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Prolophobie

Erstellt von DL-Redaktion am 13. März 2015

Die Furcht vor denen da unten

Prolophobie

Die Furcht vor denen da unten

von Benoît Bréville

Am 8. Januar 2015, einen Tag nach dem tödlichen Anschlag auf die Charlie-Hebdo-Redaktion, boykottierten ganze Schulklassen die landesweite Schweigeminute zu Ehren der Opfer. In Frankreich werde die Meinungsfreiheit „mit zweierlei Maß gemessen“, war eine der häufigsten Begründungen der jungen Störenfriede: Warum, fragten sie, reden alle nur über diese Morde und keiner über die vielen Toten des Nahostkonflikts? Warum darf Charlie Hebdo einen Islamheiligen beleidigen, aber der Comedian Dieudonné nicht die Juden schmähen? Die Reaktion von Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem ließ nicht lange auf sich warten. Der Boykott der Schweigeminute sei eine Herausforderung, der man mit pädagogischen Mitteln begegnen müsse.

Eine Woche später kündigte Präsident Hollande an, mit Beginn des neuen Schuljahrs werde im September ein sogenannter Werteunterricht eingeführt. Bestimmt wird auf den entsprechenden Fortbildungen den Lehrkräften dasselbe Argument an die Hand geben, das seit Beginn des Karikaturenstreits von Medien und Politikern ins Feld geführt wird: Der fundamentale Unterschied zwischen einer blasphemischen Zeichnung und antisemitischen Äußerungen sei, dass sich Letztere gegen die Würde von Personen richteten und damit eine strafbare Handlung darstellen. Ob dieses Argument die Zielgruppe überzeugen wird, ist jedoch höchst fraglich.

Hinter dem Fall Dieudonné und den Mohammed-Karikaturen verbirgt sich nämlich ein viel tiefer gehendes Problem. Die Art und Weise, wie der Islam in Frankreich als rückständiger Glaube und „Bedrohung für die Identität unseres Landes“ (laut einer Umfrage der Website Atlantico.fr) öffentlich diffamiert werden kann, wäre bei jeder anderen Religion undenkbar. Dieudonné sei bei jungen Muslimen vor allem deshalb so populär, erklärt der Ethnologe Jean-Loup Amselle, weil er dagegen protestiert, „dass man nahezu ungestraft über Schwarze, Araber und Muslime herziehen könne, es aber fast unmöglich sei […] Juden oder Israel auch nur ansatzweise zu kritisieren, ohne sofort des Antisemitismus bezichtigt zu werden“

Die einen begründen das mit dem Holocaust und dem latenten Antisemitismus, die anderen sehen darin eine aus der Kolonialzeit überlieferte, tief verwurzelte Islamophobie widergespiegelt. Antisemitische Verschwörungstheoretiker wie Thierry Meyssan oder Alain Soral, die zunehmend an Popularität gewinnen, beschwören wiederum den Einfluss einer „jüdischen Lobby“, die den Hass auf den Islam schüre, um westliche Interventionen in der arabischen Welt zu legitimieren.

Bei all ihrer Verschiedenheit beruhen die genannten Deutungsversuche auf jenem ethnokulturellen Ansatz, der nach Abstammung oder Religion unterscheidet („die Juden“, „die Muslime“, „die Araber“ et cetera). Doch hinter dem eingangs kritisierten „Messen nach zweierlei Maß“ verbirgt sich eine ganz andere Komponente, die im Wesentlichen sozial konnotiert ist.

Seit 2 000 Jahren ist jüdisches Leben in Frankreich überliefert. Die erste größere Einwanderungswelle setzte nach den Pogromen im Russischen Zarenreich gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein; und als 1933 in Deutschland die Nazis an die Macht kamen, gingen viele Verfolgte zunächst nach Frankreich ins Exil. Die in der Zwischenkriegszeit eingewanderten Juden lebten oft als Arbeiter, Handwerker oder kleine Händler in Armenvierteln, wo sie dem Antisemitismus ihrer französischen Nachbarn ausgesetzt waren. Häufig hatten die jüdischen Flüchtlinge jedoch einen höheren Bildungsgrad als der Durchschnitt in ihrem Herkunftsland. (Das trifft heute übrigens auch für viele Flüchtlinge aus Afghanistan, Syrien oder Afrika zu.)

Quelle: le monde diplomatique >>>>> weiterlesen

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Karikaturquelle: Wikipedia – Urheber Simon « Gee » Giraudot

Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert.

