DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Archiv für die 'Bildung' Kategorie

DIE * WOCHE

Erstellt von DL-Redaktion am 31. Juli 2023

Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1b/Die-Woche.png?uselang=de

Kolumne von Friedrich Küppersbusch

Spanien-Wahl, Barbie. Deutschland diskutiert über die Brandmauer, Musk zerstört Twitter. Und Geld wiegt in den Fällen Özil und Kanye West schwerer als Moral und ein Hauch Selbstherrlichkeit.

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Feuer an Bord.

Was wird besser in dieser?

PR gegen E-Autos.

CDU-Chef Friedrich Merz klettert über die Brandmauer und sagt, auf kommunaler Ebene komme man um eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht herum. Hat es denn jemals eine Brandmauer gegeben?

„Wenn der AfD-Landrat den CDU-Bürgermeister anruft, geht der ans Telefon. Wenn der CDU-Bürgermeister was will, organisiert er eine Mehrheit ohne AfD.“ Wie man diese simple Bastelanleitung so verstolpern kann wie Merz, gemahnt an die staksige Unbeholfenheit, mit der Bundespräsident Horst Köhler sich interviewförmig abschaffte. Merz’ für einen 67-Jährigen erfrischende Präpotenz ist selbstgefährdend. Im Unterdeck der Demokratie, wo es um Straßenbeleuchtung, Zebrastreifen und Schulwegsicherheit geht, verwischen die Grenzen. Wenn die AfD merkt, dass es regnet, sollte die CDU nicht Sonnenschein behaupten. Einfach schneller merken, wenn’s regnet.

Der große Sieg der Rechten bei den Parlamentswahlen in Spanien ist ausgeblieben. Wurde ein zweites Italien gerade noch abgewendet?

In Spanien gibt es bereits Regionalregierungen aus der Konservativen und der Rechtspopulistischen Partei, hier also PP und VOX. Wo in Deutschland die CDU noch tollpatscht, wusste Spanien Bescheid. Hinzu kommen die schwer vergleichbaren Unabhängigkeitsbestrebungen der Basken und Katalanen. Die sind regional-nationalistisch und eben drum befeindet mit den nationalen Nationalisten. Verwirrend genug.

Aus Twitter wird X. Wie unattraktiv kann die Plattform noch werden?

Musk ist jetzt ein halber Schtonk. Charly Chaplins „großer Diktator“ führte zwei X im Schilde, so Hakenkreuz wie zugleich Autogramm eines Analphabeten. Ein Hauch von Selbstherrlichkeit, die Welt nach Gusto umbenennen zu können. Das weist den Weg zur endlichen Selbstzerstörung. In Musks Aktionen wird zunehmend der Wunsch nach religiöser Jüngerschaft ruchbar. Das sind dann deutlich weniger Leute als arglose Nutzer eines Microblogging-Dienstes, der mit seinen maximal 240 Zeichen auch schon eine kleine Vorauswahl unter den Freunden unterkomplexen Denkens trifft.

„Barbie“ oder „Oppenheimer“?

Ein trauriger Moment im Springer-Konzern, der 1952 die „Bild-Lilly“ erfand und 1964 an den Mattel-Konzern verkaufte. Daraus wurde eben „Barbie“, und so war es ein nachhaltiger Schlag gegen den Kinderverderber-Standort Deutschland. Einen Film über diese Historie würde ich gern sehen. Bis dahin: Oppenheimer.

Ex-Nationalspieler Mesut Özil zeigt sich auf Instagram mit einem Graue-Wölfe-Tattoo. Sogleich entfacht er eine Debatte über türkischen Faschismus. Können wir Özil dankbar sein?

Özils erster Club Rot-Weiss Essen kassierte längs seiner Karriere rund 700.000 Euro „Ausbildungsvergütungen“ bei jedem bezahlten Transfer des Spielers. Diese Woche feiert sich ein Mitarbeiter der Stadt Essen bei „Facebook“ mit einem Foto, auf dem zu sehen ist, wie er ein Özil-Foto im Nachwuchszentrum des Vereins moralisch tief erschüttert abhängt. Da hat keiner etwas falsch gemacht, und am Ende kommt dabei heraus: Wäre man Özil, fühlte man sich bestätigt.

Nach der Trennung von Kan­ye West verkauft Adidas seine „Yeezys“ besser als erwartet. Ist moralischer Konsum eine Utopie?

Klassisch gliedert sich Produktwerbung in die Kategorien „bewährt“ oder „neu“. Inzwischen grassiert als Metakategorie „scheißegal, aber die Haltung stimmt“. Man soll den Plunder kaufen, weil zum Beispiel Adidas mit einem streetcrediblen Rapper Kippe macht. Dann soll man sie kaufen, weil sie den als Antisemiten rausschmeißen. Dann, weil sie von jedem verkauften Antisemitenschuh ein Almosen für gute Zwecke abzweigen. Das ist sehr verwirrend und lenkt davon ab, dass Geld, im Gegensatz zu Plastikschuhen, nicht stinkt. Aus Sicht von Adidas.

Die Frauen gewinnen ihr erstes WM-Spiel gegen Marokko mit 6:0. Wird der Erfolg anhalten?

Quelle         :        TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Bearbeitung durch User: Denis_Apel –

Lizenz “Creative Commons“ „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen“

Abgelegt unter Bildung, Feuilleton, International, Positionen | Keine Kommentare »

Trotz Millionenbudget:

Erstellt von DL-Redaktion am 25. Juli 2023

EU-Rat scheitert an sicheren Videokonferenzen

undefined

Ist Politik der Ort an dem  leere Köpfe besser schweigen ?

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Von              :         

Nach Ausbruch der Coronapandemie beschlossen die EU-Staaten, ein Videokonferenzsystem für Top-Secret-Treffen anzuschaffen. Doch auch ein Jahr nach dem geplanten Start lässt das System weiter auf sich warten. Zu den Gründen schweigt der Rat.

Es stecken bereits mehrere Jahre Arbeit und ein Millionenbudget drin – und dennoch scheitert der Rat der EU-Staaten bislang an dem Versuch, ein sicheres System für Videokonferenzen einzurichten. Das neue System sollte für Besprechungen dienen, deren Inhalte den Sicherheitsstufen „Secret“ und „Top Secret“ unterliegen. Doch das System ist weiterhin nicht einsatzfähig. Das geht aus einem Dokument hervor, das der Rat infolge einer Informationsfreiheitsanfrage von netzpolitik.org unter teilweisen Schwärzungen veröffentlichte.

Die Einrichtung eines sicheren Videokonferenzsystems beschlossen die EU-Staaten im September 2020, nur wenige Monate, nachdem die Coronapandemie ausgebrochen war. Ein vertraulicher EU-Bericht hatte damals „dringende Verbesserungen“ bei der Kommunikationsinfrastruktur gefordert.

In der ersten Pandemiewelle waren physische Treffen zumeist nicht möglich. Die EU-Diplomaten griffen daraufhin vielfach auf kommerzielle Anbieter wie Zoom oder WhatsApp zurück. Diese waren mitunter nur ungenügend abgesichert. Besonders peinlich war ein Vorfall im Winter 2020, als ein niederländischer Journalist uneingeladen in ein Treffen der EU-Verteidigungsminister platzte.

Für Besprechungen auf der höchsten Sicherheitsstufe reiche die vorhandene Infrastruktur des Rates nicht aus, hieß es in einem Schreiben des Rates an die Mitgliedstaaten vom Januar 2021. Zwar könne EU-Ratspräsident Charles Michel mit US-Präsident Joe Biden Videotelefonate auf dem Sicherheitslevel „Secret“ führen. Mit den eigenen Staats- und Regierungschefs in Europa sei dies jedoch nicht möglich.

Der Rat gab daraufhin grünes Licht für ein Budget von 2,4 Millionen Euro, um ein sicheres Videokonferenzsystem einzurichten. Weitere 400.000 Euro im Jahr sollte der laufende Betrieb kosten.

Inbetriebnahme war vor einem Jahr geplant

Die Planung sah eine Einrichtungsphase von 18 Monaten vor; der Start sollte im Sommer 2022 sein, ist bislang aber nicht erfolgt. Ob es überhaupt noch dazu kommt, ist aktuell unklar. Auch eine von uns befragte EU-Beamtin, die sich nicht namentlich zitieren lassen wollte, kann keine Angaben dazu machen, wann das System einsatzfähig sein wird: „Der Zeitplan für das Projekt hängt von einer Reihe von Faktoren ab, die derzeit in den Vorbereitungsgremien des Rates erörtert werden.“

Offiziell will sich der Rat nicht zu dem System äußern. Unsere Fragen lässt die Presseabteilung unbeantwortet. Wir wollten unter anderem wissen, wie viel das Projekt bislang tatsächlich gekostet hat, welche Firmen beauftragt wurden und woran es bei der Umsetzung hakt.

Aufschluss darüber geben könnte die vollständige Version des eingangs erwähnten Dokuments. Darin heißt es unter dem Punkt „Planungsupdate und Budget“, das Sekretariat des Rates bemühe sich um „das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis für die Mitgliedstaaten der EU“ – also die ordnungsgemäße Verwendung von Steuergeld. Warum das Projekt bislang nicht klappt und ob es dabei eventuell zu Planungsfehlern kam, geht aus der geschwärzten Fassung nicht hervor. Die ungeschwärzte Fassung hält der Rat unter Verschluss – und beruft sich dabei auf den Schutz der öffentlichen Sicherheit.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

*********************************************************

Grafikquellen     :

Oben           —     TANDBERG T3 Telepresence high definition conference room; c. 2008.

Abgelegt unter Bildung, Europa, Politik und Netz, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Katastrophe mit Ansage

Erstellt von DL-Redaktion am 22. Juli 2023

Vernachlässigte Grundschulen

So wie die Alten sungen – so zwitschern auch die Jungen

Von Anja Bensinger-Stolze

Jedes vierte Kind in Deutschland kann am Ende der Grundschulzeit nicht richtig lesen – Tendenz steigend. Und: Die sozialen Unterschiede bei der Lesekompetenz sind seit 20 Jahren unverändert. Das sind die zentralen und skandalösen Ergebnisse der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU 2021).[1] Bereits bei der IGLU-Erhebung vor fünf Jahren war der Anteil der Kinder, die nicht ausreichend lesen können, mit 19 Prozent viel zu hoch. Die aktuellen Zahlen lassen jedoch alle Alarmglocken schrillen: Lesekompetenz ist die wichtigste Grundlage für eine erfolgreiche Schullaufbahn der Kinder sowie für deren spätere Berufs-, Lebens- und Teilhabechancen. Deutschland steuert auf ein gigantisches gesellschaftliches Problem zu, wenn ein Viertel der jungen Menschen nicht mehr Fuß fassen kann.

Die Schulleistungsstudie IGLU untersucht die Lesekompetenz von Schüler:innen der vierten Jahrgangsstufe. Im Fokus stehen dabei nicht die individuellen Leistungen der einzelnen Schüler:innen, sondern die Frage, wie leistungsfähig die jeweiligen Bildungssysteme im internationalen Vergleich sind. Die nun vorliegenden Ergebnisse beruhen auf der IGLU-Studie 2021, Deutschland nahm zum fünften Mal daran teil. Somit können Veränderungen der Leseleistung von Schüler:innen über einen Zeitraum von 20 Jahren beschrieben werden. Dabei zeigt sich, dass sich hierzulande der Anteil der leseschwachen Kinder signifikant vergrößert und der Anteil der leistungsstarken abgenommen hat.

Weitere zentrale Befunde der Untersuchung sind, dass die dabei wirkmächtigen sozialen und migrationsbedingten Disparitäten in Deutschland seit 2001 nicht reduziert werden konnten. In 20 Jahren hat sich im Hinblick auf die Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit in Deutschland praktisch nichts verändert. So sind die Leseleistungsvorsprünge von Schüler:innen aus sozial privilegierten Familien gegenüber jenen aus weniger privilegierten Familien sehr stark ausgeprägt. Erschreckend ist überdies der (erneute) Befund, dass Kinder von an- und ungelernten Arbeiter:innen deutlich höhere Leistungen erbringen müssen, um eine Gymnasialempfehlung zu erhalten.

Ebenso sind die Leseleistungsvorsprünge derjenigen Schüler:innen, die zu Hause in der Regel Deutsch sprechen, stark ausgeprägt – und zwar stärker als in den OECD-Staaten mit Blick auf die jeweilige Landessprache. Die hiesigen Leseleistungsunterschiede zwischen den Schüler:innen mit und ohne Migrationshintergrund lassen sich eindeutig mit der Sprache und dem sozialen Status der Familie erklären. Auch die geschlechtsspezifischen Unterschiede sind – nachdem sie sich in den letzten Jahren zugunsten der Jungen leicht verbessert hatten –, wieder auf das Niveau von 2001 gefallen.

Die verheerenden IGLU-Ergebnisse werden durch weitere Studien bestätigt. Auch im IQB-Bildungstrend 2021 vom vergangenen Oktober[2] wurde deutlich, dass fast 20 Prozent der Kinder am Ende der vierten Jahrgangsstufe den Mindeststandard im Lesen nicht erreichen. Die IQB-Studie wurde bereits dreimal (2011, 2016 und 2021) durchgeführt, sodass ein Vergleich über zehn Jahre gezogen werden kann. Dabei zeigen sich in allen Testbereichen signifikant negative Trends. Ob beim Lesen oder Zuhören, bei Orthografie oder Mathematik: Der Anteil von Kindern, die den Mindeststandard verfehlen, hat sich erhöht.

Ebenso besorgniserregend ist die im März 2023 erschienene bildungsstatistische Analyse von Klaus Klemm „Jugendliche ohne Hauptschulabschluss“.[3] In den vergangenen zehn Jahren hat sich deren Quote kaum verändert: von 6,1 Prozent 2011 auf 6,2 Prozent im Jahr 2021. Sprich: Jedes Jahr verlassen über 47 000 Jugendliche ohne Abschluss die Schule. Diese Quote halbieren zu wollen, war das schon 2008 auf dem Bildungsgipfel der damaligen Kanzlerin Angela Merkel erklärte Ziel von Bund und Ländern. Doch auch von diesem entfernt sich das deutsche Schulwesen weiterhin.

Klemms Analyse zeigt zudem, dass ein Großteil der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss aus Förderschulen kommt. Diese Schulen sehen häufig gar keinen Schulabschluss vor, und es gibt noch immer viel zu viele von ihnen.[4] Deshalb ist es besonders wichtig, dass wir das Bildungssystem inklusiver gestalten, um nicht weiterhin so viele Bildungsverlierer:innen aus den Schulen zu entlassen.

Alle drei hier zitierten Studien und Analysen umfassen mindestens zehn Jahre – das spricht gegen das derzeit häufig von den politischen Verantwortlichen ins Feld geführte Argument, die aktuellen Missstände seien auf die Coronakrise zurückzuführen. Die Pandemie hat die Lage zwar verschärft, aber die Ursachen für die Misere an den Grundschulen liegen tiefer.

Dramatisch unterfinanziert, zu wenig Personal

Das gesamte Bildungssystem in der Bundesrepublik ist seit Jahrzehnten dramatisch unterfinanziert. In allen Bildungsbereichen, insbesondere in Kindertagesstätten und Schulen, herrscht ein riesiger Personalmangel. Darüber hinaus hat die Politik gerade die Grundschulen in den vergangenen Jahren vernachlässigt. Sie wog sich dabei in trügerischer Sicherheit. Denn die Grundschulkinder erzielten bis in die 2010er Jahre hinein durchaus gute Ergebnisse, während der PISA-Schock 2001 eher die Missstände in der Sekundarstufe I in den Fokus rückte: Die 15jährigen hatten bei der internationalen Schulstudie deutlich schlechter abgeschnitten als erwartet. Grundschullehrkräfte wurden indessen weiterhin schlechter bezahlt als Lehrer:innen an anderen Schularten. Und auch an der Ausstattung und Sanierung der Schulen wurde gespart. Ein Numerus clausus für das Grundschullehramt an vielen Hochschulen verknappte zusätzlich das Angebot an Anwärter:innen für den Beruf. Die Folge: Immer weniger junge Menschen wollten an dieser Schulart unterrichten, seit Jahren können weit über tausend Leitungsstellen an Grundschulen nicht besetzt werden. An keiner anderen Schulart ist der Lehrkräftemangel so dramatisch wie an den Grundschulen. Doch für einen qualitativ hochwertigen Leseunterricht, der nicht nur die basalen Leseleistungen unterstützt, sondern auch Lesestrategien beinhaltet, bedarf es einer guten Unterrichts- und Schulentwicklung und dafür deutlich mehr Zeit für die Kinder und gut ausgebildete Pädagog:innen.

Quelle         :           Blätter-online          >>>>>          weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —       séance au parlement allemand

Abgelegt unter Bildung, Deutschland, Medien, P.CDU / CSU, Positionen | Keine Kommentare »

Slow Thinking

Erstellt von DL-Redaktion am 19. Juli 2023

Plädoyer für eine Ökologie des Denkens

Ein Schlagloch von Georg Seeßlen

Denken ist eine natürliche, jedoch bedrohte Ressource – manipuliert, eingeschränkt, durch Meinung ersetzt. Wer eine Meinung hat, braucht sich mit dem Denken nicht mehr lange aufzuhalten.

Man könnte ja einmal – es ist schließlich Ferienzeit, man hat etwas Zeit – die Behauptung aufstellen, das Denken gehöre zur menschlichen Natur. Dazu wiederum gehöre, logisch, auch Denken über das Denken. Was zur Hölle ist eigentlich dieses Denken, von dem wir gerade argwöhnen, es könne uns von Maschinen abgenommen werden?

Allgemein gilt als Denken eine besondere Art von Informationsverarbeitung, die in einem menschlichen Gehirn stattfindet, das sich in einem menschlichen Körper befindet, der sich wiederum sowohl in einer Biografie als auch in einer Gesellschaft bewegt, die sich wiederum aus zahlreichen Biografien und Körpern mit Gehirnen zusammensetzt, die sich gelegentlich mit dem Gedanken tragen, Denken zu riskieren. Schließlich hat man noch dieses „Ich denke, also bin ich“ im Kopf, und wer, bitte schön, möchte denn nicht sein? Irgendwie. Intelligenz wäre dann die Fähigkeit, das Denken zu praktizieren (oder es taktisch sein zu lassen) und ihm zugleich Struktur, Wert und Bedeutung zu geben. Ist Denken Arbeit, Spiel, Lust, Pflicht (sogar Zwang), Talent oder Disziplin? Und wer kann, will, soll, muss, darf und wird denken? Man hat noch gar nicht angefangen mit dem Denken, schon wird es einem unheimlich.

Das Problem mit dem Denken ist, dass es anstrengend sein kann. Außerdem weiß man nie so recht, wohin es führt. Deswegen machte sich, als der erste Mensch mit dem leidigen Denken anfing, der zweite vermutlich sogleich Gedanken darüber, wie man dieses Denken kontrollieren, beeinflussen, begrenzen und möglicherweise sogar ausnutzen kann. Mit dem Denken kommt die Unruhe in die Welt. Wenn es nicht irgendwas mit Sex zu tun hat, dann hat es wohl mit dem Denken zu tun, dass die Menschen aus dem Paradies vertrieben wurden. Vielleicht gibt es sogar eine dialektische Beziehung zwischen beidem; dem Denken und dem Sex. Was aber übrig blieb, nach der Vertreibung aus dem Paradies, war die Arbeit. Das menschliche Denken wurde somit zur Arbeit, mit Konkurrenz, Entfremdung, Ausbeutung, Profit, Karriere, Gewalt, also das Gegenteil von Freiheit. Herrschaft bedeutet, alles Denken auf ein Ziel richten zu können, Macht bedeutet, Denken im eigenen Interesse regulieren und manipulieren zu können. Dazu gehört nicht zuletzt, Denken zum Privileg zu machen. Früher, als bekanntlich doch nicht alles besser war, behauptete in aller Regel eine schmale Schicht – meist männlich, weiß, alt und „vermögend“ – dass das Denken vernünftigerweise ausschließlich in diesem Kreis stattzufinden habe. Sklaven, Frauen, Kinder, Fremde, Proleten und Habenichtse seien prinzipiell zum Denken unfähig. Fingen sie doch an zu denken, müsse man es ihnen mit möglichst drastischen Mitteln austreiben. So einfach ist das heute natürlich nicht mehr. Aber: Ist das Denken wirklich demokratisiert? Oder gibt es immer noch Szenen, Milieus, Strukturen etc., die den einen das Denken zuordnen und den anderen absprechen?

Gedacht – wer schalten denn in der Politik immer die Birne aus ?

Der Widerspruch zwischen Denken und Macht ist unauflöslich. Wo gedacht wird, kann nicht unbegrenzt geherrscht, ausgebeutet, betrogen, vernichtet werden. Die Grundlage von Macht ist die Fähigkeit, sich das Denken untertan zu machen. Heißt: das Nutzbringende zu verwenden, das Störende abzuschaffen. (Aha, denkt man gleich: Daher weht der KI-Wind!) Zur Abschaffung des Denkens dienen vornehmlich drei Instrumente: Gewalt (Zensur und Gefängnis), Lebensweise (man muss sich nicht zu Tode arbeiten oder amüsieren, es genügt, zu müde zum Denken zu sein) und Ideologie. Letztere organisiert das tief sitzende und auch nicht wirklich grundlose Misstrauen gegen das Denken. Entfernt es sich nicht vom richtigen Leben? Ist es nicht „kalt“ und „abstrakt“? Erzeugt es nicht immer wieder aus der Avantgarde die Elite, und sei es in Form akademischer Fundamental-Schnösel, die nicht müde werden zu erklären, dass das Denken außerhalb des Campus tunlichst zu unterlassen sei? Denken muss man sich leisten können, so fängt das an.

Mit der exponentiellen Vermehrung des Wissens muss sich wohl oder übel auch das Denken beschleunigen. So sehr, dass es schließlich nur noch von Spezialisten bewerkstelligt werden kann, denen man den Namen „Experten“ gibt. Ein Intellektueller ist ein Mensch, der seine Mitmenschen zum Denken anregen will; ein Experte ist ein Mensch, der seinen Mitmenschen das Denken abzunehmen verspricht. Dass unsere Kultur die Experten liebt und die Intellektuellen hasst, bedeutet also … kann man mal drüber nachdenken.

Quelle         :        TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen     :

Oben           —       This is an educational image that I created for my classroom to remind them about the writing process.

Abgelegt unter Bildung, Feuilleton, International, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Die progressive Regierung

Erstellt von DL-Redaktion am 3. Juli 2023

Konfliktlinien und ihre Zuspitzung

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von       :        Jonathan Eibisch

Eine umfassende Gesellschaftstransformation. In der letzten Zeit kam es zur Remilitarisierung, zur Verschlimmerung des Asylstatus und Prekarisierung der Lebensverhältnisse. Das geschah unter einer „progressiven“ Regierung, nicht gegen sie, sondern durch sie.

Dennoch zeigt sich zu Beispiel beim Heizungsgesetz, dass die in die Regierungspolitik eingebauten Klimaschutzbestrebungen auf massiven Gegenwind des konservativen Bürgertums stossen, welche die Wahrung von Besitzstandsinteressen setzen – und dazu auch den ärmeren Bevölkerungsgruppen Angst davor machen, dass es ihnen jetzt an die Heizung ginge. Klar, man könnte auch den Verkehr, die Transportwege, die Industrie oder Landwirtschaft nach ökologischen Gesichtspunkten umgestalten. Insofern ist das Ansetzen bei den Privatbürger*innen eine Verlagerung des Problems. Zugleich wäre die Verringerung des Gas-, Strom- und Wärmebedarfs langfristig nicht alleine aus ökologischen, sondern ebenso aus sozialen Gründen ein Gewinn für viele.

Doch in der Bundespolitik wird diese Reformmassnahme zu einem unglaublichen Einschnitt aufgebauscht, obwohl er dem notwendigen Erneuerungsbedarf ja ohnehin nur ansatzweise entspricht. Schuld daran sind diesmal nicht die Partei-Grünen, sondern das Besitzbürgertum, dessen Vertreter*innen sich massiv gegen Reformen stemmen. Doch wenn heute nicht umgesteuert wird bedeutet dies, dass fossile Energieträger über weitere Jahrzehnte aus der Erde gegraben und verheizt werden. Und dies zu einem Zeitpunkt, wo der ganze Kram komplett im Boden bleiben müsste, um noch ein Abmildern der Auswirkungen des Klimawandels zu ermöglichen. Deswegen lässt sich eine lebenswerte Zukunft für alle lässt sich nur durch die Überwindung des Privateigentums und die Vergesellschaftung der Produktionsmittel realisieren.

Inzwischen greifen in den westeuropäischen Ländern auch US-amerikanische Verhältnisse um sich, was den Kulturkampf hinsichtlich feministischer Anliegen und Geschlechterdiversität angeht. Die Themen sexuelle Selbstbestimmung und Aufklärung, alternative Beziehungskonzepte, Hinterfragung von Gender-Rollen, Beachtung der Existenz und Rechte von Transpersonen usw., welche mit einer zaghaften Liberalisierung und jahrzehntelangem Graswurzelaktivitäten vorangebracht wurden, werden massiv als satanisches und subversives Projekt des Kulturmarxismus von rechten Akteur*innen bekämpft – was nicht zuletzt zu einer Zunahme der direkten Gewalt gegenüber Menschen führt, die von der heteronormativen Zwangsmatrix abweichen.

Monate vor der Unterwerfung der antifaschistischen Szene am dritten Juni in Leipzig, wurde eine systematische Hetzkampagne gegen Antifaschist*innen lanciert, welche die Repression und die mit ihr verbundenen weiteren Eingriffe in Grundrechte vorbereiteten. Das hat es zwar bereits vorher gegeben. Aber in Sachsen, wo die AfD in Umfragen auf 32,5% kommt, während sie im Bund bald bei 20% liegt, zielt das Aufbauschen des legitimen und notwendigen Antifaschismus als Staatsfeind letztendlich auf die vollständige Zerschlagung dieser sozialen Bewegung. Im Idiotenbewusstsein faseln sie dagegen weiter von der Ablehnung der Gewalt „von links und rechts“, von der Bekämpfung jeden Extremismus‘ – während eine im Kern neofaschistische Partei bald die Regierung anführen wird.

Wer hauptsächlich auf die politische Ebene und die Akteur*innen schaut, wird jedoch nie begreifen, was vor sich geht, sondern sich in weiter in politischen Illusionen bewegen. Es gilt zu verstehen, dass wir uns in einer umfassenden Gesellschaftstransformation befinden – und die Systemfrage zu stellen. Die damit verbundenen Entwicklungen sind altbekannt und verschärfen sich lediglich mit der multiplen Krisen, in welcher die bestehende Gesellschaftsform sich befindet:

Die wohlhabenden Ländern ziehen ihre Mauern vor den Flüchtlingsströmen hoch. In ihrem Inneren wird der Anteil prekär und elend lebender Menschen grösser, während die öffentliche Infrastruktur weiter zurückgebaut und privatisiert wird. Die Strassengewalt nimmt zu, um den angestauten Hass an Anders-gelesenen zu entladen und die eigene Verrohung zu kanalisieren. Und dabei brennt die Erde und die Ausbeutung von Natur und Menschen wird fortgesetzt. Sich dieses Szenario vorzustellen ist keine Kunst, sondern lediglich die Verlängerung der gegenwärtigen Entwicklungen. Staatliche Reformen mögen sie teilweise regulieren und für die Privilegierteren einen Ausgleich schaffen. Grundlegende Veränderungen sind durch sie aber keineswegs zu erwarten.

Aus diesen sehr pragmatischen Gründen gilt es sich auf etwas Besseres zu fokussieren als die Abwehr und Abmilderung der Verelendung und Zerstörung. Selbstverständlich ist es eine Frage der Kräfteverhältnisse, ob wir eine libertär-sozialistische Gesellschaftsform erkämpfen und aufbauen können. Ohne eine solche Orientierung können emanzipatorische Akteur*innen ihre Kräfte aber auch nicht bündeln und ausweiten.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —        Anarquía

Verfasser Saraclaroscuro       /   Qielle   :  Eigene Arbeit       /     Datum      :    10. 09. 2014

Diese Datei ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported Lizenz.

Abgelegt unter Bildung, Deutschland, Medien, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Öffentliches Geld + Gut

Erstellt von DL-Redaktion am 6. Juni 2023

Freie und offene Software zum Standard in der Verwaltung machen

undefined

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Kolumne von 

Wenn die öffentliche Verwaltung Software entwickelt oder einkauft, sollte sie diese unter freie und offene Lizenzen stellen. Die von der Bundesregierung angestoßene Reform des Vergaberechts bietet jetzt eine gute Gelegenheit, das im Gesetz zu verankern. Für ein echtes Umdenken braucht es aber mehr als eine Gesetzesreform.

Die digitale Verwaltung von Bund, Ländern und Kommunen ist heute abhängig von einzelnen proprietären Software-Anbietern. Dadurch sind öffentliche Stellen gezwungen, alle Bedingungen eines Software-Anbieters zu akzeptieren, zum Beispiel Preissteigerungen oder die Produktgestaltung. Gerade erst im April 2023 hat beispielsweise Microsoft die Preise für Cloudangebote wieder einmal erhöht, nachdem schon 2021 die Ausgaben der Bundesverwaltung für Microsoft-Lizenzen zum ersten Mal 200 Millionen Euro überstiegen.

Proprietäre Software bedeutet, dass die entsprechende Lizenz die Möglichkeiten der Nutzung, Weiter- und Wiederverwendung sowie die Änderung des Quellcodes durch Dritte stark einschränkt. Diese Abhängigkeit verhindert, dass Verwaltungen ihre IT-Architektur selbst gestalten und kontrollieren sowie zwischen verschiedenen Anbietern wechseln können.

Freie und Open Source Software (FOSS) ermöglicht einen Weg aus dieser Abhängigkeit. Denn FOSS-Lizenzen erlauben es prinzipiell allen Menschen, Einblick in den Quellcode zu nehmen, diesen frei und uneingeschränkt zu verwenden, zu verändern und auch in einer veränderten Form wieder weiterzuverbreiten. Die in der Verwaltung eingesetzte FOSS-lizenzierte Software ist dadurch unabhängig überprüfbar, gestaltbar und austauschbar und ermöglicht potenziell ein höheres IT-Sicherheits- sowie Datenschutzniveau.

Die Hürden für FOSS in der Verwaltung

Der Koalitionsvertrag der Ampelregierung formuliert ein klares Ziel: „Entwicklungsaufträge werden in der Regel als Open Source beauftragt, die entsprechende Software wird grundsätzlich öffentlich gemacht.“ So würde der Einsatz von FOSS in der Verwaltung dem Prinzip „Public Money, Public Code“ folgen: Öffentlich finanzierte Software muss der Allgemeinheit zur Verfügung stehen, da sie auch von der Allgemeinheit bezahlt wird.

Doch bisher ist FOSS in der Verwaltung weiterhin eher eine Ausnahme als die Regel. Oft scheitern öffentliche Stellen schon daran, dass ihnen unklar ist, wie sie FOSS beauftragen können und dürfen. Das Vergaberecht gibt strenge Regeln dafür vor, wie die Verwaltung Produkte und Dienstleistungen einkaufen muss, meist über Ausschreibungen.

Das ist auch sinnvoll, damit der Staat seine Mittel mit Bedacht verwendet und nicht ausschließlich auf bereits bestehende Anbieter zurückgreift oder einen Auftrag nach beliebigen Kriterien vergibt Doch die komplexen und langwierigen Prozesse und die bisher angelegten Kriterien legen gerade FOSS einige besonders große Steine in den Weg.

Denn FOSS schafft Mehrwerte, die in der etablierten Vergabe meist keine Berücksichtigung finden. Proprietäre Software können naturgemäß nur diejenigen nutzen, die die entsprechende Lizenz einkaufen. Bei FOSS ist das anders: Wenn eine öffentliche Stelle die Entwicklung von FOSS beauftragt oder sogar selbst entwickelt, vergrößert sich damit der Pool an Software, der auch anderen öffentlichen Stellen sowie der Wirtschaft und Gesellschaft allgemein zur Verfügung steht.

Dieser weitreichende positive Effekt auf die Gesellschaft kann von der auftraggebenden Stelle nicht berücksichtigt werden, wenn sie nur Preis und Nutzen für sich selbst bewerten darf. Auch können Behörden FOSS frei anpassen und mit anderen Diensten kombinieren. Das stellt zwar auf dem Papier keinen Mehrwert dar, der für ein FOSS-Angebot den Ausschlag geben kann, doch diese Interoperabilität schafft mehr Möglichkeiten, andere Dienste einzubinden. Und damit insgesamt mehr Gestaltungsfähigkeit für die Verwaltung.

Ein Funken Hoffnung: die Vergabetransformation

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz will aktuell das Vergaberecht reformieren, um öffentliche Vergabeverfahren zu vereinfachen, zu professionalisieren, zu digitalisieren und zu beschleunigen. Außerdem soll die Vergabe wirtschaftlich, sozial, ökologisch und innovativ ausgerichtet werden. Über 400 Verbände, Organisationen, Unternehmen und Einzelpersonen haben dazu Stellungnahmen eingereicht. Auch Wikimedia Deutschland und die Open Source Business Alliance erklären dabei, wie FOSS in der Verwaltung auf die Ziele der Vergabereform einzahlt. Diese Reform ist eine ideale Gelegenheit für eine Gesetzesänderung, um es Behörden zu ermöglichen, rechtssicher bevorzugt FOSS zu beschaffen.

Wie genau soll das funktionieren? Ein von der Open Source Business Alliance in Auftrag gegebenes Gutachten zeigt, wie es gehen kannt: Wann immer die Verwaltung Software einkaufen oder entwickeln möchte und die Wahl zwischen zwei oder mehr gleich gut geeigneten Lösungen hat, soll FOSS Vorrang vor proprietärer Software haben. Der Gutachter Prof. Andreas Wiebe schlägt vor, den Vorrang für FOSS im E-Government-Gesetz des Bundes oder in der Vergabeverordnung für öffentliche Aufträge festzulegen. Auf Landesebene haben Thüringen und Schleswig-Holstein mit ihren E-Government-Gesetzen bereits diesen Weg gewählt.

Mehr Kompetenz in den Behörden

Eine Bevorzugung von FOSS ist jedoch nicht das einzige, was es für eine erfolgreiche digitale Transformation in der Verwaltung braucht. Mitarbeitende in Behörden müssen unbedingt lernen, geeignete Software auszuwählen und zu verwenden. In einem Beschluss zur Erarbeitung einer Open-Source-Strategie der sächsischen Landesregierung ist daher auch einer von sechs Punkten „die Förderung der Umgewöhnung und der Akzeptanz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der sächsischen Verwaltung in Open-Source-Software.“

Aber auch eine Umgewöhnung reicht noch nicht aus, um beim Einsatz von FOSS in der Verwaltung das volle Potenzial auszuschöpfen. Die Menschen in der Verwaltung müssen verstehen, welche aktuellen Technologien am besten die Anforderungen ihrer Behörde erfüllen. Erst mit einem solchen tiefergehenden Verständnis können sie selbstständig Software vergleichen, sie für ihre Zwecke anpassen, zwischen Anbietern wechseln und informiert FOSS von anderen öffentlichen Stellen einbinden und wiederverwenden.

Der behördliche Kompetenzaufbau ist daher neben der Reform des Vergaberechts die größte Herausforderung für eine effektive Verwaltungsdigitalisierung mit FOSS. Dazu gehört nicht zuletzt auch, dass die Einstellungsbedingungen bei Behörden dringend angepasst werden müssen: Gehälter, geforderte Abschlüsse und sonstige Benefits. Nur so wird es überhaupt attraktiv, als IT-Expert*in in einer Verwaltung zu arbeiten.

Die Bundesregierung hat sich in Koalitionsvertrag und Digitalstrategie zu freier und offener Software bekannt. Jetzt muss sie handeln!

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

*********************************************************

Grafikquellen     :

Oben           —       Concept-Map rund um Freie Software

Abgelegt unter Bildung, Deutschland, Politik und Netz, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Die Visionen eines Arzt

Erstellt von DL-Redaktion am 28. Mai 2023

Deutscher Ärztechef liest Karl Lauterbach die Leviten

undefined

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von          :      Red. /   

Klaus Reinhardt frotzelte, der Gesundheitsminister soll «mit seinen Visionen zum Arzt gehen». Sein Tun sei demokratiegefährdend.

upg. Die deutsche Bundesregierung habe in den letzten vier Jahren nicht weniger als 264 gesundheitspolitische Verordnungen erlassen, zu denen die Bundesärzteschaft Stellung nehmen konnte. Das erklärte Ärztepräsident Klaus Reinhardt am deutschen Ärztetag. Das Ministerium habe der Ärzteorganisation und anderen Lobbys zusätzlich zahlreiche Positionspapiere ebenfalls zur Stellungnahme unterbreitet.

Die demokratische Ordnung sei dabei manchmal nicht eingehalten worden, ja Karl Lauterbachs Handeln sei «demokratiegefährdend». Der Präsident der Bundesärztekammer nannte beispielhaft die extrem kurzen Fristen, die Lauterbach für eine Stellungnahme gewährte:

  • Eine Verordnung zugestellt am 21.11.2022 um 11.00 Uhr.
    Frist zur Stellungnahme: 21.11.2022 bis 19.00 Uhr.
  • Andere Verordnung zugestellt am 24.6.2022 um 13.45 Uhr.
    Frist zur Stellungnahme: 24.6.2022 bis 18.00 Uhr.
  • Weitere Verordnung zugestellt am 9.3.2023 um 01.08 Uhr.
    Frist zur Stellungnahme: 9.3.2023 bis 10.00 Uhr.

Es gebe noch viele solche Beispiele, sagte Ärztechef Klaus Reinhardt.

Lauterbach habe zwar viele Visionen, meinte Reinhardt. Aber wie schon Helmut Schmidt gesagt habe: «Wer Visionen hat, soll mit seinen Visionen zum Arzt gehen.»

Der Präsident der deutschen Ärzteschaft erntete eine Standing Ovation. Auch der heftig kritisierte Lauterbach applaudierte verhalten.

«Seien Sie nicht eingeschnappt», erwiderte Gesundheitsminister Lauterbach am Schluss seiner anschliessenden Rede: «Wir werden die Baustellen gemeinsam anpacken.» Für seine geplanten grundlegenden Reformen werde er mit allen Kreisen zusammenarbeiten und alle guten Vorschläge aufnehmen.

Bei seiner Problemanalyse nahm es Lauterbach – wie schon öfter in der Vergangenheit – mit den Fakten nicht so genau. So behauptete er, die anderen Länder Europas würden den Pharmafirmen höhere Medikamentenpreise zahlen als Deutschland, und begründete damit die Engpässe bei bestimmten Arzneien in Deutschland. Tatsächlich zahlen die Krankenkassen in praktisch allen Ländern Europas mit Ausnahme der Schweiz den Pharmafirmen tiefere Preise als in Deutschland.

YouTube 

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —     Klaus Reinhardt (2019)

Abgelegt unter Bildung, Gesundheitspolitik, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

(Weiter-) Bildungsauftrag

Erstellt von DL-Redaktion am 25. Mai 2023

Das Recht auf Aus- und Weiterbildung fristete lange ein Schattendasein.

undefined 

Ein Debattenbeitrag von Andreas Gran

Jetzt will die Ampelregierung durch ein neues Gesetz endlich mehr dafür tun. Mehr Geld soll in Bildung fließen, dies ist in einer Zeit hoher Militärausgaben ein wichtiges Signal.

Wer Zeit, Mühe und Geld in die eigene Ausbildung investiert, handelt vernünftig. Selbstvertrauen und soziale Anerkennung sprechen für lebenslange Bildung, neben verbesserten Chancen am Arbeitsmarkt. Die Bedeutung von Bildung ist bereits deshalb immens. Allerdings gibt es bekanntermaßen erhebliche Ungleichheit beim Zugang zu Bildung, obwohl dieser sogar in unseren Grundrechten hervorgehoben wird. Es ist ein wirklichkeitsferner Trugschluss zu glauben, dass Bildungschancen gleich seien, denn die erheblichen Unterschiede sind in Deutschland immer noch das Ergebnis der sozialen Herkunft.

Allerdings hat unser Staatswesen die Pflicht, allen eine Bildung zu ermöglichen – das ist der so genannte Bildungsauftrag. Vor diesem Hintergrund besteht die Schulpflicht. Mit dem Ende der nicht immer alltagstauglichen Schulbildung sind aber viele junge Leute keineswegs ausreichend qualifiziert für das Berufsleben – und deshalb endet die staatliche Verpflichtung, Bildung anzubieten, nicht bereits mit Erlangen irgendeines Schulabschlusses. Sie muss vielmehr die berufliche Aus- und Weiterbildung in weitaus stärkerem Maße im Blick haben. Alarmierend ist dabei, dass zahlreiche Bewerberinnen und Bewerber keinen Ausbildungsplatz finden, woraus eine sogenannte Ungelerntenquote von etwa 14 Prozent im Alter von 20 bis 34 Jahren resultiert. Arbeitslosigkeitsrisiken liegen auf der Hand.

Vor diesem Hintergrund will die Ampelregierung das „Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung“ auf den Weg bringen. Im Entwurf sind die Probleme und Ziele erläutert, insbesondere Herausforderungen durch die Digitalisierung und die angestrebte Klimaneutralität, die wiederum verschärft werden durch die Energiekrise, Lieferkettenprobleme und einen erhöhten Ausbildungsbedarf. In Ergänzung zum „Qualifizierungschancengesetz“ und zum „Arbeit-von-Morgen-Gesetz“ erhofft sich die Regierung durch den weiteren Schritt mehr „Verständnis von Weiterbildung als präventive Investition zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit“.

Hierzu werden konkrete Maßnahmen versprochen: Die Beschäftigtenförderung soll vereinfacht werden. Diese soll nicht länger auf Berufe, die vom Strukturwandel betroffen sind, und sogenannte Engpassberufe begrenzt werden. Dabei soll die Planungssicherheit für die Arbeitgeber verbessert werden. Auch soll ein Qualifizierungsgeld eingeführt werden für Beschäftigte, denen „im besonderen Maße durch die Transformation der Arbeitswelt der Verlust von Arbeitsplätzen droht“, bei denen Weiterbildungen jedoch eine „zukunftssichere Beschäftigung im gleichen Unternehmen ermöglichen können“. Das Qualifizierungsgeld wäre ein Lohnersatz in Höhe von bis zu zwei Dritteln des Nettogehalts. Außerdem soll eine Ausbildungsgarantie eingeführt werden, die allen jungen Menschen ohne Berufsabschluss zu einer Berufsausbildung verhilft. Das folgt aus der EU-Initiative „Jugendgarantie“, wonach allen Angebote für Beschäftigung, Ausbildung oder Weiterbildung gemacht werden sollen, ohne in die Ausbildungsverantwortung der Wirtschaft einzugreifen. Ein Bestandteil davon ist die Einführung kurzer betrieblicher Praktika, etwa nach Abbruch von Studium oder Berufsausbildung. Und schließlich sollen finanzielle Anreize verlängert werden, damit berufliche Weiterbildung während einer Kurzarbeit möglich ist. Für die Arbeitgeber werden dazu Erleichterungen bei den Sozialversicherungsabgaben in Aussicht gestellt.

Das neue Gesetz führt dazu, dass mehr Geld in die Bildung fließt, und genau dies ist in einer Zeit hoher Militärausgaben ein wichtiges Signal – aus verschiedenen Gründen: Nur mit sozial ausgewogenen Maßnahmen für mehr Bildung kann gesellschaftlichen Spannungen durch die ohnehin bestehende Chancenungleichheit begegnet werden. Der sich verstärkende Rechtsextremismus ist nicht zuletzt die Folge von sozialen Konflikten und kruden Sündenbock-Theorien – Migrantinnen und Migranten sind demnach schuld an der eigenen Lage. Anstatt anderen Menschen die Schuld an der eigenen Situation zu geben, kann diese durch eigene Bildungserfolge verbessert werden.

In einem Sozialstaat und in einer Solidargemeinschaft ist zudem geboten, diejenigen zu unterstützen, denen Ausbildung – aus welchem Grund auch immer – nicht leichtfällt. Wenn finanzielle Aspekte problematisch sind, muss sozialstaatlich gefördert werden. Wer in der glücklichen Lage ist, selbst guten Zugang zur Bildung zu haben, sollte anerkennen, dass Mitmenschen solidarische Hilfe benötigen. Letztlich ist eine solche Investition sinnvoller, als später Missstände auszugleichen, denn es müssen die Ursachen angegangen werden, nicht nur Symptome.

Quelle      :           TAZ-online            >>>>>          weiterlesen     

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —         Exemplarische Situation – hier in Form eines Workshops

Abgelegt unter Bildung, Debatte, Deutschland, Mensch | Keine Kommentare »

Politik: Jeder gegen jeden

Erstellt von DL-Redaktion am 19. Mai 2023

Desaster im Intrigantenstadl

File:Bla bla.jpg

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von          :     Rainer Stadler /   

Medienleute demontieren ihre Branche – durch peinliche gegenseitige Bezichtigungen. Selbstkritik wäre etwas anderes.

Wer ein Flair für Zynismus und Klatsch hat, wird derzeit gut versorgt von Medienleuten, die über andere Medienleute öffentlich tratschen und die Bösartigkeit der ehemaligen Kollegen skandalisieren wollen. Der «Spiegel», der vor zwei Jahren den damaligen «Bild»-Chefredaktor, Julian Reichelt, unter dem Titel «Vögeln, Fördern, Feuern» angriff und diesem internen Machtmissbrauch vorwarf, bot Anfang Februar der ehemaligen «Magazin»-Redaktorin Anuschka Roshani eine Plattform, welche diese nutzte, um ihren ehemaligen Chef, Finn Canonica, in schlechtestem Licht darzustellen. Sensibilisiert durch die in den USA gestartete Me-Too-Bewegung, griffen Redaktionen in der Schweiz und Deutschland den Fall kritiklos auf, bis Roger Schawinski dagegenhielt und darauf aufmerksam machte, dass Roshanis Behauptungen wenig glaubwürdig seien. Doch davon später.

Jeder gegen jeden

In Deutschland zielte die «Zeit»-Redaktion Anfang April auf den Springer-Chef Mathias Döpfner und publizierte interne Botschaften, in denen Döpfner mit teilweise derben Worten über Ostdeutsche, Politiker und intolerante Muslime herzog. Die Konkurrenz und das politische Milieu reagierten empört. Die vertraulichen Äusserungen des mächtigen Medienmanns brachte offenbar Julian Reichelt in Umlauf, wie sich bald herausstellte. Denn es wurde bekannt, dass die Döpfner-Zitate auch zum Verleger der «Berliner Zeitung», Holger Friedrich, gelangt waren. Dieser hielt sie für publizistisch wertlos. Er unterrichtete darauf den Springer-Chef über die Indiskretionen seines ehemaligen Chefredaktors, worauf Springer Reichelt wegen Verletzung der vertraglichen Abgangsregeln verklagte.

Die Indiskretion von Friedrich trieb wiederum einige Journalisten auf die Palme, denn sie erkannten eine Verletzung des journalistischen Quellenschutzes, der unter allen Umständen gewahrt werden müsse. Die Frage ist allerdings, ob die Quellenschutz-Norm für einen Verleger gleichermassen gilt, zumal dieser eigentlich nicht zur Redaktion gehört und abgesehen von publizistischen Grundsatzfragen nur für geschäftliche Belange zuständig sein sollte. Wie auch immer – der Deutsche Presserat will nun prüfen, ob Friedrich den Quellenschutz verletzt hat. Dabei müsste wohl in Betracht gezogen werden, auf welche Art der Kontakt zwischen Friedrich und Reichelt verlief. In dieser Sache hat der Presserat weiteres zu tun. Er klärt nämlich ab, ob die «Zeit» mit ihrem Artikel über Döpfner den Berufskodex verletzt hat. Teilweise schon, denn interne derbe Äusserungen eines Chefs über andere Personen sind kein Gegenstand von öffentlichem Interesse.

Schawinskis Buch-Intervention in Rekordzeit

Zurück in die Schweiz. In einem Rekordtempo – in nur einem Monat – hat Roger Schawinski im Eigenverlag ein 170-seitiges Buch über Anuschka Roshanis Angriff auf Finn Canonica geschrieben («Anuschka und Finn. Die Geschichte eines Medienskandals»). Schawinski hat dafür geschaut, dass sein Werk übers vergangene Wochenende in den Zeitungen Aufmerksamkeit gefunden hat. Sein Buch vertieft die Enthüllungen, die er zuvor auf seinem Radio1 gemacht hat. Sein Verdienst ist es, dass er dem Medienskandal eine neue Richtung gab, indem er die vorschnellen Verurteilungen von Canonica, die diesem erheblich schadeten, ausbremste. Er konnte sich dabei nicht zuletzt auf Auszüge eines ausführlichen Untersuchungsberichts stützen, den einst Tamedia in diesem Zusammenhang bei Rechtsanwälten (Rudin Cantieni) in Auftrag gegeben hatte. Dieser entlastete Canonica in vielen Aspekten. Wer Schawinski die Auszüge des Berichts verschafft hat, ist nicht bekannt – es gilt auch hier der Quellenschutz.

Allerdings stellen sich da ein paar Fragen. Wie Schawinski schreibt, waren Teile des vertraulichen Papiers eingeschwärzt. Doch diese Einschwärzungen waren offenbar durch einen Mitarbeiter von Schawinski leicht zu entfernen. Hat der Überbringer dieser Papiere einkalkuliert, dass die Hürden leicht überwindbar wären? Man darf mutmassen. Jedenfalls sind durch die Indiskretion auch zwei Namen bekanntgeworden, die im internen Verfahren als Zeugen von Roshani aussagten. Unabhängig vom Wert ihrer Zeugenschaft – ihre nachträgliche Blossstellung auf Grund einer Untersuchung, die eigentlich auf Vertraulichkeit basierte, ist fragwürdig. Ein gewisses Verständnis kann man nur darum aufbringen, dass die Heftigkeit, mit der Roshani ihren ehemaligen Chef öffentlich angriff, eine starke Gegenreaktion provozierte.

Beschädigte Glaubwürdigkeit

Auch wenn noch nicht alle Umstände dieses Skandals bekannt sind, kann man jetzt schon festhalten: Roshani hat ein erhebliches Glaubwürdigkeitsproblem. Das Landgericht Hamburg verlangte denn auch vom «Spiegel», dass er neun Passagen des Roshani-Textes kürzen muss; dagegen will das Magazin aber Einspruch erheben. Gegenüber Schawinski wollte sich Roshani zur Sache nicht äussern, was kaum verwundert. Denn sie ist nun in rechtliche Verfahren verwickelt, wodurch öffentliche Äusserungen heikel werden. Die «Süddeutsche Zeitung» konnte ihr schliesslich doch noch ein paar Worte entlocken. Sie sagte dem Blatt, sie habe Schawinski nicht geantwortet, weil sie sich durch seine Radiosendungen vorverurteilt fühlte – nach ihrem heftigen Angriff auf Canonica wirkt diese Äusserung etwas kurios.

