, Demütigungen und Schlagstöcken gewichen. Sie schlugen die Köpfe, Hände und Füsse der Gefangenen und beschimpften sie. Die Intensität der Schläge war so gross, dass einige Agenten der Spezialeinheit die anderen daran hinderten, auf die Gefangenen einzuschlagen. Bei einem der brutalsten Vorfälle beschimpfte Oberst Mahmoudi, der Leiter der 8. Abteilung, Arash Johari und schlug ihm mit einem Schlagstock so heftig auf den Kopf, dass sein Kopf fast zerbrochen wurde und blutete, so dass sein Sehvermögen für mindestens drei bis vier Stunden beeinträchtigt war. Die Grausamkeit von Oberst Mahmoudi gegenüber Johari rührte daher, dass Johari zu den lautstarken Gefangenen gehörte, die sich zuvor für seine Mitgefangenen eingesetzt hatten.

Auch die übrigen Gefangenen blieben von den brutalen Schlägen Mahmoudis und seiner Offiziere nicht verschont. Die Körper der Gefangenen wurden von Schlagstöcken getroffen, aber sie zeigten keinerlei Anzeichen von Reue. Zu dieser Gruppe von Gefangenen gehörten Amir Abbas Azarmvand, Meytham Dehbanzadeh, Mojtaba Tavakol, Mohammad Irannejad, Ayub Ahrari, Pouria Mazroub, Yashardar Dar Al-Shafa, Kaveh Dar Al-Shafa, Adel Gorji, Abolfazl Nejadfath, Ismail Gerami, Loqman Aminpour, Mohsen Sadeghpour und viele andere. Der Zustand der Haft-Säle Nach der ersten Niederschlagung setzten die Gefängniswärter weiterhin Tränengas in den Sälen ein, um die volle Kontrolle zurückzugewinnen. Die Gefangenen in den Sälen hatten keine andere Wahl, als in die Küche zu gehen und durch die Fenster zu atmen. Gegen 14.00 Uhr kam Oberst Mahmoudi mit einigen seiner Spezialeinheiten herein und schrie die Gefangenen über die Lautsprecher an. Er betrat die Räume mit Schuhen und riss wütend die Vorhänge auf und zerstörte die Klimaanlage, den Fernseher und einige Möbel. Auf die Frage der Gefangenen nach dem Zustand ihrer Kameraden im Hof antwortet er: „Sie werden alle umgebracht“. In dieser Situation, in der der Hof mit Blut bedeckt ist, befinden sich die verbliebenen Häftlinge in einem mentalen und emotionalen Dilemma, da sie glauben, dass einige ihrer Kameraden getötet worden sind. Am Morgen nach der höllischen Nacht des 15. Oktober betrat der stellvertretende Kommandant Karbalaie mit einer Spezialeinheit das Gefängnis und begann, die Häftlinge zu bedrohen und zu misshandeln. Daraufhin stellten sich einige Gefangene mutig vor ihn hin, lachten und verhöhnten ihn. Die Wärter schlugen diese Gefangenen brutal zusammen und brachten sie aus der Abteilung zu den anderen angeketteten Gefangenen in den Hof. Zu dieser Gruppe von Gefangenen gehörten Hojatullah Rafei, Mehdi Savaralia, Parsa Golshani und Mehdi Abbaspour. Die Ereignisse in der Sporthalle Am Ende des Aufstands wurden die Gefangenen der Station 8, die im Hof angekettet waren, barfuss in die gemeinsame Sporthalle der Stationen 7 und 8 geschickt, da ihre Hausschuhe von der Spezialeinheit ins Feuer geworfen wurden. Das Bild, das sich den Häftlingen in dieser Halle bot, ist vergleichbar mit den Ereignissen im chilenischen Sportstadion während des Pinochet-Putsches. Mehr als tausend Gefangene mit blutigen Gesichtern und Händen über dem Kopf waren in Gruppen zusammengekauert. Knapp 60 Rebellen aus Abteilung 8 und etwa 1.600-1.800 Rebellen aus Abteilung 7 füllten die Halle.

Datei:Evin-Gefängnis nach dem Brand 2022 (10).jpg

Die mit Schlagstöcken bewaffnete Spezialeinheit patrouillierte zwischen den Gefangenen, und ab und zu schlugen sie jemanden und beschimpften ihn. Es herrschte eine Atmosphäre wie in einem Hühnerstall, in dem Metzger mit ihren Fleischermessern paradieren. Dann fesselten die Beamten die Gefangenen sowohl mit Plastik- als auch mit Metallhandschellen. Während dieser Prozedur hörten die Beleidigungen und Schläge nicht eine Sekunde lang auf. Aber das war nicht die ganze Geschichte. Durch die Dunkelheit des Gefängnisses schimmerten weiterhin bemerkenswerte Szenen des Widerstands: Die Gefangenen der Station 8 schickten Grüsse an ihre Kameraden der Station 7 und beglückwünschten sie zu dieser epischen Nacht. Trotz der Anwesenheit der repressiven Einheiten begannen die Gefangenen von Station 8 für Station 7 zu klatschen, was die Wärter erzürnte. Nachdem sie mit ansehen mussten, wie ein Mitgefangener zu Tode geprügelt wurde, fordern die Gefangenen weiterhin ihre Freiheit und ein Ende der Unterdrückung durch die Regierung. Die Wärter konnten nicht glauben, dass die Gefangenen nach den ständigen Schlägen, Schüssen und Bränden weiterhin Widerstand leisteten und sie herausforderten.

Die Schikanen nahmen kein Ende. Die schlaflosen Beamten liessen ihre Wut an den Gefangenen aus. In einem Fall schlugen die Wärter ununterbrochen einen jungen Mann, dessen „Verbrechen“ darin bestand, dass er Afghane war. Den Gefangenen wurde Wasser verweigert, und der zunehmende Durst machte die Situation noch schwieriger. Der Geruch von Atem, Zigaretten und Schweiss erschwerte das Atmen zusätzlich. Die Peiniger traten mit Wasserflaschen unter die Gefangenen, und die aufgesprungenen Lippen öffneten sich, um einen Schluck des in die Luft geschütteten Wassers zu erhaschen. Um Mitternacht färben sich die Wasserflaschen gelb, da sie nun mit Urin gefüllt sind, dessen Geruch die Luft erfüllt. Wer für einen Moment einschläft, wird mit einem Schlagstock geweckt und angeschrien: „Du hast uns wachgehalten, du musst wach bleiben.“ In diesem Moment setzt sich ein Lächeln auf die Lippen der Gefangenen: „Wir haben sie schlaflos gemacht; lang leben wir.“

Am nächsten Morgen erscheint der Leiter des Evin-Gefängnisses, Farzadi, mit einer Delegation von Regierungsbeamten (von der Leitung der Gefängnisbehörde und der Justizbehörde). Als Belohnung für ihren Widerstand wurden den Gefangenen bei diesem Besuch die Fussgelenke gefesselt. Angekettet, mit blauen Flecken und nackten Füssen werden die Gefangenen in einen Bus gepackt, um in andere Gefängnisse verlegt zu werden. Die zerzausten Wärter, die verbrannten Gebäude und die verzweifelten Behörden zaubern ein zufriedenes Lächeln auf die Gesichter der Gefangenen: Dies war die schönste Nacht von Evin.

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Weihnachten in Israel

Erstellt von DL-Redaktion am 25. Dezember 2022

Lametta als Akt zivilen Ungehorsams?

Von Judith Poppe aus Jerusalem

Feiern oder lieber doch nicht? Das Christfest sorgt in Israel für Streit. Einige sehen darin eine Möglichkeit, gegen die neue Regierung zu protestieren.

„Es fing mit Netflix an“, erzählt Shahar Narkis am Telefon, „mit ‚Scrooge‘, einem Weihnachtsmusical und Angelas Weihnachten.“ Plötzlich wollten auch seine zwei Töchter in Ramat Gan, einer Stadt direkt angrenzend an Tel Aviv, einen Weihnachtsbaum. Wollten bunte Lichter, rote Kugeln – und natürlich Geschenke.

Da steht er nun, ein grüner, kniehoher Tannenbaum aus Plastik, geschmückt mit silbernem Lametta und einem goldenen Stern auf der Spitze. Direkt neben der Chanukkia, dem achtarmigen Leuchter, mit dem das jüdische Lichterfest Chanukka begangen wird. Oft, wie auch in diesem Jahr, fallen Chanukka und Weihnachten zusammen. Zu Weihnukka konnten die beiden Mädchen allerdings nicht einladen – Oma wäre nicht begeistert, erklärte Avneri seinen Töchtern und schrieb „Chanukka“ auf die Einladung. Der Baum aber konnte stehen bleiben.

Im religiösen Judentum ist es verboten, Statuen und Bilder anzubeten. Nun ist der Weihnachtsbaum streng genommen weder Statue noch Bild und wird auch nicht angebetet. Aber es gibt auch christlichen Symbolen gegenüber mitunter Vorbehalte. In der Geschichte der jüdischen Diaspora haben einige Rabbis dazu aufgerufen, vom Weihnachtsbaum Abstand zu nehmen – wobei viele jüdische Familien in den westeuropäischen Ländern Weihnachten gefeiert haben – jedoch ohne religiöse Bedeutung.

Weihnachten wird in Israel mittlerweile genauso gefeiert wie Halloween und Valentinstag. Dass Jesus vermeintlicher Geburtsort Bethlehem um die Ecke liegt – wenn auch in den besetzten Gebieten und für Israelis eigentlich nicht erreichbar –, dürfte den meisten in diesem Kontext entgehen. Genauso spielt keine Rolle, dass palästinensische Christen das Fest schon seit Langem feiern, in Israel wie im Westjordanland.

Inspiration in Italien

Yosi Avinoam, der seinen richtigen Namen nicht nennen möchte, ist in diesem Jahr sogar nach Italien gereist, um sich in Sachen Weihnachtsschmuck inspirieren zu lassen. Umringt von goldenen Weihnachtsbaumkugeln, rot-weißen Weihnachtsmannmützen und aufblasbaren Nikoläusen steht er in seinem Laden in der Matalon Straße in Tel Aviv. „Die Leute fragen mich oft, ob ich ein Problem damit habe, Weihnachtsschmuck zu verkaufen“, sagt er und zeigt auf die Kippa auf seinem Kopf: „Aber ich feiere das Fest ja nicht.“

Nebenan sieht es anders aus. „Ich fühle mich furchtbar“, sagt die Ladenbesitzerin, Tattoos auf den Armen, blondierte Haare und kantige, schwarze Brille: „Jahrelang habe ich mich dagegen gewehrt, Weihnachtsaccessoires zu verkaufen“, sagt sie: „Alle sollen die Feste feiern, die sie feiern wollen. Aber ich bin gläubige Jüdin.“ Sie zeigt auf die Weihnachtsmützen und verzieht ihr Gesicht: „Das zerstört meinen Glauben.“

Dass ein Posting der Tel Aviver Stadtverwaltung allerdings einen Shitstorm auslösen würde, hatten wohl die wenigsten erwartet. Auf der Facebook-Seite kündigte die Stadtverwaltung öffentliche Veranstaltungen zu Chanukka und Weihnachten an. „Dies ist ein jüdisches Land!“, schreibt eine Userin erzürnt.

„So viele von euch denken, dass es niedlich ist, Weihnachten zu feiern. Gott sei Dank ist jetzt die richtige Regierung im Amt. Wir werden die jüdischen Werte wiederherstellen. Langsam werden die Linken, die das Christentum mehr lieben als das Judentum, nicht mehr die Mehrheit stellen. Ich bin mehr als angewidert, dass dies Tel Aviv ist.“

Weihnachtlicher Aufruhr

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Scheherazades 1001 Tochter

Erstellt von DL-Redaktion am 24. Dezember 2022

Weibliches Märtyrertum ist in der persischen Kultur fest verankert.

Wird nicht den Kindern eine jede Religion von den Eltern aufgezwungen?

Von      :      Noshin Shahrokhi

Die alten Mythen und Geschichten sind eine Bastion gegen den aufgezwungenen islamischen Glauben. Die Geschichten von Scheherazade haben uns geholfen aufzustehen, weiterzumachen und dabei nie nur an uns zu selbst denken.

Wir Ira­ne­r*in­nen sind von den alten persischen Geschichten und Mythen geprägt. Die Epen aus dem „Schahnameh“ kennen in Europa wenige, doch wir wurden mit diesen Geschichten schon von Geburt an zusammen mit der Muttermilch gefüttert. In diesen altpersischen Mythen gibt es einen Dämonen namens Gier, der alles frisst, bis nichts mehr übrigbleibt. Eine Geschichte erzählt von dem Untergang der Welt. Dies geschieht, weil der besagte gierige Dämon, alles, sogar die anderen Dämonen verschlungen hat und am Ende beginnt, sich selbst zu fressen.

Beim Anblick der heutigen Erde und deren Natur, die von uns Menschen ruiniert wird, muss ich ständig an das Bild der Gier denken und dazu auch feststellen, wie durchdacht und zeitlos die persischen Mythen waren.

Auch die Märchen aus 1001 Nacht sind ein wichtiger Bestandteil der Kultur der Menschheit. Das Spannendste ist jedoch die Erzählerin selbst. Scheherazade war die Tochter eines Ministers, der einem despotischen misogynen König diente. Die Königin hatte ihn betrogen, und fortan projizierte er seinen Hass auf alle Frauen. Er heiratete jede Nacht eine Jungfrau und ließ sie am Morgen darauf hinrichten. Alle Eltern fürchteten um ihre Töchter und wussten, dass auch sie früher oder später dran waren.

Scheherazade war sowohl eine gebildete Frau, die Tausende Geschichten kannte, als auch eine mutige, die sich für die Frauen einsetzen wollte. Sie schlug ihrem Vater vor, sie mit dem König zu vermählen. Der Minister, der den despotischen und egoistischen König sehr gut kannte, wollte nicht seine geliebte Tochter opfern. Scheherazade aber diskutierte mit ihrem Vater und beharrte darauf, dass dies die einzige Chance sei, den König von den Ermordungen der Frauen abzubringen. Also verheiratete der Minister seine Tochter mit dem König, gefolgt von einer schlaflosen und angsterfüllten Nacht.

Nach dem Beischlaf mit dem König bat Scheherazade ihn, zum letzten Mal in ihrem Leben ihrer Schwester eine Geschichte erzählen zu dürfen. Der König erlaubte es ihr. Scheherazade erzählte eine Geschichte, doch nur bis zur Mitte, und ließ das Ende offen. Als der König frühmorgens seine Braut hinrichten lassen wollte, dachte er an die schöne Geschichte und verschob die Ermordung auf den nächsten Tag. Scheherazade erzählte 1001 Nacht Märchen in Märchen, bis der König durch die Geschichten geheilt wurde und weder sie noch die anderen Frauen ermorden lassen wollte.

Scheherazades Geschichten haben wir in unseren Herzen bewahrt, tausende Jahre während all der Kriege, Besetzungen und brutalen Hinrichtungen. Sie haben uns geholfen, wieder aufzustehen, weiterzumachen und nicht nur an uns selbst zu denken, sondern auch – wie Scheherazade – an jede andere Frau, an die Menschheit. Wenn Johann Wolfgang von Goethe in seinem „West-östlichem Divan“ sieben große Poeten erwähnt, die alle Perser sind, dann weist er auf eine sehr reiche Dichtung hin. Zu Recht beschreibt er das Buch von Hafiz als ein Orakel, das die zukünftigen Ereignisse voraussehen würde.

Als meine Schwester in den achtziger Jahren im Foltergefängnis Evin einsaß und ich meinen Eltern beim Neujahrsfest eine Freude bereiten wollte, habe ich ihnen ein Gedicht von Hafiz vorgelesen, das voraussagte, dass das verlorene Kind bald nach Hause kommt. Die altpersischen Epen und die Mystik bilden ein wichtiges Fundament der iranischen Kultur.

Der große persische Dichter Ferdowsi bereicherte die persische Sprache nach der Eroberung des heutigen Iran durch die Araber, indem er die Epen, alten Mythen und Geschichten neu belebte. Er bezeichnete sich selbst als „unsterblich“, weil er ein Schloss der Dichtung gebaut habe, das unzerstörbar sei. In seinen Gedichtbänden spielt die Bedeutung des Namens eine große Rolle. Der Tod wird mit dem Leben zusammen geboren, und wir sind alle bloß Gäste auf dieser Welt. Was von uns bleibt und verewigt wird, ist der gute Name. Wer durch gute Gedanken, gute Worte und gute Taten (die altpersischen Gebote, die bis heute in der iranischen Kultur gelten) einen guten Namen erwirbt, hat für immer einen Platz in unseren Herzen.

Auch in der Mystik, die in den altpersischen Religionen verwurzelt ist, ist der Mensch nur ein Gast auf dieser Erde. Die Seele des Menschen ist göttlich, und durch die Erkenntnis wird man erlöst. Die Seele ist schön, rein und befreit von Gier und anderen Dämonen, und der Mensch soll durch die guten Taten Gott in sich erkennen. Nur so kann die Seele wieder zu Gott fliegen und sich mit ihm vereinen.

Der Islam ist seit 1.400 Jahren ein Zwang in Iran. Die Dichter mussten sich als Muslime bezeichnen und haben deshalb durch Metaphern und unzählige Mehrdeutigkeiten ihre Gedanken geteilt. Und da die Mystiker keine Mullahs benötigten, um sich mit Gott zu vereinigen, wurden sie nicht nur ­gefoltert, sondern schlussendlich meist ermordet.

Damals hatte die Macht immer zwei Säulen. Die Monarchie neben der Religion. Wenn der König die Religionsvertreter verachtete, putschten diese gegen den König. Aber nun, da die Religiösen ganz allein an der Macht sind und Hunderttausende Sicherheitskräfte diese Macht mit Gewalt und schweren Waffen sichern, werden nicht nur die Machthaber, sondern auch ihre Religion mit all ihren „göttlichen Gesetzen“ gehasst.

Die Verbrennung eines Kopftuchs ist deshalb viel mehr als nur ein Stück Stoff, das in Flammen aufgeht. Es zeigt das erlittene Trauma, entstanden durch ein Regime, das sein eigenes Religionsverständnis der ganzen Bevölkerung aufzwingt. Deshalb singen die Protestierenden auf den Straßen unter Lebensgefahr: „Ich hasse eure Religion, eure Sitten und auch eure Bräuche!“

Dieser Hass ist nicht neu. Vor 40 Jahren haben mein Vater und ich zusammen das Buch „Islam in Iran“ gelesen. Als er die Geschichte der Eroberung Irans durch Muslime las, meinte er: „Vielleicht war auch Mohammed wie Chomeini, was wissen wir schon über seine Kriege. Wir haben Chomeini geliebt, und aus ihm ist ein Henker geworden.“ Danach ist er beten gegangen, weil er neben dem Hass auf die Machthaber eine Mischung aus Zweifel, Furcht und Glaube empfand. Im Gegensatz zu mir, die ich eine Teenagerin war und aus der Schule rausgeworfen wurde, weil ich mich geweigert hatte zu beten. Ich lebte in Angst und Perspektivlosigkeit, bevor ich vor 36 Jahren nach Deutschland flüchtete. Ich weiß nicht, wie sich die Zweifel bei ihm entwickelt hatten, weil er während meiner Exilzeit ohne die Gelegenheit eines Abschied verstarb.

Ob Religion oder Politik, sie sind alle gleich und wollen nur vom Volk ohne Arbeit, satt werden.

Heute wie damals werden die Demonstrierenden wegen „Krieg gegen Gott“ zum Tode verurteilt, weil sich die Machthaber als Vertreter Gottes bezeichnen und auch Gott als unmenschlich gegenüber dem Volk dargestellt wird. Ein junger Mensch, der seine Welt durch die Gebote der Dämonen als ein Gefängnis bezeichnet, sehnt sich nach Freiheit. Er hat nur zwei Wege vor sich, entweder in diesem Gefängnis wie seine Eltern alt zu werden und ein unwürdiges Leben zu führen – oder sich zu erheben. Wenn er auf diesem Weg stirbt, wird er ein Märtyrer und verewigt sich in den Herzen der Menschen, die seine Ideale teilen. Auch im schiitischen Islam existiert Märtyrertum, nur das hier für Gott gestorben wird. Wenn ein Muslim auf dem Weg Gottes getötet wird, kommt er ins Paradies.

Als Majid-Reza Rahnavard am 12. Dezember ­hingerichtet wurde, haben seine Henker ihn im letzten Moment gefragt, was er sich wünscht. Seine Augen waren bereits verbunden, doch auch an der Schwelle zum Todes zeigte er keinen Zweifel: „Lest keinen Koran und betet nicht an meinem Grab!“ Die Mörder haben ihn ausgelacht und seine Worte veröffentlicht, um zu zeigen, dass er ungläubig war und zu Recht sterben musste. Seine Worte wurden aber von Ira­ne­r*in­nen gewürdigt und bewundert. Sie bleiben unvergessen.

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Oben     —   Paul-Émile Destouches : Shéhérazade, accompagnée de sa soeur, raconte au sultan Shariar une des aventures des Mille et une Nuits (Musée Thomas Henry, Cherbourg).

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Irans blutige 15 Minuten

Erstellt von DL-Redaktion am 19. Dezember 2022

Mit den Hinrichtungen will das iranische Regime die Protestierenden einschüchtern.

Ein Debattenbeitrag von Solmaz Khorsand

Doch es erreicht damit nur das Gegenteil. Die Hinrichtungen rütteln an ein kollektives Trauma aus einer Zeit, als es diese Weltöffentlichkeit nicht gab.

Es gibt da ein Zitat, das Hannah Arendt zugeschrieben wird. Iranerinnen teilen es derzeit wie eine Prophezeiung, wenn sie gefragt werden, ob ihnen dieses Mal, nach 43 Jahren Islamischer Republik, der Sturz des Regimes gelingen wird. Ob sie mit ihrer Bewegung, die sie längst Revolution nennen, das schaffen können, woran die Generationen vor ihnen gescheitert sind? Ihre Antwort: „Alle Diktaturen wirken stabil, und das 15 Minuten bevor sie kollabieren.“

Diese 15 Minuten scheinen für viele angebrochen zu sein. „Diese Revolution ist sicher“, schreibt die berühmte – derzeit inhaftierte – Frauenrechtsaktivistin Bahareh Hedayat jüngst in einem offenen Brief aus ihrer Zelle im Evin-Gefängnis. „Die Beseitigung dieser kriminellen Regierung wird definitiv kostspielig und riskant sein, aber es führt kein Weg daran vorbei, diese Kosten zu zahlen und sich den Gefahren zu stellen.“

Wie hoch die Kosten noch sein werden, lässt sich nach drei Monaten, nach rund 500 Toten, über 18.000 Inhaftierten und einer potenziellen Hinrichtungswelle, die spätestens am 8. Dezember eingeläutet wurde, nur erahnen. Mit Mohsen Shekari, 23, wurde die erste Person im Zusammenhang mit der aktuellen Protestbewegung hingerichtet, vier Tage später Majidreza Rahnavard. Wenige Wochen nach ihrer Festnahme, ohne Rechtsbeistand, mit Zwangsgeständnissen, vorgeführt in einem Scheinprozess, exekutiert, ohne Wissen der Familien.

Mindestens 28 Personen droht dasselbe Schicksal. Auf der Liste der potenziellen Todeskandidaten befinden sich laut Menschenrechtsorganisationen auch Minderjährige, wie die zwei Brüder Mohammad und Ali Rakhshani, 16 und 15 Jahre alt, aus der Provinz Sistan-Belutschistan. Dass auch Jugendliche exekutiert werden, ist kein Novum im Iran. Das Alter der Strafmündigkeit liegt für Mädchen bei neun Jahren, für Jungs bei 15. Zwar wurde 2013 ein Gesetz verabschiedet, nach dem Richter auf ein Todesurteil verzichten können, wenn sie bezweifeln, dass der Jugendliche zum Zeitpunkt der Tat bei klarem Verstand war. Doch haben Irans Richter in den vergangenen Jahren kaum davon Gebrauch gemacht, so die selbst inhaftierte Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotudeh in einem Artikel für die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte. Das heißt: auf die Gnade der iranischen Justiz ist nicht zu hoffen. Trotzdem versuchen es die verzweifelten Angehörigen.

Es ist schmerzhaft, zu sehen, wie Mütter und Großmütter etwas unbeholfen vor wacklige Handykameras treten und die Behörden und die Weltöffentlichkeit anflehen, ihre Kinder und Enkel zu retten. Etwa den Radiologen Hamid Ghareh-Hassanlou, ein Arzt, der in den entlegensten Gebieten des Landes Schulen gebaut hat. Oder die Rapper Saman Yasin und Toomaj Salehi. Salehis Zwangsgeständnis wurde unlängst als perfides Video, untermalt mit seiner eigenen Musik, veröffentlicht. Oder die zwei Brüder Farzad und Farhad Tahazadeh aus Oshnavieh, einer kurdischen Kleinstadt, aus der laut kurdischen Nachrichtenagenturen allein sechs Protestierende zum Tode verurteilt wurden.

Fast wie in alten Zeiten – wer möchte da Führungen vergleichen ?

Ihre Namen zu nennen ist essenziell, jede Öffentlichkeit kann sie schützen. Daher ist die Initiative europäischer Politiker, die Patenschaften für die Betroffenen übernehmen, mehr als nur eine schöne Geste der Solidarität. Die Patenschaften erzeugen Aufmerksamkeit und Druck auf Irans Machthaber, das Regime, das trotz seines Paria-Status immer noch nach internationaler Anerkennung lechzt. Deswegen haben auch Irans Rausschmiss aus der UN-Frauenrechtskommission sowie der UN-Beschluss, eine Kommission zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen im Land einzusetzen, historische Bedeutung. Noch nie in 43 Jahren wurde die Islamische Republik auf diese Art in puncto Menschenrechte verurteilt. Nicht umsonst hatten Aktivisten auf der ganzen Welt Freudentränen in den Augen, als sie von den Entscheidungen erfuhren. Zum ersten Mal, nach all den Jahren und Protesten, stellt die Weltöffentlichkeit für einen kurzen Augenblick die Menschen im Iran in den Mittelpunkt.

Die aktuellen Hinrichtungen rütteln an ein kollektives Trauma aus einer Zeit, als es diese Weltöffentlichkeit nicht gab: Die Exekutionen in den 1980er Jahren, unmittelbar nach der Revolution, als täglich Dutzende Oppositionelle, aber auch jene, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren, hingerichtet wurden. Eine Welle, die ihren Höhepunkt 1988 erreichen sollte. Damals erließ Revolutionsführer Ayatollah Khomeini ein geheimes Dekret, nach dem alle „Feinde des Islam“, die sich damals in Haft befanden „so schnell wie möglich“ exekutiert werden sollen. Ein „Todes­komitee“ kümmerte sich um die Abwicklung. Die damaligen Gefängnisinsassen mussten nur ein paar Fragen beantworten: Welcher Partei gehörten sie an? Waren sie bereit, ihr abzuschwören? Waren sie Muslime? Beteten sie fünf Mal am Tag? Wer nur eine Frage „falsch“ beantwortete, wurde getötet.

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Oben     —   Während seines Besuchs im Iran traf sich der syrische Präsident Bashar al-Assad mit dem iranischen Führer Seyyed Ali Khamenei

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785 Tage Krisenmodus

Erstellt von DL-Redaktion am 12. Dezember 2022

Inhaftierte Frauenrechtlerin in Iran

Von      :     Mariam Claren

Wie ich für meine inhaftierte Mutter zur politischen Aktivistin wurde – und warum das jede-R kann.

Ein ruhiges und normales Leben vermisst man erst, wenn es einem genommen wird. Es ist ein Freitagabend im Oktober 2020, als meine Mutter aufhört, auf meine Nachrichten zu antworten. „Du bist online, warum antwortest du nicht?“, lautet meine letzte Nachricht an sie. Meine Familie im Iran macht sich auf die Suche nach ihr. Zwei Tage später erhalte ich einen Anruf: „Deine Mutter ist in Isolationshaft im Evin-Gefängnis, man sagte uns, es handele sich um einen nationalen Sicherheitsfall. Weder wir noch ein Rechtsanwalt dürfen sie sehen.“ Das Blut in meinen Adern gefriert – Krisenmodus an.

Wenn man wie ich in einer politischen Familie aufwächst, sind das Evin-Gefängnis in Teheran und politische Gefangenschaften vertraute Begriffe, hat man sie doch seine gesamte Kindheit immer mal wieder aufgeschnappt. Ich wusste immer, dass in dem Land, in dem ich geboren bin, in dem Land, in dem meine Wurzeln liegen, schlimme Dinge passieren – Menschen aufgrund ihrer politischen Einstellung und ihrer Aktivitäten festgenommen und sogar hingerichtet werden können. Aber für mich – 5.000 Kilometer entfernt in meiner Heimat Köln – war das eine andere Welt.

Bis zum Oktober 2020, als meine Seifenblase platzt und die Last der Menschenrechtsverletzungen der Islamischen Republik Iran sich auf meine Schultern legt: Meine Mutter, die Frauenrechtlerin Nahid Taghavi, ist seit dem 16. Oktober 2020 eine politische Gefangene der Islamischen Republik Iran. Da sie deutsche Staatsbürgerin ist, setze ich mich als Erstes mit dem Auswärtigen Amt in Verbindung. Man verspricht mir, sich einzusetzen und empfiehlt mir, den Fall nicht öffentlich zu machen und auf stille Diplomatie zu vertrauen. Ich widersetze mich dieser Empfehlung – bis heute.

Als hätte alles, was ich von meiner Mutter gelernt habe, jahrzehntelang in mir geschlummert und auf den Moment gewartet, entfaltet zu werden. Aktivistinnen-Modus an. Ich recherchiere, ich lege Social Media Accounts an und informiere unter dem Hashtag #FreeNahid die Öffentlichkeit über die neuesten Entwicklungen. Die ersten Medien werden aufmerksam, ich gebe Interviews. Auf einmal ist der Name meiner Mutter in den Überschriften großer Zeitungen zu lesen. NGOs wie die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte und Amnesty International nehmen sich ihres Falls an.

Die Gefängnisse sind gefüllt mit Andersdenkenden

Es fühlt sich gut an: Die Islamische Republik Iran hat vielleicht meine Mutter in ihrer Gewalt, aber zumindest sorge ich dafür, dass sie nicht vergessen wird. Meine Recherchen ergeben, dass es tausende Fälle politischer Gefangenschaften gibt. Ich beschäftige mich mit den Personen dahinter. So lerne ich zum Beispiel den Umweltschützer*innen-Fall kennen. Eine Gruppe von 7 Naturschützer*innen, die nach Folter und unfairen Verfahren zu bis zu 10 Jahren verurteilt worden waren. Ich lerne, dass die Gefängnisse der Islamischen Republik Iran gefüllt sind mit Menschenrechtsaktivist*innen, Frauenrechtler*innen, Anwält*innen, Jour­na­lis­t*in­nen und jeglichen Andersdenkenden. Menschen, die in einem freien Land Auszeichnungen bekommen würden, verbringen im Iran die besten Jahre ihres Lebens hinter Gittern. Ab dem Zeitpunkt ist für mich klar: Ich kann nicht nur die Freiheit meiner Mutter fordern, ich muss allen politischen Gefangenen eine Stimme geben.

Währenddessen verbrachte meine damals 66-jährige Mutter Nahid m Taghavi sieben Monate in Isolationshaft im Evin-Gefängnis. Sie wurde vom Geheimdienst der Revolutionsgarde über 1.000 Stunden ohne Rechtsbeistand verhört. Sie entwickelte in der Zeit Diabetes und mehrere Bandscheibenvorfälle. Die Konditionen in der Isolationshaft sind darauf konzipiert, Gefangene zu brechen. 194 Tage hat meine Mutter in einer kleinen Zelle, allein, ohne Bett, Matratze oder Kissen auf dem Steinboden geschlafen. Sie hat monatelang eine Augenbinde getragen, wurde von Kameras überwacht und hatte kaum Zugang zu frischer Luft. Die Essenrationen wurden absichtlich klein gehalten, sie verlor 14 kg während dieser Zeit. Ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich rapide, aber sie schafften es nicht, ihren Geist zu brechen.

Die Gerichtsprozesse meiner Mutter sind eine Farce. Die Islamische Republik Iran klagt sie wegen „Beteiligung an der Führung einer illegalen Gruppe“ und „Propagandaaktivitäten gegen den Staat“ an. Meine Mutter erwidert vor Gericht: „Wenn Propaganda bedeutet, über die desaströse Frauenrechtslage, die Misswirtschaft, die Armut, die Korruption und die Zerstörung der Umwelt zu sprechen, dann bin ich schuldig.“ Im August 2021 wird sie zu 10 Jahren und 8 Monaten Haft verurteilt. Die Islamische Republik Iran hat ihre Meinung, ihre Worte und ihr Denken kriminalisiert.

Dennoch war meine Kampagne erfolgreich. Durch den öffentlichen Druck durfte meine Mutter mit ihrem unabhängigen Anwalt vor Gericht treten, sie wurde aus der Isolationshaft in den normalen Gefängnisvollzug verlegt und von Juli bis November 2022 in einen medizinischen Hafturlaub entlassen. Im November diesen Jahres musste sie zurück ins Evin-Gefängnis. Wir sind also noch lange nicht am Ende.

In der gesamten Zeit meines Aktivismus gibt es aber eine Sache, die mich anstrengt. Ich muss immer wieder aufs Neue erklären, warum es politische Gefangenschaften im Iran gibt. Dass es sich bei der Islamischen Republik Iran um ein theokratisches faschistisches Regime handelt, in dem Scharia-Gesetze herrschen, Frauen per se Menschen zweiter Klasse sind und ethnische Minderheiten sowie jegliche Andersdenkende systematisch verfolgt und unterdrückt werden. Ich fühle mich oft allein.

Doch all dies ändert sich schlagartig am 17. September 2022. Der Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam – die nach Auffassung der Sittenwächter ihre Kopfbedeckung nicht ordnungsgemäß trug – löst eine Welle der Proteste aus, sowohl im Iran als auch im Ausland. Revolutionsmodus an.

Kurdistan, Balutschestan, Frauenrechte, Moralpolizei, Revolutionsgarde, politische Gefangene, Evin-Gefängnis – auf einmal sind alle Augen auf den Iran gerichtet. Endlich.

Frau. Leben. Freiheit. Diesen Ruf hören wir nun seit fast 3 Monaten aus dem Iran. Der Mord an Jina Mahsa Amini war wie ein Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Und dabei geht es nicht um „das bisschen Wind im Haar“ von vom Kopftuch befreiten Frauen, sondern um den Willen einer ganzen Nation, die nach 43 Jahren Diktatur nichts weniger als Gerechtigkeit, Gleichheit, Selbstbestimmung und Freiheit fordert. Der Sicherheitsapparat des Regimes reagiert, wie er es seit über 40 Jahren tut: Mit Mord, mit Verhaftungen, mit Vergewaltigungen, mit Scheinprozessen und Hinrichtungen.

Handschellen made in UK

Quelle      :          TAT-online           >>>>>         weiterlesen

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Oben      —       Students of Amir Kabir university protest against Hijab and the Islamic Republic

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Kolumne-Fernsicht-Israel

Erstellt von DL-Redaktion am 10. Dezember 2022

Höchste Zeit zur Abkehr von Israels Rechtsextremisten

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Von Hagai Dagan

Während die Augen der Welt auf Katar gerichtet sind, wird in einer anderen Ecke des Nahen Ostens die rechteste und religiöseste Regierung zusammengestellt, die der Staat Israel je gesehen hat. Noch laufen die Koalitionsverhandlungen, fest steht jedoch schon jetzt, dass Itamar Ben-Gvir, ein offener Rassist, der die jüdische Vormachtstellung in Groß-Israel mit Gewalt verteidigen will, Minister für Innere Sicherheit wird und damit auch die Kontrolle über die Polizei innehat.

Damit nicht genug, richtet Israels designierter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu eine eigene Behörde für Avi Maoz ein. Mit seiner dem Büro des Regierungschefs angeschlossenen neuen „Behörde für nationale jüdische Identität“ wird Maoz, der sich für die „Heilung“ von Homosexualität starkmacht, LGBTIQ-Leuten das Leben erschweren, er wird die Frauendiskriminierung vorantreiben und nach einem Halacha-Staat streben, einem jüdischen Gottesstaat.

Stolzer Anhänger der Homophobie ist auch Bezalel Smotrich, der wie Ben-Gvir in der Vergangenheit mit den Sicherheitskräften unschöne Bekanntschaft gemacht hat und der sich den Widerstand gegen jegliche Kooperation mit Arabern auf sein ideologisches Banner schreibt. Smotrich wird in der kommenden Regierung eine Reihe zentraler Ämter für die Bereiche Sicherheits- und Wirtschaftspolitik des Staates Israel kontrollieren.

Vor knapp einem Jahr reiste Smotrich nach England. Der mustergültige Vertreter einer sich zunehmend fundamentalistischer gestaltenden religiösen Strömung suchte Kontakt zu den Köpfen der jüdischen Gemeinde, um sie für den Kampf gegen die jüdischen Reformgemeinden zu gewinnen. Die liberalen jüdischen Strömungen, die unter anderem Frauen als Rabbiner zulassen, sind dem frommen Fanatiker ein Dorn im Auge.

Nicht nur für Smotrich überraschend kam die heftige Reaktion der britischen Juden, die ihm die kalte Schulter zeigten. „Wir lehnen die abscheulichen und die Hass schürenden Ansichten von Bezalel Smotrich ab“, heißt es in dem Schreiben des Board of Deputies of British Jews, einer Art Dachverband der jüdischen Gemeinden in Großbritannien. „Wir appellieren an alle Mitglieder der britischen jüdischen Gemeinde, ihm die Tür zu zeigen. Steigen Sie wieder ins Flugzeug, Bezalel, und bleiben Sie für immer als Schande in Erinnerung.“

Dass sich eine wichtige jüdische Organisation in der Diaspora derart frontal gegen einen israelischen Politiker stellt und unverblümt gegen die komplette Strömung, für die er steht, für einen klaren Trend in der israelischen Gesellschaft, hat zweifellos Seltenheitswert. Nicht, dass es in der Vergangenheit keine Konflikte gegeben hätte. Kritik an israelischen Politikern kam allerdings eher aus den Reihen des US-amerikanischen Judentums und wurde dann auch deutlich behutsamer formuliert. Die europäische Diaspora war in der Regel noch zurückhaltender. Anstatt zu kritisieren, übernahm sie die Haltung auch rechter und religiöser israelischer Politiker, was insofern widersprüchlich ist, da die europäischen jüdischen Gemeinden insgesamt doch eher für Liberalität und Toleranz stehen.

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Oben     —     Vogelbeobachtung in Panama

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Gefährliche Normalität

Erstellt von DL-Redaktion am 1. Dezember 2022

Nationale Strategie gegen Antisemitismus

Von Konrad Litschko

Die Bundesregierung legt eine Strategie gegen Antisemitismus vor. Den Handlungsbedarf zeigen nicht nur jüngste Anschläge auf jüdische Einrichtungen.

