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2014: Das Jahr der Kröten

Erstellt von Gast-Autor am 29. Dezember 2014

Versuch einen Jahresrückblick zu gewinnen

Autor: Wolfgang Blaschka

Rationalgalerie

Datum: 29. Dezember 2014

Wieder einmal rund um die Sonne geeiert, und immer noch ist Merkel da. Wie der Igel vor dem Hasen. Es wird allmählich wie mit Kohl. Sie war da, sie ist da und sie droht noch eine schier endlos bleierne Zeit zu bleiben. Durchsiebt und getränkt von weltweiter Verantwortung und entsprechenden Kriegen und Einmischungen kann ihrer Frisur nichts und niemand etwas anhaben, nicht einmal Drei-Wetter-Taft. Sie sitzt und sitzt und sitzt, die Frisur. Mit ihr die Kanzlerin. Generationen reifen heran, die nichts anderes kennen als sie, die Hassfigur der klammen Südeuropäer, gerade erst wiedergewählt zur CDU-Vorsitzenden mit einheitspartei-verdächtigen 96 Prozent, gefühlt auf Lebenszeit. Man nennt sie auch im Westen ostalgisch Mutti. Sie regiert mit der komfortabelsten Mehrheit, die je ein Regierungschef hatte in der Bundesrepublik Deutschland, und gilt den Anhängern der Christlichen Union als mächtigste Frau der Welt neben der Jungfrau Maria.

Nur noch übertroffen von ihrem großen Bruder wider Willen, der ihre Handy-Gespräche abhören lässt. Der lässt auch bombardieren und Foltergefängnisse nicht schließen, kann mit Drohnen ferntöten und weiß alles über sie und ihr Land, wie es sich für große Brüder geziemt. Eigentlich mag sie ihn nicht, aber sie kennt es nicht anders und weiß sich zu arrangieren mit der Macht. Von klein auf hat sie das gelernt. Und die Deutschen lernen mit ihr mit. Die Presse voran; die Medien fressen ihr aus der Hand. Was sie als Staatsraison verkündet, gilt und wird so getreulich geschrieben wie für die Geschichtsbücher. Das vom politischen Ziehvater verkündete Ende der Geschichte indes hat sie eiskalt überlebt. Fast unmerkelich baut sie ihre Nachfolgerin auf, mit ähnlich stahlhelmartiger Frisur, nur noch eisiger lächelnd und zugegeben besser aussehend. Doch zusehends entgleisen auch deren Gesichtszüge immer öfter, zumal wenn sie hochnotpeinliche Militärgeheimnisse preisgibt, um auf Betteltour um Kampfdrohnen für die Bundeswehr zu gehen. Das ist Kalkül: Man soll den Unterschied zu ihrer Chefin am besten gar nicht merkeln.

Doch genug mit dieser Fixiertheit auf die Mutti aller künftigen Kanzlerinnen! Berlin ist nicht die Hauptstadt der Welt. Noch nicht, wie manche beklagen. Zu gern würden sie wieder aus ihrem Sumpf heraus im Chor mit dem Bundesprediger quaken, doch der scheint den gemeinen Niederungen rechtspopulistischer Unkenrufe entrückt auf seiner Kanzel mit seinem weitschweifenden Blick über die Weltläufte. Er sieht das Land zu Höherem berufen als über Flüchtlinge zu schimpfen. Es brauche deren Zuwanderung, sagt auch die Industrie. Er spricht auch nicht in kryptischen Abkürzungen von der Rettung des Abendlandes, sondern diplomatisch forschen Klartext: Deutschland müsse sich wieder „früher, substanzieller und entschiedener“ ebendort einmischen, wo die Flüchtlinge herkommen. Undiplomatisch gesagt: Die Bundeswehr führt zuwenig Krieg. Gerade hat sie Afghanistan kläglich versiebt, zieht aber auch nicht komplett ab wie vorhersehbar. Kaum ist ISAF offiziell beendet, folgt auf dem Fuße die nächste Ausbildungsmission, bis mindestens 2017. Auch dies dürfte kaum das Ende der Fahnenstange gewesen sein. Doch schon eröffnet sich ein „weit(er)es Feld“ im Osten, quasi direkt vor der Haustür der EU, wie bestellt und gleich abgeholt.

Das Jahr 2014 war neben dem Erstarken des lange Zeit „unterschätzten“ ultra-islamistischen Terror-Kalifats im Irak und in Syrien geprägt von den nationalistischen Aufwallungen in der Ukraine bis hin zum faschistischen Februar-Putsch in Kiew und einem außenpolitischen Paradigmenwechsel gegenüber Russland. Vorbei die Zeiten der Zurückhaltung gegenüber Moskau: Die NATO braucht einen perspektivischen Existenzberechtigungs-Nachweis, und den findet sie vor der Haustür im Wiederauflebenlassen des längst überwunden geglaubten Ost-West-Konflikts im Gerangel um die Ukraine. Wladimir Putins Schmerzgrenzen auszutesten und Russland strategisch einzukreisen ist ja bei solch ebenbürtigem Gegner doch viel spannender als im asymmetrischen Terrorkrieg den Kürzeren zu ziehen. Bei aller diebischen Freude, die nächtliche Hauseinbrüche und Gefangennahmen oder -Erschießungen bereiten mögen, ist doch das Kribbeln im Konflikt mit einer Atommacht viel ergiebiger. Vor „Terror“ oder „Ebola“ hat die heimische Bevölkerung weit weniger Angst als vor „dem Russen“. Damit lässt sich ein Atomwaffen-Modernisierungsprogramm samt einer konventionellen Aufrüstungsspirale sondersgleichen begründen. Man müsse den Russen zuvorkommen, bevor sie stark genug seien, so argumentierten sich die deutschen Militärs vor 100 Jahren in den Ersten Weltkrieg. Heute feuern die Regierungen mit Sanktionen und NATO-Manövern. Das klingt deutlich offensiver als im verwüsteten Syrien dem Terror hinterherzuhecheln, den man selbst gesät hat. Lieber gleich direkt ostwärts Land gewinnen!