Wie auch immer, die seltsamen Affären werden nun Gerichte, Rechtsanwälte und Selbstkontrollorgane beschäftigen und früher oder später weitere Schlagzeilen hervorrufen. Klar ist bereits: Die gegenseitigen Indiskretionen, Klagen und Skandalisierungen werfen ein schlechtes Licht auf die Medienbranche. Für Aussenstehende muss sie einem grossen Intrigantenstadl gleichen, wo die Beteiligten offensichtlich nicht mehr zu erkennen vermögen, was von öffentlichem Interesse ist und was nicht. Die von Rache geprägten Aktionen schaden überdies der Sache, der ernsthaften Diskussion über Machtmissbrauch in Redaktionen und Chefetagen. Den gibt es nämlich.

Weiterführende Informationen

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —   

Artist
Yohanan Lakicevic
Isareli, born Yugoslavia, 1943      /     Title   :    Blabla

This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

This work is free and may be used by anyone for any purpose. If you wish to use this content, you do not need to request permission as long as you follow any licensing requirements mentioned on this page

Abgelegt unter Bildung, Debatte, Feuilleton, International | Keine Kommentare »

Mobile Wissensarbeit:

Erstellt von DL-Redaktion am 18. Mai 2023

Alternative ökologische und soziale Theorien der Pflege konstruieren, aber unfähig, sie zu leben?

Patient receives chemotherapy.jpg

Quelle        :     Berliner Gazette

Von            :       · 17.05.2023

Arbeiter*innen in der Produktion und Vermittlung von Wissen – Forscher*innen und Lehrer*innen – sind von zentraler Bedeutung für die Prozesse der Kapitalakkumulation im einundzwanzigsten Jahrhundert und damit auf die eine oder andere Weise ein wichtiger Bestandteil der Klimaproduktion. Um zu überleben, verkaufen die Proletarisierten ihre Arbeitskraft, während die prekäre Mehrheit unter ihnen auch gezwungen ist, ständig mobil zu sein, und auf diese Weise sowohl zu den Kohlenstoffemissionen beizutragen als auch die Fürsorge für menschliche und nicht-menschliche andere zu vernachlässigen, wie die Wissenschaftlerin und Aktivistin Nelli Kambouri in ihrem Beitrag zur Textreihe “Allied Grounds” argumentiert.

Als prekäre Akademikerin lebe ich seit vielen Jahren zwischen verschiedenen Jobs und arbeite gleichzeitig an mehreren Projekten für verschiedene Institutionen. Prekarität hat einen tiefgreifenden Einfluss auf mein tägliches Leben und meine Arbeit. Obwohl es stressig ist, an mehreren Projekten gleichzeitig zu arbeiten, können Arbeiter*innen in der Wissensproduktion wie ich, die keine festen Arbeitsplätze haben, keine Angebote auswählen oder ablehnen, weil wir sicherstellen müssen, dass wir in der Lage sind, Zeiten der Arbeitslosigkeit und des Mangels an Einkommen zu überbrücken.

Wir sind auch ständig besorgt über niedrige und verspätete Zahlungen, unbestimmte Arbeitsbeziehungen und den Abzug von Zeit und Wissen. Prekarität macht es schwierig, sich zu konzentrieren, und Forschungsprojekte werden ständig an die Rahmenbedingungen verschiedener Finanzierungsmöglichkeiten angepasst. Ausstiegsstrategien für die berufliche Entwicklung sind oft mit häufigen Reisen oder der Abwanderung aus dem Heimatland verbunden.

In meinem Fall ist die Heimat ein Schuldenstaat, eine Gesellschaft, die zunehmend bankrott, rassistisch und sexistisch geworden ist und die nur sehr wenig – meist informellen – Schutz für prekäre Akademiker*innen bietet. Dennoch ist mein Zuhause auch ein Ort, an dem ich wertvolle soziale Beziehungen, Freundschaften, familiäre Bindungen und intellektuelle und affektive Zugehörigkeiten aufgebaut habe, die ein wesentlicher Bestandteil dessen sind, was ich geworden bin und wie ich über die Zukunft denke.

Der Wunsch, dieses zerbrechliche Zuhause in ein stabiles zu verwandeln, egal wie sehr es durch Prekarität gebrochen ist, ist eine Strategie, die zum akademischen Scheitern verurteilt ist. Die Entscheidung zu bleiben, sich zu weigern, akademisch mobiler zu werden, wie es die zeitgenössischen Normen von allen Akademiker*innen erwarten, kann als eine Art beruflicher Selbstmord angesehen werden. Akademische Unbeweglichkeit wird als Schwäche ausgelegt, als Zeichen der Unbestimmtheit, der Ziellosigkeit und des fehlenden Engagements, das uns alle heimsucht, die wir uns an Orten niedergelassen haben, an denen wir den prekären akademischen Bedingungen nicht entkommen können.

Ständiger Wechsel in neue akademische Umgebungen

Für prekäre Forscher*innen aus der Peripherie der globalen akademischen Welt ist die Mobilität zur einzigen offiziellen und praktikablen Überlebensstrategie geworden. Sie wird finanziert, gelobt und als Indikator für wissenschaftliches Engagement und Professionalität angesehen. Die enthusiastischen Erzählungen über den akademischen Erfolg verschweigen jedoch, dass die akademische Mobilität oft zu einem unwillkommenen und erzwungenen Weg wird, insbesondere für Betreuungspersonen, die abhängige Familienmitglieder oder Gemeinschaften zurücklassen müssen, um eine neue akademische Karriere weit weg von ihnen zu verfolgen.

Mobilität ist zwar nicht immer der erzwungene Teil einer Laufbahn, aber sie ist sehr oft vorübergehend, unsicher und fragil. Obwohl die Entscheidung, akademisch mobil zu werden, von einem intellektuellen Hauch umhüllt ist, der die Geschlechter- und Pflegepolitik zum Schweigen bringt, tauchen diese Themen im geschlechtsspezifischen akademischen Leben immer wieder auf. Es ist irreführend, die akademische Mobilität völlig geschlechtsneutral zu betrachten.

Die Entscheidung, für eine befristete, schlecht bezahlte und unsichere Stelle in ein neues akademisches Umfeld zu wechseln, ist schwierig und oft schmerzhaft. Tatsächlich ist die akademische Mobilität keine einseitige, lineare Bewegung hin zum beruflichen Erfolg, sondern beinhaltet in der Regel ein ständiges Hin und Her, das sich häufig auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden auswirkt.

Es stellen sich mehrere Fragen: Wie erzieht man Kinder in der Ferne? Wie unterstützt man Verwandte, Partner, Freunde im Ausland? Wie geht man mit der Sehnsucht nach sozialen Beziehungen im Heimatland um? Wie kommt man physiologisch mit dem häufigen Reisen zurecht? Wie organisiert man Zeitpläne, die auf Reisen nicht stressig sind? Wie überdenkt man seine Beziehung zur Wissenschaft, wenn man kein festes Zuhause findet?

Die ökologischen und sozialen Kosten

Eine der Strategien, die viele von uns in der Vergangenheit angewandt haben, um den Rhythmus eines mobilen akademischen Lebens als prekäre Subjekte zu unterstützen, besteht in der häufigen Nutzung von preiswerten Reisen und Unterkünften, was enorme ökologische und soziale Kosten verursacht. Wie bei Gender und Pflege wird der ökologische Fußabdruck der akademischen Mobilität bei akademischen Karrierewegen selten berücksichtigt.

Es gibt verschiedene Online-Tools, die es uns ermöglichen könnten, das Reisen für Sitzungen, Forschung, Konferenzen, Workshops oder Unterricht zu überdenken, aber die ökologischen und sozialen Kosten dieser Tools (die in der Regel von den großen Profiteur*innen des so genannten “Überwachungskapitalismus” bereitgestellt werden, die einen großen ökologischen Fußabdruck haben) werden kaum berücksichtigt. Gleichzeitig werden persönliche Treffen weiterhin als menschlicher und professioneller gepriesen. Infolgedessen bleiben beide Optionen – die verkörperte/Offline- und die entkörperte/Online-Mobilität – mystifiziert und entsprechend unterreflektiert.

Für prekäre Akademiker*innen können kurzfristige und prekäre Arbeitsplätze auch einen Lebensstil bedeuten, der häufige Reisen zu den Orten beinhaltet, die wir unser Zuhause nennen und wo sich die Menschen befinden, die wir betreuen. Dies schafft ein Paradoxon. Obwohl prekäre Akademiker*innen im Bereich er Wissensproduktion, zur Konstruktion alternativer ökologischer und sozialer Theorien der Pflege sowie zu ökologischen und feministischen Ansätzen und Modellen beitragen können, die die zerstörerischen Auswirkungen des gegenwärtigen Kapitalismus in Frage stellen, sind sie oft nicht in der Lage, diese Alternativen in ihrem mobilen Alltag umzusetzen, gerade weil die Finanzierung die Mobilität wertschätzt.

Die Mobilität der prekären Wissenschaftler*innen unterscheidet sich von der der privilegierten akademischen Eliten, die institutionelle Sicherheit genießen und ihre Reisen auf das Wesentliche beschränken können. Die Mobilität prekärer Forscher*innen ergibt sich aus der Prekarität ihrer Arbeit und der Notwendigkeit, näher an die wirtschaftlichen Zentren der Wissensproduktion heranzukommen, was wiederum oft die Schaffung von Versorgungslücken impliziert.

Das lästige Paradoxon angehen

Die akademische Mobilität bringt eine merkwürdige Verflechtung von sozialen und ökologischen Schäden mit sich, die wir verursachen müssen, um akademischen Erfolg zu erzielen. Wie Felix Guatarri in den “Drei Ökologien” feststellte: “Wohin wir uns auch wenden, wir stoßen auf dasselbe nagende Paradoxon: Einerseits die kontinuierliche Entwicklung neuer technowissenschaftlicher Mittel, um potenziell die vorherrschenden ökologischen Probleme zu lösen und gesellschaftlich nützliche Aktivitäten auf der Oberfläche des Planeten wiederherzustellen, und andererseits die Unfähigkeit organisierter sozialer Kräfte und konstituierter subjektiver Formationen, sich dieser Mittel zu bemächtigen, um sie zum Laufen zu bringen” (S. 30).

Als prekäre Akademiker*innen sind wir an diesem Paradoxon beteiligt, sowohl als kreative Wissenschaftler*innen, die sich neue Modelle des Zusammenlebens mit anderen – menschlichen und nicht-menschlichen – Wesen ausdenken, als auch als Subjekte, die es systematisch versäumen, soziale und ökologische Ressourcen zu nutzen und in den Dienst der Arbeit zu stellen. Prekarität ist somit mit umweltzerstörerischen Praktiken der Wissensproduktion verwoben, die von uns verlangen, die Kosten unserer Mobilität zu verbergen.

Es ist an der Zeit, akademisches Scheitern und Erfolg im Hinblick auf dieses Paradoxon neu zu überdenken. Die Weigerung, als prekäre Akademiker*innen mobil zu sein, mag eine Form des Widerstands gegen die ökologischen Schäden sein, die durch intensive Reiseverpflichtungen verursacht werden, aber sie ist auch eine Form des Widerstands gegen Konzepte von Arbeit, die Reproduktion und Fürsorge ausblenden. Diese beiden Aspekte sind miteinander verwoben: Eine Ethik der Fürsorge für Menschen und Nicht-Menschen muss in die Beurteilung und Bewertung akademischer Karrieren und Lebensläufe integriert werden.

Was wäre, wenn wir diejenigen mehr wertschätzen würden, die sich dafür entscheiden, diejenigen zu feiern, die nicht oft fliegen, die sich dafür entscheiden, fürsorgliche Beziehungen innerhalb und außerhalb akademischer Einrichtungen aufzubauen? Was wäre, wenn die Organisation der akademischen Arbeit nicht mehr im Sinne der neoliberalen Vorstellungen von nahtloser und schneller Mobilität wahrgenommen würde, sondern im Sinne der Bedürfnisse der Prekären, für die das Temporäre, aber auch das Digitale die Norm ist?

Es ist denkbar, dass die Verweigerung der akademischen Mobilität zu neuen prekären Subjektivitäten führt, die mit ihren maschinellen Erweiterungen verbunden sind, und zu neuen Kartografien der Wissensproduktion, die die ungleichen Strukturen der globalen akademischen Institutionen in Frage stellen. Verstreute Universitäten und Forschungsprojekte, die zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden aufgeteilt sind, würden auf langsamer Bewegung, seltenen persönlichen Interaktionen und einer Priorität der Aufmerksamkeit für das Menschliche und Nicht-Menschliche um uns herum basieren.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel ist ein Beitrag zur Textreihe “Allied Grounds” der Berliner Gazette; die englische Fassung finden Sie hier. Weitere Inhalte finden Sie auf der englischsprachigen “Allied Grounds”-Website. Werfen Sie einen Blick darauf: https://allied-grounds.berlinergazette.de

Copyright | Creative Commons-Lizenz

Dieses Werk ist unter einem Creative Commons Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung 3.0 Unported Lizenzvertrag lizenziert. Um die Lizenz anzusehen, gehen Sie bitte auf creativecommons.org oder schicken Sie einen Brief an Creative Commons, 171 Second Street, Suite 300, San Francisco, California 94105, USA.

*********************************************************

Grafikquellen     :

Oben       —   Patient Receives Chemotherapy Description A Hispanic male patient receives Chemotherapy from a African-American Nurse through a port that is placed in his chest area. A caucasian female nurse looks on. Topics/Categories Locations — Clinic/Hospital People — Adult People — Health Professional and Patient Treatment — Chemotherapy Type Color, Photo Source National Cancer Institute

Abgelegt unter Bildung, Gesundheitspolitik, International, Medien, Opposition | Keine Kommentare »

Die Kindergrundsicherung:

Erstellt von DL-Redaktion am 15. April 2023

Kaum angekündigt, schon demontiert?

Von Christoph Butterwegge

Sie spielt sich oft im Verborgenen ab und steht noch immer zu wenig im Fokus: Kinderarmut. Dabei sind hierzulande rund drei Millionen Kinder und Jugendliche betroffen und damit 21,3 Prozent aller Minderjährigen.

Immerhin: Nachdem man sie lange nur in Sonntagsreden bedachte, betrachten mittlerweile große Teile der Öffentlichkeit Kinderarmut als ein gravierendes soziales Problem, das die Politik sehr viel konsequenter als bisher angehen muss. Und seit die SPD „Hartz IV hinter sich lassen“ will, wie ihre damalige Vorsitzende Andrea Nahles, heute Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, immer wieder betonte, gehört eine Kindergrundsicherung (KGS) zu den Instrumenten dieser Partei, um die Armut und die damit verbundene soziale Ausgrenzung von Minderjährigen zu bekämpfen.[1] Schon kurz nach der Jahrtausendwende hatten die Grünen ein Konzept entwickelt, das sich auf Kinder als besonders vulnerable Armutsrisikogruppe konzentriert. Sie können deshalb als Urheber:innen des Reformprojekts gelten, das nun, nach über zwei Jahrzehnten, langsam Gestalt annimmt.

Nachdem die Ampelkoalition mit dem am 1. Januar 2023 in Kraft getretenen Bürgergeld zunächst die landläufig als „Hartz IV“ bezeichnete Grundsicherung für Arbeitsuchende reformiert hat, steht für den Rest der Legislaturperiode die Kindergrundsicherung als ihr zweites familien- und sozialpolitisches Kernanliegen im Fokus. Damit sollen neben dem Kindergeld sämtliche kindbezogenen Transferleistungen – der Kinderzuschlag, die entsprechenden Regelbedarfsstufen des Bürgergeldes sowie Teile des Bildungs- und Teilhabepaketes (BuT) – zusammengelegt werden.

Laut den „Eckpunkte[n] zur Ausgestaltung der Kindergrundsicherung“, die Familienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) ihren Koalitionskolleg:innen im Januar vorlegte, soll diese aus zwei Komponenten bestehen: einem für alle Kinder gleichen Garantiebetrag, der dem heutigen Kindergeld entspricht, und einem Zusatzbetrag, der sich nach dem Alter des Kindes und dem Haushaltseinkommen richtet.[2] Vor allem über die Höhe des Zusatzbetrages wird es in der Ampel vermutlich noch harte Auseinandersetzungen geben, weil die FDP das Projekt offenbar verhindern, verschieben oder nur in einer Schrumpfversion passieren lassen will – die schwarze Null und den Verzicht auf Steuererhöhungen als vordringliches Ziel vor Augen. Doch unabhängig von einem möglichen späteren Kompromiss der Koalition stellt sich die Frage, ob das – bislang noch recht vage – Konzept des Bundesfamilienministeriums überhaupt seinem Anspruch genügen kann, „einfach, unbürokratisch und bürgernah“ zu sein.[3] Wäre es also tatsächlich geeignet, die hierzulande weit verbreitete und oft verdeckte Armut von Minderjährigen zu beseitigen oder die soziale Ungleichheit innerhalb der nachwachsenden Generation wenigstens zu verringern?

Kindergrundsicherung für alle?

Das ist alles andere als klar: Laut Eckpunktepapier soll der für alle Familien gleiche Garantiebetrag beim 2025 geplanten Start der Kindergrundsicherung „mindestens“ der Höhe des dann geltenden Kindergeldes entsprechen. Verteilungsgerecht und in sich schlüssig ist eine Kindergrundsicherung damit aber noch nicht. Das wäre erst der Fall, wenn sie neben dem Kindergeld und ergänzenden Familienleistungen auch den bisherigen steuerlichen Kinderfreibetrag integrieren würde, an dem die FDP, vermutlich auch die Unionsparteien, mit ihrer starken Stellung und praktischen Vetofunktion im Bundesrat festhalten. Es ist nicht bloß ungerecht, sondern auch unlogisch, den steuerlichen Kinderfreibetrag, der die Steuerfreistellung eines Einkommens in Höhe des kindlichen Existenzminimums bewirkt, beizubehalten bzw. seine Abschaffung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben: Denn dieser entlastet Spitzenverdienende im Jahr 2023 um gut 354 Euro pro Monat, während Normalverdienenden, die das Kindergeld (heute 250 Euro) bzw. künftig den vermutlich gleich hohen KGS-Garantiebetrag erhalten, monatlich 104 Euro weniger zur Verfügung stehen. In den Eckpunkten der Bundesfamilienministerin heißt es vage, „perspektivisch“ solle der geplante Garantiebetrag der maximalen Entlastungswirkung des steuerlichen Kinderfreibetrages entsprechen. Vorerst aber verhindert die FDP innerhalb der Ampelkoalition, dass dem Staat jedes Kind gleich viel wert ist. Warum sollen Investmentbanker, Topmanager und Chefärzte im Gegensatz zu Erzieherinnen, Pflegekräften oder Verkäuferinnen statt der Kindergrundsicherung für alle Minderjährigen weiterhin einen gesonderten Steuerfreibetrag für ihren Nachwuchs in Anspruch nehmen können? Dieses grundsätzliche Gerechtigkeitsproblem bleibt nach den Plänen des Familienministeriums vorerst weiter bestehen.

Prof Dr Christoph Butterwegge.jpg

Zwar ist die von Paus vorgestellte Absicht, die Grundsicherungsleistungen von einer „Holschuld“ der Familien zu einer „Servicepflicht“ des Sozialstaates zu machen, grundsätzlich zu begrüßen. Denn obwohl viele Kinder schon jetzt Anspruch auf Unterstützung hätten, nehmen zu viele Familien diese – oft aus Unkenntnis und wegen hoher bürokratischer Hürden – bislang nicht in Anspruch. Das soll sich nach den Plänen des Familienministeriums fortan ändern: Nunmehr sollen ein digitales Kindergrundsicherungsportal und ein automatisierter Kindergrundsicherungscheck die Beantragung der Kindergrundsicherung erleichtern. Doch es ist nicht auszuschließen, dass diese Digitalisierung des Antragsverfahrens gerade jene Familien benachteiligt, die am meisten auf KGS-Leistungen angewiesen sind: weil gerade ihnen oft die nötigen Kenntnisse, die passenden Geräte oder ein WLAN-Anschluss fehlen. Wer als „bildungsfern“ gilt, könnte damit noch mehr als bisher im Hinblick auf das Antragsverfahren benachteiligt werden.

Hinzu kommt, dass die geplante Schaffung einer Kindergrundsicherungsstelle nicht, wie beabsichtigt, zu weniger, sondern zu mehr Bürokratie führen würde – und womöglich gar zu einem Behördenchaos, weil auch das Jobcenter für die Eltern im Grundsicherungsbezug zuständig bleibt. Der maximale Zusatzbetrag soll zusammen mit dem Garantiebetrag „das pauschale altersgestaffelte Existenzminimum des Kindes“ abdecken, also den altersgestaffelten SGB-II-Regelbedarfen in Verbindung mit den anteiligen Wohnkosten sowie einzelnen Bildungs- und Teilhabeleistungen entsprechen. Positiv zu bewerten ist, dass der KGS-Zusatzbetrag nicht pauschal ausgezahlt werden soll, was besonders für Kinder aus sozial benachteiligten Familien problematisch wäre. Denn dadurch würden alle Minderjährigen über einen Kamm geschoren, ganz unabhängig davon, wo und in welcher Haushaltskonstellation sie leben, wie alt sie sind und ob sie sozial benachteiligt oder gesundheitlich eingeschränkt sind – Sonderbedarfe sollen also auch fortan geltend gemacht werden können.

Quelle         :      Blätter-online      >>>>>           weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —     Want to wake them up? Make a sound by throwing coins in their plastic cup. It serves as their alarm clock, signalling that there’s a help coming from heaven…

Abgelegt unter Bildung, Kultur, Positionen, Regierung, Sozialpolitik | 1 Kommentar »

Unverstand sucht Schuldige

Erstellt von DL-Redaktion am 12. April 2023

Schon wieder eine Bankenkrise

undefined

Die größten Versager aus 19 Ländern und der EU schleichen sich von Gipfel zu Gipfel für nette Fotos. Alle Jahre wieder – Dummheit trifft auf  Dummheit.

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von  :    Suitbert Cechura

Ja, haben die Banken denn gar nichts gelernt? Regieren nur Nieten in Nadelstreifen die Geldwirtschaft? Oder Kriminelle? Hier einige Klarstellungen zu den (mehr oder weniger) dummen Fragen.

Erneut beherrscht ein Krisenszenario die Schlagzeilen: Zuerst war es die amerikanische Silicon Valley Bank, bei der Milliarden von Dollar auf einen Schlag vernichtet wurden, dann traf es die Schweizer Credit Suisse, bei der wiederum Reichtum in Milliardenhöhe von einem Moment zum anderen verschwand. Und plötzlich ist erneut von einer drohenden Bankenkrise mit weltweiten Konsequenzen die Rede.

Was ist da los in der Finanzwelt? Nach der Finanzkrise von 2007 sollten doch angeblich in allen Ländern Lehren gezogen werden, nachdem etwa hierzulande „die Banken mit mehr als 70 Milliarden Euro Steuergeld gerettet wurden“ (FAZ, 1.4.23) und in der Nachfolge neue Regelungen für mehr Sicherheit usw. – in Deutschland wie auf europäischer Ebenen – in Kraft traten. Und jetzt das!? Und dann wird nach der raschen Rettung in der Schweiz auch noch die Staatsanwaltschaft aktiv: „Ermittlungen wegen Credit Suisse“ (FAZ, 3.4.23)! Also schon wieder Straftäter unterwegs, die den Hals nicht vollkriegen konnten?

Eine andere Nachfrage wäre dabei interessanter. Angesichts der Milliardensummen, die jetzt schon wieder innerhalb weniger Tage einfach so „verschwunden“ sind, während in jedem Supermarkt noch der kleinste Diebstahl hart geahndet wird und viele Menschen an der Kasse nach dem letzten Cent kramen, könnte man doch ins Grübeln kommen. Vielleicht sollte man einmal fragen, was „Reichtum“ in dieser Gesellschaft eigentlich ist?

Das Geschäftsgeheimnis: Aus Schulden Vermögen machen

Anlass für die Krise bei der Silicon Valley Bank soll gewesen sein, dass diese viele Wertpapiere mit langer Laufzeit und marktüblichen Zinsen besaß. Das klingt eigentlich nach einer soliden Anlage, konnte die Bank doch mit jährlichen Zinsen und nach Ende der Laufzeit mit der Rückzahlung des Kredits rechnen. Zum Problem wurden diese Wertpapiere dadurch, dass viele Kunden – d.h. mehr, als man erwartet hatte – ihr Geld abzogen und die Bank die Papiere verkaufen musste. Da seit dem Zeitpunkt ihres Kaufs die Zinsen gestiegen waren, erwiesen sie sich allerdings als wertgemindert, ja fast wertlos.

Die Medien warfen der Bank deshalb eine falsche Anlagepolitik vor. Dabei blieb das eigentliche und „normale“ Geschäft außen vor – eine sehr kurzsichtige Kritik! Denn dass die Rückforderung von Geld, das Einzelkunden oder Institutionen einer Bank geliehen haben, zum Problem wird, verweist auf die problematische Grundlage des Geschäfts, das in der Kreditbranche tagein, tagaus betrieben wird, ob es sich nun um die Silicon Valley Bank oder ein anderes Institut handelt.

Vereinfacht dargestellt, sieht dieses Geschäft folgendermaßen aus: Banken leihen sich Geld von denen, die es momentan oder langfristig übrig haben oder auf diese Art und Weise vorsorgen wollen. Dafür zahlen die Banken ihren Kunden Zinsen. Sowohl das Geld ihrer Aktionäre oder Teilhaber – das Eigenkapital im strengen Sinne – wie die Einlagen von Sparern und anderen Kontoinhabern machen dann die ökonomische Potenz einer Bank aus, mit der sie im Geschäftsleben antritt. Der Sache nach handelt es sich aber um nicht viel mehr als Schulden.

Das Geld, über das eine Bank somit treuhänderisch verfügt, bleibt nicht bei ihr. Es ist die Grundlage für ein – mittlerweile – breit gefächertes Kreditgeschäft. Das heißt, es wird weggegeben. Banken verleihen es gegen höhere Zinsen weiter oder legen es ihrerseits in Wertpapieren (Aktien, Unternehmensanleihen etc.) an, wie dies bei der Silicon Valley Bank der Fall war. Dabei beschränken sie sich selbstverständlich nicht darauf, genau so viel Geld zu verleihen, wie sie sich geliehen haben oder worüber sie laut Gründungsakt verfügen: „Bei den größeren Finanzinstituten in Deutschland lag die bilanzielle Eigenkapitalquote 2012 lediglich bei ungefähr 2 Prozent.“ (https://etf.capital/eigenkapitalquote-banken/) In diesem Geschäftszweig lebt man also von vornherein über seine Verhältnisse!

Natürlich bleibt auch vieles, was verliehen wird, innerhalb der Bank und wandert nur von einem Konto auf das andere, weil der Kreditnehmer etwas bei einem anderen Kunden der Bank gekauft hat. Und ein Liquiditätsmanagement – auch durch staatliche Regelungen vorgeschrieben – achtet genau darauf, was in der Kasse ist. Das verliehene Geld verleiht der Bank dann natürlich einen Rechtsanspruch auf Rückzahlung plus Zinsen. Diesen Rechtsanspruch kann die Bank als Wertpapier wiederum beleihen – z.B. bei der Bundesbank – oder an x-beliebige Interessenten verkaufen. Sie erhält so Geld, das sie wieder investieren kann.

Insofern lebt das Geschäft der Banken einerseits davon, möglichst viel Geld zu verleihen, weil die darauf gezahlten Zinsen ihren Gewinn vergrößern. Andererseits müssen die Banken darauf achten, über genügend „Liquidität“ zu verfügen, also mit so vielen Mitteln „flüssig“ zu sein, wie normaler Weise von der Kundschaft abgezogen wird. Wie viel das ist, stellt sich als ein Erfahrungswert in dem Gewerbe heraus, das kontinuierlich mit Ein- und Auszahlungen zu tun hat. Aber das ändert nichts daran, dass es Spekulation bleibt. Immer können Ereignisse eintreten, die die Kontoinhaber dazu veranlassen, vermehrt ihre Konten zu leeren.

Dass zwischen den beiden Seiten – dem Einnehmen und Ausgeben – ein Widerspruch besteht, Banken zugunsten höherer Gewinne dazu neigen, mehr Kredite zu vergeben, als den Liquiditätserfordernissen gut tut, und sich deshalb des öfteren in prekäre Situationen manövrieren, ist übrigens der Grund für die staatliche Aufsicht über das Bankengeschäft. Ein „Bankrott“, also die Pleite einer Bank, würde nämlich wegen der Anzahl der davon unvermeidlich mit betroffenen Gläubiger wie Schuldner und den Auswirkungen auf andere Banken, d.h. letztlich (wie der Crash von 2007/08 gezeigt hat) auf das gesamte Kreditsystem, notwendigerweise größere Folgen nach sich ziehen als die Pleite eines einzelnen Unternehmens, die es in der marktwirtschaftlichen Konkurrenz ständig gibt. Deshalb widmen die Staaten dem Kreditgeschäft eine erheblich größere Aufmerksamkeit und versuchen mit verschiedenen Vorschriften über Eigenkapital, Mindestreservesatz, Liquiditätsanforderungen usw. diesen „systemrelevanten“ Bereich ihrer Wirtschaft „sicherer“ zu machen.

Das Risiko einzuschränken, um die Spekulation sicher zu machen, ist natürlich ein Widerspruch, da sie ja gerade mit der Unsicherheit kalkuliert und aus den unterschiedlichen Erwartungen bzw. Einschätzungen der Marktakteure Profit zu schlagen versucht. Zudem schränken die Auflagen gleich wieder das Geschäft der Banken ein, die ja mit ihrer großzügigen Kreditvergabe die Wirtschaft zum Wachsen bringen sollen – weshalb auch umgekehrt wieder allzu viel an Einschränkung nicht sein darf und sich die Bankiers regelmäßig über „Überregulierung“ beschweren…

Die Schuldner der Banken: per se unsichere Kantonisten

Für das Geschäft der Banken kommt es wesentlich darauf an, dass bei den von ihnen verliehenen oder angelegten Geldern regelmäßige Zinszahlungen, Dividenden bzw. Kurszuwächse bilanziert werden können. Insofern erweist sich das Bankgeschäft abhängig vom Gang der Geschäfte, die mit ihrem Kredit angestoßen wurden. Das Problem im Fall der Silicon Valley Bank hieß nun: Die Wertpapiere der Start-up-Unternehmen hatten ihr lange Zeit Zinseinnahmen gesichert, mit denen sie weitere Geschäfte machen konnte. Als sie die Papiere allerdings vor Ablauf der Laufzeit verkaufen musste, um die Liquidität der Bank zu sichern, erwiesen sie sich – angesichts allgemein steigender Zinsen – als quasi wertlos. Warum?

Der Wert eines Wertpapiers bestimmt sich eben nicht einfach nach dem Kaufpreis. Er wird vor allem im Vergleich zu anderen Wertanlagen ermittelt. Maßstab ist dabei, inwieweit es in der Lage ist, sich zu verwerten, also mehr Geld zu generieren. Steigen allgemein die Zinsen – was in diesem Fall wegen der neuen Vorgaben der US-Zentralbank eintrat –, werden einige Wertanlagen attraktiver und andere damit eventuell entwertet. Hier hat man die ganz normale Geschäftspraxis der Branche vor sich: Die Möglichkeit, aus Geld mehr Geld zu machen, ist der ebenso schlichte wie knallharte Maßstab, an dem sich entscheidet, ob Milliarden von Euros oder Dollars vernichtet werden oder nicht.

Es geht also keineswegs um einzelne Missetaten von Versagern oder kurzsichtigen Gierlappen, um ein paar unsaubere Unternehmen, die den Preis für ihr Missmanagement bezahlen. Die Antwort auf die eingangs gestellte Nachfrage zum Thema Geldvernichtung heißt: Hier hat man es mit dem Wirken des Maßstabs zu tun, an dem nicht nur die Entscheidung für oder gegen ein Wertpapier hängt, sondern der Konsequenzen für die ganze Welt mit sich bringt. Alles dreht sich – im inzwischen internationalisierten Kreditgeschäft – eben darum: um das Gelingen der Spekulation, die Stätten der Produktion in die Welt setzt oder brach legt, Handel antreibt oder scheitern lässt, Menschen in Arbeit bringt, freisetzt oder zum Hungern verurteilt. Denn mit dem entsprechenden Geld verschafft sich der Besitzer die Verfügungsmacht über allen menschlichen wie sachlichen Reichtum in der Welt und kann demnach auch darüber befinden, was an Produktion und Distribution lohnend ist und was nicht.

Das Bankgeschäft ist mit seinen Krediten und Geldanlagen ebenfalls davon abhängig, dass die einen ein lohnendes Geschäft bewirken und die anderen sich gut verzinsen. Die Konkurrenz der Unternehmen untereinander sorgt allerdings mit Notwendigkeit dafür, dass auf keinen Fall alle Investoren mit dem Kredit, den sie sich bei den Banken verschaffen, ein genügend großes Wachstum hinkriegen. Mit anderen Worten: Zahlungsausfälle auf Seiten der Schuldner sind kapitalistischer Alltag – anders geht eine Marktwirtschaft schlicht nicht. Einzelne Ausfälle kann eine Bank dabei verkraften, kommt es jedoch zu einer Vielzahl von Ausfällen, ist die Liquidität des Instituts bedroht. Dann bewerten Anleger wie Einleger die Aussichten ihres Geschäfts neu, ziehen ihr Geld im Fall des Falles ab und die nächste Bankenkrise nimmt ihren Lauf…

Der wirtschaftliche Sachverstand: sucht Schuldige

Bankenkrisen, die mit ziemlicher Regelmäßigkeit auftreten, gehören also systembedingt zum Kapitalismus dazu. Die letzte Finanzkrise ist ja nicht lange her und auch davor gab es in Abständen solche Krisen. Eine ganze Reihe von Banken ist nicht nur deshalb verschwunden, weil sie von anderen aufgekauft wurden, sondern auch, weil sie mit staatlicher Unterstützung abgewickelt wurden. So ist die Zahl der Landesbanken erheblich geschrumpft, um hier nur an einige deutsche Champions von damals zu erinnern. Dennoch suchen Journalisten, Wirtschaftswissenschaftler und Politiker bei jeder Krise die „Schuldigen“ – ganz so, als ob diese Krisen nicht im Wesen dieses Geschäftes und seiner spekulativen Basis begründet wären:

Jede-r welcher nicht weis, sucht nach Schuldigen oder bestellt sich einen Hausmeister zum Wirtschaftsminister.

„In den letzten zehn Jahren machte die Credit Suisse insgesamt einen Verlust von 3,2 Milliarden Franken – und schüttete in der gleichen Zeit Boni von 32 Milliarden Franken aus. Hohe Boni, hohe Risiken. Das war nach der Finanzkrise so, als der damalige Vorstandschef Brady Dougan unter seinem überforderten Verwaltungsrat Urs Rohner die Bank leitete. Das war unter Nachfolger Tidjane Thiam so, der später wegen seiner Verwicklung in eine Spitzelaffäre gehen musste. Und auch das letzte Führungsduo, Ulrich Körner und Axel Lehmann, änderte nicht viel an der Strategie. Stattdessen glaubten die beiden, mit Durchhalteparolen und Geld von saudischen Aktionären einfach so weitermachen zu können wie bisher.“ (SZ, 24.3.23)

Da müsste sich allerdings die Frage aufdrängen, wie solche Pfeifen dauernd in die Führungspositionen von Konzernen gelangen? Aber es ist ja einfach die billige Tour, hinterher, wenn sich der Erfolg nicht eingestellt hat, mit der Schlaumeierei zu kommen, dass man dieses Geschäft besser unterlassen hätte.

Die landläufige Kritik basiert auf der eher kindischen Vorstellung, dass das ganze spekulative Geschäft von Unternehmen wie Banken sicher zu machen sei. Aus diesem Grunde gibt es eine ständige Diskussion darüber, wie das Bankengeschäft neu oder besser zu regulieren wäre: „Rund 70 Milliarden Euro hat die Rettung der Banken damals allein die deutschen Steuerzahler gekostet. Geld, das man auch in Schulen oder die Bahn hätte stecken können. Und die Frage, die sich viele Menschen gerade nicht nur in der Schweiz stellen lautet: Hat die Welt, hat die Politik, haben vor allem Banken denn gar nichts dazu gelernt?“ (SZ)

Dass Staaten Unmengen Geld in Banken statt in Schulen oder Infrastruktur stecken, ist eben ein Hinweis darauf, was in dieser Gesellschaft Priorität hat. Das Geldgeschäft mit dem Geschäft, das auf Geldvermehrung setzt, muss laufen, davon ist alles in dieser Gesellschaft abhängig gemacht und deshalb werden im Zweifelsfall auch alle Mittel dafür mobilisiert: Banken sind in diesem Sinn tatsächlich so nötig für diese Gesellschaft wie der Blutkreislauf für den Menschen. Schulen können auch später renoviert werden; es braucht sie zwar für den Nachwuchs der Nation, aber dessen Brauchbarkeit ist nicht unmittelbar gefährdet, wenn die Fenster zugig sind oder der Putz bröckelt. Auch die Bahn ist für die nötigen Transporte von Waren und Arbeitskräften unerlässlich, aber das geht auch mit Verspätungen und Überfüllung.

Gelernt haben Politiker und Banken nach der letzten Finanzkrise durchaus. Die Politik hat die Banken zu einer höheren Eigenkapitalquote verpflichtet und so das Kredit- und Anlagengeschäft beschränkt, wobei streng darauf geachtet wurde, dass dies nicht zu sehr die Kreditvergabe der Banken an die Wirtschaft behindert. Die Banken haben ihrerseits alles dafür getan, damit ihr Geschäft auch unter diesen Bedingungen nicht leidet und sie diese Regelungen für sich nutzen können.

Der Rest der Welt wurde dabei nicht gefragt. Und was sollten die kleinen Sparer auch lernen? Ihre Zinsen wurden gekürzt und die Gebühren erhöht, so dass nicht nur ihre Einkommen in den letzten Jahren geschrumpft sind, sondern auch ihre Rücklagen, sofern sie denn welche haben. So geht sie eben, die schöne Marktwirtschaft.

Zuerst erschienen bei Telepolis

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —   Staats- und Regierungschefs beim G20-Gipfel in Rom 2021

Abgelegt unter Bildung, Finanzpolitik, International, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

NATO-HYÄNE URSULA

Erstellt von DL-Redaktion am 11. April 2023

Die Karriere der von der Leyen

Drei von der Zankstelle

Quelle       :    RATIONALGALERIE

Autor: Uli Gellermann

Glaubt man der britischen Zeitung THE SUN, dann könnte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, bald die Nachfolge von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg antreten. Das berichtete THE SUN unter Berufung auf eine diplomatische Quelle. Die SUN gehört dem US-amerikanischen Medien-Milliardär Rupert Murdoch. Und was Murdoch berichtet, egal wie trübe seine Quellen auch sind, das will er auch. Und was Murdoch will, das wird geschehen; früher oder später.

Doktorarbeit nicht selbst erlegt

Frau von der Leyen findet im Tierreich ein eindeutig kompatibles Tier: Die Hyäne. Hyänen, das weiß die Zoologie, ernähren sich von Aas, von totem Fleisch. Schon die Doktorarbeit der von der Leyen nährte sich von Wissen, das sie nicht selbst erlegt hatte: In von der Leyens Dissertation aus dem Jahr 1990 finden sich jede Menge Textübernahmen von anderen, die sie nicht als solche gekennzeichnet hatte. Auch im Sozialverhalten sind Hyänen für die von der Leyen beispielhaft: Tüpfel- und Schabrackenhyänen leben in Gruppen, die „Clans“ genannt werden.

Hyänen leben in Clans

Die Albrechts, Ursulas Vorfahren, sind ein großbürgerlicher Clan gläubiger Protestanten. Das anerkannte Oberhaupt war Ernst Albrecht. In dessen Zeit als Ministerpräsident Niedersachsens hatte der Geheimdienst das „Celler Loch“ inszeniert, einen Bombenanschlag auf ein Gefängnis, der der RAF in die Schuhe geschoben werden sollte. Ob Ernst Albrecht seiner Tochter die Geheimdienst-Verbindungen vererbt hat, ist nicht bekannt. Vererbt hat er ihr eindeutig sein CDU-Macht-Netzwerk: Die Basis der von der Leyen, die es, darauf gestützt, von der niedersächsischen Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit, über die Jobs der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Bundesministerin für Arbeit und Soziales und von 2013 bis 2019 zur Bundesministerin der Verteidigung gebracht hat. Seine Krönung erfuhr das Clan-Geflecht, als die Dame Präsidentin der Europäischen Kommission wurde.

Raum für die Menschenfresserei

Dass die von der Leyen heftig an totem Fleisch interessiert ist, lässt sich am besten in ihrer Haltung zum Ukrainekrieg erkennen: Gern lässt sie 450 Millionen Euro an EU-Geldern für Waffen für die Ukraine überweisen, in einen Krieg, der nur noch mehr Tote produziert. Die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat sich auch für die Lieferung von „Leopard 2“-Panzern an die Ukraine ausgesprochen: „Ich denke, die Ukraine sollte die militärische Ausrüstung bekommen, die sie braucht“. Und als sie sich für den EU-Beitritt der Ukraine aussprach, war ihr klar, dass es um die weitere Einkreisung Russlands und die Verlängerung des Krieges ging. Hyänen sind territoriale Tiere, die Reviergröße hängt von der Art und dem Nahrungsangebot ab. Die Erweiterung des EU-Territoriums gibt die prima Aussicht auf mehr Platz für den Krieg, mehr Raum für die Menschenfresserei.

„Strafmaßnahmen“ in der Schublade

Als die TAGESSCHAU ihr untertänig die Schlagzeile „Die Macht der Krisenmanagerin“ widmete, textete Helga Schmidt vom ARD-Studio Brüssel: „Am Tag, als Wladimir Putin seine Truppen in die Ukraine einmarschieren lässt, liegen in einem Brüsseler Büro die Strafmaßnahmen schon in der Schublade. Akribisch vorbereitet, im Berlaymont-Gebäude, wo Ursula von der Leyen ihr Büro hat. Wochen vorher hatte sie ihre engsten Mitarbeiter darauf angesetzt, die schärfsten Sanktionen in der Geschichte der EU vorzubereiten“. Wer der NATIO so nahe steht wie die von der Leyen, der kann sich ausrechnen, wann die Russen ihre Einkreisung durchbrechen werden, der weiß, wann die Bedrohung Russlands durch die US-Biowaffen in der Ukraine eine militärische Antwort finden wird. Der hat die „Strafmaßnahmen“ in der Schublade.

Entscheidung zu einem Atomkrieg

Nun soll die von der Leyen den leckersten Job bekommen, den sich eine Hyäne vorstellen kann: Sie wird mit darüber entscheiden, wann Europa zu einem Schlachtfeld, zu einer prima Gegend für Aasfresser wird. Die Dame speichelt schon und freut sich auf ihr Büro in der Ulmer NATO-Kommandozentrale. Die Nuklearwaffen für die NATO sind heute auf sechs Luftwaffenstützpunkten in Kleine Brogel (Belgien), Büchel (Deutschland), Aviano und Ghedi Torre (Italien), Volkel (Niederlande) und Incirlik (Türkei) stationiert. Die Geschwindigkeit, mit der der Westen auf einen Krieg in Europa zusteuert, lässt keinen Zweifel zu, dass die Entscheidung zu einem Atomkrieg mit ähnlichem Tempo fallen würde. Hyänen kennen keinen Zweifel.

Als Schützen-liesel im eigenen Land, spielt sie die NATO Instrumente mit rechter Hand.

Von der Leyen – die ideale Frontfrau

Einen konventionellen Krieg können die NATO-Länder nicht gegen Russland gewinnen: Dazu sind die Nachschublinien der westlichen Truppen zu lang. Schon jetzt ist zu beobachten, dass die ukrainischen Truppen, die geplanten Opfer im Krieg gegen Russland, nicht schnell genug munitioniert werden können, um eine Entscheidung zu erzwingen. Aber natürlich erwarten die USA auf Dauer einen Sieg. Warum sonst hat man die NATO-Grenze immer näher an die russischen Grenzen verschoben? Mit der Absicht, die Ukraine in die NATO aufzunehmen, hat sich das West-Bündnis vom alten Konzept des strategischen Gleichgewichts verabschiedet. Für diese gesteigert Aggressivität ist die von der Leyen die ideale Frontfrau.

Germans to the Front

Der Aggressor mit der Rentnermaske, Joe Biden, hat die neue NATO-Chefin erkannt: „Danke, Frau Präsidentin, für die persönliche Freundschaft, die Partnerschaft und vor allem für die Führungsstärke.“ Das sagte der US-Präsident bei seinem ersten Besuch in Europa nach dem Beginn des Kriegs in der Ukraine. Führungsstärke, das meint „Germans to the Front“; deren Blut zu vergießen, fällt einem US-Präsidenten leicht und mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, der künftigen Nato-Generalsekretärin, hat er eine kongeniale Partnerin gefunden: Aas können Hyänen aus einer Entfernung von zehn Kilometern riechen.

Urheberrecht

Die durch die Seitenbetreiber erstellten Inhalte und Werke auf diesen Seiten unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Die Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und jede Art der Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtes bedürfen der schriftlichen Zustimmung des jeweiligen Autors bzw. Erstellers. Downloads und Kopien dieser Seite sind nur für den privaten, nicht kommerziellen Gebrauch gestattet.

*********************************************************

Grafikquelle :

Oben      —    Secretary of Defense Ash Carter is speaks with German Defense Minister Ursula von der Leyen and Atlantik-B. Chairman Friedrich Merz as he arrives at the Allianz Forum in Berlin, Germany, as part of a European trip June 22, 2015. Secretary Carter is traveling in Europe to hold bilateral and multilateral meetings with European defense ministers and to participate in his first NATO ministerial as Secretary of Defense. (Photo by Master Sgt. Adrian Cadiz/Released)

Abgelegt unter Bildung, Europa, Niedersachsen, P.CDU / CSU | Keine Kommentare »

Zu den Corona-Maßnahmen

Erstellt von DL-Redaktion am 5. April 2023

Von falschen Versprechungen und Maßnahmen-Lockdown+Impf-Krise

Von Johannes Kreis

Die „naturwissenschaftliche Wirklichkeitskonstruktion“ des Grundgesetzes und die „Operationalisierung von Grundrechten“ nach Kersten/Rixen

Ich möchte im Zusammenhang mit der Corona-Maßnahmen-Lockdown-Impf-Krise auf die „naturwissenschaftliche Wirklichkeitskonstruktion“ des Grundgesetzes und die „Operationalisierung von Grundrechten“ nach Kersten/Rixen (2022) aufmerksam machen. Herr Rixen ist Mitglied im Deutschen Ethikrat.

  • Kersten, Rixen, „Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise“, C.H. Beck, 3. Aufl., 2022

Hier insbesondere Kapitel VIII, „Impfen“.

[Anmerkung:

Für Menschen wie Jens Kersten und Stephan Rixen ist das, was hier gesagt wird, nicht zugänglich oder verständlich. Es ist nicht Teil ihrer Wirklichkeit. Es existiert in der Welt dieser Herren nicht. Genauso wie es in der Welt vieler deutscher Gerichte nicht existiert.]

I. Die falschen Versprechen des PEI

Der blanke Unsinn, den Kersten/Rixen verbreiten, ist gefährlich. Darauf wird weiter unten detailliert eingegangen. Er ist Teil dieser „selbstverständlichen Wissenschaft“,  die in unerhörter Selbstanmaßung  vorher undenkbare“, beschleunigte Zulassungsverfahren (PEI) für COVID-19 Impfstoffe versprochen hat, mit fürchterlichen Folgen.

Warum können COVID-19-Impfstoffe so schnell zugelassen werden und zugleich sicher sein?

Die Entwicklung von Impfstoffen gegen neue Erreger ist ein komplexer und langwieriger Prozess, der meist mehrere Jahre beansprucht.“

Diese Erkenntnis hat alle an der Impfstoffentwicklung beteiligten Expertinnen und Experten bewogen, die Zusammenarbeit enger und die Prozesse effizienter zu gestalten, ohne Abstriche bei der Sorgfalt zu machen. Dies hat auch zu deutlichen Optimierungen der Verfahrensabläufe und einem Zeitgewinn bei der Entwicklung geführt.

#1 Zeitgewinn durch Wissenschaftliche Beratung

#2 Zeitgewinn durch Rolling Review

#3 Zeitgewinn durch Kombination von klinischen Prüfungsphasen

#4 Zeitgewinn durch Forschungswissen zu Coronaviren

Die neuen Verfahren zur Zulassung von COVID-19 Impfstoffen waren auf Zeitgewinn hin optimiert, weil es schnell gehen sollte. Die Kombination von klinischen Prüfungsphasen umfasst dabei das Ineinanderschieben von Prüfungsphasen („Teleskopierung“), bei dem die nächste Phase schon anfängt, bevor die vorangehende Phase abgeschlossen ist. Das PEI verspricht, dass keine Phase ausgelassen worden ist, vgl. ebenda.

Können einzelne Phasen der Impfstoffentwicklung ausgelassen werden?

Nein.

Die Entwicklung und Herstellung von sicheren und wirksamen Impfstoffen ist hochkomplex. In der EU und damit auch in Deutschland standen uns ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie – vorher undenkbar – bereits drei wirksame und sichere Impfstoffe gegen COVID-19 zur Verfügung. Sie alle haben den regulären Weg der Impfstoffzulassung in kurzer Zeit durchlaufen, ohne wichtige Entwicklungsphasen auszulassen – ganz zentral hierbei ist die klinische Prüfung auf Sicherheit und Wirksamkeit. Diese umfassende Prüfung ist wichtig – schließlich werden Impfstoffe gesunden Menschen verabreicht.“

Das PEI spricht von einer Entwicklungs- und Zulassungsgeschwindigkeit, die „vorher undenkbar“ war. Warum war das „vorher undenkbar“, wenn eine solche Beschleunigung der Entwicklung und Zulassung so einfach und ohne Abstriche bei der Sicherheit zu bewerkstelligen ist?

Interessanterweise wird kaum noch geimpft, siehe Impfdashboard der Bundesregierung,

Aber die Variantenentwicklung von SARS-CoV2 Viren ist unverändert weitergegangen. Denn die Variantenbildung bei Viren ist das Naturgesetz. Sie ist Teil der Evolutionsmaschine Natur. Und die Katastrophe bleibt aus.

Neben der Beschleunigung der Zulassungsverfahren durch „Teleskopierung“ verkürzte man die Testdauern. Gleichzeitig, und das darf nicht vergessen werden, hat man die Studien zur Arzneimittelsicherheit frühzeitig  geöffnet („unblinded“). D.h. man hat aus „ethischen Gründen“ der Placebogruppe die Impfsubstanzen angeboten. Damit gab es keine Vergleichsgruppen mehr. Langfristige Nebenwirkungen waren so nicht mehr erkennbar.