Es war zu Monatsbeginn, als Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, einen weiten Bogen schlug. Am Gedenktag an die NS-Pogrome vom 9. November 1938 erinnerte er an die damals flächendeckenden Angriffe auf Juden, an den „schlimmsten Tag der deutschen Geschichte“, der „direkt in die Shoah“ führte. Und er verwies darauf, dass auch heute noch und wieder Hakenkreuze an Schulen geschmiert werden, dass Geflüchtetenunterkünfte brennen. Wohin dieser Hass zuweilen führe, das könne man „nicht häufig genug betonen“, mahnte Schuster. Man müsse diese Erinnerung „immer wieder aufs Neue verteidigen“.

Wie nötig das ist, zeigte sich erst vor wenigen Tagen. In Essen schlugen mehrere Schüsse in das Rabbinerhaus der Alten Synagoge ein. Kurz darauf wurde ein Mann festgenommen, der am gleichen Abend einen Brandsatz auf eine Schule neben der Bochumer Synagoge geworfen und einen weiteren Mann angestiftet haben soll, einen Brandanschlag auf das Gebetshaus in Dortmund zu verüben, wozu es glücklicherweise nicht kam. Der Vorfall sorgte für bundesweites Entsetzen. Noch laufen die Ermittlungen, noch ist einiges unklar. Klar ist aber: Hier wurden offensichtlich Jü­d:in­nen gezielt ins Visier genommen.

Und es ist bei Weitem kein Einzelfall. Laut Bundeskriminalamt stiegen antisemitische Straftaten im Jahr 2021 um 28 Prozent an, von 2.351 auf 3.027 Delikte. Im Schnitt acht Straftaten jeden Tag also. Auch in diesem Jahr zählte die Polizei allein bis Mitte Oktober erneut 1.555 Straftaten: Übergriffe auf Kip­pa­trä­ger, antisemitische Beleidigungen oder Hetzpostings. Der Hass hört einfach nicht auf. Und das, obwohl nach dem Fanal von Halle im Jahr 2019, dem rechtsterroristischen Angriff auf die dortige Synagoge, allseits entschlossene Gegenwehr versprochen wurde.

Wirklich und nachhaltig aufzurütteln scheinen die antisemitischen Vorfälle aber inzwischen nur noch wenige. Es droht vielmehr schleichend eine Gewöhnung einzusetzen. Deshalb kommt es zur rechten Zeit, dass die Bundesregierung über ihren Antisemitismusbeauftragten Felix Klein am Mittwoch erstmals eine „Nationale Strategie gegen Antisemitismus“ vorlegte, gut 50 Seiten stark. Zwei Jahre lang wurde sie erarbeitet, sie ist das Ergebnis eines Auftrags der EU an ihre Mitgliedstaaten. Von einem „Meilenstein“ spricht Klein.

Antisemitismus auf Pro-Palästina-Demos

Alle hiesigen Maßnahmen gegen den antisemitischen Hass sollen darin gebündelt und geprüft werden, in fünf Säulen. Was wissen wir über die Bedrohung durch Antisemitismus? Wie lässt sich dieses Wissen vermitteln, an Schulen, in Arbeitsstätten, im Alltag? Wie wird an Antisemitismus und NS-Verbrechen erinnert? Wie konsequent werden die Straftaten bekämpft? Und, fünftens, wie stärken wir jüdisches Leben und machen es sichtbar? „Jüdinnen und Juden sollen sich des Rückhalts in der Bevölkerung sicher sein“, heißt es in der Präambel des Textes. Aber dessen sicher können sie sich eben nicht sein.

Sollten Politiker-innen nicht erst einmal überprüfen, welche Saat sie aussäen, um zu erkennen warum sie nur dieses auch Ernten können ?

Davon zeugen nicht nur die Polizist: innen, die bis heute vor Synagogen oder jüdischen Kindergärten und Schulen stehen. Die Bedrohungen kommen aus fast allen Richtungen. Dem Rechtsextremismus bleibt der Antisemitismus bis heute immanent, für ihn bleiben Juden ein zentrales Feindbild, es bietet dem Hass weiter den größten Nährboden.

Aber auch auf Pro-Palästina-Demonstrationen ertönen hierzulande antisemitische Parolen. Die jüngste documenta und die BDS-Bewegung unterstreichen, dass auch Kultur und Intellektualismus anfällig sind. Auch auf den Coronademonstrationen florierten offen antisemitische Verschwörungsmythen, Protestierende raunten von einer geheimen, jüdischen Elite, die im Hintergrund das Weltgeschehen lenke. Dazu bricht sich im Internet antisemitischer Hass auf Social-­Media-Kanälen Bahn, mit gefährlich grenzenloser Reichweite.

Dass der Antisemitismus auch in der Mitte der Gesellschaft wuchert, ist dabei keine neue Erkenntnis. Die gerade erst veröffentlichte Mitte-Studie der Universität Leipzig unterstreicht das noch einmal. Knapp 30 Prozent der Befragten stimmten dort zumindest teilweise der Aussage zu, dass der Einfluss von Juden „zu groß“ sei. Knapp ein Viertel erklärte auch teilweise, Juden würden „nicht so recht zu uns passen“. Einem „Schuldabwehrantisemitismus“, wie es die For­sche­r:in­nen nennen, stimmten gar 60 Prozent der Befragten zu, mit Aussagen wie: „Wir sollten uns lieber gegenwärtigen Problem widmen als Ereignissen, die mehr als 70 Jahre vergangen sind.“

Quelle         :         TAZ-online         >>>>>        weiterlesen 

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Oben       —     Alte Synagoge, Steeler Straße 29 in Essen

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Die Armbinden-Debatte

Erstellt von DL-Redaktion am 27. November 2022

Als Deutschland noch ein fanatischer Gottesstaat war

Eine Kolumne von Christian Stöcker

Hört man die Debatte über Homosexuellen-Rechte in Katar, über Armbinden und Regenbogenflaggen, könnte man zu einem völlig falschen Schluss kommen: Bei uns ist alles super, schon ewig. Das Gegenteil stimmt.

Gesellschaftlicher Fortschritt hat eine eigentümliche Eigenschaft: Wenn er erst einmal stattgefunden hat, haben alle plötzlich das Gefühl, als sei doch alles doch schon ewig so, und sie selbst seien immer dafür gewesen.

Der auf die Messung gesellschaftlichen Fortschritts spezialisierte Soziologe Heinz-Herbert Noll hat einmal geschrieben : »Aus der Retrospektive gesehen, wird daher von Fortschritt gesprochen, wenn die gegenwärtigen Lebensverhältnisse im Vergleich mit der Vergangenheit als Verbesserung betrachtet werden«.

Nun ist gesellschaftlicher Fortschritt nicht für alle Menschen jederzeit gleichermaßen erfahrbar. Für diejenigen aber, die er aktuell persönlich betrifft, ist er alles andere als abstrakt. Für diejenigen, die es schon besser haben, wirkt er womöglich sogar lästig, ja bedrohlich.

Das Geschwätz von der »Entartung des Volkes« – noch 1962

Wenn man zum Beispiel als schwuler Mann in Deutschland im Jahr 1968 lebte, konnte es einem passieren, dass man aufgrund des eins zu eins aus der Nazizeit übernommenen Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Wegen »Unzucht«.

In der schönen, demokratischen Wirtschaftswunderbundesrepublik wurden bis 1969 noch 50.000 Männer auf Basis des Nazi-Paragrafen verurteilt. Erst seit 2016 gibt es Entschädigungen für Betroffene. In der DDR fiel Paragraf 175 schon 1968. Diskriminiert und ausgegrenzt wurden Schwule und Lesben trotzdem.

Noch unter Helmut Kohl

Als ab Ende der Fünfzigerjahre darüber verhandelt wurde, das Strafgesetzbuch zu reformieren, landete in der Begründung zu einem Entwurf aus dem damals CSU-geführten Justizministerium unter anderem die Einschätzung, dass durch die »gleichgeschlechtliche Unzucht« weiterhin »die Entartung des Volkes und der Verfall seiner sittlichen Kräfte« drohten.

Kölner Dom mit Groß St.Martin.jpg

Unter den Nazis landeten bekanntlich viele Zehntausend Homosexuelle in Konzentrationslagern. Nicht viele überlebten. Der eben zitierte Satz stammt aber aus einer Bundestagsdrucksache von 1962.

In zwischenzeitlich endlich doch abgeschwächter, aber weiterhin skandalöser und von Ressentiment statt Fakten geprägter Version existierte Paragraf 175 in der BRD noch bis 1994 weiter. Noch unter Helmut Kohl verteidigte ihn die Union mit der absurden und anti-wissenschaftlichen Begründung, dass Schwule sonst verwirrte Jugendliche vom vermeintlich rechten Weg abbringen könnten.

Die Rolle der »öffentlichen Religionsgemeinschaften«

Umso erfreulicher ist es vor diesem Hintergrund, dass sich die deutsche Öffentlichkeit nun, Fußball sei Dank, so intensiv für die Rechte nicht-heterosexueller Menschen in Katar interessiert. Oft ist dabei von der reaktionären Wirkung des Islam die Rede.

Aus religiösem Fanatismus wurden aber auch hierzulande Homosexuelle unterdrückt und kriminalisiert, noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg.

Das westdeutsche Bundesverfassungsgericht fand noch 1957 , bei Auslegung des sogenannten Sittengesetzes mit Blick auf die Strafbarkeit von Homosexualität müsse berücksichtigt werden,

»dass die öffentlichen Religionsgemeinschaften, insbesondere die beiden großen christlichen Konfessionen, aus deren Lehren große Teile des Volkes die Maßstäbe für ihr sittliches Verhalten entnehmen, die gleichgeschlechtliche Unzucht als unsittlich verurteilen«.

Diese und viele andere fassungslos machende Details kann man übrigens einer sehr lesenswerten Aufarbeitung des LSVD entnehmen .

In der Urteilsbegründung  von 1957 stehen auch Sätze über weibliche Sexualität, die einem heute die Haare zu Berge stehen lassen – und Sätze über angeblich »biologisch« angelegte Verhaltensweisen und die »körperliche Bildung der Geschlechtsorgane«, die man beim Thema Transmenschen auch heute noch genauso zu hören bekommt.

Fanatischer Gottesstaat

Aus Sicht von schwulen und lesbischen Menschen war die junge Bundesrepublik ein fanatischer, repressiver Gottesstaat. Aus der von trans Personen natürlich auch, aber von denen war damals noch gar keine Rede.

Über unsere eigene, extrem unrühmliche Geschichte in dieser Sache Bescheid zu wissen, hilft dabei, zu verstehen, warum für viele LGBTQ-Menschen von so großer Bedeutung ist, ob der Kapitän der Nationalmannschaft nun eine bestimmte Armbinde trägt oder nicht.

Ein Prozess, kein Ereignis

Nun ist Fortschritt kein Ereignis, sondern ein Prozess. Er geht, im Idealfall, immer weiter. Deutsche Politikerinnen und Politiker, die jetzt stolz darauf sind, dass die deutsche Innenministerin die One-Love-Armbinde ins Stadion trug, haben den bereits erfolgten gesellschaftlichen Fortschritt schnell und geräuschlos in ihr Deutschlandbild eingebaut. Und doch stimmten noch im Jahr 2017 225 Abgeordnete der Unionsparteien gegen die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Ehen.

Die AfD lehnt die Ehe für alle weiterhin ab und will sie wieder abschaffen , war 2017 aber nicht im Bundestag.

Manchen geht es immer zu schnell oder zu weit

Aber auch die Bayerische Staatsregierung und viele Unionsabgeordnete wollten gerne gegen die »Ehe für alle« klagen. Sie entschieden sich erst dagegen, als Gutachter 2018 zu dem Schluss kamen, dass so eine Klage aussichtslos wäre . Das ist erst vier Jahre her.

Jetzt ist CSU-Chef Markus Söder »besorgt und empört wegen der kritischen Menschenrechtslage in Katar«, und wegen der »Homophobie«, die Katars WM-Botschafter »ganz offen« geäußert habe.

Was man »nicht mehr sagen darf«

Selbstverständlich existiert offene Homophobie auch in Deutschland bis heute, nur bekommt man mittlerweile unter Umständen Ärger, wenn man sie allzu öffentlich auslebt, gerade als Politiker. Und wenn es diesen Ärger dann gibt, regen sich bestimme Kreise auf, dass man ja so viel »nicht mehr sagen« dürfe.

So war das zum Beispiel, als Friedrich Merz im Jahr 2020 Homosexuelle in guter Unionstradition in die Nähe von Pädophilen rückte. Merz reagierte auf den Ärger, die das zu Recht auslöste, mit einer Pseudoentschuldigung – und klagte im gleichen Atemzug über die »Empörungsmaschine« , die seine natürlich absichtlich empörende Äußerung in Gang gesetzt habe. So wird der Täter zum Opfer.

»Damit der Schwachsinn nicht zur Mode wird«

Quelle         :           Spiegel-online         >>>>>        weiterlesen

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Oben     —       Zum Christopher Street Day erstrahlte die Allianz Arena am Abend des 9. Juli 2016 für dreieinhalb Stunden regenbogenfarbig.

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2.) von Oben      —      This is a photograph of an architectural monument. It is on the list of cultural monuments of Köln, no. 911

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IRANISCHER FEMINISMUS

Erstellt von DL-Redaktion am 27. November 2022

IRAN – DIE MAUER AUS ANGST IST GEFALLEN

Von Mitra Keyvan

Was als Revolte gegen den Kopftuchzwang begann, hat sich längst ausgeweitet. Überall im Land fordern Demonstrierende den Sturz des Regimes. Wie der Aufstand ausgeht, ist vor allem angesichts der massiven Repression ungewiss. Wichtiges erreicht hat die Bewegung aber schon jetzt.

Frau, Leben, Freiheit!“, „Wir lassen uns nichts mehr gefallen!“, „Tod dem Diktator!“ Solche Parolen werden in den Straßen von Teheran und anderen Städten gerufen. Sie zeigen die Entschlossenheit der Demonstrantinnen, aber auch der Demonstranten, den Mächtigen die Stirn zu bieten.

Alles begann am 13. September, als die Sittenpolizei (Gascht-e Erschad) die 22-jährige Mahsa Amini festnahm, weil sie angeblich ihr Kopftuch nicht vorschriftsmäßig trug. Diesen Vorwurf bekommen täglich tausende Iranerinnen zu hören. Drei Tage später starb die junge Frau im Krankenhaus, nachdem sie in Polizeigewahrsam ins Koma gefallen war. Ihr Begräbnis in ihrer Heimatstadt Saghez in der iranischen Provinz Kurdistan löste im ganzen Land eine Explosion der Wut aus.

Die Mauer der Angst zeigte überall Risse, Frauen gingen erhebliche Risiken ein, um dem Regime auf der Straße entgegenzutreten.1 Obwohl die Machthaber das Internet abschalten ließen, kursierten in den sozialen Netzwerken Bilder von Frauen, die öffentlich ihre Kopftücher verbrannten. Und in Saghez protestierte die Familie des Opfers gegen die offizielle Version zur Todesursache, in der behauptet wurde, Mahsa Amini habe Vorerkrankungen gehabt. Die Familie vermutete, dass sie an den Folgen der brutalen Behandlung durch die Sittenpolizei starb. Damit wurde sie zur Ikone, zur Märtyrerin.

Trotz des immer härteren Vorgehens der Sicherheitskräfte, teilweise mit scharfer Munition, weiteten sich die Proteste rasch aus. Am Anfang richteten sie sich im Wesentlichen gegen die Macht der Sittenpolizei und die seit 1983 geltende Kopftuchpflicht.

Die Parolen wandten sich dann aber sehr schnell gegen das gesamte System: „Wir wollen die Islamische Republik nicht! Wir wollen sie nicht!“ In der Vergangenheit hat es wiederholt Protestwellen gegen das iranische Regime gegeben, aber nie hatten sie ein solches Ausmaß erreicht, nie so viel Widerhall in der Bevölkerung und im Ausland gefunden.

Die Jungen ertragen es nicht mehr

Im Juni 2009 protestierte die „Grüne Bewegung“ gegen die Wiederwahl von Präsident Ahmadinedschad und sprach von Wahlbetrug.2 Die Parole „Wo ist meine Stimme?“ hatte damals vor allem Menschen aus der städtischen Mittelschicht mobilisiert, nicht aber die ländliche Bevölkerung.

Ende 2017 demonstrierten verschiedene Gruppen der ärmsten Bevölkerungsschichten unabhängig voneinander gegen die Kürzungen von Unterstützungsleistungen und Preissteigerungen bei Treibstoff und mehreren Grundnahrungsmitteln. Und schließlich kam es Ende 2019 erneut zu sozialen Protesten aus den gleichen ökonomischen Gründen, diesmal vor allem in den kleinen Städten und armen Vororten der Großstädte. Jedes Mal wurden die Bewegungen durch gnadenlose Repression mit tausenden von Verhaftungen niedergeschlagen.

Diesmal sieht sich das Regime mit einer umfassenden Unzufriedenheit konfrontiert. Vor allem die Frauen und die Jugend beteiligen sich stark an den Protesten. Fast 51 Prozent der Menschen in Iran sind jünger als 30 Jahre, bei einer zu drei Vierteln städtischen Gesamtbevölkerung von 86 Millionen. Die Jungen ertragen das eingeschränkte Leben nicht mehr, in dem alles, was anderswo normal ist – wie mit Freunden in der Öffentlichkeit Musik hören –, zu Schwierigkeiten mit der Obrigkeit führt.

„Bei dieser Bewegung dreht sich alles um die menschliche Würde“, sagt der Soziologe Asef Bayat. „Es ist, als wollten die Menschen ihre verlorene Jugend zurückholen, sie geben ihrer Sehnsucht nach einen normalen Leben in Würde Ausdruck.“ Die Bewegung hat auf das ganze Land übergegriffen: Sie beschränkt sich nicht mehr auf die städtischen Zentren, längst hat sie auch entlegene Regionen erfasst. Die heftigsten Zusammenstöße gibt es in Kurdistan und Belutschistan, insbesondere in der Stadt Zahedan.

Zur Wut der iranischen Bevölkerung trägt die schlechte wirtschaftliche Lage sehr viel bei: Die Inflation liegt bei rund 40 Prozent. Vor seiner Wahl im Juni 2021 hatte Präsident Ebrahim Raisi versprochen, den Lebensstandard in Iran zu verbessern. Aber seither hat sich kaum etwas getan. Die Regierung hat im Gegenteil eine Reihe von Sparmaßnahmen ergriffen und Subventionen für Grundnahrungsmittel zurückgefahren. Begründet wird dies mit den internationalen Sanktionen, durch die das Regime daran gehindert werden soll, sein Atomprogramm weiterzuverfolgen.

„Der Konsum von Fleisch, Eiern und Milchprodukten ist um die Hälfte gesunken“, berichtete am 12. Mai die Wirtschaftszeitung Jahan-e-Sanat. 45 Prozent der Ira­ne­r:in­nen lebten unterhalb der Armutsschwelle, und von denen hätten 10 Prozent nichts zu essen. Abgesehen von der wirtschaftlichen Notlage, die sich rasant zuspitzt, macht die endemische und offensichtlich unausrottbare Korruption den Menschen das Leben schwer. Entgegen allen Ankündigungen des Regimes, entschieden dagegen vorzugehen, beherrschen fessad (Korrup­tion) und reshveh (Bestechung) auch die Geschäftswelt Irans, wo staatliche und halbstaatliche Unternehmen und Institutionen mehr als zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften.3

Ende August zitierte die amtliche Presse einen Parlamentsbericht über die Veruntreuung von 3 Milliarden US-Dollar durch das Management des größten iranischen Stahlproduzenten Mobarakeh Steel Company. Unmittelbar danach wurde der Handel mit den Aktien des Staatsunternehmens an der Teheraner Börse ausgesetzt. Aber alle, die sich in den sozialen Netzwerken dazu äußerten, machten sich keine Illusionen über die juristischen Folgen dieser Affäre.

Die gegenwärtige Revolte zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie keine politische Führung hat oder von einem Zentrum aus koordiniert wird. Die horizontale Struktur des Protests, die im Übrigen auch für andere soziale Bewegungen überall auf der Welt typisch ist, erklärt sich vor allem durch die Furcht vor Repressionen und die Zersplitterung der politischen Opposition. In gewisser Weise spiegelt sie aber auch die Undurchsichtigkeit der internen Machtverhältnisse im iranischen Herrschaftssystem wider.

Zu guter Letzt wäre die Öffentlichkeitswirkung der Bewegung nicht so groß, würden nicht persischsprachige, vom Westen oder durch die Golfstaaten unterstützte Medien eine so aktive Rolle als Multiplikatoren der Videos von Aktionen und Demonstrationen spielen. 2018 berichtete der Guardian, der in Großbritannien ansässige Fernsehsender Iran International (II) werde von Saudi-Arabien finanziert.4 Der Sender dementierte diese Behauptung.

Obwohl sich die wirtschaftliche Situation in den letzten Monaten zunehmend verschlechtert hatte, entschied sich das Regime für eine noch härtere Gangart. Die Sittenpolizei patrouillierte wieder auf den Straßen, Filmemacher, Sänger oder Angehörige der religiösen Minderheit der Bahai wurden festgenommen. In dieser Situation kann das Reformlager die Proteste nicht für sich nutzen. Ohnehin sind sich die De­mons­tran­t:in­nen vor allem in einem einig: der grundsätzlichen Ablehnung des Systems.

„Das Tauziehen zwischen Reformkräften und Fundamentalisten, das seit den ersten Jahren nach der Islamischen Revolution die politische Bühne beherrschte, endete 2021 mit der letzten Amtszeit von Hassan Rohani“, erklärt der Soziologe Yousef Abazari auf der Website Naghd Eghtessad Siasi. „Seither ist dieser Unterschied bedeutungslos, das Volk lehnt beide Lager ab.“

Das Regime scheint nicht einmal ansatzweise geneigt, den Forderungen der De­mons­tran­t:in­nen entgegenzukommen.5 Während im ganzen Land Gegendemonstrationen zu seiner Unterstützung organisiert wurden, rief Präsident Raisi nach seiner Rückkehr von der UN-Generalversammlung in New York am 23. September die Ordnungskräfte auf, „entschlossen gegen alle vorzugehen, die die Sicherheit und den Frieden des Landes und des Volkes gefährden“.

Fällt die Kopftuchpflicht?

Quelle          :       LE MONDE diplomatique-online           >>>>>         weiterlesen

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Oben     —     Iranian protestors on the Keshavrz Boulvard

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Proteste im Iran

Erstellt von DL-Redaktion am 20. November 2022

Frau – Leben – Freiheit

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Von Golineh Atai

Seit Jahren stehen die iranischen Frauen an vorderster Front gegen das unterdrückerische Regime. Der Westen darf ihrem Kampf nicht tatenlos zusehen.

Der zentrale Protestslogan seit dem gewaltsamen Tod von Mahsa Jina Amini im Polizeigewahrsam lautet „Frau, Leben, Freiheit“. Das ist alles andere als ein Zufall. Denn die Feindschaft gegen Frauen gehört von Beginn an zu den politischen Grundpfeilern der Islamischen Republik Iran. „Wenn die islamische Revolution kein anderes Ergebnis haben sollte als die Verschleierung der Frau, dann ist das per se genug“, hat Revolutionsführer Ruhollah Chomeini einst gesagt.

Nur wenige Tage nachdem der Ajatollah seinen Fuß auf iranischen Boden gesetzt und die Regierung des letzten Monarchen gestürzt hatte, erhob er das Schwert seiner Revolution als Erstes gegen die Frauen. Fast alle Gesetze, die zum Schutz der Frau verabschiedet worden waren, sollten seiner Idee des Islam zum Opfer fallen. Zum ersten Mal in der iranischen Geschichte waren Ehescheidungen bis zu diesem Zeitpunkt Sache von Familiengerichten mit staatlich examinierten Richtern anstelle von Geistlichen.

Die männliche Polygamie wurde auf eine Zweitfrau begrenzt. Das Recht der Frau auf Arbeit wurde gefördert, bezahlter Mutterschaftsurlaub und Kinderbetreuung wurden ermöglicht. Die Geistlichkeit verurteilte damals diese Gesetze als „Prostitutionsförderung“ und prophezeite moralischen Verfall. Linke Parteien und Gruppen kritisierten die Gesetze als „Verwestlichung“ des Iran.

Klerus und Linke setzten gemeinsam die Revolution in Gang. „Die Freiheit der Frau ist die Freiheit der Gesellschaft“, stand dagegen auf den Bannern jener Iranerinnen, die 1979 protestierten: gegen die neuen islamischen Bekleidungsvorschriften, gegen den Verlust zahlreicher Rechte. Irans Frauen waren die größten Verliererinnen der Revolution.

Chomeini setzte das Heiratsalter für Mädchen auf neun Jahre herab. Männer konnten wieder vier Frauen heiraten, und Richterinnen gehörten fortan der Vergangenheit an. Wer in der Schule aus dem Rahmen fällt, muss gehen. Im Laufe der Jahrzehnte konnte ein kleiner Handspiegel in der Tasche, weiße Sportsocken, ein Haarreif unter dem obligatorischen Kopftuch oder eine hervortretende Haarsträhne zu Diskriminierung und Ausschluss führen.

Verschmelzung von Regierung und Religion

Das Hauptproblem der Iranerinnen war nicht der Islam, der je nach Zeit und Ort anders interpretiert wird, sondern die Natur der Islamischen Republik: ein „theokratisches System, erschaffen aus der politischen und gesetzlichen Verschmelzung von Regierung und Religion“. Der theokratische Staat kann mit seinen Erzfeinden in Verhandlungen treten – nicht aber mit den Iranerinnen. Die politischen Machthaber haben mehr Angst vor den Frauen als vor ihren ideologischen Gegnern.

Über die Frau kontrolliert das Regime die Gesellschaft. „In rechtlicher Hinsicht sind die Frauen die größten Leidtragenden im über 40 Jahre währenden Experiment der Islamischen Republik“, bringt es die iranische Anwältin und Menschenrechtlerin Mehrangiz Kar auf den Punkt. Wenn es tatsächlich einen tiefgreifenden Wandel im Iran geben sollte, wird er auf die Frauen zurückgehen, die Jahrzehnte dafür Opfer brachten, ohne sich einschüchtern zu lassen.

Frauen stehen an vorderster Front des Widerstands gegen das Unrecht. Sie stehen der Macht­elite gegenüber. Sie haben das Regime in seinem Wesen kennengelernt – und an einem bestimmten Punkt innerlich überwunden. Das macht ihre Stärke aus. Eine Stärke, hinter der sich jetzt große Teile speziell der jüngeren Generation versammeln.

Dass der Westen diesen ungemeinen Unmut, diese Wut im Lande nicht viel früher erkannte und darauf adäquat, nämlich mit harter Kritik am Regime, reagierte, hat zwei Gründe, einen außen- und einen eher innenpolitischen. Außenpolitisch ist es die – durchaus berechtigte – Angst vor einer iranischen Atombombe, die jede Debatte im Westen über die Menschenrechte im Iran seit Jahren lähmt. Das Nuklearabkommen steht im Fokus.

Die Verhandlungen darüber sind inzwischen so alt sind wie die Generation, die jetzt auf die Straßen geht und der ein solches Abkommen im Übrigen vollkommen gleichgültig ist. Innenpolitisch war es dagegen die Unterscheidung zwischen angeblichen „Reformern“ und „Hardlinern“, die es dem Regime seit Jahrzehnten ermöglichte, dem Rest der Welt die Illusion einer lebendigen Demokratie zu vermitteln – mit vermeintlichen seriösen Machtwechseln und Millionen von Wählern.

Gottessouveränität vor Menschensouveränität

Die Islamische Republik Iran ist ein zweigeteilter Staat, in dem gewählte Institutionen die täglichen Staatsgeschäfte verwalten – im Schatten des weitaus mächtigeren Obersten Führers. Dieser hat erhebliche Macht, aber eine geringe Rechenschaftspflicht, er kann jede Verantwortung auf Gewählte – sprich: auf den Präsidenten – abwälzen.

Eine der Hauptsäulen seiner Macht sind die Revolutionsgarden, die, wie sie selbst sagen, genau wissen, was sie dem Führer bringen müssen, wenn er nach einem Hut verlangt: einen Kopf. Die Revolutionsgarden zerschlagen Massenproteste, beugen einem militärischen Staatsstreich vor, sie haben eine korrupte Schattenwirtschaft aufgebaut und eine Medienholding gegründet, mit der sie ihre Propaganda in erstaunlich modernem Gewand unters Volk bringen.

Wir aber tun immer noch so, als stünden sich im Iran liberal-progressive und illiberal-reaktionäre Machtgruppen diametral gegenüber. Wir tun immer noch so, als würde unsere Unterstützung der Reformer die Demokratisierung des Iran herbeiführen. Und wir haben uns immer noch nicht mit der eigentümlichen Inkonsistenz ihres Reformprojekts beschäftigt, geschweige denn die Verfassung der Republik verstanden.

Die Diktatur der Rechtsgelehrten stellt Gottessouveränität vor Menschensouveränität. Sie beansprucht die einzig wahre Interpretation des Islam. Sie legitimiert politisch motivierte Gewalt. Sie lässt keine Trennung zwischen Staat und Religion zu. Diese Ordnung ist seit 1979 weitgehend reformunfähig – ungeachtet aller „Reformer“.

„Staub und Schmutz“

Die letzte Hoffnung der Reformer war die sogenannte Grüne Bewegung von 2009, als Millionen auf die Straße gingen, um friedlich – und vergeblich – gegen die manipulierte Wiederwahl Ahmadinedschads zu protestieren. 2009 markierte eine Wende, ein Jahr der Wahrheit. Tausende fragten auf der Straße nach dem Verbleib der Stimmen von Millionen von Bürgern.

Ahmadinedschad verwendete den Begriff „Staub und Schmutz“, um die drei Millionen Menschen zu beschreiben, die in einem Schweigemarsch in Teheran gegen die Wahlfälschung protestiert hatten. Für ihn waren sie schlechte Verlierer des gegnerischen Lagers. Waren es am Ende siebzig, achtzig oder hundert Todesopfer?

Tausende wurden festgenommen, viele Verhaftete in politischen Schauprozessen verurteilt, und ihre absurden, weil erzwungenen Geständnisse wurden im Staatsfernsehen ausgestrahlt. Doch auch damals zögerte der Westen, an der Spitze US-Präsident Barack Obama, die iranischen Demonstranten von 2009 anzuerkennen und sich von Anfang an mit klaren Worten auf ihre Seite zu stellen.

Quelle        :       TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Oben      —    Studenten der Amir Kabir Universität protestieren gegen Hijab und die Islamische Republik

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Gegen die Mullahs

Erstellt von DL-Redaktion am 17. November 2022

Liefert Internettechnik nach Iran wie Waffen in die Ukraine!

Eine Kolumne von Sascha Lobo

Sollte das Regime das Netz abschalten, könnte es unbemerkt von der Weltöffentlichkeit viele Protestierende ermorden. Politik und Digitalkonzerne müssen das Land daher online halten – die Technik dafür gibt es.

In einem polnischen Grenzörtchen schlagen Raketen ein, es gibt Opfer, in sozialen Medien ist sofort die Rede von Bündnisfall. Nato! Artikel 5! Auf Twitter trendet »Weltkrieg«. Selbst die Aufrufe, um Gottes willen nicht in Panik zu verfallen, Ausrufezeichen, transportieren in typischer Social-Media-Aufgeregtheit ihr eigenes Gegenteil.

Am Ende handelt es sich offenbar um eine versehentlich in Polen eingeschlagene ukrainische Flugabwehrraketen, und natürlich gilt der Spruch »Nachher ist man immer klüger«. Aber das heißt eben auch »Vorher ist man immer unklüger«, was das viel gescholtene, eskalative Potenzial sozialer Medien beschreibt. Zusammen mit Fake-News-Lawinen, Social-Media-Propaganda, ungelösten Hass- und Hetzproblemen, der Real-Time-Soap-Opera, zu der Elon Musks tägliche Twitter-Show geworden ist, und dem ständigen, kulturpessimistischen und herablassenden Lamento über Influencer*innen haben soziale Medien gerade nicht unbedingt besonders gute Presse. Hatten sie lange nicht.

Im Dezember 2010 beginnt der Arabische Frühling, der zeitweise als »Facebook-Revolution« galt und damit im Westen als Einlösung des alten Versprechens, soziale Medien würden die Welt freier machen und dabei helfen, Diktaturen zu stürzen. Irgendwie.

Soziale Medien sind in Iran eine Frage von Leben und Überleben

Es ist leider nicht mehr in vielen Gedächtnissen vorhanden, aber schon über ein Jahr zuvor, im Sommer 2009, nutzte die iranische Bevölkerung vor allem Twitter, um den Widerstand gegen eine wahrscheinliche Wahlfälschung zu koordinieren. Drei Millionen  Menschen gingen auf die Straße, in deutschen Medien war damals die Rede vom »digitalen Aufstand« .

Es war kein Zufall, dass 2009 die vielleicht erste große, digital betriebene Revolte des Planeten in Iran stattfand. Soziale Medien sind für die jüngeren Generationen überall auf der Welt Teil ihres Alltags, ihrer Kommunikation, ihrer Kultur. In Iran aber bedeutet Social Media für die Jugend zugleich Leben und Überleben, und zwar buchstäblich.

Deshalb muss man, um die aktuelle Revolution in Iran besser zu verstehen, auch die Rolle sozialer Medien in Iran begreifen. So wird etwa beklagt , dass kaum führende Köpfe Teil der revoltierenden Bewegung seien – ein Nichtverständnis des Prinzips Netzwerk. Denn die Protestierenden sind durchaus organisiert. Es scheint auch eine gewisse (von außen schwer sichtbare) hierarchische Struktur zu geben. Aber eben auf eine Art, die digitalen Netzwerken nachempfunden ist.

Es gibt zwar Identifikationsfiguren, meist sind es Künstler*innen und Idole der Jugend. Sie haben aber keine oder nur eine multiplikatorische Funktion bei der Organisation. Man kann dieses neue, vernetzte Organisationsprinzip gut an einer der wichtigsten Menschenrechtsbewegungen der Gegenwart erkennen: #blacklivesmatter. Fast alle kennen diese Bewegung, sie ist politisch relevant und hat viel erreicht – aber selbst aufmerksamen Beobachtern fällt kein führender Name, kein einzelner Aktivistenkopf ein.

Es zeugt deshalb von einem Unverständnis der vernetzten Gegenwart in Iran, den Mangel an mächtigen, organisierten und sichtbaren Gegenspielern des Regimes als Zeichen eines Scheiterns der Jugendrevolution zu begreifen. Leider heißt das im Umkehrschluss nicht, dass die Revolution zwingend erfolgreich sein wird. Aber es heißt, dass jede Form der politischen Unterstützung von außen essenziell ist, weil sich damit die Erfolgschancen erhöhen.

Telegram und Instagram als Medien des Protests

Twitter und Facebook sind in Iran seit 2009 großteils gesperrt. Zu den aktuell wichtigsten sozialen Medien gehören dort InstagramWhatsApp und das viel gescholtene Telegram. Letzteres hat in Deutschland mit seiner weitgehend unregulierten, Behörden ignorierenden Art viel Schlimmes angerichtet. In Iran hat es aus genau diesen Gründen Vorteile.

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Instagram hat mehrere essenzielle Funktionen bei den Protesten. Das liegt unter anderem daran, dass es das letzte große, nicht standardmäßig gesperrte Social Network in Iran war. Es gab aber bereits seit 2015 glaubhafte Hinweise , dass Instagram mit den Behörden des Iran teilweise zusammenarbeitet, was Zensur angeht. Und zwar eine intelligente Zensur des digitalen Arms der Revolutionsgarden. Im Westen wird leider noch immer die Radikalität und vor allem die boshafte Cleverness der Revolutionsgarden unterschätzt. Es handelt sich um eine staatliche, weltweit aktive Terrororganisation des iranischen Regimes, die samt der iranischen Führung, der Sittenpolizei und der Basij-Schlägertrupps härteste Sanktionen verdiente.

Der inzwischen unter Hausarrest stehende Journalist und Aktivist Abbas Abdi  sagt in einem Telegram-Posting : »Social Media ist die größte iranische Provinz.« Dafür gibt es neben der ohnehin in vielen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens riesigen Social-Media-Begeisterung einen konkreten und durchaus bitteren Grund: Im iranischen Alltag vor allem junger Frauen ist Instagram das Leben, der einzige Ort, an dem sie so etwas wie freie Entfaltung spüren können.

Quelle       :       Spiegel-online         >>>>>      weiterlesen

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Oben      —      ماکت پهپاد شاهد در راهپیمایی روز ۱۳ آبان در تهران

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Die Islamische Diktatur

Erstellt von DL-Redaktion am 11. November 2022

Die tödliche Zurückhaltung gegenüber den Protesten in Iran

Eine Kolumne von Sascha Lobo

Die Revolution in Iran findet in deutschen Leitmedien noch immer nicht genug Beachtung. Der Kanzler twittert handzahm, statt zu handeln. Dabei würde mehr internationale Aufmerksamkeit Leben retten.

Sonntag, der 6. November 2022, über 50 Tage nach Beginn der iranischen Proteste, die man inzwischen Revolution nennen muss. Eine große Gruppe iranischer Parlamentarier hat etwas Ungeheuerliches gefordert: Der Staat möge den Demonstrierenden mit aller Härte begegnen und in bestimmten Fällen möglichst mit der Todesstrafe. Unabhängige Fachleute schätzen die Zahl der Inhaftierten, der Angeklagten auf über 14.000 ein, zumeist junge und sehr junge Leute, sehr viele Frauen darunter.

Der infame Appell aus dem Kreis des Parlaments, jenem scheindemokratischen Feigenblatt der islamistischen Diktatur, würde bedeuten: Etliche junge Menschen könnten ermordet werden, sicher nicht alle 14.000; aber es ist davon auszugehen, dass das Regime nicht auf das abschreckende Instrument der Hinrichtung verzichten wird. Und das nur, weil die Menschen gegen ein terroristisches, antisemitisches, islamistisches, Frauen und Homosexuelle hassendes, ultramenschenfeindliches Horrorregime demonstriert haben, das ihnen ihr Leben raubt, jeden Tag aufs Neue. Selbst wenn dieser Appell von den Gerichten nicht umgesetzt wird, ist schon länger klar, dass die iranische Justiz nicht zögern dürfte, Demonstranten hinzurichten.

Man sollte meinen, dass solch extremistische Hinrichtungswünsche von Abgeordneten große Wellen schlagen. Stattdessen ergibt die Überprüfung am Montagnachmittag irritierendes: Auf der Startseite der »Süddeutschen Zeitung« taucht das Wort Iran ebenso wie auf der Startseite des SPIEGEL nicht auf. Kein Iran, nirgends. Genau wie auf faz.net, auf tagesschau.de, auf bild.de und auf der Seite der »Rheinischen Post«. Der »Tagesspiegel« hat einen Artikel zu Iran auf der Startseite (hinter der Paywall), allerdings deshalb, weil er von so vielen Menschen gelesen wurde, dass er in der Kategorie »beliebt auf Tagesspiegel+« auftaucht. Zwar nur eine digitale Momentaufnahme und dennoch ein Sinnbild.

Auf welt.de kommt »Iran« einmal vor – in einem Artikel über iranische Waffenlieferungen an Russland. Auf der Startseite der »Zeit« kommt »Iran« sogar zweimal vor. Einmal als verlinktes Schlagwort in einer Subnavigation ohne weiteren Kontext und einmal, weil ein iranischer Islamist Hamburg verlassen hat.