Das hat gerade hierzulande Tradition. Seit hundert Jahren, oder wenn man bis zu Napoleons Winterdebakel zurückdenken möchte, seit zweihundert Jahren fürchtet und bewundert man den „Iwan“ im unergründlichen Osten, ob im despotisches Zarenreich oder als Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, immer ging ein faszinierender Schauder aus von dem transkontinentalen Koloss, der als so unbezwingbar wie verlockend galt. Die Furcht schwang immer mit, nicht erst seit Stalingrad, doch wurde sie mit Überheblichkeit und Selbstüberschätzung betäubt und überlistet. Wie wohlig konnte sich der Westmensch gruseln vor Bolschewiken, vor Stalinorgeln, vor Tschernobyl. Das Feindbild sitzt tief. Mongolen und Hunnen kamen auch daher aus dem permafrostigen Osten.

Die deutschen Regierungskreise waren gleich zur Stelle an vorderster Front, als es losging in der Ukraine. Deren Eigenstaatlichkeit war von jeher das Steckenpferd deutscher Generalstäbler gewesen, in beiden Weltkriegen. Diesmal entsandten sie einen smarten Boxweltmeister als ihren Mann, lanciert von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Half wenig, lohnte sich aber trotzdem. Auch wenn die USA den Putsch viel massiver finanzierten, und Vitali Klitschko jetzt nur als Bürgermeister von Kiew statthalten kann, hat Außenminister Steinmeier doch den Fuß drin als Assoziierungs-Partner eines Präsidenten mit dem Revolver unter dem Kopfkissen – offenbar aus Russenangst und Hass auf die „Prorussen“. Jener Steinmeier übrigens, der keine Skrupel hatte, den deutschen Staatsbürger Kurnaz weiterhin im Foltergefängnis von Guantanamo schmoren zu lassen, obwohl die USA ihn freilassen wollten. Diese hartleibige Diplomatie dankt der Russenfresser nun seinerseits mit provokanten NATO-Avancen, die Russland düpieren.

„Tabubruch“ hätte das Format zum Wort des Jahres, nach der „GroKo“ letztes Jahr. Nun werden ganz offiziell Kriegswaffen in Kriegsgebiete exportiert, wo sie letztlich doch ohnehin immer gelandet waren. Diesmal bei den „guten Kurden“ im Nordirak, damit die sich verteidigen können gegen diejenigen, welche sie mit den vorher vom Westen exportierten Waffen massakrieren. So ernährt der Krieg den Krieg, ein lohnendes Geschäft für die zynischen Waffenproduzenten weltweit. Das Jahr 2014 war das Jahr der Kröten: Das Kapital konnte nicht genug davon einsacken, die Bevölkerung musste etliche schlucken, und die hässlichsten Unken aus dem rechten Morast erheben frech ihr Haupt, mühsam getarnt als europäische Patrioten zur Rettung des Abendlandes vor dessen angeblich drohender Islamisierung. Wenn der ehemalige Innenminister Friedrich die Kanzlerin zeiht am Erstarken von PEGIDA mitschuldig zu sein, weil sie angeblich Interessen und „Identität der deutschen Nation“ sozialdemokratischen Themen der „Mitte“ opfere, weiß man, aus welcher nationalistischen Ecke der Wind weht. Fast wäre man geneigt, Frau Merkel in dieser Hinsicht zu entlasten. Tatsächlich nähert sich nämlich die SPD der Union an. Gabriel trommelt inzwischen offen für das Freihandelsabkommen TTIP. Von CETA spricht er gar nicht mehr. Und TISA kennt kaum jemand. Diese Kröten sollen stillschweigend geschluckt werden.

Nicht nur Lokführer und Piloten mussten sich gegen regelrechte Hetzkampagnen der Mainstream-Presse zur Wehr setzen. Immer mehr Menschen sind unzufrieden mit Presse und Fernsehen. Nicht weil ihnen der Tatort nicht gefällt oder sie Gottschalk vermissen, sondern weil sie sich verschaukelt fühlen von offensichtlicher Desinformationspolitik, vor allem was die Ukraine betrifft, aber auch den Gaza-Krieg und die verlogene Gleichsetzung von Israel-Kritik mit „Antisemitismus“. Das stinkt ihnen alles zu sehr nach medialer Kriegspropaganda. Sie kamen und kommen immer noch und wieder zu Montags- bzw. Donnerstags-Mahnwachen für den Frieden, den sie akut gefährdet sehen vor allem durch das systematische Putin-Bashing und das Schüren antirussischer Ressentiments.