Die ungeheure Anmaßung der Wissenschaft (im wesentlichen Landesbeamte und Bundesbeamte), dass man diesen beschleunigten Prozess beherrschen würde, weil man soviel wüßte, ist zentraler Bestandteil der „naturwissenschaftsfreundlichen – Wirklichkeitskonstruktion“  des Grundgesetzes, was Kersten/Rixen vollkommen übersehen, siehe unten. Anscheinend verzeiht das Grundgesetz jede wissenschaftliche Anmaßung.

II. Ein Dokument der Zeitgeschichte

Diese jeden Zweifel erstickende  „Sofort“-Wissenschaft, die so selbstverständlich scheint, kommt auch in der gemeinsamen Stellungnahme der Präsidenten der außeruniversitären Forschungsorganisationen zu COVID-19 von Oktober 2020 zum Ausdruck. Dieses Dokument der Zeitgeschichte trägt die eigenhändige Unterschrift von 6 Präsidentinnen und Präsidenten der außeruniversitären Forschungsorganisationen in Deutschland. Das ist die crème de la crème der deutschen Forschung. Das ist, wo das große Geld sitzt. Mehr Wissenschaft geht in Deutschland nicht.

  • Presseerklärung zur gemeinsame Erklärung der Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Präsidenten von Fraunhofer-GesellschaftHelmholtz-GemeinschaftLeibniz-GemeinschaftMax-Planck-Gesellschaft und Nationaler Akademie der Wissenschaften Leopoldina, „Wissenschaftsorganisationen zur Coronavirus-Pandemie: Die Situation ist ernst“ , Max Planck Gesellschaft, 27. Oktober 2020https://www.mpg.de/15947053/stellungnahme-coronavirus-pandemie-die-situation-ist-ernst

Mit Verlinkung auf die Erklärung,

  • Gemeinsame Erklärung der Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Präsidenten von Fraunhofer-GesellschaftHelmholtz-GemeinschaftLeibniz-GemeinschaftMax-Planck-Gesellschaft und Nationaler Akademie der Wissenschaften Leopoldina, „Wissenschaftsorganisationen zur Coronavirus-Pandemie: Die Situation ist ernst“, Max Planck Gesellschaft, https://www.mpg.de/15953757/gemeinsame-erklaerung-zur-coronavirus-pandemie.pdf

Bemerkenswert ist, dass diese gemeinsame Stellungnahme auf einer mathematischen Modellierung beruht. Wer erinnert sich nicht an das weiterhin im Experiment nicht zu beobachtende Phänomen des „exponentiellen Wachstums“ der (medizinisch nicht relevanten) Testzahlen?

Auf der Webseite befindet sich auch eine Verlinkung zu der mathematischen Analyse der Datenlage von Viola Priesemann,

Objektiv betrachtet war die gemeinsame Erklärung eine reine Mutmaßung, so wie die gesamte mathematische Modellierung reine Mutmaßung war. Die prognostizierte Katastrophe ist nicht eingetreten, nicht einmal annähernd, auch nicht in 2020. Im Grund haben diese 6 Präsidenten und Präsidentinnen damals nichts gewußt, und sie wissen heute immer noch nichts. Das Nicht-Wissen wird ersetzt durch eine gemeinsame Erklärung. Jedoch eine Konsensmeinung ersetzt nicht die wissenschaftliche Erkenntnis.

Doch die deutsche Wissenschaftselite der Besoldungsstufe W2 bis W4 bescheinigt sich selbst größte Objektivität und Wissenschaftlichkeit. Dies kann man aktuell in den Wiener Thesen zur wissenschaftsbasierten Beratung von Politik und Gesellschaft der Leopoldina nachlesen. Der Präsident der Leopoldina war Mitunterzeichner der gemeinsamen Erklärung. In einer unglaublichen Selbstbeweihräucherung lobt man die eigene Leistungsfähigkeit und blendet die unzähligen falschen Hypothesen und Ansätze schamlos aus.

„Ohne Wissenschaft wüssten wir nicht, was die „seltsame Lungenkrankheit“ verursacht, hätten wir nicht in kurzer Zeit Impfstoffe und wirkungsvolle Medikamente entwickelt. Ohne Bezug auf wissenschaftliche Erkenntnisse gäbe es auch keine zielgerichtete öffentliche Diskussion über notwendige Maßnahmen und für die Politik keine Möglichkeit, evidenzbasiert zu entscheiden. 

Die Pandemie hat die Leistungsfähigkeit der Wissenschaft eindrucksvoll unter Beweis gestellt.“

Von dieser Seite ist keine kritische Auseinandersetzung mit den „vorher undenkbaren“, beschleunigten Zulassungsverfahren für neuartige Impfstoffe und Medikamente zu erwarten. In diesen Thesen geht es unverhohlen um einen Machtanspruch, nämlich entscheiden zu dürfen, wer Expertise hat und in den Beratungsgremien der Politik sitzen darf, wer zu einem aktuellen Problem gehört wird und wer nicht. Vgl. ebenda,

Wissenschaftsakademien wissen, wer wirklich Expertise hat

Wissenschaftsakademien versammeln als Gelehrtengesellschaften die „klügsten Köpfe“ aus Wissenschaft und Forschung und haben Zugriff auf das aktuellste und bestgesicherte Wissen. Sie sind daher eine glaubwürdige Informationsquelle, gerade auch dann, wenn es um die Einrichtung und Besetzung von Beratungsgremien geht. Aufgrund ihrer Unabhängigkeit und ihres fachlichen Überblicks können Akademien rasch und zuverlässig erklären, wer die maßgeblichen Personen mit entsprechender Kompetenz in einem bestimmten Themenfeld sind.“

Nicht die Daten sind entscheidend, nicht das Experiment, sondern die „maßgeblichen Personen“. Dieses falsche Grundverständnis von Wissenschaft entzieht einer rationalen, am wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn orientierten Diskussion jeden Boden. Denn, wer die falsche Auffassung vertritt, der wird nicht zur Diskussion zugelassen.

Dieses falsche Verständnis von Wissenschaft überträgt sich auf den Rest der Gesellschaft und damit auch auf die Rechtswissenschaft und in die Gerichtssäle. Dort operiert man leichtfertig und sorglos mit „abstrakt-generellen Nutzen-Risiko Abwägungen“ von hier „maßgeblichen“ Organisationen.  Was soll schon passieren, die „maßgeblichen Personen“ sagen es ja.

Die deutsche Wissenschaftselite hat sich eine eigene Wirklichkeit geschaffen. Die Worte stehen nicht mehr für tatsächliche Ereignisse oder physikalische Objekte, sondern sie stehen für sich selbst tragende Wirklichkeitskonstrukte, ohne Bezug zur Realität. Die wissenschaftliche Hypothese wird zur Wirklichkeit, auch wenn man keinerlei Belege hat. Wichtig ist nur, dass man sie häufig genug behauptet, dass genügend viele sie wiederholen und dass alle kritischen Stimmen unterdrückt sind.

Wenn alle kritischen Stimmen verstummt sind, dann muß doch die einzige im Raum verbleibende Behauptung die richtige sein, so die Annahme.

III. Die wirren Ideen der Herren Kersten und Rixen

Kommen wir damit zu den wirren Ideen von Jens Kersten und Stephan Rixen, die von vielen anderen Juristen geteilt werden. In vollkommener Verkennung, was Naturwissenschaft bedeutet, und in nahezu einmaliger Naivität hat man sich den Bären von der „allwissenden Wissenschaft“ aufbinden lassen, die sich nur noch um einige wenige, offene Detailfragen zu kümmern hätte.

  • Kersten, Rixen, „Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise“, C.H. Beck, 3. Aufl., 2022

Schauen wir hier insbesondere auf Kapitel VIII.3, zu der „Impfverweigerung“. Dort lesen wir eingangs,

„Wer das Vorhandensein virologischer Bedingungszusammenhänge in Abrede stellt oder die Wirksamkeit des Impfens prinzipiell leugnet, stellt die naturwissenschaftsfreundliche Wirklichkeitskonstruktion in Frage, die dem Grundgesetz zugrunde liegt.“

Dem Grundgesetz liegt sicherlich eine „naturwissenschaftsfreundliche Wirklichkeitskonstruktion“ zugrunde. Die Erkenntnis des Menschen ist begrenzt und ganz offensichtlich kann sich der Mensch der Wirklichkeit in seiner Erkenntnis nur annähern. Aber sollte das den kritisch denkenden Juristen nicht zur Vorsicht mahnen, gerade wenn die deutsche Wissenschaftselite sich selbst so über den grünen Klee lobt?

Inzidenz-D.jpg

Es ist eine objektive Tatsache, dass es Jahre gegeben hat, in denen die Effektivität der Grippeschutzimpfung negativ gewesen ist, d.h. die Geimpften erkrankten häufiger an der Grippe als die Ungeimpften. Wo findet diese Tatsache Platz in der Wirklichkeitskonstruktion von Kersten/Rixen?

„Dagegen bestand gegen eine Infektion mit Influenza-A(H3N2) gar kein Schutz. Die Effektivität fiel mit -28 Prozent sogar negativ aus, was ein tendenziell höheres Erkrankungsrisiko für Geimpfte vermuten lässt.“

Und bei der Grippe sprechen wir von bekannten Impfstoffen, die seit Jahrzehnten untersucht sind, und nicht von neuartigen Gen-Impfstoffen, zu deren Wirkmechanismus nur Mutmaßungen existieren.

Es folgt dann bei Kersten/Rixen eine Aufzählung von Themenbereiche, die gemäß Grundgesetz der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes zugewiesen sind, z.B. die Flugsicherung oder die Atomkraft, in der irrigen Annahme, dass damit per se eine grundgesetzliche Wertung zu dem naturwissenschaftlichen Inhalt dieser Themen verbunden sei. Dabei werden Kritiker von Kersten/Rixen ganz nebenbei als „Schwerkraftleugner“ gekennzeichnet.

Vgl. ebenda,

„Wer den Flugverkehr regelt, sollte nicht an der Schwerkraft zweifeln. Ein Gesetz, das anordnet „Die Schwerkraft ist verboten“ wäre in etwa so sinnvoll wie ein Gesetz, das der Sonne verbietet, Licht zu spenden.“.

Auf dieser Ebene wird sicherlich jeder zustimmen, aber nehmen wir das Beispiel Atomkraft von Kersten/Rixen. Jeder der Zeitung liest weiß, dass derzeit in Deutschland die Atomkraftwerke abgeschaltet werden, während in Frankreich, indirekt über die EU auch von Deutschland finanziert, neue Atomkraftwerke gebaut werden. Ist die Wirklichkeitskonstruktion in Frankreich eine andere als in Deutschland?

Weiter heißt es bei Kersten/Rixen zu den Kritikern des Corona-Wahns,

„Niemandem kann z.B. verboten werden zu glauben, die Erde sei eine Scheibe. Allerdings gibt es keinen grundrechtlichen Anspruch darauf, dass Staat und Gesellschaft den eigenen, naturwissenschaftsskeptischen Blick auf die Welt zum allein maßgeblichen Blick erklären.“

Es gibt Schwerkraft und die Erde ist keine Scheibe. Welche molekularbiologische Theorie oder Hypothese wäre damit bewiesen?  Oder soll man es so lesen, dass sich der Kenntnisstand in der Virologie auf dem Stand der Wissenschaft im antiken Griechenland befindet, als Aristoteles beobachtete, dass die Erde einen kreisförmigen Schatten auf den Mond wirft und daraus schloß, dass die Erde eine Kugel sei?

Dass es berechtigte, sogar zwingende Kritik z.B. an der Maskenpflicht oder an den neuartigen Impfstoffen gibt, ist in der Welt der Herren Kersten und Rixen schlicht nicht vorstellbar. Sie teilen diese augenscheinliche Unfähigkeit mit dem größeren Teil der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.

Auf diesem Niveau ist jede inhaltliche Diskussion von vornherein ausgeschlossen. Und das ist wohl auch der tatsächliche Zweck dieser Diffamierung. Die Verweigerung der inhaltlichen Auseinandersetzung ist das Machtinstrument. Es kann(!) nichts Vernünftiges gegen eine Maskenflicht gesagt werden, so der Trick, deshalb muß dazu auch nicht gesprochen werden. Die Verabsolutierung einzelner Wahrheiten und die Verweigerung der Diskussion dazu ist der Kern dieses diktatorischen Gedankengutes.

Wenn man den Sachverhalt auf der Ebene von „die Erde ist keine Scheibe“ oder „es gibt Schwerkraft“ beschreibt, dann macht eine juristische Bewertung des Sachverhaltes gar keinen Sinn. Es ist in höchstem Maße erstaunlich, dass deutschen Vorzeige-Staatsrechtlern dies nicht auffällt.

Die weiteren Ausführungen von Kersten/Rixen zur „Impfverweigerung“ hängen so, wie schon die einleitende „naturwissenschaftliche Wirklichkeitskonstruktion“ des Grundgesetzes vollkommen in der Luft. Denn die ernsthafte Überprüfung dieser Wirklichkeitskonstruktion wird verweigert.

Fragen, z.B. nach der Sicherheit der Impfstoffe, werden von den beiden Juristen, trotz „vorher undenkbarer“ Teleskopverfahren bei der Zulassung, zur „Identitätsfrage“ erklärt, bei der sich eine unsachliche und irrationale Minderheit der „Vernunft der Mehrheit“ verschließt. Vgl. ebenda,

„Es geht um eine Identitätsfrage, die das Selbstverständnis der Person in einem politischen Gemeinwesen fundamental berührt. Ein um die Menschenrechte – die im Kern Minderheitenschutz sind – angeordneter Verfassungsstaat muss sich zu dem Faktum verhalten, dass es Minderheiten gibt, die sich der Vernunft der Mehrheit verschließen, und zwar auch bei Gesundheitsfragen.“

Die Mehrheit, zu der zufällig die Herren Kersten und Rixen gehören, ist vernünftig, und für die unvernünftige Minderheit bedarf es keines Minderheitenschutzes, denn wenn sie „vernünftig“ wäre, wäre sie nicht die Minderheit. Es ist bemerkenswert mit welch Simpelton-Argumenten die deutsche Juristenelite aufwartet.

Hier zeichnet sich eine Zwei-Klassen-Gesellschaft ab, die sich in „Vernünftige“ und „Unvernünftige“ teilt, was nicht zu diskutieren ist, denn mit „Unvernünftigen“ kann man nicht reden. Gerade vor dem Hintergrund der jüngeren deutschen Geschichte mahnen solche Einteilungen zu äußerster Vorsicht.

Es ist noch nicht so lange her, dass deutsche Staatsanwälte für den Diebstahl von zwei Scheiben Brot die Todesstrafe gefordert und auch bekommen haben, teilweise in der von der Staatsanwaltschaft dazu eingelegten Revision.

Wie weit sind einzelne Mitglieder der deutschen Juristerei von den Kommentatoren der Nürnberger Rassegesetze entfernt? Hat man seinerzeit den Kritikern der Nürnberger Rassegesetze vorgeworfen, die Erde für eine Scheibe zu halten und die Wissenschaft des Instituts für Rassekunde der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zu leugnen? Waren diese Kritiker Rassegesetz-Leugner?

Wer fühlt sich bei einigen juristischen Ausführungen aus den letzten 3 Jahren nicht an Karl Larenz erinnert, der dem Nicht-Deutschen die Rechtsfähigkeit absprach?

„Larenz befürwortete die umfassende Einflussnahme der Staatsführung auf privatrechtliche Vereinbarungen. Bezeichnend in diesem Sinne ist seine Neudefinition der Rechtsfähigkeit: „Rechtsgenosse ist nur, wer Volksgenosse ist; Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist. Dieser Satz könnte an Stelle des die Rechtsfähigkeit ‚jedes Menschen‘ aussprechenden § 1 BGB an die Spitze unserer Rechtsordnung gestellt werden.“

Wie übersetzt man das in juristischen Neusprech, „Rechtsgenosse ist nur, wer geimpften Blutes ist“?

Tribute to White Power

Nicht nur Kersten und Rixen ziehen extremste Positionen, z.B. die Erde sei eine Scheibe oder es gäbe keine Schwerkraft, heran, um einen Kontext zu schaffen, der valide Argumente diskreditiert. Das ist analog dem Vorgehen von Spiegel TV, die seit 3 Jahren in kurzen Ausschnitten scheinbare Sonderlinge auf Demonstrationen zeigen, um implizit den Teilnehmern der Demonstration den Status von Sonderlingen und Aluhutträgern zuschreiben zu können.

Es fehlt nicht nur an jeder Bereitschaft, sich ernsthaft mit den vielen offenen Fragen der Virologie auseinanderzusetzen. Es ist auch die Frage zu beantworten, wo sich diese Zurschaustellung von Menschen von der fürchterlichen Propaganda zur „Gefährdung der Volksgesundheit“ in der jüngeren deutschen Geschichte unterscheidet?

Sollte man Kersten, Rixen und den viele andere Infektionsschutzrechtsexperten ihren Tunnelblick auf die Wissenschaft nachsehen, weil sie ihr Unwissen nicht zu vertreten haben? Auch wenn es naiv anmutet, zu unterstellen, man könne die 10 – 15 Jahre Entwicklungszeit für Impfstoffe ohne weiteres auf 6 Monate teleskopieren, oder die Maskenpflicht hätte selektiv zum Ausfall nur der Grippewellen geführt. Die hier gestellten Fragen existieren in der Welt der meisten Juristen nicht. Sie leben in einem „naturwissenschaftlichen Wirklichkeitskonstrukt“, in dem die Wissenschaft alles weiß und sich daher jede kritische Frage verbietet. Sie können, genau wie die deutsche ordentliche Gerichtsbarkeit das nicht erkennen, was es in ihrer Welt nicht gibt. Die „maßgeblichen Personen“ der Leopoldina, siehe oben, haben doch gesagt, dass alles richtig ist.

Aber, die selektive Wahrnehmung in diesen Kreisen umfasst bemerkenswerterweise nicht nur naturwissenschaftliche Fragen, sondern auch Fragen der Rechtswissenschaft, die um einige dieser Fragen einen allzu offensichtlichen Bogen macht.

So stellt in einem Buch zum Infektionsschutzrecht, an dem Herr Rixen mitgearbeitet hat, ein illustrer Kreis von mutmaßlich Rechtskundigen zwar fest, dass die Bundesregierung schon im April 2020 das Haftungsrisiko der Impfstoffhersteller per Rechtsverordnung verringert hat, siehe,

  • Kluckert (Hrsg.), „Das neue Infektionsschutzrecht“, Nomos, 2. Auflage. 2021

Und dort,  §7 Medizinprodukte und die epidemische Lage von nationaler Tragweite Rn. 51

„Eine erste Maßnahme ist auf Grundlage von § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 lit. a und lit. b IfSG bereits getroffen worden: Das BMG erließ am 8.4.2020 die „Verordnung zur Beschaffung von Medizinprodukten und persönlicher Schutzausrüstung bei der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie.“ Durch diese Verordnung befreite die Bundesregierung deutsche Unternehmen, die auf internationalen Märkten tätig sind und als Vertragspartner der Bundesregierung die aktuell dringend benötigte persönliche Schutzausrüstung und Medizinprodukte beschaffen, von dem damit normalerweise verbundenen Haftungsrisiko.“

Aber niemand aus dem Kreis dieser Rechtsexperten, unter anderem Rechtsanwälte des Deutschen Hausärzteverbandes und des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI), kann die Frage beantworten, warum eine Verminderung des Haftungsrisikos die Versorgung mit Arzneimitteln sicherstellt?

Was ist denn hier die innere Logik? Es soll schnell gehen, deshalb kann es Probleme geben. Wenn es aber Probleme gibt, dann wollen wir keine Haftung haben?

Es ist sehr plausibel, gerade im Hinblick auf die normalerweise 10 -15 Jahre Entwicklungszeit für Impfstoffe, die man in 6 Monate „teleskopiert“ hat, dass man sich der Risiken bewußt gewesen ist und gerade deshalb das Haftungsrisiko der Hersteller vermindert hat. An dem Risiko des Bürgers, schwere Impfnebenwirkungen zu erleiden, hat das nichts geändert.

Der illustre Kreis von Infektionsschutzrechtexperten umfasst neben Prof. Dr. Sebastian Kluckert von der Universität Wuppertal,

Dr. Peter Bachmann, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, München

Nicole Böck, Rechtsanwältin, München

Andreas Fleischfresser, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht, Köln

Prof. Dr. Ulrich M. Gassner, Mag. rer. publ., M. Jur., Universität Augsburg

Dr. Kerstin Sabina Heidenreich, GKV-Spitzenverband, Berlin

Prof. Dr. Marcel Kau, LL.M., Universität Konstanz

Dr. Martin Krasney, Rechtsanwalt, GKV-Spitzenverband, Berlin

Dr. Felix Lubrich, GKV-Spitzenverband, Berlin

Dr. Klaus Ritgen, Deutscher Landkreistag, Berlin

Prof. Dr. Stephan Rixen, Universität Bayreuth

Dr. Joachim Rung, Rechtsanwalt, München

Prof. Dr. Nils Schaks, Universität Mannheim

Dr. Marc Schüffner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Berlin

Joachim Schütz, Deutscher Hausärzteverband, Köln

Prof. Dr. Felipe Temming, LL.M., Universität Hannover

Prof. Dr. Michael Tsambikakis, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht und Fachanwalt für Medizinrecht, Köln

Ulf Zumdick, Rechtsanwalt, Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) e.V., Berlin.

Wenn die neuen, „vorher undenkbaren“ Zulassungsverfahren doch sicher waren, wie das PEI versprochen hat, was hatten die Hersteller dann zu befürchten? Warum sollte dann ein über das normale Maß hinausgehendes Haftungsrisiko bestanden haben?

Die Mehrheit der deutschen Rechtstechniker verschließt sich weiterhin der ganz zentralen Frage, wie eine Verminderung des Haftungsrisikos (u.a. durch Aufhebung der Beweislastumkehr des §84 Abs. 2 S. 1 AMG)  zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung beiträgt? Kein einziger der deutschen Vorzeige-Staatsrechtler hat sich bislang öffentlich dieser Frage gestellt.

Und diese Leute wollen den Bürger belehren, was der Stand der Wissenschaft sei? Indem die entscheidenden Fragestellungen ausgespart werden?

In der irrigen und verqueren Welt von Kersten, Rixen & Co bilden die Grundrechte nicht mehr die Grenzmarken innerhalb derer sich die Staatsgewalt bewegen darf. Sondern, es ist die Staatsgewalt, die die Grundrechte nach Bedarf „operationalisiert“. Vgl. Kersten/Rixen (2022),

 „Hierin zeigt sich ein spezifisch juristischer Umgang mit Grundrechten, ein spezifisch juristischer Denkstil der Operationalisierung, der prinzipienhaft-offen angelegte, ja bekenntnishaft-vage formulierte Grundrechtstexte in alltagstauglich-konkrete Handlungsdirektiven für den Staat umformuliert.“

Damit stellt man die Grundrechte effektiv zur Disposition, während man gleichzeitig jeden Kritiker der Exekutivorgane RKI und PEI als “unvernünftig“ diffamiert, und  dem Kritiker aufgrund seiner „Unvernunft“ den Minderheitenschutz abspricht.

Grundrechte werden bewußt vage gehalten, damit sie der Staat bedarfsgerecht operationalisieren kann. Ist die Aufhebung des §84 Arzneimittelgesetz (AMG) und damit der Wegfall der Beweislastumkehr für den Geschädigten zur Verminderung des Haftungsrisikos der Arzneimittelhersteller, eine solche Operationalisierung des Art 2. Abs. 2 Grundgesetz (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit)?

Gleichzeitig sprechen Kersten/Rixen erfahrenen Ärzte, Molekularbiologen, Epidemiologen und Statistikern die Kompetenz ab und degradieren nach wissenschaftliche Standards verfasste, aber eben der verordneten Einheitsmeinung widersprechende Untersuchungen zu Google-Recherchen und Facebook-Posts, vgl. ebenda,

„Eine Gesellschaft, die dem Grunde nach völlig zu Recht um die Idee der Selbstbestimmung zentriert ist, muss damit fertig werden, dass nicht wenige Menschen Selbstbestimmung als Lizenz zum rechtfertigungsfreien Eigensinn missverstehen. Sie halten deshalb ihre per Google-Recherche und Facebook-Posts gebildete Meinung für Fachkompetenz und wehren tatsächliche Fachkompetenz beleidigt als expertokratische Übergriffigkeit ab, […]“

Nachdem wir im Bundestag gelernt haben, dass es ein “vulgäres Verständnis von Freiheit“ gibt (Helge Lindh (SPD) am 26. Januar 2022 im Deutschen Bundestag), lernen wir jetzt, dass es sich bei dem grundgesetzlich verbürgten Recht auf Selbstbestimmung tatsächlich um „rechtfertigungsfreien Eigensinn“ handelt.

Kersten/Rixen betrachten ihre Ausführungen als gerechtfertigte Kritik. Und sie fühlen sich  mißverstanden, wenn ihr Diktum, was das „maßgebliche Wissen“ sei, als „Abwertung des Subjektes“ mißdeutet wird. Vgl. ebenda,

„Angetrieben von einer Art Recht auf epistemische Selbstbestimmung, […], verwandelt sich die wissenssoziologisch zentrale Frage, was warum maßgebliches Wissen ist, in ein Wertschätzungsproblem, denn die Ablehnung von Thesen, die mit gängigen Rationalitäts- und Realitätsvorstellungen nicht vereinbar sind, gilt schnell als Abwertung des Subjekts, das sie vertritt.“

Ja, liebe Kritiker, ihr habt alle keine Ahnung, aber nein, nehmt das doch bitte nicht persönlich. Eure Beiträge kollidieren leider mit „gängigen Rationalitäts- und Realitätsvorstellungen“ und wir, die Profis, erklären auch, was die Realität ist. Die schweren Impfschäden, bis zum Tod, über die sogar im ÖRR berichtet wurde, sind wohl nicht Teil dieser „gängigen Rationalitäts- und Realitätsvorstellungen“.

Den Kritikern werfen Kersten/Rixen vor, dass sie lediglich den „Sound akademischer Kritik“ imitierten.

„Aber der kritische Gehalt von Äußerungen, die sich in Verdächtigungen und Verschwörungen ergehen und dafür die subjektive Evidenz des völlig entsicherten Vorurteils genügen lassen, ist ersichtlich nur vorgeschoben. Wut, Hass und Ressentiment werden nicht dadurch satisfaktionsfähig, dass Wissenschaftler/innen sie im Sound akademischer Kritik präsentieren.“

Dabei zitieren sie Hannah Arendt für ihre Zwecke. Dem wohnt schon eine gewisse Perfidie inne.

Zwar haben Kersten/Rixen verstanden, wie der Mechanismus der „alternativlosen“ Politik auf Basis „wissenschaftlicher“ Mutmaßungen funktioniert. Aber sie übersehen, dass das nur deshalb möglich war, weil die Politik, medial verstärkt, jede Alternative ausgeblendet hat.

„Kritisch ist aber schon zu fragen, ob der politische Betrieb, der sich so sehr auf die naturwissenschaftliche Beratung bezogen hat, die Deutungsanfälligkeit vieler (natur)wissenschaftlicher Thesen womöglich aus taktischen Gründen zu sehr nach dem Motto vereinfacht hat „Die Wissenschaft hat festgestellt“ (neudeutsch: „follow the science“), um die eigenen politischen Wertungen als alternativlosen Sachzwang auszugeben.“

Charleroi - station Janson - Les psy - 01.jpg

Auch aufgrund von Pseudo-Argumenten wie die von Kersten/Rixen waren die deutschen Gerichte bislang nicht in der Lage, der Ausblendung von Alternativen, wie z.B. des schwedischen Weges, durch die Exekutive Paroli zu bieten. Im Gegenteil, die Judikative gefällt sich als verlängerte Werkbank der Exekutive. Zu groß scheint die Angst, die sorgsam gepflegten „Wirklichkeitskonstruktionen“ zu beschädigen. Was bliebe denn noch übrig, wenn man den Anmaßungen der Leopoldina nicht mehr glauben kann?

Das irrige Gedankengut à la Kersten/Rixen gedeiht im Schatten einer unterstellten Mehrheit. Tatsächlich schlägt man sich auf die Seite der Mächtigen, anstatt die grundgesetzlich garantierte Wissenschaftsfreiheit dafür zu nutzen, das Tun der Mächtigen zu hinterfragen.

Dabei übersehen Fachfremde wie Kersten und Rixen, dass es in der Virologie vor allem um eine Verwaltung des Nicht-Wissens geht. Bis heute kann man nicht einmal zwischen einem Laborunfall und einer Zoonose in Wuhan unterscheiden (soweit man einen Laborunfall für plausibel hält). Hängt man der Zoonose-Hypothese an, wie Herr Drosten, so weiß man bis heute nicht, ob es der Marderhund, das Gürteltier oder eine Fledermaus war. Genauso wenig können die Virologen für die vorangegangenen, mutmaßlichen Pandemien durch unterstellte, neuartige Erreger aus einer Zoonose, wie MERS, SARS(1), diverse Scheine- und Vogelgrippen, BSE oder die inzwischen wieder verschwundenen Affenpocken, explizite Beweise für eine Zoonose liefern. Es bleibt weiterhin bei der unbewiesenen Hypothese.

Um dieses Unvermögen der Virologie denken Kersten und Rixen herum und blenden es aus. Denn wenn die verabsolutierten Wahrheiten der Virologie fallen, bleibt von der naturwissenschaftlichen Wirklichkeitskonstruktion der Herren Kersten und Rixen nichts mehr übrig.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Eine grafische Darstellung von Lock-down während Covid-19

*********************************

2.) von Oben         —   Aufkleber eines Impfkritikers an einer Müllbox in Heikendorf.

Abgelegt unter Bildung, Deutschland, Gesundheitspolitik, Medien, Positionen | 2 Kommentare »

Quellen der Arroganz

Erstellt von DL-Redaktion am 24. März 2023

ZWERGE GEGEN CHINA

Zwerge werden immer an großen Tische empfangen um Tatsachen zu demonstrieren

Quelle       :    RATIONALGALERIE

Autor: Uli Gellermann

Aus Jux eine Weltmacht anpinkeln?

Jüngst war Scholz, der Große, der Kanzler des Deutschländchens, in den USA. Da kam er aufgepumpt zurück und forderte öffentlich „Konsequenzen“ sollte China Waffen an Russland für den Ukraine-Krieg liefern. Hat jemand Xi Jinping zittern gesehen?

Chinesen nicht vor Angst gestorben

Da die Chinesen offenkundig nicht vor Angst gestorben sind, hat Frau Stark-Watzinger, die Bundesbildungsministerin von der Groß-Partei FDP nachgelegt und die Insel Taiwan besucht: „Mir liegt viel daran, die bestehende Kooperation in Wissenschaft, Forschung und Bildung zu stärken und auszubauen“, sagte die FDP-Politikerin nach ihrer Ankunft in der Hauptstadt Taipeh. So, als ob es zwischen Taiwan und der Bundespublik zwischenstaatliche Beziehungen gäbe.

Häuptlingsfrau „Großes Maul“

Die grüne Häuptlingsfrau „Großes Maul“ Annalena Baerbock, hatte schon im Wahlkampf 2021 ihr Motto zur Chinapolitik verkündet und von einem „Mix aus Dialog und Härte“ gefaselt. Die VR China hat das Gekläff von der Höhe einer Weltmacht aus, einfach nicht wahrgenommen.

Volksrepublik China wichtigster Handelspartner

Im Jahr 2022 wurden Waren im Wert von 298,2 Milliarden Euro zwischen Deutschland und der Volksrepublik China gehandelt (Exporte und Importe). Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, war damit die Volksrepublik China im Jahr 2022 zum siebten Mal in Folge Deutschlands wichtigster Handelspartner.

Großmacht China anpinkeln

Können die Watzingers, Baerbocks und Scholzens lesen? Dann dürften ihnen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes bekannt sein. Wenn sie trotzdem die Großmacht China anpinkeln, dann wird es sich um eine besondere Form deutscher Arroganz handeln.

Mut zur Tollkühnheit

Worauf mag sich dieser Hochmut gründen? Bei Scholz auf einen schweren Gedächtnisverlust rund um den Cum-Ex-Skandal? Bei Baerbock um ihre galoppierenden Gedankenfehler, die sich in permanenten Sprachfehlern äußern? Ob es die jährlich 50.000 deutschen Schul-Abbrecher sind, die der Bildungsministerin Stark-Watzinger den Mut zur Tollkühnheit einflößen?

undefined

Gestern noch Bildung welche sich heute als politische Verdummung zeigt.

Quellen dieser Arroganz

Welche Quellen diese Arroganz auch immer haben mag: Sie sind trübe und werden einer Wirklichkeit nicht gerecht, die den Deutschen dringend ein unideologisches Verhältnis zur VR China nahelegt.

Urheberrecht

Die durch die Seitenbetreiber erstellten Inhalte und Werke auf diesen Seiten unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Die Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und jede Art der Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtes bedürfen der schriftlichen Zustimmung des jeweiligen Autors bzw. Erstellers. Downloads und Kopien dieser Seite sind nur für den privaten, nicht kommerziellen Gebrauch gestattet.

*********************************************************

Grafikquelle :

Oben      —     President of Russia Vladimir Putin at a meeting Federal Chancellor of Germany Olaf Scholz in the Kremlin in Moscow.

*****************************

Unten       —     Wehrschatzmarke des Deutschen Schulvereins aus der Zeit des Ersten Weltkriegs.

Abgelegt unter Bildung, Deutschland, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

Verteidigung des Pazifismus

Erstellt von DL-Redaktion am 23. März 2023

Argumente für einen konstituierenden Frieden

Datei:Raúl Sánchez Cedillo.jpg

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von         :          Hanna Mittelstädt

Raúl Sánchez Cedillo: Dieser Krieg endet nicht in der Ukraine. Der spanische Philosoph und Aktivist Raúl Sánchez Cedillo schrieb eine Verteidigung des Pazifismus als kommunistisches Projekt gegen den Kapitalismus und seine Kriegsgestalt.

Es ist gleichzeitig ein Aufruf für die ökologische Bewegung als transnationaler Klassenkampf und alternatives Projekt gegen die Logik des Kapitals. Das Buch ist gerade erschienen.Ich halte es für einen wichtigen und klaren Beitrag für die notwendige gesellschaftliche, emanzipative Entwicklung gegen diesen/jeden Krieg. Unter der Voraussetzung, dass der Kapitalismus nur noch im Modus von Krieg und Krise überleben kann und uns in rasantem Tempo immer mehr Rechte und Möglichkeiten für ein „gutes Leben“ abschneidet, sei es durch direkten Krieg oder die im Rahmen eines Kriegsregimes zu erbringenden Opfer, reflektiert der Autor den eigenen Weg „der Subalternen“ und die Konstruktion einer Gegenmacht von unten.Die Voraussetzung für diesen Aufbau ist ein tiefgreifender Friedensprozess (der nicht auf die Ukraine beschränkt ist) und die Klarheit über die eigenen Wünsche und Ziele. Ein konstitutiver Frieden bedeutet Waffenstillstand mit einem gleichzeitigen Prozess der globalen Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, mit Vorstellungen für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Herrschaft, für eine Produktionsweise ohne Kommando, die auf Teilhabe und Kooperation beruht, für eine umweltbezogene soziale und mentale Ökologie.

Internationalismus oder Barbarei

In Abwandlung der Parole „Sozialismus oder Barbarei“ von Rosa Luxemburg oder des Namens der anti-stalinistischen Gruppierung der frühen Nachkriegszeit Socialisme ou Barbarie (1949 bis 1967) formuliert Raúl Sánchez Cedillo eine ausführliche und fundierte anti-nationale Kritik des aktuellen Kriegsregimes, wie es durch den Krieg in der Ukraine durchgesetzt wurde und weiter wird. Er sieht dieses Regime in der Folge des Endes des Kalten Krieges, des nach dem 11.September 2001 erklärten „Kriegs gegen den Terror“ und den verschäften Krisen nach 2008: ein Herrschaftsmodell von Krieg und Polizei, Militarisierung der Auseinandersetzungen innerhalb und ausserhalb von Staatsgebilden, medialem Lagerdenken sowie einer Verschärfung der gesellschaftlichen Kontrolle mithilfe der Digitalisierung.

Der Krieg, die Barbarei, wird flankiert von ständig beschleunigter Kriegspropaganda und Disziplinierungsmassnahmen. Das Freund-Feind-Schema wird nicht nur auf dem Kriegsschauplatz angewandt, sondern in allen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Das ist die erpresserische Macht der finanziellen, korporativen und politischen Oligarchien, und zwar überall, wo sie herrschen, in Russland wie in der Ukraine, in Europa wie in den USA, in China wie in anderen Staaten.

Durch die fortgesetzte Enteignung der „Subalternen“, durch ihre immer weitergehende Zurichtung auf die Bedürfnisse der herrschenden Regimes entstehen neue Formen des Faschismus. Die oligarchische Hyperkonzentration von Kapital und Macht nutzt über die Arbeitskraft hinaus die Subjektivität der Menschen, ihre Sprachen, Gefühle, Affekte als Produktionsmittel. Sehr hilfreich für die aktuelle Einschätzung und den missbräuchlichen Propagandadiskurs über die faschistischen Kräfte hier wie dort ist Sánchez Cedillos Charakterisierung des Faschismus anhand von „generativen Matrizen“: Erlebnis des Krieges, Pathos der Nation, Legende des Verrats, Antagonismus gegenüber dem Klassen- und Geschlechterkampf, Einsatz der Kriegsmaschine als Form von Zerstörung, Tod und schwarzem Loch. Durch die in Gang gesetzten Kriegsmaschinen ist ein neuer Faschismus, der nie aus den Gesellschaften verschwunden war, erstarkt. Er nährt erneut das Pathos: das des Krieges, der Nation, des Opfers, der Kathastrophe, des Kampfes …

Den aktuellen Krieg in der Ukraine analysiert Sánchez Cedillo als bewaffnet ausgetragenen Konflikt zwischen imperialistischen Formationen und antagonistischen Hegemonien im Weltsystem. Durch deren Rhetorik und Logik werden die subjektiven und politischen Prozesse erzeugt, die faschistische Regierungsformen und Befehlsmacht wieder vorstellbar machen.

In wichtigen Exkursen untersucht Sánchez Cedillo die historischen Entwicklungen auf dem Gebiet der Ukraine und Russlands im 20. Jahrhundert und wie es zu den aktuellen Akkumulationsformen der russischen und ukrainischen oligarchischen Eliten kam. Wie die autonomen Subjekte der russischen Revolutionen durch Pathologisierung der politischen Dissidenz, katastrophalen Extraktivismus, Ausplünderung der Arbeitskraft und des Planeten, Aufspaltung der Nomenklatura in oligarchische Clans, strategischen Nationalismus etc. entmachtet wurden und das nationalistische, patriarchale, homophobe Regime Putin mit seinem stalinistischen Pathos entstehen konnte. Die Ukraine wird deutlich als ein Gebiet, das durch Krieg, Faschismus, Antisemitismus, Stalinismus, Kapitalismus und Atomenergie verwüstet wurde. Der Krieg in der Ukraine wird als multidimensionaler Krieg sichtbar, der eine Periode entfesselter Gewalt in den sozialen, politischen Beziehungen auf der ganzen Welt eröffnet.

Das Narrativ des Westens, das Demokratie gleichsetzt mit neoliberaler Konterrevolution, definiert eine eurozentristische „Wertegemeinschaft“, die sich für „die Zivilisation“ schlechthin hält. Es verschweigt selbstredend, dass der Kapitalismus aus Sklaverei, Proletarisierung der bäuerlichen Lebensgrundlagen, Zerstörung der Ökosysteme, Kolonialismus, Rassismus, Segregation, Faschismen, Stalinismen etc. besteht und dass im Regime der Akkumulation von Kapital und Macht Politik und Krieg ununterscheidbar sind.

Konstruktion einer Gegenmacht

Wir müssen dem mit dem Aufbau von transnationalen Gegenmächten entgegentreten, einen Friedenprozess mit konstituierenden emanzipativen Praxen verbinden, um das Kriegsregime direkt am Ort des Kriegsschauplatzes, aber auch in den diesen Krieg unterstützenden Gesellschaften auszuhebeln. Dafür braucht es eine Praxis, die Subjekte und Kämpfe nicht trennt, sondern verbindet, so dass sie an die „Produktion des Gemeinsamen“ gehen können: ein Leben in Würde und Sicherheit auf dem Planeten Erde für alle.

undefined

Ein Staat kann immer nur so stark sein, wie die Machtpolitiker schwach sind. 

Der Klassenkampf der Vielen ist transformatorisch und dekonstruierend, betrifft die Form der Produktion wie das Soziale und das Mentale. Es geht um ein Netzwerk von internationalen politischen und sozialen Bewegungen, um Klassenautonomie, und nicht um einen Kampf in einer nationalen und patriotischen Armee. Der nationale Diskurs ist Teil der Kriegsmaschine.

Sánchez Cedillos Plädoyer für den Pazifismus (konstituierend, revolutionär, intelligent, die Angst überwindend) richtet sich gegen die paranoiden Pole der globalen kapitalistischen Macht in Ost wie West, Nord wie Süd. Als historisches Beispiel führt er die IWW (Industrial Workers of the World) an, die zu Beginn des 20.Jahrhunderts keine nationale, sondern eine unmittelbar globale Gewerkschaft war: trans- und multinational, räteorientiert, antirassistisch, kriegsgegnerisch, revolutionär. Eine solche Ausrichtung auf die Klassenautonomie, d.h. die Fähigkeit zum Streik, zum Kampf um Arbeits- und soziale Rechte, für die Strukturen einer Gegenmacht gegen die neoliberalen Eigentumsdemokratien: das ist heute in der Ukraine wie in Russland unmöglich, und selbstverständlich in allen kapitalistischen Staaten der Welt ebenso, in gradueller Abstufung der Repression.

Für einen emanzipatorischen, transnationalen Internationalismus von Bewegungen, Gruppen und Individuen anstelle von Regierungen, Regimen, Machteliten ist der zapatistische Aufstand von 1994 ein wichtiger Bezugspunkt. Hier entstand wieder eine globale revolutionäre Politik, die den Bruch mit den staatszentrierten Projekten vollzog und die Praktiken und Diskurse der sozialen Bewegungen erneuerte.

Das digitale Zeitalter ermöglicht die vollständige Ausbeutung der menschlichen Subjektivität in der kapitalistischen Wertschöpfungskette. Körpermaschinen, die wie Prozessoren immer weiter in eine Netzwerkarchitektur integriert werden, eine maschinische Knechtschaft, in der die faschistische Ausprägung Bestandteil der zeitgenössischen Subjektivität geworden ist. Die Unterdrückung und Einbindung der Subjektivität erfolgt durch die Erzeugung existenzieller Unsicherheit, Prekarität, nukleare Bedrohung und die Erpressung durch Angst. Durch die lange Periode der Niederschlagung und Verdrängung von Klassenkämpfen erscheint der Staat als zentraler Retter, dabei ist er nur die zentrale Aufsicht über den Verteilungsmechanismus von Geldern an Unternehmen und Konzerne.

Kommunismus versteht Sánchez Cedillo als Projekt, das Gemeinsame zu konstruieren, wobei die Zwecke und Formen der Kooperation im kollektiven Handeln entstehen. Es ist also ein Kommunismus als Werden, der Schaffungsprozess einer kooperativen und kollektiven Macht, einschliesslich der gemeinsamen Erfindung von Lebensformen.

Der Kapitalismus endet, wenn die ausgebeuteten Klassen ihn begraben: durch ihre Kämpfe, Erfindungen, Strukturen der Kooperation ohne Kommando, durch Imagination und Erfahrungen. Im Prozess der Rückeroberung der Kämpfe wird es eine Explosion der Wünsche und Bedürfnisse, der Selbstorganisation und der Strukturen von Gegenmächten geben. Die emanzipativen Kämpfe richten sich auf eine Produktionsweise des Gemeinsamen gegen die kapitalistische Arbeitsteilung. Sie werden eine Heterogenisierung und Vervielfältigung hervorbringen, wie die demokratische Produktion und Bewirtschaftung der Gemeingüter gegen den Tauschwert organisiert werden können.

Das Kriegsregime ist ein Beschleuniger faschistischer Subjektivierungs-, Organisations- und Handlungsprozesse. Der Krieg ist die direkte Negation des Klassenkampfes von unten durch die Implantierung von identitären, nationalen, patriarchalen, rassistischen Narrativen. Und Klasse ist hier verstanden als ein Begriff des gesellschaftlichen Interesses und der Handlungsfähigkeit, des Antagonismus, nicht als soziologische oder kulturwissenschaftliche Kategorie.

Frieden ist Voraussetzung für jede emanzipative Politik. Frieden muss in massenhaften Akten der Kriegssabotage errungen werden. Er muss mit einem regionalen und globalen Entwurf für eine Gesellschaft ohne Krieg und Ausbeutung verbunden sein. Das ist konstituierender Frieden. Wirklichen Frieden können wir nicht durch Intervention von Staaten erwarten, denn der Staat ist eine strategische Organisation von Apparaten und Institutionen der Befehlsmacht, des Zwangs und der Hegemonie.

Der Autor schliesst mit einem Zitat von Gilles Deleuze:
„Der Glaube an die Welt ist das, was uns am meisten fehlt; wir haben die Welt völlig verloren, wir sind ihrer beraubt worden. An die Welt glauben, das heisst zum Beispiel, Ereignisse hervorzurufen, die der Kontrolle entgehen, auch wenn sie klein sind, oder neue Zeit-Räume in die Welt zu bringen, selbst mit kleiner Oberfläche oder reduziertem Volumen …“

In diesem Sinne verbreitet das Buch den Optimismus einer gemeinsamen Vernunft, ein aktives Vertrauen in unser Tun und Denkens als teilnehmende Akteurinnen und Akteure in gesellschaftlichen Veränderungen. Und darum sei dieses Buch, trotz seines etwas steifen Begriffsapparats, allen ans Herz gelegt, die sich in den herrschenden Kriegs- oder auch Antikriegsdiskursen zutiefst unwohl fühlen. Dieses Buch bricht die ewig selben, propagandistischen Narrative auf, es ermutigt zu neuen Perspektiven und zum Beharren auf der grundsätzlichen Feindschaft mit der globalen und totalen Welt des Kapitalismus.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —      Der spanische Philosoph und Aktivist Raúl Sánchez Cedillo (2. von links) an einer Lesung im März 2023 in Bergara, Spanien.

Verfasser Demonocrazy         /        Quelle      :     Eigene Arbeit      /       Datum      :      16.03.2923

Diese Datei ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.

*******************************

Unten      —       Frontispiz des Leviathan von Thomas Hobbes, eines Grundlagenwerks zur Theorie des modernen Staates

Abgelegt unter Bildung, International, Positionen, Regierung | 1 Kommentar »

Eine Frage der Öffentlichkeit

Erstellt von DL-Redaktion am 20. März 2023

Strafen für rechtsextreme Polizei-Chats

Sehr viel Haus für wenig Kopf – wer fasst Denen am Schopf ?

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Von      :     

Frankfurter Polizist:innen schickten sich in einer Messenger-Gruppe Hakenkreuze und machten sich über Minderheiten lustig. Es könnte sein, dass sie nicht strafrechtlich belangt werden, denn die Hürden dafür sind hoch. Wir erklären die Rechtslage.

Deutschland hat ein Problem mit Rechtsextremen bei der Polizei. Inzwischen vergeht kaum ein Monat, indem nicht rechtsextreme Umtriebe von Polizist:innen Schlagzeilen machen. Das hat oft auch eine digitale Komponente: Beamte geben Daten an Nazis herausschreiben selbst Drohbriefe an Linke oder schicken sich in Chatgruppen Hakenkreuze und rassistische oder antisemitische Sprüche.

Währen Innenminister:innen versprechen, mit aller Härte gegen Verfassungsfeinde in den Reihen der Polizei vorgehen zu wollen, bleibt die juristische Aufarbeitung bislang oft hinter den Erwartungen der Öffentlichkeit zurück. Wir haben zwei Expert:innen zur Rechtslage befragt: Sind rechtsextreme Chats von Polizist:innen wirklich nicht strafbar?

Hakenkreuze und Hitlerbilder

Anstoß für diese Recherche gab eine Entscheidung des Landgerichts Frankfurt zu einer rechtsextremen Chatgruppe von Polizist:innen. Mehrere Jahre lang hatten fünf Beamt:innen aus dem 1. Polizeirevier in Frankfurt und die Lebensgefährtin eines Beamten in der Messenger-Gruppe „Itiotentreff“ unter anderem Hakenkreuze, Hitlerbilder und Verharmlosungen des Holocausts ausgetauscht. Auch über Menschen mit Behinderung und People of Colour machten sie sich lustig und verleumdeten diese. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen zudem Gewaltdarstellungen und Besitz sowie Verbreitung pornographischer Schriften vor.

Die Gruppe flog nur durch Zufall auf: Diensthandys der Angestellten wurden untersucht, weil die Daten der Anwältin Seda Başay-Yıldız von einem Computer im 1. Polizeirevier abgerufen wurden, unmittelbar bevor sie einen rassistischen NSU2.0-Drohbrief erhielt.

Im Februar entschied nun das Landgericht, das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafverfahren gegen die Gruppe gar nicht erst zu eröffnen. Dabei besteht offenbar kein Zweifel daran, dass die Polizist:innen verbotene Kennzeichen geteilt und den Holocaust verharmlost haben.

Die Rechtslage ist kompliziert

Fälle wie dieser würden das „Vertrauen in die politische Integrität der Polizei stark beschädigen“, konstatiert im Gespräch mit netzpolitik.org Josephine Ballon von HateAid. Die Organisation unterstützt Opfer von Hasskriminalität. Immer wieder komme es vor, dass Betroffene von digitaler Gewalt die Taten nicht zur Anzeige bringen würden – aus Angst vor der Polizei. „Diese Menschen sorgen sich, dass sie bei der Polizei auf Täter:innen treffen.“ Auch die Angst davor, dass Polizist:innen Schindluder mit den Daten der Opfer treiben könnten, wie es in der Vergangenheit passierte, spiele eine Rolle.

Die Rechtslage ist in Hinblick auf Chatnachrichten durchaus kompliziert. Grundsätzlich können sowohl die Verwendung von Hakenkreuzen als auch die Verharmlosung des Holocausts in Deutschland strafbar sein. Relevante Paragrafen des Strafgesetzbuches sind hier § 86a zum Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen sowie § 130 zu Volksverhetzung. Ob die Straftatbestände bei rechtsextremen Chats tatsächlich zutreffen, hängt vom konkreten Fall ab.

undefined

„Ist so kalt der Winter !“

Besonders komme es darauf, ob die fraglichen Äußerungen öffentlich oder in einer Versammlung getätigt wurden, erklärt der Düsseldorfer Rechtsanwalt Eren Basar. „Die Abgrenzung, was als Öffentlichkeit und was als Versammlung gilt, kann im Einzelfall sehr filigran sein.“ So habe der Bundesgerichtshof in der Vergangenheit zum Beispiel entschieden, dass das Posten eines Hakenkreuzes im Freunde-Feed auf Facebook mit mehreren hundert Kontakten durchaus als öffentliche Verbreitung gelte. Ein Mann, der ein Hakenkreuz in seinem Hausflur anbrachte, kam jedoch straffrei davon.