Man kann es nicht anders sagen: Die iranische Revolution der Frauen, der jungen Menschen findet in deutschen Leitmedien noch immer nicht ausreichend statt. Wie als Symptom beträgt die Gesamtzahl der SPIEGEL-Titelbilder zum Thema ebenfalls: null. Ein Themenschwerpunkt stand Ende Oktober lediglich links oben in der Ecke, als sich das Titelbild dem britischen Regierungschaos widmete. Automatisch ergibt sich die Frage: warum? Es ist eine Frage, die die iranische Diaspora traurig, wütend, fassungslos macht. Zu Recht.

Wenn man sich mit Menschen der verschiedenen iranischen Communitys in Deutschland unterhält, dann ist da zunächst – ein enormes Feuer, im allerbesten Sinn. Das hat einen konkreten und bitteren Grund. Es gibt praktisch niemanden, der nicht spürt und weiß, dass es in Iran im Moment um buchstäblich alles geht.

Die iranische Community weiß, worum es geht

Rund 300.000 Iran-stämmige Menschen leben in Deutschland, und sie sind laut und hervorragend vernetzt. Der Parteichef der Grünen Omid Nouripour gehört dazu und der Generalsekretär der FDPBijan Djir-Sarai, beides Regierungsparteien. Dazu kommt eine Reihe prominenter Personen mit großer Reichweite: die Social-Media-Kulturaktivistin und Bühnenkünstlerin Enissa Amani etwa, der Conferencier und Moderator Michel Abdollahi, die preisgekrönte Journalistin und Autorin Natalie Amiri, der Schriftsteller und Friedenspreisträger Navid Kermani, die Rapperin und Genussmittelunternehmerin Shirin David, die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes Yasmin Fahimi und viele, viele mehr.

Stutzt den Schamanen den Bart !

Das wären für einen medialen Aufregungssturm eigentlich perfekte Voraussetzungen, und durch die gute Vernetzung der iranischen Community in Deutschland wurden diese sogar noch einmal verbessert. Die Entertainer Joko Winterscheid und Klaas Heufer-Umlauf haben in einer spektakulären Aktion ihre Instagram-Accounts »für immer« zwei iranischen Aktivistinnen geschenkt, eine Vielzahl von Aufmerksamkeitswellen rollte und rollt durch die deutschsprachigen sozialen Medien.

Aber trotzdem bleibt die Berichterstattung der Leitmedien für die Größe und die Weltrelevanz der Proteste meist merkwürdig blass und schmal. Insgesamt bleibt der Eindruck, dass eine Handvoll meist deutsch-iranischer Expert*innen die Öffentlichkeit umfassender, besser und sachkundiger informiert als es die deutschen Leitmedien tun, vor allem (ausgerechnet) auf Twitter und auch auf Instagram, darunter @shourahashemi @natalieamiri @gildasahebi @khani2mina @isabelschayani  und @MichelAbdollahi .

Die empörende Zurückhaltung der Politik

Die wahrscheinlich meisten Mitglieder der iranischen Diaspora in Deutschland sind nicht nur irritiert bis entsetzt über die verhaltene Berichterstattung, sondern auch über die verstörende bis empörende Zurückhaltung der deutschen Spitzenpolitik. Auf dem offiziellen Kanzler-Twitteraccount hat Olaf Scholz es in 50 Tagen einmal geschafft, den Iran zu erwähnen: »Es bestürzt mich, dass bei den Protesten im #Iran friedlich demonstrierende Menschen ums Leben kommen. Wir verurteilen die unverhältnismäßige Gewalt der Sicherheitskräfte und stehen den Menschen im Iran bei. Unsere EU-Sanktionen sind wichtig. Wir prüfen weitere Schritte.«

»Bestürzung«, Menschen »kommen ums Leben«, als sei das leider eine ärgerliche Naturkatastrophe. »Unverhältnismäßige Gewalt«, als gäbe es verhältnismäßige Gewalt, wo gerade Aberhunderte Menschen verschleppt, vergewaltigt, abgeschlachtet werden und sogar Kinder ermordet werden. »Den Menschen beistehen«, eine Geste, die sich bereits im Wort selbst erschöpft. Und schließlich »wichtige EU-Sanktionen«, die milder kaum ausfallen könnten.

Deutschland ist der mit Abstand wichtigste Handelspartner Irans in der EU. Angesichts der angekündigten Prüfung von »weiteren Schritten« zittern die Mullahs sicher bereits vor Angst, während sie knietief im Blut einer Generation waten.

Distanz zu Iran und Distanz zur Generation Z

Michel Abdollahi sagt im Gespräch, dass die Zurückhaltung des Bundeskanzlers ein wichtiger Grund sei für die mediale Zurückhaltung. Gleichzeitig sei Iran für viele führende Journalist*innen noch viel zu weit weg, nicht nur kulturell, sondern auch von der Altersstruktur her. Es sei ein Aufstand der Generation Z, und die würden die meisten Leitmedien schon hierzulande nicht verstehen und deshalb oft ignorieren.

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Die deutsch-iranische, queere Aktivistin Mina Khani sieht einen Eurozentrismus am Werk, wenn man nicht von Rassismus sprechen wolle. Sie skizziert gleichzeitig ein häufig zu Recht beklagtes Problem in deutschen Medien: Direkt Betroffene, zum Beispiel qua Herkunft, gelten vielen Redaktionen als nicht objektiv genug, weshalb man im Zweifel lieber deutsche Fachleute fragt. Und sie spricht an, was sehr viele Iraner*innen knallwütend macht: dass Medien, Aktivisten, Politik und Zivilgesellschaft in Deutschland auf die geschickte Propaganda der Islamischen Republik hereinfallen.

Etwa, dass »jahrelang im Westen erzählt wurde, dass die iranischen Frauen sich selbst dazu entschieden haben, Hijab zu tragen. Obwohl es dafür Belege gibt, dass sie jahrelangen Widerstand dagegen geleistet haben«. Daran angrenzend ist Abdollahi irritiert, dass in Deutschland etwa die iranische Protestform, Mullahs auf der Straße den Turban vom Kopf zu schlagen, kritisch betrachtet wird. Dabei seien es doch genau diese alten Männer, die für den extremistischen Islam stünden, der Frauen unterdrückt, die Bevölkerung drangsaliert und Demonstrierende tötet.

Quelle      :             Spiegel-online          >>>>>           weiterlesen

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Oben      —     Protest an der Amirkabir-Universität für Technologie am 20. September 2022

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Splitter im Auge

Erstellt von DL-Redaktion am 10. November 2022

Den Splitter im fremden Auge, aber nicht den Balken im eigenen sehen

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

In unserem christlich geprägten Abendland sollte diese Rüge aus der Bergpredigt (Mtth:7,3) wohlbekannt sein und entsprechend Zurückhaltung bzw. kritische Überprüfung eigener Ansichten und Aussagen anmahnen.

Ein Blick in die Presse lässt uns aber über das Gegenteil erstaunen. Da grassiert z.Zt. die durch Fakten nicht belegte Behauptung, dass China in Europa illegale Polizeistationen betreibe (Splitter), während man geflissentlich übersieht, dass die USA bei uns und weltweit auf fremden Territorien über 700 völlig autarke Stützpunkte mit Militär und Polizei und bei uns sogar mit Atombomben und Kommandozentrale für Kriege weltweit betreiben (Balken). Solange aber nichts nachgewiesen ist, ist es nicht einmal ein Splitter, sondern nur eine ebenso böswillige wie dumme Lüge. Kein Staat der Neuzeit, außer Hitlerdeutschland, die USA und das imperiale England, hat bisher Polizeistationen im Ausland errichtet, auch China nicht.

Gerade in der heutigen Zeit der großen Umbrüche weltweit müssen wir zwar kritisch aber vor allem objektiv sein. Fehleinschätzungen oder gar böswillige Unterstellungen führen unweigerlich zu Eigentoren. Zur realen Einschätzung gehört dabei unbedingt der Respekt vor anderen Kulturen und Meinungen, selbst wenn man sich ihnen nicht anschließen kann. Das hat schon Voltaire so gesehen: “Ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen“.

Aus materieller und geistiger Bequemlichkeit wollen viele Menschen, dass nur alles so bleibt wie es ist. Gleichwohl sollten wir spätestens seit Heraklit wissen, dass alles immer in Bewegung ist, sich stetig ändert, panta rhei. Und in einer eben solchen Zeit der Veränderungen leben wir jetzt, angestoßen insbesondere durch China. Dieses Land hat sich von einem der ärmsten Länder der Welt in nur 40 Jahren zur mittlerweile zweiten Wirtschaftsmacht entwickelt und ist darauf stolz und selbstbewusst geworden. Und selbstverständlich will China an der Gestaltung der Beziehungen rund um die Welt mitwirken. Um das richtig zu verstehen, braucht es Bildung und nicht Vorurteile, die nach Voltaire die Vernunft der Narren ist. China kann stolz auf seine Geschichte und Kultur sein. Dabei hat es noch nie einen Krieg ausserhalb seines Territoriums geführt und auch keine Polizeistationen im Ausland betrieben oder gar Kolonien ausgeplündert.

Wozu westliche Meinungssteuerung führen kann, sieht man am Beispiel Vietnamkrieg. Dieser verheerende Krieg ist nur aufgrund einer von den USA verbreiteten Lüge losgetreten worden. Wenn diese Art von Meinungsbildung mit schlimmen Folgen für andere nicht aufhört, wird der Westen die immer wieder stattfindenden Veränderungen wegen des Balkens im eigenen Auge nie richtig einordnen oder gar nutzen können. Ganz anders China: „Wenn der Wind der Erneuerung weht, dann bauen die einen Menschen Mauern und die anderen Windmühlen“.(Konfuzius)

Urheberrecht
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Oben      —    Domenico FettiVom Splitter und vom Balken (um 1619, Metropolitan Museum of Art)

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KOLUMNE * Red Flag

Erstellt von DL-Redaktion am 6. November 2022

Erdoğans Wahlkampf: Am besten, es bleibt in der Familie

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Kolumne von Fatma Aydemir

Präsident Erdoğan möchte die Familie gesetzlich schützen. Der Wahlkampf ist also eröffnet, auf dem Rücken von Frauen und Queers.

Wann immer über den „Schutz von Familien“ diskutiert wird, ist Unheil im Anmarsch. Niemand fordert die Sicherung dieser Institution ohne Hintergedanken, denn niemand müsste es. Schließlich wird die Familie ohnehin überall auf der Welt geschützt: Staat, Gesellschaft, Religion, sie alle berufen sich auf Familie als ideale Form des Zusammenlebens. Ideal vor allem natürlich für die Erhaltung einer pa­triarchalen Ordnung. Doch wer schützt die Menschen eigentlich vor ihren eigenen Familien?

In der Türkei sind es vor allem feministische Selbstorganisationen und queere Vereine, die der Regierung seit Jahren schon ein Dorn im Auge waren. In diesen Tagen dürfte sich ihre Lage drastisch verschlimmern, denn Präsident Erdoğan hat ein neues Herzensprojekt: In einer Rede anlässlich des 99. Jahrestags der Gründung der Republik sagte Erdoğan am Montag, mit einer Verfassungsänderung wolle er die Familie gesetzlich stärken und die Rechte von Frauen schützen, die ein Kopftuch im öffentlichen Dienst tragen wollten. Der Wahlkampf für die im nächsten Jahr anstehenden Parlamentswahlen ist also eröffnet – auf dem Rücken von Queers und Frauen.

Seit dem Sommer schon betreibt die AKP-Regierung eine regelrechte Hetzkampagne gegen die LGBTIQ-Community des Landes. Nicht, dass die Regierung zuvor besonders queerfreundlich gewesen wäre, doch ist schon auffällig, mit welcher Vehemenz in den vergangenen Monaten eine queere Weltverschwörung proklamiert wurde, die eine Bedrohung für muslimische Werte und die traditionelle Familie darstelle. Klingt nicht besonders neu, kennt man von jedem rechtskonservativen Regime aus Osteuropa. Doch dürfte es kein Zufall sein, dass der türkische Präsident sich in Zeiten einer Inflationsrate von 86 Prozent (nach offiziellen Angaben, die Dunkelziffer dürfte höher liegen) auf das billigste Thema stürzt, mit dem sich konservative bis radikal-islamistische Teile der Gesellschaft mobilisieren lassen.

Interessantes Timing

Das Timing für den Plan einer vermeintlichen Stärkung der Rechte kopftuchtragender Frauen ist ebenfalls interessant. Während im benachbarten Iran der Mord an Zhina Amini, die die Verschleierungsvorschriften missachtete, einen Massenaufstand auslöste, der bereits in die achte Woche geht, möchte die türkische Regierung mehr Frauen mit Schleier im öffentlichen Dienst sehen. Das Kopftuchverbot in öffentlichen Einrichtungen wurde erst unter der AKP schrittweise aufgehoben, nun soll es per Verfassung ein Recht auf Verschleierung geben. Selbstverständlich sollte in einer Demokratie allen Frauen dieses Recht zustehen. Wenn eine Regierung aber seit Jahren mit der Einschränkung und Abschaffung von Demokratie und Freiheiten beschäftigt ist, sollte man einem solchen Plan mit größter Vorsicht begegnen.

Quelle       :         TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

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Oben     —   Eine wehende rote Fahne

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Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte   

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Kolumne FERNSICHT Israel

Erstellt von DL-Redaktion am 5. November 2022

Der hohe Preis für die Sünden des David Ben-Gurion

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Von Hagan Dagan

Das israelische Wahlergebnis ist auch Ergebnis sozialistischer Beschwichtigungspolitik. Religiöse Fanatiker ernten die süßen Früchte.

Bei diesen Wahlen hat die Linke eine schwere Niederlage erlitten, von der sie sich vielleicht nie mehr erholen wird. Meretz, die einzige Partei, die sich eindeutig als links definiert – außer den Kommunisten – scheiterte an der Sperrklausel und droht, von der politischen Landkarte zu verschwinden. Die sich abzeichnende Koalition von Benjamin Netanjahu ist offen rassistisch.

Sie stützt sich auf fanatische, fundamentalistisch-religiöse Parteien, die Liberalismus und Demokratie zutiefst ablehnen und die das Rechtssystem zerstören wollen. Um zu verstehen, wie das passieren konnte, tut ein Blick in die Vergangenheit Not. Der Hauptschuldige ist David Ben-Gurion. Israels erster Regierungschef pries das, was er als „Staatlichkeit“ bezeichnete, und unterband Strömungen, die seiner Meinung nach die Staatlichkeit bedrohten.

So entschied er bereits in den 1950er Jahren, das unabhängige Bildungssystem der Arbeiterpartei einzustellen. Damit verlor die sozialistische Bewegung die Möglichkeit, die eigenen Werte an die Jugend weiterzugeben. Dem entgegen rührte Ben-Gurion das unabhängige orthodoxe Bildungssystem nicht an.

Die ultraorthodoxen Rabbiner durften ungehindert hunderttausende Schüler nach den eigenen fanatisch-religiösen Vorstellungen erziehen und so eine riesige Öffentlichkeit schaffen, die die von Ben-Gurion als so wichtig empfundene Staatlichkeit komplett ablehnten. Zusätzlich befreite Ben-Gurion die orthodoxen Staatsbürger von der Wehrpflicht. So wuchs eine Bevölkerung, die sich faktisch wie ein Staat im Staate verhielt, eine Gesellschaft innerhalb einer Gesellschaft.

Unter der Regierung von Menachem Begin und später auch unter Netanjahu gesellte sich der Sektor der verbitterten, frustrierten Juden dazu, deren Familien aus muslimischen Ländern nach Israel eingewandert waren und die sich nicht mit den bis in die 1970er Jahre vorherrschenden Werten der Moderne und der Säkularität identifizierten.

Fataler Faktor Demografie

Erschwerend kommt die demografische Entwicklung hinzu. Die religiöse, konservative und ärmere Bevölkerung wächst deutlich schneller als die säkulare, liberale und etablierte. All das macht sich an den Wahlurnen bemerkbar. Demokratie kann bisweilen eine fürchterliche Angelegenheit sein.

Parallel zum ständigen Erstarken der religiösen Rechten, die immer radikaler wird, dümpelt die Linke seit Jahrzehnten unentschlossen vor sich hin. Das fängt an mit der „warmen Ecke“, die den Orthodoxen im Herzen von Ben-Gurion vorbehalten war, setzt sich fort mit der seltsamen Sympathie, die Chefs der Arbeitspartei, darunter auch Schimon Peres, für die Siedlerbewegung empfanden, und endet mit den Versuchen des noch amtierenden Regierungschefs Jair Lapid, sich als Rechter in Szene zu setzen.

Quelle        :          TAZ-online            >>>>>         weiterlesen

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Oben     —     Vogelbeobachtung in Panama

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KOLUMNE – La dolce Vita

Erstellt von DL-Redaktion am 2. November 2022

Der Fokus auf Geschehnisse der Revolution ist falsch

Von    :    Amina Aziz

Die Debatte über Iran ist auch von Missverständnissen geprägt. Fünf Aspekte, die oft zu kurz kommen:

1. Die Iran-Politik der Bundesregierung und der EU ist reaktionär. Sie ist eine gestrige Auffassung von Sicherheitspolitik, statt der radikalen Durchsetzung von Demokratie und der Beachtung von Menschenrechten.

Weder wird die Machtelite von Iran isoliert (selbst mit den Revolutionsgarden auf einer Sanktionsliste), noch wird der Atomdeal beendet oder werden wirtschaftliche Interessen zurückgestellt. Demokratische Kräfte werden kaum unterstützt, etwa durch die Bereitstellung von Internet oder die Forderung, politische Gefangene freizulassen.

Das Festhalten des Westens am iranischen Regime geht auf Kosten der iranischen Bevölkerung. Wohlstandssicherung um jeden Preis aufgrund von Eigeninteressen ist im Westen nichts Neues, aber verstaubt. Dabei kann man davon ausgehen, dass ein demokratischer Iran kein Interesse an einer Atombombe hätte, dafür aber an wirtschaftlichen Beziehungen. Solche Einschätzungen als unrealistisch abzutun, zeugt von einer einfallslosen, hängengebliebenen Politik.

2. Revolutionen passieren nicht über Nacht. Die Revolution von 1979 hatte, je nachdem welche Vorfälle man dazu zählt, mindestens ein Jahr Vorlauf. Im Grunde war der politische Iran des 20. Jahrhunderts geprägt von Kämpfen zwischen An­hän­ge­r*in­nen der Monarchie und ihren Gegner*innen.

3. Es ist keine Voraussetzung für eine Revolution, einen Plan fürs Danach zu haben. Es wäre das Ideal. Tägliche Gewalt, kaum Internet und Telefonie erschweren es erheblich, sich zu organisieren. Im Land selbst gibt es genug Frauen und andere, die demokratische Politik gestalten können. Nur weil das hierzulande nicht bekannt ist, heißt es nicht, dass es sie nicht gibt.

4. Anzunehmen, die Menschen in Iran wüssten nicht, wie stabil das Regime in seinen Machtstrukturen ist, ist überheblich. Die Proteste sind auch deswegen so radikal und kompromisslos, weil sie genau das verstanden haben. Befürchtungen, spätestens nach dem Tod des Obersten Führers Ali Chamenei könnte ein Nachfolger oder das Militär übernehmen, rühren aus diesem Bewusstsein.

Quelle       :        TAZ-online        >>>>>          weiterlesen

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Oben     —    Kostüm von Danilo Donati für „Il Casanova“, Film von Federico Fellini en 1976, Schauspieler Donald Sutherland. – Anita Ekberg – Giulietta Massina et Marcello Mastroianni / Kostüme, Accessoires, Dessins, Dekore, Scénarios, Fotografien, Montage, Postproduktion.

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Boykott ins Abseits

Erstellt von DL-Redaktion am 28. Oktober 2022

Wäre nicht die einzig richtige Medizin –
Eine Trennung zwischen Staat und Religion ?

Die Auserwählten und die Gejagten

Ein Debattenbeitrag von Markus Bickel

Israels nächster Regierung könnten rechtsextreme Parteien angehören. Nur ein egalitärer jüdisch-palästinensischer Schulterschluss kann den Rechtsruck stoppen. Bei geringer arabischer Wahlbeteiligung steigen die Chancen für Netanjahu und seine rechten Verbündeten.

Es ist die fünfte Wahl in dreieinhalb Jahren: Am Dienstag wählt Israel eine neue Knesset, wobei sich alles um die Frage dreht, ob es Benjamin Netanjahu und seinen ultranationalistischen und religiösen Verbündeten gelingt, mehr als 60 der 120 Sitze zu erringen. Sollten sie das schaffen, droht in Jerusalem die rechteste Regierung seit der Zweiten Intifada vor 20 Jahren – möglicherweise mit einem bekennenden Rechtsex­tre­mis­ten als Minister. „Gewiss“ gebe es Platz für Ita­mar Ben-Gvir in seinem Kabinett, versicherte der nach 16 Monaten in der Opposition zurück an die Macht drängende Netanjahu im Wahlkampf dem Shootingstar der radikalen Rechten. Ben-Gvirs Partei Jüdische Stärke tritt gemeinsam mit Netanjahus Likud sowie dem rechtsnationalistischen Religiösen Zionismus Bezalel Smotrichs an.

Was eine Regierungsbeteiligung des der neofaschistischen kahanistischen Bewegung nahestehenden Ben-Gvir für das Zusammenleben zwischen den 2 Millionen palästinensischen und den rund 7 Millionen jüdischen Israelis bedeuten würde, hat der 46-Jährige wiederholt selbst deutlich gemacht. Sein arabophobes Programm liest sich wie der Aufruf zum Bürgerkrieg: Deportation „illoyaler“ arabischer Bürger Israels, erzwungene Emigration von Palästinensern nach Europa sowie die Zerschlagung der Autonomiebehörde von Mahmud Abbas in Ramallah, um nur einige Punkte zu nennen.

Die xenophoben Parolen von Politikern wie Ben-Gvir und Smotrich stoßen vor allem in der israelischen Peripherie auf Zustimmung – in den von Netanjahus Likud vernachlässigten Gemeinden im Süden Tel Avivs etwa, im Negev und am Rande des Gazastreifens. Unter den 2 Millionen palästinensischen Israelis hingegen wecken sie neue Ängste vor pogromartigen Ausschreitungen wie im Mai 2021. Im Schatten des elftägigen Gaza-Kriegs hatten vor anderthalb Jahren jüdische Ex­tre­mis­ten in binationalen Städten wie Akkon, Ramla und Jaffa regelrecht Jagd auf arabische Einwohner gemacht. An fast allen Schauplätzen der Gewalt an vorderster Front dabei: rechte Siedler aus dem Westjordanland.

Der gesellschaftliche Kitt wird aber auch von palästinensischer Seite bedroht: In Lod verhängte die Armeeführung im Mai 2021 den Ausnahmezustand, nachdem arabische Bewohner der binationalen Stadt jüdische Bürger angegriffen und Synagogen angezündet hatten. Von einer neuen „Kristallnacht“ war die Rede; viele Israelis stellten bestürzt fest, wie schmal der Grat zwischen vordergründig freundschaftlichen nachbarlichen Beziehungen und bewaffnetem Konflikt ist. Der Schreck unter den linken und zentristischen Parteien der Anti-Netanjahu-Allianz über die interkonfessionellen Ausschreitungen war größer als der über die elftägigen Angriffe der israelischen Luftwaffe auf den Gazastreifen.

Berliner und israelische Mauern

Das Ergebnis politischer Versager wird heute als „Nazi“-onale Staatsräson geadelt !

Seitdem sind von linker Seite die Rufe nach einer dezidiert jüdisch-palästinensischen Partei wieder lauter geworden. „Ich bin der Meinung, dass eine egalitäre jüdisch-arabische sozial­demokratische Linkspartei gegründet werden sollte“, fordert etwa die Vorsitzende der sozialdemokratischen Meretz-Partei, Zehava Galon, gegenüber der taz. „Eine Partei, die Menschen, die für Gleichheit einstehen und für ein gemeinsames Leben von Juden und Arabern, Antworten geben kann.“ Doch in der aufgeheizten öffentlichen Debatte stößt nicht der Ruf nach friedlichem Zusammenleben und demokratischem Ausgleich auf Zustimmung, sondern die Parolen des rechten Blocks. „Leider gibt es in der jüdischen ­Öffentlichkeit immer noch großes Misstrauen gegenüber einer solchen Partei“, so Galon ernüchtert.

Die ethnokonfessionell motivierten Ausschreitungen von Mai 2021 sind das Ergebnis eines Jahrzehnts rechter Hetze, die durch Netanjahu befördert wurde. Immer intoleranter wurden die Kabinette, die er angesichts schwindender Stimmen für seinen Likud zusammenstellte. Netanjahu goss auch selbst Öl ins Feuer: Als „existenzielle Bedrohung“ beschrieb er in der Vergangenheit israelisch-arabische Politiker, die das Ziel verfolgten, „uns alle auszulöschen“. Und der diesen Sommer nach nur einem Jahr als Ministerpräsident aus dem Amt geschiedene Naftali Bennett verglich noch 2018 palästinensische Terroristen mit Moskitos.

Quelle       :        TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

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Oben     —     Die Auserwählten und die Gejagten

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Von Iranischen Protesten

Erstellt von DL-Redaktion am 24. Oktober 2022

Gott wird zur Privatsache

Aufstand der Amir-Kabir-Universität September 2022 (3).jpg

Ein Debattenbeitrag von Saba Farzan

Die iranische Protestbewegung wird Hand in Hand mit den Exiliranern die Revolution vollbringen. Friedlich auf dem Weg in ein weltliches, freies Land.

Nach sechs Wochen der iranischen Protestbewegung, die sichtbar stärker wird, stellt sich die Frage, was nach der Islamischen Republik kommen könnte. Die Antwort darauf liefert auch Gründe, warum diese nach Freiheit strebende Zivilgesellschaft politisch entschieden unterstützt werden muss. Dieser Text entwirft ein mögliches Szenario innerhalb des Iran am Tag nachdem Ali Chamenei in Handschellen abgeführt wird und sich die Türen des Foltergefängnisses Evin öffnen und sämtliche politische Gefangene entlassen werden.

Auch das Freiluftgefängnis Iran endet dann. In der Politik gibt es einen lustigen Satz: Wenn du nicht mehr weiterweißt, dann gründe einen Arbeitskreis. In einem iranischen Kontext gestaltet sich das umgekehrt: Gerade, weil die Iraner weiterwissen, gründen sie einen Arbeitskreis. Ein Baustein, dem dann ein Referendum zur Staatsform, eine neue demokratische Verfassung und freie Wahlen folgen.

Eine Regierung für den Übergang, deren Legitimation darin gefestigt ist, dass sie sich aus den aufgeklärtesten Köpfen zusammensetzt, die alles riskieren oder jetzt in den Gefängnismauern um ihr Leben kämpfen. Hossein Ronaghi, der als Blogger und Bürgerrechtler unerschrocken über die Freiheit im Iran für das Wall Street Journal geschrieben hat, wird Teil einer Übergangsregierung sein.

Nasrin Sotoudeh, die als mutige Juristin immer wieder Menschenrechtler verteidigt hat, irgendwann selbst zum Ziel des Regimes wurde und die aus dem Gefängnis einen Brief an ihren Sohn schrieb, dass er sich nicht um seine Mutter sorgen muss, sondern vielmehr die Schergen dieser Diktatur bemitleiden sollte. Diese prominenten Stimmen und ihre Empathie zeigen gemeinsam mit der Friedfertigkeit dieser gesamten Bewegung, wie wenig Chaos nach dem Sturz des Regimes zu erwarten ist.

Komplett säkulare Gesellschaft

Zu nennen sind hier auch ganz pragmatische Gründe, die mit dem sozialen Gefüge der iranischen Gesellschaft zu tun haben. In vier Dekaden Diktatur hat der Islamismus keine Freunde gefunden in diesem Land, das durch und durch säkular geworden ist im Widerstand zum Klerikalfaschismus. Der hohe Alphabetisierungs- und der hohe akademische Bildungsgrad der Iraner spielen eine Rolle.

Dieses Streben nach Wissen hat die gegenwärtige Revolution unumgänglich gemacht. Die Iraner greifen nach Selbstbestimmung. Auch weil der Islamismus im Iran niemals ankam und weil die Iraner die Geschichte ihrer eigenen alten Zivilisation gut kennen, gibt es eine unverrückbare iranische nationale Identität, die auch ethnische und religiöse Minderheiten einschließt. Dazu gehört, dass der Iran über eine seit Tausenden von Jahren existierende Landesgrenze verfügt. Wie viele Länder können das von sich sagen?

Um diese Landesgrenzen zu bewahren, um allen ethnischen und religiösen Minderheiten ihre unveräußerlichen Bürgerrechte zu ermöglichen, muss diese Islamische Republik Geschichte werden. Gott wird in einem freien Iran zur Privatsache. Die weiteren friedlichen Befreiungsschläge zielen darauf ab, mit sämtlichen ideologischen Säulen – Antiamerikanismus, Antizionismus, Geschlechter-Apartheid – und einer unterdrückten Ökonomie zu brechen.

Welche Rolle wird nun die iranische Diaspora in dieser Transition spielen? Kaveh Shahrooz, iranisch-kanadischer Rechtsanwalt und Experte für Außenpolitik, macht darauf aufmerksam, wie erfolgreich und demokratisch integriert Exiliraner in ihren jeweiligen Ländern sind. Jetzt kommt ihnen eine besondere Verantwortung in der freien Welt zu, ihren Landsleuten im Iran den Rücken zu stärken und größten politischen Druck auf das Regime zu fordern.

Wichtige Rolle für die Iraner in der Diaspora

Nicht von ungefähr kamen aus zahlreichen europäischen Städten Iraner zu der großen Demonstration am Wochenende in Berlin gereist. Es zeugt aber auch von großer Demut, wenn Shahrooz, Absolvent der juristischen Fakultät von Harvard, sich selbst nur als Tourist im Iran sieht. Die Wahrheit liegt irgendwo im Mittelfeld: Ja, vor allem die Iraner im Land, die diese Hölle durchlebt haben und noch durchleben, werden die Richtung vorgeben, aber Iraner aus der Diaspora werden ihnen beratend zur Seite stehen – gemeinsam im Dienst eines säkularen und freien Iran.

Reza Pahlavi, der Sohn des letzten Schahs, könnte hier eine wichtige Rolle spielen. Die Menschen auf den Straßen des Iran rufen lautstark seit Jahren nach ihm, eben weil sie Zusammenhalt und eine heilende Wirkung wollen. Die Revolutionsgarden werden entwaffnet und eine Art Entnazifizierung durchlaufen müssen – wer könnte das besser als eine Übergangskoalition, die sich auf die undogmatische Entfaltung des Iran konzentriert?

Quelle        :          TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Oben      —   Studenten der Amir Kabir Universität protestieren gegen Hijab und die Islamische Republik

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Wehret den Anfängen

Erstellt von DL-Redaktion am 20. Oktober 2022

Ein neues Zeitalter der Zensur bricht an

Quelle      :        INFOsperber CH.

Helmut Scheben /   Freie Rede ist das Fundament der Res Publica. Doch selbst demokratische Regierungen sind dabei, dieses Prinzip zu entsorgen.

Wer etwas auf Google sucht, schaut meist nur die obersten Treffer an. Niemand kennt die genauen Algorithmen, nach denen Google die Reihenfolge seiner Suchergebnisse priorisiert. In den USA fand der Psychologe Robert Epstein mit seinem Team heraus, dass die Suchmaschine auf diese Weise «die Gedanken und das Verhalten ihrer Nutzer weltweit manipulieren kann.» Indem bestimmte Inhalte in der Pole Position platziert und andere unterdrückt werden, könne zum Beispiel das Wählerverhalten von Milliarden Google-Nutzern beeinflusst werden.

Google oder Twitter sind längst nicht mehr einfach private Unternehmen, die im gesetzlichen Rahmen tun und lassen können, was sie wollen. Vielmehr verfügen diese Konzerne über eine internationale Marktmacht im politisch und demokratisch sensiblen Informationsangebot.

Früher hatten Staat und Kirche das Monopol auf die orthodoxe Meinung

Zensur von geschriebenen Texten gab es, seit die Schrift erfunden wurde. Umberto Ecco hat in seinem historischen Roman «Der Name der Rose» geschildert, wie die katholische Kirche im Spätmittelalter versuchte, Handschriften verschwinden zu lassen, welche die philosophischen Erkenntnisse der vorchristlichen Antike vermittelten.

Die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern war eine Medien-Revolution, welche die Gesellschaft so durchschlagend veränderte wie die heutige Internet-Revolution. Druckerzeugnisse konnten ab etwa 1450 schneller, billiger und in grossen Mengen hergestellt werden, eine Welle der Alphabetisierung setzte ein. Aber Staat und Kirche verloren damit das Monopol auf Verbreitung der orthodoxen Meinung, und die Santa Inquisición, die Behörde zur Unterdrückung der Ketzerei, bekam viel zu tun.

Die Heilige Inquisition unserer Tage

Mit der digitalen Revolution hat sich die freie Produktion von Texten millionenfach gesteigert, und der Zugang zu Informationen ist grenzenlos geworden. Die politische Sprengkraft dieser Entwicklung bewirkte, dass der Backlash nicht auf sich warten liess. Die Heilige Inquisition unserer Tage heisst zum Beispiel Digital Services Act, ein «digitales Grundgesetz», welches die EU soeben einführt. Es soll in Deutschland das seit 2017 geltende «Netzwerkdurchsetzungsgesetz» ablösen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versprach, das neue Gesetz werde unter anderem «die freie Meinungsäusserung gewährleisten».

Wenn das so ist, muss man sich fragen, warum die Kontrolle der Social Media flächendeckend forciert und die Internet-Überwachung mit künstlicher Intelligenz in einem Ausmass perfektioniert wird, welches man noch vor wenigen Jahren für unvorstellbar hielt.

Youtube löscht 40 bis 50 Millionen Einträge pro Jahr

Niemand widersetzt sich der Idee von Zensur, wo sie strafrechtlich begründbar ist. Wir sind aber in eine Situation geraten, wo einzelne Netzwerk-Giganten in Kalifornien in völliger Intransparenz entscheiden, was die Zivilgesellschaft sehen, hören und lesen darf. Grosse Online-Plattformen wie die Google-Tochter Youtube löschen 40 bis 50 Millionen Einträge pro Jahr. Sie haben Zehntausende von Moderatorinnen und Moderatoren für die Zensur ausgebildet. Ziel sei unter anderem die Abwehr von Hassrede und Lüge, so wird argumentiert.

Das Problem bei dieser «algorithmischen Überwachung» lässt sich mit einer einzigen Frage auf den Begriff bringen:

Wer bestimmt, was Wahrheit und Lüge ist, wer legt fest, was Desinformation und was Information ist? 

Was heute falsch ist, kann sich morgen als richtig erweisen. Das sagen nicht nur Historikerinnen und Historiker, das weiss jeder von uns aus eigener Lebenserfahrung.

Vor dem Siegeszug der Social Media hatte die Zensur noch beinah verträgliche, fast könnte man sagen folkloristische Züge. Es gab Bücher, in denen ganze Seiten geschwärzt waren. Diese Art von Zensur war man zwar gewöhnt von Dokumenten, bei Büchern ergibt sich von der rein ästhetischen Wahrnehmung her ein ungewohntes Bild. Dass da ein Buch gedruckt wird, in welchem an schwarzen Balken sichtbar wird, was laut Verfügung der Obrigkeit nicht gelesen werden darf, erinnert ein wenig an die Zeiten von Wilhelm Busch und die Pädagogik des Schulmeisters Lämpel. Oder an den vatikanischen «Index» der sündhaften Bücher, der in meiner Jugendzeit noch galt.

«Ein Prozess völliger Intransparenz»

John Nixon, ein Nahost-Experte der Central Intelligence Agency (CIA), war der erste, der Saddam Hussein nach seiner Gefangennahme im Dezember 2003 ein paar Wochen lang befragte. 2011 schied Nixon aus dem Dienst aus und schickte der CIA das Manuskript für ein Buchprojekt mit dem Titel «Debriefing the President: The Interrogation of Saddam Hussein».

Das Buch erschien 2017 mit zahlreichen schwarzen Abdeckungen. Sechs Jahre lang hatte das Gerangel zwischen dem Autor und seinen ehemaligen Arbeitgebern gedauert, bis endlich klar war, was geschrieben werden durfte und was nicht. Nixon sagte über seine Probleme mit dieser Zensur, es sei ein Prozess von völliger Intransparenz gewesen: «Ich denke, die CIA ist nie auf die Idee gekommen, dass Leute, die einmal dort gearbeitet haben, Bücher schreiben. Es wird immer als eine Art Verrat angesehen.»

Wo das politische Problem liegt, wird klar, wenn man liest, was von Nixons Buch noch zu lesen erlaubt ist. Er hält Saddam Hussein zwar für den Kopf eines brutalen, autoritären Regimes, nimmt bei dem Mann aber auch eine gewisse Glaubwürdigkeit und charismatische Züge wahr. Saddam sei 2003 nicht mehr der mächtige politische Player gewesen, den der Westen kolportierte, sondern habe sich vor allem um die Publikation seiner Romane gesorgt. Saddam bestritt gegenüber Nixon, für den fatalen Giftgaseinsatz in der kurdischen Stadt Halabdscha im März 1988 den Befehl gegeben zu haben.

Nixon demontiert in seinem Buch somit ein klein wenig das Bild vom grossen Teufel, das im Westen vom irakischen Präsidenten gezeichnet wurde und nützlich war, um den Angriffskrieg zu rechtfertigen. Würde man aber bei den US-Behörden anfragen, so bekäme man ohne Zweifel eine völlig andere Begründung für die Zensur, nämlich den Standard-Text, sie sei unvermeidlich, wo die Sicherheit der USA und ihrer Leute gefährdet sei. Dieselbe Begründung, die mit der Zuverlässigkeit eines Telefonbeantworters ertönt, wenn in USA mit geschwärzten Texten der Freedom of Information Act (Öffentlichkeitsgesetz) ausgehebelt wird.

Auch in der Schweiz wird munter geschwärzt

Die Methoden der US-Geheimdienste machen seit langem Schule. Der Schweizer Bundesrat wollte seine Impfstoff-Verträge mit der pharmazeutischen Industrie unter Verschluss halten. Als er sich gezwungen sah, diese öffentlich zu machen, liess er weite Teile schwarz machen. Das hört sich in der kleinen Schweiz an wie eine Geschichte aus Seldwyla, aber kaum jemand findet sie lustig.

Öffentlichkeitsprinzip und Garantie der Meinungsvielfalt werden bei jeder Festrede als politische Goldwährung der westlichen Demokratien gepriesen. Politische Zensur oder Täuschung der Öffentlichkeit? Um Gottes willen! Das gibt es nur in Russland. Oder in China. Oder in anderen autoritären Systemen.

Es sei denn, unsere sogenannte «nationale Sicherheit» wäre in Gefahr. Oder die Interessen mächtiger Konzerne. Oder die Interessen der USA. Dann wird angeführt, die Regierung sei nicht mehr verpflichtet, Auskunft zu geben über ihr Tun. Da kommt es dann vor, dass der Bundesrat knapp zwei Tonnen Dokumente über Atomwaffen-Deals verschwinden lässt, wie bei der Tinner-Affäre. Äusserst praktisch ist immer wieder das rhetorische Juwel, das Handeln der Regierung sei leider «alternativlos».