Auch wenn sich einzelne dubiose Initiatoren dieser neuen Friedensbewegung mit antisemitischen und rechtspopulistischen Tönen und Thesen gewisse Erfolge für eine Querfront-Politik zu nationalistischen Kreisen versprochen haben sollten, ging ihre Rechnung nicht auf. Mancherorts wurden sie regelrecht vom Platz verwiesen per Abstimmung der Kundgebungsteilnehmer. Nun versuchen Nazis und Hooligans in Köln, „besorgte Bürger“ in Berlin und Dresden mit dem Flüchtlingsthema zu punkten, doch auch dagegen formiert sich Widerstand. Gegen PEGIDA gehen mittlerweile Zehntausende auf die Straße. Man kann also eine Tendenz zur Politisierung wie auch zur Polarisierung in Teilen der Bevölkerung konstatieren. Wie das ausgeht, hängt wesentlich davon ab, wieviel Raum die Zivilgesellschaft dem rechten Rand überlässt. Es gibt hoffnungsvolle Anzeichen: Die Empathie und Hilfsbereitschaft vieler Menschen den Opfern westlicher Kriegs- und Rüstungsexport-Politik gegenüber ist deutlich höher als zu Zeiten der nationalistischen Pogrome anfangs der Neunziger Jahre, immerhin. Auch Steuerflüchtlingen wie Uli Hoeneß schlägt wenig Hass entgegen.

Neben den großen Natur- und Menschheitskatastrophen sowie kulturellen Peinlichkeits-Petitessen wie der Wurstpelle aus Wien ist die Fußball-Weltmeisterschaft schon fast verblasst. Es wurde viel gewaltsam gestorben dieses Jahr. Anonym und zahlreich auf allen Kontinenten. Aber auch prominent und ganz natürlichen Todes: Joachim Fuchsberger, Karlheinz Böhm, Maximilian Schell, Siegfried Lenz, Ralph Giordano, zuletzt Joe Cocker und Udo Jürgens. Das ist traurig. Auch Peter Scholl-Latour, der auf seine alten Tage geläuterte Indochina-Haudegen, musste gehen. Selbst Aldi-Gründer Karl Albrecht konnte als einer der reichsten Deutschen seine achtzehn Milliarden Kröten nicht mitnehmen, als er 94-jährig starb. Das wiederum ist tröstlich.

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Fotoquelle: Wikipedia – Author Lienhard Schulz

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Luftalarm per SMS

Erstellt von Gast-Autor am 1. August 2014

Israel tötet nach Ansage

Autor: Wolfgang Blaschka

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Datum: 30. Juli 2014

Israel verschickt vor schweren Luftangriffen ernstzunehmende Warnungen per SMS oder Telefonanrufe an die Bewohner betroffener Stadtviertel mit der Aufforderung das Haus zu verlassen und anderswo zu warten, bis es in Trümmern liegt. Das ist die neueste Variante israelischer „Sorge“ um die palästinensische Zivilbevölkerung, jener Sorte „Fürsorglichkeit“ des Verbrechers, der vor dem Abdrücken oder Zustechen noch brüllt: „Hau ab, sonst bring‘ ich Dich um“. Selber schuld, wer nicht rechtzeitig das Weite sucht, um sich in Sicherheit zu bringen! Strafmildernd wirkt das nicht, und im Falle des Massakers in Gaza wird aus dem Bombardement von Wohnhäusern, UN-Schulen und Krankenhäusern deshalb nicht weniger als ein einziges großes Kriegsverbrechen, bestehend aus vielen einzelnen. Doch Netanjahu wird nicht in Den Haag erscheinen.

BBC zeigte eine Szene, die erschaudern ließ: Ein junger Mann liegt im Schutt eines Trümmerfelds, getroffen an der Hand. Er erhebt sie hilfesuchend, will sich aufrappeln, und wird durch einen zweiten gezielten Schuss niedergestreckt, offenbar von einem Scharfschützen der stolzen israelischen Armee IDF. Ein glatter Mord, ruchloses Kriegsverbrechen an einem verletzten Zivilisten! „Aber den Schützen hat man doch nicht gesehen. Es könnte doch auch ein Palästinenser gewesen sein; die Hamas macht sowas, die bringen auch ihre eigenen Leute um“, versuchte ein blinder Israel-Verteidiger die schmerzlichen Bilder zu entkräften, ganz vernagelt im missionarischen Ernst seiner Rechtfertigungs-Offensive. Soweit ist es gekommen: Die Opfer sind selber schuld und haben sich selbst umgebracht.

Das glaubt nicht einmal mehr Angela Merkel, die sonst so bedingungslos treue Israel-Unterstützerin. Sie spricht mittlerweile von „überzogenen Maßnahmen“ und „unverhältnismäßigen Militär-Aktionen“. Das will etwas heißen bei ihr. Im diplomatischen Schönsprech ist das nicht weniger als ein Warnschuss vor den Bug, oder in ihrem Fall eher ein Hilferuf: „Halt ein, Bibi, ich kann eure Kriegsführung bald nicht mehr verteidigen“. Es wird an ihrer „Staatsraison“ vermutlich nichts ändern, doch zeigt es ihr Dilemma. Die verhärmte Hartleibigkeit ist derzeit oberste Bürgerpflicht bei allen unkritischen Freunden Israels. Dabei „vergessen“ sie geflissentlich: Mensch ist Mensch. Mord bleibt Mord. Es fällt ihnen nicht leicht, ihre Fahne hochzuhalten, die so besudelt ist. Dennoch tun sie es trotzig provozierend und unbelehrbar. Natürlich nur, um vor einer neuen Welle des „Antisemitismus“ zu warnen. Aus lauteren Motiven sozusagen.