Wann ist eine Chatgruppe öffentlich?

„Das Strafrecht ist grundsätzlich sehr zurückhaltend, was Äußerungen und Haltungen angeht“, erklärt Basar, der sich als Mitglied des Deutschen Anwaltvereins regelmäßig mit den Themen Polizei, Sicherheit und öffentliche Ordnung auseinandersetzt. Auch wenn es manchmal schwer auszuhalten sei: Das sei ein wichtiger Grundsatz der liberalen Demokratie, „weil wir sonst Gefahr laufen, unliebsame Meinungen unter Strafe zu stellen.“

Im Fall des „Itiontreffs“ gehe das Landgericht Frankfurt offenbar von einer eindeutig nicht-öffentlichen Verbreitung aus und sehe den Chat auch nicht als Versammlung an, so Basar. Tatsächlich schreibt die FAZ, dass das Gericht in seiner nicht veröffentlichten Entscheidung darauf abstelle, dass die Chatgruppe exklusiv und jederzeit kleiner als zehn Personen gewesen sei. Offenbar haben sich die Polizisten in der Gruppe sogar darüber ausgetauscht, dass ihr Verhalten strafbar wäre, wenn es einer größeren Öffentlichkeit zugänglich wäre. Von einer öffentlichen Verbreitung könne deshalb nicht die Rede sein, so das Landgericht. Teile der Äußerungen seien zudem satirisch und von der Kunstfreiheit gedeckt.

Auch Josephine Ballon von HateAid räumt ein, dass die Voraussetzungen für eine Verurteilung wegen Messengernachrichten hoch seien. Im Fall der Frankfurter Nazi-Chats sieht sie die Sache jedoch nicht ganz so eindeutig wie das Landgericht. Die Juristin verweist auf mehrere Gerichtsentscheidungen, die Menschen wegen Volksverhetzung in kleinen und nicht-öffentlichen Chatgruppen verurteilten. Der erste Absatz des Volksverhetzungsparagrafen setze nämlich weder Öffentlichkeit noch Verbreitung voraus, sondern stelle auf die Störung des öffentlichen Friedens ab.

Wichtiger als die Frage der Öffentlichkeit sei hier die Frage der Diskretion. Also: Ob sich die Kommunikationsteilnehmer:innen darauf verlassen können, dass die Inhalte nicht den Kreis der Chat-Gruppe verlassen und dann den öffentlichen Frieden beeinträchtigen. Ein Familienchat sei zum Beispiel vertraulicher als einer mit Kolleg:innen. So wurde kürzlich in Fulda ein junger Mann wegen rassistischer Bilder in einem Chat mit zehn Freunden verurteilt und 2020 ein Würzburger Faschingsfunktionär, der volksverhetzende Inhalte in einer 20-köpfingen Chat-Gruppe mit Vereinskolleg:innen geteilt hatte.

Gleiche Maßstäbe für alle

Klar sei jedenfalls, dass Polizeibeamte sich grundsätzlich nicht mit vermeintlicher Unwissenheit herausreden könnten. „Sie bringen eine Vorbildung mit und sind auf die Verfassung vereidigt“, so Ballon. Dass die Chats der Frankfurter Polizist:innen von der Kunstfreiheit gedeckt sein könnten, hält Ballon für unwahrscheinlich. „Hier geht es ja offenbar um eine Gruppe, die dem regelmäßigen Austausch rechtsextremer Inhalte diente.“

Wie es in dem Fall weitergeht, muss nun das Oberlandesgericht entschieden. Die Staatsanwaltschaft hat Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts eingelegt, das Verfahren nicht zu eröffnen. „Für die Öffentlichkeit wäre das kein gutes Signal, wenn diese Polizist:innen straffrei bleiben“, findet Josephine Ballon, „auch wenn die öffentliche Signalwirkung natürlich kein Bemessungsmaßstab für Strafen ist.“

Müssten dann vielleicht für die Chatgruppen von Polizist:innen andere Maßstäbe gelten? Das halten weder Ballon noch Basar für eine gute Idee. Einer der Grundsätze des Strafrechts sei es, dass alle Menschen gleich behandelt werden. „Polizist:innen sind auch Bürger:innen“, sagt Ballon. „Daran sollten wir nicht rütteln“, sagt Basar.

Rechtsextreme aus dem Dienst entfernen

Handlungsbedarf sehen die beiden trotzdem: In der konsequenten Anwendung des Disziplinarrechts. Denn unabhängig von Strafverfahren müssten rechtsextreme Beamte dienstrechtliche Konsequenzen zu spüren bekommen. „Im Endeffekt geht es doch darum, dass wir keine Leute als Beamte haben wollen, die eine rechtsextreme Haltung teilen oder mit deren Kennzeichen spielen“, so Basar. „Schon gar nicht als Beamte, die über die rechtliche Befugnis zur Ausübung physischer Gewalt verfügen.“ Wer Volksverhetzung verharmlose, müsse aus dem Dienst entfernt werden.

Basar verweist hier auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Es hatte im Fall eines Soldaten entschieden, dass dieser aufgrund rechtsextremer WhatsApp-Nachrichten aus dem Dienst entfernt werden könne. Dessen Verteidigung, es habe sich lediglich um geschmacklose Witze gehandelt, hatte das Gericht nicht gelten lassen.

Im Fall der Frankfurter Polizist:innen liegt das Disziplinarverfahren derzeit noch auf Eis. Aus juristischen Gründen muss erst der Ausgang eines möglichen Strafverfahrens abgewartet werden, die Entscheidung des Landgerichts ist wegen der Beschwerde der Staatsanwaltschaft noch nicht rechtskräftig.

Unterdessen bringt Josephine Ballon einen weitere Verbesserungsmöglichkeit ins Spiel: Die Polizei müsse deutlich stärker für Aufklärung unter Polizist:innen sorgen. Regelmäßig veranstalte HateAid Workshops und Vorträge bei der Polizei. Hier nehme sie insgesamt ein gesteigertes Problembewusstsein für Rechtsextremismus in den eigenen Reihen wahr. Von einer ganzheitlichen Antidiskriminierungsbildung und vor allem Sensibilisierung für Extremismus im digitalen Raum sei die Polizei aber noch weit entfernt. 

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

********************************************************

Grafikquelle :

Oben     —    Frankfurt Police HQ. Main entrance at Adickes Avenue.

Abgelegt unter Bildung, Hessen, Innere Sicherheit, Positionen | 1 Kommentar »

ChatGPT löst Krise aus

Erstellt von DL-Redaktion am 19. März 2023

Hausaufgaben aus der Maschine

Tote Augen – leerer Sinn, welche Rergierung steuert von innen ?

Von Philipp Brandstädter

Schüler überlassen das Schreiben ganzer Aufsätze einer künstlichen Intelligenz. Kritiker fürchten, dass der Persönlichkeitsentwicklung dadurch etwas Zentrales verlorengeht. Stimmt das?

Die ersten Videos liefen zum Jahreswechsel auf Sihams Smartphone ein. Von da an folgte ein Tiktok-Kurzclip auf den nächsten, neben Kosmetik-, Tanz- und Tiervideos immer wieder ChatGPT, die geniale Erfindung. „Ständig erzählte irgendjemand, wie einfach man damit Hausaufgaben machen kann und wie es das ganze Schulleben auf den Kopf stellen würde“, sagt die Schülerin aus der Fritz-Karsen-Schule in Berlin-Neukölln. „Also habe ich es selbst ausprobiert.“

Seit ChatGPT Ende November 2022 gestartet ist, drehen sich die Diskussionen in sozialen Netzwerken oft um das auf einer künstlichen Intelligenz (KI) basierende Sprachsystem. Und SpiegelZeitFAZ machen KI zum Titelthema. Was KI bereits alles kann, wo KI schon überall eingesetzt wird, wann KI unsere Arbeit übernimmt. Wöchentlich gibt es neue Experteninterviews, oder die KI schreibt die Kolumnen gleich selbst – wie einmal im Monat in der wochentaz, wo die künstliche Intelligenz Anic T. Waed Autorin der Kolumne „Intelligenzbestie“ ist.

ChatGPT, so heißt es, könne komplexe Fragen beantworten, gebe Erklärungen und Tipps, helfe genauso schnell bei der Reiseplanung, wie sie einen Computercode oder ein neues Theaterstück schreibt.

„Zuerst habe ich die Englischaufgaben damit gemacht“, sagt Siham. „Frage eingeben und die Antwort kopieren. Das geht total einfach, wenn man mal faul ist oder keine Zeit hat.“ Auch bei grundsätzlichem Lernstoff, für den im Unterricht der Oberstufe mal wieder nicht genug Zeit blieb, hilft ChatGPT nach. Dadurch wurde die KI zum Standard-Tool der 17-Jährigen. „Wenn mir die Antwort nicht ausreicht, schreibe ich:,Erkläre das genauer‘, oder ich stelle meine Frage anders. Schon bekomme ich einen neuen, detaillierteren Text, der mir beim Lernen hilft.“

War das jetzt schon gemogelt?

In diesen Tagen macht sich mal Begeisterung breit, mal Besorgnis. Dabei hätten wir auch schon vor Jahren von KI überwältigt sein können: Erst bezwingt ein Computer den Weltmeister im Schach, dann helfen Navis beim Autofahren, später empfehlen uns Algorithmen personalisierte Inhalte wie Bücher, Musik, Filme und Schnäppchen. Aber so richtig von den Socken sind wir erst, als eine KI beginnt, auf Zuruf verrückte Bilder zu zeichnen oder in einem Chatfenster mit uns zu plaudern. Faszinierend und gruselig zugleich.

Gruselig vor allem für Schulen und Universitäten. Denn dort, wo Schreiben eine Persönlichkeit ausbilden, kritisches Denken fördern und junge Menschen zu mündigen BürgerInnen erziehen soll, beginnen die jungen Menschen, das Schreiben einer Maschine zu überlassen.

Wenn dieser Schritt aber von einem Computer übernommen wird, geht in der Persönlichkeitsentwicklung nicht etwas Zentrales verloren? Muss das Bildungswesen einschreiten? Kann man das überhaupt verhindern?

Gerade wurde Siham von ihrem Lehrer erwischt. Was heißt schon „erwischt“: „Warum soll ich nicht ChatGPT benutzen? Ist doch auch nicht groß anders als Googeln.“ Siham sucht in ihrem Chatverlauf mit ChatGPT, um welches Thema es ging, kann den Dialog mit der Sprach-KI aber auf die Schnelle nicht finden. Es war im Politikkurs, die Hausaufgabe hatte irgendwas mit Verfassungsorganen und dem Bundesrat zu tun. „ChatGPT hat da auch ganz gute Antworten geliefert, aber dann ist mein Lehrer stutzig geworden.“

„Das war Zufall“, sagt Lehrer Friedemann Gürtler. „Ich hatte mit ChatGPT gespielt und viele dieser typischen, abwägenden Antworten erhalten.“ Si­hams Sätze in der Hausaufgabe hatten einen ganz ähnlichen Ton. „Die abwägende Antwort hat nicht so recht zu der eindeutigen Fragestellung gepasst.“

Hat Siham etwas Verbotenes getan? Hat sie getäuscht? Plagiiert? Friedemann Gürtler war sich da auch nicht so ganz sicher. Also hat er Siham gebeten, ein Referat über ChatGPT zu halten. Da hatten schon die meisten SchülerInnen in Sihams Oberstufe von dem Programm mitbekommen. „Inzwischen nutzt jeder ChatGPT für die Schule“, sagt Siham. „Das ist total nützlich und auch richtig so. Nur wird es ab jetzt für die Lehrkräfte schwierig werden, die schriftlichen Leistungen zu bewerten.“

ChatGPT soll in Minnesota eine Juraprüfung bestanden haben

Dass Computer Fließtexte generieren, die sich nicht von jenen unterscheiden lassen, die Menschen verfassen, ist für die Lehre ein Riesenproblem. ChatGPT soll an der Uni von Minnesota sogar schon eine Juraprüfung bestanden haben. Auch im Theo­rieteil, den MedizinerInnen ablegen müssen, um in den USA praktizieren zu dürfen, hat ChatGPT locker die vorgeschriebene Mindestpunktzahl erreicht.

Warum also nicht einfach ChatGPT verbieten?

In den USA ist das teilweise schon geschehen, der Schulbezirk in New York hat sich dazu entschieden. In der EU feilen Kommission und Parlament seit zwei Jahren am Artificial Intelligence Act, dem ersten Regelwerk für KI. Sogenannte Hochrisikoanwendungen sollen dabei eingeschränkt werden wie die Gesichtserkennung oder die Prüfung der Kreditwürdigkeit. ChatGPT ist per Definition auch ein Hochrisiko, solange die generierten Texte nicht einer Person zugeschrieben werden. Irgendjemand muss ja dafür gerade­stehen, sollte die Maschine sexistischen, rassistischen, manipulativen, zusammengelogenen Mist verzapfen. Kann man Schulen so eine Maschine zumuten?

Berliner Firma bringt eigene Version heraus

Gerade einmal fünf Tage brauchte ChatGPT, um weltweit eine Million NutzerInnen zu erreichen. Kein anderer Onlinedienst hat diese Marke so schnell geknackt. Instagram brauchte knapp drei Monate, Twitter zwei Jahre. Der irrwitzige Hype überrascht auch Fachkreise, denn Sprachmodelle wie GPT, die bei Google LaMDA und bei Face­book OPT-175B und jetzt LLaMA heißen, gibt es schon etwas länger, auch wenn sie noch nicht frei nutzbar sind.

GPT steht für Generative Pretrained Transformer und ist ein neuronales Netz, dessen Verbindungen sich zwischen den Rechenknoten bei Erfolg verstärken. Dadurch lernt das Netzwerk, ähnlich wie unser Gehirn es tut. Die künstliche Intelligenz wurde mit massenhaft Textdaten trainiert: Artikel, Aufsätze, Blogeinträge, wissenschaftliche Papers, Belletristik, Kochrezepte – Millionen Texte, größtenteils aus dem Internet und ein beträchtlicher Stapel Fachbücher.

Es ist in etwa so, als hätte man ein Kind in eine Bibliothek gesperrt, wo es sich mit der Zeit einen Sinn aus den Texten zusammengereimt hat. Welcher Buchstabe folgt mit welcher Wahrscheinlichkeit auf den anderen? Welches Wort folgt auf welches Wort? Welche Wortfolgen passen grammatikalisch und inhaltlich zusammen? Auf der Grundlage von erlernten statistischen Wahrscheinlichkeiten imitiert ChatGPT menschliche Sprache und erzeugt mit jeder Anfrage einen neuen Text. In seiner inzwischen dritten Version macht das Programm das so gut, dass unsereins in der Regel die Luft wegbleibt.

Für ChatGPT wurde das bestehende Sprachmodell lediglich mit einer Chatfunktion garniert. Das macht es leicht, das Programm zu benutzen, und bringt auch noch Spaß mit ins Spiel. So können alle „prompten“, also eine Anfrage an das Programm richten. Und die Erfinder von ChatGPT konnten ihr Monster auf die ganze Welt loslassen, das seitdem durch die Prompts von derzeit weit über 100 Millionen Menschen weiter trainiert und verbessert wird.

Dass diese kostbaren Daten gerade Sekunde für Sekunde den Internet­riesen durch die Lappen gehen, macht ChatGPT zu dem großen Ding, das es gerade ist. Zum ersten Mal spurtet Google nicht vorweg, sondern muss nachziehen. Hastig hat es sein eigenes künstliches Sprachmodell namens Bard veröffentlicht, das bei dessen Vorstellung gleich mal eine falsche Info verbreitete und die Aktie von Googles Mutterkonzern Alphabet absacken ließ. Chinas Suchmaschine Baidu antwortet derweil mit ihrem Chatbot Ernie.

Ernie und Bard, kein Witz. Und ausnahmsweise gibt es mit dem Heidelberger Unternehmen Aleph Alpha auch einen deutschen Player, der in Sachen KI auf Augenhöhe mitmischt.

Andere Firmen nutzen GPT3 für ihre Produkte, alle können die Sprach-KI kostenfrei in ihre Software einbauen. Zu diesen Firmen gehört auch Mindverse aus Berlin-Spandau. Geschäftsführer Noel Lorenz, 25 Jahre alt, spaziert durch die neuen Räume, in die er vor Kurzem mit seinem Team eingezogen ist. Sein Personal verdoppelt sich gerade, der hintere Trakt der Etage ist noch eine Baustelle.

„Von GPT3 war ich schon fasziniert, als es noch in der Beta­phase steckte“, erzählt Lorenz. Da war das Modell endlich in der Lage, selbstständig Muster in seinen Daten zu erkennen und menschenähnliche Texte zu erstellen. Das gelang, weil die KI mit einer Datenmenge trainiert wurde, die bald 1.500-mal so groß war wie die der Vorgängerversion.

Vor zwei Jahren gegründet, surft Mindverse nun auf der Erfolgswelle von ChatGPT mit. „Im Vergleich zu GPT kann Mindverse besser Deutsch und ist dank seiner Livedaten aus dem Internet moderner“, sagt Lorenz. ChatGPT greift nur auf Datensätze bis zum Jahr 2021 zurück. Seit zehn Jahren programmiert Lorenz, vor sieben Jahren hat er seine erste Firma gegründet, dann verkauft. Er hat ein bisschen Medizin studiert, ist aber lieber zu BWL gewechselt. Der schwarze Steve-Jobs-Rolli unter dem Sakko lässt erahnen, welche Richtung seine Karriere einschlagen soll.

Neben der Chatfunktion bietet Mindverse zusätzliche Feintuning-Modelle, die sich gezielter auf die Datensätze beziehen als bei ChatGPT. „Das neuronale Netzwerk antwortet nur so gut, wie es gefragt wird. Daher konkretisieren wir die Anfragen mit unserer Software.“ Eine Funktion ist dafür gemacht, Stichpunkte in Fließtext zu verwandeln, eine andere soll Aufsätze mit Thesen und Argumenten schreiben, die nächste werbewirksame Überschriften erfinden oder Songtexte dichten.

„Die KI wird ständig von unseren Power­usern trainiert und bewertet“, sagt Lorenz. Das bedeutet, dass das Sprachmodell weiter lernt und umso menschlicher wird, während es den Gesprächspartner spielt. Außerdem bezieht die Maschine Formeln ein, die die Lesbarkeit von Texten berechnen: das Flesch-Kincaid-Grade-Level, den Gunning-Fog-Index, den Coleman-Liau-Index. Diese Formeln zählen Buchstaben, Silben und Wörter und berechnen, wie verständlich ein Satz sein muss. Unabhängig von dessen Inhalt ist das wichtig für die Suchmaschinenoptimierung. Je besser die berechnete Lesbarkeit, desto höher das Ranking bei Google und Co.

Im Gegensatz zur ersten Version von ChatGPT gibt Mindverse auch die Websites an, die die KI als Quelle genutzt hat. Das könnte bei Hausarbeiten ein entscheidender Vorteil sein. „Wir haben bestimmte offizielle Websites als seriös eingestuft und bewerten Quellen höher, je häufiger sie verlinkt werden“, sagt Noel Lorenz. Außerdem hat der Mindverse-Kopf auch an den Datenschutz gedacht. Die Prompts und Entwürfe können über anonyme Konten verfasst werden.

Das hat Thomas Süße auf das Programm aufmerksam gemacht. Er steht vor einem Smartboard in den Räumen des Campus Gütersloh, einem schlichten weißen Gebäude hinter dem Bahnhof, auch „Gleis 13“ genannt. Die Studierenden machen hier hauptsächlich etwas mit Maschinen: Mechatronik, Engineering, Logistik, digitale Technologien. Sozialwissenschaftler Süße bringt die menschliche Komponente in die Maschinenwelt, indem er zur Transformation der Arbeit forscht. „Die Technisierung verändert, beschleunigt, erleichtert unsere Arbeit“, erklärt der Professor. „Sie setzt uns aber auch unter Druck.“

Technostress nennt Thomas Süße das, die Schattenseite der Digitalisierung. Er kritzelt blaue Pfeile und Kürzel an die Wand und denkt laut: „Bislang haben sowohl Hochschulen als auch Schulen nur sehr wenig wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, wie Schüler und Studierende die Sprach-KI sinnvoll nutzen.“ Es gibt noch keine gesicherten Antworten. Wie auch, ChatGPT ist zu neu – und das Bildungswesen zu langsam. „Darum brauchen wir jetzt Grundlagenforschung, und zwar schnell.“

Doch Lernerfolg lässt sich nicht so einfach nachweisen. Gelernte Kompetenz, das umfasst neben Fachwissen auch kreatives Schaffen, kritisches Denken, Zusammenarbeit, die Fähigkeit, sich mitzuteilen. „Das sind alles persönlich empfundene und eingeschätzte Werte“, sagt Süße. „Mein Job ist es, diese schwer erfassbaren Variablen besser messbar zu machen.“ Dazu will er eine große Gruppe SchülerInnen befragen, die regelmäßig eine Sprach-KI nutzt.

Der Plan: Eine Klassenstufe soll ihre Facharbeit schreiben und dabei Mindverse verwenden dürfen. „Wir wollen wissen, welche Rolle die Sprach-KI spielt: ob sie Ideen einbringt, als Sparringpartnerin im Schreibprozess hilft, oder Co-Autorin wird.“ An der ersten Untersuchung werden 120 junge Leute teilnehmen. Wie praktisch, dass die benötigte Kohorte quasi vor der Haustür des Professors lernt.

Den richtigen Umgang mit ChatGPT lernen

Das Evangelisch Stiftische Gymnasium (ESG) in Gütersloh ist ein bisschen besonders. Protestanten gründeten es, als die ersten Maschinen begannen, die Arbeitswelt auf den Kopf zu stellen, und die Aufgaben des Handwerks übernahmen. Es heißt, hier würden RichterInnen, ChirurgInnen und ManagerInnen von morgen die Schulbank drücken.

Der in Gütersloh ansässige Medienkonzern Bertelsmann hat den Backsteinbau der Schule um eine verspiegelte Mediothek mit Tonstudio und Videoschnittraum ergänzt. Seit einem Vierteljahrhundert sind Laptops hier Teil des Unterrichts. Dank Lernplattform und Endgeräten wechselte das ESG im Lockdown spielend in den Distanzunterricht. Und auch bei der Verwendung von Sprach-KIs gibt es an dieser Schule nur wenig Berührungsängste.

Deutschlehrer Hendrik Haverkamp hat seine 8. Klasse erst neulich gegen ChatGPT antreten lassen. Die Aufgabe war eine Gedichtanalyse. Nachdem die Schülerinnen und Schüler ihre Arbeiten abgegeben hatten, kam die KI an die Reihe. Sie brauchte nur ein paar Sekunden, um ihren Text abzuliefern: eine fein strukturierte Analyse mit aufeinander aufbauenden Argumenten und ohne einen Rechtschreibfehler. „Das sah auf den ersten Blick nach einer hervorragenden Arbeit aus“, erzählt Haverkamp. „Nur war der Text inhaltlich komplett falsch.“

Sprachmaschine statt Wissensmaschine

Die KI schrieb das Gedicht „Berliner Abend“ von Paul Boldt lieber Erich Kästner zu und erzählte etwas über hübsche Naturbeobachtungen, die in Boldts Schilderungen nicht wirklich vorkommen. Die Argumente der Maschine waren teils erzkonservativ, teils weltfremd. Das erste Urteil der Klasse über ChatGPT: „Boomer-Tool“. „ChatGPT ist wie ein Insidergag: Ich verstehe ihn nur dann, wenn ich genug darüber weiß“, sagt Haverkamp.

Es ist Mittwoch, ein eisiger Morgen, erste Stunde, Deutsch. In der 8. Klasse sind die Laptops aufgeklappt, kein Heft, kein Stift liegt auf den Tischen. Lehrer Haverkamp steht vor dem Bildschirm an der Wand, wo früher mal eine Kreidetafel hing, und schickt ein paar Meldungen über Elon Musk auf den Monitor. „Welche Nachricht ist Fake und von ChatGPT, welche ist echt?“ Es gibt erste Vermutungen, der Schreibstil der KI ist der Klasse längst vertraut.

„ChatGPT macht keine Umschreibungen wie ‚Der 51-Jährige‘.“ „Das Wort ‚Milliarden‘ würde nicht mit,Mrd.‘ abgekürzt.“ Haverkamp zeigt der Klasse ein Tool, das künstlich generierte und von Menschen verfasste Texte unterscheiden können soll. Kann es aber nicht. Die Sprach-KI ist zu weit entwickelt, das Prüfungsprogramm aufgeschmissen. Dann kopiert ein Schüler fix einen Textbaustein der menschengemachten Meldung aus der Zeitung, sucht im Netz und findet die Quelle.

„Mir wäre es lieber, wenn ChatGPT auch mal zugeben würde, dass es keine Ahnung hat“, sagt Lilli aus der 10. Klasse. „Eine eigene Meinung würde ihr auch gut stehen.“ Im Projektunterricht beschäftigt sich die 16-Jährige gerade mit den sogenannten Neuen Medien. „Die KI relativiert alle Argumente und geht nicht so richtig in die Tiefe. Man braucht eigenes Wissen und muss skeptisch bleiben, damit man keine Fehler übernimmt.“ Bei Themen, für die es kein Richtig oder Falsch gibt, sagt Lilli, wenn es ethisch, emotional oder persönlich wird, dann sei ChatGPT blank.

ChatGPT ist eine Sprachmaschine, keine Wissensmaschine. Das Programm schwafelt, immer selbstbewusst, immer wieder inhaltsarm. Es verwendet Worthülsen, bedient sich aus Quellen wie Blogs oder der Boulevardpresse, ignoriert direkte Zitate, liest nicht zwischen den Zeilen, erzählt lieber irgendetwas, als gar nichts zu texten. Viele Floskeln, inflationär verwurstete Fremdwörter, sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit, eine Illusion des Plausiblen.

Dennoch arbeitet auch Lillis Mitschüler Max viel mit dem Sprachtool. „Wenn ich einen Aufsatz schreibe oder etwas programmieren will. Die KI verkürzt die Zeit für die Fleißarbeit, damit ich mehr Zeit für die Denkarbeit habe.“ Wegen der Sache mit ChatGPT waren auch schon mehrere Medienleute am Gymnasium und haben mit ihm gesprochen. Gerade erst kam ein Fernsehteam vorbei, erzählt Max. Die hätten für ihren Beitrag aber mal schön seine Antworten verdreht. „Es kam so rüber, als würde ich die KI aus purer Faulheit alle Hausaufgaben erledigen lassen.“ Ganz so einfach sei das nun auch wieder nicht.

Im Mai werden Max und Lilli ihre Facharbeiten schreiben, KI-unterstützt, für die Studie von Thomas Süße. „Ich kann mir vorstellen, dass das Programm eine Inspirationsquelle sein wird“, sagt Lilli. „Es hat mir vorher schon gute Überschriften oder auch Argumente vorgeschlagen, auf die ich selbst nicht gekommen wäre. Warum sollte ich solche Ideen nicht benutzen.“

Für die meisten SchülerInnen und Studierenden ist das noch nicht so selbstverständlich wie für Lilli und Max. Künstliche Intelligenz für eine Abschlussarbeit zu verwenden ist zwar kein Plagiat. Dafür müsste das geistige Eigentum einer Person gestohlen werden, und noch machen wir zwischen Mensch und Maschine einen klaren Unterschied. Jedoch kann man die Texte einer KI auch schlecht als eigenes geistiges Eigentum ausgeben. Das wäre eher als Täuschungsversuch zu werten.

Was ist erlaubt, was verboten?

Diese Art der vermeintlichen Täuschung bringt zwei Probleme mit sich.

Erstens: Das ohnehin schon überlastete Lehrpersonal müsste nach maschinellem Ghostwriting fahnden. Aber wann? Und wie? Schon jetzt bekommt es kein Tool hin, zielsicher KI-Content zu erkennen. Das wird auch in Zukunft kaum gelingen, da die Sprach-KI ja ständig besser, menschenähnlicher wird.

Zweitens: Wo fängt die Täuschung an? Ganz sicher, wenn man ganze KI-generierte Absätze verwendet. Aber auch schon bei ein paar Worten? Oder bei einer Idee, die mir von allein nicht eingefallen ist? Oder wenn ich meinen Text durch ein Rechtschreibprogramm laufen lasse? Wenn ich einen Taschenrechner benutze?

Im Gegensatz zu den USA scheinen es die Bundesländer nicht auf ein Verbot von ChatGPT abzusehen. Auf der Bildungsmesse Didacta in Stuttgart hieß es gerade: Sprach-KI hat zu viel Potenzial, um sie zu verbieten.

Seitens des Hessischen Kultusministerium hieß es: KI-Anwendungen könnten „Schülerinnen und Schüler individuell in ihrem Lernprozess unterstützen“. Viel konkreter wird es bis dato nicht. Immerhin veröffentlichte das nordrhein-westfälische Schulministerium einen Leitfaden zum Umgang mit KI. Darin wird die Arbeit mit Textrobotern nicht verboten, stattdessen auf die Pflicht der Schulen hingewiesen, ­Medienkompetenz zu lehren.

Eine Richtlinie, wie die Lehrerinnen und Lehrer künftig Leistungen prüfen sollen, hat noch niemand geschrieben. Und so scheint es, als würden wir der künstlichen Intelligenz genauso begegnen wie den anderen Krisen der jüngeren Zeit auch. Klima, Corona, KI-Weltherrschaft: Wir sehen es kommen, wir wissen, dass wir handeln müssen – und sitzen es lieber aus.

„Die Angst ist vor allem so groß, weil es an Erfahrung fehlt“, sagt Anja Strobel. Die Psychologin forscht im Bereich „Hybrid Societies“ an der TU Chemnitz daran, wie der Mensch mit der Maschine interagiert und ein vertrauensvolles Miteinander in der Arbeitswelt möglich ist. Strobel hat Interviews ausgewertet, die der Gütersloher Sozialwissenschaftler Thomas Süße mit ArbeiterInnen in einer Fabrik geführt hat. Sie sprachen darin über ihre Erfahrung, eine künstliche Intelligenz wie einen Azubi anzulernen.

Quelle        :        TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Output of Craiyon (formerly „DALL-E Mini“). See the model card for information on the model used. Specifically (from the title card): „Images are encoded through a VQGAN encoder, which turns images into a sequence of tokens. Descriptions are encoded through a BART encoder. The output of the BART encoder and encoded images are fed through the BART decoder, which is an auto-regressive model whose goal is to predict the next token. Loss is the softmax cross-entropy between the model prediction logits and the actual image encodings from the VQGAN.“ Upscaled using Real-ESRGAN.

****************************

Unten        —     The Chromatics CT4100 graphics terminal displayed text and character-cell graphics in color.

Abgelegt unter Bildung, International, Positionen, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

Arbeitskraft als Mangelware:

Erstellt von DL-Redaktion am 19. März 2023

Fachkräftemangel – mangelt es an Zwang zur Arbeit?

undefined

Fachlräftemangel wird besonders in der Poltik sicht und hör-bar. Hirn zu klein-Maul zu groß!

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von    :    Suitbert Cechura

Arbeitskraft als Mangelware: Das freie Unternehmertum vermisst nachhaltige Planung auf dem Arbeitsmarkt.

Alle möglichen Branchen klagen über Fachkräfte- oder Personalmangel. Von der Gastronomie mit ihren Billigarbeitskräften über Pflege, Nahverkehr oder Handwerk bis hin zu Ingenieuren oder Lehrerinnen – überall sollen sie fehlen. Und das bei gut 2,6 Millionen arbeitslos gemeldeten Menschen im Februar 2023. Wie das zusammengeht und welche Begründungen dafür geliefert werden, ist bemerkenswert. Dazu hier ein paar Hinweise.

Demographischer Wandel

Als Begründung für den allseitigen Personalmangel wird regelmäßig der demographische Wandel bemüht. Telepolis hat sogar schon mit ChatGPT einen genuinen Vertreter der Künstlichen Intelligenz zu Wort kommen lassen, der mit seinen maschinell hergestellten Textbausteinen die ideologischen Standardargumente abspulen kann. Auch der KI liegt die marktwirtschaftlich interessierte Einbildung zugrunde, „dass zwischen Geburtenrate oder Altersstruktur und dem Bedarf an menschlichen Ressourcen des Wachstums eine Passung bestehen sollte“ (G. Schuster).

Diese Passung soll zur Zeit wieder schwer gestört sein. Es würden immer mehr Menschen altersbedingt aus dem Arbeitsleben ausscheiden, heißt es, während immer weniger junge Menschen in es einsteigen. Betont wird dabei, dass jetzt besonders die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Als geburtenstark gelten die Jahrgänge nach dem Zweiten Weltkrieg, Höhepunkt war dabei laut Statistischem Bundesamt Destatis das Jahr 1964.

Das heißt aber: Sie scheiden schon seit einem Jahrzehnt aus dem Arbeitsleben aus, das ist kein neues Phänomen; und gleichzeitig gibt es so viele abhängig Beschäftigte wie noch nie, obgleich weniger junge Menschen nach ihrer Ausbildung ins Arbeitsleben eingemündet sind. So hat die Zahl der Beschäftigten, wie Destatis meldet, in den letzten zehn Jahren um mehr als zwei Millionen zugenommen. Fazit: Es hängt nicht von der Zahl der Geburten ab, ob ausreichend Menschen beschäftigt werden oder ob sie arbeitslos sind, das kann man schon der Arbeitsmarktstatistik entnehmen.

Attraktion und Repulsion

Bei der Aufrechnung der Arbeitslosenzahlen verweist die Bundesanstalt für Arbeit darauf, dass die Arbeitslosigkeit keinen monolithischen Block darstellt: „Arbeitslosigkeit ist kein fester Block, vielmehr gibt es unabhängig von der wirtschaftlichen Lage viel Bewegung. Dabei werden Zu- und Abgänge von Arbeitslosen im Zeitraum zwischen den Stichtagen jeweils zur Monatsmitte erfasst. So meldeten sich im Berichtsmonat Februar 2023 insgesamt 579 000 Menschen bei einer Arbeitsagentur oder Jobcenter arbeitslos, das waren 80 000 oder 16 Prozent mehr als vor einem Jahr… Gleichzeitig beendeten 575 000 Personen ihre Arbeitslosigkeit, 42 000 oder 8 Prozent mehr.“ (https://www.statistik.arbeitsagentur.de/Statistikdaten/Detail/202302/arbeitsmarktberichte/monatsbericht-monatsbericht/monatsbericht-d-0-202302-pdf.pdf?_blob=publicationFile&v=1 )

Diese Meldung soll wohl wie eine Beruhigung klingen, dabei ist sie alles andere als beruhigend. Schließlich drücken diese Zahlen aus, dass laufend Entlassungen stattfinden und dass im letzten Monat mehr als eine halbe Millionen Menschen, die gezwungen sind, von dem Verkauf ihrer Arbeitskraft zu leben, in die Arbeitslosigkeit geschickt wurden, also in eine Lage, die von vornherein mit Einkommensverlusten verbunden ist.

Die Lage dieser Menschen soll man aber nicht so tragisch nehmen, da andere ihrer Schicksalsgenossen – fast in gleichen Umfang – wieder eine Stelle gefunden haben. Das gehört zur Normalität im Kapitalismus, mit der man sich abfinden soll: Ständig werden Menschen entlassen und müssen sich dann auf die Suche begeben, möglicher Weise auch einen Ortswechsel in Kauf nehmen, um wieder eingestellt zu werden – alles in allem eine sehr unsicher Kiste, je nach dem Gang der Geschäfte derer, die durch die Beschäftigung von Menschen ihr Kapital vergrößern.

Zum Thema in der Öffentlichkeit werden solche Schicksale erst dann, wenn beeindruckende neue Zahlen zu vermelden sind, wenn es zu einem eklatanten Missverhältnis kommt und zu viele Menschen arbeitslos werden, d.h. im marktwirtschaftlichen Jargon: den Sozialkassen auf der Tasche liegen. Arbeitslosigkeit ist – politisch betrachtet – auch immer deshalb ein Missstand, weil zu viele Menschen ungenutzt bleiben, was der Nation schadet.

Gleichzeitig gilt aber auch das Gegenteil in gewisser Weise als normal, ja systemkonform: Dass es immer ein Potential an Menschen gibt, die (dauer-)arbeitslos sind, passt zu dieser Wirtschaftsweise. Schließlich können die Unternehmen sich so ihre Arbeitskräfte aussuchen und sind nicht erpressbar; eine Mehrzahl an Bewerbern für eine Stelle drückt die Preise für die Arbeitskräfte und erhöht den Leistungswillen derer, die einen Arbeitsplatz „besitzen“. Das ist dann doch wieder ganz im Sinne von Staat und Wirtschaft, schließlich dreht sich ja alles in dieser Gesellschaft darum, dem Wirtschaftswachstum, dem Wachstum des als Kapital angelegten Geldes, freie Bahn zu schaffen.

Die Bundesanstalt für Arbeit unterscheidet bei den Arbeitslosen genau nach Gesetzeslage: „Von den 2 620 000 Arbeitslosen im Februar wurden 910 000 oder 35 Prozent im Rechtskreis SGB III von der Arbeitsagentur für Arbeit und 171 0000 oder 65 Prozent im Rechtskreis SGB II von einem Jobcenter betreut.“ (Arbeitsagentur) Der Gesetzgeber sortiert eben das Potenzial. Es wird erstens ein Unterschied gemacht bei denjenigen, die ein Jahr (oder in besonderen Fällen bis zu zwei Jahren) arbeitslos sind und daher aus der Arbeitslosenversicherung ihr Geld erhalten, für das sie vorher zur Kasse gebeten wurden. Sie erhalten nicht ihren vorherigen Lohn, sondern 60 bzw. 67 Prozent ihres Nettolohns, je nachdem ob sie kinderlos sind oder Nachwuchs haben. Damit stehen die „Leistungsbezieher“ vor einem doppelten Problem: Sie müssen irgendwie mit dem gekürzten Einkommen zurecht kommen und sind unter diesen Bedingungen gezwungen, möglichst bald wieder einen Job zu finden.

Zweitens: Wer länger als ein Jahr – bei den Über-50-Jährigen: zwei Jahre – arbeitslos ist, gilt als Problemfall, bei dem der Druck, wieder in Arbeit zu kommen, neuerdings in Form des „Bürgergelds“ (siehe dazu „Hartz IV geht, das Bürgergeld kommt – die Notlagen bleiben“), erhöht wird, indem der Lebensunterhalt weiteren Kürzungen unterliegt. Den Betreffenden wird auf den Cent genau vorgerechnet, was sie wofür zum Leben ausgeben dürfen. Dabei bezieht sich die Rechengrundlage nicht auf die wirklich anfallenden Kosten, sondern auf ein Konstrukt aus der Vergangenheit, wodurch diese Menschen, auch nach offiziellen Ansagen, zusätzlich auf private Hilfen wie die Tafeln oder Kleiderkammern angewiesen sind. Die Betroffenen gelten allein deshalb als Problemfälle, weil sie schon lange kein Arbeitgeber mehr beschäftigen wollte. Das stellt ihre Brauchbarkeit grundsätzlich in Frage – das Urteil, das Arbeitgeber über sie gefällt haben, wird so zu ihrer Eigenschaft.

Wer über keine Ausbildung verfügt oder keinen Schulabschluss hat – aktuell sind es 50 000 Jugendliche pro Jahr –, dessen Tauglichkeit ist ebenfalls zweifelhaft. Denn er hat nicht nur den Erwerb bestimmter Fähigkeiten verpasst, sondern den Beweis nicht erbringen können, dass er über die entsprechende Arbeitsmoral verfügt. Alleinerziehende stehen ihrem Arbeitgeber nicht unbeschränkt und zu jeder Zeit zur Verfügung, weil sie sich eben auch noch um ihre Kinder kümmern müssen. Damit ist ihre Brauchbarkeit ebenso eingeschränkt wie die derjenigen Menschen, die körperliche oder psychische Handicaps aufweisen. Migranten oder Flüchtlinge, sofern sie denn überhaupt geduldet werden, verfügen oft nicht über die entsprechenden Sprachkenntnisse und kennen sich mit den rechtlichen und kulturellen Gegebenheiten nicht aus, stellen auch unter den Jugendlichen ohne Schulabschluss einen hohen Anteil. Also sind auch sie nur bedingt tauglich.

Der Sache nach bestätigt die Statistik, die das Phänomen Arbeitslosigkeit fast wie eine Schicksalsgegebenheit behandelt, die Analysen des alten Theoretikers Karl Marx. Der hat schon vor langer Zeit nachgewiesen, dass der Kapitalismus sich durch die ständige Attraktion und Repulsion von Arbeitskräften und einen dazugehörigen „Bodensatz“ von Menschen auszeichnet, die als überflüssig gelten, weil sie unbrauchbar sind. Maßgeblich sind hier die Konjunkturen des Geschäfts und nicht die Entscheidungen von Vati und Mutti, sich was Kleines zuzulegen, oder von Oma oder Opa, den Lebensabend möglichst in die Länge zu ziehen.

Hoffentlich erscheint bald ein Pascha – welcher das Gesäß des Hinterwäldlers mit einer Gesäßstreifen – Fahne der Republikaner reinigt.

Deutschland braucht Zuwanderer, aber die richtigen

Damit das Kapital immer ausreichend Arbeitskräfte mit der entsprechenden Qualifikation zur Verfügung hat und sie sich auch auswählen kann – sonst werden diese Leute noch zu anspruchsvoll –, braucht es Zuwanderung, von 400 000 pro Jahr, so das Urteil von Fachleuten. Nun mangelt es nicht an Leuten, die nach Deutschland wollen und dabei einige Gefahren auf sich nehmen, um in die bestens abgeschirmten europäischen Länder zu gelangen. Da unternimmt ja Deutschland in Gemeinschaft mit seinem Europa schon Einiges, um diese Menschen von den Grenzen fernzuhalten (https://www.overton-magazin.de/top-story/eu-migrationsgipfel-ein-gipfel-der-heuchler-und-der-heuchelei ).

Denn schließlich will ein Staat es nicht denjenigen überlassen, die Arbeit suchen, ob sie ins Land kommen oder nicht. Das bestimmt er schon selber; wer mit welcher Qualifikation die Grenzen überschreiten und für länger oder kürzer bleiben darf, ist eine Sache hoheitlicher Gewalt. Diese Klarstellung kostet regelmäßig Menschen das Leben – nicht nur im Mittelmeer, sondern z.B. auch an der Grenze von Polen zu Belarus oder der zwischen Griechenland und der Türkei. Da die Staaten sehr genau die Bedingungen der Einreise festlegen, gibt es auch immer wieder die Klage über zu viel Bürokratie, Unternehmen könnten sich da unternehmerfreundlichere Lösungen vorstellen.

Andererseits machen Arbeitgeber gerade von dem fehlenden Qualifikationsnachweis oder dessen fehlender Anerkennung Gebrauch, indem sie hochqualifizierte Kräfte als Billiglöhner einsetzen. Doch es bleibt das Problem, dass sowohl die anspruchsvollen Kriterien für eine Einreise in die EU bzw. nach Deutschland als auch die Praktiken im Umgang mit den hier beschäftigten Migranten Deutschland nicht gerade zum Zielland für qualifizierte Arbeitskräfte aus fremden Ländern machen, der „Brain Drain“ also weiterer Betreuung bedarf.

Der Zwang zur Arbeit – muss besser greifen

Politiker entdecken daher immer wieder ein noch nicht genutztes oder zu wenig genutztes Arbeitskräftepotential. So fordert der Wirtschaftsfunktionär Steffen Kampeter: „Wir brauchen mehr Bock auf Arbeit“ (SZ, 1.3.23). Er meint damit, dass die Menschen nicht so sehr auf ihre Freizeit achten, sondern mehr den Betrieben zur Verfügung stehen sollten. Und das nicht einfach, weil sie bei Mehrarbeit auch ein Plus bei Lohn oder Gehalt verbuchen könnten. Es soll vielmehr aus purer Lust erfolgen. Und das passt genau in die Landschaft, Mehrarbeit bedeutet heutzutage ja nicht unbedingt, dass die Überstunden vergütet werden:

„Jedes Jahr machen Beschäftigte in Deutschland zahlreiche Überstunden – und mehr als ein Fünftel von ihnen wird dafür noch nicht einmal bezahlt. Zugenommen hat zuletzt die Bedeutung von Überstunden, die durch Freizeit ausgeglichen werden können. Das geht aus den aktuellen Daten des Statistischen Bundesamts (Destatis) und des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) hervor… Knapp jeder Dritte macht mehr als 15 Überstunden pro Woche.“ (https://www.haufe.de/personal/hr-management/arbeitszeit-ueberstunden-in-deutschland_80_412324.html )

So nutzen Arbeitgeber die Abhängigkeit ihrer Beschäftigten aus, um sie kostenlos für sich arbeiten zu lassen. Und wenn es heißt, dass Überstunden verstärkt durch Freizeit ausgeglichen werden können, dann bedeutet dies in der Praxis unter Umständen nur, dass die betreffenden Mitarbeiter ewig ein hohes Freizeitkonto vor sich herschieben. Denn betriebliche Belange haben immer Vorrang und stehen möglicher Weise einem Ausgleich entgegen. Es sei denn, die Geschäfte gehen schlecht, dann darf der Mitarbeiter gegebenenfalls die Freizeit in Anspruch nehmen, so lange, bis ein neues Kommando erfolgt.

Dass junge Arbeitnehmer bei ihrem Bewerbungsgespräch nach Überstundenregelungen fragen, hält übrigens die Chefin der Agentur für Arbeit und ehemalige Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) für eine Zumutung. „Arbeit ist kein Ponyhof“ gab sie zu Protokoll und machte damit deutlich, dass Arbeitszeitbegrenzungen zwar im Arbeitsvertrag geregelt sein mögen, aber darauf zu pochen komme für Arbeitnehmer eigentlich nicht in Frage. Sie haben eben dann und so lange zur Verfügung zu stehen, wenn und wie das Kapital sie braucht. Bild am Sonntag (5.3.23) ergreift auch gleich Partei für die ehemalige Ministerin, indem das Blatt Menschen vorführt, die aus lauter Lust an der Arbeit arbeiten und für die Geld nicht das Wichtigste ist. Sie können z.B., wie im Bild belegt, auch von Südafrika aus arbeiten oder haben das schon immer so gemacht. Wovon die zitierte Dame, der das Geld nicht so wichtig ist, die Reise nach Südafrika bezahlt hat, bleibt dabei allerdings offen.

Eine Verschleuderung von ungenutztem Arbeitskräftepotenzial entdeckt so mancher Politiker oder Journalist im Rentenalter und vor allem in der Möglichkeit der Frühverrentung mit 63 Jahren, wenn die Betreffenden die vollen Beitragsjahre geschafft haben. Natürlich haben vor allem die rot-grünen Politiker mit ihren Rentenkürzungen schon einiges erreicht, was den Zwang zu längerem Arbeiten auch nach dem Renteneintrittsalter anbetrifft. Und auch die folgenden Regierungen waren nicht müßig und haben das Rentenalter erhöht. Wer früher in Rente geht oder gehen muss, der hat erhebliche Abschläge von der sowieso schon reduzierten Rente in Kauf zu nehmen.

In der Diskussion ist jetzt, die Flexibilisierung des Rentenalters mit erhöhten Zuverdienstmöglichkeiten zu verbinden. Ein festes Datum für den Renteneintritt ist damit passé. Stattdessen ist noch einmal unterstrichen, dass von der Rente kaum noch einer leben kann, weswegen Arbeit im Alter ganz selbstverständlich die neue Perspektive ist. Und so haben denn auch investigative Journalisten der Süddeutschen einen 85 jährigen aufgespürt, der es zu Hause zu langweilig findet und begeistert zur Arbeit geht. (SZ 4.3.23) Eine echte Perspektive für alte Alleinstehende!

undefined

Zuwenig genutzt ist auch noch die Arbeitskraft der Frauen. Wie der Missstand zu beheben wäre, weiß ein Kommentator der Süddeutschen: „Mehr Kinderbetreuung und weniger Fehlanreize wie das Ehegattensplitting ermutigen Mütter, mehr zu arbeiten als Mini-Teilzeit.“ (Alexander Hagelücken, SZ 1.3.23) Eltern sollen hier und heute eben Kinder in die Welt setzen, um sie möglichst schnell wegzugeben, denn Familienleben ist schließlich vergeudete Zeit, die nicht zum Wirtschaftswachstum beiträgt. An dieser Front haben Politik und Wirtschaft viel geleistet, um Frauen weg vom Herd hinein ins Büro, in die Fabrik oder hinter die Kasse zu bringen. Die Löhne der Männer wurden durch schleichende Inflation und zu geringen Ausgleich schrittweise entwertet und so die Frauen zu notwendigen Mietverdienerinnen gemacht. Der Versorgungsausgleich im Falle einer Scheidung wurde gesenkt, die Rente gekürzt und damit sind Frauen der Wahl weitgehend enthoben – frei zu entscheiden, ob sie sich lieber um Haus und Kinder kümmern wollen oder arbeiten gehen.

Das Doppelverdienerdasein ist zur Normalität geworden und damit das Familienleben auf den Feierabend und das Wochenende verkürzt. Und so gibt es jetzt die Diskussion um Work-Life-Balance, wobei die Alternative immer heißt, dass weniger Arbeit weniger Lebensstandard bedeutet, und in der Regel geben die Arbeitgeber vor, wie die Balance ausfällt. Dass viele Frauen nur Teilzeit arbeiten, lässt Politiker und Politikerinnen vor allem der Grünen keine Ruhe; sie bringen daher das Ehegattensplitting als Beschäftigungshindernis in die Diskussion. Die Beseitigung der bisher gültigen gemeinsamen Steuerveranlagung, die für das Paar zu niedrigeren Steuern führt, soll den Effekt haben, dass die Frauen stärker gezwungen werden, eine Arbeit anzunehmen.

Angepriesen wird dieser Druck als Befreiung der Frau. Bisher ist sie oft als Geringverdienerin in der ungünstigeren Steuerklasse eingestuft, um so die Steuerzahlung während des Jahres bereits niedrig zu halten. Mit dem Lohnsteuerjahresausgleich werden die unterschiedlichen Steuerleistungen verrechnet und beide Partner dann steuerlich gleich gestellt. Die Abschaffung des Ehegattensplitting, die als Vorteil verkauft wird, würde eine Schädigung darstellen, wenn Frauen wie Männer in der gleichen Steuerklasse gleichermaßen steuerlich gerupft werden. Ein gelungener Fall feministischer Steuerpolitik!