Das Recht der freien Rede und der Meinungsfreiheit ist eine Errungenschaft, die über Jahrhunderte in leidvollen Erfahrungen erkämpft werden musste. Mächtige Konzerne der Internet-Kommunikation sind dabei, dieses Grundrecht demokratischer Politik zu beseitigen. Die politische Zensur ist zum Normalbetrieb geworden. Mit durchschlagendem Erfolg. Dieser ist abzulesen an der Tatsache, dass die erschreckende neue Normalität von der breiten Öffentlichkeit als «ganz normal» betrachtet wird.

Beispiel Syrienkrieg: Nur die eine Kriegspartei zensuriert

Im Syrien-Krieg versuchten die Kriegsparteien mit zahlreichen News-Plattformen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Die Sicht der Aufständischen, die mit finanzieller und politischer Hilfe des Westens und der Golfemirate die Regierung Assad stürzen wollten, wurde unter anderem verbreitet von einem Medienportal namens Syrian Free Press, das nach bisherigen Erkenntnissen bis heute keiner Zensur unterlag.

Anders die Internetseite Syrianfreepress.Wordpress, welche die Position der syrischen Regierung verbreitete. Wer die Seite öffnet, um ein Video von 2015 anzuschauen, erhält die Auskunft: «This video is no longer available». Tausende Youtube-Clips des genannten Portals wurden gelöscht. Wer bei Google nachforscht, der wird belehrt, welches die Gründe für die Sperrung eines Kontos oder Kanals sein können:

«Die Community-Richtlinien geben vor, welche Inhalte auf YouTube nicht zulässig sind. Zum Beispiel erlauben wir keine Pornografie, Anstiftung zu Gewalt, Belästigung oder Hassrede.»

In dem gelöschten Youtube-Link gab es keine Verstösse gegen diese Richtlinien, sondern politische Argumente zur Beendigung des Krieges in Syrien. Die Entscheidung, die meisten Videos dieser Netzseite zu löschen, war eine politische Zensur. «Hate speech» ist offensichtlich auch ein anderes Wort für «Meinung, die wir nicht ertragen». Und «Falschinformation» ist offensichtlich auch ein anderes Wort für «Meinung, die wir nicht teilen».

Die Vorstellung, dass ein Filz von politischen Machtgruppen und Internet-Konzernen systematisch ausschaltet, was politisch unerwünscht ist, ist ein Albtraum. Und dieser Albtraum ist längst Wirklichkeit geworden. Zu offensichtlich sind beispielsweise die derzeitigen Verflechtungen der mächtigen IT-Unternehmen im Silicon Valley mit der Demokratischen Partei und ihren Seilschaften in der Verwaltung und im Sicherheitsapparat.

Mark Zuckerberg räumte kürzlich ein, das FBI habe bei Facebook diskret interveniert, um zu verhindern, dass bei der Präsidentenwahl 2020 üble Dinge über die Geschäfte der Biden-Familie in der Ukraine, in China und zahlreichen anderen Ländern publik würden. Die FBI-Leute argumentierten – wie kurz darauf auch US-Geheimdienstler – es handle sich nicht um Fakten, sondern um «russische Desinformation». Nachdem Biden die Wahlen gewonnen hatte, stellte sich heraus, dass die Fakten über die Biden-Deals kein russisches Fake, sondern Fakten waren. Die grossen US-Medien von New York Times bis CNN hatten mit dieser Erkenntnis zugewartet bis nach den Wahlen.

Lektion: Mit Warnungen vor feindlichen Angriffen auf die nationale «Cybersicherheit» kann man grosse Medien zum Schweigen bringen. Und eine weitere Lektion: Nichts ist so effizient in der Politik wie diszipliniertes Schweigen im taktisch rechten Moment. Biden hätte möglicherweise die Wahlen verloren.

Whistleblower: Google interveniert mit politischen Zielen

2019 schickte der Software-Ingenieur Zachary Vorhiess, der acht Jahre bei Google gearbeitet hatte, 950 Seiten interner Google-Dokumente an das US-Justizministerium. Vorhiess sagte, die Dokumente würden beweisen, dass Google keine unabhängige, objektive Plattform mehr sei, sondern eine politische Agenda verfolge: Google sei «eine höchst parteiische politische Maschine», welche zum Beispiel seit 2016 beschlossen habe, nicht zuzulassen, dass jemand wie Trump noch einmal an die Macht käme. Der Whistleblower: «Sie versuchen, die Informations-Landschaft so zu beschneiden, dass sie ihre eigene Version von objektiver Wahrheit verbreiten können.»

Verfechter der Meinungsfreiheit wehren sich allzu häufig nicht gegen Zensur von privaten IT-Giganten oder auch von Regierungen, wenn die Zensur ungeliebte oder feindliche Quellen betrifft wie Donald Tump, Baschar al-Assad oder russische und chinesische Staatsmedien. Man findet es plötzlich verständlich, dass man Bürgerinnen und Bürgern nicht zutraut, selber zwischen Propaganda und Tatsachen zu unterscheiden.

Auch als Twitter die Accounts von Trump und einigen seiner Freunde aus dem Verkehr zog und Amazon und Google die konservative Plattform Parler aus ihrem Web-Angebot nahmen, zeigten sich viele auch liberale Kreise äusserst befriedigt. Sie erinnerten an Lemminge, die den Abgrund nicht sehen wollen, auf den sie zulaufen. Denn wenn eine politische Elite es schafft, mit den Internet-Konzernen zu vereinbaren, was wir erfahren und wissen dürfen und was nicht, dann wird aus Demokratie eine Simulation von Demokratie.

Am Ende dieser Entwicklung verwandeln wir uns in eine ideologisch homogene Gesellschaft, grob gesagt: in eine Herde von ferngesteuerten Zombies, die ihre Freiheit und Selbstverantwortung an ein «Wahrheitsministerium» abgegeben haben, wie es George Orwell schildert.

Da nützt es wenig zu argumentieren, anderswo sei alles noch schlimmer, in Russland sässe Nawalny hinter Gittern, wer Putins Krieg kritisiere, werde eingelocht, und in China würden die Uiguren verfolgt. Das trifft sicher zu, nur hilft es uns nicht über die Schizophrenie hinweg, dass unsere westlichen Medien täglich emsig über Zensur in Russland, China oder Iran berichten, aber nichts Besonderes dabei finden, dass im Westen tagtäglich Millionen Interneteinträge gelöscht werden, weil verhindert werden soll, dass unsere eigene Sicht der Weltpolitik in Frage gestellt und diskutiert wird.

Weitere Beispiele

Im August 2019 gab Twitter bekannt, man habe mal eben 200’000 Konten gelöscht, die mit den Demonstrationen in Hongkong zu tun hatten. Als Grund wurde Verdacht auf chinesische Desinformation angegeben. Prominente Beispiele der zensurierten Einträge waren unter anderem Video-Szenen, in denen vermummte gewalttätige Demonstranten erschienen. Nun war aber in TV-Kanälen rund um die Welt damals zu sehen, dass es unter den studentischen Demonstranten in Hongkong nicht nur friedliche, sondern auch gewaltbereite gab. Da fühlte sich Twitter offensichtlich veranlasst zu löschen, was nicht ins holzschnittartige Framing von der chinesischen Diktatur passte.

US-Aussenministerin Hillary Clinton löschte kurzerhand dreissigtausend E-Mails auf dem Server, den sie im Keller ihrer Privatwohnung betrieb. Das US-Justizministerium befand, dies sei rechtens. Regierungsmitglieder dürften selber entscheiden, was in Regierungsdokumenten von öffentlichem Belang sei und was nicht.

Wenn das so ist, könnte auch ein Donald Trump dieses Recht in Anspruch nehmen. Er hatte Unterlagen auf sein Anwesen in Florida mitgenommen. Das FBI liess daraufhin den Wohnsitz des ehemaligen Präsidenten durchsuchen. Als das FBI von einem Richter gezwungen wurde, die Begründung für den Durchsuchungsbeschluss zu veröffentlichen, bekam die Öffentlichkeit 38 Seiten präsentiert, die weitgehend schwarz waren. Das macht den Eindruck: Quod licet Jovi Hillary non licet bovi Donald.

Wir sind die Guten und kennen die Wahrheit

Zensur und Geheimniskrämerei werden mit einer Selbstverständlichkeit und Routine betrieben, die schockieren müsste. Tut es aber nicht. Russische TV-Sender werden von der Europäischen Union und auch vom Schweizer Bundesrat verboten. Twitter und YouTube haben die russischen Staatsmedien gesperrt. Auch chinesische TV-Nachrichten sind über Satellit nicht mehr zu empfangen.

Als Begründung heißt es, dass sie vom Kreml oder von der chinesischen KP abhängig seien und Propaganda verbreiteten.

Der Bevölkerung wird zugetraut, dass sie Lügen und Irreführungen der Werbung für Produkte und Dienstleistungen durchschaut und einordnen kann. Der Bevölkerung wird ebenfalls zugetraut, dass sie bei Volksabstimmungen mit Unwahrheiten und Irreführungen beider Seiten umgehen kann. Doch wenn es um ausländische Fernsehstationen geht, muss man die Menschen vor allfälligen Lügen und Irreführungen angeblich schützen.

Auch in unseren Redaktionsstuben sitzen journalistische Alphatiere, von denen viele Mitglieder transatlantischer Stiftungen und Think Tanks sind (siehe hier und hier) oder an geheimen Regierungsprogrammen beteiligt sind, die «den Einfluss Russlands» bekämpfen. Mit einem Stefan Kornelius in der Süddeutschen und im Zürcher Tagesanzeiger beispielsweise sind Mediensprecher der Nato überflüssig.

Unsere westliche Medienwelt funktioniert nach dem Motto: Wir sind die Guten und kennen die Wahrheit. Alles andere sind Hybridwaffen des Feindes. Diese gilt es zu unterdrücken, zu löschen, auszuschalten.

Unterdessen breitet sich die Zensur-Mentalität aus. In den USA würden gemäss Umfragen vier von fünf Doktoranden konservative Akademiker von Beruf und Campus ausschliessen, wenn sie könnten (NZZ 18. Nov. 2021).

Die Gründerin des Allensbach-Instituts, Elisabeth Noelle-Neumann, zeigte in den siebziger Jahren in ihrem Standardwerk «Die Schweigespirale», wie Menschen aus Angst vor sozialer Isolierung und Konflikten nicht mehr wagen, zu ihrer Meinung zu stehen. Laut einer neuen Umfrage des Instituts hat fast jede zweite Person in Deutschland das Gefühl, ihre politische Meinung nicht mehr frei äussern zu können.

Was wurde im Westen über die «Listen verbotener Wörter», gelacht, die in der untergegangenen DDR für die Staatsmedien galten! Damals konnte sich niemand vorstellen, dass drei Jahrzehnte später ein neues Zeitalter der Zensur anbrechen würde.

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Keine spontane Heilung

Erstellt von DL-Redaktion am 19. Oktober 2022

Möglicher Sturz des Regimes in Iran

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Blick auf Teheran

Ein Schlagloch von Charlotte Wiedemann

Was nach einem Sturz des Regimes in Teheran passieren würde, ist gänzlich unklar. Das Fehlen jeglicher Systemalternative ist beängstigend.

Die meisten Iraner und Iranerinnen kennzeichnet ein ausgeprägtes Nationalbewusstsein; so ist es im Inland wie im Ausland. Das könnte eine gute Voraussetzung sein für eine organisierte politische Opposition, in enger Abstimmung mit der Expertise von Protagonisten im Exil. Die Realität ist indes anders: Weder im Inland noch im Ausland ist eine demokratische Kraft erkennbar, die in Teheran Verantwortung übernehmen könnte, wenn das jetzige System implodiert. Und es scheint in erschreckendem Maße unklar, was überhaupt an dessen Stelle treten soll.

Es ist richtig, für die Proteste Partei zu ergreifen, und der Mut der Kämpfenden schreibt Emanzipationsgeschichte. Und doch wächst Tag für Tag meine Beklemmung und meine Furcht, Iran gehe entweder einer Militärdiktatur oder einem Staatszerfall entgegen.

Wer auf die gegenwärtige Situation analytisch blickt, statt sich allein moralisch zu positionieren, wird leicht der Sympathie für die Islamische Republik verdächtigt. Deshalb sei vorausgeschickt: Die Frauen und Männer in Iran haben jedes Recht der Welt, so zu protestieren, wie sie es für richtig halten. Unübersehbar aber ist zugleich, wie der Mangel an politischer Repräsentanz sie zusätzlich verletzlich macht und dem Sicherheitsapparat ausliefert. In hiesigen Medien aber ist es üblich geworden, an den Zahlen der Getöteten zu messen, wie stark die Bewegung ist, als seien Todeslisten ein Ersatz für Manifeste.

Wie könnte sich ein künftiger Iran, im Einklang mit seiner Kultur, seiner Geschichte und seiner sensiblen geostrategischen Lage in Westasien definieren? Mit welchem Wirtschaftssystem, welcher Außenpolitik? Wie seine Ressourcen und Grenzen schützen? Auf alle diese Fragen gibt es keine Antwort.

Keine Vision, die Vertrauen findet

Stattdessen höre ich: Dies ist ein revolutionärer Moment, es gibt kein Zurück, Staat und Regime müssen stürzen, und zu dessen Beschleunigung soll Deutschland seine Beziehungen zu Iran abbrechen. Müsste es nicht Teil politischer Verantwortung sein, eine Systemalternative zu erörtern, mit aller verfügbaren internationalen Kompetenz, und daran auch den Takt eigener Forderungen auszurichten?

In 43 Jahren Islamischer Republik ist es der großen westlichen Diaspora mit so vielen hervorragenden Individuen in Wissenschaft und Politik nicht gelungen, eine Vision oder ein Übergangsmodell hervorzubringen, das im Land selbst auf Anklang stoßen würde, gar Vertrauen fände. Während in Iran eine hochdiverse Gesellschaft entstanden ist, stechen aufseiten des Exils immer noch (oder wieder) Gestrige hervor: die autoritäre Sekte der Volksmudschaheddin und die Monarchisten. Der gewachsene Einfluss Letzterer zeigt sich an der Popularität eines beschönigenden Blicks auf die Schah-Zeit: als hätte die Masse der Iraner und Iranerinnen damals besser und freier gelebt.

Gesellschaft ohne Schuld?

Die Überzeugung, in jenem Moment, da das herrschende Regime implodiert, werde es eine spontane Selbstheilung der Gesellschaft geben, eine intuitive Befähigung, alles auf gute Weise in die Hand zu nehmen, entspringt gewiss der Liebe zum Land. Andererseits zeigt sich gerade hier die verhängnisvolle Wirkung von Nationalstolz. Die Annahme, die iranische Zivilisation sei besonders hochstehend und in der Islamischen Republik demütige eine exzeptionell miese Herrscherclique ein exzeptionell wertvolles Volk, nährt ein künstliches, rosig homogenisiertes Iran-Bild. Typisch dafür ein Satz der Comedian und Aktivistin Enissa Amani: „Diese Diktatur hat seit vier Jahrzehnten ein ganzes Land mit allen darin lebenden Völkern gekidnappt.“ Eine Gesellschaft ohne Schuld und Mitverantwortung als Geisel einer Clique von Verbrechern?

In Iran habe ich solcher Art Holzschnitt nie angetroffen. Für einen Großteil der westlichen Öffentlichkeit saß hingegen in Teheran immer schon das exzeptionell Böse. Donald Trump rühmte die hochstehende iranische Seele, um sie dann mit seinen Sanktionen zu knechten. Auf progressiver Seite hat die Fixierung auf die Spezifik Irans, auf ein einzigartiges polit-religiöses System, wiederum verhindert, die Erfahrungen mit anderen autokratischen Regimen zu Rate zu ziehen, etwa der revolutionären Bewegungen Ägyptens und jüngst des Sudans.

Iran nur an Iran gemessen

Weil Iran stets nur an Iran gemessen wird, geht nun der Vergleich mit 1979 um – obwohl eigentlich die Unterschiede zu damals überwiegen. Die Gesellschaft hat sich durch Bildung, Verstädterung, moderne Infrastruktur grundlegend gewandelt, und die so entstandene Heterogenität erklärt zum Teil, warum sich keine Systemalternative entwickelt. 1979 galt der Schah ja nicht nur als Diktator, sondern als Marionette des Westens. Sein Sturz wurde durch eine Vision außenpolitischer Unabhängigkeit befeuert, wozu die Hoheit über die eigenen Energie-Ressourcen gehörte.

Quelle           :         TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Der Westen Beschämt

Erstellt von DL-Redaktion am 16. Oktober 2022

Iranerinnen mit Taten statt Worten unterstützen

Quelle      :        INFOsperber CH.

Ein Kommentar Barbara Marti /   

Wenn es um Frauenrechte geht, ist die Haltung westlicher Länder beschämend. Damit muss Schluss sein.

Westliche Regierungen lassen Frauen, die für ihre Rechte ihr Leben riskieren, meist im Stich. Aktuelles Beispiel ist der Iran. Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi kritisierte in der «SonntagsZeitung», dass europäische Länder nur reden, statt zu handeln: «Ich fordere die Regierungen in Europa auf, ihre Botschafter aus Teheran abzuziehen und die diplomatischen Beziehungen auf Konsulatsstatus herabzustufen.» Zudem soll der Iran den europäischen Satelliten Eutel-Sat nicht mehr nutzen dürfen für seine Auslandsender. «Bitte stoppt diese Stimmen der Propaganda.» Schliesslich fordert Ebadi, Besitztümer der Religionsführer im Ausland zu beschlagnahmen: «Warum wird der Besitz von Khamenei und seinen Leuten nicht genauso konfisziert wie der Besitz der russischen Oligarchen? So etwas ist in Bezug auf Iran nie auch nur versucht worden.»

Afghanistan: Gleichberechtigung nur auf dem Papier

Auch die Afghaninnen hat der Westen im Stich gelassen, und zwar nicht erst seit dem überstürzten Truppenabzug letztes Jahr. Nach dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 wurden Frauen- und Menschenrechte zwar in der Verfassung festgeschrieben. Doch die faktische Macht beliessen die westlichen Invasoren bei den früheren Regionalfürsten. Diese durften sogar weiterhin private Armeen halten. Wenn Frauenrechte nicht nur Lippenbekenntnisse gewesen wären, hätte man diese Kriegsherren entwaffnen und die Macht an Versammlungen delegieren müssen, an denen alle Bevölkerungsgruppen teilnehmen können. Doch das ist wesentlich aufwändiger, als die Gleichberechtigung auf dem Papier zu erklären.

Saudi-Arabien: Nur mahnende Worte

Nicht nur in Afghanistan und jetzt im Iran bleiben westliche Regierungen dem Kampf von Frauen für ihre Rechte gegenüber untätig. Zwei Beispiele:

  • In Saudi-Arabien wurde im Spätsommer die Studentin Salma al-Schehab zu 34 Jahren und kurz darauf Nourah bint Saeed al-Qahtani zu 45 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Richter begründeten die Urteile laut der Menschenrechtsorganisation «Democracy for the Arab World Now» (DAWN) damit, dass die Frauen durch Likes und Retweets von Artikeln über Frauen- und Menschenrechte die öffentliche Ordnung gestört und die gesellschaftliche Ordnung «zersetzt» hätten. Es sind die längsten Haftstrafen, die je gegen saudische Bürgerinnen verhängt wurden. Trotzdem reagierte die US-Regierung nur mit mahnenden Worten eines Sprechers.
  • Der Iran und Saudi-Arabien gehören weltweit zu den frauenfeindlichsten Ländern. Das hinderte westliche Länder jedoch nicht daran, die beiden Länder 2021 und 2017 in die Uno-Frauenrechtskommission «für Gleichstellung der Geschlechter und für die Förderung von Frauenrechten der Vereinten Nationen» zu wählen. Das ist das höchste Uno-Gremium zur Gleichstellung der Geschlechter. Die Wahl ist jeweils geheim. 2017 bestätigte Schwedens Regierung indirekt, dass sie Saudi-Arabien gewählt habe.

Beschämend

Dass westliche Länder Autokraten, die Frauen wie Unmündige behandeln, in die Uno-Frauenrechtskommission wählen, ist unerträglich. Frauenrechte sind Menschenrechte und dürfen für westliche Länder im Geschacher um Kommissionssitze nicht zweitrangig sein.

Es ist viel zu wenig, Frauen, die für ihre Rechte wie jetzt im Iran ihr Leben riskieren, bloss mit Worten zu unterstützen. Diese passive Haltung ist geradezu beschämend, wenn man an die rund 25 mutigen Afghaninnen denkt, die Ende September in Kabul an einer Solidaritätskundgebung für die Iranerinnen teilnahmen.

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KOLUMNE * Red Flag

Erstellt von DL-Redaktion am 9. Oktober 2022

Abschieben und Tee trinken: Deutsche Stille zum Iran

Rote Flagge II.svg

Kolumne von Fatma Aydemir

Regimekritiker-innen werden im Iran gefoltert und getötet. Die Bundesregierung bleibt dazu erschreckend still – und schiebt Menschen dorthin ab.

Seit drei Wochen sterben Menschen auf den Straßen Irans, weil sie sich gegen das diktatorische Regime auflehnen und es zu Fall bringen wollen. In der Stadt Zahedan spricht man bereits von „massakerartigen Übergriffen“. Manche verschwinden spurlos, wie etwa in Teheran die 16-jährige Nika Shakarami.

Ihre Leiche wurde erst Tage später ihrer Familie überreicht und anschließend von den Behörden erneut gekidnappt, damit ihre Beerdigung die Proteste nicht weiter anheizt. Die Angst der Behörden war berechtigt. Das gewaltsame Vorgehen der Regimetruppen scheint die Wut der Bevölkerung nur noch mehr zu befeuern.

Was gerade im Iran passiert, ist unübersichtlich, so wie jeder Systemsturz unübersichtlich ist. Unabhängige Presse vor Ort ist kaum möglich. Der massiv von der Islamischen Republik eingeschränkte Internetzugang führt zu verzögertem Nachrichtenfluss. Doch das alles sollte uns nicht dazu verleiten, die Proteste kleinzureden. Denn trotz allem erreichen uns die Zeugenberichte, Bilder und Videos, die grausame Angriffe gegen und Erschießungen von Demonstrierenden zeigen.

Aber eben auch mutige Frauen, die sich bewaffneten Truppen in den Weg stellen, Schüler_innen, die ihre regimetreuen Lehrer_innen aus den Schulen mobben. Wer unter diesen Bedingungen immer noch protestiert, dem ist es todernst. Und dazu zählen inzwischen auch Kinder.

Nur Lippenbekenntnisse

Erschreckend still ist es dabei um die Haltung der Bundesregierung. Der iranische Botschafter wird einbestellt, Außenministerin Baerbock bewundert den „unglaublichen Mut“ der Protestbewegung. Doch Bewunderung kostet nichts. Mehr als Lippenbekenntnisse hat die Bundesregierung bislang nicht auf den Weg gebracht. Schärfere EU-Sanktionen, die nicht wie bislang vor allem das iranische Volk, sondern die Machtelite des Landes treffen würden, könnten in der kommenden Woche zwar beschlossen werden. Doch es gibt auch innenpolitische Maßnahmen, die getroffen werden müssen. Ein Abschiebestopp zum Beispiel.

Im Moment werden abgelehnte Asybewerber_innen immer noch in den Iran abgeschoben. Mehr noch: Sie werden mit den perfidesten Methoden auf deutsche Ämter gelockt, um in Gewahrsam genommen und abgeschoben zu werden. So geschah es in der vergangenen Woche im bayrischen Passau.

Der 41-jährige Iraner Reza R. erhielt ein Schreiben vom dortigen Ausländeramt, in dem vorgegeben wurde, seine Pläne, eine Ausbildung als Pflegekraft zu absolvieren, würden unterstützt, er solle zeitnah erscheinen, um die Formalien zu klären. Als R. vor Ort eintraf, warteten bereits zwei Polizisten, die ihn in Abschiebegewahrsam nahmen. Am Mittwoch sollte er nach Teheran ausgeflogen werden. Obwohl er als Christ im islamisch regierten Iran verfolgt wird. Zudem nahm R. in der Vergangenheit an regimekritischen Protesten teil. Was mit Oppositionellen im Iran derzeit geschieht, sehen wir.

Verdienst der Zivilgesellschaft

Quelle         :         TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

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Wahrheit aus meiner Sicht

Erstellt von DL-Redaktion am 29. September 2022

Die Wahrheit aus meiner Sicht

Platons Allegorie der Höhle.jpg

Von:  Jimmy Bulanik

Dies literarische Werk von dem Autor ist gänzlich geprägt durch persönliche Erfahrungen eines heranwachsenden Menschen aus der Mittelklasse der syrischen Gesellschaft, welcher bedingt durch die Geschwindigkeiten, der Radikalität des Kapitalismus, Imperialismus als auch der Globalisierung viel erlebte. Ob in Syrien, während des mobilen Strebens am Leben und gesundheitlich unversehrt zu bleiben, über Drittländer wie der Republik Türkei, die Hellenische Republik, Republik Nordmazedonien, Republik Serbien, Ungarn, Republik Österreich bis zum Alltag in der Bundesrepublik Deutschland. Hier in Zentraleuropa setzt der Autor seine Entwicklungen fort, welche ihm in Syrien entrissen worden sind.

Den persönlich bekannten und zu früh verstorbenen Menschen Wissam, Nour, Aghyad widmet der junge Autor, Moutasam Alyounes, Stellen in seinem Buch. Wir alle haben die Wirkungsmacht inne, dass die Getöteten nicht sinnlos gestorben sind. Dank wird adressiert an Andrea aus Essen – Werden für die Zeit des Befähigens zur Nutzung der deutschen Sprache, sowie Beryl für die persönlichen Ratschläge oder Hilfe bei der Suche nach einer Wohnung.

Es ist zu konstatieren, wie aktuell die Hintergründe des Phänomens der internationalen Geopolitik sind, bleiben und wen sie wann wo in welcher Form ohne eigenes Verursachen ungefragt betreffen. Deshalb ist das Werk geeignet, das empathische Miteinander, ob in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Westdeutschland, auf dem europäischen, amerikanischen, asiatischen oder afrikanischen Kontinent, durch die Anerkennung des Menschen, die Wertschätzung der Leistungen und Errungenschaften der Menschen untereinander zu fördern.

Reflechieren wir unsere Kaufentscheidungen im alltäglichen Leben. Es gibt Produktionsgüter mit Siegel wie einem internationalen, staatlichen EU Bio, private und strengere als die EU ökologische Verbandssiegel wie www.bioland.de , www.naturland.de , www.fairtrade-deutschland.de und vegetarische als auch vegane Mittel zum Leben zu egalitären Preisen in Supermärkten, Discounter, Drogerien.

Das Geld kann bei einem inländischen Ökostromanbieter, welcher mit eigenen Anlagen regenerative Energien gewinnt, wie der demokratischen Genossenschaft aus dem schönen Hamburg, green-planet-energy.de in Form von Anteilen der Genossenschaft nachhaltig, sowie sinnstiftend investiert werden. Organisieren wir eigenständig Veranstaltungen, indem wir Begegnungen, Freundschaft und die von allen Menschen ersehnte Liebe feiern und ebensolche pflegen.

Es obliegt uns, glaubhaft zu definieren und im Alltag zu Leben, wer wir sind und wodurch wir uns an Eigenschaften auszeichnen. Primär für unsere Lebensqualität als eine aktive und humane in Demokratie und Freiheit wirkende Zivilgesellschaft. Sicher ist, das der Bumerang, welchen wir werfen, zu uns zurück fliegen werden wird. Einen guten Anfang hat die Zivilgesellschaft bereits unter Beweis gestellt. Weitere progressive Entwicklungen werden folgen. Denn die Zeit ist niemals statisch und auf unsere Jugend auf dem Globus, wie fridaysforfuture.de oder www.blacklivesmatterberlin.de/main-ger ist verlass.

Jimmy Bulanik

Moutasam Alyounes, Die Wahrheit aus meiner Sicht, Eigenverlag, 107 Seiten, zu beziehen über das VielRespektZentrum, Preis: 0 Cent, ggf. eine freiwillige Spende nach eigenem Ermessen.

Nützliche Links im Internet:

Mobilitea (Foto #14):

mobilitea.de/das-team

VielRespektZentrum

www.vielrespektzentrum.de

Cynthia Nickschas and Friends: Alles gleich Mensch

www.youtube.com/watch?v=u-VtUbOd2q8

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Oben     — Silhouette einer Frau in einer Höhle, die ihren eigenen Schatten betrachtet. Das Bild kann sowohl in der Philosophie (zum Beispiel in der Allegorie der Höhle) als auch zur Darstellung psychologischer Prinzipien (z.B. Borderline-Persönlichkeitsstörung) verwendet werden.

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KOLUMNE * Red Flag

Erstellt von DL-Redaktion am 29. September 2022

Proteste für Frauenrechte im Iran

Rote Flagge II.svg

Von Fatma Aydemir

Wer hat Angst vor dem freien Kopf? Im Iran protestieren Frauen gegen die Zwangsverschleierung als Unterdrückungswerkzeug. Die Linke sollte nicht zögern, ihr Anliegen zu unterstützen.

Was Frau auf dem Kopf trägt oder nicht trägt, sagt wenig darüber aus, was in ihrem Kopf vor sich geht. Es gibt Frauen, die verhüllen sich aus religiösen Gründen, und es gibt Frauen, die es aus sozialem Druck und Konventionen tun. Manche Frauen sehen in ihrem Kopftuch ein Zeichen der Selbstbestimmung, manche tragen es, um sich zu schützen. Ich kenne Frauen in Deutschland, die Jobs verloren, weil sie sich für das Kopftuch entschieden haben. Es gibt Frauen in der Türkei, die geächtet werden, wenn sie ihr Kopftuch abnehmen.

All diese Bedeutungen und Positionen zum Kopftuch existieren, es gibt noch unzählige mehr. Und wir können diese Vielfalt von Bedeutungen anerkennen und trotzdem feststellen: Die gesetzliche Zwangsverschleierung im Iran ist ein totalitäres Werkzeug der Unterdrückung. Und zwar nur eines von vielen. Seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Zhina Amini vergangene Woche brennen Kopftücher auf den Straßen in Iran. Und dieser Anblick sollte unabhängig von den vielen anderen Bedeutungen dieses Stoffes als das wahrgenommen werden, was es in diesem Kontext ist: ein Akt des feministischen Widerstandes. Amini wurde von der sogenannten Religionspolizei festgenommen und gefoltert, weil sie ihr Kopftuch nicht „ordnungsgemäß“ trug. Möglicherweise waren einige Haarsträhnen zu sehen. Nach drei Tagen im Koma starb die junge Frau, höchstwahrscheinlich an den Folgen ihrer Misshandlung.

Täglich protestieren seitdem Frauen und Männer im Iran gegen das Mullah-Regime, wohl wissend dass sie dafür verhaftet und im schlimmsten Fall mit dem Leben bezahlen werden. Neben dem großen Aufstand in der Hauptstadt Teheran, kommt es vor allem in den kurdischen Städten im Westen seit gut einer Woche zu unzähligen Protesten, die von der Polizei brutal niedergeschlagen und auch -geschossen werden. Laut der Menschenrechtsorganisation Hengaw sind allein in Kurdistan bis Donnerstag mindestens acht Protestierende von iranischen Sicherheitskräften getötet worden, darunter zwei Teenager im Alter von 15 und 16 Jahren. Die Regierung legte gleichzeitig das Internet lahm und sperrte das letzte in Iran frei zugängliche soziale Netzwerk Instagram, um die Bevölkerung von der Außenwelt sowie untereinander zu isolieren. Die Menschen gehen dennoch weiter auf die Straße.

Linke müssen dem Aufstand beistehen

Die 22-jährige Amini selbst, die am 13. September in Teheran festgenommen wurde, war gerade zu Besuch bei Verwandten. Eigentlich stammte sie aus der kurdischen Stadt Saqqez und trug den kurdischen Namen Zhina. Auf dem Papier hieß sie Mahsa, da iranische Behörden kurdische Namen nicht anerkennen. Auch das ist ein Werkzeug der staatlichen Unterdrückung, bekannt auch aus der Türkei.

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Kein Weg vorbei

Erstellt von DL-Redaktion am 5. September 2022

Ein kompletter Boykott der Taliban würde den Frauen schaden.

 

Von   :       Jasamin Ulfat

Wer den Afghaninnen helfen will, muss pragmatisch vorgehen. Replik auf Edit Schlaffer. Man muss im Westen lernen, dass es den Frauen nur besser gehen kann, wenn es auch dem Land besser geht.

Joe Bidens Rede zum Afghanistanabzug klang nüchtern. Am 31. August 2021 erklärte der US-amerikanische Präsident, dass der Einsatz eigentlich immer al-Qaida, nicht aber den Taliban gegolten habe. Al-Qaida hätte man besiegt, es wäre also Zeit, aus Afghanistan abzuziehen. Zwar hatte Biden kein „Mission Accomplished“-Banner hinter sich hängen, wie damals George W. Bush bei seiner Irakrede, die Andeutung stand dennoch im Raum.

Anders als behauptet, ging es beim Afghanistaneinsatz nie wirklich um die Befreiung der Frau. In ihrem Text „Frauen statt Taliban“ stellt die Soziologin Edit Schlaffer fest, dass Afghaninnen seit Jahrzehnten missbraucht werden, um Herrschaftsansprüche im Land zu legitimieren. Tatsächlich zierten Bilder leidender Afghaninnen, umrahmt von tiefblauen Burkas, seit dem 11. September 2001 immer wieder Magazincover, um zu zeigen: Der Westen muss diese Frauen befreien.

Mit dem Narrativ der Frauenbefreiung wurden auch Kriegsverbrechen gerechtfertigt. Drohnenangriffe auf Hochzeitsgesellschaften, das Erschießen unbewaffneter Zivilisten durch Spezialeinheiten und Foltergefängnisse gehören zum Erbe des „Kriegs gegen den Terror“. Bereits 2001 warnte die amerikanisch-afghanische Frauenrechtlerin Rina Amiri davor, Terrorbekämpfung mit dem Kampf für Frauenrechte zu vermischen. Man würde Frauen vor Ort einen Bärendienst erweisen. Amiri sollte recht behalten. Heute assoziieren viele Afghanen das Wort Frauenrechte mit Krieg und Gewalt. Dabei würden mehr Frauenrechte die afghanische Gesellschaft nicht zerstören, sondern voranbringen.

So paradox es klingt, ist diese einfache Wahrheit offenbar nicht nur vielen Taliban neu. Auch im Westen kann man diesbezüglich noch einiges dazulernen. Während die Taliban verstehen müssen, dass es dem Land nur besser gehen kann, wenn es auch den Frauen besser geht, muss man im Westen lernen, dass es den Frauen nur besser gehen kann, wenn es auch dem Land besser geht. Man darf die Frauen nicht gegen den Rest der afghanischen Gesellschaft ausspielen. Das aber geschah in den letzten zwanzig Jahren zu häufig.

Obwohl Edit Schlaffer in ihrem Text gegen die Instrumentalisierung von Frauen argumentiert, fordert sie am Ende doch Ähnliches: „Frauen statt Taliban“. Schlaffer erklärt, dass afghanische Frauen vom Westen ignoriert würden. Man müsse ihre „geheimen Kanäle“ für den „Widerstand“ nutzen – wie das passieren soll, schreibt sie nicht.

Extremisten dürfen durch Verhandlungen nicht gestärkt werden. Im Fall von Afghanistan ist es jedoch zu spät, denn die Taliban muss man nicht an den Tisch holen: sie kontrollieren ihn bereits. Auch stimmt nicht, dass die internationale Gemeinschaft Exilafghaninnen ignoriert. Tatsächlich haben einige von ihnen gute Verbindungen zu westlichen Institutionen.

So berichtete jüngst der Guardian, wie sechs einflussreiche afghanische Frauen, darunter die Politikerin Fausia Kufi, weiterhin die Geschicke das Landes lenken. Dabei ist Kufi umstritten. Ihr werden seit Jahren Korruption und Verbindungen zu mafiösen Drogenhändlerringen vorgeworfen, auch von RAWA, der ältesten afghanischen Frauenorganisation. Solche Verbindungen zwischen Politik und organisiertem Verbrechen waren der Hauptgrund für den Zerfall der Republik. Auf Frauen wie Kufi zu setzen bedeutet, die alten Fehler zu wiederholen.

Es ist nicht gelungen, einen funktionierenden afghanischen Staat zu schaffen. 43 Prozent des Bruttoinlandsprodukts stammten aus Entwicklungshilfegeldern. Als im August 2021 alle Zahlungen sofort stoppten, drehte man nicht nur den Taliban, sondern der afghanischen Bevölkerung das Geld ab. Das IRC (International Rescue Committee) warnt, dass eine Hungerkatastrophe mehr Menschenleben als die letzten zwanzig Jahre Krieg kosten könnte. Derzeit sorgt das Internationale Rote Kreuz dafür, dass das Gesundheitssystem nicht komplett zusammenbricht. Einfluss im Land hat die Organisation nur, weil sie sich den Taliban gegenüber neutral verhält.

Quelle      :           TAZ-online          >>>>>           weiterlesen

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Oben      —   Ein Mitglied der Taliban-Religionspolizei schlägt in Kabul eine Frau (26. August 2001). Die Aufnahmen wurden von der RAWA (Revolutionäre Vereinigung der Frauen Afghanistans) gefilmt.

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DER ROTE FADEN

Erstellt von DL-Redaktion am 24. August 2022

Scholz, Abbas und die SPD: Unglaublich nah am Bullyradar

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Durch die Woche mit Ariane Lemme

Man muss den Mund aufmachen, damit Bullys nicht die Macht übernehmen. Das gilt für Olaf Scholz, für die Autorin und ihre Tochter.

Es ist ja immer peinlich, wenn das eigene Leben nur auf Kalenderspruchniveau dahindümpelt. Aber tja, nun. Die quälendsten Erinnerungen habe ich halt tatsächlich nicht an Dinge, die ich gesagt, sondern an Momente, in denen ich geschwiegen habe. Und weil ich ein konfliktscheuer Mensch bin, sind das viele. Was ich damit sagen will: Olaf (ich finde, in dieser Kolumne bleiben wir beim Du mit dem Bundeskanzler, das ist demokratisch, und Siezen doch ganz allgemein ziemlich antiquiert), Olaf also, ich versteh dich. Ein bisschen wenigstens versteh ich dich.

Andererseits bist du eben Chef von Schland und ich nicht. Mein alter Freund M. zitiert in solchen Fällen gern das Peter-Prinzip, nach dem jeder Beschäftigte bis zur Stufe seiner persönlichen Unfähigkeit aufsteigt. Die sollte man kennen. Wenn ich auch sonst wenig erreicht hab im Leben – ich kenne meine. Deshalb würde ich nie, wirklich nie, nicht mal im nächsten Leben Politikerin werden.

Denn da brauchts Leute, die im richtigen Moment den Mund aufmachen. Manchmal ist der nur Sekunden kurz. Etwa, wenn ein Möchtegern-Präsident – wer sich nicht mehr demokratisch legitimieren lässt, gilt mir nur noch als Wannabe (looking at you, Wladi) – Holocaustvergleiche zieht. Dabei ist egal, wo der Möchtegern das tut, weil den Holocaust vergleichen immer und überall falsch ist.