Es gibt ihn tatsächlich, latent und akut, gerade auch in Deutschland. Ein Bodensatz von 25 bis 30 Prozent äußert in Umfragen antisemitische, rassistische Klischees und Ressentiments. Umso wichtiger wäre es ihm den Boden zu entziehen. Stattdessen soll er weggeredet werden mit empörten Sonntagsreden bei gleichzeitiger Rechtfertigung der Gaza-Zerstörung. Selbst der DGB macht da hilflos mit. Doch der Trick will nicht mehr so recht verfangen, jede Kritik, jeden Protest, jede Empörung gegen Israels Kriegs-, Besatzungs-, Blockade- und Siedlungs-Politik wegzuwischen. Der „staatlich verordnete“ Pro-Zionismus läuft immer mehr ins Leere. Die berechtigte Warnung vor Antisemitismus sollte an Israel gerichtet sein: Eure Politik trägt dazu bei ihn wiederzubeleben! Doch was da an Wut und Empörung bei den Palästina-Solidaritätsdemonstrationen erschallt, ist etwas grundlegend anderes als stumpfe Vorurteile oder verstockter Hass auf Juden, ob sie nun hier oder anderswo leben. Es ist ein Schrei nach Frieden, ein Appell an die Vernunft, eine Forderung nach Ende des Gemetzels. Gewiss auch Hass auf Israel.

Dabei geht es nicht um dümmlich-mittelalterliche Verdächtigungen judenfeindlicher Progrom-Schreier, „die Juden“ würden Kinder töten, um daraus Matze zu machen. Es geht um den konkreten Vorwurf, dass Israel wahllos Zivilisten, Frauen und Kinder tötet, um die Hamas „auszurotten“. Dass Israel mit Judentum identifiziert wird, liegt nicht zuletzt am Zentralrat der Juden in Deutschland. Der hat jahrelang die Israel-Kritiker als verkappte „Antisemiten“, notfalls als „jüdische Selbsthasser“ zu diskreditieren und mundtot zu machen versucht. Nun schlagen über dieser absichtsvoll herbeigeredeten Gemengelage die Bomben und Raketen und Mösergranaten der israelischen Streitkräfte ein. Im Rauch der Explosionen wallen die Gemüter auf, und schon erscheinen alle bitteren Anklagen und verzweifelten Klagerufe wie „Judenhass“. Dabei ist es blanke Israel-Verdammung, mit Recht. Der perfide Trick der freiwilligen Hilfswilligen und „Selbstverteidigungs“-Lobbyisten Israels besteht darin, Antizionismus mit Antisemitismus in Eins zu setzen.

Die vorhergehende Warnung soll den Bombenabwurf, die Hauszerstörung, die Erpressung, den Mord ins Recht setzen. Nach einer kurzen Benachrichtigung sei die Zerstörung des definierten Ziels legitim*. Eine Rechtsauffassung, die sich nur Zyniker ausdenken konnten. Der Rechtsbrecher kündigt den Rechtsbruch an, und meint straffrei zu bleiben. Ein kläglicher Versuch, dem unvermeidlichen Vorwurf zu entkommen, welcher allenthalben sich erhebt, und dessen niederschmetternde Botschaft nun tragische, alltägliche Wirklichkeit geworden ist im Schlachtplan der Zionisten: Israel tötet Kinder.

Der Israel-Hass bekommt täglich neue Nahrung aus den Nachrichten über das Morden in Gaza: Bisher über 1260 Tote, über 7000 Verstümmelte, Verkrüppelte, Verwundete. Auf der anderen Seite: Knapp 60 Tote, fast ausschließlich israelische Soldaten, kaum Zivilisten. Das übliche Verhältnis im herzlosen „Body-Count“. Mit jedem Tag werden es mehr, in Hunderterschritten. Jedes Kriegsopfer ist eines zuviel!

Die Hamas-Raketen werden zu großen Teilen abgefangen oder explodieren ungesteuert auf freiem Feld. Die israelischen „Präzisionswaffen!“ radieren treffsicher genau das aus, was die Lebensgrundlage der Menschen im „größten Freiluft-Gefängnis der Welt“ sicherstellen soll: Die Infrastruktur, zuletzt das einzige Kraftwerk im Gazastreifen, dessen Öltanks abfackelten. Es versorgte ein Drittel des Gazastreifens mit Elektrizität, der Rest kommt aus Israel. Damit gibt es nicht nur kaum Strom (schon jetzt nur zwei bis drei Stunden am Tag), sondern auch bald kein Wasser mehr, denn die meisten Brunnen benötigen Strom für die Pumpen. Und auch der Diesel für die Generatoren bleibt zwangsläufig aus, wenn die Tunnel restlos zerstört sind, wie Netanjahu es plant und angekündigt hat. Dann verdurstet Gaza, ähnlich wie 1904 die 30.000 Hereros vor den deutschen „Schutztruppen“ in Namibia. Es riecht verdammt nach Völkermord.