Der jungen Generation muss auch auf die Sprünge geholfen werden, damit sie sich so schnell wie möglich und so passend wie nötig für den Bedarf der Wirtschaft herrichtet, wobei eine neue Dienstpflicht – so die aktuelle Debatte über den deutschen Wehrwillen – vielleicht helfen könnte. Ein staatlicher Zwangsdienst käme natürlich zunächst dem Bedarf der Wirtschaft in die Quere, aber clevere Ideen sind, wie Telepolis berichtete, schon unterwegs. CDU-Verteidigungsexperte Kiesewetter ist klar, dass eine wieder eingeführte Wehrpflicht „im Spannungsfeld der Wirtschaft mit eklatantem Fachkräftemangel“ stehen würde . Daher favorisiert er das „norwegische Modell“, eine Kombination von allgemeiner Dienstverpflichtung mit einem nachfolgenden Auswahlverfahren, das die Spreu vom Weizen trennt und die zukünftigen Helden der Arbeit und des Schlachtfelds sauber sortiert.

So oder so, eins stellt die deutsche Politik hier klar: Sich wegen Alter oder Familienpflichten, wegen Aus- oder Fortbildungsbedarf, geschweige denn wegen dem Wunsch nach einer Auszeit, dem Arbeitsmarkt (und möglicher Weise demnächst einem neuen Dienst an der Waffe) zeitweise zu entziehen, geht gar nicht. Dafür sind die Insassen des hiesigen Standorts nicht vorgesehen. Ihr Dasein ist vielmehr für Wirtschaftswachstum und Mehrung der Staatsmacht verplant – auch wenn von Planung in dieser tollen Wirtschaftsordnung weit und breit nichts zu sehen ist.

Zuerst erschienen bei Telepolis

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —   Christian Lindner am Wahlabend der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 14. Mai 2017 in Düsseldorf

Abgelegt unter Bildung, Deutschland, Positionen, Regierungs - Werte | Keine Kommentare »

Ungenutzte Bildungszeit

Erstellt von DL-Redaktion am 14. März 2023

Weiterbildung und Arbeitsrealität

File:Deutscher Bundestag Plenarsaal Seitenansicht.jpg

Keine Lehrer kein Volk

Ein Debattenbeitrag von :   Lara Körber

Die von Hubertus Heil vorgeschlagene Bildungszeit ist ein schöner Ansatz. Nur häufig steht die Unternehmenskultur der Weiterbildung im Weg.

Die von Arbeitsminister Hubertus Heil geplante Bildungszeit wäre – wenn das Finanzministerium nicht zuvorgekommen wäre – spätestens in den meisten Unternehmen selbst gescheitert. Konkret an den dort vorherrschenden Unternehmenskulturen. Denn Weiterbildung ist viel zu oft keine Sprosse der Karriereleiter, sondern sie verkommt zur Posse im Angesicht der firmenintern bestimmenden Strukturen. Ein Realitäts-Check zeigt, warum das so ist.

In der Arbeitswelt wird oft das Märchen vom lebenslangen Lernen erzählt, doch das fristet eher einen Dornröschenschlaf

Per Gesetz – und das ist weitgehend viel zu wenig bekannt – haben 27 Millionen Arbeitnehmende in Deutschland Anspruch auf Bildungsurlaub. Dahinter verbergen sich fünf bis zehn Tage bezahlte Freistellung für als Bildungsurlaub anerkannte Weiterbildungen – von Führungskräftetraining über Sprachkurse bis Burn-out-Prävention. Kurz: zertifizierte Auszeiten, die Arbeitnehmende ganz individuell fachlich, persönlich und gesundheitlich fördern.

Trotzdem nehmen nur rund 2 Prozent der Anspruchsberechtigten ihr Recht auf Bildungsurlaub aktuell in Anspruch – und das, obwohl es das Gesetz zum Beispiel in Hamburg bereits seit 1974 gibt. Warum ist das so? Als Mitgründerin des mittlerweile größten Aufklärungs- und Buchungsportals für gesetzlichen Bildungsurlaub in Deutschland bin ich täglich mit weiterbildungsinteressierten Ar­beit­neh­me­r:in­nen im Austausch, die sich nicht trauen, ihr Recht auf „Bildungsurlaub“ in Anspruch zu nehmen.

Ein entscheidender Grund dafür ist der oftmals große Unterschied zwischen extern groß gelobter und intern klein gelebter Unternehmenskultur. Zwar wird in der Arbeitswelt oft das Märchen vom lebenslangen Lernen erzählt, doch das fristet eher einen Dornröschenschlaf – während die Prinzessin oder der Prinz zum Wachküssen sich ganz schön vergaloppiert hat.

Angst vor den Che­f:in­nen

In der Hel­d:in­nen­ge­schich­te von Unternehmen heißt es nämlich leicht: „Wir sind offen gegenüber Weiterbildung!“ Die externe Unternehmenskultur steht damit gut da. Allerdings zeigt sich hinter geschlossenen Bürotüren oft ein ganz anderes Bild. Die Forderung nach Förderung kommt dort oft gar nicht gut an, und die auf diese Weisen geprägte interne Unternehmenskultur reguliert somit den Weiterbildungsmarkt.

Es gibt also firmenkulturelle Hindernisse, die es erschweren, für das eigene Recht auf Weiterbildung einzustehen. Fehlendes Vertrauen und mangelhafte Kommunikation sind hier zentral zu nennen. Um Weiterbildungen wahrzunehmen, braucht es die Zustimmung des Unternehmens. Wir beobachten allerdings sehr stark, dass viele Beschäftigte sich schon gar nicht erst trauen, den Dialog mit ihren Che­f:in­nen aufzunehmen, um über ihre individuellen (Weiterbildungs)Bedürfnisse zu sprechen.

Wer aber nichts anspricht, dem kann man auch nichts absprechen. Was beim Ansprechen hemmt, ist, dass zu viele Arbeitgebende in Weiterbildungen immer noch viel zu oft Fehlzeit statt Förderung sehen. Damit begünstigen sie eine Fehlinterpretation von Leistung als Präsenz statt Produktivität. Ein weiterer Grund, der Mitarbeitende zögern lässt, eine Fortbildung in Erwägung zu ziehen, ist die generelle Überlastung.

Zu viele Arbeitnehmende sind oft am Limit und möchten in dieser Ausnahmesituation ihr Team nicht allein lassen beziehungsweise diesem noch mehr Arbeit zumuten. Das ist verständlich. Leider ist der Ausnahmefall zu oft die Regel. Wer als Unternehmen wirklich will, dass Weiterbildungsangebote angenommen werden, muss ein Arbeitsumfeld schaffen, das Entfaltungsspielraum bietet.

Sozialer Druck und Neid

Nicht selten wirkt auch der Mangel an Gönnungskultur als Hindernis auf dem Weg zur Weiterbildung. Leider ist es so, dass viele Kol­le­g:in­nen einander Weiterbildungen nicht gönnen oder sich schnell benachteiligt oder abgehängt fühlen. Dieser soziale Druck erhöht die Hürde, nach Weiterbildung zu fragen – und ist eine „Red Flag“ im Hinblick auf eine gesunde Arbeitskultur in einem Unternehmen.

Statt Misstrauen brauchen wir ein Team-Miteinander, eine „Gönnungskultur“ – in der je­de:r Einzelne weiß, dass sie oder er nicht zu kurz kommen wird. Wichtigster Schlüssel dafür auch hier wieder: transparente Kommunikation von oben. Die Message der Unternehmen sollte dabei sein: „Wir wollen deine Weiterentwicklung. Und die der anderen.“

Quelle       :        TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

********************************************************

Oben         —      Plenarsaal des Deutschen Bundestages

Author Times        /    Source    :   Iwn worh       /     Date      :      12 September 2010

This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported2.5 Generic2.0 Generic and 1.0 Generic license.

Abgelegt unter Berlin, Bildung, Positionen, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

Ulrike im Wunderland

Erstellt von DL-Redaktion am 12. März 2023

Die Gesinnungswende fordert ihren Tribut

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von   :   Johannes Schillo

Die Politikprofessorin Ulrike Guérot ist zur Zielscheibe einer Kampagne geworden – und auch das Ethos der Wissenschaft sieht sich seit der deutschen „Zeitenwende“ vor neuen Herausforderungen. Dazu hier eine Randnotiz.

Seit ihrem Auftritt bei Markus Lanz am 4. Juni 2022 ist die Bonner Politikprofessorin Guérot – milde ausgedrückt – persona non grata im öffentlichen Leben. Hatte sie mit ihrem Essay „Wer schweigt, stimmt zu“, der Kritik an den staatlichen Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung vorbrachte, schon Anstoß erregt, so war mit ihrem im November 2022 erschienenen Buch „Endspiel Europa“ für den Mainstream der deutschen Medienlandschaft endgültig klar: Diese Frau hat im Wissenschaftsbetrieb und im öffentlichen Diskurs, wie er hierzulande geführt wird, nichts verloren. Mittlerweile hat auch der Arbeitgeber Guérots reagiert, was noch einmal für Wirbel sorgte.

Eine Exkommunikation – oder doch nicht?

Der Eindruck liegt nahe und die begründete These steht ja auch im Raum, dass es hier um die Exkommunikation einer unbequemen Autorin aus der scientific community geht. Guérot hat zusammen mit dem Wissenschaftler Hauke Ritz in ihrem Endspiel-Buch, das sich bewusst als Essay vom üblichen Publikationswesen des akademischen Betriebs absetzt, den Weg des Westens hin zum Ukrainekrieg analysiert und dabei den Anteil der NATO an der Eskalation deutlich zur Sprache gebracht. Und sie hat, als Fazit, die Europäische Union dazu aufgefordert, „nicht als Stellvertreter der USA zu fungieren“, wie es bei Krass & Konkret in einem Resümee des Autorenduos hieß. Dabei beriefen sich die beiden – unter Rückgriff auf die kulturelle Tradition des Abendlands – auf eine „EUtopie, die humanistisch, antifaschistisch, antimilitärisch, inter-nationalistisch und antikapitalistisch ist“, und schlossen mit der Forderung: „Deswegen muss Europa alles tun, um diesen Krieg sofort zu beenden.“

Von der Universität, von Kollegen, aber auch von Medien wie der FAZ, die sich auf eine regelrechte Kampagne gegen die zur Außenseiterin erklärte Politologin verlegten, gab es Einspruch gegen einen solchen europäischen Friedensidealismus, der bis zur „Zeitenwende“ – und der damit verbundenen Gesinnungswende – hierzulande als Selbstverständlichkeit galt. Unisono wurde die Unwissenschaftlichkeit von Guérots Positionen festgestellt, die – so kann man die Vorwürfe auf den Punkt bringen – nicht dem NATO-Narrativ folgen. Das Bonner Uni-Rektorat verabschiedete 2022 eine Erklärung, die sich zur Parteinahme für den Westen und gegen Russland bekannte und noch ohne Nennung Guérots den Rahmen setzte, in dem der wissenschaftliche Diskurs stattzufinden habe; womit auch klargestellt war, dass weitergehende juristische Möglichkeiten zum Ausschluss dissidenter Meinungen geprüft werden sollten.

Das ist mittlerweile geschehen. Der bekannte Plagiatsforscher Stefan Weber hat in Telepolis darüber berichtet: Die Uni Bonn hat der Wissenschaftlerin, so weit bekannt, gekündigt, und nun „tobt die Debatte: Waren Plagiate Auslöser oder politisches Engagement? Der Fall geht wohl vor Gericht.“ Weber eiert in seinem Text etwas herum, um den offenkundigen Zusammenhang der Kündigung mit der Äußerung abweichender politischer Meinungen in den Hintergrund zu rücken. Natürlich sind auch schon andere Wissenschaftler (oder Politiker!) über Plagiate in ihren akademischen Arbeiten gestolpert, aber es „ist in den seltensten Fällen so, dass Wissenschaftler genuin wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens berufliche Nachteile haben“. Das hält Weber fest und man merkt ihm die Bauchschmerzen an, mit denen er die politische Einflussnahme auf diese – angeblich – rein innerwissenschaftliche Kontroverse konstatiert.

Das ist übrigens auch der Presseberichterstattung zu entnehmen – und sei es in der Form des entschiedenen Dementis wie in der FAZ (25.2.2023). Die Bonner Lokalpresse (siehe General-Anzeiger, 4./5.3.2023) hat den Fall groß gewürdigt und sich Sorgen gemacht, es könnte „ein zäh erkämpftes Grundrecht“, nämlich die Wissenschaftsfreiheit, Schaden nehmen. Genauer gesagt: Das könnte geschehen, wenn nicht konsequent dem Eindruck entgegengearbeitet wird, bei der Einleitung von „arbeitsrechtlichen Schritten“ hätten politische Überlegungen, vulgo: Zensur, eine Rolle gespielt. Und die Sorge betrifft natürlich das Ansehen des Hochschulbetriebs, wie von einem Kommentator gleich bemerkt wurde: „Wenn sich die Vorwürfe gegen Guérot auf die Zeit vor ihrer Berufung beziehen, dann wirft das auch ein schlechtes Licht auf die Bonner Uni. Hätten die Defizite in Sachen wissenschaftlichen Arbeitens dann nicht früher auffallen müssen?“ (G.-A., 25./26.2.2023) Ja, das hätte in der Tat besser ausgesehen.

University-bonn 2005-11-18.jpg

Je größer die Häuser – je mehr an Wissen passt hinein ?

Nun geht es wahrscheinlich so weiter, wie der Arbeitsrechtler Volker Rieble ganz gelassen mitteilt (G.-A., 6.3.2023). Nach den Angriffen auf die Professorin werde sich das Gerichtsverfahren erst einmal Jahre hinziehen. „Wenn dann ein Vergleich mit einer kleinen Abfindung herauskommt, hat die liebe Seele eine Ruh’. Die Öffentlichkeit kriegt das ohnehin nicht mehr mit.“ Solche abgebrühten Stellungnahmen gehen in der Öffentlichkeit, der hier ein Fachmann erzählt, wie sie funktioniert, ohne Weiteres durch: Öffentlich ist die Frau diffamiert, sachlich ist wohl weniger dran, was sich nach Jahren herausstellen dürfte, doch erst einmal hat die Kampagne ihre Funktion erfüllt

Möglicher Weise geht es jetzt aber auch schneller, wenn die geschasste Professorin klein beigibt und sich auf einem demnächst anstehenden „Gütetermin“ mit einer „kleineren Abfindung“ (G.-A., 10.3.2023) abfinden lässt.

Im Reich der exakten Wissenschaft, oh Gott!

Tja, die Koinzidenz von Einspruch gegen das NATO-Narrativ und Aufdeckung wissenschaftlichen Fehlverhaltens ist wirklich unschön. Plagiatsforscher Weber macht sich auch ein Gewissen daraus, aber dann findet er einen festen Halt. Arbeitsrechtlich verzwickt, politisch unschön, Konsequenzen unklar – das muss man konzedieren (und sich auch fragen, ob das „für einen Rauswurf“ genügt). Nur eins soll definitiv feststehen: Die Autorin hat „in zumindest zwei Büchern plagiiert, die sie als Wissenschaftlerin verfasst hat und die sicher nicht der Nicht-Wissenschaft, also etwa der Kunst zuzuordnen sind“.

Und jetzt kommt endlich mal Butter bei die Fische, die Vorwürfe werden von Weber substantiiert. Er bringt nämlich ein Beispiel – eine einzige Textstelle aus Guérots Essay „Wer schweigt, stimmt zu“ –, und von diesem Beleg versichert er nur noch, dass er weitere, ähnliche Fälle anführen könnte (und dass er auch schon Einschlägiges bei den Kritikern Guérots gelesen habe). Worin besteht nun der Beweis, das einzige Argument für Guérots Verstoß gegen wissenschaftliche Standards, das geliefert wird?

Was da geboten wird, ist ein erstaunlicher Beleg für den Geisteszustand des Wissenschaftsbetriebs. Aber im Einzelnen! Weber bringt ein Zitat aus dem Buch Wie wirklich ist die Wirklichkeit? des Kommunikationsforschers Paul Watzlawick (1976, S. 101):

Wir alle, jeder von uns auf seine Weise, befinden uns auf einer unablässigen, wenn auch oft ganz unbewußten Suche nach dem Sinn der uns umgebenden Geschehnisse, und wir alle neigen dazu, selbst hinter den verhältnismäßig unbedeutenden Vorfällen unseres täglichen Lebens das Wirken einer höheren Macht, sozusagen ,eines metaphysischen Versuchsleiters’ zu sehen. Es gibt wohl nicht viele Menschen, die den Gleichmut des Königs in »Alice im Wunderland« besitzen, der es ihm ermöglicht, das unsinnige Gedicht des Weißen Kaninchens mit der philosophischen Bemerkung abzutun: »Wenn kein Sinn darin ist, so erspart uns das eine Menge Arbeit, denn dann brauchen wir auch keinen zu suchen.« Zum Beispiel: Es gibt wahrscheinlich eine recht große Zahl von Personen, die eine private Mythologie über Verkehrsampeln haben…

Guérot hat auf Watzlawick, den sie als wissenschaftliche Autorität schätzt, in ihrem Buch mehrfach Bezug genommen. Sie knüpft explizit an seine Aussagen an, beansprucht also in keiner Weise, hier eine eigenständige wissenschaftliche Leistung zu präsentieren, sondern, im Gegenteil, einem Konsens zu folgen. Dann bringt sie auf Seite 101 ihres Buchs – ohne nochmals auf Watzlawick eigens als Urheber zu verweisen – zwei Sätze, die Weber als Plagiat beanstandet. Guérot übernimmt den Satz: „Es gibt wohl nicht viele Menschen … abzutun“ und schließt das Zitat von Lewis Carroll aus dem 12. Kapitel seines berühmten Buchs (mit kleinen Änderungen) an. Der Spruch findet sich übrigens in vielen populären Sammlungen mit den besten Zitaten aus „Alice im Wunderland“.

Alice in Wonderland 

Diese Übernahme soll ein Verstoß gegen wissenschaftliche Standards sein, der die Autorin eindeutig als Wissenschaftlerin disqualifiziert. Der Sache nach ist es eine absolute Lappalie. Nur würde Webers Einwand lauten: So kleinkariert muss der akademische Betrieb vorgehen, damit sich keiner mit fremden Federn schmückt; exakte Benennung der Quelle muss sein, weil alle Theoriebildung darauf aufbaut. Aber wenn das so ist, dann müsste diese Exaktheitsforderung auch für Watzlawick gelten, dessen wissenschaftliche Leistung hier angeblich entwendet und vom Werk einer Nachfolgerin usurpiert wurde. Schauen wir uns daher einmal den Passus aus Watzlawicks Opus genauer an.

Als Erstes fällt auf, dass der Autor mit einer erstaunlichen Allaussage startet, die er in keiner Weise belegt. Alle Menschen sollen auf Sinnsuche sein – eine unhaltbare Behauptung, die man auch blitzschnell, z.B. mit einem Klick, widerlegen kann, wenn man sich etwa die Kritik der Sinnfrage von Jürgen Hoßdorf ansieht, die ebenfalls bei Telepolis vorgestellt wurde: Das Sinnbedürfnis treibt zwar viele Menschen um, genau so liegen aber seit den Zeiten der Aufklärung viele stichhaltige Einwände gegen das Aufspüren geheimnisvoller Kräfte in einer Hinterwelt vor. Zweitens, um zum Ende, zur Schlussfolgerung aus dem Zitat zu gehen: Wer „Alice im Wunderland“ gelesen hat, weiß, dass der König kein gleichmütiger Mensch ist (wie Watzlawick behauptet), sondern ein gefährlicher Irrer, der sich mit seinen absurden Vorwürfen gegenüber Zeugen und Angeklagten ständig ereifert, mit Hinrichtung droht etc. Der zitierte Satz geht dann auch so weiter: „And yet I don’t know… I seem to see some meaning in them, after all.“ Wieso er bei Watzlawick zu einer Marotte, einem etwas gesuchten Beispiel von „Alltagsmythologie“ (den Sinn der Ampeln betreffend), überleiten soll, ist dann kaum ersichtlich; anscheinend sollte nur ein kleines Bonmot den Text auflockern…

Man kann natürlich einwenden: Weber als Plagiatsforscher hat mit dem Inhalt, mit dem Gang der Argumentation oder dem Versuch, sie zu veranschaulichen etc., nichts zu tun. Das heißt aber, die Frage, ob hier kommunikationstheoretisches Geschwurbel vorliegt oder wissenschaftliche Erkenntnis, interessiert ihn und die von ihm betrieben Forschung kategorisch nicht. Weber kümmert sich bloß um die Basics. Aber wenn das so wäre, dann müsste sich doch als nächste Frage anschließen: Wie steht es denn eigentlich mit der Exaktheit in Watzlawicks Text?

Er zitiert einen Satz von Carroll. Woher stammt er? Wo ist die Quellenangabe? Welche Ausgabe wurde zugrundegelegt? Hat er etwa aus eine populäre Sammlung zitiert (was Guérot übrigens von Kritikern bei Einstein- oder Hume-Zitaten zur Last gelegt wird, da sie, möglicher Weise, auf Internet-Seiten zurückgegriffen hat statt auf die Originalausgaben von Anno Toback)? Weiter gefragt: Bekanntlich hat Carroll nicht in Deutsch geschrieben – woher stammt die Übersetzung? Carroll wurde x-fach übersetzt, auch ad usum delphini. Wer hat diese Übersetzung angefertigt?

Klar, das sind kleinkarierte Fragen. Aber wenn schon kleinkariert, dann immer! Und Frau Guérot kann man nur wünschen, dass sie sich wie Alice im Gerichtskapitel über die absurden Vorwürfe des Kartenkönigs und seiner Königin erhebt – und am Schluss aus dem Alptraum aufwacht.

Zuerst bei Telepolis erschienen.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —     Ulrike Guérot (Senior Research Fellow und Leiterin des Berliner Büros, European Council on Foreign Relations, Berlin) Foto: CC-BY-SA Stephan Röhl / www.boell.de

Abgelegt unter Bildung, Bücher, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Lindner auf Sklavensuche

Erstellt von DL-Redaktion am 11. März 2023

„Oh, wow“ – Deutschland für Fachkräfte unattraktiv

Das hätte ihm jeder sagen können, welcher mit Studenten-innen Kontak hat.

Von:   MOHAMED AMJAHID

Nicht nur Finanzminister Lindner musste es kürzlich erleben: Für die viel beschworenen ausländischen Fachkräfte ist Deutschland kein begehrtes Ziel.

Vor Kurzem stand Finanzminister Christian Lindner von der FDP bei einem Auslandsbesuch in Ghana in einem Hörsaal. Luftig in ein weißes Hemd gekleidet, hielt er in der Hauptstadt Accra einen seiner TED-Talks, ganz locker in den Reihen zwischen den Studierenden. Jemand filmte die Szene.

Lindner fragt in den Saal, wer von den Anwesenden sich vorstellen könne, nach Deutschland zum Arbeiten zu migrieren. Kurze Stille. Null Hände heben sich. Hinter der Kamera flüstert jemand: „Oh, wow“, es folgt ein verlegenes „Okay!“ vom Finanzminister. Dann gehen hier und da ein paar wenige Hände zögerlich doch noch hoch – eher aus Mitleid. Christian Lindner rettet sich mit dem Witz, dass er die Telefonnummern und E-Mail-­Adressen der skeptischen Freiwilligen höchstpersönlich einsammeln werde. Alle lachen.

Oft heißt es ja sinngemäß: Ganz Afrika wolle zu uns nach Deutschland kommen. Eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung, die man an sich kritisch lesen sollte, gibt nun weitere Anhaltspunkte, warum das nicht so ist. Unter den OECD-Ländern ist Deutschland demnach beim Ansehen unter ausländischen Fachkräften, Unternehmen und Start-ups von Platz 12 auf Platz 15 zurückgefallen. Hauptgrund dafür ist, dass andere Länder schlicht viel attraktivere Arbeits- und Lebensbedingungen bieten: Norwegen, Kanada oder Neuseeland zum Beispiel.

In der Studie wurden mehrere Faktoren beachtet: Aufstiegschancen, Höhe des Einkommens und der Steuern, Möglichkeiten für Familienmitglieder oder die Visa-Vergabe. Auf all diesen Feldern bietet Deutschland kein gutes Bild. Schaut man zum Beispiel in die Portale für die Terminvergabe für deutsche Visa-Anträge, herrscht gähnende Leere: Oft sind keine Termine weit und breit zu sehen. Fürs Auswandern nach Deutschland braucht man Geduld, Kontakte, viel Geld und noch mehr Willen. Den bringen aber viele gut ausgebildete Menschen in Sachen Deutschland nicht automatisch mit. An­trag­stel­le­r*in­nen beschweren sich über eine besonders ausgeprägte Bürokratie und ineffiziente Verfahren. Dabei wird ihnen von Finanzministern und Werbebroschüren gesagt, dass Deutschland sie dringend als Fachkräfte brauche. Diese Diskrepanz zwischen Diskurs und Realität kommt bei den Fachkräften selbst offensichtlich nicht gut an.

Arg abgerutscht

Beim Ansehen unter Unternehmen und Start-ups ist Deutschland sogar laut Studie von Platz 6 auf Platz 13 abgerutscht. Hauptgründe hier: die schleppende Digitalisierung mit riesigen Funklöchern und weiter heiß laufenden Faxgeräten in den Ämtern, ein zu hohes Mindestkapital bei Neugründungen und eine „geringe Akzeptanz von Zuwanderer*innen“ in der deutschen Gesellschaft. Für den letzten Punkt gibt es ein akkurateres Wort: Rassismus. Den gibt es auch in Norwegen, Kanada oder Neuseeland, nur hat sich herumgesprochen, dass es in Deutschland besonders bedrückend sei.

Hätte er seinen Zuhörern gesagt das eine Lehr als Hausmeister ausreicht, in Deutschland Finanzminister werden zu können, wäre er wohl im Ansturm untergegangen !

Spricht man zum Beispiel mit bei der deutschen Wirtschaft begehrten Studierenden, For­sche­r*in­nen und Fachkräften an deutschen Hochschulstandorten sind viele Neuankömmlinge wenig begeistert von der gesellschaftlichen Atmosphäre. In Städten wie Dresden oder Tübingen bekommen die neuen Bür­ge­r*in­nen schnell mit, dass dort politisch betrachtet eine rassistische Normalität herrscht. Einige entscheiden sich deswegen bewusst, den Standort zu wechseln. Auch weil hochqualifizierte Fachkräfte sehr mobil sind. Oft genug wandern sie weiter in ein anderes Land. Gut ausgebildete Fachkräfte folgen Entwicklungschancen auf dem eigenen Feld und höheren Löhnen. Wenn es dann noch an Anerkennung und basaler Menschlichkeit im Umgang hapert, dann schreckt das eben viele Menschen ab.

In Deutschland spielen daneben bestimmt auch andere Faktoren eine maßgebliche Rolle, die in der Studie nicht vordergründig auftauchen: Deutschland ist ein sehr deutschsprachiges Land. Menschen mit hohen Bildungsabschlüssen haben oft keine Lust und noch weniger Zeit, sich in das Mysterium von „der, die, das“ einzuarbeiten. Zwar haben sich in Großstädten wie Berlin oder Frankfurt Räume entwickelt, in denen Englisch die Arbeitssprache ist, dennoch sind ausländische Fachkräfte oft genug mit deutschen Führungskräften konfrontiert, die noch nicht mal Deutsch gut sprechen und teilweise schlechter ausgebildet und qualifiziert sind als die Neuen am Konferenztisch. Dazu kommen konkrete Probleme bei der Wohnungssuche oder bei der Kinderbetreuung, für die man nicht extra nach Deutschland einwandern muss, um zu wissen, wie schlimm es ist.

Die geringe Attraktivität des Standorts Deutschland liegt also am international ramponierten Image. Die spezielle deutsche Willkommenskultur spricht sich herum, und Menschen wenden sich mit einem zusätzlichen Blick auf die konkreten Bedingungen von Deutschland ab. Das wiederum hängt daran, dass sich Menschen mit relativ wenig Aufwand darüber informieren können, wie eine Mehrheitsgesellschaft so tickt. Und viele Yelp-Reviews für Deutschland weisen wenig Sterne auf.

Alles schön vermischen

Quelle        :       TAZ-online           >>>>>          weiterlesen

********************************************************

Grafikquelle :

Oben       —   Dieses Bild zeigt das Denkmal in Algerien – Lecture hall in Algeria

Abgelegt unter Afrika, Arbeitspolitik, Bildung, Integration, Positionen | Keine Kommentare »

HIV-Virus wurde isoliert

Erstellt von DL-Redaktion am 7. März 2023

HIV-Infizierte werden immer noch diskriminiert

Human Immunodeficency Virus - stylized rendering.jpg

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von   :   Bernd Hontschik / 06

An einer deutschen Universität wurde ein HIV-positiver Student ausgeschlossen, obwohl er nicht ansteckend ist.

Zuerst die gute Nachricht, sie stammt vom Februar diesen Jahres: In Düsseldorf konnte ein HIV-positiver Patient geheilt werden! Bei dem Patienten war 2011 eine akute myeloische Leukämie diagnostiziert worden, wes- wegen er sich zwei Jahre später einer Stammzelltransplantation unterziehen musste. Das Immunsystem des seit 2008 an AIDS erkrankten Patienten kann seitdem die HIV-Infektion ohne jede antivirale Therapie abwehren.

Das kam so: Jede Zelle verfügt über Eintrittspforten auf der Oberfläche ihrer Hülle. Das sind Proteine in der Membran, sogenannte Chemokinrezeptoren. Deren Konfiguration ist in der Erbsubstanz jeder Zelle festgelegt. Auch das HIV-Virus braucht einen Chemokin-Rezeptor, um in die Wirtszellen einzudringen und diese zu infizieren. Für die Stammzelltransplantation des HIV- Patienten fand man nun einen Spender, bei dem das Gen für diesen speziellen Chemokin-Rezeptor in der Erbsubstanz fehlte. Das HIV-Virus wurde damit sozusagen ausgesperrt, eine Infektion war nach der gelungenen Stammzelltransplantation nicht mehr möglich. Auf die gleiche Weise sind zuvor bereits ein Patient in Berlin und ein Patient in London geheilt worden. Ob diese Methode für den breiten Einsatz bei HIV-Patient:innen geeignet sein wird, ist allerdings noch eine offene Frage, denn eine Stammzelltransplantation ist kein Spaziergang, und es gibt inzwischen auch einige Fälle, wo die Methode erfolglos eingesetzt worden ist.

Nun zur zweiten Meldung vom November letzten Jahres, die ich zunächst nur für einen schlechten Scherz gehalten habe: An der Philipps-Universität in Marburg ist im vergangenen Jahr ein Student der Zahnmedizin vom Studium ausgeschlossen worden, weil er HIV-positiv ist. Der junge Mann hatte bereits die ersten beiden theoretischen Studienabschnitte absolviert und sollte nun mit dem klinisch-praktischen Teil des Studiums beginnen. Bei der routinemässigen arbeitsmedizinischen Untersuchung vor diesem Studienabschnitt stimmte er einem HIV-Test zu. Er wusste schon seit 2012 von seiner Infektion und hatte seine Viruslast medikamentös und auf Dauer unter den Grenzwert von 200 Viruskopien pro Milliliter Blut senken können. Damit galt er nicht mehr als infektiös. Er fiel also aus allen Wolken, als ihm die Universität mitteilte, dass er nunmehr vom Studium ausgeschlossen werden müsse. Es bestünde ein Verletzungsrisiko, mit dem er Patient:innen und Mitstudierende in Gefahr bringen könne.

Mit einem Gutachten eines führenden HIV-Wissenschaftlers konnte er den Prozess vor dem Verwaltungsgericht Giessen gewinnen, aber der Hessische Verwaltungsgerichtshof gab in zweiter Instanz der Universität recht. Erinnerungen an den früheren bayerischen Innenstaatssekretär Peter Gauweiler («Das sind halt Aussätzige») und den jungen Abgeordneten Horst Seehofer werden wach, die vor vierzig Jahren Zwangstests für Homosexuelle forderten und Infizierte in bewachten «Heimen» oder gleich auf einer Insel isolieren wollten, oder auch an den ehemaligen bayerischen Kultusminister Hans Zehetmair (auch CSU), für den Homosexualität in den «Randbereich der Entartung» gehörte, nicht nur «contra naturam, sondern auch contra deum». Fast vierzig Jahre danach haben Mittelalter und Schwulenfeindlichkeit anscheinend nicht nur von der Marburger Universität, sondern auch von der hessischen Justiz erneut Besitz ergriffen. Es ist diese Gleichzeitigkeit von tiefem Mittelalter und futuristischer High-Tech-Medizin, die sprachlos macht.

Diese Kolumne widme ich dem Arzt und Sexualwissenschaftler Professor Volkmar Sigusch, der am 7. Februar im Alter von 83 Jahren in Frankfurt am Main verstorben ist. In dem oben beschriebenen anfänglichen Umgang mit AIDS sah Sigusch 1985 ein «neues Kapitel der Homosexuellenverfolgung». Im Deutschen Ärzteblatt schrieb er 1986: «Das Nachdenken über die kulturelle Indienstnahme einer Erkrankung, über Mechanismen einer Perversion kann die Medizin jedoch darin bestärken, nur die Krankheit und nicht ein ganzes Leben als Pathologie zu begreifen. Weder Ärzte noch Sexualforscher sind dazu da, die Strasse sauberzuhalten und die Widersprüche des modernen Lebens technisch zu frisieren.» Das gilt bis heute, das gilt immer, und dem ist nichts hinzuzufügen.

_____________________

Dieser Beitrag erschien am 4. März in der «Frankfurter Rundschau».

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —       Stylized rendering of a cross-section of the Human Immunodeficiency Virus.

Abgelegt unter Bildung, Europa, Gesundheitspolitik, Positionen | Keine Kommentare »

Die Welt mitverändern

Erstellt von DL-Redaktion am 1. März 2023

Immer weniger Bürger engagieren sich für das Gemeinwohl. 

Mehr Polizei bringt mehr Gemeinwohl ?

Ein Schlagloch von Mathuas Greffrath

Für die Demokratie ist das ebenso Gift wie das Übermaß an oft fälschlichen Informationen. Die Staatsmacht lässt sich nicht von außen lenken, der Souverän muss schon reingehen und mitspielen.

Es gibt Geschichten, die begleiten einen wie ein Mantra. Eine davon habe ich vor langer Zeit an dieser Stelle schon einmal erzählt, aber gelegentlich ploppt sie wieder ins Gedächtnis: die Geschichte von dem Mann, der so unangenehm spöttisch lachte, als ich ins Stottern kam. Warum ich Journalist geworden sei, hatte er mich gefragt, und ich darauf irgend etwas von „Weltverändern durch Aufklären“ gemurmelt. Ich traf den Soziologen Hans Speier 1977 in einem Vorort von New York, einen Schüler Karl Mannheims. Der wiederum hatte das Wort vom „freischwebenden Intellektuellen“ geprägt, dem überparteilichen Statthalter der Vernunft im Interessenkampf. Speier hatte an der Hochschule für Politik in Berlin gelehrt und musste 1933 nach New York fliehen, wurde Kriegstheoretiker und Experte für Propaganda im Dienste der US-Regierung.

„Weltverändern?“, rief er damals aus, „da haben Sie den falschen Beruf gewählt. Völlig falsch. Wenn Sie die Welt verändern wollen, dann müssen Sie in eine politische Partei gehen und um Mehrheiten kämpfen.“ Sein Ton war unerträglich belehrend; ich fühlte seine Verachtung für den naiven, machtvergessenen Studenten. Und dann passierte mir, was mir nie zuvor passiert war, und nie wieder danach. Ich habe Hans Speier drei Stunden lang interviewt, und als ich zurück im Hotel in New York die Bänder durchhörte, war nichts davon mehr da. Vier leere Rollen Tonband.

Das fiel mir dieser Tage wieder einmal ein, angesichts von zwei Publikationen, die sich mit der Krise der parlamentarischen Demokratie beschäftigen. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler hat ein schlankes Büchlein geschrieben („Die Zukunft der Demokratie“) über zwei Mindestvoraussetzungen der Demokratie. Zum einen eine Plattform von gesicherten, von allen geteilten Informationen, auf deren Grundlage politische Öffentlichkeit überhaupt erst möglich wird. Und zweitens: eine verbreitete Bereitschaft zur Mitwirkung in den Institutionen des Gemeinwesens. Beides, so Münkler, sei so nicht mehr gegeben.

Als ich 1977 in Hartsdale mein Interview ruinierte, stand es um beides noch besser – auch deshalb ärgerte mich, was ich für den Zynismus eines Regierungssoziologen hielt. Man konnte damals mit ein wenig mehr Recht als heute davon ausgehen, dass Aufklärung die Verhältnisse in Bewegung bringen kann. Die SPD leistete bis 1986 noch Widerstand gegen die Kommerzialisierung von Funk und Fernsehen. Es gab noch keinen Privatfunk, kommerzielles TV sowieso nicht. Information und Bildung fanden auf wenigen Kanälen statt. Hohes und Flaches, Anspruchsvolles und Entspannendes, rechts und links waren besser gemischt – man konnte sicher sein, dass die Kollegen am nächsten Morgen ungefähr denselben Kenntnisstand hatten wie man selber. Und außerdem gab es lokale Zeitungsvielfalt.

undefined

Die Tafeln entlassen die Regierungen aus ihren Pflichten sich um die Ärmsten der Armen zu kümmern !

Auch die zweite Voraussetzung, die Münkler nennt, war noch gegeben: die Bereitschaft zur Mitwirkung in den Parteien. In den turbulenten 60er und 70er Jahren hatte sich die Mitgliederzahl in allen Parteien verdoppelt, junge Aktive hatten an Einfluss gewonnen, Intellektuelle engagierten sich im politischen Alltag und nicht nur auf den Marktplätzen der Meinung. Heute leben wir in einer anderen Welt. Die Öffentlichkeit spaltet sich immer weiter in Infoblasen und zahlungspflichtige Informationsportale für „Entscheider“. In den schrumpfenden Parteien gibt es gerade einmal 200.000 „ämterorientierte Aktive“; aus diesem kleinen Kreis rekrutieren sich die Eliten der Parlamente, der Verwaltungen, der Sozialverbände. Das Misstrauen der Bürger gegen eine schmale Schicht von Berufspolitikern wächst kontinuierlich. Demonstrationen haben begrenzte Wirkung auf Gesetzgebung; auf die aber kommt es letztlich an.

Das alles ist keine neue Erkenntnis, die Ursachen sind benannt: die ehernen Mechanismen der Parteienoligarchien; die Individualisierung und der Konsumismus; die gezielte Zerstörung des dualen Systems von privater Presse und öffentlich-rechtlichen Medien. Postdemokratie. Die Arbeit der Zuspitzung – nach Peter Glotz, einem der letzten Intellektuellen in der Politik: „die Klärung der Gegensätze und die Mobilisierung von verborgenen und verschütten Wünschen und Bedürfnissen“ – ist aus den Parteien und einer kuratierten Presse in die knalligen Talkshows, die Meinungsblasen outgesourct.

Jammern macht müde. Wo ist Abhilfe? Auch Münkler bietet nur Palliativmedizin an: geldwerte Kompensationen für Engagement in den politischen Institutionen statt außerhalb von ihnen und gegen sie; und, was die Meinungsbildung angeht, eine Art von mehrfach zu erneuerndem „Führerschein“ für das gefahrlose Navigieren in einer Welt von Stimmungsspiralen und Fake-News-Fallen. Ich glaube nicht, dass solche Mittelchen aus der Notapotheke eine republikanische Renaissance auslösen können. Und gegen wirksame Bürgerbeteiligung, die zwar regelmäßig in den Programmen steht und die gerade wieder die ehemalige Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff fordert (ihr Buch heißt „Demophobie“), schotten sich die Parteien sorgsam ab: Wenn etwa der hannoversche Bürgermeister die Forderung der Letzten Generation aufnimmt, kriegt er sofort die Rute der „gewählten Volksvertreter“ zu spüren.

Quelle        :        TAZ-online          >>>>>           weiterlesen

*************************************************

Grafikquellen       :

Oben        —   Aktivisten vom Aufstand der Letzten Generation mit Tempo-100-Schildern vor dem Verkehrsministerium diskutieren mit der Polizei. Links stehend Edmund Schultz, mitte Mirjam Herrmann, rechts Miriam Meyer. Invalidenstraße, Berlin, 22.10.22

Abgelegt unter Bildung, HARTZ IV, Integration, Regierung, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

Kampf um Deutungshoheit

Erstellt von DL-Redaktion am 26. Februar 2023

Als zivil geadelt, als gewalttätig gebrandmarkt

undefined

Daran erkennt das Volk die Führungsschwäche ihrer sich selbst zu Trüffelschweine erkorenen.

Von Benno Schirrmeister

Der Kampf um die Deutungshoheit über politische Proteste ist kein Nebenschauplatz der Geschichte. Er ist der Kern der Sache selbst. Der Triumph des Protests überzieht ihn mit dem Glanz der fortschreitenden Zivilität.

Wird es am Ende ziviler Ungehorsam gewesen sein? Sorry, Futur Zwei klingt immer etwas gespreizt. Aber die Frage muss so gestellt werden. Denn noch ist nicht abschließend geklärt, wofür Lützerath steht. Ob der Widerstand gegen die Räumung und Ausbeutung der Braunkohlevorkommen von Lützerath, ob die Straßenblockaden der Letzten Generation oder ihre Schein-Anschläge auf Gemälde als ziviler Ungehorsam legitimiert werden oder als blöde bis gefährlich-kriminelle Störaktionen abgewertet, entscheidet sich erst im Laufe eines Deutungs- und Aushandlungsprozesses.

Der nimmt gerade erst Fahrt auf. Gerichte werden zu ihm zwar beitragen, können ihn aber ebenso wenig beenden wie die Bür­ge­r*in­nen von Keyenberg, denen die zugereisten Ak­ti­vis­t*in­nen mittlerweile lästig scheinen: Wo die Grenzen der Zivilität verlaufen, das ist keine juristische Frage, sondern eben eine an die gesamte Gesellschaft: Die befindet sich in einer Art hermeneutischem Bürgerkrieg, einem mit Worten ausgetragenen Kampf um die Deutung des Protests, seiner Taten und seiner Aktionsformen: Wie angemessen sind sie? Wie viel Gewalt wird sich ihnen rückblickend zuschreiben lassen?

Dieser Kampf um die Interpretation wird mit schmutzigen Tricks geführt, Pseudoargumenten und Infamie. Er ist dabei aber kein verzichtbares Anhängsel oder Begleitphänomen. Er ist die Sache selbst: Das geballte, polyvalente Zeichen des Protests, das Kommunikation sein soll, übersetzt sich so erst in Rede und Gegenrede, kurz: das, was eigentlich Politik ausmacht.

Zu diesem Kampf gehört, dass die Gegner des Protests und seiner Anliegen ihn bagatellisieren – Lützerath sei das falsche Symbol, hat der Vater des Vaterlandes Robert Habeck (Grüne) die jungen Leute belehrt; ein Gratissatz, der immer stimmt, solange ein Symbol nicht mit dem zusammenfällt, das es symbolisiert – so wie es bei Rosa Parks’ Weigerung der Fall war, den Platz im Bus für einen Weißen freizumachen, und die so durch das direkte Übertreten der Rassentrennung gegen die Rassentrennung protestierte.

Auch gehört zum Kampf, die Protestierenden zu entzweien, gerne entlang überkommener Gegensätze, wie dem Unterschied von Stadt und Land: Sehr wirksam hat die Erzählung vom akademischen Krawalltourismus die Tatsache überschrieben, dass die Antiatomproteste von Wyhl bis Brokdorf ebenso wie jetzt die Lützerath-Blockaden Akte gelebter Solidarität zwischen linken Bürgerkindern und bäuerlicher Landbevölkerung gewesen sind, deren Einsprüche mangels Masse so übersehbar und überhörbar geblieben waren. Manchen, und das ist völlig legitim, reicht dann eine Abfindung oder ein Kompromiss, der die eigenen Belange wahrt, und schon beginnt der Widerstand zu nerven; die Präsenz der Besetzer zur Last zu werden; sie fangen an, voll scheiße zu sein. Vielleicht auch, weil da so etwas lauert oder lastet wie ein ungutes Gefühl des Verrats.

Vor allem aber geht es in diesem Kampf darum, ob sich dieser Protest diskreditieren lässt. Wenn er zwar das Richtige, aber an der völlig falschen Stelle fordert, dann erschüttert das seine moralische Legitimation, wenn der Zusammenschluss mit den Betroffenen bröckelt, die moralische Integrität – und beides zusammen verschiebt die Schwelle, ab wann die Aktion als Gewalt gelten wird, sprich: ob sie unberechtigt war oder als ziviler Ungehorsam geadelt wird.

undefined

Denn ziviler Ungehorsam wird in der Regel – am häufigsten mit Jürgen Habermas’ Fortschreibung der Gerechtigkeitstheorie von John Rawls – als notwendig gewaltfrei definiert: Klingt theoretisch prima, erweist sich aber als ausgesprochen schwammiges Kriterium angesichts der Ahnengalerie des Protests. Denn die Entscheidung darüber, ob es gewaltsam war, ist eine, die dem Ereignis nachträglich zuwächst. Bis heute am schönsten hat die Formbarkeit dieses Grenzverlaufs Anfang der 1980er Jahre Friedrich Zimmermann (CSU) zum Ausdruck gebracht, ein Innenminister der BRD. Sein Spruch „gewaltfreier Widerstand ist Gewalt“ lässt sich als ein meisterhaftes Concetto beschreiben, paradoxal wie aus der Blütezeit des spanischen Barock.

Das Gegenstück war der nonverbale Protest, den ein paar Jahre vorher Beate Klarsfeld ins Gesicht des Bundeskanzlers Kurt Georg Kiesinger ­(NSDAP und CDU) formulierte: Ist jede Ohrfeige ein Gewaltakt? Wie sind die autoaggressiven Formen des zivilen Widerstands zu rubrizieren, Gandhis Hungerstreik, die Selbstverbrennung des Mönchs Thich Quang Duc vor 60 Jahren in Saigon oder der Dichterin Semra Ertan 1982 in Hamburg, ein Fanal gegen grassierenden Rassismus?

Natürlich gibt es Gewalt, physische Gewalt. Und natürlich ist sie unerträglich. Aber ob sie stattgefunden hat, erweist sich eben nicht als entscheidend für die Bewertung des Protests als zivil. Es ist eher eine Frage des Erfolgs, also ob seine Ziele verwirklicht und mehrheitlich als gerecht anerkannt worden sind. So fokussiert zumal in Deutschland die Diskussion um Malcolm X allein auf dessen vermeintlichen Aufruf zu Gewalt – der genau genommen nur das Recht auf Notwehr gegen brutale Übergriffe einer rassistischen und vom Ku-Klux-Klan unterwanderten Polizei vertritt. Seine eher wandel- als greifbare politische Doktrin wird darunter verborgen und völlig vergessen, dass ihm keine Akte politischer Gewalt zuzuordnen sind.

Quelle       :         TAZ-online       >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Straßenblockade am Hauptbahnhof Berlin (2022)

Abgelegt unter APO, Bildung, Kultur, Opposition, Regierung | 1 Kommentar »

Verstaubte Schulen ?

Erstellt von DL-Redaktion am 14. Februar 2023

Auf dem Rücken der Lehrer

Ein Debattenbeitrag von Philipp Dehne und Claudius Baumann

Mit den kürzlich vorgeschlagenen Maßnahmen werden die Bundesländer das Problem des Lehrkräftemangels nicht lösen. Weder jetzt noch in zehn Jahren.

Mit Spannung waren sie erwartet worden, die „Empfehlungen zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel“ der Ständigen Wissenschaftliche Kommission (SWK). Doch für Lehrkräfte, die immer häufiger über der Belastungsgrenze arbeiten und täglich die Folgen des Lehrkräftemangels erleben, sind die vorgeschlagenen Maßnahmen ein Schlag ins Gesicht. Die zentralen Empfehlungen der SWK – Einschränkung von Teilzeitarbeit, Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung und Möglichkeiten für längeres Arbeiten im Alter – lassen sich in einem Satz zusammenfassen: Leh­re­r*in­nen sollen halt mehr arbeiten. Und dann ’nen Yoga- oder Achtsamkeitskurs als Ausgleich machen, falls es durch die Mehrarbeit zu stressig wird. Nichts gegen Maßnahmen zur Gesundheitsförderung. Aber hier werden sie zur Rechtfertigung von individueller Mehrarbeit in Zeiten des strukturellen Problems Lehrkräftemangel missbraucht. Neoliberalismus at its best.

Die Vorschläge der SWK sind vor allem auch deshalb eine Enttäuschung, weil sie die zentralen politischen Versäumnisse der letzten 20 Jahre außen vor lassen. So werden die jetzt politisch Handelnden in die Verantwortungslosigkeit entlassen.

Dass der Lehrkräftemangel durch eine politische Fehlsteuerung hervorgerufen wurde und in fast allen Bundesländern Jahr für Jahr zu wenig Lehrkräfte ausgebildet sowie tausende Be­wer­be­r*in­nen für ein Lehramtsstudium abgelehnt wurden, weil der NC zu hoch war und es in vielen Fächern zu wenige Studienplätze gab und gibt, erwähnt die SWK nicht. Doch wer das Problem und seine Ursachen nicht anerkennt, wird keine brauchbaren Lösungsvorschläge machen können.

Dazu passend wird gerade in der öffentlichen Debatte immer wieder das Mantra des „demografischen Problems“ als Ursache für den Lehrkräftemangel wiederholt. Dabei ist der Lehrkräftemangel vor allem das Ergebnis politischen Versagens, das jetzt von der demografischen Entwicklung verstärkt wird.

Ohne eine echte Ausbildungsoffensive wird sich der Lehrkräftemangel nicht in den Griff bekommen lassen. Leider wird eine solche Ausbildungsoffensive in den Empfehlungen der SWK nicht einmal erwähnt.

Wie eklatant die Situation ist, zeigt sich beispielsweise in Berlin. Dort müssten die Schulen in den nächsten Jahren jährlich rund 3.000 Lehrkräfte einstellen, aber nicht mal 1.000 Lehr­amts­ab­sol­ven­t*in­nen verlassen jährlich die Berliner Unis. Dennoch wurden im letzten Wintersemester knapp 3.000 Bewerbungen auf einen Lehramtsstudienplatz abgelehnt, darunter viele in Mangelfächern. Jetzt die Studienbedingungen zu verbessern, um die Abbruchquoten zu verringern und parallel mit einer Ausbildungsoffensive mehr Studienplätze für das Lehramt zu schaffen, um so zusätzlich ausgebildete Lehrkräfte in sechs, acht oder selbst zehn Jahren zu haben, wäre ein zentraler Schritt auf dem Weg zu einer nachhaltigen Lösung des Lehrkräftemangels.