Also, Olaf, klar, es ist immer unangenehm, wenn der Gast sich danebenbenimmt. Man mag nicht unhöflich sein, nicht kleinherzig rüberkommen. Aber die Bullys enablen, ihnen also ermöglichen, Bullys zu sein, ist auch keine Lösung. Deshalb hier ein Rat von meinem Therapeuten, gratis für Dich: „Trauen Sie sich!“ (sorry, aber mein Therapeut siezt eben noch). Apropos Bully, es gab ja in meinem Leben schon einmal einen SPD-Kanzler. Meistens kann ich das ganz gut verdrängen, so wie man manche Bekanntschaften verdrängt, bei denen man anfangs dachte: Wow, das ist aber mal eine verwandte Seele, hier rennt der Schmäh, alles geschmeidig.

Wie immer auch der Würfel fällt – die SPD wird immer ein Glücksspiel bleiben..

Altlasten der Fehleinschätzung

Bis man sich nach einigen Wochen fragt, warum man sich nach jedem Treffen so leer und erschöpft fühlt. Und warum man sich schon lange nicht mehr bei seinen echten Freunden gemeldet hat. Dann checkt man: Die Euphorie über die neue Bekanntschaft war nur da, weils vorher noch ätzender war (looking at you, Helmut). Und noch mal ein paar Wochen später ist es einem peinlich, dass man wieder ei­ne-n Nar­ziss­t-in nicht erkannt hat.

Manchmal bleiben sogar unschöne Altlasten der eigenen Fehleinschätzung. Der Hartz-Bericht etwa, der das Elendspaket erst möglich machte, ist diese Woche 20 Jahre alt geworden, herzlichen Glückwunsch! Glücklicherweise wird der Bullyradar feiner, wenn man Eltern wird. Vielleicht als Ausgleich zum Restverstand, der in einem Säurebad aus Schlafmangel und Glückshormonen korrodiert. Während meine Tochter noch freundlich winkend „Hallo“ ruft, sehe ich inzwischen schon, dass der angehimmelte Knirps ihr gleich ihr eigenes Spielzeug über den Schädel ziehen wird. Ich hoffe, diese neue Begabung überträgt sich auch in mein Wahlverhalten – politisch wie privat.

Quelle       :          TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Oben        —     Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

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Westliche Besserwisserei

Erstellt von DL-Redaktion am 23. August 2022

Wie konnte der Westen nur so unsolidarisch werden?

Von Monireh Kazemi und Ulrike Becker

Feministische Kulturrelativistinnen kritisieren den Kampf der Iranerinnen gegen den Hidschab-Zwang. Den Kritikerinnen fällt nicht auf, dass sie als weiße Frauen Iranerinnen Feminismus erklären wollen.

Der Kampf iranischer Frauen gegen den Schleierzwang ist so alt wie die Islamische Republik selbst. Im März 1979 ordnete Revolutionsführer Ruhollah Chomeini per Dekret den Schleierzwang in der Öffentlichkeit an. Unmittelbar darauf gingen iranische Frauen zu Hunderttausenden in allen großen Städten Irans auf die Straße. „Wir wollen keinen Schleierzwang“, riefen sie, und: „Freiheit ist weder westlich noch östlich, sondern universell“.

Damit markierten die für ihre Rechte kämpfenden iranischen Frauen den Schleierzwang als Angriff auf die Errungenschaften der Emanzipation, die sie als universell begriffen und selbstverständlich für sich in Anspruch nahmen. Westliche Feministinnen wie Kate Millet aus den USA reisten in den Iran und zeigten ihre Solidarität. Etwas Ähnliches wäre heute kaum noch vorstellbar. Denn hierzulande dominieren zunehmend Kulturrelativistinnen, die sich als feministisch begreifen, die Debatten. Beispielhaft für diesen Ansatz steht die Kritik an dem Dokumentarfilm „Mit wehenden Haaren gegen die Mullahs“. Regisseurin Nahid Persson wird vorgehalten, sie reproduziere gefährliche westliche Ideologien. Persson kommt selbst aus dem Iran, ihr Bruder wurde hingerichtet.

Ihr aktueller Film porträtiert die Aktivistin Masih Alinejad, die den Kampf iranischer Frauen gegen den Schleierzwang weltweit bekannt macht, aber auch Proteste gegen Willkürherrschaft, Korruption und Gewalt. Perssons Film zeigt, wie iranische Frauen Kraft daraus schöpfen, dass ihre Proteste wahrgenommen werden. „Ich schreie, weil ich weiß, dass du uns überall Gehör verschaffst“, erklärt Shahnaz Akmali, deren Sohn bei einer Kundgebung erschossen wurde. Alinejad erhält täglich unzählige Anrufe und Videos aus dem Iran. Die kulturrelativistischen Kritikerinnen gehen auf all die Nöte der Frauen, die der Film zeigt, nicht ein. Frauen bräuchten keine Stimme, die für sie spricht. Damit verhöhnen sie diejenigen, die sich an Alinejad wenden, weil es im Land kaum möglich ist, feministische Kämpfe bekannt zu machen.

Laut Reporter ohne Grenzen ist der Iran ein totalitäres Regime, eines der repressivsten Länder der Welt, auf Platz 178 von 180 Staaten bei der Meinungsfreiheit. Einige der im Film gezeigten Frauen haben für ihren Kampf gegen den Schleierzwang jahrzehntelange Haftstrafen erhalten, sie wurden geschlagen und gefoltert. Die Ärztin Zahra Bani Yaghoub starb in ihrer Zelle, nachdem sie festgenommen worden war, weil sie unverheiratet neben einem Mann auf einer Parkbank saß.

Kulturrelativistinnen halten dagegen etwas anderes für gefährlich. Alinejad reproduziere eine Idee aus der Kolonialzeit, nämlich dass weiße Männer Frauen of Color vor Männern of Color schützen müssen. Es ist empörend, wenn der Kampf iranischer Frauen so zu einer Sache weißer Männer umgedeutet wird. Das funktioniert nur unter Ausblendung der Geschichte der iranischen Frauenbewegung wie auch der Tatsache, dass fast alle Protagonistinnen des Films Frauen aus dem Iran sind. Weiße Männer kommen gar nicht vor.

Der Aktivistin wird zudem vorgeworfen, mit ihrer Arbeit Vorstellungen westlicher Überlegenheit zu reproduzieren. Es wird argumentiert, Alinejad bediene die Erzählung, dass Frauen vom Kopftuch und damit vom Islam befreit werden müssten – und die USA als Land der Demokratie und Freiheit sie retten könne. Den Kampf gegen die totalitäre Gewaltherrschaft als islamfeindlich zu framen ist eine Argumentationsstrategie des islamistischen Regimes, um Kritik zu delegitimieren. Alinejad kritisiert nicht den Hidschab an sich, sondern den Hidschab-Zwang. Und sie versteht sich als Sprachrohr der Frauen im Iran, denen unter Androhung von Gewalt das Sprechen verboten wird, nicht als ihre Anführerin aus dem Westen.

Masih Alinejad

Alinejad wurde 2009 ins Exil gezwungen, ist jedoch weiter Ziel iranischer Geheimdienste. Das FBI vereitelte einen Versuch, die prominente Aktivistin aus ihrem Haus in Brooklyn zu kidnappen und in den Iran zu entführen. Welches Schicksal sie dort erwartet hätte, zeigt der Fall des Journalisten Jamshid Sharmahd, der 2020 in den Iran entführt wurde und dem jetzt die Todesstrafe droht.

Woher kommen diese Entsolidarisierung, die Empathielosigkeit und die Anklagen gegen eine Frau, die ihr Leben dem Kampf der iranischen Frauen für Selbstbestimmung widmet und dafür mit Mord und Folter bedroht wird? Die Dominanz postkolonialer Theorien hat dazu geführt, dass westliche Linke auf politische Bewegungen im Globalen Süden, die sich an universellen Menschenrechten orientieren, zunehmend mit dem Vorwurf einer „mentalen Kolonisierung“ reagieren. Diese feindselige Haltung gegenüber feministischen Kämpfen im Iran hat vor allem mit der Tatsache zu tun, dass sich Teile progressiver Kreise seit Jahrzehnten weigern, emanzipatorische Kritik an den Zuständen im Iran zu formulieren.

Quelle        :          TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Oben     —     Dekorierter Blick auf Teheran

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Das Rushdie-Attentat

Erstellt von DL-Redaktion am 18. August 2022

Der deutsche Umgang mit Islamismus ist erbärmlich

Datei:Sir Ahmed Salman Rushdie.jpg

Auch die eigenen Religionen waren immer Auslöser der meisten Kriege in dieser Welt !

Eine Kolumne von Sascha Lobo

Salman Rushdie wurde Opfer eines Islamisten, weil Irans Führung einen weltweiten Mordaufruf aussprach, noch bevor der Täter geboren wurde. In Deutschland aber verharmlosen Konservative wie Linke den Terrorstaat.

Wie kann es sein, dass die Gefahr des Islamismus noch immer von so vielen Menschen unterschätzt wird? Wird sie doch gar nicht, entgegnen irgendwelche Leute, die sicherlich bei jedem islamistischen Terroranschlag in den letzten zehn Jahren eine Kerze angezündet haben, zumindest in Gedanken. Faktisch aber ist der deutsche Umgang mit Islamismus nichts weniger als erbärmlich, wie man zum Beispiel am islamistischen Terrorstaat Iran zu erkennen vermag.

Salman Rushdie wurde Opfer eines Islamisten, weil die iranische Führung einen weltweiten Mordaufruf aussprach , bevor der Täter überhaupt geboren wurde. Der iranische Staat, der Frauen unterdrückt, Minderheiten verfolgt, Homosexuelle und Oppositionelle ermordet. Der iranische Staat, der Israel zum Erzfeind erklärt und die Auslöschung des Staates gefordert hat. Der offenbar nach der Atombombe strebt, Terror strategisch unterstützt und finanziert, zum Beispiel die palästinensische Terrororganisation Hamas.

Und trotzdem ist Deutschland nach wie vor mit viel Enthusiasmus wichtigster Handelspartner Irans in der EU. Man möchte gut miteinander zurechtkommen. Das mit der möglichen Atombombe nimmt man offenbar weniger ernst, was soll schon passieren, die Menschenrechtsverletzungen, na ja, tun andere auch. Tara Sternenrot , deutsch-iranische Aktivistin mit einem scharfen Blick für rechtsextreme wie islamistische Verwerfungen der Gegenwart, sagt im Gespräch auf die Frage nach den Gründen: »Im Hinblick darauf, dass Iran der Staat mit der zweitgrößten Erdgasreserve der Welt ist, schielt Deutschland sicherlich auch auf weitere Energiereserven. In Iran ist seit 34 Jahren offiziell Frieden – eine beachtliche, scheinbare Stabilität in dieser Region, was für künftige wirtschaftliche Zusammenarbeit spricht. Der Frieden ist Fassade, der islamistische Terror reicht bis in die USA.«

Die offensichtliche Akzeptanz des Islamismus ist breit gefächert. Aber meine These wäre, dass die beiden großen politischen Richtungen in Deutschland, der Konservatismus und die Linke, jeweils eigene, spezifische Verharmlosungs- und Veregalungsstrategien entwickelt haben. Die schlichte, konservative Variante der Islamismus-Akzeptanz besteht meiner Vermutung nach aus einer Mischung aus Egoismus und Rassismus. Das heißt nicht, dass sämtliche Konservative so sind – nur diejenigen, die beim Islamismus so bereitwillig wegsehen.

Der Egoismus flüstert ihnen ein: Hauptsache es herrscht Stabilität, dann sind Investitionen und Handelspartnerschaften sicher und wir können allerbeste Geschäfte machen, irgendwie muss der Titel »Exportweltmeister« ja zurück in deutsche Hände gelangen. Und ihr Rassismus bewirkt, dass sie sich nicht wirklich für »diese Leute« interessieren. Irgendjemand wird unterdrückt, verfolgt, ermordet? Ach, bei »denen« ist das doch an der Tagesordnung, kein Grund, gleich Konsequenzen zu ziehen, die ersten und häufigsten Opfer von Islamismus sind ja meistens Muslime. Und eigentlich geht es uns nichts an, jedenfalls solange »die« nicht vor Europas Tür stehen. Totalitäre Regime haben diesbezüglich ja den Vorteil, dass sie ihre Leute kontrollieren. So lässt sich aus konservativer Sicht prima mit irgendwelchen islamistischen Staaten kooperieren.

Deutsche Linke dagegen haben ihre eigenen Rituale und Realitätsverbiegungen entwickelt, um Islamismus weniger schlimm finden zu können. Islamismus ähnelt dem Faschismus, er basiert auf Menschenfeindlichkeit gegen Frauen, gegen sexuelle und geschlechtliche Minderheiten, gegen Nichtgläubige und Juden, gegen beinahe alle, deren Kampf für Menschenrechte in den letzten 150 Jahren als »links« betrachtet worden ist.

Die linke Solidarität schließt auch die Mörder von der Hamas ein

Da sollte man meinen, dass die Nähe zur Linken nicht besonders tragfähig ist. Leider ist das Gegenteil der Fall. Das kann man besonders gut im Konflikt zwischen Israel und der islamistischen Terrororganisation Hamas erkennen, wo linke Solidarität mühelos auch die islamistischen faschistoiden Mörder eben dieser Hamas mit einschließt. Von Links wird manchmal sogar der Kampf gegen Islamismus in den jeweiligen Ländern diskreditiert.

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Kürzlich ist in der »taz« das Meinungsstück einer Frau erschienen , die einen knalldeutschen Namen trägt. Sie verspottet die mutigen Frauen in Iran, die öffentlich ihre Zwangskopftücher ablegen und Gefängnis, Schläge und Schlimmeres riskieren. Sie spielt die dortige Unterdrückung der Frauen herunter, vergleicht den islamistischen Zwang zur Verhüllung – etwas antilinkeres kann man sich kaum vorstellen – mit dem Kopftuch katholischer Nonnen. Dann erklärt sie noch, dass in Iran ja auch Männer gewissen Kleidungszwängen unterliegen würden, und man ist dann einfach nicht mehr überrascht, dass sie selbst an Saddam Hussein noch etwas Positives findet, der habe im Irak schließlich einen, wie sie selbst in Anführungszeichen schreibt, »Staatsfeminismus« praktiziert.

Liberale muslimische, jesidische und wahrscheinlich die meisten migrantischen Aktivist*innen fühlen sich regelmäßig in ihrem Kampf gegen islamistischen Faschismus von der weißdeutschen Mehrheitsgesellschaft und eben besonders von der weißdeutschen Linken alleingelassen. Ganz zu schweigen von Juden und Jüdinnen, deren Verzweiflung mit der deutschen Islamismus- und Antisemitismus-Bräsigkeit sich dem Siedepunkt nähern dürfte. Weil islamistischer Antisemitismus, insbesondere israelbezogener Antisemitismus, in Deutschland oft achselzuckend hingenommen oder gar, zur »Israelkritik« umgedeutet, unterstützt wird.

Quelle        :         Spiegel-online      >>>>>        weiterlesen

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Englisch: {
Datum 12. Februar 2008 (ursprüngliches Upload-Datum)
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Verfasser Der ursprüngliche Uploader war Nrbelex in der englischen Wikipedia.
Diese Datei ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic Lizenz.
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Unten      —       Sascha Lobo; 10 Jahre Wikipedia; Party am 15.01.2011 in Berlin.

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Mehr als wehende Haare

Erstellt von DL-Redaktion am 16. August 2022

Frauenrechte im Nahen Osten

Von Gilda Sahebi

Frauen im Iran kämpfen um ihre Freiheit. Das ist nicht „westlich“, sondern mutig – und ein universelles Bedürfnis. Eine Antwort auf Julia Neumann.

Es ist schwer, diesen Text zu lesen. Besonders, wenn man sie kennt, wenn man ihre Geschichten gehört und gelesen hat, ihre von Schlägen und Folter zerstörten Gesichter und Körper gesehen hat. Wenn man den Kampf iranischer Frauen für ihre Rechte, für ihre Freiheit und ihr Leben kennt und weiß, dass sie auch dafür kämpfen, gehört zu werden.

Bei diesem Text, der schwer auszuhalten ist, handelt es sich um einen Kommentar der taz-Korrespondentin in Beirut Julia Neumann über Frauenrechte im Nahen Osten. Anlass ist eine ARD-Doku über Masih Alinejad, eine Aktivistin, die im Iran Journalistin war, fliehen musste, und sich seit Jahren dafür einsetzt, dass das Leid, aber auch die Stärke iranischer Frauen weltweit sichtbar werden. Sie startete Hashtags wie #MyStealthyFreedom: Frauen posten darunter Videos, in denen sie öffentlich ihr Kopftuch ablegen, als Zeichen gegen die systematische Unterdrückung durch die iranische Regierung.

Das öffentliche Ablegen des Hijab ist im Iran verboten. Frauen werden dafür verfolgt, gefoltert und getötet. Es ist aber oft der einzige Weg, Widerstand zu leisten. Diesen Frauen gibt Masih Alinejad eine Stimme. Die iranischen Machthaber sind sich der Kraft dieses Widerstands bewusst und haben wiederholt versucht, Alinejad aus den USA verschleppen zu lassen. Sie entkam knapp.

Über Masih Alinejad schreibt Julia Neumann nun: „Als ob Frauen noch eine Stimme bräuchten, die statt ihnen für sie spricht.“ Und: „Als ob das Abnehmen eines Kleidungsstückes aus Protest den Weg zur Gleichberechtigung und dem Schutz von Frauen ebnen könnte.“

Gar keine Gleichberechtigung im Iran

Masih Alinejad, schreibt sie, bediene die „Erzählung, dass Frauen vom Kopftuch und damit vom Islam befreit werden müssten“. Die Autorin bringt Beispiele aus der Kolonialgeschichte, wie den Algerienkrieg, in dem die Kolonialmächte Women of Color mit Zwang entschleiert hätten. Sie schreibt: „Die Vorstellung des Kopftuchs als Gradmesser von Freiheit wurde vom Westen erst populär gemacht. Und sie ist verdammt gefährlich.“

Wenn etwas verdammt gefährlich ist, dann ist es die Argumentation, dass Frauen im Globalen Süden Instrumente des Westens seien, wenn sie für ihre Freiheit kämpfen. Das Fundament zu diesem Narrativ bildet die Annahme, dass Women of Color, in diesem Fall iranische Frauen, eine andere Vorstellung von Emanzipation und Gleichberechtigung hätten als europäisch sozialisierte. Wer mal im Iran war oder sich die Mühe gemacht hat, mit einer Iranerin zu sprechen, weiß, dass Frauen dort dasselbe Bedürfnis nach Freiheit haben wie Frauen im Globalen Norden. Angesichts der Tatsache, dass so viele Frauen im Iran ihr Leben für diese Freiheit riskieren, wissen sie deren Wert vielleicht sogar mehr zu schätzen.

Frauen im Iran besitzen weder de facto noch de jure irgendeine Art der Gleichberechtigung. Vor dem Gesetz sind sie nur die Hälfte eines Mannes wert, ob vor Gericht, beim Erbrecht oder im Alltag. Die Pflicht zum Hijab ist ein zentrales Symbol dieser Unterdrückung – legt eine Frau das Kopftuch in der Öffentlichkeit ab, wehrt sie sich nicht gegen das Tuch per se, sondern gegen die systematische Unterdrückung.

Den Hijab abzulegen, ist oft der einzige Weg, Widerstand zu leisten gegen die systematische Unterdrückung

Bei ihrer Argumentation benutzt die Autorin also (gutgemeinte?) postkoloniale Thesen, und tut dann aber selbst das, was sie „dem Westen“ vorwirft: Sie spricht Women of Color die Fähigkeit zur Selbstbestimmung ab. Ihr Befreiungskampf sei ein Produkt „weißen“ Denkens. Eine solche Sichtweise ist im Westen leider weit verbreitet: Dass Frauen in Ländern wie Iran nicht die gleichen Freiheiten verlangten wie Frauen in westlichen Staaten.

So steht im besagten Kommentar: „Frauen im Iran können nicht genießen, wie ihnen der Wind durch die Haare weht! Frauen im Iran dürfen nicht tanzen! Klar, dass auch konservative, rechte Medien auf den Diskurs aufspringen. Schaut, wie die Mullahs ihre Frauen unterdrücken!“ Man kann das so schreiben. Oder man kann verstehen, was es heißt, wenn der Wind nie durch die Haare weht: Die Körper iranischer Frauen gehören den Fundamentalisten.

Quelle         :         TAZ -online          >>>>>          weiterlesen

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Oben     —       جشن با موزیک .. تهران.

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Das bisschen Wind im Haar

Erstellt von DL-Redaktion am 11. August 2022

Kopftuch weg und dann wird alles gut?

Es ist schon Erstaunlich welche Probleme wichtig sind. Seder entscheidet für sich selbst.

Von Julia Neumann

Die Protestaktionen der iranisch­stämmigen US-Aktivistin Masih Alinejad stehen für westliche Ideologien. Die Vorstellung des Kopftuchsals Gradmesser von Freiheit ist verdammt gefährlich.

Mit wehenden Haaren gegen die Mullahs“ heißt die ARD-Dokumentation über die iranisch-amerikanische Aktivistin Masih Alinejad, die am heutigen Mittwoch erscheint. Alinejad unterstützt aus dem Exil Proteste, bei denen Frauen im Iran das Kopftuch ablegen. Als ob das Abnehmen eines Kleidungsstückes aus Protest den Weg zur Gleichberechtigung und dem Schutz von Frauen ebnen könnte.

Alinejad ermutigt Frauen im Iran, den Hidschab abzulegen und davon ein Video zu drehen. Die Videos stellt sie auf ihre Kanäle in den sozialen Medien, in denen ihr über sieben Millionen Menschen folgen. Ende Juli stand dann ein Auftragsmörder vor ihrem Haus in New York – mit einer geladenen AK-47 im Auto. Das FBI verhaftete ihn und fand heraus: Er war für den iranischen Geheimdienst unterwegs. Danach sagte Alinejad dem Fernsehsender CNN: „Ich dachte mir: Okay, ich bin sicher, endlich kann ich meine Freiheit in Amerika genießen, um den stimmlosen Menschen im Iran eine Stimme zu geben.“ Als ob Frauen noch eine Stimme bräuchten, die statt ihnen für sie spricht.

Alinejad bedient in ihren Äußerungen die Erzählung, dass Frauen vom Kopftuch und damit vom Islam befreit werden müssten – und die USA als Land der Demokratie und Freiheit sie retten könne. Die Vorstellung des Kopftuchs als Gradmesser von Freiheit wurde vom Westen erst populär gemacht. Und sie ist verdammt gefährlich.

Die Idee, dass weiße Männer Frauen of Color vor Männern of Color schützen können, stammt aus der Kolonialzeit: Mitten im algerischen Unabhängigkeitskrieg, im Mai 1958, startete das französische Militär eine Kampagne zur „Befreiung“ der algerischen muslimischen Frauen. Auf öffentlichen Plätzen in Algier wurden Frauen zusammengetrommelt, die medienwirksam ihr weißes Kopftuch, das Haik abnahmen und es verbrannten. Das Ganze wurde als spontaner Befreiungsakt inszeniert – tatsächlich aber waren die Frauen nicht freiwillig da, viele von ihnen wurden mit Armeelastwagen aus den Dörfern in die Stadt transportiert. Die „Emanzipationskampagne“ war der letzte klägliche Versuch der Kolonialmacht, zu zeigen, Frankreich könne das „rückständige“ Algerien „modernisieren“.

In Wirklichkeit hatte das französische Militär Frauen während des Algerienkriegs eingesperrt, missbraucht und gefoltert. Einige Frauen gehörten der Befreiungsfront FLN an, versteckten Nachrichten oder Waffen unter ihren Gewändern. Deshalb versuchte die Kolonialmacht, sie zu „enthüllen“.

Die Verbindung zwischen Terrorismus und Verhüllung fand ihren Höhepunkt in den USA mit den Anschlägen vom 11. September 2001. Muslimische Frauen aus den Händen von Terroristen zu befreien, diente der Bush-Administration als Legitimation für die Invasion in Afghanistan. Und weil Lügen um Massenvernichtungswaffen nicht reichten, um einen Angriff auf den Irak zu starten, wollte man Frauen aus den barbarischen Händen von Saddam Hussein befreien und für sie Schulen bauen – dabei waren die Frauen dort durch vorherigen „Staatsfeminismus“ besser gebildet als ihre Nachbarinnen.

Frauen im Iran können nicht genießen, wie ihnen der Wind durch die Haare weht! Frauen im Iran dürfen nicht tanzen! Klar, dass auch konservative, rechte Medien auf den Diskurs aufspringen. Schaut, wie die Mullahs ihre Frauen unterdrücken! Dabei lassen sie gerne unerwähnt, dass auch Männer einem Kleidungszwang im Iran unterlegen sind: Auch sie sollen ihre Knie und Schultern verdecken.

In den USA tanzt Alinejad mit offenen Haaren zur Musik einer Jazzband auf der Straße – fruchtbarer Boden für ihre Narrative. Statt komplexe Themen zu Hause anzugehen, fokussierten sich amerikanische Fe­mi­nis­t*in­nen in den 1990ern auf plakative Anliegen in entfernten Regionen: Kopftuchzwang, Genitalverstümmelung, Femizide. Damit erhielten sie Mitsprache in größeren politischen Diskussionen über die Rolle der USA als Verfechterin der Humanität.

Quelle         :         TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Oben     —   Junge Mädchen im Wadi El-Marzunad bei Ash Shafadirah, Jemen

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Unten     —     Afghan Midwives Association veranstaltet den sechsten jährlichen Hebammenkongress in Kabul, Afghanistan.

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Kolumne-Fernsicht-Israel

Erstellt von DL-Redaktion am 6. August 2022

Deutschland kapituliert vor Israels rechtem Narrativ

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Von Hagai Dagan

Abraham Burg, ehemals Chef der ­Jewish Agency und Parlamentspräsident, veröffentlichte jüngst in der Tageszeitung Haaretz einen Text, worin er die Position des Zentralrats der Juden in Deutschland scharf angreift.

Es geht um Themen wie das Verhältnis zum Staat Israel, Antisemitismus oder den Umgang mit dem Holocaust. Burg greift in seinem Essay die hiesige Debatte über jüdische Identität auf, die der Autor Maxim Biller mit einer Feststellung über Max Czollek auslöste, von dem er behauptete, kein Jude im Sinne der Halacha zu sein. „Ein jüdischer Autor, der nicht im konservativen Chor singt, ist mundtot gemacht worden, weil seine Mutter keine Jüdin ist“, schreibt Burg und bringt als weiteres Beispiel den Skandal um Peter Schäfer: „Der Direktor des Jüdischen Museums wurde wegen eines Twitter-Eintrags über freie Meinungsäußerung zur Kündigung gezwungen.“

Burg greift die Haltung Deutschlands auf offizieller Ebene zu diesen Themen an und behauptet, dass Deutschland vor dem Narrativ der israelischen Rechten kapitulierte.

Recht hat er. Die kollektive Psychologie der israelischen Rechten ist nichts anderes als komplette Paranoia: Jede Kritik am israelischen Staat wird umgehend als Antisemitismus ausgelegt, und jedes gewaltsame Vorgehen Israels ist legitim, weil es als Ausdruck des Rechts der Juden auf ihr Land und Verwirklichung des Ausrufs „Nie wieder Auschwitz“ interpretiert wird. Auf diese Art wird die israelische Gewalt durch ein verzerrtes Holocaustverständnis legitimiert. Die einzige Lektion, die die Rechte aus dem Holocaust mitnimmt, ist Stärke und Nationalismus (nicht etwa Nächstenliebe oder etwas in der Art). Die verborgene Lehre ist das Narrativ des Opfers: Wir sind das ewige Opfer, und Opfer darf man nicht kritisieren.

Berliner und Israel-Mauern

Nur selten sind die Politiker klüger, als die, von welchen sie gewählt werden!

Wenn Deutschland mit dieser Haltung kooperiert, kommt das im Grunde einer Verleugnung des humanistischen und liberalen Erbes gleich, mit anderen Worten: Deutschland nimmt Abstand zu den eigenen Lehren, die es aus dem Holocaust ziehen müsste.

Gleichzeitig wird ignoriert, dass es in Israel auch andere Stimmen gibt: Stimmen der liberalen und humanistischen Linken. Andererseits schrumpft diese Linke und verschwindet zunehmend von der Bildfläche. Insofern ergibt die deutsche Position einen gewissen Sinn. Übrigens ist inzwischen ein Teil dieser Linken nach Berlin übersiedelt. Israels Linke wandert nach Deutschland aus, weil sie es als eine Bastion des Humanismus, der Toleranz und Offenheit betrachtet. Und was erwartet sie dort? Sie findet sich wieder in einem paranoiden, verängstigten und gewaltsamen Diskurs, der Assoziationen an die Rhetorik eines Likud-Parteitags weckt.

Es scheint, als seien die Deutschen hier in eine Falle geraten, um nicht zu sagen in eine Art Benommenheit. Ihr Reflex, sobald das Thema Holocaust aufkommt, der Wunsch zur Wiedergutmachung, die Empfindlichkeit und Vorsicht sind zum Instrument in den Händen sowohl zynischer Israelis geworden, die ein sehr begrenztes und dummes Geschichtsverständnis haben, als auch einer Bande von Hof Juden. Engstirnige jüdische Macher, die im Zentralrat der Juden Deutschlands sitzen.

Faschismus ist Faschismus, auch wenn es um jüdischen Faschismus geht

Aus dem Hebräischen von Susanne Knaul

Quelle :         TAZ-online           >>>>>          weiterlesen

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Oben     —     Vogelbeobachtung in Panama

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Die Mauer durch Israel

Erstellt von DL-Redaktion am 4. August 2022

Über 700 km lang und 3x so hoch wie die Berliner Mauer

Quelle      :        INFOsperber CH.

Urs P. Gasche /   

Israel hat den Bau vor zwanzig Jahren nach Attentaten begonnen. Die Mauer ist noch nicht fertig.

Red. Der Autor Johannes Zang ist Journalist und Reiseleiter. Nach fast zehn Jahren in Israel und Palästina lebt er jetzt wieder bei Aschaffenburg. Er ist Autor von vier Büchern zum Heiligen Land. Mehrmals im Jahr begleitet er Pilgergruppen durch Israel-Palästina-Jordanien-Sinai. Zudem betreibt er den Nahostpodcast Jeru-Salam.

Seit Sommer 2002 bauen israelische Regierungen eine Barriere – oft mithilfe palästinensischer Arbeiter, wie der Film The Last Supper belegt. Die Sperranlage ist grösstenteils ein elektrisch gesicherter Zaun, um Städte wie Jerusalem oder Bethlehem jedoch eine bis zu neun Meter hohe Mauer. Samt Patrouillenstrasse fürs Militär, Gräben und Sandwegen zum Erkennen von Fussabdrücken ist der Streifen stellenweise bis zu 100 Meter breit.

Israelische Stellen sprechen von Anti-Terror- oder Sicherheitszaun. Für den Publizisten Doron Schneider hatte Israel angesichts «dieser hässlichen Terrorwelle keine andere Wahl als eine Absperrung (…) aufzustellen, das diejenigen aufhalten soll, die unterwegs sind, um sich mitten unter uns in die Luft zu sprengen.»

Bereits 1995 schlug Ministerpräsident Rabin von der Arbeitspartei Avoda vor, mittels eines Sicherheitszaunes Selbstmordanschläge zu verhindern. Als in der Zweiten Intifada ab Herbst 2000 immer mehr Israelis durch Terroranschläge getötet wurden, holte man diese Idee aus der Schublade. Im April 2002 beschloss das israelische Kabinett den Bau. Zuvor hatte ein Brigadegeneral Militärverordnungen zwecks Landbeschlagnahme erlassen.

Bis 2010 waren 60 Prozent der Barriere fertiggestellt, seitdem sind lediglich fünf Prozent dazugekommen, wohl aus Budgetgründen: Immerhin zwei Millionen US-Dollar kostet jeder Kilometer, bei Fertigstellung dürften es zwischen zwei und drei Milliarden Dollar sein.

Die Mauer soll wenig Attentate verhindert haben

Die Selbstmordattentate der Nuller Jahre, die Hunderte Todesopfer forderten, sind seither deutlich zurückgegangen. Dass es an der Barriere liegt, bezweifelt der israelisch-jüdische Journalist Danny Rubinstein. Auch wenn 99 Prozent seiner Landsleute den Rückgang der Mauer zuschrieben, meint er: «Es hat überhaupt nichts mit der Mauer zu tun. Warum? Am frühen Morgen schalte ich das Radio ein und höre, dass die israelische Grenzpolizei 300 oder 500 palästinensische Arbeiter ohne Passierschein in Tel Aviv festgenommen hat. Wenn es also 500 schaffen, warum nicht auch ein Selbstmordattentäter?»

Recht bekommt er von der UNO. Deren Agentur OCHA in Ost-Jerusalem veröffentlichte folgende Zahl: «Trotz der Barriere schmuggelten sich von Januar bis März 2013 Tag für Tag mindestens 14’000 Palästinenser ohne die erforderlichen Passierscheine nach Israel – auf der Suche nach Arbeit.» Daran dürfte sich wenig geändert haben, wie Filme und Fotos im Internet beweisen: Palästinenser gelangen durch Abwasserkanäle unter der Mauer unkontrolliert auf die andere Seite oder stellen Leitern an und seilen sich ab.

Nach internationalem Recht gesetzwidrig

Seit Baubeginn beschäftigt der Gader HaHafrada (hebräisch für Trennzaun) Gerichte, national wie international. 2003 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Resolution ES-10/14 und forderte ein Gutachten vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Im Juni 2004 kam dieses zum Schluss, der Bau der Sperrananlage sei nach internationalem Recht gesetzeswidrig. Gebaut wurde weiter, zwar da und dort mit Änderungen, da der Oberste Gerichtshof Israels das Verhältnis zum militärischen Nutzen in manchen Abschnitten als unverhältnismässig erachtete.

Trotz solcher Änderungen «beeinträchtigt die Barriere nach wie vor das Leben von Zehntausenden Palästinensern aufs Heftigste», mahnte die israelische Menschenrechtsorganisation BTtselem vor Jahren. Nur drei Beispiele: 11’000 Palästinenser sind in der so genannten Saumzone westlich der Barriere zwischen dieser und Israel buchstäblich gefangen und benötigen eine Sondergenehmigung, um in ihren Häusern bleiben zu dürfen. 2’700 Häuser und andere bauliche Strukturen sind infolge des Barrierebaus isoliert und 5’300 weitere beschädigt worden.

Berliner und Israel-Mauern

Da der Verlauf der Sperranlage grösstenteils nicht der international anerkannten Grenze, der so genannten Grüne Linie folgt, sondern im Zick-Zack tief ins West-Jordanland eindringt, verliert dieses Gebiet von der Grösse Unterfrankens 9,4 Prozent seiner ohnehin kleinen Fläche: Äcker, Haine und Plantagen, Brunnen und Quellen sowie Naherholungsgebiete. Beim so genannten Ariel-Finger dringt die Barriere sogar 22 Kilometer tief ins West-Jordanland und umschliesst die gleichnamige Siedlung.

Nicht nur an dieser Stelle scheint das Ziel offensichtlich, israelische Siedlungen, die nach Genfer Konvention völkerrechtswidrig sind, dem Staat Israel einzuverleiben. Nach Angaben von B´Tselem zerschneidet der Bau der Sperranlage palästinensisches Leben und «gestaltet willkürlich Landschaft und Raum um und folgt dabei Siedlungsgrenzen und Wünschen der israelischen Sicherheitskräfte».

«Alle Lebensbereiche wurden betroffen. Kontrollpunkt und Mauer hindern meine gesamte Kundschaft aus Jerusalem, zu mir zu kommen, mein Umsatz ist um 99 Prozent zurückgegangen.» So klagte Herr Marwan aus Bethlehem vom Gartenbaubetrieb Greenland bald nach Baubeginn. Das pulsierende Viertel um das Rachelsgrab wirkt heute ausgestorben, die meisten Geschäfte haben geschlossen oder sind umgezogen, Greenland auch.

Amnesty Internationals 280-Seiten Report Israel´s Apartheid against the Palestinians richtet folgende Empfehlung an die israelische Regierung:

«Beendet den Bau des Zauns/der Mauer im West-Jordanland einschliesslich Ost-Jerusalems, die widerrechtlich das Recht auf Bewegungsfreiheit von Palästinensern einschränken. Hört mit der willkürlichen Zerstörung oder Beschlagnahmung von Häusern und Eigentum auf. All das unterhöhlt andere Rechte wie das auf angemessenen Wohnraum und Lebensstandard, auf Arbeit und Achtung des Familienlebens.»

Die Abschnitte der Sperranlage, die «diese Rechte verletzen, sollten entfernt werden».

Bericht aus der palästinischen Stadt Deir al-Ghusun

Iris hat 2016 für das Begleitprogramm EAPPI des Weltkirchenrates einen dreimonatigen Beobachtungsdienst am landwirtschaftlichen Tor der palästinensischen Stadt Deir al-Ghusun geleistet. Dieses öffneten die zuständigen Soldaten oft spät oder schlossen früher als angekündigt. Bauern benötigen ein Dokument für Traktor und Esel, Bauteile und Werkzeuge, Pflanzensetzlinge oder Dünger. Einmal erlebte Iris, dass Tausend Chili-Pflanzen nicht passieren durften, da keine Genehmigung vorlag. Von diesem Tor können Bauern und Landarbeiter die Umrisse von Netanya am Mittelmeer sehen. Doch Iris weiss: «Seit dem Bau der Trennbarriere ist die Küste mit ihren herrlichen Stränden für die meisten der Arbeiter unerreichbar, obwohl diese nur 14 Kilometer entfernt ist.»

Bei der palästinensischen Stadt Jenin im besetzten palästinensischen West-Jordanland würde Hiam Ghanemah gerne wie einst ihr Grossvater Weizen, Gerste und die Hülsenfrucht Alfalfa anbauen. «Aber wir bauen kein Gemüse mehr an – wegen der Barriere und all den Vorschriften des (israelischen) Militärs», erklärt die junge Palästinenserin. Denn das geerbte Stück Land von 25 Dunam (ca. 2,5 Hektar) liegt westlich der Barriere, die für Palästinenser und viele im israelischen Friedenslager ein Landraub- oder Apartheidwall ist. John Dugard, UN-Sonderbeauftragter für Menschenrechte, nennt es die «Annektierungsmauer».

2016 besass Ghanemah eine Zweijahres-Genehmigung («Permit»), die es ihr erlaubte, ihr Land durch eines der 84 landwirtschaftlichen Tore zu erreichen. Plötzlich erhielt sie das Permit nur noch zur Olivenernte. Dank juristischen Beistands der israelischen Menschenrechtsorganisation HaMoked erstritt sie dann ein Dreijahres-Permit mit «40 Zugängen pro Jahr». Nachzulesen ist das im 50-Seiten-Bericht Creeping Dispossession (Schleichende Enteignung) derselben Organisation vom Oktober 2021 über die wachsende Beschränkung palästinensischer Landwirtschaft jenseits der Barriere.