Die „menschliche“ Geste, jemanden vor der Zerstörung seines Eigentums zu warnen, kann als Fortschreibung jener absurden Vorstellung von „humanitärer Aktion“ gelten, mit der Bombenkriege seit dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 bemäntelt und als notwendige „Befreiungs-Intervention“ verkauft werden. Damals wurde mit frecher Ansage die serbische Infrastruktur zerklumpt, wurden Krankenhäuser und Schulen, die chinesische Botschaft und die staatliche Rundfunkstation, Brücken, Bahngleise und Wohnhäuser zu Schutt verarbeitet. Allerdings hatte die NATO noch nicht alle Telefonnummern von Belgrad eingespeichert. Es tönten konventionelle Luftschutzsirenen. Da ist Israel als neuerliche Besatzungsmacht im Gaza-Streifen technisch deutlich weiter mit seinem „Service“. Man lässt der gegnerischen Seite eine Chance, die keine ist. Es gibt so gut wie keine Bunker in Gaza. Wohin sollen die Leute fliehen?! 200.000 Schutzsuchende! Gaza ist dicht, Artilleriefeuer zerfetzt die Flüchtenden. Ganze Straßenzüge lagen übersät mit Leichen. Netanjahu will bis zum endgültigen Sieg über die Hamas so weitermachen, verkündet eine „lang anhaltende Militäraktion“. Kerry mahnt dagegen, die Hamas nicht komplett „auszuschalten“. Denn was aus dem jüngst gesäten Hass erwüchse, könnte noch weit schlimmer werden. Selbst eingefleischte Antideutsche ahnen in diesen Tagen: Israel geht zu weit.

Noch weiter wäre es, wenn bei Drohnen-Exekutionen vorher ein Warnschuss abgegeben würde: Schalten Sie Ihr Handy ein und sprechen Sie letzte Worte. Wir erschießen Sie in zwei Minuten. Bleiben Sie auf Empfang, damit wir Sie gut orten können! Das wird vielleicht noch kommen, bevor sich die israelische Gesellschaft endlich dazu entschließt, sich zu therapieren. Dazu muss Druck von außen kommen, aus Europa, aus Deutschland. So würde die Bundesrepublik ihrer wirklichen historischen Verantwortung tatsächlich gerecht, indem sie diesen Wahnsinn nicht mehr unterstützt, Waren-Importe aus den besetzten Gebieten boykottiert und keine Waffen und U-Boote mehr an Israel liefert und dazu noch aus Steuermitteln subventioniert. Das sinnvollste, was wirkliche Freunde der Israelis tun könnten, wäre zu raten: Israel auf die Couch!

* Das beklagt Yuli Novak, 32, am 28. Juli 2014 in der Süddeutschen Zeitung; sie diente 2000 bis 2005 in der israelischen Luftwaffe, zuletzt als Oberleutnant. Seit 2013 ist sie geschäftsführende Direktorin von „Breaking the Silence“, einem Zusammenschluss regierungskritischer Soldaten.


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Mutti der Kompanie

Erstellt von Gast-Autor am 14. Januar 2014

Bundeswehr soll familienfreundlicher werden

Papi, darf ich auch einmal ein bischen schießen?

Autor: Wolfgang Blaschka

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Datum: 13. Januar 2014

Nachdem sich Mutti Merkel nicht um alles kümmern kann, hat sie leyenweise die Ursula als Dienstherrin über die Bundeswehr delegiert, bevor die dereinst ihre Nachfolgerin werden kann. Nachdem Frau Beimler aus der Lindenstraße nicht mehr als Mutter der Nation zur Verfügung steht, musste anderweitig für Ersatz gesorgt werden. Wer wäre da besser geeignet als die zweite Frau im Staate mit eingebauter wetterfester Stahlhelmfrisur? Den Soldaten und Soldatinnen soll es eine Freude bereiten und ein Pin-Up im Spind wert sein. Endlich bekommen sie einen ordentlichen, familienverträglichen Job mit Gleitzeit, Teilzeit, Elternzeit, mit dreizehntem Monatsgehalt und Weihnachtsgeld, Schlechtwetterzulage und zivileren Umgangsformen vielleicht demnächst sogar. Ein Job wie jeder andere, nur eben besser, gerade für Eltern und solche, die es werden wollen. Vorausgesetzt, sie haben ein Faible für Strampelanzüge in Olivgrün.

Vorbei die Zeiten, als der Spieß die Manschaftsdienstgrade ruppig anraunzen konnte: „Schütze Meyer, Hand vom Sack!“ Künftig könnte es heißen: „Ach, wären Frau Gefreite mal eben so nett, die Munitionskiste nach vorne zu tragen?“ Aber gern doch. „Wenn Sie mir Ihren Helm kurz ausborgen wollten, es regnet. Ich möchte mir ungern meine Frisur ruinieren“. Schon wäre das Arbeitsklima so attraktiv, dass an Schnuppertagen selbst hartgesottene Taliban in die Dienste der Besatzerarmee eintreten würden, sofern neben dem Haarnetz nach der Dienstvorschrift auch ein Bartnetz zulässig wäre. Da wäre Musik drin in der Vision einer durchhumanisierten Armee, die noch dazu mit umweltfreundlichen 3-Liter-Panzern patrouillieren würde, um die kahlen Hochebenen ihrer Besatzungsterritorien nicht zu zerklüften. Kuscheln am Hindukusch! Mit tuffigen Wattebällchen. Zumindest aber mit lustigen Luftballon-Spielen im Tarnnetz auf deutschen Kasernenhöfen.