Eine Ausbildungsoffensive braucht es aber nicht nur in Berlin, sondern bundesweit. Auch hier ist das politische Versagen immens: Es gibt in Deutschland keine funktionierende bundesweite Koordination zwischen den Ländern in Bezug auf die Zahl der auszubildenden Lehrkräfte. Auch in der jetzigen Situation setzen einzelne Länder, beispielsweise Bayern, auf wettbewerbsorientierte Lösungen statt auf eine abgestimmte Prognostik, eine koordinierte Bedarfsplanung und eine gemeinsame Ausbildungsoffensive.

Um in diesen Punkten etwas zu erreichen, muss man nicht den Föderalismus im Bildungsbereich abschaffen. Aber ein Staatsvertrag Lehrkräftebildung, eine grundsätzlich bessere Bund-Länder-Kooperation und eine Aufweichung des 2006 im Zuge der Föderalismusreform beschlossenen Kooperationsverbots sind notwendig.

Die Empfehlung der SWK lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Leh­re­r*in­nen sollen halt mehr arbeiten

Die Umsetzung ist eine Frage des politischen Willens. Gerade im Bildungsbereich, den der Staat quasi monopolartig organisiert, muss er doch alles unternehmen, um Bildung in guter Qualität zu sichern. Die Abwärtsspirale geht sonst weiter. Wie können wir uns zehntausende Schul­ab­gän­ge­r*in­nen ohne Abschluss und eine weitere Spaltung der Gesellschaft leisten?

Quelle         :         TAZ-online       >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquelle :

Oben      —     Bushaltestelle Kremenholl/Paulstraße in Remscheid

Abgelegt unter Bildung, Debatte, Deutschland, Positionen, Rentenpolitik | Keine Kommentare »

Ende eines Kulturkampfs

Erstellt von DL-Redaktion am 7. Februar 2023

Als letztes Bundesland muss Berlin Lehrerinnen mit Kopftuch zulassen.

Ein Debattenbeitrag von Daniel Bax    –  er ist Sprecher des Deutschen Zentrum für Integration-und Migrationsforschung und lebt in Berlin. In seiner Grundschule in Baden-­Württemberg nahm er, obwohl ungetauft, am Religionsunterricht teil. Getauft ist er bis heute nicht.

Dass Gerichte das wiederholt einfordern mussten, wirft kein gutes Licht auf die Politik. Wenn selbst Lehrerinnen ein Kopftuch tragen, dann taugt es nicht mehr als Zeichen des Protests.

Die letzte Abwehrschlacht ist geschlagen, das Rückzugsgefecht verloren. Das Land Berlin darf seinen Lehrerinnen nicht pauschal verbieten, ein Kopftuch zu tragen. Das hatte das Bundesarbeitsgericht in Erfurt zwar bereits vor zweieinhalb Jahren festgestellt.

Doch die damalige Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) wollte das so nicht hinnehmen und reichte, unterstützt von der Rechtsanwältin Seyran Ateş, Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Diese Beschwerde wurde jetzt abgewiesen. Damit endet ein Berliner Sonderweg – und zugleich auch ein zäher und erbittert geführter Kulturkampf.

Der begann vor ziemlich genau 25 Jahren, als die deutsch-afghanische Lehrerin Fereshta Ludin in Baden-Württemberg nicht in den Schuldienst aufgenommen wurde, weil sie im Unterricht aus Glaubensgründen ein Kopftuch tragen wollte. Damit begann 1998, was als „Kopftuchstreit“ in die deutsche Geschichte eingehen sollte. Die rechtspopulistischen „Republikaner“ saßen damals noch im Stuttgarter Landtag und machten Druck, und die damalige CDU-Kultusministerin Annette Schavan gab sich betont hart: Das Kopftuch sei ein „Symbol des Islamismus“ und der „Unterdrückung der Frau“ und habe nichts in Lehrerzimmern zu suchen. Diese schrillen Töne sollten die Debatte fast zwei Dekaden lang prägen.

Es ging dabei meist um mehr als nur um das Kopftuch: Bei vielen „Islamkritiker:innen“ schwangen Verschwörungsfantasien von einer angeblich schleichenden „Islamisierung“ mit.

Mit seinem ersten Kopftuch-Urteil 2003 sorgte das Bundesverfassungsgericht für Verwirrung. Viele Bundesländer verstanden es als Aufforderung, gesetzliche Kopftuchverbote für Lehrerinnen einzuführen. Das Land Berlin ging sogar darüber hinaus und untersagte es allen Lehrkräften an öffentlichen Schulen, im Dienst irgendein religiöses Symbol zu tragen – egal ob Kopftuch, Kippa oder Kreuz am Hals. Erst zwölf Jahre später stellten die Rich­te­r:in­nen in Karlsruhe klipp und klar fest, ein pauschales Kopftuchverbot sei nicht mit der Religionsfreiheit vereinbar, die das Grundgesetz garantiert. Nur wenn der Schulfrieden bedroht sei, könne es im Einzelfall verboten werden.

Seither unterrichten in mehreren Bundesländern an staatlichen Schulen muslimische Lehrerinnen, die ein Kopftuch tragen. Der Schulfrieden wird dadurch nicht gestört – außer durch intolerante Eltern oder Kolleg:innen, die damit ein Problem haben. Die Schreckensszenarien haben sich nicht erfüllt, die moralische Panik war unbegründet.

Natürlich dürfen Lehrkräfte nicht missionieren. Das gilt aber nicht nur für muslimische Lehrerinnen und das war auch schon immer so. Bisher ist auch nicht bekannt, dass Schü­le­r:in­nen beim Anblick eines Kopftuchs spontan zum Islam konvertiert wären. Ganz im Gegenteil: Wenn selbst Lehrerinnen ein Kopftuch tragen, dann taugt es nicht mehr als Zeichen des Protests, als Mittel zur Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft oder der Erwachsenenwelt. Durch seine Normalität wird das Kopftuch mehr und mehr entpolitisiert.

Fast alle Bundesländer erlauben Lehrerinnen inzwischen ein Kopftuch, wenn diese das wollen – alle, außer Berlin. Die Hauptstadt zahlte zuletzt sogar lieber Entschädigungen an Lehrerinnen, die sich diskriminiert fühlten, als ihr fragwürdiges „Neutralitätsgesetz“ abzuschaffen. Der Name ist geschickt gewählt, aber irreführend: Er verkehrt den Sinn staatlicher Neutralität in sein Gegenteil. Denn ein wirklich religionsneutraler Staat beschneidet nicht die Religionsfreiheit seiner Leh­re­r:in­nen und macht ihnen auch keine Bekleidungsvorschriften. Das hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt.

Im Berliner Sonderweg wirkt ein preußischer Staatsprotestantismus nach, der sichtbare Zeichen der Religiosität stets mit Argwohn beäugte. Im Kaiserreich richtete sich das gegen Katholiken, in der „Berliner Republik“ gegen Muslime. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass in Berlin – neben der AfD – nur noch die Partei mit dem „C“ im Parteinamen an dem Gesetz festhalten will. Es gefährde „den Frieden und Zusammenhalt“, wenn religiöse Symbole „in staatlichen Einrichtungen demonstrativ zur Schau gestellt werden“, kommentierte die Berliner CDU-Politikerin Cornelia Seibeld trotzig den Entscheid aus Karlsruhe. Die kirchenpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus meinte damit natürlich nicht Weihnachtsbäume oder Osterschmuck, sondern das Kopftuch bei Lehrerinnen.

Dass Gerichte immer wieder auf Religionsfreiheit für alle pochten zeigt zwar einerseits, dass der Rechtsstaat funktioniert. Allerdings brauchten die Gerichte dafür viel Zeit. Und auf die Politik wirft das kein gutes Licht. Insbesondere christdemokratisch geprägte Landesregierungen trieben lieber populistische Gesetze voran, die muslimische Lehrerinnen im Namen einer vorgeblich christlichen „Leitkultur“ diskriminierten.

Quelle       :          TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   A woman carries her baby inside a compound where Ugandan soldiers and doctors serving with the African Union Mission in Somalia (AMISOM) were providing free medical check-ups and treatment in the Kaaran district of the Somali capital Mogadishu. The free medical care and distribution of mosquito nets were part of a week-long programme called Tarehe Sita – Swahili for 6 February – which is the commemorative date that the Ugandan People’s Defence Force (UPDF) was formed. This year marks 31 years since the UPDF’s creation, which currently has around 6,500 personnel serving with AMISOM in Somalia. AU-UN IST PHOTO / STUART PRICE.

Abgelegt unter Bildung, Deutschland, Kultur, Positionen, Religionen | Keine Kommentare »

Ich nenne das neokolonial

Erstellt von DL-Redaktion am 5. Februar 2023

Co-Chefin des Club of Rome über Europa

Club of Rome Logo.svg

DAS INTERVIEW FÜHRTE – BERNHARD PÖTTER

Mamphela Ramphele ist die Vorsitzende des Club of Rome. Sie kritisiert, dass der Green Deal der Europäer koloniale Strukturen nicht aufbricht.

wochentaz: Frau Ramphele, der Club of Rome beschäftigt sich seit Langem mit den ökologischen und sozialen Folgen des wirtschaftlichen Wachstums. Vom Green Deal behaupten die Europäer nun, er sei grün und fair. Stimmt das?

Mamphela Ramphele: Der Green Deal ist weder grün noch fair. Alle reden von einem fairen Übergang, weg von fossilen Brennstoffen. Fair bedeutet, dass beide Seiten davon profitieren. Aber das geht nur, wenn Verhandlungen auf Augenhöhe geführt werden, nicht vom Herren zum Knecht.

Sie bezeichnen den Green Deal als Kolonialismus?

Europa hat den Green Deal beschlossen, aber dann Ende 2021 die Tür geöffnet zu dem, was ich neuen Kolonialismus nenne: Wenn man sagt, dass Gas und Atomkraft grün sind, öffnet das die Tür für Holländer und Franzosen, die vor der Küste des südlichen Afrikas nach Öl und Gas suchen. Das zeigt, dass es der EU mit ihrem Green Deal nicht ernst ist.

Diese Kritik kommt auch aus Europa. Wo sehen Sie Kolonialismus?

Ich nenne es neokolonial. Als der Krieg in der Ukraine begann, kamen die Europäer nach Afrika und verlangten mehr Gas und Kohle, wie der deutsche Energieminister in Südafrika. Die EU schnürte aber auf dem Klimagipfel in Glasgow 2021 ein Paket, genannt JETP, um Südafrika bei der Dekarbonisierung zu helfen. Jetzt aber holt sich Deutschland in Namibia Wasserstoff und bittet Südafrika, es mit Kohle zu versorgen. Es ist das Muster der Vergangenheit, das Muster des Kolonialismus.

Die deutsche Regierung sagt, sie werde die Infrastruktur des Landes aufbauen und nur den grünen Wasserstoff exportieren, der übrig bleibt.

Ich bin sicher, dass für die namibische Bevölkerung kein Wasserstoff bleiben wird, abgesehen von Alibiprojekten mit den politischen Eliten. Wir kämpfen in Südafrika als Zivilgesellschaft gegen die Korruption und gegen die Langsamkeit der Dekarbonisierung. Und dann kommen die Europäer und verlangen nach Kohle und untergraben damit den gerechten Übergang, für den sie sich angeblich einsetzen. Also: mit der einen Hand geben sie dir fünf Cent, mit der anderen rauben sie dir dein ganzes Feld mit Mineralien und Wasser. Im Kolonialismus benutzten sie Waffen, heute benutzen sie den Euro. Die Statistiken zeigen: Reiche Länder importieren immer noch ihre Rohstoffe aus armen Ländern und verkaufen dann die Produkte an dieselben Länder zurück. Die Ausbeutung geht weiter.

Wirtschaftsminister Habeck sagt, er wolle Handelsabkommen als Hebel für die grüne Transformation der Weltwirtschaft nutzen. Glauben Sie, das geht?

Die Beziehungen zwischen Europa und Afrika beruhen auf sehr schlechtem Erbe. Aber jetzt wollen wir eine gleichberechtigte Beziehung und den Weg nach vorne. Damit diese nachhaltig sind, brauchen wir wiederherstellende Gerechtigkeit.

Was bedeutet das?

Dass die Industrieländer kurzfristig Opfer bringen müssen, damit wir alle langfristig gut leben und überleben können. Zum Beispiel müssen die Subventionen für die europäische Landwirtschaft aufhören. Sie verhindern, dass die Landwirtschaft im Globalen Süden, die ökologisch und fair ist, mit Europa konkurrieren kann. Subventionen schaden der Umwelt.

Sie meinen „wiederherstellende Gerechtigkeit“ als Entschädigung für den Kolonialismus?

Wenn man eine zerrüttete Beziehung heilen will, muss man erkennen, wer der Privilegierte ist. Für mich als Angehörige der oberen Mittelschicht in Südafrika bedeutet das, dass ich mehr Steuern zahlen sollte. Für Europa sollte es bedeuten, die Schäden zu beseitigen, die etwa Bergbauunternehmen in Südafrika angerichtet haben: Die Gewinne gingen nach Europa, der Schaden blieb bei uns. Auch bei den CO2-Emissionen müssen reiche Länder, die sie verursachten, armen Ländern helfen. Dafür wurden 100 Milliarden Dollar pro Jahr versprochen, aber bisher nicht vollständig umgesetzt. Ein Teil der Schäden geht auf den Kolonialismus zurück: Die Inseln der Karibik waren bewaldet, bevor die Kolonisatoren sie abholzten, um Zuckerrohr anzubauen. Hierfür muss es Entschädigungen geben.

Es gibt andere Stimmen, die sagen, nicht alles sei Kolonialismus, sondern so sei die Weltwirtschaft.

Ja, aber wer hat die Weltwirtschaft so gemacht, wie sie ist? Die Sieger, die Kolonialmächte von gestern. Selbst der Weltklimarat (IPCC) hat jetzt festgestellt, dass ein Großteil der Schäden an den Ökosystemen auf den Kolonialismus zurückzuführen ist.

Liegt die Verantwortung nur im Globalen Norden? In vielen Ländern des Globalen Südens verschlimmert Korruption die Krisen.

Schlechte Regierungsführung ist zum großen Teil das Erbe des Kolonialismus. Die Demütigung über Generationen hinweg ist für die kolonisierten Völker auf der ganzen Welt äußerst schädlich. Das Erbe der kolonialen Eroberung hinderte die meisten Nachfolgestaaten daran, sich weiterzuentwickeln. Viele Länder haben nach der Kolonialzeit koloniale Regierungsmuster übernommen, die Armut, Ungleichheit und Korruption fortbestehen lassen.

Wie wollen Sie dieser Falle entkommen?

Zunächst muss man anerkennen: Das Ende des offiziellen Kolonialismus beendet nicht die geistige Sklaverei, die durch koloniale Beziehungen verursacht wird. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, den Menschen zu helfen, sich aus der geistigen Sklaverei zu befreien und in die Lage versetzen, eine andere Zukunft zu gestalten.

Wie sehr hat Sie dabei Ihr Kampf gegen die Apartheid in Ihrem Land geprägt?

Ich spreche als jemand, die in den 1960er Jahren in Südafrika gegen die Apartheid gekämpft hat. Wir haben uns selbst befreit: Wir haben verstanden, dass die schwarze Bevölkerungsmehrheit nur deshalb von der weißen Minderheit unterdrückt werden konnte, weil sie die weiße Vorherrschaft akzeptiert hat. Die weißen Rassisten hatten die Waffen, aber sie brauchten auch die Duldung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit. Das Black Consciousness Move­ment, das wir als Studenten ins Leben riefen, mobilisierte Menschen im ganzen Land, sich aus der mentalen Sklaverei zu befreien.

Was heißt das für die globale Politik der Nachhaltigkeit?

Die postkolonialen Bürger und Bürgerinnen auf der ganzen Welt müssen sich von den korrupten Regierungen befreien, die weiterhin die nationalen Ressourcen zum Nutzen kleiner Teile der Eliten ausplündern, wie es die früheren Kolonialherren taten. Europa und Afrika haben die Möglichkeit, mit Herzenswärme zusammenzuarbeiten.

Was Sie sagen, ist ungewöhnlich für den Club of Rome. Der ist nicht für Herzenswärme berühmt, sondern für Statistiken und Daten.

Quelle          :       TAZ-online            >>>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   The logo of the Club of Rome

Abgelegt unter Afrika, Bildung, Europa, Friedenspolitik, Positionen | Keine Kommentare »

Folgen – eigener Fehler

Erstellt von DL-Redaktion am 2. Februar 2023

Der Fachkräftemangel ist die Folge eigener Fehler

In Schland haben die Poliker immer ausgereicht den Lämpel zu machen

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Bildung ist zwar ein Menschenrecht und in vielen Abkommen geregelt, nicht aber in unserem GG. Bildung ist Ländersache mit der Folge, dass wir nur von einem Flickenteppich reden können. Dabei ist Bildung (neben dem persönlichen Ergeiz) eine der wichtigsten Aufgane des Staates, damit jeder unabhängigvon Herkunft und Stand die Möglichkeit hat, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.

Wenn ein Staat dem Bildungsaufrtag nicht nachkommt, führt das zwangsläufig zu einem Defizit in der Berufsausbildung und somit z.B. zum heute vielbejammerten Mangel an Fachkräften. Dieser Mangel ist auch ein Ergebnis unseres profitorientierten, kapitalgesteuerten Wirtschaftssystems, insbesondere in Großbetrieben, wo überall und immer wieder am Personal und dessen Entlohnung gespart wird, um den Profit zu maximieren. Ein geradezu makaberes Beispiel dafür ist Amazon. Der Besitzer dieses Unternehmens gilt als der reichste Mann der Welt, während die für ihn arbeitenden Menschen zu Hungerlöhnen wie Arbeitsroboter schuften müssen, um dann doch nur in die soziale Unterschicht abzurutschen. Ähnliche Zustände finden wir in Krankenhäusern, Betreuungs- und anderen Sozialeinrichtungen.

Anstatt nun Fachkräfte auszubilden, besser zu bezahlen und somit den Arbeitsplatz attraktierver und somit schlussendlich die Leistung hochwertiger (sprich wettbewerbsfähiger) zu machen, konzentriert sich Politik und Wirtschaft auf uralte kolonial-imperialistische Praktiken, billige Arbeits- und Fachkräfte aus ärmeren Ländern anzuheuern mit der Folge, dass die dann in ihrem Heimatland fehlen und bei uns menschenunwürdige soziale Spannungen entstehen, weil unser Sozialsystem weitgehend versagt. Das erinnert geradezu fatal an die Bulle „Dum Diversas“ des katholischen Papstes vom 18.6.1452 mit der Befugnis des Königs von Portugal, „die Länder der Ungläubigen zu erobern, ihre Bewohner zu vertreiben, zu unterjochen und in die ewige Knechtschaft zu zwingen“. Sklavenatbeit ist auch heute wieder ein Begriff für menschenunwürdige Arbeitsverhältnisse, insbesondere von ausländischen Arbeitnehmer:innen.

Bildung als Voraussetzung für eine gute Ausbildung nach eigenen Vorstellungen ist eine primäre Aufgabe des Staates. Abwiegelnde Erklärungen aus der Politik sind ein Armutszeugnis und Zeichen mangelnder Qualifikation für die Position, in die so mancher Politiker:in nur durch Parteigewürge gehievt worden ist.

Unser Land ist durch Migration zu dem geworden, was es heute ist. Solange der Politik und Wirtschaft der US-Kapitalismus mit gnadenloser Profitorientierung wichtiger ist als die Verantwortng für Bildung, Ausbildung, Fortbildung und Soziales, werden wir die Schere zwischen arm und reich immer nur kalffender und schärfer machen. Damit verzichteten wir bewusst auf das Potential vieler Menschen für eine qulifizierte Tätigkeit und ein erfülltes Leben aus eigner Kraft. „Die herrschenden Ideen eines Zeitalters waren immer nur die Ideen einer herrschenden Klasse“, stellte schon Karl Marx fest. Wir müssen uns von der nimmersatten Profitgier des US-geführten Kapitalismus trennen, wenn wir die Probleme der Menschen lösen wollen. „Wir brauchen eine andere Bildung für eine andere Gesellschaft und eine andere Gesellschaft für eine andere Bildung“, postulierte Marx ebenso ganz aktuell.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —   Bushaltestelle Kremenholl/Paulstraße in Remscheid

Abgelegt unter Bayern, Bildung, Deutschland, Regierung | Keine Kommentare »

Zeit für Weiterbildung

Erstellt von DL-Redaktion am 31. Januar 2023

Es braucht mehr als Youtube

Was Oben niemand hineinsteckte – kann Unten nicht hinauskommen!

Von Bernd Käpplinger

Bei der Weiterbildung setzt Deutschland bisher nur auf Quantität. Um etwas zu bewirken, müssen die Angebote intensiver und besser zugänglich sein.

Seit Januar liegt auf Bundesebene ein Entwurf für eine Bildungszeit für Weiterbildung vor. Beschäftigte sollen durch individuellen Antrag die Chance bekommen, sich bis zu 12 Monate in Vollzeit oder bis 24 Monate in Teilzeit weiterbilden zu können. Dazu braucht es eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten. Der Arbeitgeber muss das Gehalt während der Weiterbildung nicht weiterbezahlen, sondern die Beschäftigten erhalten rund zwei Drittel ihres Gehalts vom Staat. Die Kursgebühren werden bei Geringverdienenden mindestens zur Hälfte oder sogar ganz vom Staat übernommen.

Der Entwurf aus dem Arbeitsministerium ist erkennbar inspiriert von der Bildungskarenz in Österreich. Dort wird seit zwei Dekaden praktiziert, was in Deutschland als vermeintliche Illusion abgetan wird. Was aber besagen Evaluationen im Alpenland? Die Zahl der Nut­ze­nden ist über die Jahre hinweg angestiegen und lag 2018 bei 15.000 Menschen von rund 4,3 Millionen Beschäftigten.

Die Bildungskarenz wird als kleine, aber feine Maßnahme charakterisiert. Bezogen auf die Teilnehmenden pro Jahr ist sie von geringer Bedeutung, doch das mit der Bildungskarenz verbundene Zeitvolumen ist beträchtlich und Einkommenssteigerungen (rund 10 Prozent bei der Hälfte der Teilnehmenden) und berufliche Veränderungen sind in Analysen zu beobachten. Die Karenz wird überproportional von Aka­de­mi­ke­r*in­nen genutzt, wenngleich 59 Prozent aller Nutzenden keinen akademischen Abschluss haben.

In Deutschland dagegen fixierte man sich, europäischen Zielsetzungen gemäß, auf die Teilnahmequote. Rund 50 bis 60 Prozent der Bevölkerung sollten demnach jährlich eine Weiterbildung besuchen. Egal, ob es sich um eine zweistündige Schulung oder eine lange Umschulung handelt. Es ist gut zu wissen, wie breit die Bevölkerung an Weiterbildung teilnimmt oder nicht, aber die Teilnahmequote allein ist wenig aussagekräftig.

Weniger Menschen freiwillig ausbilden

Es wäre also angebracht, mit einer intensiven Bildungszeit quasi eine Zeitenwende einzuläuten: Nicht mehr primär auf Quantität zu achten, um viele Menschen in kurze Weiterbildungen zu bringen (2020 dauerte eine Weiterbildung im Schnitt nur 34 Stunden), sondern um weniger Menschen mit Bedarf und freiwillig intensiv weiterzubilden.

Angesichts der großen Transformationen in Wirtschaft, Wissenschaft und Ökologie braucht es einen Qualitätssprung zu mehr Klasse. Hier stellen sich auch Gerechtigkeitsfragen: Um mehr Benachteiligte zu erreichen, muss analysiert werden, wer bisher Weiterbildungen nutzt – und wie ein besserer Zugang für alle erreicht werden kann.

Die Bildungszeit soll private oder betriebliche Weiterbildung nicht überflüssig machen. Sie soll sie ergänzen in dem Sinne, dass sich für große Weiterbildungen im Alltagsstress kaum Zeit genommen wird. Bildungszeitgesetze der Länder sehen „nur“ Freistellungen von oft fünf Tagen vor. Das kann Impulse bringen, aber in fünf Tagen werden sich keine riesigen Wissens- und Kompetenzsprünge ereignen. Youtube-Videos sind schön für alltägliches Lernen en passant, aber Olym­pia­sie­ge­r*in wird damit niemand.

In den letzten Dekaden stagnieren die öffentlichen Weiterbildungsausgaben und inflationsbereinigt sinken sie, trotz aller Sonntagsreden. In Deutschland geben Bund und Länder geschätzt rund fünfmal mehr für Hochschulbildung, für frühkindliche Bildung viermal mehr und für Berufsbildung im Dualen System doppelt so viel aus wie für Weiterbildung.

Frühe Investitionen sind sicherlich wichtig, aber diese extreme Schieflage ist unangemessen in einer alternden Gesellschaft, in der seit mehr als zehn Jahren schon weniger Menschen unter 20 Jahren leben als Menschen über 67 Jahre. Der geschätzte Bedarf von 334 Millionen für die Bildungszeit im Jahr 2026 sind keine Peanuts, aber ein Beitrag zur Normalisierung der Relationen im Sinne des lebenslangen Lernens.

Der Gesetzentwurf muss kritisch befragt werden: Werden alle Beschäftigten angesprochen? Was ist mit Selbstständigen und Beschäftigten in kleinen Betrieben? Führt mehr Zeit wirklich zu mehr Qualität? Ist eine Zertifizierung auf Angebots- statt Anbieterebene flexibel genug? Warum muss die oft in der Bevölkerung unbeliebte Bundesagentur für Arbeit dafür zentral sein? Genügen zwei oder bräuchte es nicht eher drei Jahre Zeit? Wie findet man das passende Angebot? Könnte man wichtige Themen mit gesellschaftlichem Bedarf besonders anregen? Braucht es eine Förderung nur für Berufliches oder auch für politische Bildung oder Gesundheitsbildung.

Quelle      :        TAZ-online           >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —       Protest von FridaysForFuture und Anderen, sowie Ankunft der Verhandlungsteilnehmenden an der Messe Berlin zum letzten Tag der Sondierungsgespräche für eine Ampelkoalition.

Abgelegt unter Bildung, Kultur, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

DER ROTE FADEN

Erstellt von DL-Redaktion am 31. Januar 2023

Traumtänzer auf der Fakten-Autobahn

Roter Faden Hannover rote Zusatzmarkierung.jpg

Durch die Woche mit Ariane Lemme

Sich die Welt machen, wie sie uns gefällt, funktioniert nur bedingt. Und es gehört sicher nicht zu den Privilegien von Politikmachenden.

Leugnen ist enorm erleichternd. Für einen selbst. Für den Rest der Welt ist es oft einfach enervierend. Ändert aber nichts daran, dass wir uns alle schön und regelmäßig unser Leben zurechtleugnen. Ich zum Beispiel glaube zurzeit tatsächlich, dass ich noch nie besonders viel Schlaf gebraucht habe und einfach „effizient“ schlafe. Fünf Stunden Koma, dann bin ich wie neu. Oder dass ich ganz bestimmt, wenn unsere Kinder erst etwas größer sind, wieder mit meinen Freundinnen die Welt bereisen und Bücher schreiben werde. Was einen halt so durch den Tag bringt.

Gute Leugner gehen gern in die Politik. Sagen, was ist (etwa: wir sind im Krieg mit Russland, die Klimakatastrophe ist unausweichlich, falls wir nicht endlich unsere verweichlichten westlichen Hintern hochkriegen), kommt da irgendwie nicht so gut an. Wenn die eigenen Illusionen aber deckungsgleich genug mit denen anderer Traumtänzer sind, kann man sogar als vor wenigen Jahren noch halbtot geglaubte Partei eine Regierung terrorisieren.

Wie diese Woche: „Der Autobahnausbau hat mit den Klimazielen gar nichts zu tun.“ So gelogen vom FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler im Deutschlandfunk. Dabei hat eine Studie des Umweltbundesamts ebenfalls diese Woche erst gezeigt, dass ein Tempolimit zweieinhalbmal mehr CO2 einsparen würde als gedacht. Würde man nicht nur auf Autobahnen ein Limit von 120 km/h umsetzen, sondern auch eines von 80 km/h auf Landstraßen, könnte so ein Sechstel der nötigen CO2-Einsparungen für die 1,5 Grad-Grenze erreicht werden.

Gut, werden Sie jetzt denken, auch auf neu ausgebauten Autobahnen könnte man langsamer fahren, vorausgesetzt, die FDP ließe das zu. Doch für die Idee, mehr Straßen seien der richtige Abzweig in die Verkehrswende, braucht man natürlich ebenso viel guten Willen. Aber hey, nichts für ungut, FDP. Auch mein Gehirn spielt viele Fakten zugunsten meines Weltbilds runter und hält nur ein begrenztes Maß an Widersprüchen aus. Wie den, dass Menschen, die meine volle Solidarität haben, nicht unbedingt besonders nett sein müssen – sozusagen als Gegenleistung.

In Deutschland brauchen Idioten gar nicht geboren werdem. Wir sehen sie bereits in der Politik, frei umherlaufen.

Das Ganze funktioniert natürlich umso besser, je mehr Leute den Quatsch glauben wollen. Ja je größer die Zahl der Gläubigen, desto besser. Gut zu beobachten war das – ebenfalls diese Woche – mal wieder beim Erinnern an die Befreiung von Auschwitz vor 78 Jahren. Dem Auftakt sozusagen zu einer der Lieblings-Illusionen hierzulande, nämlich der, dass bald darauf auch wir Deutschen durch die Alliierten von dieser Zecke Nationalsozialismus befreit wurden – als hätte die nicht einen ganz dankbaren Wirt gehabt.

Geht’s dagegen um private Belange, ist das mit dem Leugnen meist nur so semi-erfolgreich. Mit Entsetzen (ob meines ebenfalls erfolgreich verleugneten Alters!) musste ich mich diese Woche auch noch an die Lewinsky-Affäre erinnern. 25 Jahre ist es her, dass Bill Clinton glaubte, das Leugnen sei eine super Idee. Und ja: Seine ist eine der ganz wenigen politischen Lügen, die mir sympathisch sind. Weil: was gehen­ mich und Millionen das Sexleben anderer an – auch wenn’s der US-Präsident ist?

Quelle        :        TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

*************************************************

Grafikquellen       :

Oben        —     Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

Abgelegt unter Berlin, Bildung, Bundestag, Feuilleton, P.FDP | Keine Kommentare »

Neues? Von KI und ChatGPT

Erstellt von DL-Redaktion am 29. Januar 2023

Wenn Maschinen schreiben

File:ChatGPT.png

Sollten Maschinen nicht erst sprechen lernen, damit die Politiker-innen überflüssig und ins All abgeschoben werden können,  da bei Diesen  nur das Einkommen ohne Arbeit und Risiko zählt, um diesen Barden ein besseres Auskommen zu grantieren.

Von  :      Nadine Lordick

Eine künstliche Intelligenz, die schreibt – wird der Mensch als Au­to­r-in bald überflüssig sein? Viele sind erschrocken angesichts dessen, was die künstliche Intelligenz (KI) leistet.

In einer Gesellschaft, die zutiefst von Schriftlichkeit geprägt ist, ist der Gedanke unangenehm bedrohlich, dass bald etwas, das als genuin menschliche Domäne galt – die Sprache – von Maschinen übernommen werden könnte. Das Schreiben ist eine Kulturtechnik, deren Bedeutung über einfache Kommunikation weit hinausgeht.

Wir schreiben aus unendlich vielen Gründen: um uns zu verständigen, um Wichtiges festzuhalten, um uns zu erinnern. Um andere zu verstehen, um die Welt zu verstehen, um uns selbst zu verstehen. Um uns Gehör zu verschaffen, um zu lernen, um zu denken, aus Spaß, aus Wut oder aus Trauer. Geht das verloren, wenn Maschinen anfangen, da mitzumischen?

GPT-3, das Sprachmodell, auf dem die meisten textgenerierenden Anwendungen basieren, wurde von Open AI schon 2020 veröffentlicht. Versuche, natürliche Sprache mithilfe von Maschinen zu simulieren, gehen indes noch viel weiter zurück. Der erste „Chatbot“ war ELIZA, eine Rogerianische Therapeutin, die 1966 von Joseph Weizenbaum entwickelt wurde. Fiktionen von künstlichen Menschen, die wie echte sprechen und sich verhalten, gibt es seit Jahrtausenden.

Doch um Androiden oder Gynoiden soll es in diesem Text nicht gehen. Am Beispiel Universität lässt sich zeigen, vor welch komplizierte Aushandlungsprozesse uns die sogenannte schwache KI stellt. In einer Schreibberatung erkundigte sich ein technikversierter Student, ob er kennzeichnen müsse, dass er GPT-3 seine Forschungsfrage gestellt, die Antworten sortiert und die besten in seine Argumentation eingebaut habe.

Ähnlich wie beim Taschenrechner

Unter den Kol­le­g:in­nen gingen die Meinungen dazu deutlich auseinander: Nein, wenn ich mich mit Kom­mi­li­to­n:in­nen austausche, muss ich ja auch nicht jede Idee ausweisen, die im Gespräch aufkommt, genauso wenn ich online in einem Diskussionsforum nachfrage. Natürlich müssen Hilfsmittel gekennzeichnet werden. Aber geben wir auch die Word-Rechtschreibprüfung oder jede Google-Anfrage an? Es geht ganz viel auch um Konventionen.

Dass Studierende sich untereinander austauschen, dass sie das von den Do­zen­t:in­nen im Seminar Diskutierte verarbeiten, dass sie googeln und Korrekturlesen lassen, ist klar. Wie KI da reinpasst, bleibt vorläufig ungewiss. Die Frage, die sich dabei stellt, lautet: Ist die Kompetenz, aus verschiedenen Argumenten auswählen zu können, gleichwertig dazu, eigene Argumente zu finden? Und daraus folgt schon die nächste Frage: Was ist überhaupt das Ziel der Argumentation?

Der fertige Text, der in sich schlüssig ist und gute Argumente aufweist? Oder der Prozess, bei dem kritisches Denken gefordert ist? KI-basierte Anwendungen wie ChatGPT können an ganz unterschiedlichen Stellen im Schreibprozess zum Einsatz kommen. Im Beispiel mit dem Studenten ging es um Wissen und Ideen: ChatGPT kann mir Sachverhalte erklären, die ich sonst erst recherchieren müsste, und mir Ideen für Argumente liefern, die mir sonst nicht eingefallen wären.

KI-Anwendungen können bei Formulierungen und dabei, meine eigenen Gedanken aufs Papier zu bringen, helfen. Oder lästige Arbeiten loszuwerden, wie das Verfassen von Mails und Abstracts wissenschaftlicher Artikel. Das an eine Maschine auszulagern, wäre eine große Arbeitserleichterung und Zeitersparnis. Ähnliche Diskussionen gab es übrigens bei fast jeder neuen Technologie – man denke an den Taschenrechner.

Nicht für alle Disziplinen geeignet

Wenn die Schü­le­r:in­nen in Klassenarbeiten umständliche Rechenoperationen nicht mehr selbst ausführen müssen, bleibt mehr Zeit für andere Aufgabentypen und Problemlösen. Andererseits lernen die Schü­le­r:in­nen trotzdem noch Kopfrechnen, bevor sie mit einem Taschenrechner arbeiten dürfen. Bevor ich mir Abstracts von einer KI schreiben lasse, muss ich selbst erst mal verstehen, was dort reingehört.

Wie beim Taschenrechner sollte die Frage also eigentlich nicht lauten: KI-gestütztes Schreiben – ja oder nein?, sondern vielmehr: ab wann? Wie sinnvoll der Einsatz von KI-basierten Schreibtools ist, lässt sich nicht verallgemeinern. Schaut man allein in die Wissenschaft, wird man mit völlig unterschiedlichen Konzepten über das Schreiben konfrontiert, je nachdem, wen man fragt. In der Psychologie gehört hinter jede Aussage ein Beleg. Die KI bringt da wenig, denn GPT-3 ist nicht in der Lage, richtig zu referenzieren.

Wenn es zitiert, dann nur mit Glück auch tatsächlich existierende Texte. Man nennt das mittlerweile ‚Datenhalluzinationen‘. In der Literaturwissenschaft ist es Teil der Leistung, sich eine gute Forschungsfrage zu überlegen, während sie in anderen Fächern vorgegeben wird. Selbst für den Bereich der Hochschule lässt sich also kein allgemeingültiges Rezept dafür geben, wann und wo der Einsatz von künstlicher Intelligenz irgendwie nützlich wäre.

Schreiben ist ein komplexer Prozess, und es zählt nicht nur der fertige Text. Schreiben kann unendlich viele Funktionen haben, es ist auch Denk- und Forschungsinstrument. So vielfältig wie die Gründe sind, aus denen wir schreiben, so kompliziert wird es auch, wenn wir darüber nachdenken, wie sich künstliche Intelligenz darauf auswirkt.

Geduldige Co-Autorin

In der Wissenschaft spielen Quellen- und Literaturverweise eine wichtige Rolle. Wo habe ich eine Information her? Wie man richtig zitiert, gehört zu den ersten Lektionen eines Studiums. Zitieren dient der Transparenz: Je­de:r kann meine Quelle einsehen und nachvollziehen, wo meine Informationen herkommen. Zitieren ist auch eine Absicherung: Das habe ich mir nicht selbst ausgedacht, sondern das geht auf die Forschung anderer zurück. Ich zeige damit auch, dass ich mich im Forschungsdiskurs auskenne und die Erkenntnisse der Wis­sen­schaft­le­r:in­nen, die ich zitiere, anerkenne.

Vier Stufen – für drei Politiker auf ihren Weg nach Oben ?

Deshalb ist Au­to­r:in­nen­schaft ein zentrales Thema: Wer ist für ein publiziertes Forschungsergebnis verantwortlich. Dabei geht es natürlich auch um Karrieren, die auch an der Zahl der eigenen wissenschaftlichen Publikationen hängt. In diesem Zusammenhang wird KI dann oft als Kollaborationspartnerin gehandelt: Man gibt sie als Co-Autorin an. Aber so einfach diese Lösung erscheint, sie stellt vieles infrage: Kann man eine KI zitieren, wenn das Ergebnis nicht reproduzierbar ist? Braucht eine KI Wertschätzung? Kann eine KI verantwortlich sein für das, was sie ausgibt?

Und wer singt zuerst sein letztes Halleluja ?

Es geht um geistiges Eigentum und Urheberschaft, aber es berührt auch Au­to­r:in­nen­schaft als Idee. Dass Au­to­r:in­nen­schaft ein höchst variables Konzept ist, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Im europäischen Mittelalter – zumindest im deutschsprachigen Raum – gab es keine feste Einheit von Text und Autor:in. Viele Texte sind anonym überliefert, und selbst die, die bestimmten und in der Regel männlichen Autoren zugeschrieben werden, weisen in der Überlieferung sogenannte Varianz auf, das bedeutet, dass sie in verschiedenen Handschriften zum Teil völlig anders erscheinen.

Für Erzählungen wird auf Bekanntes zurückgegriffen, Originalität ist nicht besonders wichtig; das Handwerkliche steht im Vordergrund, und die Verfasser rühmen sich vor allem damit, das Alte in neuem, besserem Gewand zu präsentieren. Die Erfindung der künstlerischen Originalität wird gemeinhin dem Sturm und Drang zugeschrieben, in dem das Konzept der ‚Genieästhetik‘ Form annahm.

Davor gab es in der Frühen Neuzeit einen Boom in der Übersetzungspraxis, wo einerseits der Vorlage mit ihrer Einheit aus Sprache, Form und Autor besondere Wertschätzung zukam, während andererseits trotzdem stark in die Texte eingegriffen wurde. Tatsächlich war es noch viel komplizierter. Im Konzept von Au­to­r:in­nen­schaft einer Epoche zeigen sich die Werte einer Kultur oder Gesellschaft, und es zeigt sich auch, wie heterogen diese sein können. Das macht das Ganze mit der KI nicht einfacher.

Quelle        :       TAZ-online        >>>>>         weiterlesen

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben      —     ChatGPT homescreen

|date=2022-12-11 |source=Own work |author=Nið ricsað |permission= |other versions=

This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license.

****************************

2.) von Oben      —     Ablauf des zentralisierten föderalen Lernens

Abgelegt unter Bildung, Deutschland, Feuilleton, Politik und Netz, Positionen | Keine Kommentare »

Zum Umgang mit der Politik

Erstellt von DL-Redaktion am 27. Januar 2023

„Letzte Generation“ mit Illusionen über Rechtsstaat und Demokratie

Gesellschaftlicher Respekt ist immer eine Gnade von Gegenseitigkeit, welchen sich die Politiker-innen erst einmal erarbeiten müssen, da sie sich vom Volk bezahlen lassen.

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von     :      Lou Marin /

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 475, Dezember 2022, www.graswurzel.net

Fallstricke des gewaltfreien Reformismus. Mit aufsehenerregenden gewaltfreien Aktionen setzt die „Letzte Generation“ klare Zeichen gegen den drohenden Klimakollaps. An vielen Punkten zeigen sich allerdings eine erschreckende Naivität und Staatsgläubigkeit der Organisation.

Seit Ende 2021, im Grunde seit dem Wahlsieg der Ampel, macht eine Gruppierung aus der Klimagerechtigkeitsbewegung von sich reden: Die „Letzte Generation“, die mit Sekundenkleber vielbefahrene Strassen blockiert (A 100 in Berlin, Stachus in München) oder in Museen mit Kartoffelbrei und Tomatensuppe auf mit Glas gesicherte Gemälde wirft.(1) Mit solchen provokativen Auftritten haben sie die Palette der gewaltfreien Aktion erweitert. Dafür haben die Aktivist*innen einige Risiken in Kauf genommen, Mut bewiesen und jüngst Repressionen und eine mediale Diffamierungskampagne einstecken müssen.Ende Oktober 2022 kam es in Berlin zeitgleich zu einer Sekundenkleber-Verkehrsblockade auf der A 100 zu einem tödlichen Unfall einer Radfahrerin, der der „Letzten Generation“ angelastet wurde. Doch schon zwei Tage später war klar, dass erstens die Rettungswege nicht etwa durch die Blockierer*innen versperrt worden waren, sondern – wie bei Staus üblich – durch die Autofahrer*innen selber, die keine Rettungsgasse gebildet hatten. Zweitens hatte sich die Notärztin sowieso für eine andere Rettungsmethode entschieden („Fahrzeug fuhr von der Person herunter“); somit wäre die Radfahrerin auch durch ein Rettungsfahrzeug nicht zu retten gewesen. (2)Trotzdem polemisierten reaktionäre Politiker-*innen wie CSU-Chef Markus Söder, sein Innenminister Joachim Herrmann und die erwiesen unfähigen CSU-Politiker Alexander Dobrindt und Andreas Scheuer gegen die Gruppierung, diffamierten sie gar als „neue Klima-RAF“. In Berlin, Flensburg, vor allem aber Bayern hagelte es Anklagen und Strafbefehle wegen Hausfriedensbruch und Nötigung. Allein in München sassen Anfang November 17 Aktivist*innen im Gefängnis und mussten dort auf Anordnung des Amtsgerichts München 30 Tage in Präventivhaft („präventive Sicherheitsverwahrung“) verbringen. Der Gipfel waren Hausdurchsuchungen gegen 11 Mitglieder Mitte Dezember in mehreren Bundesländern, gefolgt von Ermittlungen wegen angeblicher „Bildung einer kriminellen Vereinigung”, womit die Gruppierung quasi in der Dimension mit den „Reichsbürgern” auf eine Stufe gestellt wurde (3) – ein Skandal, der die repressive Seite des demokratischen Rechtsstaates offenlegt.
Jede solche Diffamierung, explizit gewaltfreie Aktionen auch nur in die Nähe des Terrorismus zu rücken, weisen auch wir gewaltfreien Anarchist*innen entschieden zurück und setzen uns gegen die Justizwillkür einer Präventivhaft ein. Fast unter ging die Tatsache, dass immerhin einige Gerichte – etwa Amtsgerichte in Berlin, Flensburg und Freiburg – angeklagte Aktivist*innen freisprachen und ihre Aktionen als „nicht verwerflich“ bezeichneten. Unter gingen auch sympathisierende Stellungnahmen, etwa von Ex-Innenminister Gerhart Baum (FDP). LINKE-Politiker Gregor Gysi hat sogar einen Aktivisten vor Gericht verteidigt.(4)

Grundregel der gewaltfreien Aktion: Mit staatlicher Repression muss gerechnet werden

Trotz dieser expliziten Solidarisierung will ich auf meines Erachtens bedenkliche Illusionen der „Letzten Generation“ zu Rechtsstaat und Demokratie hinweisen, die in ihren Presseerklärungen zu dieser Hetze zum Ausdruck kommen. Denn sie sagen dazu: „Das können wir nicht fassen.“ Und „dass wir uns nicht einmal auf die einfachsten Prinzipien in einer Demokratie – wie neutrale, faktenbasierte Berichterstattung – verlassen können, schockiert uns.“ Und „damit haben wir nicht gerechnet.“ (5) Sie begründen gleichzeitig ihre gewaltfreien Aktionen so, dass die Geschichte gezeigt habe, „dass friedlicher ziviler Widerstand funktioniert.“ (6) Zu dieser Geschichte gehört jedoch gleichzeitig, dass die explizite Gewaltfreiheit der Aktionen nicht vor brutaler Repression entweder des Staates oder der von der Hetze der bürgerlichen Medien mobilisierten rechten Gewalt geschützt hat: Ken Saro-Wiwa wurde für seinen gewaltfreien Widerstand gegen die Ölförderung vom nigerianischen Staat hingerichtet. Mahmud Taha wurde wegen seines gewaltfreien Protests gegen ein islamistisches Regime von der sudanesischen Justiz hingerichtet. Martin Luther King Jr. wurde, infolge von FBI- und US-Medienhetze, durch einen Rassisten, Mohandas Gandhi durch einen Hindu-Faschisten ermordet. Wer zeigen will, dass gewaltfreie Aktion funktioniert, muss mit Medienhetze und Repression rechnen sowie Gegenstrategien vorbereiten. Das gehört zu den Grundvoraussetzungen gewaltfreier Aktion. Dass sie sich stattdessen weiter Illusionen in den Staat machte, zeigte die „Letzte Generation“ durch ein auf die Repression unmittelbar folgendes Einladungsschreiben an die Regierung. Dort lädt sie „die Bundesregierung – Scholz, Lindner, Habeck – sowie insbesondere Bundesverkehrsminister Volker Wissing zum Gespräch am Donnerstag, 10. November 2022 um 10.00 Uhr in Berlin ein“, die dann allerdings geschlossen nicht kamen. (7)

Illusionen des demokratischen Protests

Was sollte beim Gespräch konkret verhandelt werden? Die Forderungen der aktuellen gewaltfreien Aktionen der „Letzten Generation“ sind „100 km/h auf der Autobahn“ sowie „eine dauerhafte Rückkehr zum 9-Euro-Ticket“. (8)

Die Bürger-innen sollten sich als Beispiel, den Umgang der Polizei mit Ihnen, gut ansehen.

Obwohl die Regierung nicht das geringste Interesse an Klimaschutz zeigt (z. B. Katar-Gasdeal 2026–2041) – und zwar systematisch, weil sie eine liberalkapitalistische, dem ewigen Wachstum verpflichtete Regierung ist –, benutzen die Autor*innen von „Letzte Generation“ die Anrede „Liebe Bundesregierung“ auf Seite 2 ihres Offenen Briefes vom 10. November. Der Kampf ums Klima, so schreiben sie weiter, sei eine Konfrontation: „Eine Konfrontation, die wir beenden müssen, die aber nur Sie beenden können.“ (9) Es wird dem Widerstand dadurch die Perspektive abgesprochen, dass die Konfrontation durch eine Durchsetzung des Bewegungswillens gegen die Regierung beendet werden kann, was den Erfolg der Anti-Atom-Bewegung gekennzeichnet hat. Die Regierung wurde damals durch jahrelangen Massenwiderstand zum Atom-Ausstieg gezwungen, nachdem sie sich lange als verhandlungsunwillig und -unfähig erwiesen hatte. Solch eine Massenbewegung ist die „Letzte Generation“ aber noch nicht, wenn sie auch am 10. November weiter Illusionen nährt, die Machtfrage stellen zu können: Sie seien „jeden Tag mit Politiker*innen und Vertreter*innen Ihrer Ministerien in Kontakt. Jetzt fehlt nur noch, dass Sie – Herr Scholz, Herr Lindner, Herr Habeck und Herr Wissing – sich bei uns melden.“ (10)

Man sieht sich somit als „demokratische(n) Protest“, bezieht sich auf „die einfachsten Prinzipien in einer Demokratie“. Die Regierung wird aufgefordert, „ihrer verfassungsmässigen Pflicht nachzukommen“. Denn es gehe darum, „Demokratie, Rechtsstaat und unsere freiheitliche Grundordnung (…) zu erhalten“ (11) – und nicht etwa anzugreifen, zu transformieren oder sie gar durch eine libertär-sozialistische, wirklich gewaltfreie Gesellschaft oder eine rätedemokratische Ordnung zu ersetzen! Doch die Ziel-Mittel-Relation der gewaltfreien Aktion impliziert nicht nur das Mittel der Gewaltfreiheit, sondern auch das gesellschaftliche Ziel muss gewaltfrei sein – und das ist die Staatsgewalt, die hier erhalten werden soll, eindeutig nicht.

In der Geschichte des zivilen Ungehorsams hat es immer einen Gegensatz zwischen einem reformistischen und einem revolutionären Verständnis des zivilen Ungehorsams gegeben. In der Friedensbewegung der 1980er-Jahre gab es ein sozialdemokratisches Verständnis des „Zivilen Ungehorsams als aktivem Verfassungsschutz“ (Rechtswissenschaftler E. Küchenhoff), oder man erklärte den zivilen Ungehorsam gleich als „soziale Erfindung der Demokratie“ (12) und versuchte dadurch, die illegalen, revolutionären und systemkritischen Ursprünge der gewaltfreien Aktion und des zivilen Ungehorsams (Henry David Thoreau, Salzmarsch Gandhis) beiseitezuwischen. Im Anschluss an Thoreau schrieb jedoch Gandhi nach dem Salzmarsch 1931 vom gesellschaftlichen Ziel einer „aufgeklärten Anarchie (…).

Im idealen Zustand gibt es deshalb keine politische Macht, weil es keinen Staat gibt. Aber das Ideal wird im Leben nie vollständig verwirklicht. Daher die klassische Aussage von Thoreau, dass diejenige Regierung am besten ist, die am wenigsten regiert.“(13) Gandhi entwickelte darauf basierend sein Gesellschaftsideal einer Republik von Dorfräten. Diese Perspektive über den Glauben an den bürgerlichen Rechtsstaat hinaus vermisse ich bei den Aktionsbegründungen der „Letzten Generation“.