Dass Ghanemah an lediglich 40 von 365 Tagen ihr Land bearbeiten darf, hält sie für «unzureichend und unannehmbar». Nun muss sie «genau rechnen», haushalten und Buch führen. Leider kann der Ehemann ihr nicht zur Hand gehen, denn «er bekommt kein Permit für mein Grundstück. Wir sind eine Familie, aber für die Armee sind wir es nicht. Das ist ein harsches, brutales Urteil».

Immerhin hat die Frau ein landwirtschaftliches Permit, denn laut HaMoked wurden 2020 genau 73 Prozent solcher Anträge abgelehnt.

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Dieser Beitrag wurde am 25. Juli 2022 von der Presseagentur Pressenza verbreitet.

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Oben      —   Die Sperranlage als Mauer bei Jerusalem (2016)

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Juden zählen nicht

Erstellt von DL-Redaktion am 31. Juli 2022

Antisemitismus und Rassismus

PikiWiki Israel 29710 Itzkowitz Synagoge in Bnei Brak.JPG

Das ist auch die Schuld einer Regierung welchen nicht zwischen Religionen und Staaten unterscheiden will, um eigene Interessen zu kaschieren!

Von    :     Ibrahim Quraishi

In Ländern des Globalen Südens bedient Antisemitismus oft ein postkoloniales Narrativ. Doch auch in Deutschland werden Juden weiter ausgegrenzt.

Wer aus einer muslimischen Familie stammt, hat viel über das Verhältnis von Muslimen zu Juden zu erzählen – und umgekehrt. Als ich an einer Kunstinstitution in Amsterdam lehrte, fragte mich eines Tages eine jüdische Kollegin, was ich eigentlich gegen sie hätte? Ich nehme an, ich war nicht nett zu ihr. War das Antisemitismus? Wohl kaum.

Als ich in Tunesien die erste Klasse einer internationalen Schule besuchte, wies die Direktorin, eine Ägypterin, meinen Vater auf den „ungesunden“ Umstand hin, dass ich mit französischen und jüdischen Kindern spiele – statt mit arabischen. War das Antisemitismus? Ja, natürlich.

Einige Jahre später in Moskau, meine Eltern waren als Diplomaten dorthin entsandt worden, stammten alle meine Schulfreunde aus jüdischen Familien. Eines unserer Lieblingsspiele hieß Sechs-Tage-Krieg. Sie wollten immer die Araber sein, ich der Israeli. War das jüdischer Selbsthass auf ihrer Seite, Philosemitismus auf meiner? Ich denke nicht.

Keine Judenwitze in der Familie

Einen tiefen Eindruck hinterließ eine Szene, die sich während einer Geburtstagsfeier meines Vaters abspielte, als eine Tante anfing, einen Judenwitz zu erzählen. Mein Vater wurde blass und bat die Tante sehr beherrscht – wenn Vater sich so benahm, wusste ich, wie zornig er war –, das Haus zu verlassen.

Das Sujet der Beziehung zwischen Juden und Muslimen und mit ihm verbunden das Phänomen der Judenfeindschaft, war immer und ist noch heute für Juden und Muslime präsent. Umso sprachloser bin ich angesichts des Skandals bei der documenta fifteen. Wir haben es hier mit einer besonders naiven Form des Wokeseins zu tun.

Ein Charakteristikum dieses Phänomens ist, dass jede und jeder sensibel gegenüber jeglicher Form der Diskriminierung sein möchte, aber viele nicht zu wissen scheinen, wie das konkret auszusehen hat. Ein anderer Aspekt dieser Naivität scheint mir aber gewollt zu sein: Antisemitismus für weniger problematisch als Rassismus zu erachten.

Es lohnt sich, noch einmal einen Blick auf das Banner der indonesischen Künstlergruppe Tarang Padi zu werfen: Die dort gezeigten antisemitischen Motive sollen als Antwort auf das Regime des Diktators Suharto gelesen werden? Im Ernst? Abgesehen davon, dass die Abbildung eines orthodoxen jüdischen Manns, der einen Hut mit SS-Rune trägt, keine Kritik an irgendeinem Regime sein kann, ist die vom Kollektiv abgegebene Erklärung des Bedauerns unehrlich.

Ideologisches Schema

Denn was dieses Banner unter anderem transportiert, folgt einem ideologischen Schema, das die Suharto-Diktatur selbst lange propagiert hat. Ein Schema, das ein bestimmtes koloniales und postkoloniales Narrativ im muslimisch geprägten Süden bedient.

Unter Suhartos Regime wurde der Antisemitismus zu einem Vehikel des Machterhalts. Suharto agitierte gegen „yahudi yang tidak bisa dipercaya“, die „Juden, denen man nicht trauen kann“ – und damit gegen die chinesische Minderheit: In den Jahren vor seinem Sturz verbreitete Suharto die Legende, „die Chinesen“ und der „internationale Zionismus“ hätten sich gemeinsam gegen das Land verschworen.

Nach indonesischem Recht wird das Judentum nicht als Religion akzeptiert, es leben kaum Juden im Land. Wie in Indonesien grassiert in vielen Ländern des Globalen Südens ein Antisemitismus, der ohne Juden auskommt, weil diese vor Diskriminierung und Repression geflohen sind. Nebenbei bemerkt besteht ein Teil der deutschen Verantwortung, die in der Debatte um die documenta konsequent ignoriert wird, darin, dass der moderne Antisemitismus auch von den Nazis mittels eigener Radioprogramme auf Türkisch, Farsi und Arabisch verbreitet wurde.

Es handelt sich dabei um den Konsum von Mythen, von imaginierten und wahnhaften Erzählungen, in denen von Juden die Rede ist, die schon den Propheten Mohammed betrogen hätten. Auch die Gründung Israels erscheint in diesem Narrativ als ein Projekt der betrügerischen Juden: Es war immer der Jude. Irgendwer muss für das Übel in der Welt verantwortlich sein.

Tarang Padi stellten in ihren Bildern also nur etwas dar, von dem sie annehmen konnten, dass es sich dabei um eine kulturelle, soziale und kulturelle Norm handelt – nicht nur in ihrem eigenen Kontext, sondern auch in Europa.

Nahostkonflikt und Antisemitismus

„Aber der Nahostkonflikt!“, wendet an dieser Stelle sicher jemand ein. Der Nahostkonflikt sei der Grund für Antisemitismus in der muslimischen Welt, so lautet die gängige These. Das Gegenteil ist richtig: Der Konflikt dient in diesem Teil der Welt als Rechtfertigung für Judenfeindschaft. Wir sollten ehrlich sein und dieser Legende laut widersprechen.

Datei:In einer Moschee in Biberach.jpg

Kehren wir zurück nach Deutschland, immerhin ist es die documenta, die dieses Problem einmal mehr aufgezeigt hat: Wie steht es hier mit den Juden, werden sie als Diskriminierte wahrgenommen, zählt man sie zu den People of Color? Ich bin als ein Exemplar dieser Gruppe von Menschen jedes Mal aufs Neue erschüttert, wenn ich Zeuge davon werde, dass die Vorstellungskraft der POC-Gemeinde nicht ausreicht, sich Juden als Teil der eigenen, bunten Familie zu denken.

Die Frage, wer zum endlos durch die Geschichte wandernden Zug all jener gehört, die erniedrigt und beleidigt werden, wird durch Ansprüche von verschiedenen Seiten ständig verunklart. Wer darf aus einer Perspektive der Identität sprechen, wer wird zu den potenziellen Opfern von Ausschlussmechanismen und Gewalt gezählt? Wer entscheidet darüber, wer dazu gehört – und wer nicht?

„Jews don’t count“ – „Juden zählen nicht“ lautet der Titel eines Buchs, das mir vor Kurzem ein Freund ausgeliehen hat. David Baddiel, der Autor, ist ein britischer jüdischer Comedian. Er versteht diesen Titel als nüchterne Beschreibung der Realität in der englischsprachigen Welt: Juden werden nicht zu den Opfern von Diskriminierung gezählt, weil sie angeblich „weiß“ und mächtig seien.

Toxisches Gemisch aus zwei Kulturen

Als ich Baddiels Buch zu lesen begann, hatte ich das Gefühl, das erste Mal meine Gedanken und Gefühle schwarz auf weiß gedruckt zu sehen. Baddiel zeigt, dass eine Kultur des Cancelns und eine Kultur des Opfers zusammen ein toxisches Gemisch ergeben. Der „Wert“, die Legitimität einer Diskriminierungserfahrung sollte niemals von der Identität einer Person oder der Wahrnehmung dieser Identität durch andere bestimmt werden. Denn das widerspricht nicht nur jeder Logik, sondern einer grundlegenden Vorstellung von menschlicher Würde.

Ein schockierendes Beispiel für die Auswirkungen der Hierarchisierung von Opfererzählungen habe ich an meinem eigenen Küchentisch erlebt. Eine afroamerikanische Künstlerkollegin, Tochter eines weißen und eines schwarzen Elternteils, die im Alltag durchaus als weiß wahrgenommen werden könnte, griff eine israelische Künstlerkollegin an: Diese habe „keine Ahnung von Rassismus“. Denn sie sei nicht von den sich täglich in Berlin ereignenden rassistischen Attacken in Berlin betroffen. „Juden“, sagte die Amerikanerin, „leiden niemals so unter Rassismus wie Afroamerikaner.“

Quelle        :           TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

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Oben     —  Synagoge Itzkowitz in Bnei Brak

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Unten     —          Türken beim Gebet in einer Moschee in Biberach an der Riß. Eigenes Foto von The weaver 16:47, 17. Mär. Apr 2004 (CEST) zu Pressezwecken mit Genehmigung aufgenommen im März 2003. Zur Verfügung gestellt von Weberberg.de, der Website für Biberach. GNU-FDL.

Diese Datei ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported Lizenz.
Namensnennung: Der Weber

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KOLUMNE * Red Flag

Erstellt von DL-Redaktion am 31. Juli 2022

Urlaub zwischen Pandemie und Krieg: Ehe die Welt untergeht

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Von     :    Fatma Aydemir

Immer häufiger stellt sich die Frage: Wer kann sich eigentlich noch einen Urlaub leisten? Und was macht fehlende Erholung mit einer Gesellschaft?

Neulich traf ich diesen Freund aus den USA, der seine Sommer immer in Berlin verbringt. Außer in den letzten beiden Jahren natürlich, die Reisebeschränkungen in der Anfangsphase der Pandemie zwangen ihn, zu Hause zu bleiben. Nun freute er sich, endlich wieder da zu sein, erinnerte sich, wie sehr ihn seine allererste Reise nach Europa geprägt hatte.

Und dann stellte er eine gewagte, aber letztlich doch recht weit verbreitete These auf: „Die meisten Amerikaner waren nie im Ausland, weil sie es sich nicht leisten können. Das ist sehr fruchtbarer Boden für die Behauptung, die uns früh schon eingetrichtert wird: dass wir im besten Land der Welt leben.“

Reisen wird ja oft als eine wegweisende Erfahrung wahrgenommen, die den Blick für andere Perspektiven weitet. Nicht im Sinne von weißen Hippie-Touris auf Bali, die bei Locals betteln, um die Kreditkarte nicht zücken zu müssen. Ich meine, im Sinne von ehrlichen Begegnungen.

Ich musste an die Autorin Maya Angelou, ebenfalls US-Amerikanerin, denken, die schrieb mal: „Reisen hilft dem Individuum, sich von der eigenen Ignoranz zu befreien. Manchmal glauben Menschen, Ignoranz sei das Ausbleiben von Lernen […]. [Ignoranz] ist aber ein Mangel an Kontakt, nicht, weil die Person nichts lernen möchte. [Der Kontakt] wurde ihr lediglich verwehrt.“

Durch Urlaub tritt man in Kontakt mit sich selbst

Nun lässt sich darüber streiten, wie viel Kontakt mit anderen Lebens- und Sichtweisen eigentlich ein All-inclusive-Urlaub in einer Resort-Anlage bedeutet. Doch ist es auch ziemlich snobby, einer überarbeiteten Mutter oder einer Vollzeitpflegekraft die Woche Auszeit und den Cocktail an der Strandbar madig zu machen. Sie sollten sich den gönnen können, nicht nur für eine Woche im Jahr.

Vielleicht ist das ja auch bloß eine andere Form des Kontakts, sich ein paar Tage lang der Außenwelt komplett zu entziehen. Wenn die Verantwortung für Wäsche, Einkauf und die Mitmenschen entfallen, tritt man dann nicht automatisch in Kontakt mit sich selbst und den eigenen Bedürfnissen?

Als diese Woche das Lufthansa-Bodenpersonal streikte und mehrere Hundert Flüge gestrichen wurden, liefen die Menschen trotzdem in Scharen durch die Abflughallen. Die meisten wussten vom Streik, trotzdem hatten sie ihre Koffer gepackt, waren zum Flughafen gefahren und warteten, wie auf ein Wunder. Dabei waren es sehr irdische Forderungen, die zu dem Warnstreik führten: 9,5 Prozent Lohnerhöhung angesichts der hohen Inflation, der Überbelastung des Personals und dessen Lohnverzicht über die letzten drei Jahre, in denen der Flugverkehr stark eingeschränkt war.

Wann wird Reisen unmöglich werden?

Quelle         :       Taz-online          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —   Eine wehende rote Fahne

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Unten     —         Pickup-Truck mit Wikipedia:Endzeitvorhersage 2011. San Francisco, Kalifornien.

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Deutscher Nährboden

Erstellt von DL-Redaktion am 21. Juli 2022

Schon vor der Shoah haben die Deutschen die ideologische Grundlage für den Nahostkonflikt geschaffen. 

Massengrab im KZ Bergen-Belsen - Fritz Klein - IWM BU4260.jpg

Von Ulrike Klausmann

Eine Antwort auf Charlotte Wiedemann. Der Großmufti von Jerusalem konnte über deutsche Sender seine antijüdischen Ansprachen verbreiten.

In ihrem Debattenbeitrag „Schuld und Nakba“ (taz vom 13. Juli) fordert taz-Autorin Charlotte Wiedemann, „im Land der Shoah über den is­rae­lisch-palästinensischen Konflikt mit Bedacht und Achtsamkeit zu sprechen“. Doch diese habe ich in ihrem Text vermisst. Wiede­mann beklagt einen Mangel an Empathie für das Leid, das die israelische Politik den PalästinenserInnen angetan hat und antut. Gibt es diesen Mangel in der deutschen Öffentlichkeit? Erhebungen der interdisziplinären Antisemitismusforschung belegen das Gegenteil: Sowohl im Internet als auch in unseren Qualitätsmedien geht die Berichterstattung zum Nahostkonflikt überwiegend auf die palästinensische Perspektive ein.

Mein Eindruck ist, dass sich allmählich zumindest die Qualitätsmedien um eine ausgewogenere Berichterstattung bemühen. Deshalb von einem „Bannkreis“ zu sprechen „um alles, worin der Begriff ‚Palästina‘ vorkommt“, erscheint übertrieben. Mit Recht verlangt Wiedemann im Zusammenhang mit diesem Thema „Genauigkeit, historische Redlichkeit und selbstkritische Betrachtung des Eigenen“. Doch wo ist die Genauigkeit, wo ist die historische Redlichkeit, wenn sie schreibt: „Beginnen wir mit dem Jahr 1948. Für Israel die siegreiche Gründung des neuen Staates, für Palästinenser der traumatische Verlust von Heimat, Kultur Existenz.“

Eine solche Verkürzung erweckt den Eindruck: Kaum war der israelische Staat gegründet, vertrieben die Juden die Araber aus ihren Dörfern. Dabei gab es schon vor der Staatsgründung Israels im britischen Mandatsgebiet Palästina Konflikte zwischen Arabern und Juden. Sie verschärften sich, als immer mehr Jüdinnen und Juden einwanderten, um den Pogromen in Osteuropa und dem wachsenden Antisemitismus in ganz Europa zu entkommen. Es gab auch Angriffe und Massaker von arabischer Seite.

Immer wieder begegnet mir im privaten, aber leider auch im beruflichen Umfeld die Erzählung: Den Konflikt zwischen Arabern und Juden im Nahen Osten gibt es erst seit der Staatsgründung Israels. Doch wenn man den Blick auf die arabischen Nachbarländer erweitert, fällt auf, dass es dort schon in den 1930er und den frühen 1940er Jahren Hass, Hetze und Pogrome gegen Jüdinnen und Juden gab. Beim Farhud, einem blutigen Pogrom in Bagdad im Jahr 1941, ermordeten arabische Nationalisten über hundert Juden; es gab Hunderte Verletzte. 1947 starben über 70 Juden in Aleppo, auch im Libanon und anderen arabischen Ländern kam es zu Verfolgungen und Übergriffen. Zu den Ursachen gehörte der wachsende arabische Nationalismus, aber auch die judenfeindliche Propaganda der Nationalsozialisten.

Diese hatten einen Radiosender eigens für ihre Propaganda im Nahen Osten eingerichtet. Von 1939 bis 1945 sendete Deutschlandsender Zeesen über Kurzwelle jeden Abend bis nach Indien auf Arabisch, Persisch und Türkisch. Lesungen aus dem Koran und antijüdische Hetze wurden mit arabischer Musik aufgelockert; die Sendungen erfreuten sich großer Beliebtheit. Die rund 80-köpfige Orientredaktion verbreitete antijüdische Stellen aus dem Koran und lud sie mit Stereotypen und Verschwörungsmythen des europäischen Antisemitismus auf. Im persischen Programm wurde Hitler zum 12. Imam hochstilisiert; der Sender rief zum Dschihad gegen die Juden auf.

Israel-Kritik nicht erlaubt

„NAZI-onale Deutsch-Demokratische  Staatsräson“

Auch der Großmufti von Jerusalem konnte über deutsche Radiosender seine antijüdischen Ansprachen verbreiten. Amin al-Husseini arbeitete seit 1937 mit dem NS-Regime zusammen. Die sechsjährige Hetze der Nationalsozialisten über den Kurzwellensender mit ihrem Export antisemitischer Verschwörungsmythen in den Nahen Osten leistete ihren Beitrag zum Judenhass in den arabischen Ländern, der bis heute nachwirkt.

Der Teilungsplan der UN-Generalversammlung von 1947, nach dem das Land in einen jüdischen und einen arabischen Staat geteilt werden sollte, wurde von den arabischen Staaten und der politischen Vertretung der Palästinenser abgelehnt. Einen Tag nach der israelischen Unabhängigkeitserklärung erklärten Ägypten, Saudi Arabien, Libanon, Transjordanien, Irak und Syrien dem gerade erst proklamierten demokratischen Staat der Juden den Krieg. Während dieses Kriegs kam es zu den Vertreibungen der PalästinenserInnen, zur Nakba. Etwa 700.000 Menschen verloren ihre Heimat, ein Teil blieb in Israel.

Was viele nicht wissen: Auch Jüdinnen und Juden wurden vertrieben – aus den arabischen Ländern. Seit 1948 verließen an die 850.000 Juden ihre Heimat im Jemen, im Irak, in Marokko und anderen arabischen Staaten. Israel hatte 520.000 dieser jüdischen Flüchtlinge aufgenommen und mehr oder weniger in ihre Gesellschaft integriert. Die Palästinenser, die in arabische Nachbarländer flohen, wurden dort nicht integriert. Viele leben dort bis heute mit eingeschränkten Rechten in Flüchtlingslagern.

Quelle      :          TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

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Oben     —     Die Befreiung des KZ Bergen-belsen, April 1945 Dr. Fritz Klein, der Lagerarzt, steht in einem Massengrab in Belsen. Klein, der in Österreich-Ungarn geboren wurde, war ein frühes Mitglied der NSDAP und trat 1943 in die SS ein. Ab Dezember 1943 arbeitete er ein Jahr lang in Auschwitz-Birkenau, wo er bei der Auswahl der Häftlinge half, die in die Gaskammern geschickt werden sollten. Nach einer kurzen Zeit in Neungamme zog Klein im Januar 1945 nach Belsen. Klein wurde daraufhin wegen zweifacher Kriegsverbrechen verurteilt und im Dezember 1945 hingerichtet.

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Religionen unter Verdacht?

Erstellt von DL-Redaktion am 19. Juli 2022

Die Kriminalisierung der muslimischen Zivilgesellschaft schreitet voran.

Waren nicht die Religionen neben der Politik die größten Kriegsauslöser in der Geschichte der Menschheit? Über Beiden schwebt  der Gedanke des Absolutismus welcher auch als Fanatismus benannt werden müsste. Jeder welcher auch nur Ansatzweise anders denkt ist ein Feind und muss mit allen Mitteln ausgeschaltet werden.

Von Farid Hafez

Zu oft wird der Grundsatz der Unschuldsvermutung ins Gegenteil verkehrt. Hinter allen Muslimen wird die potenzielle Vertretung einer aufrührerischen politischen Gesinnung gesehen.

Es liegt an den politischen Verantwortungsträgern eines Landes, wie auf militante Angriffe reagiert wird. Als Anders Behring Breivik im Juli 2011 77 Menschen das Leben nahm, entschloss sich die norwegische Regierung, Zusammenhalt und Solidarität zu zeigen. Militante Angriffe von Muslimen werden oftmals für Gegenteiliges benutzt: Für die Ausweitung von Bestimmungen und eine exorbitante Finanzierung der Sicherheitsapparate.

So auch der grausame Mord an dem Lehrer Samuel Paty und der Terroranschlag in Wien mit vier Toten – beides ereignete sich im Herbst 2020. Österreich, Frankreich und Deutschland verfassten den Erstentwurf einer Stellungnahme, die den Islam in den Mittelpunkt der Problematik stellte. Was allerdings auf Protest zahlreicher europäischer Minister stieß, denen diese Kulturkampfrhetorik erheblich widerstrebte.

Besonders Dänemark, Frankreich und Österreich kristallisieren sich als Länder heraus, die einen Kampf gegen den „politischen Islam“‚ beziehungsweise den „islamistischen Separatismus“ in Frankreich in den Mittelpunkt ihrer Politik stellen. Diese Länder haben in den letzten Jahren eine fortschreitende Institutionalisierung dieses Kampfes vorgenommen.

In Dänemark wurden sogenannte Ghetto-Gesetze eingeführt, welche zwischen „ethnischen dänischen“ BürgerInnen und „nichtwestlichen“ BürgerInnen unterscheiden und das Leben in 25 einkommensschwache und überwiegend von MuslimInnen bewohnte Gebiete unterteilen. Sieben muslimische Privatschulen wurden daraufhin geschlossen, weil sie angeblich die dänischen Werte Freiheit, Demokratie und Gleichstellung der Geschlechter nicht ausreichend fördern.

Kritik von den Vereinten Nationen oder aber kritischen Akademikern wurde ignoriert. Im Gegenteil: Am 1. Juni 2021 verabschiedete das dänische Parlament eine Erklärung gegen „Forschung, die als Wissenschaft getarnte Politik produziert“. Anders gesagt: Gegen akademische Freiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung. Die Reaktionen der Betroffenen zeigen, dass Akademiker, die in den Bereichen Rassen-, Geschlechter-, Migrations- und postkoloniale Studien arbeiten, von diesem Dokument besonders betroffen sind, da sie in der Vergangenheit von dänischen Politikern und Medien öffentlich angegriffen wurden.

Ähnliches spielt sich in Frankreich ab. Die Regierung Emmanuel Macrons behauptet, der „islamistische Separatismus“ werde durch den Links­islamismus (Islamo-Gauchisme) geschützt, der seinerseits von fremden, „vollständig aus den Vereinigten Staaten importierten sozialwissenschaftlichen Theorien“ wie dem postkolonialen oder antikolonialen Diskurs ausgehe. Im Namen des Kampfes gegen diesen „islamistischen Separatismus“ legitimiert Macron ein hartes Vorgehen gegen muslimische Organisationen der Zivilgesellschaft. Zahlreiche Moscheen wurden systematisch durchsucht und geschlossen. Sie standen unter dem Verdacht, „Brutstätten des Terrorismus“ zu sein. Hilfsvereine und antirassistische Organisationen zur Bekämpfung von Islamophobie wurden ebenfalls geschlossen.

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Österreich nimmt eine spezielle Position ein. Die Regierung gründete im Juli 2020 die staatlich finanzierte Dokumentationsstelle Politischer Islam und die Regierung von Sebastian Kurz führte einen Straftatbestand religiös motivierter Extremismus ein, der sich im Wesentlichen gegen den sogenannten politischen Islam richtet. Im Kampf gegen den politischen Islam wurden Kopftuchverbote eingeführt, was das Verfassungsgericht wieder aufhob, sowie Moscheen geschlossen, die ebenfalls auf Entscheidung von Verwaltungsgerichten bald wieder geöffnet wurden.

Die Kritik von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International half nichts. Im Gegenteil: Im November 2020 fand die größte Polizeioperation seit 1945 statt. Die „Operation Luxor“ gegen den angeblichen „politischen Islam“ wurde zwischenzeitlich ebenso als rechtswidrig erklärt. Während sich das damalige Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) mit islamophoben Verschwörungstheorien auseinandersetzte, entgingen ihm wichtige Informationen über einen Anschlag, der tatsächlich stattfand.

Und Österreich will diesen Weg zum Exportschlager machen: Im Herbst 2021 wurde eine jährliche Konferenz zur Intensivierung der Zusammenarbeit im Kampf gegen den sogenannten politischen Islam ins Leben gerufen, initiiert von der rechtskonservativen ÖVP. Mit dabei: Dänemark und Frankreich.

Quelle       :       TAZ-online        >>>>>       weiterlesen

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Oben      —   Kirche und Moschee im selben Garten.

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Kolumne FERNSICHT Israel

Erstellt von DL-Redaktion am 2. Juli 2022

Weimarer Wolken am Himmel über den Cafés von Tel Aviv

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„Wir sehen auch was andere sehen !“ Ohne das Versagen von Weimar kein Hitler?

Von Hagan Dagan

Der Vergleich dürfte in deutschen Ohren unangenehm tönen, aber hier in Tel Aviv wird er immer öfter laut: Die aktuelle politische Lage in Israel und die Weimarer Republik. Israel leidet unter einer politischen Polarisierung, tiefer gegenseitiger Abneigung,

Demagogie und kruder politischer Rhetorik, die sich kennzeichnet durch das komplette Abstreiten jeglicher Legitimation des gegnerischen Lagers und der Tendenz, die Geschichte zu verzerren und umzuschreiben. Sie leidet unter mangelnder Toleranz und unter Politikern, die den Mob zur Gewalt aufhetzen.

Die Rechte macht der Justiz offen jegliche Legitimität und Unabhängigkeit streitig. Sie begreift Demokratie als Herrschaft der Mehrheit und Umsetzung des „Volkswillens“, wobei in der rechten Rhetorik das „Volk“ nur die Juden meint und nicht die arabischen Staatsbürger. Wie Gewitterwolken im Hochsommer schweben Barbarei, Gewalt und Verrohung in der Luft.

Der Regierung von Naftali Bennett ist es nicht gelungen, die rechte Opposition zu konfrontieren, die mit Mafiamethoden die Koalition terrorisiert und die beteiligten Regierungsparteien mit hetzerischer Rhetorik in den sozialen Netzwerken als Kollaborateure mit dem Feind beschimpft. Der Staat sinkt erneut in eine Phase politischer Instabilität. Die Linke gibt sich geschlagen und hilflos. Kaum jemand ist noch bereit zum Machtkampf. Ha’aretz, die nahezu einzige Zeitung, die noch eine liberale Haltung vertritt, verfällt in ein dauerndes Jammern der Letzten einer aussterbenden Minderheit. Obschon der Kampf noch nicht endgültig entschieden ist, macht sich in diesem Lager das Gefühl der Kapitulation breit.

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Die Cafés von Tel Aviv erscheinen mir in diesen Tagen wie Naturschutzgebiete, die einzigen Orte, wo diese vom Aussterben bedrohte Art noch existiert, einen feinen Espresso schlürft, über Fitnesstudios redet, dänische Netflix-­Serien, Filmfestivals und Literaturpreise – ein eskapistisches Universum, das die Augen verschließt vor dem Tornado, der draußen sein Unwesen treibt.

Jetzt ist die Zeit für ein komplett neues Denken. Die Linke müsste aufwachen, eine jüdisch-arabische Partei gründen und die Möglichkeit einer echten Koexistenz in diesem Land auf die Agenda bringen. Ein Bündnis mit Mansour Abbas, einem pragmatischen Politiker, der den islamistischen Konservativismus seiner Partei (zumindest teilweise) überwunden hat und eine die Grenzen überwindende Vision schuf. Was hingegen passiert, ist, dass ihn die arabische Öffentlichkeit fallen ließ. Die anderen arabischen Politiker sind Geiseln eines antagonistischen Nationalismus, und der Rest der israelischen Linken hält sich an der „Mitte“ fest, die nichts anderes ist als eine etwas moderatere Rechte, und nimmt sich damit ihre politische Existenzgrundlage.

Quelle       :        TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Oben     —     Vogelbeobachtung in Panama

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Die Documenta 2022

Erstellt von DL-Redaktion am 25. Juni 2022

Die »Judensau« von Kassel

Eine Kolumne von Thomas Fischer

In Kassel implodierte die Kunst. Der identitäre Kulturkram verkrümelte sich; zurück blieben verstörte Sozialpädagogen. Nicht tragisch!

Eine, zwei, viele Schanden

In dieser Woche muss man vermutlich etwas zur Documenta 15 sagen, die in einer anderen Kolumne ein bisschen robust als »Antisemita 15« bezeichnet wurde und von »Bild« als »Kunstausstellung der Schande«, was auf unangenehme Weise die bekannte Höcke-Terminologie andeutet, in jedem Fall aber eine unangemessene Bedeutsamkeit ins Spiel bringt, wie sie auf »Bild«-Level gern mit dem – gern auch rassistisch konnotierten – Trash verschmolzen wird. Ansonsten, kleine Schlagzeilenauswahl: »Wie konnte das passieren?«, »Antisemitismus im Postkolonialismus«, »Das Kreuz des Südens«, »Die Schande der Documenta«, »Rocky Horror Picture Show«, »Die Kunst ist frei, aber…«, »Warum schaute Roth bei Judenhass weg?«.

Womit wir in der Abteilung »Rücktritte« gelandet wären. Selbstverständlich haben der Oberbürgermeister sowie die Landeskulturministerin die vollständige Unverzeihlichkeit, Unentschuldbarkeit, Unerträglichkeit und Unmenschlichkeit der Schande sogleich dem Publikum mitgeteilt, verbunden mit dem Hinweis, genau das hätten sie schon immer gesagt. Da kann mal also einen Rücktritt schon mal ausschließen. Frau Roth ist wie immer schwer betroffen, muss also ebenfalls nicht zurücktreten, wo sie doch sogar einmal »Managerin« von, äh, dem König von Kreuzberg war! Herr Steinmeier tritt auch nicht zurück, da er zwar eine Begrüßungsrede bei der Show der Schande hielt, aber zu Protokoll gab, das habe er sich echt lange überlegen müssen. Vorbildlich! Herr Bundeskanzler hat Glück gehabt; er konnte rechtzeitig absagen. Da wird es wohl ein paar aus der zweiten und dritten Reihe erwischen.

Verantwortungen

Die eigentlichen Verursacher, sogenannte Kollektive mit irgendeiner »kulturellen Identität«, jedoch – deshalb – ohne individuelle Verantwortungen, treten demnächst ebenfalls zurück, allerdings wohl nur per Flug nach Indonesien. Erstaunlicherweise, so muss man sagen, konzentrieren sich die Entsetzensschreie ganz auf die oben genannten deutschen Aufsichtspersonen: Irgendwie haben die begeisterten Veranstalter und Politiker offenbar die Pflicht verletzt, auf ihre ungezogenen Globalsüdkinder aufzupassen. Das ist eine »Aufarbeitungs«-Herangehensweise, die einem vertraut vorkommt.

Auch der Kolumnistenkollege hat einleitend klargestellt: »Es gibt eine breite Antisemitismusakzeptanz in Deutschland.« Ich bin mir nicht sicher, ob ich das so formuliert hätte, obgleich es, nach Auskunft der empirischen Sozialforschung, zutreffen dürfte. Allerdings ist alles und sogar dies relativ, und bei »Antisemitismusakzeptanz« würden mir spontan erst einmal ein paar Beispiele außerhalb Deutschlands einfallen. Es kommt darauf aber nicht an, denn das Banner der Documenta-Schande wurde ja, soweit ersichtlich, keinesfalls von einer breiten Akzeptanz besichtigt, gutgeheißen, aufgestellt und so weiter. Bevor man in die »Breite« geht, sollte man die Höhe und Tiefe ausloten. Und dass jetzt die Breite Deutschlands binnen zwei Tagen als Quell einer »Schande« ausgemacht ist, die in ungenügender Kontrolle über einige »Kollektive« dummer Südweltkinder bestand, überzeugt mich jedenfalls so lange nicht, wie nicht ein bisschen konkreter darüber gesprochen wird, wie sich das Grauen, das Entsetzen, die Empörung und die Schanden denn in den hiesigen Rahmen einordnen lassen, wenn alle Rücktritte abgewickelt sind und alle einmal zu Protokoll gegeben haben, dass man von jetzt an aber wirklich aufpassen sollte.

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SICH BEGEISTERN LASSEN

Erstellt von DL-Redaktion am 5. Juni 2022

VON PFINGSTEN – SICH BEGEISTERN LASSEN

Datei:Mailick, Fröhliche Pfingsten!. JPG-Datei

Quelle       :       Magazin Perspektive Leben.

Von           :        Stefan Weinert   / Ich wünsche allen Leser/innen ein gutes und nachdenkliches Pfingstfest 2022!

Zu unserer Galaxie, die wir Milchstraße nennen und die nur eine von vielen Milliarden Galaxien [rund 250 Milliarden] im Universum ist, gehören mehrere hundert Milliarden von Sterne. Unsere Sonne und ihr System gehören auch dazu. Jeder dieser Sterne ist ebenfalls eine Sonne, die wiederum Planeten um sich kreisen lässt, von denen manche – wie der blaue Planet auf dem wir leben – einen oder meist mehrere Monde hat.

Unsere Sonne zieht im kleinen Orion-Arm ihre Bahn, etwa 27.000 Lichtjahre vom Zentrum der Galaxie entfernt. Erinnern wir uns. Das Licht legt in einer Sekunde 300.000 Kilometer zurück. Die Entfernung zwischen Helios (Sonne) und Terra (Erde) beträgt acht Lichtminuten. (Erde – Mond = 1 Lichtsekunde)

Nun dauert es etwa 225 Millionen Jahre, bis unsere Erde das Zentrum der Milchstraße einmal umrundet hat. Ein Stern (Sonne) mit dem Namen S2 ist da deutlich schneller unterwegs: Er braucht nur 16 Jahre für eine Tour um den galaktischen Kern. Das liegt daran, dass er in unmittelbarer Nähe des galaktischen Zentrums kreist. Dort liegt ein super massives schwarzes Loch. Es heißt Sagittarius A* und ist etwa vier Millionen Mal so massereich wie unsere Sonne. Unter anderem für den Nachweis seiner Existenz gab es vor ein paar Jahren den Physik-Nobelpreis.

Mittlerweile sind sogar Sonnen bekannt, die dem schwarzen Loch im Herzen der Milchstraße noch ein wenig näher sind. Doch sie riskieren auf absehbare Zeit nicht, vom Galaktischen Kern verschluckt zu werden. Dafür müssten sie sich auf die Entfernung von etwa 16 Lichtminuten (doppelte Entfernung Sonne-Erde) nähern. Und darauf deutet derzeit nichts hin, die Bahnen gelten als stabil. Aber schwarze Löcher haben eine solch enorme Anziehungskraft, dass sogar das Licht von ihnen festgehalten wird und nicht aus ihnen entweichen kann. – Und da sind dann noch die Kometen (griech. kómä = Haupthaar, Mähne) die durch die Weiten ihrer Galaxie ihre Bahnen ziehen und – kommen sie einer der Sonnen zu nahe – einen sichtbaren „Schweif“ hinter sich her ziehen. Ihre Bahnen sind so groß, dass der Menschen einen solchen „Allschweifer“ – wenn überhaupt – nur einmal im Leben zu sehen bekommt.

Ich versuche einmal, dieses – in groben Strichen gezeichnete – Bild des Universums auf unsere Gesellschaft auf „dich und mich“ zu übertragen. Alles ist in Bewegung: Nichts ist heute so, wie es gestern war – und auch morgen wird es eine neue, noch nie dagewesene Situation geben. Die gegenseitigen Einflüsse, die guten und die schlechten, das Kreisen umeinander und um sich selbst, die Expansion und die Gefahren aus den Weiten – all das finden wir in der menschlichen Gesellschaft wieder. Sicher scheint nur der Moment – und Zeit war schon vor Einstein immer nur relativ. Wer mit dem Licht reisen kann – so Einsteins Theorie – für den bleibt die Zeit stehen, für den gibt es nur die „Ewigkeit“.
Im Thomasevangelium, das es tatsächlich gibt, aber das es nie in die offizielle Bibel geschafft hat, heißt es an einer Stelle: „Yeshua (Jesus) sagte: ‚Elend ist der Körper, der von einem anderen Körper abhängt. Und elend ist die Seele, die von beiden abhängt [Von ihrem eigenen und dem Körper eines anderen].‘ „.
Wenn wir unseren Blick auf den kleinen (winzigen) Ausschnitt der Milchstraße, unser Sonnensystems richten, und hier wiederum nur auf die Sonne „Helios“, den Planeten = Wanderer, umherschweifen) „Terra“ und seinen Trabanten „Luna“, erkennen wir sofort, was gemeint ist.

Luna kann nur leuchten, man kann auch sagen „glänzen“, in Er-SCHEIN-ung treten, sich bemerkbar machen, wenn er (der Mond) sich im Lichte der Sonne befindet und sich in ihm/in ihr wider-spiegeln kann. Ansonsten ist er schwarz – und obwohl präsent – doch unsichtbar, oder „Weiß wie eine Wolke“ und kaum wahrnehmbar – am Himmel zu sehen. Solche Zeitgenossen in unserer Gesellschaft gibt es viele. Und wenn wir ehrlich sind, steckt ein solches „Glänzen im Spiegel anderer“ in jedem von uns – mehr oder weniger. Und dass der Mond nicht in den Weiten des Universums verschwindet, hat er auch jemand anderem zu verdanken und keinesfalls sich selbst.

Doch dem „blauen Planeten“ geht es da nicht viel besser. Ohne die Sonne (Helios war der Sonnengott der alten Griechen; bei den alten Ägyptern war es „Ra“), ohne ihr Licht und ihre Wärme, ohne den notwendigen Abstand von ihr, wäre sie „tot“ wie der Mond und der Mars. Einzig die Sonne ist es (zumindest in unserem System), die unabhängig von anderen ist. Sie hat Licht und Wärme von Innen und aus sich selbst. Sie ist Quelle des Lebens nicht nur für sich selbst, sondern vor allem für andere.