Soweit ist es noch nicht ganz, aber in diese Richtung sollte es gehen nach dem Willen der siebenfachen Vorzeigemutter, die jetzt die fesche Kriegsministerin gibt. Vorderhand könnte immerhin mehr Standortsicherheit für die Lebensplanung (zumindest bis zum berufsbedingt vorzeitigen Ableben) garantiert werden durch weniger willkürliche Versetzungen, mehr Kinderbetreuung in den Kasernen und eventuell Spielplätze direkt neben dem Exerzierplatz, damit Papi oder Mami die kleinen Bamsen beim Stammstehen besser im Blick haben, und die Kleinen beim Marschieren den Eltern mit Papphelmen hinterherdackeln können. Die Truppenübungsplätze ließen sich zu riesigen Abenteuer-Spielplätzen für Groß und (Oberst) Klein um- und ausbauen.

Tatsächlich ist so etwas ähnliches bereits vorgesehen: Im „Gefechstsübungszentrum“ (GÜZ) in der Colbitz-Letzlinger Heide in der Altmark nahe Magdeburg. Dort entsteht auf einem riesigen Gelände des Rüstungskonzerns Rheinmetall für 100 Millionen Euro derzeit die Phantomstadt „Schnöggersburg“ mit allem, was zu einer Stadt „in Zielgebieten“ dazugehört: Regierungsviertel, Industriegebiet, eine komplette Altstadt, Moscheen und Kirchen, Krankenhäuser, mit einem Elendsviertel und insgesamt 20 km Straßen, U-Bahn, Kanalisation und einem künstlichen Fluss. Sogar ein Autobahn-Teilstück zwischen zwei Ausfahrten wird detailgetreu angelegt mit Verkehrskreiseln und allem Drum und Dran.

Laut Kommandantur soll es eine Modellstadt werden, wie sie „überall auf der Welt stehen könnte“. Künftige Kriege und Aufstandsbekämpfung sollen hier möglichst „realitätsnah“ im gemeinsamen Rollenspiel von Luft- und Bodenmilitärtrupps geübt werden. Soldaten der Bundeswehr-Bodentruppen, die in den Kriegseinsatz gehen, werden an 250 Tagen im Jahr in zweiwöchigen Trainingskursen unter „realistischen Bedingungen“ auf den Häuserkampf vorbereitet. Das Gelände soll zu Übungszwecken auch anderen Armeen der NATO- und EU-Staaten dienen. Da kommt Freude auf in Kinderherzen, auch wenn Kindersoldaten noch nicht direkt im Gefecht mitspielen dürfen. Krieg ist noch längst kein reines Kinderspiel.

Allerdings muss erst die allgemeine Sicherheitslage verbessert werden, das geht natürlich vor. Ursel weiß sich genau den Rat, den ihr Vorgänger noch als 500-Milliarden-Loch hinterließ: Da müssen endlich Aufklärungsdrohnen her. Nur zum Schutz der Soldaten, versteht sich, als Einstieg, das klingt wesentlich menschenfreundlicher als Kampfdrohnen oder gar Killerdrohnen. Die kommen später. Fragt sich nur wozu. Ist der Luftraum über Deutschland so stark gefährdet? Müssen deutsche Kasernen und Schießplätze etwa gegen Feindeinwirkung aus der Luft gesichert werden?

Oder gehört das einfach zur humitären Kriegsführung unter familienfreundlichen Bedingungen, dass der treusorgende Papa während der Überwachung der Hausaufgaben seiner Kinder nebenher am Computer einer afghanischen Familie das Licht ausbläst, die das Pech hat im selben Haus zu wohnen, in dem auch eine als Zielperson zum Abschuss freigegebene „Führungsfigur des Terrors“ residiert? Es könnte auch ein kleines Dorf sein oder eine Hochzeitsgesellschaft, die der Vater ins Visier nimmt, während er dem Sohnemann, der unbedarft fragt: „Krieg ich ein Bonbon?“ Manieren beibringt: „Wie heißt das?!“ Großes Rätselraten. „Das heißt: Humanitäre Aktion ich bitte ein Bonbon!“

Im Endstadium des Projekts könnten die Kinder zur Nachwuchsförderung sogar an die Einsatzorte ins Ausland mitgenommen werden, um frühzeitig ins Militärische hineinzuwachsen und den fertigen Erwachsenen beim Brunnenbauen und Frauenbefreien zuzugucken. Tage der Offenen Tür am Hindukusch mit Dingo-Fahren und Minenausbuddeln wären der Renner. Viele Kinder aus nicht militärischen Elternhäusern würden flehentlich krähen: „Papiii, Mamiii, warum seid ihr nicht beim Bund!?“ Der Fritz von der Soldatenfamilie nebenan hatte letztens seine Mom in die Luft fliegen gesehen. Jetzt ist er der Held im Kindergarten.

Dass es mit der Menschenfreundlichkeit der GroKo im zivilen Sektor noch nicht so ganz klappt, musste die Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) schmerzlich erfahren, als ihr kühner Vorschlag, für Eltern die 32-Stundenwoche einzuführen, pauschal abgebügelt wurde. Immer-noch-Regierungssprecher Steffen Seibert ließ im Namen seiner Chefin kühl ausrichten, sie habe da lediglich einen „persönlichen Debattenbeitrag“ gebracht. Damit war die Diskussion vom Tisch. Wahrscheinlich müssen junge Eltern künftig eben die Uniform anziehen, um optimale Bedingungen für die Nachwuchs-Aufzucht zu genießen. Die Armee als Kinderparadies hätte dann auch weniger Rekrutierungsprobleme. Die Ursel denkt durchaus strategisch.