Beim Verständnis des zivilen Ungehorsams als „aktivem Verfassungsschutz“ wird dem Staat dagegen unterstellt, er wolle die Verfassung der Demokratie nicht garantieren, doch in Wirklichkeit garantiert er sie gerade durch seine Repression. Die Klimakata-strophe wird ganz legal und verfassungsgemäss durchgezogen. Gewaltfreier Widerstand, der Gewaltfreiheit so reformistisch und verfassungstreu versteht wie die „Letzte Generation“, bleibt der Staatsgewalt somit verhaftet, und ihre Aktionen wirken letztlich rein symbolisch, so „provokativ“ sie auch gemeint sein mögen.

Das Problem der Dramatisierung

Gerade die Klimabewegung hätte genügend Ansatzpunkte zu materiell wirksamen Aktionen: die Baggerbesetzungen in den Kohleabbaugebieten, die Blockaden der Kohlezüge – reale Eingriffe in die Infrastruktur der Kohleextraktion, wie sie von der Bewegung „Ende Gelände“ ja auch effizient durchgeführt werden. Daran will sich die „Letzte Generation“ nicht beteiligen. Stattdessen will sie durch symbolische Dramatisierung die Regierung zum Handeln bewegen, anstatt deren strukturell klimafeindliche Politik materiell zu verunmöglichen. Die Politik verbleibt so im Appellativen. Die „Letzte Generation“ schreibt heute, dass ihre Klimaschutzaktionen das einzige Mittel „gegen den gesellschaftlichen Zusammenbruch und den Tod von Milliarden“ seien. Und gleich danach heisst es: „Wir haben vielleicht nur noch 2-3 Jahre Zeit“. (14) Gegenüber solchem Alarmismus sind die Forderungen nach 100 km/h und weiterem 9-Euro-Ticket, auch wenn sie als erster Schritt bezeichnet werden, ein grosser Widerspruch.

In der Geschichte des zivilen Ungehorsams hat es immer einen Gegensatz zwischen einem reformistischen und einem revolutionären Verständnis des zivilen Ungehorsams gegeben.

„Die letzte Generation“ ist Mitglied in einem internationalen Netzwerk ziviler Widerstandsprojekte, dem „A22 Network“, u. a. mit der französischen Parallelorganisation „Dernière Rénovation“, bei denen der Weltuntergang sogar schon punktgenau in 844 Tagen (deren Website, Stand 3.12.2022) festgelegt wird. (15) Selbst die seriösen Wissenschaftler der französischen Kollapsologie schreiben zu solchen zeitlichen Festlegungen im Hinblick auf die Klimakatastrophe, es gebe für eine genaue Datierung „unüberwindbare theoretische Hindernisse. Die Wissenschaft besitzt nicht die Mittel, um alles vorhersehen zu können – und wird sie niemals besitzen.“ (16) In zwei bis drei Jahren wird es den Planeten Erde also sicher noch geben, fragt sich nur, in welchem Zustand.

Finanzierung und innere autoritäre Strukturen

Die „Letzte Generation“ erhält die meisten ihrer Gelder für ihre professionelle Ausbildung von Aktivist*innen aus dem „Climate Energy Fund“, der Teil des A22-Netzwerks ist. Dieser „Fund“ hat nach Eigenangaben allein 2022 bereits 4,5 Millionen Dollar in verschiedene Klimaorganisationen wie „Letzte Generation“ gesteckt. Er wird finanziell unterstützt von der kapitalistischen Greenwashing-Textilmarke „Marie Claire“ aus der Schweiz oder der in Grossbritannien und den USA verbreiteten Reiseführer- und Tourismusmarke „Fodor’s Travel“. (17)

Bei Mobilisierungsveranstaltungen werden bezahlte Kräfte für Teilzeit oder Vollzeit angeworben. Die Angestellten haben die Pflicht, zu wöchentlichen Treffen zu erscheinen, sogar ein „persönliches Logbuch“ über die eigenen Tätigkeiten zu führen. Sie und auch Unbezahlte halten textlich vorgegebene Vorträge zur Aktivist*innen-Rekrutierung; dort heisst es im Anwendungsskript auf Seite 17 zu möglichen Diskussionen mit Teilnehmenden:

„Manche werden versuchen zu diskutieren, aber das ist oft nicht zielführend und macht die Stimmung kaputt.“ (18) Kritik wird so autoritär abgebügelt, indem nur Fragen zugelassen werden und jede Diskussion in Kleingruppen ausgelagert wird. Vom Skript soll nicht abgewichen werden, ausser bei wenigen, extra rot markierten Stellen, die, so heisst es, „individuell“ formuliert werden dürfen. Die Organisationsstruktur von „Letzte Generation“ verläuft somit von oben nach unten.

So gibt es innerhalb der englischen und französischen Klimabewegung bereits deutliche Kritik an der zentralisierten inneren Struktur der A22-Gruppen, und es entwickeln sich jenseits von A22 andere Formen direkter gewaltfreier Aktion, die mehr oder weniger auf Sabotage orientieren, zum Beispiel das internationale Kollektiv der „Tyre Extinguishers“ (Reifenlöscher), die parkenden SUVs von Reichen die Luft aus den Reifen lassen – und damit unmittelbar nachvollziehbarer handeln als etwa die „Letzte Generation“ bei den Kunstaktionen in Museen. (19)

Die symbolischen Angriffe auf Bilder beziehen sich auf ähnliche Aktionen der „Just Stop Oil“-Kampagne in Europa und den USA. Manche gehen historisch noch weiter zurück und wollen an museumskritische Aktionen der „Guerilla Art Action Group“ oder der „Guerilla Girls“ in den 1970er-Jahren anknüpfen. Die waren damals allerdings direkt gegen die hierarchischen Strukturen und politischen Inhalte von Museen gerichtet und daher zielgerichteter. (20)

Fussnoten:

(1) Vgl. dpa-Meldung vom 4.12.2022; B30 bei Ravensburg.

(2) Vgl. Letzte Generation (LG), Presseerklärung (PE) vom 4.11.2022: „Offener Brief an die Bundesregierung“, S. 2, Vermerk der Berliner Feuerwehr, vgl. hier und für alle weiteren zitierten PEen von LG: http://letztegeneration.de/presse/pressemitteilungen.

(3) Vgl. ebd. sowie: LG, PE vom 30.11.2022 sowie vom 13.12.2022.

(4) Vgl. LG, PE vom 22.11.2022: „Freispruch in Freiburg und Sicherheitshaft in Bayern – Wie passt das zusammen?“; zu Baum: Interview im Deutschlandfunk, 12.11.2022; zu Gysi: Berliner Zeitung online, 30.11.2022.

(5) Vgl. LG, PE vom 4.11.2022: „Statement zum Unfall. Es ist Zeit, eine Grenze zu ziehen.“

(6) LG, zit. nach ebd.

(7) Vgl. „Offener Brief an die Bundesregierung“, siehe Anm. 1, a. a. O: sowie: LG, PE vom 10.11.2022: „Bundesregierung verpasst Beendigung der Störung. Scholz, Lindner, Habeck & Wissing erscheinen nicht zur Verhandlung mit Letzter Generation.“

(8) Siehe PEen vom 4.11. und vom 10.11.2022.

(9) Siehe PE vom 10.11.2022, ebd., ebenso nachfolgendes Zitat.

(10) Ebd.

(11) Zit. nach PE vom 22.11.2022: „Freispruch in Freiburg…“, siehe Anm. 3, a. a. O.

(12) Lou Marin: „Ein Jahrhundert des revolutionären zivilen Ungehorsams“, in: AG Anarchismus und Gewaltfreiheit: „Je mehr Gewalt, desto weniger Revolution“, Bd. 1, Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2018, S. 143–168, hier S. 160.

(13) M. K. Gandhi, in: „Macht ist keines unserer Ziele (sondern aufgeklärte Anarchie)“, in: Lou Marin, Horst Blume: Gandhi. „Ich selbst bin Anarchist, aber von einer anderen Art“, Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2019, S. 18–22, hier S. 20. Zur libertären Rezeption Gandhis siehe auch Gernot Jochheim: „Antimilitarismus und Gewaltfreiheit“, Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2021.

(14) Zit. nach PE vom 22.11.2022: „Freispruch in Freiburg…“, siehe Anm. 4, a. a. O.

(15) Siehe: https//derniererenovation.fr , eingesehen am 3.12.22.

(16) Pablo Servigne, Raphaël Stevens: „Wie alles zusammenbrechen kann. Handbuch der Kollapsologie“, Mandelbaum Verlag, Wien/Berlin 2022, S. 141.

(17) Siehe: http://www.climateenergyfund.org/about.

(18) Die Letzte Generation, Skript zu Mobilisierungsvortrag, S. 17.

(19) Zur aktuellen Kritik siehe Rémi Barboux (Service Planète): „L’anxiété lié au dérèglement climatique, source d’une nouvelle radicalité militante“, in : Le Monde, 27. November 2022, S. 35.

(20) Zane McNeill: „Why glue your head to a painting?“, in: Waging Nonviolence online, 27. Oktober 2022.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —         séance au parlement allemand

Abgelegt unter APO, Bildung, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Schule muss anders

Erstellt von DL-Redaktion am 26. Januar 2023

Zuviele Lehrstoff ohne entsprechende Inhalte

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von     :      Meinhard Creydt

Gegen die Mangelwirtschaft im Schulwesen regt sich Widerstand. Weniger Opposition gilt dem gar nicht so heimlichen „heimlichen“ Lehrplan, der aus den Strukturen der Schule folgt.

Seit zwei Jahren gibt es in Berlin eine Kampagne, die „Schule muss anders“ heißt. In ihr sind Eltern, Schülerinnen, Lehrkräfte, Sozialarbeiterinnen und Erzieherinnen engagiert. Sie organisieren Veranstaltungen und Demonstrationen für die Ziele „Mehr Personal und mehr Ausbildungsplätze“, „Teams aus unterschiedlichen Berufen an die Schulen“, „Mehr Zeit für Beziehung und Team – Entlastung für alle“. Nach Angaben des Deutschen Lehrerverbandes fehlen 2022 bundesweit 40.000 Lehrer. Die Schulbauten sind häufig in marodem Zustand. Das Lehramtsstudium und eine gründliche didaktische Ausbildung gelten den Bildungsbehörden faktisch zunehmend als unnötiger Luxus. Sie halten eine behelfsmäßige Anlernung im Schnellverfahren für ausreichend. Laut DPA-Meldung vom 28.7.2021 sind mittlerweile in Berlin bereits 7.000 „Quereinsteiger“ unter den 33.000 Lehrer. Einer Forsa-Umfrage zufolge geben zwei von drei Schulleitungen bundesweit an, dass Quereinsteiger nicht systematisch pädagogisch vorqualifiziert werden – an Grundschulen sagen das sogar drei von vier Schulleitern (Hoock 2019). Die in der Kampagne „Schule muss anders“ Engagierten wollen in Berlin eine breite „Bildungsbewegung“ auf die Beine stellen. Angesichts der Misere wären eigentlich bei ihren Demonstrationen 15.000 Teilnehmer statt der bisher regelmäßig knapp 1.500 zu erwarten. Die materielle Misere steht allerdings so im Vordergrund, dass Zurückhaltung herrscht in Bezug auf weitergehende Kritik an Formen und Strukturen der Schule. Wir konzentrieren uns im Folgenden auf die Schule ab der 5. Klasse.

Stoff-Fülle, Zusammenhangslosigkeit und Wechsel der Themen im Stundentakt

Die Stoff-Fülle, die in den Unterrichtstag gedrängt wird, sorgt für Zeitdruck und Hektik. Ein Pädagogikprofessor aus Linz schreibt: „Selbst die Grundregeln der Lernpsychologie werden nicht berücksichtigt: Man kann maximal 4 Stunden konzentriert lernen – verteilt auf den ganzen Tag. Wenn man eine einstündige Lerneinheit hinter sich hat, ist das Gehirn bis zu zwei Stunden lang damit beschäftigt, diese Inhalte abzuspeichern“ (Stangl 2003). Gewiss bestehen Schulstunden aus verschiedenen Phasen. Schüler nehmen nicht die ganze Zeit etwas Neues auf. Gute Lehrer räumen dem abwechslungsreichen Üben Zeit ein. Wer die Stoff-Fülle kritisiert, gerät leicht in das Fahrwasser, Bildungsansprüche zu reduzieren. Das Argument, man habe für seine spezielle Berufstätigkeit viele Schulinhalte nicht gebraucht, legt einen problematischen Maßstab an. Häufig resultiert die Überforderung auch daraus, dass vor lauter Stoff die Fächer den Schülern nicht didaktisch so nahegebracht werden können, dass sie ein Verständnis und eine Wertschätzung für den spezifischen Zugang zu einem Teil der Wirklichkeit erlangen. Geschieht das nicht, so stöhnen Schüler zu Recht darüber, dass sie mit den Kernfächern kaum zu Rande kommen, und erfahren „Nebenfächer“ als zusätzlich überfordernde Zumutung.

Etwas wissen sollen Schüler schon. Die Schule gewöhnt sie aber häufig daran, dass ihrem eigenen weiteren Nachfragen und -forschen enge Grenzen gesetzt sind. Kaum beginnen Schüler, sich in etwas zu vertiefen, steht bereits der nächste Lernstoff oder ein anderes Lernfach auf der Tagesordnung. „Die Schüler hüpfen von Thema zu Thema, von Stoff zu Stoff. Es ist ihr Problem, ob sie den Informationssalat jemals unter einen Hut bekommen. Keinen kümmert es“ (Waldrich 2007, 51). Schüler werden an die Zusammenhangslosigkeit des Wissens gewöhnt. Ein Thema wie z. B. England kommt zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Schulfächern (Englisch, Geschichte, Geographie, Sozialkunde) verdünnt und vereinseitigt vor. Einerseits wird Wissensdurst mobilisiert. Ohne ihn ließen sich keine Kenntnisse erwerben. Andererseits wird der Appetit auf Wissen immer wieder gestoppt.

Der Wechsel der Themen im Stundentakt bereitet Schüler darauf vor, keine „Umschaltschwierigkeiten“ haben zu sollen bei völlig disparaten Anforderungen. „Schüler und Lehrer dürfen sich geradezu nichts ‚unter die Haut gehen lassen’, sie dürfen sich nicht ernsthaft auf die Materie einlassen, sie sind sonst für die nächste Stunde nicht mehr fit. […] Die Stundeneinteilung verhindert, dass die geistigen Gehalte irgend tiefer in den Kern der Person eindringen“ (Rumpf 1966, 160f.). Auch Jahrzehnte später ist der Anteil des fächerübergreifenden Unterrichts klein, der ein Thema aus verschiedenen Perspektiven behandelt. Absprachen zwischen Lehrern über die Behandlung eines Themas in verschiedenen Fächern stoßen auf viele Hindernisse. Die Zersplitterung des Wissens entspricht einer Gesellschaft mit hoher Arbeitsteilung und Spezialisierung. Das Wissen bleibt fragmentiert und beschränkt sich häufig auf pragmatisch, technisch oder sozialtechnologisch zu lösende Fragen. Experten wissen viel über wenig. „Das Ganze existiert […] überhaupt nicht“ für sie (Waldrich 2007, 81).

Diese Schule bereitet auf eine Existenz vor, „in der auf sich ständig ändernden Märkten höchste Flexibilität, Wechsel und rapide Anpassung zweckdienlich sind“ (Ebd., 100). Schülergehirne ähneln dann Festplatten, auf denen allerhand gespeichert ist sowie die Routine, die Kenntnisse bei passender Gelegenheit abrufen zu können.

Prozessbezogene Kompetenzen

Eine Gegentendenz zur Dominanz von abfragbarem Wissen besteht in prozessorientierten Kompetenzen. Schüler sollen in Bezug auf ein ihnen präsentiertes offenes Problem selbständig die Lösungswege auswählen und ihre Vorgehensweise begründen können. In den bundesweit 2005 neu formulierten Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz wurde diesen langfristigen Kompetenzen ein gleichwertiger Rang neben den inhaltsorientierten Zielen eingeräumt. Folgerichtig testen die obligatorisch vorgesehenen Vergleichs-Arbeiten („Vera“) in der 3. und 8. Klasse im großem Umfang prozessorientierte Kompetenzen. Faktisch wird oft auf die VERA-Testung kurzfristig trainiert. Lehrer üben dann die VERA-Aufgaben der letzten Durchläufe, um sich nicht zu „blamieren“. Dies widerspricht jedoch einer langfristig anzulegenden Entwicklung von prozessorientierten Kompetenzen. Sie haben gewiss ihren Wert, zu ihrer Überschätzung besteht aber kein Anlass. Zum Problem werden sie, wo es um mehr geht als um isolierte Aufgaben und deren jeweilige „Lösung“. (Dem Alltagspragmatismus gilt das als das non plus ultra bzw. als unübersteigbar. Zur Fragwürdigkeit des Alltagspragmatismus vgl. Creydt 2022.) In Bezug auf psychische, soziale und gesellschaftliche Probleme sind übergreifende Strukturen zu begreifen. Erst das ermöglicht eine Antwort auf „die Frage, warum jeweils gerade dieses und kein anderes Problem sich stellt oder gestellt wird, aus welchen Zusammenhängen das Aufkommen des Problems selbst wieder zu verstehen ist“ (Holzkamp 1976, 354). Die im günstigen Fall kreative „Lösung“ bestimmter einzelner Probleme ist häufig ein Vorgehen, das das Bewusstsein für die not-wendige Transformation des jeweiligen „Ganzen“ blockiert. Diese Herangehensweise passt zu einer Situation, in der die Nutznießer des jeweiligen familiären, organisatorischen oder gesellschaftlichen Systems wissen: „Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, müssen wir zulassen, dass sich alles verändert“ (Giuseppe Tomasi di Lampedusa).

Umfassendes Lernen

Folgen Schülern intensiv ihrem inhaltlichem Interesse an einem Thema und vertiefen sie sich in es, so können sie angesichts der Eile des Durchmarschs durch den Lernkanon in anderen Fächern ins Hintertreffen geraten. Der ständige Zeitdruck führt zur oberflächlichen Behandlung der Themen. Er fördert die Immunisierung gegen Inhalte. Es kommt zum „Verlust ihrer subjektiven Bedeutsamkeit“ (Boenicke u. a. 2004, 16). Das „vorzügliche Lernkind“ gleicht einem Schwämmchen, „welches das wieder von sich gibt, was es ohne besondere Verwendung ins Ich aufgespeichert hat“ (Robert Musil). Tiefere Dimensionen des Stoffs zu erschließen erfordert affinitives im Unterschied zu definitivem Lernen (Galliker). „‚Affinitive’ Zu- und Abwendungen“ sind im Unterschied zu „‚definitiven’ gekennzeichnet durch […] ein ‚Sich-Zurücklehnen’, Übersicht-Gewinnen, […] die Aufhebung von Festlegungen und Beschränkungen durch das In-den-Blick-Nehmen des ‚Ganzen’“ (Holzkamp 1995, 328). „Thematisch dominiertes expansives Lernen ist demnach […] immer auch ein Prozess der Vermeidung von Einseitigkeiten, Fixierungen, Verkürzungen, Irrwegen, Sackgassen beim Versuch der Gegenstandsannäherung. Dies wiederum kann nicht durch eine angespannte operative Lernplanung und konsequente Zielverfolgung o. ä. gelingen“ (Ebd., 480f.).

Benotung und instrumentelles Verhältnis zu den Unterrichtshalten

Der Unterricht gewöhnt die Schüler häufig an eine Zielverschiebung. Das Kriterium ist dann nicht mehr, „was von der Sache her und für sich selbst betrachtet bedeutsam ist.“ Stattdessen lautet nun die Frage: „Was bekomme ich dafür, wenn ich mir etwas einpräge, diese Handlung ausführe, mich so und so verhalte oder wenigstens ein bisschen so tue“ als ob ? (Waldrich 2007, 93, vgl. a. 22).

Die Benotung legt es Schülern nahe, nicht zu viel Mühe in Themen zu ‚investieren’, die sich nicht in relevanten Noten ‚auszahlen’ bzw. von darauf bezogenen Aktivitäten ‚ablenken’. Die Benotung erschwert es dem Schüler in einer dem Lernen abträglichen Weise, sich Rechenschaft abzulegen von seinem Nichtwissen, statt es zu vertuschen. Schon in der Schule lernen Schüler vor allem, eine Leistung eigener Art zu erbringen. Sie gewöhnen sich daran, etwas oft Unangenehmes und für sie Uneinsichtiges (das Lernen eines ‚Stoffes’, dessen Bedeutung ihnen oft nicht klar ist) hinter sich zu bringen, weil sie vorrangig über die erzielte Note etwas vom Lernen ‚haben’. Soweit Schüler auswählen können, werden sie aufgrund der schulischen Dominanz der Note über den Inhalt jenen Stoff vorziehen, bei dem sie (durch Vorwissen oder Neigung etc.) leichter eine gute Note erzielen. Das Nachsehen haben diejenigen Inhalte, von denen sie vielleicht gern mehr wüssten, dies aber eben auch mehr Arbeit nach sich zöge. Damit aber nicht genug. Wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen wird auch in puncto schulisches Wissen gern so getan, als ob es sich nur um Mittel handele, über die das souveräne Subjekt später frei verfügen könne, wenn es die Lehrjahre hinter sich und die „Herrenjahre“ erreicht habe. Diese Fiktion sieht von den abträglichen Effekten des instrumentellen Verhältnisses zu Inhalten auf die Subjektivität ab. „Wer die Schule durchlaufen hat, dem fällt oft gar nicht mehr auf, dass ihm auch ein ganzes Stück seiner Lebendigkeit und des wirklichen Interesses an der Welt genommen wurde. Wie kommt es sonst, dass auch Akademiker häufig keine Bücher lesen, dass ihnen philosophische oder weltanschauliche Fragen gleichgültig sind“ (Waldrich 2007, 93). Der Satz „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir“ bekommt angesichts dieser negativen Effekte schulischer Sozialisation eine bittere Bedeutung.

Der heimliche Lehrplan

Der gegenwärtige Schulunterricht erhebt „die Schnelligkeit der Auffassens und der Aufgabenbewältigung, die Kürze der Reaktionszeit bei der Anforderungserfüllung u. ä. schuldisziplinär zu einem inhaltlich nicht gedeckten, abstrakten Wert, der das Weiterkommen oder Zurückbleiben der Schülerinnen/Schüler unmittelbar beeinflusst“ (Holzkamp 1995, 482). Lernpsychologisch ist das fatal. „Für das Lernen ist wichtig: Gelernt wird immer dann, wenn positive Erfahrungen gemacht werden“ (Spitzer 2002, 181). Die Möglichkeiten des Gehirns lassen sich nur nutzen, wenn es nicht durch negativen Stress abgelenkt und absorbiert wird. „Wenn wir […] wollen, dass unsere Kinder und Jugendlichen in der Schule für das Leben lernen, dann muss eines stimmen: die emotionale Atmosphäre beim Lernen“ (Spitzer 2003). Der Zeitdruck schadet dem Lernen. Es wirkt eher lernhemmend. Für die Schule aber hat er eine wichtige Funktion. Er ist auf „die Verstärkung, wenn nicht auf die Herstellung von Leistungsunterschieden angelegt […] und auf deren Verfestigung. […] Der institutionelle Effekt des Lernens pro Zeit besteht darin, an den Schülerinnen und Schülern Unterschiede im Wissen herzustellen oder vorhandene zu verstärken“ (Nüberlin 2002, 11).

Selektion

Dass bei den Angstträumen Erwachsener das Thema Schule einen so großen Raum einnimmt, ist ein deutliches Indiz für die dort erlebte Versagensangst. Wie in anderen zentralen Bereichen der Gesellschaft stehen einzelne Leistungsanforderungen im Vordergrund zulasten der Entwicklung des Individuums. In der Schulklasse ergibt sich faktisch eine Hierarchie zwischen besseren und schlechteren Schülern. „Zurück bleibt dann nicht nur das Unvermögen, nicht Englisch sprechen zu können, sondern ein gestörtes Selbstvertrauen. […] Die Ich-Stärkung des Schülers, wichtigstes pädagogisches Ziel, wird verfehlt“ (Singer 1981, 172). „Der Lehrer glaubt Mathematik zu lehren, tatsächlich aber lehrt er diese Schüler Misserfolg, Demütigung, Beschädigung des Selbstwertgefühls“ (Singer 1998, 153). Die Selektion ist umso unerbittlicher, desto weniger Fördermaßnahmen für „leistungsschwächere“ Schüler vorgesehen sind bzw. an ihnen gespart wird.

Die Schule bereitet auf ein Geschäfts- und Erwerbsleben vor, in dem es darum geht, besser zu sein als die anderen. Neben den offiziellen Lerninhalten gibt es den gar nicht so heimlichen „heimlichen Lehrplan“. Zu ihm gehören der Zweifel bzw. die Furcht, die anderen seien „viel besser und perfekter, jedenfalls immer dabei, uns zu überflügeln. Wir sehen uns auf einer Leiter, die wir niemals ganz erklimmen können, ständig vom Absturz bedroht. Oben stehen diejenigen, ‚die etwas erreicht haben?. Wir hassen sie im Grunde unserer Seele, wollen zugleich aber auch ganz dort oben sein“ (Ebd., 40). Gute Lehrer bemühen sich zwar darum, dass Schüler, die leichter Zugang zu einem Unterrichtsstoff finden, anderen helfen, die sich dabei schwerer tun. Die Schüler haben im durch Konkurrenz um Noten dominierten Unterricht aber wenig Raum dafür, Hilfe und Kooperation zu entwickeln. Die mangelnde innere Ichstärke ist der Marktwirtschaft dienlich. Die Ichschwäche und das Rivalisieren bilden zwei Seiten einer Medaille: „Der Ehrgeizige ist weder seiner selbst noch der Verlässlichkeit der existenziellen Zustimmung der anderen sicher. Wie das in seinem Bestätigungsbedürfnis letztlich nicht ganz befriedigte Kind reagiert er mit verstärkter Anstrengung“ (Buchkremer 1972, 28). Status- und Karriereerfolge sollen dafür sorgen, dass der innere Mangel nicht gespürt wird. Zwar versuchen gute Lehrer, Schülern nicht nur abfragbaren Stoff beizubringen, sondern zu ihrer persönlichen Entwicklung beizutragen. Gewiss gibt es in Schulen immer wieder Reformbemühungen, die beabsichtigten, die benannten Probleme anzugehen. Im Endeffekt können sie sich nicht durchsetzen. Die Gegenkräfte und -tendenzen bleiben stärker.

Politische Relevanz der Kampagne „Schule muss anders“

Diese Kampagne steht in einer Reihe mit Bewegungen, die das Allgemeine (die Formen und Strukturen der Gesellschaft) ausgehend vom besonderen Feld, in dem die Arbeitenden jeweils tätig sind, infrage stellen können. Im Gesundheitswesen Arbeitende bemerken, wie dessen gegenwärtige Strukturen einer sorgsamen Krankenbehandlung oft entgegenstehen. Mit der Landwirtschaft Befasste nehmen war, dass die kapitalistischen Geschäftskriterien dem pfleglichen Umgang mit der Natur und der Qualität der landwirtschaftlichen Produkte abträglich sind. Zugleich ergeben sich aus den besonderen Tätigkeitsfeldern der Arbeitenden soziale Beziehungen zu denjenigen Teilen der Bevölkerung, die in besonderem Maße an diesem Bereich interessiert sind. Bei der Schule sind das die Eltern. Es handelt sich nicht einfach um einen Protest gegen Zumutungen, sondern um Personen, die Kompetenzen und Qualifikationen haben.

In der Gesellschaft entstehen solche auf die Arbeitsinhalte bezogenen Bedürfnisse und ein derartiges professionelles Ethos, die zu den herrschenden gesellschaftlichen Zwecken und Formen in Differenz und Gegensatz geraten können. Zugrunde liegt ein Widerspruch: Die Arbeitenden haben Qualifikationen und Reflexionsvermögen entwickelt. Sie ermöglichen es ihnen zu sagen: Ausgehend von dem, was wir gelernt haben und was wir können, sind wir imstande, mit unseren Arbeiten und Tätigkeiten sowie mit unseren Kompetenzen uns sinnvoller auf die Adressaten der Arbeit zu beziehen, als dies unter den Imperativen einer kapitalistischen Ökonomie möglich ist.

Der Protest stellt dann keine bloße Ansichtssache dar. Er ist bei den genannten Gruppen anders geerdet – in ihrem professionellen Ethos bzw. in ihren die Generativität betreffenden menschlichen Vermögen. John Kotre unterscheidet zwischen biologischer Generativität (dem Großziehen eigener Kinder), elterlicher Generativität (dem Sich-Kümmern um fremde Kinder), technischer Generativität (der Weitergabe und Vermittlung von Fertigkeiten und Wissen an die nächste Generation) sowie kultureller Generativität (der Weitergabe, Vermittlung und Transformation kultureller Werte) (Psychologie Heute 4/2001, S. 26f.). Sie schließt auch das Inhalte-Weitergeben bzw. -Weiterentwickeln ein.

Schule muss wirklich anders

Genauso wie es in Berlin – besonders vor dem Enteignungs-Volksentscheid – eine Mieterbewegung gibt, kann eine Gesundheits- oder eine Bildungsbewegung an Zustrom gewinnen. Solche Bewegungen entstehen in einer Gesellschaft, deren Bruttosozialprodukt wächst, während zentrale Bereiche, die für die Entwicklung der menschlichen Vermögen wesentlich sind (wie z. B. das Bildungswesen), in schlechtem Zustand bleiben. Im Bruttosozialprodukt gelten alle Inhalte gleich bzw. sind in ihm gleich gültig. Es steigt, wenn z. B. mehr Produkte schnell schnell veralten bzw. leicht kaputt gehen und mehr Ersatzkäufe stattfinden. (Einer 2013 erschienenen Studie über „Geplante Obsoleszenz“ (also über vorsätzlich in die Produkte eingebauten Verschleiß) zufolge könnten die Verbraucher pro Jahr 100 Mrd. Euro sparen, wenn sie „nicht ständig neue Produkte kaufen, weil die alten zu früh kaputtgehen“, Süddeutsche.de, 20.3. 2013). Das Bruttosozialprodukt ist das Pseudonym des abstrakten Reichtums. Er orientiert sich an der Akkumulation des Kapitals. Die Vorherrschaft dieses abstrakten Reichtums schadet auch den Schulen. Die skizzierten Strukturen des Unterrichts entsprechen einer Gesellschaft, in der im Alltag – nicht am Sonntag – das Individuum als „Humankapital“ gilt. Es muss danach streben, sich auf Arbeitsmärkten als verwertbar zu erweisen (‚employability?). Vielerlei Lernstoffe entwickeln „eine selbst objektive Seite oder Qualität, die an uns haftet“, aber „nicht eigentlich uns“ (Simmel 1986, 207).

Diejenigen, die „Schule muss anders“ wollen, können es nicht dabei belassen, die Beschränkung der Schule durch knappe Mittelzuweisung zu bekämpfen. Gewiss würde sich einiges am Lernen ändern, gäbe es kleinere Klassen, mehr Förderunterricht, Teams aus unterschiedlichen Berufen u. ä. Lehrer sind sich schnell einig darüber, dass „eigentlich“ mehr Geld in das Schulwesen gehört. Brisant werden Kontroversen im „Kollegium“ aber erst, wenn es um die Frage nach den Strukturen des Schulunterrichts geht. Die not-wendige qualitative Veränderung wird sich nicht als Wirkung der quantitativen Erweiterung (mehr Lehrer, Sozialarbeiter usw.) einstellen. Um den skizzierten Gegensatz zwischen zentralen Formen der Beschulung und dem guten Leben zu überwinden bedarf es – wir belassen es bescheiden bei einer Aussage über die Bildungsanstalten – nicht nur eines „mehr“ an Schule, sondern einer anderen Schule.

Literatur:

Boenicke, Rose; Gerstner, Hans-Peter, Tschira, Antje 2004: Lernen und Leistung. Vom Sinn und Unsinn heutiger Schulsysteme. Darmstadt

Buchkremer, Hansjosef 1972: Ehrgeiz. Stuttgart

Creydt, Meinhard 2022: Die Fehler des Alltagspragmatismus. In: Telepolis, 8.1.2023

Holzkamp, Klaus 1976: Sinnliche Erkenntnis – Historischer Ursprung und gesellschaftliche Funktion der Wahrnehmung. Kronberg

Holzkamp, Klaus 1993: Lernen. Subjektwissenschaftliche Grundlegung. Frankfurt M.

Hoock, Silke 2019: „Der härteste Umbruch meines Lebens“. In Der Spiegel Job&Karriere, 11.04.2019

Nüberlin, Gerda 2002: Selbstkonzepte Jugendlicher und schulische Notenkonkurrenz. Herbolzheim

Rumpf, Horst 1966: 40 Schultage. Tagebuch eines Studienrats. Braunschweig

Simmel, Georg 1986: Philosophische Kultur. Berlin

Singer, Kurt 1981: Maßstäbe für eine humane Schule. Frankfurt M.

Singer, Kurt 1998: Die Würde des Schülers ist antastbar. Reinbek bei Hamburg

Spitzer, Manfred 2002: Lernen, Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Heidelberg

Spitzer, Manfred 2003: Medizin für die Pädagogik. In: Die Zeit, Nr. 39

Stangl, Werner 2003: Lernen wurde aus der Schule ausgelagert. In: Die Furche, Wochenzeitung

Waldrich, Hans-Peter 2007: Der Markt, der Mensch, die Schule. Köln

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —     Bushaltestelle Kremenholl/Paulstraße in Remscheid

Abgelegt unter Bildung, Debatte, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

DER ROTE FADEN

Erstellt von DL-Redaktion am 26. Januar 2023

Es regnet rein ins utopiesche Bildungszeitparadies 

Roter Faden Hannover rote Zusatzmarkierung.jpg

Durch die Woche mit Nina Apin

Ein Jahr bezahlter Urlaub für berufliche Weiterbildung? Zu schön, um wahr zu sein. Schon lässt der Finanzminister den Traum platzen.

Da soll doch keiner sagen, dass von der Regierungspartei SPD keine gesellschaftlichen Impulse mehr ausgingen. Gut, ich meine jetzt nicht Olaf „Ich muss erst ganz doll und lang überlegen, ob ich der Ukraine rechtzeitig vor der Frühjahrsoffensive der Russen Panzer liefern soll – oder doch erst so spät, dass sie nicht ihr ganzes Territorium zurückerobern können, was Putin als freundliches diplomatisches Angebot sicher zu schätzen weiß“ Scholz.

Sorry, das musste kurz raus. Aber ich wollte ja über positive sozialdemokratische Impulse schreiben. Eine Woche Heilfasten auf Rügen, ein zweiwöchiger Kurs in Entspannungstechniken zur Burnoutprävention oder Englisch für den Berufsalltag? Dafür gibt es bezahlten Extraurlaub. Auch jetzt schon, es gibt sogar einen Anspruch auf fünf Tage Bildungsurlaub im Jahr – nur wird der bisher von gerade mal 2 Prozent der Ar­beit­neh­me­r:in­nen genommen.

Viele wissen gar nichts von dem Angebot, viele Arbeitgeber stehen kräftig auf der Bremse, und zwei Bundesländer, nämlich Sachsen und Bayern, machen gar nicht mit. Jetzt will Arbeitsminister Hubertus Heil den Bildungsurlaub gesetzlich verankern und ausweiten: Ein Jahr lang bezahlte Weiterbildung für alle Ar­beit­neh­me­r:in­nen, in Teilzeit sollen sogar bis zu zwei Jahre möglich sein, nach österreichischem Vorbild.

Klingt toll, oder? Ich habe schon Fantasien davon, wie wir zwei inspirierende Bildungsteilzeitjahre in Italien verbringen: Ich schreibe und verbessere mein Italienisch, der Mann gibt Kreativkurse und erwirbt eine Zusatzqualifikation in einer regionalen, fast vergessenen Drucktechnik …

Selbständige müssen zugucken

Leider aber ist die Fantasie „ein Ort, wo es hineinregnet“, wie der Schriftsteller Italo Calvino mal so hübsch gesagt hat. Habe ich letztes Jahr im Bildungsurlaub in Bologna gelernt. Selbstverständlich waren die paar Tage Intensivkurs viel zu kurz, um wirkliche Sprachfortschritte zu machen. Und auch das im Weiterbildungsgesetz entworfene Bildungszeitparadies hat Regenlöcher:

Die Drei von der Zankstelle 

Zwei Jahre reichen für eine komplette berufliche Umorientierung nicht aus, das letzte Jahr muss man sich dann irgendwie zusammenstückeln, vom Amt oder aus eigenen Ressourcen, wer es sich leisten kann. Und wer kann das schon? In meinem Fall ist der Mann leider auch selbstständig, also einer von rund 8 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland, die von der SPD beharrlich ignoriert werden, so auch bei diesem neuen Gesetz.

Aber immerhin tut sich überhaupt was in der Acht-Stunden-Arbeiten-bis-zur-Rente-Mühle. Man hat ja zu Jahresanfang viel gelesen über den Trend zum „Quiet Quitting“, also eine Art innere Emigration im Job, Modell Christine Lambrecht quasi. Und über die vielen Menschen, die trotz Inflation und wirtschaftlicher Unsicherheit ihre Arbeit gekündigt haben, aus Überforderung und weil sie mehr von ihrem Leben haben wollen als Meetings und Abgabefristen, Modell Jacinda Ardern.

Quelle        :        TAZ-online       >>>>>          weiterlesen

*************************************************

Grafikquellen       :

Oben        —     Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

Abgelegt unter Berlin, Bildung, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Rechte Systemsprenger

Erstellt von DL-Redaktion am 15. Januar 2023

Die Politik mit dem Mythos

Englisch: Viktor Orbán auf Ungarisch Parlameint, 1997 Magyar: Orbán Viktor a Magyar Parlamentben, 1997-ben

Der russische Überfall auf die Ukraine, darüber besteht Einigkeit, ist eine Schocklüftung im Raum westlicher Illusionen. Der Traum von einer friedlichen Weltgesellschaft ist ausgeträumt, und anstatt kooperativ zusammenzuwachsen, zerfällt sie in feindliche Großräume, in Blöcke und Einflusszonen. Künftig, so heißt es, stehen sich zwei Systeme unversöhnlich gegenüber. Auf der einen Seite der neue Ostblock aus Russland und China mit Führerkult, Ultranationalismus, Hightech-Überwachung, Willkür, Massenmanipulation, Gehirnwäsche, Straflagern und einem autoritär erstickten Dasein. Auf der anderen, der westlichen Seite bleibe trotz innerer Anfechtungen alles beim Alten. Nach Putins Krieg wissen Liberale wieder, warum sie auf der Welt sind. Sie verteidigen den letzten Hort der Freiheit. Sie verteidigen den aufgeklärten Westen.

Waschechte Demokratien gegen lupenreine Despotien: Die Beschreibung klingt griffig, aber sie greift nicht. Es fehlt der Hinweis, dass auch in westlichen Staaten Systemsprenger am Werk sind und entlang einer identischen ideologischen Linie die Axt an den Liberalismus legen. David Brooks hat recht, wenn er bemerkt, die „verbitterten Hassreden illiberaler Herrscher wie Putin, Modi und Jair Bolsonaro“ klängen genau so „wie die populistische Rhetorik, die die Trumpsche Rechte, die französische, die italienische und die ungarische Rechte benutzt“.[1]

Komplizierter gesagt: Der Systemkonflikt zwischen Demokratie und Autokratie beschränkt sich nicht auf geopolitisch getrennte Großräume, sondern wiederholt sich als asymmetrische Spiegelung im Binnenraum westlicher Gesellschaften. Anders als die populäre Behauptung von der neuen Weltspaltung Glauben machen will, wird „der Westen“ nicht nur von außen bedroht, sondern auch durch sich selbst.

In Italien regiert die Postfaschistin Giorgia Meloni, deren Partei sich mit einem Wappen schmückt, das unter anderem den Sarg Mussolinis symbolisiert. In Frankreich schleicht die schwarze Katze eines „geläuterten“ Faschismus durchs Gelände, sie ist, auch dank Putins Zufütterung, dick und fett geworden; fast 42 Prozent der Wähler schenkten Marine Le Pen bei der letzten Präsidentschaftswahl ihre Stimme. In Ungarn gewann mit Viktor Orbán ein Mann die Wahl, der mitten in Europa ein zweiter Putin werden möchte. Im österreichischen Nachbarland führten FPÖ-Mitglieder über Jahre mit dem Kreml ihr Tänzchen auf, und die Alternative für Deutschland unterhält herzliche Beziehungen zur rechtsradikalen russischen Intelligenz.[2]

Derweil erweckt in den Vereinigten Staaten der Journalist Tucker Carlson (Fox News) stellvertretend für eine Vielzahl „patriotischer“ Rechter den Eindruck, seine Liebe zur russischen Diktatur sei größer als die zur eigenen Demokratie. Auch der Klerikalfaschist Franco kommt wieder zu Ehren, der Republikaner Anthony Sabatini verbreitet dessen Parole „Ich verantworte mich nur vor Gott und der Geschichte“.

Das alles wäre bloß bizarr, besäßen die politischen Kämpfe in den USA nicht eine weltgeschichtliche Dimension. Für den Fall, dass der Putschist Donald Trump (oder einer seiner ideologischen Doppelgänger) die nächste Wahl gewinnt, könnte die Rechte im Herzland des Westens ihr autoritäres Projekt vollenden. Als Präsident, sagt Fiona Hill, die frühere Russland-Direktorin des National Security Council, habe Trump „im Verlauf seiner Amtszeit Putin sowohl in seinen politischen Methoden als auch in seinen Vorlieben stärker geähnelt als seinen amerikanischen politischen Vorgängern der jüngeren Zeit“.[3]

Blockübergreifende Bündnisse der Neuen Rechten

Um es auf eine Formel zu bringen: Während die Welt in feindselige Lager zerfällt, schmiedet die internationale Rechte blockübergreifende Bündnisse und arbeitet an einer historisch neuen Konvergenz der Systeme.

Ihre Vordenker organisieren Austauschdiskurse und machen mobil für einen globalen Kulturkampf gegen den Liberalismus. Aufschlussreich ist dabei, dass dessen Inhaltsstoffe aus jenem Mythen- und Gedankendepot stammen, mit dem bereits die Abwehrschlacht gegen Aufklärung und Französische Revolution gespeist wurde.[4] Doch während sich der Antiliberalismus des 19. Jahrhunderts weitgehend innerhalb der europäischen Nationalstaaten entfaltete, so operiert er heute auf Weltebene. Im orchestrierten Gleichklang und über Ländergrenzen hinweg besingen russische, amerikanische und europäische Rechte die Herrlichkeit von Reich und Vaterland und machen, so Timothy Snyder, Reklame für eine reaktionäre „Politik der Ewigkeit“.[5] Mit wachsendem Erfolg bringen sie die „Wahrheit“ der Mythen gegen „die totalitären Tendenzen im Liberalismus“[6] in Stellung, gegen die Ideen von Fortschritt und Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit.

Es ist nicht ohne Ironie, dass Intellektuelle, die vom Rückzug in nationale Räume träumen, weltweit dieselben Gewährsleute in den Zeugenstand rufen, vorneweg Edmund Burke, Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger, Oswald Spengler, Julius Evola, Alain de Benoist sowie den deutschen Exportschlager Carl Schmitt.

Die Mythen der Vergangenheit feiern  heute wieder Zukunft.

Auch der gesichert konservative Philosoph Leo Strauss, der 1938 vor Hitler in die USA flüchten musste, ist ein gern zitierter Kronzeuge der antiliberalen Allianz und gehört sogar an chinesischen Universitäten zur Pflichtlektüre.[7] Vor allem das Claremont Institute nordöstlich von Los Angeles steht ganz im Zeichen von Strauss’ Liberalismuskritik, und man sagt nichts Falsches, wenn man die „Claremonsters“ als intellektuelle Eskorte der trumpistischen Revolution bezeichnet. Am Institut lehrt zum Beispiel der Jurist John Eastman, der Trump im Vorfeld des Kapitol-Sturms beratend zur Seite stand, und Senior Fellow ist jener Glenn Ellmers, der dem Ex-Präsidenten Versagen vorwirft. Trump habe die Disziplin gefehlt, um das „postamerikanische Amerika“ endgültig umzustürzen und eine Konterrevolution anzuzetteln. Zerstörung, nicht Bewahrung müsse das konservative Prinzip sein. Alles, auch die „großen Kirchen, die Universitäten, die Populärkultur und die Unternehmenswelt sind durch und durch verdorben […]. Was wir brauchen, ist ein Staatsmann, der sowohl die Krankheit, an der die Nation leidet, als auch die revolutionäre Medizin, die zur Heilung erforderlich ist, versteht.“[8]

Die Linke wiederholt ihre alten Fehler

Weit vor den Wahlen in Italien hat sich der englische Politikwissenschaftler und Autor Paul Mason alarmiert darüber gezeigt, dass die Öffentlichkeit die Faszinations- und Verführungskraft rechter Bewegungen unterschätzt. Auch die Linken, schreibt er in seinem Buch „Faschismus“, seien nicht gut gerüstet und wiederholten ihre alten Fehler im Kampf gegen die Weimarer Reaktion.[9] Fixiert auf die rechte Ideengeschichte, seien sie blind für die kulturrevolutionären Strategien, mit denen die globalisierte Anti-Moderne auf vorpolitische Gefühlslagen zielt, auf Deklassierungsängste und Weltbewältigungsstress. Mit ihren Mythen, so Mason, bewirtschaften rechte Politiker eben nicht nur die Wut der Unterprivilegierten, sondern auch den Zorn der Unglücklichen; sie dringen in psychische Resonanzräume ein, die linken und liberalen Politikern verschlossen bleiben. Linke, so ließe sich mit Mason sagen, fordern das Vernünftige und Richtige; sie fordern höhere Mindestlöhne, höhere Renten, bessere Schulen, mehr Kitaplätze und mehr Gerechtigkeit sowieso. Die Rechte verspricht – solange sie in der Opposition ist – zwar ebenfalls mehr Gerechtigkeit, doch darüber hinaus verspricht sie noch viel mehr. Sie verspricht nicht bloß praktische Erleichterung, sondern existenzielle Erfüllung. Nicht einen verbesserten Alltag, sondern ein neues Leben.

Nichts an diesem Programm ist überraschend. Rechte Theoretiker wie Carl Schmitt haben den Liberalismus schon immer wegen seiner „blutleeren“ Nüchternheit angegriffen und die imaginative Armut seiner Verfahren beklagt. Weder im demokratischen Prozess noch in Fetischbegriffen wie Menschheit und Vernunft, schrieb er 1926, liege „der stärkere Mythus“; er liege vielmehr „im Nationalen“, im „Bewusstsein einer Schicksalsgemeinschaft“, in Tradition, Sprache, gemeinsamer Kultur. Nicht leblose Verträge, sondern lebendige Affekte, nicht blasse demokratische Prozeduren, sondern plastische Mythen bildeten „das Prinzip der politischen Wirklichkeit“. Gegen den kollektiven Enthusiasmus, den Mythen erzeugen, habe der „relative Rationalismus des parlamentarischen Denkens seine Evidenz verloren“.

Schmitts Paradebeispiel ist der italienische Faschismus. Weil Benito Mussolini erkannt habe, dass die Gesellschaft nicht von demokratischer Übereinkunft, sondern von mythischem Begehren getragen werde, sei es ihm gelungen, „unter bewusster Berufung auf den Mythos Menschheitsdemokratie und Parlamentarismus verächtlich beiseite“ zu schieben. Und das, nachdem der „nationale Enthusiasmus auf italienischem Boden bisher […] ganz von der Ideologie des angelsächsischen Liberalismus beherrscht zu sein schien“.[10]

Überflüssig zu sagen, dass die Überzeugung, nur konkrete Mythen (und nicht abstrakte Verfahren) konstituierten „das Prinzip der politischen Wirklichkeit“, auch heute noch zum Glaubensbestand der kulturrevolutionären Rechten gehört. Niemand ist so besessen von schlagkräftigen Bildern und mythischen Formeln wie sie – „Gott, Familie, Vaterland“, so der Slogan der italienischen Postfaschisten –, und wenn die Sache nicht so ernst wäre, müsste man lapidar feststellen, dass die rechte Ideologieproduktion bloß die modulare Plattformstrategie der Autoindustrie kopiert. Das tragende Element ist überall identisch, es ist der Kampf gegen alles, was dem Autokraten störend im Wege steht, also unabhängige Gerichte, Medien, Künste, Wissenschaften und so weiter. Was dagegen je nach Land, Region und Gelegenheitsstruktur variiert, das ist die mythologische Lackierung des Produkts, die in Frankreich naturgemäß anders aussieht als in Polen.

Kulturkampf mit rechten Mythen gegen die »liberale Kultur«

Gewiss, auch in den Tempojahren der Globalisierung waren nationale Mythen nie vollständig verschwunden, einige erlebten sogar ein Revival. Der uniformierende Zwang, den das internationale Rechts- und Handelssystem ausübte, nötigte die Staaten dazu, durch Nation-Branding ein Alleinstellungsmerkmal zu erzeugen, ein kulturell zwar signifikantes, im Grunde aber beliebiges und politisch folgenloses Unterscheidungsmerkmal in der Arena der Weltgesellschaft. Heute, nach dem angeblichen Scheitern der Globalisierung, ist für rechte Vordenker die Ära der nationalfolkloristischen Selbsttätowierung vorbei. Die Kultur ist für sie kein Identitätsmarker mehr, keine Rest- und Randerscheinung in der Moderne, sondern ein Selbstbehauptungsmittel gegen die Moderne. Der Sieg über den Liberalismus, davon sind sie überzeugt, kann nur mit den Mitteln des Kulturkampfs errungen werden, mit der mythischen Reserve der Nation. Der Gegner heißt nicht Kapitalismus. Der Gegner heißt „liberale Kultur“.

Erst vor diesem Hintergrund wird der zähe Eifer verständlich, mit dem rechte Programmplaner nach sagenhaften Vergangenheiten und völkischen Narrativen graben. Vor allem Ursprungsmythen erfreuen sich großer Beliebtheit, zum Beispiel heldenhafte Geschichten aus dunkler Vorzeit, zarte reichsrussische Regungen im Quellgebiet der Kiewer Rus, siegreiche Schlachten auf Amselfeldern, der Kosovo als mythische Wiege Serbiens oder das Sacrum Imperium des Abendlands im Ganzen. Hinzu kommen triviale synthetische Neuschöpfungen. Auch sie verschmelzen die Erinnerung an eine glorreiche Vergangenheit mit der Kritik an der elenden Gegenwart zum kontrastiven Versprechen einer wieder goldenen Zukunft. Neo-Mythen verheißen die Rückkehr in eine Zeit, in der die Nation groß, der Kapitalismus unschuldig, das Klima mild, die Männer weiß, die Verhältnisse patriarchal und der nationale Raum geschlossen war.

Ob Hymne oder Fahne – im Reichstag sitzen republikanische Bananen. 