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Vom Terror gezeichnet

Erstellt von DL-Redaktion am 16. Januar 2015

Debatte Solidarität mit „Charlie Hebdo“

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/en/4/4d/Charliehebdo.jpg

von Daniel Bax

SOLIDARITÄT Wenn es um den Nachdruck der Karikaturen geht, wollen jetzt nicht mehr alle Charlie sein. Das gehört zur Meinungsfreiheit dazu.

Wie schillernd ein Bekenntnis doch sein kann. Als kurz nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris der Slogan „Je suis Charlie“ von so vielen aufgegriffen wurde, da war das ein spontaner Ausdruck der Solidarität mit dem Satireheft, das so brutal angegriffen wurde. Gerade Journalisten und Karikaturisten ging die Ermordung ihrer französischen Kollegen sehr nahe.

Doch die Einigkeit, wie man zu Charlie Hebdo stehen soll, ist spätestens jetzt schon wieder dahin, wo das neue Heft weltweit in Millionenauflage erscheint. Muslimisch geprägte Staaten reagieren darauf mit Kritik und Zensur. Und prominente Medienhäuser selbst in Großbritannien und den USA, etwa die New York Times, zögern, die Karikaturen nachzudrucken, und sehen sich deshalb massiver Kritik ausgesetzt. Jetzt wollen eben nicht mehr alle Charlie sein. Das zu akzeptieren gehört zur Meinungsfreiheit dazu.

Für Zeitungen liegt es zwar nahe, die Karikaturen nachzudrucken, damit sich der interessierte Leser selbst ein Bild machen kann. Eine ganz andere Frage ist aber, ob man sich den Humor von Charlie Hebdo zu eigen machen und seine Karikaturen zu Ikonen der Meinungsfreiheit stilisieren muss. Dass es für Massaker an Karikaturisten oder in jüdischen Supermärkten keinerlei Entschuldigung oder Rechtfertigung gibt, steht völlig außer Frage. Trotzdem kann man mache Zeichnungen aus Charlie Hebdo weiterhin rassistisch, sexistisch oder zumindest ziemlich platt finden.

Der Humor von „Charlie Hebdo“

Quelle: TAZ <<<<< weiterlesen

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Grafikquelle    :    Image of 3 November 2011 cover of Charlie Hebdo, renamed Charia Hebdo („Sharia Hebdo“). The word balloon reads „100 lashes if you don’t die of laughter!“

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Debatte „Je suis Charlie“

Erstellt von DL-Redaktion am 10. Januar 2015

Nein, wir sind nicht „Charlie Hebdo“ …

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/47/Charlie_FIBD2015.JPG

.von Cas Mudde

… und genau das ist das Problem. Ein Vorschlag zur tatsächlichen Meinungsfreiheit

Der tragische Terroranschlag auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo in Paris ist in vieler Hinsicht beängstigend. Obwohl die drei Terroristen noch auf der Flucht sind und bislang ihre Motivation nicht öffentlich dargelegt haben, verdichten sich die Indizien, dass es sich um in Frankreich geborene Muslime handelt, die aus Syrien zurückgekehrt sind (bitte beachten Sie die Ähnlichkeit des Anschlags auf das Jüdische Museum in Brüssel im letzten Jahr).

Wie nach der Ermordung des niederländischen Filmemachers Theo van Gogh 2004 oder nach dem 11. September nutzen Politiker die Anschläge erneut, um sich mit ihrer perfekten Demokratie und freien Gesellschaft zu brüsten und zu betonen, dass der Terror natürlich nichts mit dem Islam zu tun habe, sondern nur mit kranken Individuen, die die Religion als Entschuldigung für ihre extremen Ideen instrumentalisieren. Bürger posten in den sozialen Medien Solidaritätsbekundungen mit Charlie Hebdo, bevor sie sich von einem Video mit einem Wasserski fahrenden Eichhörnchen oder einer Klavier spielenden Katze ablenken lassen. Auf diese Weise werden auch sie zum Opfer des Tages.

Facebook und Twitter quellen über mit Statements wie „Je suis Charlie“ (Ich bin Charlie) und „Wir alle sind Charlie“. Nein, leider sind wir das nicht. Von ein paar wenigen Ausnahmen abgesehen, sind wir nicht Charlie. Genau das ist das Problem. Lassen Sie mich drei Gründe nennen, warum die meisten von uns nicht Charlie sind.

Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen

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Fotoquelle    :    Angoulême International Comics Festival 2015.

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