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Fotoquelle: Wikipedia – Author Lienhard Schulz

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Es darf so weiter gehen, noch weiter

Erstellt von Gast-Autor am 20. September 2013

Erster Überlebenden-Bericht nach der Bayern-Wahl

Autor: Wolfgang Blaschk

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Datum: 19. September 2013

Nach den letzten freien Wahlen gab es im Süden ein graues Erwachen unter bedecktem Himmel, die Menschen wirken teils bedrückt und teils beglückt, aber seltsam entrückt, je nach politischer Präferenz und Schädelweh nach dem schwarzen Abend. Immerhin dreht sich die Erde ungerührt weiter, die Alpen sind anscheinend nicht eingestürzt und die Isar fließt offenbar weiterhin ungehindert nach Norden in die Donau. Noch ahnen die meisten nicht, wie es weiter gehen wird. Sie gehen Einkaufen oder ihrer Arbeit nach, als wäre nichts geschehen. Solange noch am amtlichen Endergebnis gezählt wird (das Kreisverwaltungsreferat blieb ganztägig für den Publikumsverkehr gesperrt am „Day After“), steht auch noch nicht unmittelbar zu befürchten, dass es in den Supermärkten demnächst nur noch regalweise Rosenkränze zu kaufen, beim Bäcker ausschließlich Kreuzsemmeln zu erstehen und auf dem Viktualienmarkt nur noch Heiligenbildchen, Marien-Amulette und Wetterkerzen zu erwerben gibt.

Hamsterkäufe blieben bisher aus. Jedenfalls funktionieren die Ampeln noch und werden wahrscheinlich erst nach und nach durch Ewige Lichter ersetzt. Der Landtag tritt auch erst am 7. Oktober zusammen und wird sich voraussichtlich in Kirchentag umbenennen. Als soziale Komponente werden die Tafeln an Bedürftige ungeweihte Hostien verteilen oder überalterten Messwein ausschenken. Noch lässt es sich frei atmen, bevor der Luft an Verkehrsbrennpunkten Weihrauchduft beigemischt wird. Auch läuteten die Kirchenglocken zur allgemeinen Überraschung nicht den ganzen Tag. Vielleicht ist das nur zur Beruhigung der Bevölkerung gedacht. Aber am nächsten Wochenende wird das Hochamt steigen. Auf der Theresienwiese sind schon riesige Zelte aufgebaut, um dort eine rauschende Messe für die Völkerverständigung zu zelebrieren, oder für das, was die frisch aufgeblasenen Regenten und Blasmusik-Dirigenten dafür halten. Damit wollen sie sich international als weltoffen und liberal präsentieren und nebenbei beweisen, dass es ohne FDP allemal besser geht. Weil das die meisten WählerInnen ebenso sehen, wird es ihnen gelingen, ihre Reputation ins Immense zu steigern und sich als Befreier Bayerns zu präsentieren, schon um argwöhnische Vorbehalte von jenseits der weißblauen Grenzpfähle zu zerstreuen. Der gescheiterte Wahlkonkurrent mit dem Schnauzer wird in seiner verbliebenen Funktion als Oberbürgermeister der Landeshauptstadt dem Immer-noch- und Immer-weiter- Ministerpräsidenten einen überschäumenden Freundschaftstrunk kredenzen, und dabei süffisant lächeln müssen. Im ersten Prosit erstirbt dann der letzte Funke Unwohlsein, und alle Widerstände zerstieben im übergreifenden Vollrausch. An Opposition denkt dabei nur noch, wer mit dem Gegenüber auf der Bierbank anbandeln will.

Mit einem Volksaufstand ist erst ab 20 Uhr zu rechnen, wenn die Festgäste enthemmt auf Bänke und Tische krabbeln, wo sie sich im Schwanken und Schunkeln nur durch wahlloses gegenseitiges Antaschen werden halten können, bevor sie draußen ermattet zusammenbrechen und sich paarweise oder auch solo in die Grünanlagen ergeben. So wird es sein, so soll es sein und so war es bisher immer. Die Bundestagswahl wird darüber von so Manchem vergessen werden, da in den Bierzelten wohlweislich keine Wahlurnen aufgestellt sind. Derweil kann die Staatsregierung schalten und walten, und keiner hat’s gemerkelt.