Zwar ist der homo sapiens auch ein „Wanderer, jemand der umherschweift“, – wenn auch nicht mehr physisch und in dem Maße wie einst die Jäger und Sammler, so doch immer noch psychisch -, aber jeder von ihm ist aus Fleisch und Blut und hat Leben IN sich. Das heißt: Jeder von uns kann oder zumindest könnte eine Sonne sein. Ein Mensch, (hebr. = adam; dam = Blut; adama = Ackerboden) hat nicht nur Energie für sich selbst, sondern auch für seinen Nächsten, seinen Mitmenschen, für solche, die aufgrund ihrer Vita nur noch ein „glimmender Docht“ sind. Jedenfalls potentiell. Es kommt nur darauf an, ob er/sie bereit ist, diese Energie auch abzugeben, oder ob er/sie äußerlich kalt bleibt und und die Kraft für sich behält mit der Folge, dass sie ihn letztlich innerlich verbrennen wird.

Doch selbst der/die, der/die ein so erlöschendes Licht ist, oder schon kalt wie der Mond sollte wissen, dass er dennoch Einfluss auf die, die in „voller Blüte stehen“ hat und haben kann. Ohne Luna keine „Ebbe und Flut“. Ohne Luna keine Stabilität der „Erde“ in ihrer Umlaufbahn um die Sonne. Und ohne Luna keine „Träume – in denen die Zeit scheint stehen zu bleiben – mit offenen Augen. Das sollten weder diese vielen „Monde“ unter uns und vor allem die (noch) gesunden und vitalen „Erden“ unserer Gesellschaft nicht vergessen.
Und da gibt es dann auch noch die so genannten „schwarzen Löcher“ inmitten unserer Gesellschaft. Alles muss sich um sie drehen. Was ihnen zu nahe kommt, verschlingen sie auf „nimmer wiedersehen.“ Sie besitzen mehr Energie, als alle anderen zusammen. Sie sind losgelöst von Zeit und Raum. Sie existieren tatsächlich in einer völlig anderen Dimension. Ihre Macht und ihr Reichtum sind dermaßen stark, dermaßen „energetisch energiegeladen aufgeladen“, dass sie nicht mehr in der Lage sind, davon auch nur ein Partikel abzugeben. Sie halten sich für „das Licht der Welt“ – und doch ist es in ihnen „stockdunkel“.

Nicht zu vergessen – die Kometen. Jene, die unser System verlassen und in den Weiten verschwinden, und doch irgendwann für eine gewisse Zeit wieder in unser Sichtfeld zurückkehren, um dann nach kurzer Zeit für weitere hundert Jahre oder mehr in die „Unendlichkeit“ zurückzukehren. Als der Halleysche Komet (einer der hellsten Kometen) im Jahre 1911 am europäischen Nachthimmel erschien, sahen die damaligen Zeitgenossen in ihm eine Art „Menetekel“ – ein Warnzeichen bezüglich eines zukünftigen großen Weltgeschehens. Drei Jahre später brach tatsächlich der 1. Weltkrieg aus, in dessen Kontext auch der Weltkrieg II. gesehen werden muss. 75 Jahre nach 1911 – im Jahre 1986 – erschien „Halley“ wieder am europäischen Nachthimmel. Doch der westliche Mensch war inzwischen weit aufgeklärter als zu Kaisers Zeiten. Ich war damals 34 Jahre alt, und kann mich nicht daran erinnern, dass dieser Komet damals als ein „Menetekel“ für die Welt verstanden wurde. Doch just drei Jahre später fiel die für die Ewigkeit gebaute Mauer, die Deutschland und Berlin getrennt hatte. Wenn das kein Weltereignis war ..!

Ob das Zufälle waren und sind, lasse ich mal dahingestellt sein. Aber „Kometen“ in der Menschheitsgeschichte, ob in unseren Breitengraden, oder in Asien, Vorderasien, Afrika, Amerika …, gab es immer wieder und wird es auch weiterhin geben. Aber sie tauchen eben sehr selten auf und sind auch selten. Ich denke dabei an die bekannten „Kometen“, wie Siddhartha Gautama, den Buddha, der 500 Jahre vor Jesus von Nazareth lebte; ich denke dabei an diesen Jeshua (Jesus) selbst, über dessen Geburtsstall ein „Komet“ erschien, ich denke an Franz von Assisi, an Ibn Sina, an Mahatma Gandhi, an Martin Luther King, an Nelson Mandela, an Mutter Theresa. Aber auch an jene, nicht so bekannten und sogar unbekannten „Kometen“ der Zeitgeschichte und in unserer eigenen Vita. Ob Christ, Muslim, Buddhist oder Atheist – jeder kann es sein. Leider gibt es von ihnen aber viel zu wenig. So wenig, dass wir sie fast an zwei Händen abzählen können. Menschen, deren Vorbild bis in die Gegenwart leuchtet. Das aber muss nicht so bleiben …
Man/frau muss sich nur entzünden lassen, begeistern lassen und den MUT haben, es nicht nur bei „ich sollte“ oder „ich müsste“ oder „ich könnte“ belassen, sondern es TUN! Wer aber zufrieden ist mit seinem Trabantentum oder seiner Abhängigkeit von anderen, kann da lange auf „Inspiration von Oben“ warten . . .

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Grafikquellen          :

Oben     —        Postkarte von Mailick, „Fröhliche Pfingsten!“

Verfasser Alfred Moritz Mailick (1869–1946)      /       Quelle     :     Postkarte       /   Datum   :  Vor dem 17. Mai 1902

Dieses Werk ist in seinem Ursprungsland und anderen Ländern und Gebieten, in denen die Urheberrechtsfrist das Leben des Autors plus 70 Jahre oder weniger ist, gemeinfrei.


Dieses Werk ist in den Vereinigten Staaten gemeinfrei, da es vor dem 1. Januar 1927 veröffentlicht (oder beim U.S. Copyright Office registriert) wurde.

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Unten      —       Das Bild des Weltraums, der in ein Schwarzes Loch fällt, hat eine solide mathematische Grundlage, die erstmals 1921 vom Nobelpreisträger Alvar Gullstrand und unabhängig von dem französischen Mathematiker und Politiker Paul Painlevé entdeckt wurde, der 1917 und dann wieder 1925 Premierminister von Frankreich war. Physikalisch beschreibt die Gullstrand-Painlevé-Metrik den Raum, der mit der Newtonschen Fluchtgeschwindigkeit in das Schwarzschild-Schwarze Loch fällt. Außerhalb des Horizonts ist die einfallende Geschwindigkeit geringer als die Lichtgeschwindigkeit. Am Horizont entspricht die einfallende Geschwindigkeit der Lichtgeschwindigkeit. Und innerhalb des Horizonts übersteigt die einfallende Geschwindigkeit die Lichtgeschwindigkeit. Obwohl sich nichts schneller als die Lichtgeschwindigkeit durch den Weltraum bewegen kann, kann der Raum selbst mit jeder Geschwindigkeit einfallen.

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Xinjiang Police Files

Erstellt von DL-Redaktion am 1. Juni 2022

Uigurischer Separatismus & Dschihad und die Überreaktionen der Volksrepublik

Mit Holzknüppeln bewaffnete Sicherheitskräfte führen einen Inhaftierten in Hand- und Fußfesseln ab. | Xinjiang Police Files

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von       :    Walter Gröh

Menschenrechte und Systemrivalität – Der Sozialismus chinesischer Prägung entwickelte sich nach und nach zu einem modernen Kapitalismus.

Es ist gut, dass nun 14 Medienhäuser mit den ’Xinjiang Police Files’ die bisher detailliertesten Einblicke in die Verfolgung von Uiguren gebracht haben. 5074 Häftlingsfotos aus der ersten Jahreshälfte 2018, geheime Reden chinesischer Funktionäre und lange Internierungslisten geben eine Ahnung von der Gewalt in den Umerziehungslagern. Koranlesen kann ein Haftgrund sein im proklamierten ’Kampf gegen extremistisches Gedankengut’.

Schon am 1. Mai 2019 hatte Human Rights Watch beschrieben, wie die chinesische Zentralregierung die 13 Millionen muslimischen Uiguren im Zuge ihrer „Kampagne des harten Schlags gegen den gewalttätigen Terrorismus“ verschärften Repressionen unterwirft.

Ende 2019 verschärften westliche Medien ihre Kritik und sprechen nun nicht mehr nur von einer ’beispiellosen Kampagne der Assimilierung’, sondern von einem ’kulturellen Genozid“ an der ethno-religiösen Minderheit der Uiguren in China.

Hauptankläger Adrian Zenz und ’Völkermord’

Sie berufen sich dabei oft auf den deutschen Anthropologen Adrian Zenz.

Er arbeitet seit 2019 Senior Fellow für Chinastudien am anti-kommunistischen Think-Tank Victims of Communism Memorial Foundation.

Der China-Korrespondent der taz, Fabian Kretschmer, schrieb, dass Zenz seit ca. 2008 nicht mehr in China gewesen sei und dass sein ’rechtskonservativer Thinktank …enge Verbindungen zur CIA [hat], lässt ihn im dubiosen Licht erscheinen.’

Zenz waren die ’Xinjiang Police Files’ wie auch frühere geleakte Dokumente zugespielt worden. Er ist ein reaktionärer evangelikaler Christ.

Mitte 2020 schrieb Zenz, dass die chinesischen Regierung durch Zwangssterilisationen, Abtreibungen und Haft für zu viele Kinder die uigurische Bevölkerung reduzieren wolle. Die Washington Post machte sich diese Sicht zu eigen und schrieb am 6. Juli 2020 von einem „demografischen Genozid“: ’What’s happening in Xinjiang is genocide’.

Dabei waren die Uiguren als ’nationale Minderheit’ in der Volksrepublik vergleichsweise gut gestellt: Sie waren von der „Ein-Kind-Regelung“ ausgenommen.

Schon im Januar 2021 äusserte US-Aussenminister Mike Pompeo die bis dahin heftigste Verurteilung Chinas bezüglich seiner Politik in der Autonomen Region Xinjiang. An seinem letzten Amtstag, dem 20. Januar 2021, warf er China „Völkermord“ an den Uiguren vor und verlangte, dass die „kommunistische Führung zur Rechenschaft gezogen werden müsse“; am selben Tag erklärte die Volksrepublik ihn zur ’unerwünschten Person’.

Sein Amtsnachfolger Antony Blinken wiederholte gleich in seiner ersten Pressekonferenz sieben Tage später, ’dass ein Genozid an den Uiguren begangen werde’.

Völkermord oder nicht: Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags sieht das am 12. Mai 2021 ausgewogen: ’Unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung deutscher Gerichte lässt sich somit die Auffassung rechtlich gut vertreten, dass an den Uiguren in Xinjiang ein Genozid nach Artikel 2 (b), (c) und (e) der Völkermordkonvention begangen wird. Unter Heranziehung des von internationalen Gerichten vertretenen engeren physisch-biologischen Zerstörungsbegriffs wäre dagegen die Annahme eines Genozids mit Blick auf die Situation in Xinjiang wohl abzulehnen.’

Uigurischer Separatismus & Dschihad und die Überreaktionen der Volksrepublik

Differenzierter stellte Mechthild Leutner, emeritierte Sinologin der FU Berlin und ehemalige Leiterin des staatlich-chinesischen Berliner Konfuzius-Instituts, als Sachverständige vor dem Bundestagsausschuss für Menschenrechte die Lage dar. Terrorismus sei auch in China zu einem Sicherheitsproblem geworden; Uiguren, die zu Märtyrern ausgebildet wurden, riefen: „Wir werden das Blut der chinesischen Unterdrücker durch den Willen Gottes in Strömen fliessen lassen.“ 300 uigurische Kämpfer haben sich bis 2000 den Taliban angeschlossen und 5.000 dem IS.

’Die Uiguren fühlen sich innerhalb der Volksrepublik China wie Bürger zweiter Klasse, … einige unterstützen deshalb die Rufe nach einem unabhängigen Uigurenstaat’, schreiben die China-Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung.

Von Wirtschaftsförderung …

Nach einer Reihe von Anschlägen habe China Antiterrorgesetze erlassen; seit den 1990er-Jahren hat die Regierung in der Region Xinjiang eine ’Re-Islamisierung“ und „Präventivmassnahmen gegen Extremismus“ durchgeführt. Darunter waren einerseits Programme zur Armutsbekämpfung, zur beruflichen Qualifizierung und Schaffung von Arbeitsplätzen.

Denn anfangs hatte die Regierung in Beijing gehofft, dass die ökonomische Entwicklung der Provinz, eine Ursprüngliche Akkumulation, ein genügend grosses „Integrations-Angebot“ an die bisher traditionell wirtschaftenden, zum Teil noch nomadisierenden Uiguren darstellen und die vorhandene Unzufriedenheit, die den Nährboden für die ethnisch-religiösen Konflikten darstellt, mindern würde, so Dr. Renate Dillmann. In Xinjiang sollen 1,3 Millionen Personen solche Weiterbildungszentren besucht haben; allein das Projekt der Weltbank hat in den letzten Jahren mehr als 110.000 Personen hier unterstützt.

Mit einer ’Go-West-Politik’ will die Volksrepublik seit 2005 ihren Wirtschaftsboom auch in die bisher vernachlässigten Provinzen im Westen des Riesenreiches tragen.

… zu gewaltsamer Separatismus-Bekämpfung

Von diesen Weiterbildungszentren seien die Zentren zur Terror- und Extremismusbekämpfung zu unterscheiden, in die Menschen verfrachtet wurden, die angeblich in terroristische, separatistische oder religiöse Aktivitäten involviert gewesen seien. Diese wurden 2017 und 2018 eingerichtet und 2019 wieder aufgelöst.

Dr. Renate Dillmann ordnet historisch ein, dass die Bemühungen der Uiguren um Befreiung vom „chinesischen Joch“ schon ’seit dem 19. Jahrhundert berechnend angefeuert wurden von wechselnden Mächten: Grossbritannien, USA, Deutschland und Türkei’, als ’ein probates Mittel in der Konkurrenz von Staaten’.

Und sie zählt einige Untaten des aktuellen uigurischen Separatismus auf, der als dschihadistischer Islamismus auftritt:

  • Juli 2009 Pogrom in Urumqui gegen Han-Chinesen mit 134 Toten (viele von ihnen brutal erschlagen);
  • 2013 Selbstmordattentat auf dem Tienamen-Platz in Beijing mit einem SUV (3 Tote);
  • 2014 Massaker am Bahnhof von Kunming, bei dem acht Attentäter 31 Passanten umbringen;
  • Überfall auf ein Regierungs- und Polizeigebäude in Kashgar, bei dem 37 Zivilisten sterben;
  • Überfall auf eine Kohlemine in Aksu mit 50 toten hanchinesischen Arbeitern;
  • weitere ’Aktivitäten’ uigurischer Dschihadisten, deren Organisation ETIM von Al Quaida finanziert wurde, in Syrien, Indonesien, Thailand und Afghanistan.

Auf das Pogrom in Urumqui reagierte China* mit militärischem Zwang und den ’Lagern’.

Whataboutism: US-Folter z.B. in Abu Ghuraib

Es hat einen üblen Beigeschmack, wenn sich bei Menschenrechtsverletzungen Täter zu Anklägern aufschwingen. Zur Erinnerung: Die USA liessen 2003 – 2004 über 6000 Gefangene im Gefängnis Abu Ghuraib bei Bagdad verhören und foltern, ’nackt und blutend und eingeschissen … anale Vergewaltigungen mit Besenstielen’. „90 Prozent der Insassen … waren unschuldig … Sie waren einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen“, sagt die damalige Abu-Ghuraib-Kommandantin Karpinski.

Im Dezember 2002 billigte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld 16 spezielle Verhörmethoden.

Die damalige Abu-Ghuraib-Kommandantin Janis Karpinski wünschte sich, ’dass Rumsfeld und Cheney endlich zur Verantwortung gezwungen werden’. Vergeblich. Rumsfeld sagte nur ’sorry’.

Am 13.9.2005 lehnte das Oberlandesgerichts Stuttgart ein Klageerzwingungsverfahren gegen Rumsfeld und andere wegen Kriegsverbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch ab; zuvor hatte der Generalbundesanwalt am 10.2.2005 ein Ermittlungsverfahrens gegen Rumsfeld u. a. wegen Gefangenenmisshandlungen gelehnt. Dadurch blieben die ’Opfer schwerster Verbrechen in Deutschland ohne effektiven Rechtsschutz.’

Menschenrechtskeule und Systemrivalität

Wenn zivilgesellschaftliche Gruppen Menschenrechtsverletzungen aufdecken und anprangern, ist das praktizierter Humanismus; wenn Staaten das tun, ist zu fragen, welche strategischen Interessen sie damit verfolgen.

Wenn die USA die Menschenrechtskeule schwingen, stellen sie die Machtfrage.

US-Aussenministerin Hillary Clinton hatte 2011 das 21. Jahrhundert zum ’pazifischen Jahrhundert der Vereinigten Staaten’ erklärt: In den zwei Ozeanen ’vom indischen Subkontinent bis zur Westküste des amerikanischen Kontinents …müssen wir unsere Zeit und Energie klug und systematisch investieren, damit wir uns optimal positionieren können, um so unsere Führungsrolle zu untermauern, unsere Interessen zu sichern und unsere Werte voranzubringen.’

Zehn Jahre später setzte US-Aussenminister Antony Blinken am 27. Mai 2022 mehr auf Konfrontation: ’Wir werden wir uns weiterhin auf die grösste langfristige Herausforderung für die internationale Ordnung konzentrieren – und die geht von der Volksrepublik China aus. … Pekings Vision würde uns von den universellen Werten wegbringen, die in den letzten 75 Jahren so viel vom Fortschritt der Welt getragen haben.’

Blinken sprach vom ’Kampf zwischen zwei Ideologien – Demokratie versus Autoritarismus’: Hier die (wohl noch für 30 Jahre) grösste Wirtschafts- und Militärmacht der Erde — und dort ’die meisten Gefangenen weltweit’, nämlich 655 Inhaftierte auf 100.000 Einwohner. Oh sorry, das ist ja die Zahl für die USA, für China sind es 121 (vor Deutschland mit 71)

Mit Blinkens Rede drücken die USA ihre Beziehungen zu China auf einen Tiefpunkt, seit Richard Nixon am 21. Februar 1972 mit Staatspräsident Mao Tse-tung die Hände schüttelte.

Während die USA klar mit ’Systemrivalität’ drohen, eierte die deutsche Aussenpolitik herum. Im ihrem Koalitionsvertrag definiert die Ampel-Regierung ihr Verhältnis zu China so: ’Wir wollen und müssen unsere Beziehungen mit China in den Dimensionen Partnerschaft, Wettbewerb und Systemrivalität gestalten.’ Was nun — Partner, Wettbewerber oder grundsätzlicher Rivale?

’Menschenrechte’ werden 49 mal erwähnt, aber zu den Uiguren heisst es nur: ’Wir thematisieren klar Chinas Menschenrechtsverletzungen, besonders in Xinjiang’. ’Klar thematisiert’ wurden sie ja nun.

Uyghur People Demand Freedom with Flag of East Turkestan in front of the U.N. Building in NYC 維吾爾人在紐約聯合國大樓外高舉東突厥斯坦國旗要求自由.jpg

Jetzt fordert angesichts der ’Xinjiang Police Files’ Reinhard Bütikofer, der Vorsitzende der Delegation des Europäischen Parlaments für die Beziehungen zur Volksrepublik China, neue Sanktionen gegen China.

Die Bundesregierung erarbeitet zur Zeit eine ’neue umfassende China-Strategie’. Wirtschaftliche Abhängigkeiten müssten kritisch hinterfragt werden, ’ein Weiter-so kann’s nicht geben’, ’präzisiert’ die menschenrechtspolitische Sprecherin der Bundesregierung, die Grüne Luise Amtsberg, und ’es muss hinterfragt werden, welchen Stellenwert haben die Menschenrechte in den bilateralen Beziehungen.’

Und der menschenrechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion legt nach: ’Deutschland muss gemeinsam mit Partnern innerhalb und ausserhalb der EU internationale Sanktionen prüfen, um diese einzigartige Brutalität gegen die Uiguren, aber auch gegen andere Minderheiten wie die Tibeter zu stoppen, bevor es zu spät ist. Die bereits im vergangenen Jahr von der EU verhängten Sanktionen müssen deutlich verstärkt werden – bis hin zu wirtschaftlichen Sanktionen. Die Welt darf bei Xi Jinping nicht denselben schweren Fehler machen wie bei Wladimir Putin.’

Baerbocks Herausforderung

Als Vorzeichen für die ’neue umfassende China-Strategie’ sagte am 27. Mai 2022 eine Sprecherin von Wirtschaftsminister Robert Habeck, »aus menschenrechtlichen Gründen« habe man erstmals vier Anträgen eines Unternehmens auf Verlängerung von Investitionsgarantien nicht stattgegeben,

Betroffen soll der VW-Konzern sein mit seinem vergleichsweise kleinen Werk mit rund 400 Beschäftigten in Urumtschi, der Hauptstadt von Xinjiang. Auch der Chemiekonzern BASF betreibt eine Produktionsanlage in der Grossstadt Korla in Xinjiang, wenige Kilometer westlich eines Internierungslagers.

Die Xinjiang Police Files sind ein Anlass für Aussenministerin Annalena Baerbock, sich mit ihrer ’wertebasierten’ Aussenpolitik zu profilieren. Es ist zu befürchten, dass es dabei weniger um das Leben von Uiguren geht, als um deutschen Einfluss gegenüber der Grossmacht China und wie sie innerhalb der EU eine grössere Führungsrolle spielen kann. Und wird sie ihre Rolle als Juniorpartner gegenüber den USA stärken? Bisher hat sie bei ihrem Antrittsbesuch im US-State Department ihren Amtskollegen Antony ’mein lieber Tony’ Blinken ja nur angeschwärmt: „Wir sind Freunde und Wertepartner.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

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Grafikquellen          :

Oben     —    Misshandlungen durch chinesische Sicherheitskräfte in einem Umerziehungslager im Kreis Tekes bei Xinjiang, 2018. / xinjiangpolicefiles.org

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Unten       —      Pro-tibetanische und pro-uigurische Demonstranten beim Klimagipfel in New York City (25. September 2014)

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Evangelikale unter Druck

Erstellt von DL-Redaktion am 31. Mai 2022

Abtreibungsdebatte in den USA

George Tiller Mahnwache Boston MA.jpg

Von Marcia Pally

Der Kampf gegen das Abtreibungsrecht ist keineswegs das wichtigste Thema radikaler Christen in den USA. Sie fürchten den säkularen Staat.

Der durchgesickerte Urteilsentwurf des Supreme Court der USA, der Abtreibungen wieder illegal machen würde, hat den weißen evangelikalen Aktivismus ins Rampenlicht gerückt. Dabei glauben viele, dass die Ablehnung des Schwangerschaftsabbruchs die Wahlentscheidungen dieser Bevölkerungsgruppe maßgeblich bestimmt.

Aber dem ist nicht so. Die Wirtschaftslage und die nationale Sicherheit waren bei der Präsidentschaftswahl von 2016 für diese Gruppe von Wäh­le­r:in­nen wesentlich wichtigere Themen (62 und 51 Prozent Zustimmung). Viel weniger (36 Prozent) hielten Abtreibung für das entscheidende Thema, nur rund ein Viertel LGBTQI*-Rechte. Zwar lehnen weiße Evangelikale Abtreibungen vehement ab, aber in deren Liste politischer Prioritäten liegt sie nur in der Mitte.

Allerdings ist die Unterstützung weißer evangelikaler Christen – sie machen 25 Prozent der Wäh­le­r:in­nen in den USA aus – für den eindeutig unchristlichen Donald Trump zwischen 2016 und 2020 von 81 auf 84 Prozent gestiegen.

Warum? Wenn die Frage der Abtreibung für sie nur eine untergeordnete Rolle spielt, warum erscheint der Populismus à la Trump für diese religiöse Gruppe als ethisch geboten? Übrigens: Selbstverständlich gibt es auch Evangelikale anderer Hautfarben, aber für den Rechtspopulismus, um den es hier geht, spielen sie keine wesentliche Rolle.

Reden wir zunächst über Populismus. Er ist eine Reaktion auf Veränderungen des Way of Life, auf Statusverluste und ökonomische Härten, indem er Zuflucht in einer Weltsicht des „Wir gegen die“ anbietet. Diese Sicht baut auf lange eingeübte Ansichten über die Gesellschaft (wer sind „wir“ und wer sind „die“) und den Staat (welche Rolle soll er spielen?) auf. Es hängt stark von regionalen Traditionen ab, wie das „wir“ und das „die“ abgegrenzt wird. Letztere sind häufig bestimmte Gruppen von Minderheiten oder Migrant:innen.

Härten für Gläubige

Viele der Härten, denen sich weiße Evangelikale ausgesetzt fühlen, erleben die übrigen US-­Bür­ge­r:in­nen genauso: schwindende wirtschaftliche Perspektiven, sich ändernde Geschlechterrollen, technischer und demographischer Wandel oder die Angst, den gesicherten Platz in der Gesellschaft einzubüßen. Manche Härten betreffen sie in besonderem Maße: Die Abwendung vieler Gläubigen von der Kirche – über zwei Millionen haben seit 2006 die Southern Baptist Convention, die mit 13 Millionen Mitgliedern größte protestantische Konfession in den USA, verlassen. Die Angst, dass ihr religiöses Leben von einer säkularen Regierung in einer immer liberaleren Gesellschaft erstickt wird. Der Gedanke an gleichgeschlechtliche Ehen.

Unter Druck verändert sich das Selbstverständnis der eigenen gesellschaftlichen Gruppe und konstruiert ein Gegenüber, das als Ursache der Schwierigkeiten dargestellt wird – es ist ein typischer Selbstverteidigungsreflex. „Je stressiger die Lage erscheint“, schreibt der Psychiater Vamik Volkan, „desto mehr schauen benachbarte Bevölkerungsgruppen kritisch aufeinander.“ Je nach Gesellschafts- und Staatsverständnis erscheinen unterschiedliche Gruppen als unerwünschtes Gegenüber. Es ist tief in der Vergangenheit verankert, dass diese Einteilung in „wir“ und „die“ als natürlich und richtig erscheint.

Das amerikanische Verständnis von Gesellschaft und von der Rolle des Staats hat seinen Ursprung in der aus dem Alten Testament übernommenen politischen Theorie des Bundes (Covenant), den die Puritaner und andere „Dissidenten“, die sich den Staatskirchen in Europa nicht länger unterordnen wollten, über den Atlantik brachten.

Sie begriffen Gesellschaft als Bund, auf den sich die Menschen miteinander und mit Gott verständigt hatten. Sollte ein Herrscher diesen Bund verletzen, konnte er aus dem Amt geworfen werden. Von Beginn an blickten diese durch den Bund Geeinten argwöhnisch auf Kirchen­obere und Fremdlinge, die sich in ihre Lebensweise einmischen wollten.

Auch Aristoteles’ Begriff der Republik betonte die Gemeinschaft, die polis, und die Beteiligung der Bürger an ihrer Führung. Vor Tyrannen hütete man sich auch dort. Der neuzeitliche Liberalismus legt großen Wert auf die Freiheit des Individuums und lehnt Autoritäten ab. Dies galt besonders in den USA, da viele der Eingewanderten unterdrückerischen politischen Systemen entkommen waren.

Skepsis gegenüber Autoritäten

Auch auf dem großen Treck westwärts war es ratsam, auf sich selbst gestellt zu überleben, sich in den neuen Siedlungen auf die Gemeinschaft verlassen zu können und sich vor Autoritäten und Fremden zu hüten (diese kollektive historische Erfahrung ist übrigens eine der historischen Wurzeln für das von außen befremdlich anmutende Beharren auf das Recht auf Waffenbesitz).

Aus der Distanz zu Staat und Eliten wurde offene Gegnerschaft

Arcadia und HT bei der Inquisition in Richmond.jpg

Die Vorfahren der heutigen Evangelikalen verließen Europa mit dieser Weltsicht. Sie waren auch überzeugt, dass Regierungen fehlbar waren und die Menschen selbst eine moralische Verantwortung für ihr Verhalten trugen. Sie misstrauten Autoritäten und Fremden – nicht nur, wie viele Menschen in den USA es tun, aus politischen Gründen, sondern auch aus ihrem Glauben heraus.

Auf dieser doppelten Grundlage waren sie die Er­baue­r:in­nen ihrer auf Eigenverantwortung begründeten Republik in der Neuen Welt. 1850 beschäftigten die evangelikalen Kirchen doppelt so viele Angestellte, verfügten über doppelt so viele Einrichtungen und dreimal so hohe Einkünfte wie das damals größte staatliche Unternehmen – die Post.

Im späten 19. Jahrhundert gerieten die weißen Evangelikalen allerdings gesellschaftlich unter Druck. Es begann mit der Industrialisierung, der Urbanisierung, sich wandelnden sozialen Normen und der wissenschaftlichen deutschen historisch-kritischen Methode der Bibelauslegung. Sie drohte, die in den USA bis dahin übliche, eher volkstümliche Interpretation der Heiligen Schrift zu verdrängen. 1925 wurde im Verfahren Scopes vs. Tennessee gerichtlich geprüft, ob Darwins Evolutionstheorie anstelle der biblischen Schöpfungsgeschichte an öffentlichen Schulen gelehrt werden solle.

1962 entschied der Supreme Court, dass das öffentliche Schulgebet gegen die Verfassung verstoße. Dann folgten 1964 die Bürgerrechtsgesetze und die Sozialreformen Lyndon B. Johnsons, die die Kompetenzen der Bundesregierung ausweiteten. In den Jahren danach erlebten die USA die sexuelle Revolution, die Frauen- und die Homosexuellenbewegung. 1973 wurde der Schwangerschaftsabbruch legalisiert. 2015 ließ der Supreme Court gleichgeschlechtliche Ehen zu. Heute befürworten 79 Prozent der US-­Bür­ge­r:in­nen und 65 Prozent der Re­pu­bli­ka­ne­r:in­nen gesetzlichen Schutz von LGBTQI* gegen Diskriminierung.

Dies schürt die Befürchtungen der Evangelikalen, durch einen säkularen Staat und eine liberale Gesellschaft weiter marginalisiert zu werden. Aus dem Bekenntnis zur Gemeinschaft wurde Abgrenzung gegen Nichtzugehörige, aus der Distanz zu Staat und Eliten wurde offene Gegnerschaft. Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung als Gebote ethischen Verhaltens, die die Gesellschaft zu einem lebendigen Organismus machten, wandelten sich zu einer Abwehrhaltung gegen Minderheiten und Immigrant: innen.

Quelle        :          TAZ-online           >>>>>        weiterlesen

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Oben     —     Ein Teilnehmer einer Kerzenlichtmahnwache in Boston, Massachusetts, für Dr. George Tiller hält ein Schild hoch. „Trust women“ war die Legende auf einem Knopf, den Tiller bekanntermaßen trug.

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Eine echte Luthersau

Erstellt von DL-Redaktion am 27. Mai 2022

Rechtsstreit um „Judensau“-Relief

Lutherstadt Wittenberg,Kirchplatz,Stadtpfarrkirche St. Marien.jpg

Von   :  Ulrich Hentschel

Am Montag entscheidet der Bundesgerichtshof über das Schmährelief „Judensau“. Eine strafbewehrte Beschimpfung darf der Kirche nicht erlaubt sein.

Am Montag verhandelt der Bundesgerichtshof in Karlsruhe die Revision auf Abnahme des Schmähreliefs „Judensau“ von der Wittenberger Stadtkirche. Der Aktivist und Rentner ­Michael Düllmann, selbst Jude, war vor Gericht gezogen, nachdem seine langen und intensiven Bemühungen, mit der Gemeinde ins Gespräch zu kommen, keine Resonanz gefunden hatten. 2019 war dann seine Klage zuerst vom Landgericht und danach auch in zweiter Instanz im Februar 2020 vom OLG Naumburg abgewiesen worden.

Für die evangelischen, besonders die lutherischen Kirchen in Deutschland ist es ein kulturelles und geistliches Armutszeugnis, dass ein Gericht jetzt darüber entscheiden soll, ob eine unzweifelhaft antijüdische Schmähung auch weiterhin nicht nur irgendeine, sondern die zentrale Kirche des Luthertums „zieren“ darf. Das schon im Mittelalter im Innenraum der Kirche zur agitatorischen Belehrung der Christen angebrachte Relief ist an Widerwärtigkeit und Bösartigkeit nicht zu überbieten: Es zeigt eine Sau, an deren Zitzen zwei Menschen saugen, die durch ihre Spitzhüte als Juden identifiziert werden. Eine durch einen Hut als Rabbiner zu identifizierende Figur hebt den Schwanz der Sau und blickt ihr in den After.

Der große Reformator Martin Luther, Prediger an der Stadtkirche, war von dieser Darstellung so fasziniert, dass er sie 1543 in seinem antijüdischen Pamphlet „Vom Schem Hamphoras“ eigens würdigte. Schem Hamphoras bedeutet den für Juden heiligen und darum unaussprechlichen Namen Gottes. Gut zwei Jahrzehnte nach Luthers Tod wurde über der Sau die Inschrift „Rabini Schem Ha Mphoras“ angebracht. Es war die Übergangszeit vom Mittelalter in die Moderne. Der Antijudaismus wurde modernisiert zum Antisemitismus. Luthers Ratschläge „wider die teuflischen Juden“ lesen sich wie eine Anleitung zu den Pogromen 1938. Die sogenannte Judensau ist also tatsächlich eine Luthersau.

Das alles wird vom Vorstand der Wittenberger Kirchengemeinde und seinen Unterstützern nicht bestritten. Doch was folgt daraus? Man hätte das Schmährelief einfach weiter verfallen lassen können, tat aber das Gegenteil: Noch rechtzeitig zum großen Lutherjubiläum 2017 wurden das Relief und seine Überschrift vergoldet, auch mit öffentlichen Geldern. Neben dem Wittenberger Stadtrat inklusive AfD und Linker setzt sich auch Friedrich Schorlemmer, langjähriger Prediger an der Stadtkirche, für den Verbleib der „Luthersau“ ein: „Dieser Stachel im Fleisch muss bleiben. Es muss in schmerzhafter Erinnerung bleiben, was in dieser Luther-Kirche passiert ist. Ich fände es eine Schande, die ‚Judensau‘ einfach wegzumachen“, sagte er im Dezember 2017 dem SZ-Magazin.

Judensau Wittenberg.jpg

„Stachel im Fleisch“ der Christenheit?

Schorlemmer scheint seiner eigenen Forderung nicht zu vertrauen. Sonst hätte er längst dafür sorgen können, dass die schmerzhafte Erinnerung, also die „Judensau“, ins Innere der Stadtkirche geholt und dort in einem aufklärenden Kontext präsentiert werden könnte. Alle Veranstaltungen und Gottesdienste im Angesicht der niederträchtigen antijüdischen Skulptur, das wäre ein „Stachel im Fleisch“ der Christenheit. Wäre! Tatsächlich aber ist die Sau an der Kirchenwand ein „Stachel im Fleisch“ der Jüdinnen und Juden, die die „schmerzhafte Erinnerung“ an Antisemitismus und Holocaust durch Luthers Kirchengefolgschaft nur als Hohn empfinden können.

Für die demokratische Gesellschaft stellt sich darum die Frage, ob sie bereit ist, das sture Festhalten der Wittenberger Gemeinde an ihrem Schmährelief einfach zu akzeptieren. Warum sollte der Wittenberger Kirche die strafbewehrte verbale Beschimpfung „Du Judensau“ erlaubt sein, nur weil sie in Stein geschlagen ist und unter Denkmalschutz steht? Es darf auch für die Kirche kein Sonderrecht auf antijüdische Darstellungen geben.

Respektloses Mahnmal

Man stelle sich einmal vor, ich beleidigte einen anderen Menschen mit dem inkriminierten Schimpfwort und überreichte ihm dazu einen Zettel, der darüber aufklärte, dass sechs Millionen Juden „unter dem Zeichen des Kreuzes starben“, so die Inschrift einer Bodenplatte unter dem Schmährelief. Ein Unding. Doch genau auf dieser schiefen Ebene argumentiert der Vorstand der Wittenberger Stadtkirche: Ein „Mahnmal“, das vor circa 35 Jahren noch zu DDR-Zeiten auf Initiative der Jungen Gemeinde in den Boden unterhalb des Schmähreliefs installiert wurde, relativiere den beleidigenden Charakter der Kirchensau und hebe ihn auf.

Quelle        :        TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Oben     —   Die Stadsgemeentekerk Sint Marien op die kerkplein van Lutherstad-Wittenberg, Sakse-Anhalt, Duitsland

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Himmelfahrt der Ukraine?

Erstellt von DL-Redaktion am 27. Mai 2022

HIMMELFAHRT – oder Himmelfahrtskommando?

Die Übersetzung von Himmelfahrtskommando

Von Stefan Weinert, Ravensburg

Liebe Freund/innen und Bekannte,

heute, am 26. Mai 2022, feiert das christliche Abendland das Fest „Himmelfahrt“. Im Volksmund auch „Vatertag“ genannt. Nun fällt „Himmelfahrt“ aber nicht immer auf den 26. Mai. Im vergangenen Jahr war es der 12. Mai, und 2023 wird es (dann hoffentlich ohne Corona und ohne Krieg) der 18. Mai sein. Die christliche Welt feiert die „Himmelfahrt Jesu“ immer 40 Tage nach Ostern, weil in dem alten Buch (der Bibel) steht, dass Jesus eben 40 Tage nach seiner Auferstehung „in einer Wolke gen Himmel aufgenommen“ wurde. Das mit den „40 Tagen“ ist jedoch kein Zufall und auch meist auch nie punktgenau gemeint.

Diese Zahl kommt in der Bibel und noch älteren Schriften der Antike sehr oft vor und zwar immer dann, wenn es um einen fest umrissenen und in sich geschlossenen Zeitraum geht, auf den etwas völlig Neues folgt. Vor allem bei den Themen Prüfung, Bewährung, Initiation …

Der Ursprung des Vierzig (40) -Tage-Rhythmus und der Symbolik liegt etwas weiter zurück, und zwar bei den alten Babylonien, wo eine Verbindung des 40-tägigen Verschwindens des Sternbildes der Plejaden hinter der Sonne mit Regen, Unwetter und Gefahren beobachtet wurde. Bei der Wiederkehr der Plejaden wurde als Zeichen der Freude ein Bündel aus vierzig Schilfrohren verbrannt. Im Ägypten der Pharaonen und im antiken Griechenland wurde das Erntedank-Kalendarium nach dem astrologischen Vierziger-Schema geplant.

Diese Symbolik wurde sowohl vom jüdischen Talmud, als auch vom christlichen Neuen Testament übernommen. 40 Tage und Nächte regnete es, als die Sintflut über die Menschheit hereinbrach. Moses war 40 Tage und Nächte auf dem Berg Sinai, wo er von Jahwe (Jehova) die zehn Gebote erhielt. Auf der Flucht aus Ägypten wanderte das Volk Israel 40 Jahre durch die Wüste, bis es an den Jordan gelang. Jesus begab sich für 40 Tage und Nächte in die Wüste, bevor er seine öffentliche Tätigkeit begann. Deshalb dauert die katholische Fastenzeit auch 40 Tage (Sonntage werden nicht mitgezählt). Die muslimische Fastenzeit „Ramadan“ dagegen dauert „nur“ 29 oder 30 Tage.

Interessant auch, dass 40 Jahre nach Gründung der DDR im Jahre 1949, die Mauern um sie herum 1989 fielen … Vermutlich ein Zufall, oder? Immerhin fielen diese Mauern durch Gebete und nicht durch Gewehre.

Auch im Islam spielt die „Vierzig“ eine Rolle. In Sure 46 Vers 15 wird das Alter von vierzig (40) Jahren als das Alter beschrieben, in dem der Mensch seine Vollkraft (asuddahu) erlangt und dankbar und reuevoll zu Gott umkehrt. Hieraus erklärt sich auch die Tradition, dass Mohammed im Alter von vierzig Jahren zum Propheten berufen wurde.

Der Volksmund in Süddeutschland behauptet, ein „Schwabe“ (m) würde erst mit 40 Jahren weise, während es die Frauen schon längst sind 🙂 Es wird dann vom Beginn des „Schwabenalters“ gesprochen.

Aber dieses Alter von 40 Jahren wird auch juristisch sehr ernst genommen: Das Mindestalter für den Bundespräsidenten Deutschlands ist im Grundgesetz auf vierzig Jahre festgelegt. Es ist damit rechtlich gesehen ein Alter, das eine gewisse Reife erwarten lässt.

Die Zahl „40“ ist also überwiegend eine symbolische Zahl. Sie kann „nominell“ in Ausnahmen richtig sein (siehe oben die DDR), oder einen Zeitraum beschreiben, der kürzer oder länger war. So könnte es sein, dass in den Geschichtsbüchern des Jahres 2050 zu lesen ist, dass die Corona-Pandemie zu Beginn der 2020-er Jahre nach „40 Monaten“ überstanden war, was nominell jedoch einen kürzere oder auch längeren bedeuten könnte. Hoffen wir auf die kürzere Variante. Eines aber ist klar: auch sie wird vorübergehen und etwas Neues wird beginnen!

Und der Ukraine-Krieg dauert nun schon 2 x 40 + 12 (92) Tage. Wird er 40 Wochen oder 40 Monate andauern – oder gar „vierzig Jahre“? Wir wissen es nicht. Nur eines ist bitter wahr: Für viele der von Wladimir Putin angegriffenen Ukrainer/innen, die sich tapfer zur Wehr setzen, gleicht dieser Verteidigungskampf einem „Himmelfahrtskommando“. Das ist eigentlich eine recht zynische Wortkombination – wenn man/frau an den Ursprung von „Himmelfahrt“ denkt – und auch eben gleich zynische Aktion, von der/die Teilnehmenden 80 zu 20 damit rechnen müssen, dass sie diese nicht überleben. Aber immer noch „besser“ (was auch zynisch ist), als „Selbstmordkommandos“, die nur eines zum Ziel haben: Tod für alle = 100 zu null, ohne Chance auf Verteidigung.

Übrigens war auch für den historischen Jesus – der mit dem blutendem Haupt, weil Dornenkrone; nicht der „holde Knabe mit lockigem (blonden arischen?) Haar“ – der „Karfreitag“ ein echtes „Himmelfahrtskommando“, weil für ihn hundertpro überhaupt nicht sicher war, ob er das ganze überlebt (Auferstehung). Denn wenige Sekunden bevor sein Herz aufhörte zu schlagen, zitierte er laut im Gebet einen Psalm aus dem jüdischen Talmud (Altes Testament), der wie folgt beginnt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Die Evangelien überliefern an dieser Stelle nur diesen einen (Halb)satz. Der Psalm aber geht wie folgt weiter: „ich heule; aber meine Hilfe ist ferne. Mein Gott, des Tages rufe ich, so antwortest du nicht.“ In der „King James Bible“ heißt es: „O my God, I cry in the daytime, but thou hearest not.“ Wer unter den Theologen oder Frommen behauptet, für Jesus sei das alles gar nicht so schlimm gewesen, da er ja von seiner Auferstehung wusste, der irrt gewaltig. Er war ein Mensch, kein Halbgott (das hat die Kirche aus ihm gemacht)! Nichts war klar!

Präsident Biden traf sich in Warschau mit Flüchtlingen aus der Ukraine.jpg

Von Gott und Freunden (!) verlassen! Neben den römischen Soldaten, einer Volksmenge von Schaulustigen und Trauernden, war am Schluss von zwölf (12) Jüngern nur noch einer übrig: Johannes. Judas hatte sich erhängt, Petrus hatte sein Freundschaft zu Jesus geleugnet und war mit den restlichen neun „tapferen Männern“ geflohen. Aber Maria Magdalena, die Hure und Prostituierte, Abschaum der Gesellschaft, war da. Ebenso Maria, die eigene Mutter, und auch die Mutter des Johannes und zwei weiter vertraute Frauen waren da. Und Frauen galten in der damaligen Gesellschaft nichts und null. Von wegen „Männer“ (die hat Herbert Grönemeyer in seinem Lied leider vergessen …)?

Es hat sich schon damals gezeigt, dass Frauen das stärkere Geschlecht sind. Auch derzeit – wo im Osten die Himmelfahrtskommandos unterwegs sind – zeigt in unserem Land eine Frau dem Mann, „wo der Hammer hängt“. Die Leser und Leserinnen mögen meinetwegen anderer Meinung sein, aber für mich ist es unsäglich, dass der deutsche Bundeskanzler (ein Mann) lieber nach Afrika reist, anstatt in die Ukraine. Das spricht Bände ohne Ende!! Für ihn ist es meiner Meinung nach eh zu spät – Annalena Baerbock ist die bessere und wahre Kanzlerin.

Die Fortsetzung übernimmt das „Leben“ …

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Sci-Fi-Graphic Novel

Erstellt von DL-Redaktion am 22. März 2022

Gott ist die Mutter aller Verschwörungstheorien

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Müssten uns die politischen Hasenfüße jetzt nicht ganz lange Nasen zeigen, wenn sie uns erneut etwas von Corona vorbeten?

Von Katharina J. Chichosch

Mit Künstlerkollegen hat der New Yorker Popstar Adam Green eine Sci-Fi-Graphic Novel ersonnen: „Krieg und Paradies“ gibt es nun auf Deutsch.

Nichts ist unangenehmer als die Kunstpause des Comedians nach dem Gag. „Krieg und Paradies“ folgt dem exakt gegenteiligen Prinzip: Keine Pointe ist so gut, dass sie nicht gleich von der nächsten schon wieder überschrieben werden könnte. Auf Entfaltung beim Publikum wird nicht gewartet.

So stürmt man auch über Kalauer lässig hinweg, denn im nächsten Bild könnte schon wieder die nächste Erkenntnis oder zumindest eine lustige Beobachtung lauern. „Eine Seele ist so urig. Ein rustikales Ding, Streitsache der Nerven“, charakterisiert der einfühlsame Sexroboter da zum Beispiel die menschlichen Wesen; und später, durchaus anschlussfähig an aktuelle Diskurse: „Wenn wir sprechen, unterdrücken wir die Stimmen aller anderen.“

Der New Yorker Musiker Adam Green, Willy Wonka der DIY-Art, hat nun nach diversen Alben, Filmen, Malereien und Zeichnungen auch einen Comicband herausgebracht. Die Erzählung schrieb er selbst, stellenweise im Zwiegespräch mit seiner Frau Yasmin, die bei Google künstliche Intelligenzen fürs Aufspüren von Propaganda und Hasskommentaren trainiert und die als Storyline-Autorin genannt wird.

Zwei Zeichner hat sich Green außerdem an die Seite geholt: Toby Goodshank, mit dem er seinerzeit schon bei der Antifolkband Moldy Peaches auf der Bühne stand und später gemeinsam mit dem Schauspieler Macaulay Culkin das temporäre Künstler-Trio Three Man and a Baby bestritt. Als später Tom Bayne hinzustieß, nannte man sich Four Men and a God.

Über vieles lässt sich auf Englisch einfacher schreiben

Ende 2019 wurde das Werk in den USA veröffentlicht, jetzt ist eine deutschsprachige Übersetzung erschienen. Für die zeichnete die Schriftstellerin Ann Cotten verantwortlich, die für das Buch außerdem ein Interview mit den drei Künstlern führte. Und obwohl wirklich gut übersetzt, bleibt das eine ungewohnte Angelegenheit: Über vieles lässt sich halt immer noch einfacher auf Englisch singen oder hier schreiben.

Weg zur Eisenbibliothek 2.jpg

Cottens „polnisches Gendering“, das sie auch in eigenen Texten als experimentelle Form des Genderns verwendet, verleiht dem englischsprachigen Original aber eine zusätzlich kapriziös-versponnene Note, die dann wieder sehr treffend erscheint – so kommen hier „alle für alle Geschlechter nötigen Buchstaben in beliebiger Reihenfolge ans Wortende“.

„Krieg und Paradies“ ist fest verankert im Green’schen Universum. Ein kausal subjektives Konglomerat aus großer Historienerzählung, Videospiel, russischer Literatur, tibetischer Jenseitsvorstellung und US-Konsumkultur. Ein Prequel gewissermaßen zu „Aladdin“, dem 2016 produzierten Film mit seinen komplett selbstgebauten Pappmaschee-Kulissen (für die seinerzeit übrigens Toby Good­shank verantwortlich zeichnete).

In den Hauptrollen agieren unter anderem Pausanias, Regreta, die schöne Königin und Napoleon, „der emphatischste Insex der Welt“; man begegnet einem Rabbi, einem Kriegsheer natürlich und schließlich gar Gott. Es geht um Zeitdehner-Pillen, interspeziestische Begegnungen mit den Insex (gute Liebhaber, aber ohne Liebe), Gangbangs, Krieg, Kunst und Immobilienhandel.

Fliegende NFTs und Genitalien

Eine Göttliche Komödie mit den Mitteln des Comics, ausstaffiert wie ein Computerspiel der Neuzeit, in dem Bitcoin-Channel, Genitalien, NFTs und allerlei anderer Schabernack herumfliegen. Wie der Versuch, das Internet abzuzeichnen und sich einen eigenen Reim drauf zu machen, so sieht das streckenweise aus.

Zwischen Üblichewelt und Jenseits werden Trans- und Posthumanismus, künstliche Intelligenzen, politische und religiöse Ideologien, Kriegs- und Paradiesvorstellungen durchdekliniert. Dabei schafft es Green meist, auch die zeitgenössischsten Phänomene angenehm ihrer Zeitlichkeit zu entledigen.

Ein wenig Jewish Utopia gibt es obendrein noch mit. Mal geht’s in die Jüdische Wildnis, mal zu Rabbi Bagelheart, dem zweitweisesten Mann der Welt, der das namengebende Gebäck als Amulett um den Hals trägt. Natürlich ist alles, wie man das auch in Greens Zeichnungen kennt, streng fragmentiert. Comic-Gliedmaßen aus „Asterix & Obelix“, der US-Fassung von „Sesamstraße“, Super Mario und Garfield treffen auf Geschlechtsteile en masse, die aus Wolken baumeln oder wie Fern- und Sprachrohre aus allerlei Ecken lugen.

Die Handlung schlägt regelmäßig Haken, die Handelnden changieren zwischen Ego und Selbstauflösung. Und so ist, wie Goodshank anmerkt, jeder Liebende am Ende immer ein ganz anderer Mensch als der, mit dem man ursprünglich zusammentraf. „Krieg und Paradies“ hat eine gute, nervöse Grundspannung. Das dürfte nicht nur an Greens gewohnt assoziativer Erzählweise liegen, die der schlafwandlerischen Selbstverständlichkeit einer Traumlogik gleicht.

Gezeichnet im DIY-Stil

Sondern auch an den zahlreichen Sollbruchstellen, die sich durch künstlerische oder schlicht pragmatische Entscheidungen ergeben haben: Gezeichnet wurde mit Bleistiften aus Opa Green’s Staed­ler-Sammlung (mehrere Kisten Stifte haben die Künstler für das Werk verbraucht), sie verleihen den Szenen und Figuren eine handschriftliche, softe DIY-Qualität.

Coloriert wurde dann aber digital – aufwändig genug war das Unterfangen ohnehin, wie die drei Macher im Interview zum Schluss berichten. Wenngleich die handkolorierte Probezeichnung natürlich viel schöner ausschaute.

Schließlich dürfte auch die künstlerische Kollaboration von Green, Goodshank und Bayne einiges gewolltes Knirschen in die Sache gebracht haben. Die handwerklichen Skills des Trios sind nämlich durchaus unterschiedlich gelagert, was man, wenn man beispielsweise Goodshanks Arbeiten kennt, leicht erraten kann: Wo viel Liebe zum Detail gepflegt wird, war er vermutlich am Werk; die „koksigeren“ Zeichnungen, wie Adam Green das selbst nennt, stammen aus seiner Feder.

Bayne schließlich brachte seine Erfahrungen aus Werbe- und Animationsfilm mit ein. Er fertigte die Storyboards der einzelnen Comicpanels und lachte über den übermäßigen Detailreichtum, mit dem einzelne Figuren ausgestattet wurden. Das würde so niemals in einer professionellen Produktion durchgehen, erklärt Bayne, viel zu aufwändig. Aber wenn ein Schritt einmal getan war, ging das Trio nicht mehr zurück, sondern vertraute auf den eigenen Prozess.

Leitmotiv Verschwörungstheorie

Quelle       :     TAZ-online            >>>>>          weiterlesen

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Oben     —     „Hospital Bed“ von Adam Green Acryl auf Leinwand – 36″ x 48″

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Helm auf zum Gebet!

Erstellt von DL-Redaktion am 15. März 2022

Kirchenführer und Ukraine-Krieg

Bundesarchiv B 145 Bild-F002134-0002, Fulda, 7. Deutscher Katholikentag.jpg

Vom Himmel hoch, da kommen wir her

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Johannes Schillo

Wenn Soldaten in den Krieg ziehen, um sich gegenseitig abzuschlachten, darf einer nicht fehlen: der liebe Gott, der den Soldaten Mut macht, die Witwen tröstet und dem Nachwuchs den heldenhaften Weg weist, ins Himmelreich zu gelangen. Die deutsche Amtskirche hat dies zu einer regelrechten Kriegstheologie entwickelt, die etwa 1914 und 1941 flächendeckend zum Einsatz kam. Peter Bürger hat dies in einer 10teiligen Reihe bei Telepolis in Erinnerung gerufen und dabei im Abschlussteil (https://www.heise.de/tp/features/Paderborner-Hirten-unter-Hitler-6312422.html) speziell den Paderborner Erzbischof Lorenz Jaeger gewürdigt – ein ehemaliger Wehrmachtsgeistlicher, der passender Weise im Jahr des „Unternehmens Barbarossa“, des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion, ins Amt kam.

Russland sei nicht auf Christus, sondern „auf Judas gebaut“, predigte Jaeger zur Rechtfertigung dieses Vernichtungskriegs, der selbst beim abgebrühten Bundespräsidenten Steinmeier angesichts seiner Grausamkeit heutzutage äußersten Widerwillen auslöst (siehe Der Faschismus und wir https://www.heise.de/tp/features/Der-Faschismus-und-wir-Alles-bewaeltigt-und-nichts-begriffen-6457375.html). Weiter verkündete Jaeger im Fastenhirtenbrief 1942: „Ist jenes arme unglückliche Land nicht der Tummelplatz von Menschen, die durch ihre Gottfeindlichkeit und durch ihren Christushass fast zu Tieren entartet sind?“ Nach Stalingrad beteiligte er sich am Helden- bzw. Totenkult des Regimes, um dann 1943 im Dom von Fulda vor allen Bischöfen und Tausenden Gläubigen zu predigen: „Deutschland muss leben, auch wenn wir sterben müssten!“

Gott mit uns“

Und heute? Im Westen gibt es eine gewisse Unzufriedenheit darüber, dass diese bewährte Instanz bei der Bestärkung von Kriegsbereitschaft und Todesmut zu wünschen übrig lässt. Speziell „die Ukraine ist enttäuscht über die Reaktion des Papstes“ (FAZ, 26.2.2022). Dass der Papst „alle Beteiligten“ aufgefordert hat, „alles zu unterlassen, was noch mehr Leid über die Bevölkerung bringt, das friedliche Zusammenleben gefährdet und das Völkerrecht diskreditiert“, findet auch der FAZ-Kommentar schwach. Das klingt irgendwie ausgewogen, erinnert an das taktierende Friedensgesäusel, das der damalige Benedikt im Ersten und sein Nachfolger Pius im Zweiten Weltkrieg von sich gaben. Auch im Vatikan ist man sich eben – trotz einem guten Draht nach oben – nie ganz sicher, wie die großen Gemetzel ausgehen, und versucht daher möglichst ausgleichend zwischen den Nationalkirchen zu agieren, um bei Kriegsende für alle da zu sein.

Immerhin wurde von den NATO-Staaten registriert, dass Franziskus das Völkerrecht als Schutzgut ins Spiel brachte. Damit ist möglicher Weise die Bahn geebnet, dass sich die Gesamtkirche doch noch eindeutig der westlichen Verurteilung von „Putins Krieg“ anschließt, also dem Monster im Osten, „das jegliche menschliche Grenzen überschreitet“ (A. Baerbock im Bild-Interview, 9.3.2022), mit einem kräftigen „Apage Satanas“ entgegen tritt und die Waffen der westlichen Wertegemeinschaft segnet. Dann wären klare Verhältnisse hergestellt. Dann wüssten auch deutsche Soldaten, die früher mit der Aufschrift „Gott mit uns“ auf ihrer Gürtelschnalle in den Krieg zogen, dass sie demnächst definitiv auf der Seite der Guten stehen.

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Auch Einer, dem das Geld wichtiger als das Kreuz war.

Für klare Verhältnisse hat – zum Ärger des Westens – das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt, Patriarch Kyrill, gesorgt. Der Mann hat sich getreu der nationalkirchlichen Tradition auf die Seite seines Staates geschlagen. Das soll, so vermelden hiesige Kommentare unfassbar sein. Kyrill, „der mit abstrusen Thesen von sich reden macht und Putins Invasion verteidigt, ja geradezu eine religiöse Rechtfertigung dafür bietet“, sei wohl durch das neue, postkommunistische Regime bestochen (General-Anzeiger, 8.3.2022). „Weil Putin selbst heute als großer Förderer der Kirche gilt, fällt es Priestern und Laien schwer, seinen Krieg als das zu bezeichnen, was er ist: ein Verbrechen.“ Anders kann man sich das anscheinend nicht erklären

Schlimm soll dabei auch sein, dass der amtierende Bergoglio-Papst wegen seines Interesses, mit dem östlichen Kirchenführer eine Art ökumenische Versöhnung hinzukriegen, dem Patriarchen (der zudem noch ziemlich patriarchalische Ansichten vertritt) nicht zu nahe treten will. Da hilft auch nicht der Hinweis, dass fromme Leute eben so kalkulieren, wobei Peter Bürger vermerkt, dass Kyrills Kriegsvoten nicht so „unverstellt-drastisch“ ausgefallen sind „wie die Kriegspropaganda, die in zwei Weltkriegen von deutschen Kanzeln zu hören war“ (siehe https://www.heise.de/tp/features/Kirche-und-Kriegsobrigkeit-6546127.html).

Derselbe GA-Kommentar vom 8.3. bringt es übrigens fertig, dass Unfassbare der russischen Kriegslegitimation gleichzeitig mit einer Erinnerung daran zu verbinden, dass „waffensegnende Priester, die Aggressoren unterstützten“, gar nicht so selten sind und dass etwa der Pacelli-Papst es seinerzeit unterließ, „die Judenverfolgung in Nazi-Deutschland anzuprangern“. „Aber“, so fährt der Kommentar fort, „es gab auch die andere Seite: Oberhirten, die sich gegen Aggressoren und Kriege stellten. Erinnert sei an den Münsteraner Bischof Clemens August Graf von Galen, der die Nazis für ihre Euthanasiemaßnahmen verurteilte.“

Eine Kostprobe aus den Kriegspredigten dieses tapferen Mannes gefällig? Hier ein Auszug aus einem bischöflichen Schreiben Galens vom 14.9.1941, drei Monate nach dem Angriff auf die Sowjetunion (zitiert nach der Pax-Christi-Broschüre „Es droht eine schwarze Wolke – Katholische Kirche und Zweiter Weltkrieg“, Berlin 2015):

„Geliebte Diözesanen! Bei der klaren Erkenntnis der Schlechtigkeit der kommunistischen Lehren … war es für uns die Befreiung von ernster Sorge und eine Erlösung von schwerem Druck, als der Führer und Reichskanzler am 22. Juni 1941 den im Jahre 1939 mit den bolschewistischen Machthabern abgeschlossenen sogenannten ‚Russenpakt‘ als erloschen erklärte … Das deutsche Heer, das an der Küste des Atlantischen Ozeans und an den Ufern des Mittelmeeres die Wacht für Deutschland hält und alle Einbruchsversuche feindlicher Mächte in tapferer Ausdauer abwehrt, ist in unverbrauchter Kampfbereitschaft auch dem bolschewistischen Gegner im Osten entgegengetreten, hat ihn in zahlreichen Schlachten und Gefechten geschlagen und weit in das russische Land zurückgedrängt. Bei Tag und bei Nacht weilen unsere Gedanken bei unseren tapferen Soldaten, steigen unsere Gebete zum Himmel, daß Gottes Beistand auch in Zukunft mit ihnen sei, zu erfolgreicher Abwehr der bolschewistischen Bedrohung von unserem Volk und Land.“

Bischöfe segnen Waffenlieferungen ab

Solche Bischöfe braucht also das Land nach Meinung der Presse, die voll und ganz hinter der Rolle Deutschlands als – zur Zeit noch indirekte – Kriegspartei steht, also hinter einer Partei, die die ukrainische Front mit Waffen vollpumpt, auf dass der heldenhafte Einsatz dieses Frontstaates zum Sieg oder zumindest zu einer ernsthaften Beschädigung der russischen Militärmacht führt. Und siehe da, die katholischen Bischöfe sind wieder zur Stelle, kaum hat der Bundeskanzler eine „Zeitenwende“ ausgerufen, die ein gigantisches Aufrüstungsprogramm herbeiführen und Deutschland zur stärksten Militärmacht des Kontinents machen soll.

Deutsche Militärseelsorger während einer Trauerfeier bei der ISAF.jpg

Sie segnen die Überlebenden  Mörder auch ohne Helm.

Auf ihrer Frühjahrsversammlung am 10.3.2022 (siehe tagesschau.de) haben die katholischen Bischöfe den russischen Angriffskrieg verurteilt und sich uneingeschränkt an die Seite der Ukrainer gestellt. Auch Waffenlieferungen halten sie für gerechtfertigt. „Rüstungslieferungen an die Ukraine, die dazu dienen, dass das angegriffene Land sein völkerrechtlich verbrieftes und auch von der kirchlichen Friedensethik bejahtes Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen kann“, seien „grundsätzlich legitim“, heißt es in einer Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK). Der Krieg in der Ukraine stelle zudem, wie es auf der frommen Versammlung hieß, die christliche Friedensethik auf die Probe. Die katholischen Kirchenführer signalisieren damit (von der EKD gab es übrigens ähnliche Signale), dass sie ihre Friedensethik „überdenken“ müssten.

Man darf gespannt sein, was da noch nachfolgt. Dass militärische Gewalt und deren Befeuerung durch Rüstungsexporte selbstverständliches Mittel der Politik sind, ist ja jetzt schon einmal klargestellt – und das mitten im Atomzeitalter, in dem nach Auffassung der früheren Päpste aus der Zeit des Kalten Kriegs Gewalt überhaupt nicht mehr angewandt werden dürfte, höchsten noch zur Abschreckung, die ja im Grunde Kriegsverhinderung sei. Was muss hier noch überdacht werden? Etwa die grundsätzliche Brandmarkung der Atomwaffen als Massenvernichtungsmittel, die kein christlicher Staatsmann einsetzen darf? Vielleicht fängt man damit an, den Einsatz taktischer Atomwaffen zu überdenken? Zunächst nur auf dem Gefechtsfeld, wo es ja einen Gegner trifft, der jegliche menschliche Grenzen überschreitet“ (Baerbock)?

Der Text ist zuerst im Online-Magazin Telepolis erschienen.

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Oben     —     Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein. 31.8-5.9.1954 76. Deutscher Katholikentag in Fulda Marienlied: v.l.n.r.: Kardinal Wendel, München Erzbischof Jäger, Paderborn Kardinal Griffin, London Erzbischof Berning, Osnabrück

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Die Natur schonen

Erstellt von DL-Redaktion am 11. März 2022

Wir haben nur diese eine Welt

Von ; Jimmy Bulanik

Bereits in der Zeit der Corona Pandemie sind die Preise für alle Bereiche des Lebens gestiegen. Dies betrifft mittels der Lieferproblematik die Weltwirtschaft. Es gibt für alle nur eine Welt.

Darum geht es die Schätze der Natur zu schonen. Sich Zeit nehmen um zu nachzudenken wie alle von uns bewusst konsumieren können. Das was an Verpackung nicht benötigt wird, im Lebensmittelgeschäft lassen beispielsweise.

Bedarfsgerechte Mengen einkaufen. Die Heizung um eine Stufe runter drehen. Europa und die Europäische Union ist ein Raum indem die Kraftfahrzeuge bevorzugt werden.

Vermehrt den öffentlichen Verkehr nutzen. Für jene bei denen welche das Kraftfahrzeug aus geografischen Gründen unverzichtbar ist können Hinweise gegeben werden. Das bilden von Fahrgemeinschaften.

Ein Kraftfahrzeug indem lediglich eine Person sich befindet muss nicht der Fall bleiben. Es kostet keinen Cent bei der Tankstelle den richtigen Reifendruck einzustellen. Während der Fahrt richtig Schalten.

Auch ist es für jene sinnvoll einen Kraftstoff zu verwenden welche eine hohe Oktanzahl zu tanken. Bei Fahrten auf der Autobahn langsamer fahren als zuvor. Dies vermindert den Verbrauch. Die Klimaanlage während der gesamten Fahrt ausgeschaltet zu lassen.

Das vermindert auch die Gefahr von Autounfällen. Ob in der Stadt, auf dem Land oder auf der Autobahn. Kommuniziert proaktiv mit euren MdL, MdB das der öffentliche Verkehr erheblich gefördert werden muss.

Diese Welt teilen wir miteinander

Innerhalb eines Ortes das Fahrrad bevorzugen. Es gibt keine ökologischere Form der Fortbewegung. Das Fahrrad ist geeignet zu sein die Gesundheit eines Menschen zu erheben.

In einer Wohnung können wir eine warme Decke, Wärmflasche verwenden um die Kosten für die Energie im Haushalt zu reduzieren. Gemeinsam in Eintracht sind die Menschen wirkungsvoll.

Die Menschen sind gut beraten sich der Macht des eignen Verbrauches bewusst zu sein. So auch in der Ernährung. Die vegetarische Kost ist gut für die Gesundheit eines jeden Menschen.

Strom für Spiele an der EDV vermeiden. Die Zeit kann auch pädagogisch wertvoll verbracht werden gemeinsam angenehme Lieder zu singen. In einer Gesellschaft ein Buch zirkulieren lassen, worin alle mal lesen und zuhören.

Skulptur Masurenallee 16 (Westend) Sandmann&Thomas Lindner&2019.jpg

Dabei werden die Menschen von negativen Informationen und Reizen verschont. Das fördert die geistige Hygiene. Bekömmlichen Bio und Fairtrade Tee trinken welchen bedingt durch die Wärme den Körper relaxiert.

Die Ressourcen können auch geschont werden, indem die Nutzerinnen und Nutzer des Internet auf einer Webseite wie YouTube die Auflösung von 1080 Pixel auf 480 Pixel reduziert. Die Nutzerinnen und Nutzer von internetfähigen Mobilfunktelefonen die Helligkeit des Display auf die Mitte setzt. Geräte welche an der Steckdose aufgeladen werden müssen, dies in der Schwachlastzeit vorzunehmen.

„Der eigene gute Wille ist eine erneuerbare Energie.“ Jimmy Bulanik

Nützlicher Link im Internet:

Bots – Das weiche Wasser bricht den Stein

www.youtube.com/watch?v=G5Hlqjb26Ug

Deutsche Umwelthilfe e.V.

www.duh.de/home

Greenpeace Deutschland (Hamburg)

www.greenpeace.de

Fridays For Future

fridaysforfuture.de

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Grafikquellen          :

Oben     —   Spiegelung einer Brücke im Canal du Midi in Villeneuve-lès-Béziers, Frankreich

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Unten     —   Skulptur, „‚Sandmann“ von Thomas Lindner, 2019, Masurenallee 16, Berlin-WestendGermany

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GAZA – Wie in einem Grab

Erstellt von DL-Redaktion am 26. Februar 2022

Die Gewalt zwischen Israel und der Hamas lässt nicht nach

Von :   Felix Wellisch, Nils Fricke 

Die Folgen tragen zivile Opfer wie die elfjährige Farah Eslim

„Ich werde nie wieder laufen können“, sei ihr durch den Kopf geschossen, als sie auf der Liege eines Krankenwagens ihr blutiges Bein gesehen habe. Knapp eine Stunde zuvor hatte die elfjährige Farah Eslim in der Wohnung ihrer Familie im Viertel Al Sabra noch neben den Geschwistern im Bett gelegen. Es war kurz nach sechs Uhr an einem Morgen im Mai 2021. Sie hätten gehört, wie ihre Mutter in der Küche das Radio einschaltete – dann schlug eine Rakete ein. Farah wurde zu einem der zivilen Opfer der stets von Neuem wiederkehrenden Gewalt zwischen der israelischen Armee und radikalen palästinensischen Gruppen. Wie viele andere wird das Mädchen an den Folgen ein Leben lang zu tragen haben.

Gut ein dreiviertel Jahr später streift Farah in der Mietwohnung, in der ihre Familie jetzt wohnt, einen weißen Strumpf über den Stumpf des rechten Beins, das kurz unterhalb des Knies aufhört. Darüber zieht sie ihre cremefarbene Prothese und krempelt das Hosenbein herunter. Vor Kurzem war ihr zwölfter Geburtstag. „Am schwierigsten ist es, Treppen zu steigen“, sagt sie und wischt sich die schwarzen Haare aus dem Gesicht. Dann schiebt sie ihren Rollstuhl in die Zimmerecke und geht mit vorsichtigen Schritten in den Flur, wo ihr Vater für einen Spaziergang wartet. Behutsam steigen beide die rohe Betontreppe hinunter. Draußen hakt sich Farah bei ihrem Vater unter und zieht sich ihre Kapuze gegen den kühlen Wind über den Kopf. Bei jedem Schritt kratzt ihr Prothesenbein ein wenig über die Pflastersteine.

Anfang Mai 2021 feuerten die regierende Hamas und andere radikalislamische Gruppen im Gazastreifen innerhalb von elf Tagen mehr als 4.000 Raketen in Richtung des israelischen Staatsgebietes ab. Israels Luftwaffe bombardierte daraufhin über 1.500 Ziele im Gazastreifen. Zurück blieben 250 Tote auf palästinensischer und 13 auf israelischer Seite, die meisten davon Zivilisten. Hinzu kamen Hunderte Verletzte, zerstörte Wohnhäuser und das Leid der Angehörigen, die mit ihrer Trauer zurückbleiben, wenn der Staub der Explosionen sich gelegt hat.

Sie sah nur noch Staub

Farahs Familie lebte zu jener Zeit in einer kleinen Wohnung im obersten Stock eines Hauses im dicht besiedelten Quartier Al Sabra. Am frühen Morgen des 20. Mai 2021, als sie schwer verletzt wurde, erinnert sich Farah, konnte in ihrer Familie wegen der israelischen Luftangriffe nächtelang kaum jemand ein Auge schließen. Farahs Mutter Umm Saad erzählt, dass sie an der Tür der Wohnung saß und angespannt die Radionachrichten hörte. „Als es passierte, habe ich keinen Schmerz gespürt”, so Farah. „Ich sah nur noch Staub und Sand.“ Ihre Mutter berichtet, sie sei von der Wucht der Explosion ins Treppenhaus geschleudert worden, habe sich dann durch Rauch und Trümmer zurück in die Wohnung getastet und ihre Kinder hinausgetragen. Erst als sie beim dritten oder vierten Mal Blut auf dem Boden des Treppenhauses gesehen habe, sei die Angst zu ihr durchgedrungen.

Farahs Vater Hazem arbeitete in der Notaufnahme der größten Klinik von Gaza, dem Al-Schifa-Krankenhaus. Er sei dafür zuständig gewesen, die ankommenden Toten und Verletzten zu registrieren. „Ich kann den Moment nicht vergessen, als ich die Tür des Krankenwagens öffnete – und da saß Farah. Ich bin in meinem Job schlimme Bilder gewöhnt, Leute werden manchmal in Stücken zu uns gebracht“, sagt er, „aber als ich meine eigenen Kinder sah, war ich wie versteinert.“ Mit Farah kamen auch ihre Geschwister ins Krankenhaus, ihr neunjähriger Bruder mit einer schweren Kopfverletzung.

Krieg in Gaza 007 - Flickr - Al Jazeera Deutsch.jpg

Weniger als 24 Stunden später, am 21. Mai, kam die Waffenruhe. Farah hatte Glück: Mit mehreren weiteren Verletzten konnte sie für drei Monate zur Behandlung nach Jordanien, ihre Mutter begleitete sie. Derzeit lernt Farah für ihre Prüfungen in der sechsten Klasse, erzählt sie unterwegs auf einem Spaziergang. „Ich möchte Ärztin werden“, sagt sie. „Deshalb lerne ich und will gute Noten, damit ich in der Türkei studieren kann.“

Häuser werden nicht wieder aufgebaut – das Geld fehlt

Nach wenigen Minuten Fußweg stehen Farah und ihr Vater in einer engen Straße vor dem früheren Zuhause der Familie. Die Häuser sind vier oder fünf Stockwerke hoch. An Wäscheleinen trocknen bunte Kleider. Aus den Fenstern schauen Kinder. Vater Eslim steigt die fünf Stockwerke nach oben und öffnet die alte Wohnungstür. Sie gibt den Blick auf ein Flachdach frei. Nur noch orangefarbene Badfliesen an der Außenwand deuten auf die einstige Wohnung. „Hier in Gaza“, so Eslim, „baut kaum jemand sein Haus wieder auf, weil es sich niemand leisten kann. Die Wohnung war unser ganzer Besitz.“ Den Behörden und Vereinten Nationen zufolge wurden seinerzeit mehr als 1.300 Wohneinheiten vollständig zerstört. Auch sei die Verletzung seiner Tochter bis heute nicht offiziell anerkannt, sagt Hazem Eslim. Fahrten zur Nachsorge müsse er selbst bezahlen und auch die gut 200 Dollar Miete für die neue Wohnung würden nur noch für einige Monate von einer NGO getragen. „Danach weiß ich nicht, wie es weitergehen soll.“

Rund anderthalb Kilometer Luftlinie von Al Sabra entfernt führt die Al-Wahda-Straße vom Al-Schifa-Krankenhaus aus durch den Stadtteil Rimal. Viele Wohnhäuser an der Straße sind acht oder zehn Stockwerke hoch. Den Bewohnern von Gaza-Stadt galt diese Gegend als relativ sicher, weil sie in der Vergangenheit meist von Luftangriffen verschont geblieben war. So wähnten sich auch Riad Aschkantana und seine Frau in keiner großen Gefahr, als sie in der Nacht auf den 16. Mai ihre fünf Kinder ins Bett brachten. Sie hätten die Nachrichten eingeschaltet, als aus der Nachbarschaft erste Explosionen zu hören gewesen seien, erzählt Aschkantana.

Quelle         :           Der Freitag-online          >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —   Gedenkstätte im Stadtteil Sabra in Südbeirut mit einem Plakat zum 27. Jahrestag, 2009

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Unten     —   Ein verzweifeltes Gebäude in Gaza-Stadt

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Das Maß aller Dinge

Erstellt von DL-Redaktion am 17. Februar 2022

Macht über Menschen und die Welt

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Quelle:    Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Darüber hat schon Protagoras (490 – 411 v.u.Z.) nachgedacht und kam zu dem Schluss, dass der Mensch das Maß aller Dinge sei. Wie heute gefiel auch damals dieser Satz einigen nicht, und prompt musste er nach dem Genuss eines Schierlingsbechers sterben.

Seinerzeit war der Mensch geradezu rechtlos den Göttern und dem jeweiligen Herrscher unterworfen. Diese wiederum herrschten einvernehmlich oder im Streit über die Menschen, ohne nach deren Bedürfnisse und Vorstellungen zu fragen. Der Mensch war also schutzlos der Macht und Willkür der Herrscher und/oder Priester ausgesetzt. Im spannungsvollen Verhältnis zwischen Herrscher, Gott und Mensch sah Protagoras aber den Menschen und seine Lebenswelt als das eigentliche Maß an, mit dem alle Entscheidungen im Staatgetroffen werden müssen.

Kurioserweise lebte etwa gleichzeitig im fernen China Konfuzius, der sich auch Gedanken über den Menschen in der Gesellschaft machte. Er tat sich dabei insofern leichter, als Religion in seinem Menschenbild und auch im Staatsgefüge keine durchgreifende Rolle spielte. So postulierte er: “Zwinge niemals anderen auf, was du nicht für dich selbst wählen würdest”, und prägte damit die heute so hochgehaltene „Goldene Regel“, bevor diese im Matthäusevangelium (Mt 7.12) als christliche Weisheit beansprucht und von Kant im kategorischen Imperativ arabesk verschnörkelt wurde.

Heute, sind wir trotz der Zeit der Aufklärung mit Descartes (cogito ergo sum), Montesquieu (Gewaltenteilung), Voltaire (Bildung, Staats- u. Kirchenkritik) und Rousseau (Contrat Social) und nach der französischen Revolution mit der Erklärung der Menschenrechte wieder in autoritären Denk- und Verhaltensweisen verfangen, in denen unsere Demokratie zu versagen droht. Stillschweigend nehmen wir die Kämpfe oder Verabredungen zwischen der Politik, der Religion und der Wirtschaft hin, obwohl deren Ziele und Handlungen oft ganz und gar nicht mit dem Gemeinwohl vereinbar sind.

Cao Dai Tempel Vietnam(2).jpg

Dazu gehört z.B. die US-Kriegspolitik. Und zu dieser verzerrten Situation kommen jetzt auch noch die geopolitischen Verschiebungen mit China als der neuen, zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt nach nur 40 Jahren stürmischer aber wohlkontrollierter Entwicklung, eben nicht mit turbo-kapitalistischen Methoden, sondern gemeinwohlorientiert. China hat noch kein Land mit Krieg bedroht, um es dann wirtschaftlich auszuplündern. Ganz im Gegenteil! Im Geist einer friedlichen Koexistenz und eines gegenseitigen Vorteils hat China weltweit ein neues Seidenstraßensystem gestartet, in dem die Partner gefördert und nicht kapitalistisch unterjocht werden.

Erstaunlicherweise sind es die USA und die gesamte westliche Wirtschaft, die in China zunächst nur einen billigen und zuverlässigen Zulieferer sahen und jetzt ganz erstaunt sind, dass hinter China eine Kultur und ein System stehen, die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erfolg zielstrebig anders realisieren als der westliche Kapitalismus. Das macht dem Westen Angst, und insbesondere für die USA wird aus dem willkommenen Zulieferer der große Feind schlechthin. Die Macht der USA über Menschen und die Welt wandelt sich zusehends in Hilflosigkeit und üble, haltlose Schimpftiraden. Die Goldene Regel wurde eben in China so formuliert, wie wir sie heute noch leben sollten. Das aber scheint dem stolzen Westen inakzeptabel, ja geradezu demütigend.

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