Rechnet also nicht damit, dass aus dem Freistaat noch etwas anderes zu vernehmen sein wird als die Worte „Maut“ oder „Betreuungsgeld“. Denn irgendwie wollen wir ja alle nur gut betreut sein. Zu mehr sind wir angesichts der bacchantischen Orgie nicht mehr in der Lage nach zwei Wochen überteuerter Bewirtung. Danach ist wohl Schluss mit Lustig, aber das merken wir erst, wenn die Geldbeutel leer, die Leber überreizt und die Kassen der Schaubudenbesitzer und Bierbarone berstend voll sind. Dann wird wieder ein Stück Umverteilung von unten nach Oben realisiert sein, was ja das Ziel der Christlich Sozialen Union ist. Wir werden es wieder einmal aus freien Stücken getan haben. Der allgemeine Wies’n-Zwang steht zwar noch nicht im CSU-Programm, könnte aber noch kommen. Vorderhand drängen noch zuviele Gäste aus dem Ausland auf Anteilnahme an diesen Weltfestspielen der totalen Enthemmung. Die einheimische Bevölkerung zeigt sich (noch) gezwungenermaßen gastlich und vermietet von ihrer Wohnung einzelne Zimmer für 350 Euro pro Tag, um die örtliche Mietpreis-Explosion für sich abzufedern. Nach vierzehn Tagen Beherbergung wohnen sie dann ein paar Monate mietfrei und können sich dazu ein hochpreisigeres Kamptdirndl leisten. Das hellt die allgemeine Stimmung partiell auf.

Die Katerstimmung dürfte früh genug eintreten, wenn klar wird, dass an den Autobahnen Mauthäusl stehen, die jedem ein Pickerl aufzwingen, der kein gültiges Jodeldiplom vorweisen kann, und jeder Wohnwagen akribisch daraufhin untersucht wird, ob er nicht aus Holland stammt. Wo immer die Rauschgifthunde anschlagen, wird gefilzt von strengen Zöllnern in Lodenmänteln. Denn es gilt den bayerischen Hopfenanbau in der Holledau zu fördern und jedes andere Betäubungsmittel als ein nach dem Reinheitsgebot gebrautes Bier von Bayerns Straßen fernzuhalten. Zwei Mass Weißbier sollten auch nach Beckstein weiterhin erlaubt sein. So werden die Südlichter im Dauerdilirium über schlaglochärmere Straßen dahin rollen, während die da oben in Restdeutschland sich nüchtern, aber mautfrei in die Europäische Union integrieren.

Das Süd-Nord-Gefälle wird sich nicht nur geografisch bemerkbar machen, sondern auch politisch wirksam werden. Während in anderen Bundesländern die Armut zunimmt, wächst der Reichtum im Freistaat ins Unermessliche. Millionäre aus Blankenese suchen schon heute ihren Alterswohnsitz am Tegernsee. Die bayerischen Hartz-IV-ler nehmen zwar auch zu, jedoch ebenso an Leibesfülle. Denn fettiges Essen und üppiger Bierkonsum fördern die Cholesterinwerte und führen zu vorzeitigem Ableben. Daher werden die Armen in Bayern bald ausgestorben sein, und übrig bleiben die salatkauenden Reichen. Auch kein schönes Leben, aber gut für den Fiskus. Die Sozialausgaben schrumpfen, und es kann mehr in die Subvention der Luft- und Raumfahrt-Industrie und ins Militär gesteckt werden, vor allem, um die Gebirgsschützen besser auszurüsten, die dann irgendwann die Bundeswehr-Einheiten, welche noch nicht nach Afghanistan oder in noch höhere Gefilde verlegt wurden, endgültig vertreiben, auf dass der Freistaat seinen stolzen Namen schlussendlich doch irgendwie verdient hätte. So oder ähnlich geht anscheinend der Geheimplan, der heute noch als Verschwörungstheorie belächelt werden mag. Doch NSA gibt es auch. Und BSE hatten wir längst.

Ausgeschrieben heißt dieser Rinderwahnsinn nämlich: Bayerische Sonder-Entwicklung. Sie wird nach dem jüngsten Votum ungebremst fortgeführt werden, bis auch das letzte Aktien- und Bankdepot ins weißblaue Steuerparadies eingegangen sein wird. Für diejenigen, die an ihrer ersten Million noch arbeiten müssen, schaut’s dagegen schlecht aus: Sie werden gemäß den CSU-Farben grün und blau geschlagen und müssen sich weiterhin im „Vorhof des Paradieses“ bescheiden als Hausmeister, die den Hof kehren und kleine Brezln backen. Wenn nicht ihr Ofen eh schon aus ist. Dass es dennoch soviele Kamele gibt, die das Nadelöhr gewählt haben, liegt wohl an der fundamental christlichen Erziehung. Sie meinten anscheinend, dass sie da irgendwie eher mit durchkommen, wenn sie den Großkopferten zustimmen und sie gar vor dem Steckenbleiben bewahren. Aber das Gleichnis ging irgendwie anders. Nun ist der Himmel grau in Grau verhangen und ein Lichtblick nicht abzusehen. Blöd gelaufen. Alles andere als bibelfest, dieser Großteil der bayerischen Bevölkerung, der seine Metzger selber gewählt hat! Auch die, die nicht oder absichtlich ungültig gewählt haben, entkommen denen so nicht wirklich, wie man am Ergebnis sieht. Man sollte nicht schlauer sein wollen als es das Wahlgesetz hergibt, sondern den Arsch hochkriegen zum Kämpfen und zum Wählen. Heißt ja nicht zufällig Wahlkampf, könnte auch eine Kampfwahl werden irgendwann. Es sei denn, man fände eine absolute Unions-Mehrheit ganz in Ordnung, weil man ohnedies ausgesorgt hat. Kaum anzunehmen, dass es soviele von der Sorte gibt wie CSU-Stimmen und Enthaltungen zum eigenen Nachteil.

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Fotoquelle:  Die Linke Bayern / Creative Commons Lizens CC BY 2.0.

eigene Fotomontage DL

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