Die Zukunft als Wiederholung der Vergangenheit

Berühmt und berüchtigt ist das „Take back control“ der Brexiteers und ihr Mythos vom „Global Britain“: „Unsere gemeinsame Zukunft ist golden“ (Boris Johnson). In Frankreich stellt Marine Le Pen die Wiederkehr der Trente Glorieuses in Aussicht, jene zum Mythos gewordene Nachkriegsepoche, als das französische „Leben“ (ihr Lieblingswort) weder von Zuwanderern noch von deutschen Autos, noch von der mondialisation belästigt wurde. In den USA wiederum bilden nicht die 1950er, sondern die 1930er Jahre die Referenzepoche der Rechten. Damals tauchte zum ersten Mal der Schlachtruf „America First“ auf, übrigens als Kampfformel gegen Franklin D. Roosevelts New Deal. Damals wie heute ist es angeblich „das Volk“, das diese Politik einfordert, denn im rechten Weltbild ist das Volk revolutionär aus restaurativem Interesse. Der Sturm aufs Kapitol, weiß Putins Wunschkandidat Donald Trump, „stellte die größte Bewegung in der Geschichte unseres Landes dar, um Amerika wieder großartig zu machen“.[11] Wie der von Hedgefonds mitfinanzierte Brexit gezeigt hat, sind solche Neomythen kinderleicht zu fabrizieren und finden bei falschen Propheten rasend schnell Absatz, und zwar weltweit.

Längst ist die rhetorische Figur, wonach die Zukunft in der erlösenden Wiederkehr einer glücklichen Vergangenheit besteht, keine Spezialität der europäischen Rechten mehr, sondern existiert in allen möglichen Ausführungen, sogar in einer chinesischen. In seinem Buch „Alles unter dem Himmel“ preist der Pekinger Philosoph Zhao Tingyang eine uralte chinesische Herrschaftsordnung an, die zum Mythos verklärte „Tianxia“. Aufgrund ihrer föderalen Struktur sei sie bestens dazu geeignet, das amerikanische Modell der Globalisierung abzulösen und einer vom kapitalistischen Konkurrenzliberalismus zerfressenen Welt den Frieden zu bringen – die Zukunft liegt in der „Wieder-Holung“ der Vergangenheit.[12] Verblüffend ähnlich argumentiert Alexander Dugin. Zwar ist dem rechtsradikalen Moskauer Philosophen jede unipolare Weltordnung zuwider, selbst eine chinesische, doch auch das Idol aller westöstlichen Querfronten ist davon überzeugt, nur die Wiederbelebung des Alten könne Russland davor bewahren, von westlicher Dekadenz überrollt zu werden. „Nihilistisch“ nennt Dugin den Westen deshalb, weil er das Lebendige auslösche: Zuerst neutralisiere er die Geschlechterpolarität, dann schaffe er den Menschen selbst ab und ersetze ihn durch Maschinen. Dugins Alternative ist ein retrofuturistisches Regime, das Kommunismus, Faschismus und Liberalismus zugunsten einer – im Sinne des Wortes – postmodernen Gesellschaft überwindet.

Quelle    :         Blätter-online           >>>>>          weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —     Viktor Orbán im ungarischen Parlament, 1997Magyar: Orbán Viktor a Magyar Parlamentben, 1997-ben

********************************
Unten         —       11. Februar 2012 Protest gegen ACTA in München, Flagge „Bananenrepublik

Abgelegt unter Bildung, Bundestag, P.CDU / CSU | Keine Kommentare »

Märchenhafte Schulreform

Erstellt von DL-Redaktion am 11. Januar 2023

Es braucht komplett neue Strukturen an den Schulen

Und wo sucht die Politik ihre Lehrer-Innen ?

Ein Schlagloch von Matthias Greffrath

Lehrermangel, Leistungsschwäche, Integrationsprobleme, mangelnde Digitalisierung. Wir müssen die Schule ganz neu denken und bei der Erziehungsschwäche der Familien ansetzen.

Wenn es Sie reizt, eine stabile Gruppe von 10 Kindern oder 8 Jugendlichen kontinuierlich über sechs Jahre zu begleiten, ihnen Basiskompetenzen und Mediennutzung zu vermitteln, ihre Lernerfahrungen zu organisieren, in die Bildungsprozesse das soziale Umfeld der Kinder einzubeziehen, und dabei selbst neue Erfahrungen zu machen …“ – Die Bildungsministerin ließ die Vorlage auf den Schreibtisch fallen: „Was soll denn das sein?“ Der junge Staatssekretär errötete: „Ich dachte, ich denke mal voraus …“ Seine Stimme war leicht belegt. „Ich habe das mal alles zusammengedacht: Die 60.000 Lehrer, die fehlen und die geschrumpfte Attraktivität des Berufs – selbst die Verbeamtung bringt’s ja nicht mehr. Zweitens, die Silversterkrawallen, also die Problemviertel und Milieus. Drittens: die gesicherten Zahlen, dass ein Viertel der Viertklässler nicht richtig schreiben und rechnen kann – und beileibe nicht nur die Migrantenkinder. Und schließlich das, was uns die Fortnite-Kultur und Chat-GTP noch erwarten lässt.“

„Chat-GTP?“ Die Ministerin hob die Augenbrauen. „Muss ich jetzt auch noch wissen, was das ist?“ Der sehr junge Staatssekretär seufzte: „Ihre Kollegen in den Ländern haben auch noch nichts davon gehört. Also, das ist ein Computerprogramm, das druckreife Texte verfasst, in jeder gewünschten Länge. Noch nicht perfekt, aber Schüler und Studenten benutzen es schon für ihre Referate. In ein, zwei Jahren dürfte das Standard sein. Und niemand weiß bis jetzt, was daraus für die Kompetenzen und die Leistungsbeurteilung folgt, und ob man da überhaupt noch gegensteuern kann.“

„Und was hat das alles jetzt mit dieser … Stellenanzeige zu tun, die Sie mir hinterlegt haben?“

Der junge Staatssekretär holte tief Luft. „Ich denke, wir müssen Schule völlig neu denken. Dieses System ist nicht zu retten. Es muss zusammenbrechen, vorher passiert nichts. Mit den bestehenden Strukturen können wir weder das Integrationsproblem, noch die Leistungsschwächen, noch die fehlgeleitete Digitalisierung, noch den Lehrermangel, noch den Motivationsschwund korrigieren. Wir müssen die Schule ganz neu denken. Und wir müssen ansetzen, wo die Probleme beginnen: bei der Erziehungsschwäche der Familien.“

Wurde vielleicht der kleine Christian von ihr hochgepäppelt ?

Die Ministerin hob beide Hände: „Benutzen Sie das Wort bitte nie öffentlich …“

„Nicht von mir. Stand in einer Schrift des konservativen Soziologen Helmut Schelsky:,Aufgabe der Schule in der industriellen Welt‘. Anfang der Fünfzigerjahre, damals war er noch Sozialdemokrat. Kurz gefasst: Die Anforderungen des Berufslebens, der Trend zur Kleinfamilie und Alleinerziehenden, die Frauenerwerbstätigkeit, das alles stresst die Familie und erfordere eine stärkere Übernahme der Erziehung durch die Schule, weit über die Vermittlung von Wissen hinaus – und, wie wir sehen, tut das nicht nur in der Unterschicht not. Auch die basalen Eigenschaften wie Ordnung, Arbeitstugenden etc. würden nun zur Aufgabe der Schule, der enge Elternkontakt der Lehrer und regelmäßige Familienbesuche, wie auch die Kooperation mit den Betrieben. Schelsky entwarf das Bild einer Gemeinschaftsschule, die Technik und Tradition verbindet und sozialen Zusammenhalt herstellt. Schule müsse in die Mitte der Gesellschaft geholt, zum sozialen Ort werden.“ Das war l957. Und mehr noch: Schelsky, beileibe kein Linker, forderte damals eine Unterrichtung in den Familienfähigkeiten und „Freizeiterziehung“ als Reaktion auf die „Enthemmung des Konsumstrebens“, ja des „Konsumterrors“.

„Das klingt nicht sehr populär, eher nach asketischer Volksgemeinschaft oder Subbotnik“, warf die Ministerin ein. „Und was ist mit den Lehrern? Sollen die nun zu Sozialarbeitern werden?“

Der junge Mann hatte sich in Fahrt geredet. „Die müssen sowieso umlernen. Der pure Stoff wird in Zukunft immer stärker mit digitalen Techniken angeeignet. Vokabeln, Daten, Zahlen, Fakten. Jetzt kommt es darauf an, diese Möglichkeiten zu nutzen, und nicht als pure Nothilfe oder Sparmaßnahmen zu verspielen, sondern um die Lehrer in die Lage zu versetzen, als Mentoren, als Führer ins Leben oder meinetwegen sogar als Vorbilder zu wirken.“ Er sah, wie die Ministerin die Augenbrauen hob. „Entschuldigen Sie die altmodischen Wörter, aber die neuen werden uns noch einfallen müssen. Vielleicht sogar ein neues für Schule.“

Quelle          :        TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben      —     Bushaltestelle Kremenholl/Paulstraße in Remscheid

*****************************

Unten        —     Landesparteitag

Abgelegt unter Bildung, Deutschland, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

Regierung ohne Rechte?

Erstellt von DL-Redaktion am 17. Dezember 2022

Bundesverfassungsgericht schwächt Geheimniskrämerei der Bundesregierung

Ein Loch ist im Eimer der Regierung ?

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Von      :     

Auskünfte zum Verfassungsschutz? Keine Chance. Vor zwei Jahren wollte das Innenministerium dem FDP-Abgeordneten Konstantin Kuhle keine Fragen beantworten. Zu Unrecht, wie nun das Bundesverfassungsgericht urteilte. Es nimmt die Regierung in die Pflicht.

Nicht alles, was Geheimdienste tun, ist geheim. Auch wenn sich die Agent:innen gerne dagegen wehren, gibt es eine parlamentarische Kontrolle – und diese Kontrolle hat das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil am Mittwoch (Urt. v. 14.12.2022, Az. 2 BvE 8/21) grundlegend gestärkt. Konkret geht es dabei um die Rechte von Abgeordneten, die der Bundesregierung Fragen zur Arbeit der Geheimdienste stellen.

Das Urteil dreht sich um den FDP-Bundestagsabgeordneten Konstantin Kuhle. Ende 2020 hatte Kuhle, damals noch in der Opposition, die Bundesregierung um Auskunft gebeten, wie viele Mitarbeiter:innen der Inlandsgeheimdienst 2015 bis 2019 ins Ausland entsandt habe. Diese Frage ist brisant, denn der Verfassungsschutz ist ein Inlandsgeheimdienst – und könnte dem im Ausland tätigen Bundesnachrichtendienst in die Quere kommen.

Das CSU-geführte Bundesinnenministerium (BMI) verweigerte in einem Schreiben vom 9. Dezember 2020 die Auskunft mit der pauschalen Begründung, dass diese das Staatswohl „in besonderem Maße“ berühre. Die Beantwortung der Frage könne daher nicht einmal als geheimhaltungsbedürftige Verschlusssache erfolgen. Kuhle sah seine Abgeordnetenrechte verletzt und strengte in Karlsruhe ein sogenanntes Organstreitverfahren gegen die Bundesregierung an.

Nun befand der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts: Die Weigerung der früheren Bundesregierung sei nicht ausreichend begründet gewesen und habe Kuhle in seinem parlamentarischen Fragerecht verletzt. Das Gericht bestätigte damit, dass aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 GG und Artikel 20 Absatz 2 Satz 2 GG ein Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung folge.

Zwar sei dieser Informationsanspruch nicht grenzenlos. Im konkreten Fall sei aber nicht ersichtlich, inwiefern das Auskunftsersuchen die Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes beeinträchtigen könne. Kuhle habe weder nach Einsatzorten, Tätigkeitsschwerpunkten oder anderen Einzelheiten gefragt, so das Gericht.

Wie arm im Geiste müssen Menschen sein, wenn sie keine eigenen Kaffeebecker nutzen?

Innenministerium ließ den Streit im März eskalieren

Bereits im vergangenen März war es zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht gekommen. Damals hätte das BMI den Streit ausräumen können. Denn die FDP war inzwischen Regierungspartei und anstelle von Horst Seehofer (CSU) amtiert Nancy Faeser (SPD) als Innenministerin.

Doch die Rechtsvertreter-innen des BMI hatten offenkundig kein Interesse daran, den Konflikt beizulegen. Vielmehr forderten sie, den Verfassungsschutz beim Fragerecht der Abgeordneten ausdrücklich auszunehmen.

Als Begründung führte das BMI die „Mosaiktheorie“ an. Demzufolge könnten ausländische Geheimdienste auch kleine Informationen dazu nutzen, um daraus ein Gesamtbild zu erstellen – wie bei einem Mosaik. Daher wolle die Regierung künftig ausschließlich Abgeordneten des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) Auskünfte geben.

Urteil nimmt Bundesregierung in die Pflicht

Den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts überzeugte die Argumentation des Ministeriums nicht. Er entschied nicht nur eindeutig im Sinne des klagenden Abgeordneten, sondern lehnte auch eine „Bereichsausnahme“ ab, die das BMI einforderte.

Die Vize-Präsidentin des Gerichts, Doris König, betonte bei der Urteilsverkündung, dass das Staatswohl „nicht allein der Regierung, sondern Bundestag und Bundesregierung gemeinsam anvertraut“ sei. Grundsätzlich müsse ein Ausgleich hergestellt werden: zwischen dem staatlichen Geheimhaltungsbedürfnis einerseits und dem parlamentarischen Auskunftsanspruch andererseits. Vor diesem Hintergrund werde die Argumentation des BMI, so König weiter, „den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Verweigerung der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage nicht gerecht“.

Wo bleibt das GG in dem es heißt: „Alle Macht geht vom Volk aus?“

Das PKGr seit laut Gericht ein zusätzliches Instrument parlamentarischer Kontrolle – sonstige parlamentarische Informationsrechte verdränge es nicht. Im konkreten Fall könne Konstantin Kuhle die Auskunft auch unter Auflagen erhalten, etwa in der Geheimschutzstelle des Bundestags und unter der Bedingung, die Informationen nicht mit anderen zu teilen.

Auch die vom BMI angeführte „Mosaiktheorie“ überzeugte das Gericht nicht. Eine damit begründete „Bereichsausnahme“ würde zu einem „völligen Leerlaufen“ des Fragerechts der Abgeordneten führen. Schließlich könne damit jede Detailinformation verwehrt werden, da sie für ausländische Geheimdienste potentiell ein wichtiger Mosaikstein sein könnte.

Die Begründung des Bundesverfassungsgerichts zeigt, dass es in diesem Urteil um weit mehr als die Anfrage eines Abgeordneten geht – nämlich um die Macht des Parlaments, die Arbeit der Geheimdienste effektiv zu kontrollieren. Und laut den höchsten Richtern dieses Landes ist die Bundesregierung dazu verpflichtet, den Abgeordneten dafür Auskunft zu erteilen.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben     —     Sitzungssaalgebäude des Bundesverfassungsgerichts

Abgelegt unter Bildung, Gerichtsurteile, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Rassismus im Alltag

Erstellt von DL-Redaktion am 14. Dezember 2022

Blackness in Berlin

Ein Debattenbeitrag von Akwugo Emejulu

Schwarzes Leben ist auch in der Hauptstadt bis heute von Rassismus geprägt. Nicht jeder gehört überall dazu.

Niemand erzählt dir das vorher, aber in Berlin zu leben, verleiht dir ungewünschte Superkräfte. Wenn ich durch Mitte oder Prenzlauer Berg gehe, probiere ich sie aus. Eine Passantin klammert sich demonstrativ an ihre Tasche und wirft mir einen zornigen Blick zu, als ich an ihr vorbeigehe. Dann wechselt sie zügig die Straßenseite und setzt ein höhnisches Lächeln auf.

Regelmäßig ertappe ich mich dabei, dass ich mit anderen Fußgängern das „Angsthasenspiel“ spiele: Wenn wir aufeinander zugehen und uns gegenseitig im Weg sind, wer macht dann Platz, damit wir uns den Bürgersteig teilen können? Ich bin gespannt, wie das Spiel ausgeht, obwohl ich das Ergebnis schon kenne. Aus Prinzip weigere ich mich fast immer, den Vorrang zu gewähren, es sei denn, es handelt sich um ältere oder behinderte Menschen.

Und warum? Weil von mir erwartet wird, dass ich zurückweiche und aus dem Weg gehe. So passiert das, was immer passiert: Wir rempeln uns an. Dieses „Spiel“ ist Schwarzen Berlinern vertraut. Eine meiner Freundinnen erzählte mir, dass sie als Kind diesen Begegnungen einen Namen gab: „Frau Arroganz“.

Sie versuchte, dem Rassismus, dem sie auf der Straße begegnete, bevor sie die Begriffe kannte, um ihn zu benennen – einen Rassismus, der ihr auf den Fuß trat, sie aus dem Weg schob und sie anrempelte –, durch eine Mutprobe einen Sinn zu geben. Sie weigerte sich, auszuweichen und unsichtbar zu sein. Diese Zusammenstöße enthalten einen Widerspruch.

Unerwünschte Macht

Sie legen eine Macht offen, die Schwarze Menschen ungefragt erhalten haben und die sie sich nicht wünschen: Wir sind auf den Straßen Berlins sowohl unsichtbar als auch hypersichtbar. Wir sind also gleichzeitig eine sichtbare Bedrohung für das unterstellte Weißsein des öffentlichen Raums und ein unsichtbares Objekt, das ignoriert und missachtet wird.

Sie glauben mir nicht? Sie denken, ich bin zu empfindlich? Bin ich vielleicht sogar ein schlechter Gast während meiner kurzen Zeit in Berlin? Auch das ist eine Superkraft – oder vielmehr, wie Kassandra zu ihrem Leidwesen feststellen musste, ein Fluch: Wir sagen die Wahrheit, doch das wird bezweifelt – uns wird nicht geglaubt.

Dieser Widerspruch zwischen Unsichtbarkeit und Hypersichtbarkeit offenbart sich durch Blicke. Mich fasziniert das offene und unverhohlene Anstarren von Männern, Frauen und Kindern. Sicher, ich bin ziemlich hübsch, doch seien wir ehrlich: Ich bin nicht jedermanns Sache. Das Anstarren hat eine Bedeutung. Es ist auch eine Art Kollision – ein politischer Akt, der durch das Visuelle und das Imaginäre in Gang gesetzt wird.

Man wird stets auf Englisch angesprochen

Wenn ich in der Straßenbahn oder in einem Restaurant angestarrt werde, starre ich immer so lange zurück, bis die andere Person wegschaut. Diese Handlung des Widerstands, jemanden anzustarren, der oder die einen zwar ansieht, aber nicht wirklich sehen kann, ist eine häufige Reaktion Schwarzer Berliner, wie ich festgestellt habe. Ich lebe mein Leben weiter, aber ein wenig verunsichert – was natürlich der ursprüngliche Zweck des Anstarrens war.

Wie kann das sein? Berlin, so sagt man mir ständig, ist so vielfältig! So international! So kosmopolitisch! Hier sprechen alle Englisch! Sicher, Berlin ist voll von Menschen aus aller Welt. Aber natürlich gehört nicht jeder überall dazu in Berlin – vor allem, wenn dein Pass die falsche Farbe hat oder dein rechtlicher Status fragwürdig ist.

Akwugo Emejulu im schottischen Parlament.jpg

Interessant ist auch, wie Englisch in der Stadt funktioniert. Einerseits ist es ein Zeichen für die Andersartigkeit Berlins, einer der vielen Punkte, in denen es sich vom Rest Deutschlands unterscheidet. Andererseits wird die Sprache ständig als Waffe eingesetzt. Wenn ich mit meinen Schwarzen deutschen Freunden in einer Bar oder in einer Galerie bin, fällt mir immer wieder auf, wie automatisch Englisch mit ihnen gesprochen wird.

Zugehörigkeit einfordern

Sie antworten in der Regel auf Deutsch und zwingen das Gespräch ins Deutsche, um ihre Zugehörigkeit zum Ort und zur Stadt zu zeigen und einzufordern. Ein weiteres Aufeinanderprallen, dieses Mal der Muttersprachen, die die Linien zwischen Zugehörigkeit und Ausgrenzung in Berlin markieren. Nichts davon ist neu. Vor genau 70 Jahren veröffentlichte Ralph Ellison einen der großen Romane, in dem es unter anderem um das schwarze Leben in der Großstadt geht.

In „Der unsichtbare Mann“ stellt Ellisons namenloser Protagonist bekanntermaßen fest: „Ich bin ein Mensch aus Substanz, aus Fleisch und Knochen, aus Fasern und Flüssigkeiten – ja, man könnte vielleicht sogar sagen, dass ich einen Verstand besitze. Ich bin unsichtbar, verstehen Sie, weil sich die Leute weigern, mich zu sehen. […] Wer sich mir nähert, sieht nur meine Umgebung, sich selbst oder die Auswüchse seiner Phantasie – in der Tat alles und jedes, nur mich nicht.“

Quelle         :         TAZ-online        >>>>>         weiterlesen

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben     —     Mobilização popular antirracista em Berlim, sob o nome de Umbenennungsfest, pela renomeação de uma rua, propondo a troca de um termo alemão racista por nomes importantes para o movimento negro, como, na placa da imagem, Anton Wilhelm Amo. Tais manifestações vêm ocorrendo desde 2014. O dia da manifestação, dia 23 de Agosto, é simbólico pois comemora o Dia Internacional para a Lembrança do Comércio de Escravos e sua Abolição.

Abgelegt unter Berlin, Bildung, Integration, Kultur | 1 Kommentar »

Schaltet die Gerichte ein!

Erstellt von DL-Redaktion am 13. Dezember 2022

Wo bleibt die Klage einer Tochter der dritten Einwanderergeneration?

2018-05-10 Bettina Stark-Watzinger-7710.jpg

Ein Schlagloch von Mathias Greffrath

Opfer der deutschen Bildungspolitik könnten vom Klimakrisen-Widerstand lernen. Es braucht eine Ansage von ungefähr 100 Milliarden Euro, damit die Dramatik in die Diskussion kommt.

Ach, das ZDF. Dass es seinen politischen Bildungsauftrag immer erst gegen Mitternacht erfüllt. So neulich wieder mal Markus Lanz. Zuerst die schlimmen Zahlen: 40.000 Lehrer fehlen. Und die neueste Untersuchung zeigt: Wieder erreicht ein Drittel der Schüler nicht die Mindeststandards in Lesen und Mathematik. Dazu die schlimmen Bilder von morschen Klassenzimmerfenstern; der Sanierungsstau beträgt insgesamt 45 Milliarden Euro. Dann wird die arme, arme Bundesbildungsministerin vernommen. Knapp vor ihrer Ernennung schrieb sie noch, der Bildungsföderalismus gehöre abgeschafft; im Frühjahr noch stöhnte sie: Was nottäte, wäre eigentlich ein Fridays for Education, wofür sie von einigen Kultusministern scharf gerügt wurde. Bei Lanz stellt sie nun stolz ein „Start-Chancen“-Programm vor, eine Milliarde, na ja, vielleicht auch zwei, für die 4.000 schlimmsten Schulen, eine Viertelmillion also für jede. Davon können die dann die Klos renovieren oder vier Lehrer einstellen – aber erst ab 2024, bis dahin muss das erst noch geplant und vor allem mit den Ländern abgestimmt werden.

Ach heiliger Erhard Eppler, ehemaliger Bundesentwicklungshilfeminister, du Schutzheiliger aller, die demonstrativ zurücktreten, weil sie ihre Aufgabe nicht erledigen dürfen, die plakativ scheitern und damit für Klarheit sorgen. Es wäre ja schon mal ein schöner Zug, sagt Sascha Lobo, der Zweite in der Runde, wenn Frau Stark-Watzinger mal im Bundestag kräftig auf den Putz hauen würde. Dann verteidigt er die Eltern, deren Lobbykraft nicht für einen Aufstand reicht, weil der ADAC mehr Mitglieder hat als alle Erziehungsberechtigten, die ohnehin überfordert seien mit dem Klein-klein des Alltags. Nein, für gute Schulen zu sorgen sei die Aufgabe des Staates.

Warum der das nicht tut, bringt der Bildungsforscher Aladin El-Mafaalani auf den Punkt: Während Experten den Bremsweg diskutieren, stehen die Praktiker schon kurz vor der Wand. Warum nichts passiere? Pädagogisch wissen fast alle, was zu tun ist, aber anders als beim Klima sei die Bildungskatastrophe noch nicht ins Bewusstsein der Öffentlichkeit getreten. Es braucht einen Wumms, eine Ansage von ungefähr 100 Milliarden Euro, damit die Bedeutung des Problems, die Dramatik und die Notwendigkeit langfristiger Geldausgaben in die Diskussion kommt.

Denn nur durch viel Geld zeigen Politiker, und verstehen die Bürger, dass etwas wirklich ernst genommen wird. Einen Doppelwumms dürfte es aber kosten, wenn auch nur das jüngste Grundschul-Gutachten der Kultusministerkonferenz ernst genommen würde, und zwanzig Jahre dürfte es dauern. Zurück in die mitternächtliche talk-Runde. Das Geld zu beschaffen, wäre trotz Schuldenbremse kein Problem, man bräuchte nicht einmal die Kaschierung über Sondervermögen, trug die kluge Ökonomin in der Runde, Philippa Sigl-Glöckner, bei. Klingt plausibel, kann ich aber hier in Kürze nicht erklären. Schwieriger wird es bei der Frage, woher die Lehrer kommen sollen, wo doch jetzt schon die Hälfte der Lehramtsstudenten spätestens dann, wenn sie mal in einer Schule waren, das Studium abbrechen. Offenbar brauchen wir eben nicht nur eine pekuniäre, sondern auch eine pädagogische Revolution. Auch dafür erinnere ich mich an mehr als genug gute Ideen.

Demonstration.jpg

Werfen wir doch nur einen Blick  auf unsere Politiker-innen, dort sehen wir doch wo die Bildung im Land angekommen ist. Wo liegt denn die Großstadt mit Namen Dummhausen?

Resümee: Alle wissen, was zu tun ist, aber keiner tut es. Die Parallele zur Klimakatastrophe ist schlagend. Wenn wir jetzt nicht handeln, werden wir in zehn Jahren eine schlimme Lage erzeugt haben: Unterqualifikation, Wachstumsschwund, Steuerausfall – und Millionen Kinder nicht für ein halbwegs erträgliches und selbst bestimmtes Leben ausgestattet. Die Einschränkung von Lebenschancen aber ist eine Einschränkung von Freiheit – so die Argumentation, mit der das Bundesverfassungsgericht vor zwei Jahren das unzulängliche Klimagesetz der Regierung kippte und das Recht auf „intertemporale Freiheitssicherung“ in die Runde warf. Möglich wurde das, weil Sophie Backsen von der Insel Pellworm gegen die Regierung geklagt hat: die Unterlassungen in der Klimakrise von heute beschädigten ihre Freiheitsräume in ferner Zukunft. Und sie hat Recht bekommen.

Kürzlich hat das Gericht ein Recht auf den „unverzichtbaren Mindeststandard von Bildungsangeboten“ proklamiert, auf „gleichen Zugang zu Bildungschancen“, welche die „Entwicklung der Kinder und Jugendlichen zu Persönlichkeiten ermöglichen, die ihre Fähigkeiten und Begabungen entfalten und Selbst bestimmt an der Gesellschaft teilhaben können“. Das ist zum einen eine Aufforderung an Lehrer und Bildungsforscher, mal zu definieren, was für humanistische Exportweltmeister „unverzichtbar“ ist. Das kann dauern.

Aber da mit jedem Jahr Bildungschancen zerstört werden: Wo bleibt die Klage einer aufgeweckten 13-jährigen Tochter der dritten Einwanderergeneration aus Essen-Altenessen oder des dreijährigen Sohns einer alleinerziehenden Mutter aus München-Milbertshofen: für eine Schule, die in Ausstattung, Standards und Lehrer-Schüler-Quote der besten Schulen des Landes nicht nachsteht? Wenn die parlamentarischen Prozesse im Parallelogramm der gelähmten Kräfte verharren – vielleicht hilft ja die Besinnung auf ein paar Werkzeuge der politischen Aufklärung: die Gewaltenteilung und das Verfassungsrecht.

Quelle        :        TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben      —      Festakt 60 Jahre Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit am 10. Mai 2018 in der STATION BerlinBettina Stark-Watzinger

Abgelegt unter APO, Bildung, Deutschland, Positionen | Keine Kommentare »

Kolumne – Ethikrat

Erstellt von DL-Redaktion am 11. Dezember 2022

Westfälische Totleger und die Frage nach der Hackordnung

Eine Kolumne von Friederike Gräff

Als ich vor ein paar Tagen am frühen Morgen von einer Party nach Hause radelte, hörte ich lautes Hämmern in dem kleinen Park neben unserem Haus. Als ich näher kam, sah ich den Ethikrat, umgeben von Brettern und einer Handvoll aufgeplusterter Hühner. Der Ethikrat, das sind drei ältere Herren von geringer Größe, die mir gelegentlich Hinweise in Fragen praktischer Ethik geben.

„Guten Tag“, sagte ich, „werden Sie Selbstversorger, also zumindest im Eibereich?“. „Zuallererst sind wir Wissenschaftler, Frau Gräff“, sagte der Ratsvorsitzende missbilligend. „Die Hühner sind Teil unserer Forschung zum Aufbau sozialer Hierarchien“. „Natürlich“, sagte ich. Ich hatte auf der Party zu viel getrunken, und da ich zunehmend weniger vertrage und vollständig aus der Übung bin, waren die Folgen unangenehm.

Ich versuchte, unauffällig Halt an einem Baum zu finden und betrachtete die beiden anderen Ratsmitglieder, die Maschendraht für einen Hühnerstall aufspannten. Der Ratsvorsitzende betrachtete mich: „Fühlen Sie sich nicht wohl?“. „Doch“, log ich. Bevor ich die Party verließ, hatte ich noch ein paar Minuten auf einem Stuhl gewartet, bis ich das Gefühl hatte, den Raum einigermaßen gerade verlassen zu können. Es war ohnehin niemand mehr in dem Zustand, das zu würdigen, aber es schien mir trotzdem wünschenswert.

„Warum ist das Konzept von Würde so oft an die Kontrolle über den eigenen Körper geknüpft?“, fragte ich den Ratsvorsitzenden. „Ist es das?“, fragte er mit jener Ausdruckslosigkeit, die möglicherweise Teil der sokratischen Gesprächsführung, möglicherweise aber auch Ausdruck großes Desinteresses war. „Vielleicht lässt sich das nicht halten, aber ist es nicht zumindest so, dass der Respekt vor körperlicher Leistung größer ist als der vor geistiger?“, sagte ich. „Einfach, weil nahezu jeder und jede sehen kann, dass Roger Federer sehr sehr gut Tennis spielt, weil man die Schönheit seines Spiels eher erkennt als die beim Beweis der Poincaré-Vermutung“. Ich war stolz, den Namen Poincaré gerade herausgebracht zu haben, auch eine körperliche Leistung, aber der Ethikrat vorsitzende reagierte nicht darauf.

Der westfälischer Totenleger ist eine vom aussterben bedrohte Hühnerrasse.

„Es handelt sich hier um westfälische Totenleger“, damit wies er auf die braun-schwarz getüpfelten Hühner, die auf ihren dürren großen Füßen durch das Gras staksten. Eines näherte sich ihm, der Vorsitzende ergriff es und setzte es auf seinen Schoß. „Sehen Sie den Rosenkamm?“, fragte er beifällig. Ich sah etwas, das einer verschrumpelten roten Nikolausmütze glich, aber der Vorsitzende achtete ohnehin nicht auf mich. „Wir prüfen, ob durch gezielte Intervention die Etablierung einer hierarchischen Ordnung verhindert werden kann“, sagte er und wies auf eine Wasserpistole neben sich.

Quelle        :          TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —          Die Illustration zeigt zwei Bildrahmen: 1) Einen übergewichtigen Mann, der allein unter der ihn verbrennenden Sonne in einer wüsten Landschaft zwischen Tierknochen und ohne lebende Tiere oder Pflanzen sitzt 2) Ein Paradies mit vielen verschiedenen Tieren und Pflanzen, die in Harmonie mit Menschen leben Die Illustration wurde für eine Ausgabe eines Vegan-Magazins in Österreich gemacht, aber nicht verwendet. Sie zeigt die Probleme, die durch Tierausbeutung verursacht werden. Ergänzend steht am Bild: „Sie habend die Wahl … noch.“

*****************************

Unten          —   Der westfälischer Totleger ist eine vom aussterben bedrohte Hühnerrasse.

Abgelegt unter Bildung, Deutschland, Feuilleton, Regierung | Keine Kommentare »

Wider die föderale Bildung

Erstellt von DL-Redaktion am 10. Dezember 2022

Von der Chancengleichheit in der Bildung

Ein Debattenbeitrag von Ralf Pauli

Von Chancengleichheit im Bildungssystem ist Deutschland weit entfernt. Höchste Zeit, dass die Ampel den Ländern stärkere Vorgaben macht.

Einmal im Jahr, zum heutigen Tag der Bildung, veröffentlicht die gleichnamige Stiftung eine interessante repräsentative Umfrage. Interessant deshalb, weil dort ausnahmsweise mal nicht Eltern oder Lehrkräfte zum deutschen Bildungssystem befragt werden – sondern junge Leute zwischen 14 und 21. Die Peergroup sozusagen. Und was die zum Zustand unseres Schulsystems denkt, sollte ernsthaft nachdenklich stimmen.

Nicht einmal je­de:r Dritte ist der Ansicht, dass alle Kinder in Deutschland die gleichen Chancen auf eine gute Bildung haben. So skeptisch wie in diesem Jahr ist die Umfrage noch nie ausgefallen. Auffällig dabei ist: Je älter die Befragten sind, desto weniger glauben sie an die Bildungsgerechtigkeit. Vermutlich, weil sie selbst miterleben, wie sehr sie in den weiterführenden Schulen unter ihresgleichen bleiben. Die Privilegierten im Gymnasium, der Rest in den Resteschulen.

Das Aufstiegsversprechen passt nicht zur Lebenserfahrung junger Menschen. Ganz neu ist die Erkenntnis natürlich nicht. Man­che:r Po­li­ti­ke­r:in aber hielt die Chancenungleichheit, die die erste Pisa-Studie vor gut 20 Jahren offenlegte, schon für überwunden. Oder so gut wie. Anzeichen dafür gab es durchaus: Mehr und mehr Kinder aus Arbeiter- und Zuwandererfamilien schafften es bis an die Uni. Die Schranken für den zweiten Bildungsweg wurden immer weiter abgebaut.

Und auch Eltern aus bildungsbenachteiligten Schichten gaben ihre Kinder zunehmend in Kita- und Ganztagsbetreuung. Von gleichen Chancen konnte und kann trotzdem noch lange keine Rede sein. Im Gegenteil. Wie die jüngste IQB-Studie zeigt, nimmt der Einfluss des Elternhauses auf den Bildungserfolg sogar zu. Spätestens jetzt müsste den Schön­fär­be­r-in­nen klar geworden sein, dass Deutschland hier auf der Stelle tritt. Oder anders formuliert: Alle Versuche der zuständigen Länder, gleiche Bildungschancen herzustellen, sind mehr oder weniger gescheitert.

Günstige Zeit für Reformen

Keine Frage, die Bil­dungs­mi­nis­te­r-in­nen sind ordentlich unter Zugzwang. An diesem Freitag wollen sie ein wissenschaftliches Gutachten vorstellen, wie die Bildungschancen der weniger privilegierten Kinder nicht schon in der Grundschule flöten gehen. Nach dem Pisa-Schock 2.0 zeigen sich die Länder entschlossen, das Pro­blem endlich anzugehen.

Die Frage ist nur: Reicht der gute Wille, oder muss der Bund dem föderalen, sechzehnfachen Vor-sich-hin-Gemurkse nicht langsam ein Ende machen und stärker in der Bildungspolitik mitmischen? Etwa in der Definition von bundesweiten Standards – von verpflichtenden Sprachtests im Vorschulalter bis hin zu den Kriterien, nach denen bedürftige Schulen zusätzliches Personal erhalten.

Schaden würde es bestimmt nicht. Vielmehr machte es die Bildungs­bemühungen der Länder vergleichbarer und damit das System gerechter. Der Zeitpunkt für eine neuerliche Föderalismusreform scheint jedenfalls günstig zu sein. Zum einen lässt die Kritik von Bil­dungs­for­scher-in­nen an bisherigen Bund-Länder-Programmen keinen Spielraum für Interpretationen.

Wer vermeiden möchte, dass die nächsten Bundesmilliarden wieder genauso ziellos und unwirksam ausgegeben werden wie letzthin für die Bekämpfung pandemiebedingter Lernlücken, kommt um einheitliche Standards und klare Zielvorgaben nicht herum. Die Länder müssen sich bewegen, wenn sie wie im Sommer lautstark eine Verlängerung des Corona-Aufholprogramms und weitere 500 Millionen Euro vom Bund verlangen.

Hohe Summen für die Chancengleichheit

Völlig zu Recht fordern Bil­dungs­po­li­ti­ker-innen der Ampelparteien, dass mit dem Prinzip Gießkanne – das den Ländern so gut in den Kram passt, weil es sie zu nichts verpflichtet – nun bald Schluss ist. Und dass die Bundesregierung den Ländern künftig im Gegenzug zur locker sitzenden Brieftasche mehr Zugeständnisse abverlangt. Immerhin ist die Ampel mit dem Ziel angetreten, die Rolle des Bundes in der Bildung zu stärken. Seit 2006 darf der Bund laut Grundgesetz nicht mehr in Bildung investieren.

Später haben Bundestag und Bundesrat das „Kooperationsverbot“ auf Drängen der SPD gelockert. Die Ampel will nun auch inhaltlich ein Wörtchen mitreden dürfen. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) träumt von einer „neuen Kooperation zwischen Bund und Ländern“.

Quelle       :         TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

*********************************************************

Grafikquelle :

Oben      —      Festakt 60 Jahre Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit am 10. Mai 2018 in der STATION BerlinBettina Stark-Watzinger

Abgelegt unter Bildung, Deutschland, Kultur, Mensch, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

Der Schlüssel liegt im Süden

Erstellt von DL-Redaktion am 9. Dezember 2022

Den Kapitalismus abschaffen oder grünes Wachstum fördern?

Ein Debattenbeitrag von Bernward Gesang

Was wir Deutschen gegen die Klimakrise tun können. Können wir im „Norden“ das nachholende Wachstum des „Südens“ ausgleichen? Und wie viel müssten wir schrumpfen?

Das perfide Zusammenwirken von Ökologie und Ökonomie treibt uns in eine beispiellose Krise, auf die es zwei Antworten gibt, die beide völlig unbefriedigend sind: Postwachstumsökonomie (PWÖ) und Green New Deal. Zwei Auswege für eine im Grunde ausweglose Situation, die sich durch unkontrolliertes Wachstum und globalen Kapitalismus ergeben hat: Die Menschheit verbraucht viel mehr, als unsere Erde auf Dauer zu bieten hat. Die Vertreter der PWÖ entgegnen darauf: Schluss mit dem Wachstum, das uns die Krise eingebrockt hat! Nur verändertes Konsumverhalten senkt die Wachstumskurven wirklich. Wir dürfen den Bock des Wachstums nicht zum Gärtner machen und meinen, noch mehr „ergrüntes“ Wachstum würde uns retten.

Genau das meinen Vertreter des Green New Deals. Sie setzen auf nachhaltiges Wachstum: technologische Innovationen und Marktwirtschaft, eventuell gepaart mit gezielten Verboten schädlichen Konsums. Man muss für dieses Modell nicht den Menschen und die Wirtschaft neu erfinden, es nutzt altbekannte Pfade, zum Beispiel den Egoismus des Homo oeconomicus, wenngleich auf lange Sicht.

Dagegen protestieren die Postwachstumsökonomen, nachhaltiges Wachstum sei unmöglich, besonders wegen der bekannten Bumerangeffekte. Diese treten auf, wenn wir beispielsweise ein einzelnes Auto effizienter als zuvor produzieren. Wenn so weniger Sprit pro Fahrt verbraucht wird, wird Auto fahren billiger, weshalb sich der Spritverbrauch der gesamten Flotte trotz sparsamerer einzelner Autos erhöht. Nur wegen dieses Schemas erkläre sich, weshalb unsere Klimagasemissionen auch dann steigen, wenn ein Produkt ökologisch effizienter als sein Vorläufer ist. Vertreter des Green New Deal kontern, dass man solche Entwicklungen durch globale Steuern vermeiden kann. Aber jeder weiß, wie schwer globale Steuern zu erheben sind.

Ulrike Herrmann von der taz hat jüngst den Wachstumsoptimisten die Leviten gelesen. Es werde auch in Zukunft insbesondere in der Technologie zur Speicherung erneuerbarer Energien einen Engpass geben. Es sei ausgeschlossen, jemals genug Ökostrom zu erzeugen, um die Emis­sio­nen auf null zu senken und gleichzeitig die Wirtschaftsleistung weiterhin zu steigern. Weil der Kapitalismus ohne Wachstum nicht funktioniere, lasse sich die Klimakrise nicht lösen, ohne ihn abzuschaffen. Allerdings ist es nicht nötig anzunehmen, dass eine technische Unmöglichkeit an einem bestimmten Punkt das ganze grüne Wachstum dauerhaft aushebelt. Dazu sind unsere Ingenieure doch zu dynamisch. Zudem widerspricht Herrmann überzeugend Studien (etwa von Agora Energiewende), wonach grünes Wachstum billig und sogar ein Geschäft wäre, wenn es erst einmal damit losginge. In der Tat, der Green New Deal scheint größenwahnsinnig, wenn er davon ausgeht, nur fünf- oder zehnfaches Wachstum bringe uns aus der Krise, die wir dem Wachstum verdanken.

Allerdings scheint mir die Alternative, die PWÖ, nicht gleichermaßen kritisch analysiert zu werden. Es gibt ein Recht auf ein würdevolles Leben und eine Wirtschaft ohne Armut. Die Frage ist: Wenn wir global nachholendes Wachstum brauchen, können wir im „Norden“ das nachholende Wachstum des „Südens“ ausgleichen? Wie viel müssten wir schrumpfen? Ich behaupte mal so viel, dass dies keine Akzeptanz bei uns finden würde, selbst wenn man ein Ende von Konsum und Erwerbsarbeit als Befreiung kommunizierte. Das zeigt die manische Diskussion der Energiekrise in diesem Winter, die schlimmstenfalls nur einen Bruchteil der Schrumpfung bedeuten würde, die uns eine PWÖ zumutete.

Zudem braucht der Globale Süden hoch entwickelte Technik, damit er sauberer wachsen kann, als wir es getan haben. Dazu müssen wir innovativ wachsen. Zudem werden manche Länder im Globalen Norden (etwa die USA) genug grüne Energie für sich selbst produzieren können, anders als das energiearme Deutschland. Diese Länder werden niemals auf eine PWÖ umschwenken. Würden wir in Deutschland alleine den Konkurrenznachteil eines Wachstumsstopps in Kauf nehmen? Rea­li­sier­ba­rer als eine völlig neue Wirtschaftsweise scheint es zu sein, die Prioritäten des Klimaschutzes in Deutschland neu zu ordnen.

Quelle         :         TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen     :

Oben       —       Autowrack („VW Käfer“) am Grund des Walchensees

Abgelegt unter Bildung, Energiepolitik, International, Positionen, Umwelt | Keine Kommentare »

#Die Linke Mit Zukunft

Erstellt von DL-Redaktion am 6. Dezember 2022

 „Berliner Treffen progressiver Linker in und bei der Partei DIE LINKE“

Quelle:    Scharf  —  Links

Erklärung des Berliner Treffens

Am 03. Dezember 2022 haben wir uns als progressive Linke in und bei der Partei Die Linke getroffen, um uns zur aktuellen Situation der Partei und ihren internen Konflikten auszutauschen. Dabei verständigten wir uns über folgende Positionen und das weitere Vorgehen:

Das Jahr 2023 wird für die weitere Entwicklung der Partei die Linke ein Schlüsseljahr. Sie befindet sich in einer existenziellen Krise. Zur Überwindung der Krise schlagen wir als Weg einer neuen politischen Erkennbarkeit der Linken vor, sich auf ihre festgeschriebenen programmatischen Grundwerte zu besinnen und endlich wieder unmissverständlich und eindeutig innerhalb des verbindlichen und unverletzbaren Korridors ihrer Kommunikation und Politik zu bewegen. Ausgangspunkt einer solchen Erneuerung sind für uns die linken Grundwerte, die wir vor 15 Jahren als Grundkonsens der neuen LINKEN formuliert haben. Diesen wollen wir verteidigen, bekräftigen und auf die heutige Zeit übertragen: „Gemeinsam wollen wir eine Partei, wie es sie in Deutschland noch nicht gab – Linke einigend, demokratisch und sozial, ökologisch, feministisch und antipatriarchal, offen und plural, streitbar und tolerant, antirassistisch und antifaschistisch, eine konsequente Friedenspolitik verfolgend.“ Wir wenden uns strikt gegen jeglichen Antisemitismus.

Die Landtagswahlen in Berlin, Bremen, Hessen und Bayern werden die Frage beantworten, ob es ihr nach den Wahlniederlagen der vergangenen 14 Monate gelingt, ihre derzeitige Misere zu überwinden. Insbesondere, ob es ihr gelingt, in Zeiten multipler Krisen den Nachweis zu erbringen, gebraucht zu werden. Dabei ist eine starke linke Partei in einer Zeit, die von der russischen Aggression gegen die Ukraine, der voranschreitenden Klimakrise, weltweiten Fluchtbewegungen und wachsenden sozialen Ungleichheit geprägt ist, eine unverzichtbare Notwendigkeit! Das gilt vor allem hierzulande.

Als progressive Linke suchen wir zusammenführende und solidarische Antworten. Das heißt, wir suchen nach Antworten, die Krisen und Diskriminierungen gleichermaßen in den Fokus nehmen und nicht Betroffene gegeneinander ausspielen. Wir suchen nach Antworten, die Ungerechtigkeiten im eigenen Land benennen, ohne sich von der Welt abzuschotten. Und wir suchen nach gegenwärtigen Antworten, die die existenziellen Herausforderungen der Menschheit aufzeigen, ohne sich die Perspektive einer demokratisch-sozialistischen, solidarischen Gesellschaft zu verbauen. Dafür wollen wir gemeinsam mit der Partei, Gewerkschaften und Sozialverbänden, mit Initiativen für Umverteilung, sozialer Gerechtigkeit, gegen Diskriminierungen, mit Bewegungen gegen die kommende Klimakatastrophe, Initiativen für Solidarität mit Geflüchteten und in den vor uns liegenden Wahlkämpfen unteilbar eintreten. Deutschland braucht eine demokratisch-sozialistische Partei, die für eine solidarische Gesellschaft streitet.

Um diese Aufgabe erfolgreich zu bewältigen, müssen wir unsere Hausaufgaben machen und für die Menschen eindeutig erkennbar werden. Und das wollen wir! Jedoch erreicht die Partei in Umfragen auf Bundesebene derzeit nur etwa 4 bis 5 Prozent. In einigen westdeutschen Flächenländern weniger als 3 Prozent, mehrheitlich nur 2 Prozent. In Bayern, NRW und Rheinland-Pfalz weisen Umfragen einen nicht messbaren Zuspruch auf. Die Kompensation der Schwäche der westlichen Bundesländer durch die guten Ergebnisse der ostdeutschen Länder ist aufgebraucht und unmöglich bei Umfrage- und Wahlergebnissen um 10 Prozent. Inzwischen greift diese Entwicklung auch auf die bisher besser dastehenden Metropolen über. Das wollen wir stoppen!

Der erneute Versuch diese Entwicklung durch eine Fokussierung der Partei auf die sich verschärfende soziale Situation mit einem „heißen Herbst“ zu beantworten, war notwendig, hat aber ihre eigene Lage nicht verändert. Das große Engagement tausender Mitglieder verdient großen Respekt. Viele von uns gehören mit zu den Aktiven. In Regierungsverantwortung und in kommunalen Parlamenten konnten wir Entlastungspakete durchsetzen, durch die das soziale Ungleichgewicht der Ampel-Politik zum Teil kompensiert wurde und so die soziale Lage gerade von Menschen mit wenig Geld verbessert hat. Doch zum wiederholten Male zeigt sich, dass dringende sozialpolitische Antworten nicht überzeugen, solange keine Geschlossenheit in anderen gesellschaftspolitisch relevanten Fragen gegeben ist und reale Durchsetzungsperspektiven für notwendige Änderungen erkennbar werden. Diese Übereinstimmung muss hergestellt werden!

Dazu ist es auch notwendig sich mit dem Begriff des „Linkskonservatismus“ und dem ihm zugrundeliegenden Politikkonzept auseinanderzusetzen. Wir halten diesen für wenig zutreffend und zitieren ihn nur als Eigenbeschreibung aus dem Buch „Die Selbstgerechten“. Unsere Kritik richtet sich daher auch in keiner Weise gegen gewerkschaftlich organisierte oder kapitalismuskritische, internationalistische Linke. Ganz im Gegenteil, wir sehen sie als Bündnispartner*innen einer zukunftsfähigen Linken. Der zitierte „Linkskonservatismus“ jedoch hat mit den Werten der internationalen Solidarität vollständig gebrochen. In seiner Selbstdarstellung ist er dem Inhalt nach sozialkonservativer Nationalpopulismus für die vermeintliche Mehrheit der „deutschen Bürger“, der in Stellung gebracht wird gegen Geflüchtete, queere Menschen, Klimabewegte und andere „skurrile Minderheiten“. Er grenzt sich offensiv von sozialen, antifaschistischen Bewegungen und solchen gegen Diskriminierungen, von linker Organisierung in Gewerkschaften, konkreter Solidarität und Internationalismus ab.

In zentralen gesellschaftspolitischen Fragen wird so die Partei seit langem inhaltlich tief gespalten. In der öffentlichen Wahrnehmung wird insbesondere die in der Bundestagsfraktion hartnäckig tolerierte Koexistenz unvereinbarer Positionen zu Recht als unwählbare „Zerstrittenheit“ reflektiert. Die u.a. aus Angst vor einer organisatorischen Spaltung erwachsende Unfähigkeit, die Situation politisch zu entscheiden, führt zu einer langanhaltenden, selbstzerstörerischen Erosion der Linken. Wir wollen das ändern!

II

Im Kern hat die Partei drei Möglichkeiten auf ihre Misere zu reagieren:

Sie kann die öffentlich wahrgenommene Folgenlosigkeit der oft aus der Fraktion provozierend vorgetragenen, antagonistischen Positionen in zentralen gesellschaftspolitischen Fragen fortsetzen. Die Antwort, wie das auf die Organisation, Mitgliederentwicklung und den Zuspruch der Wähler*innen wirkt, wurde seit der Bundestagswahl mehrfach klar gegeben. Es ist der Weg in die Bedeutungslosigkeit.

Sie kann sich die „linkskonservativen“ Ansichten Einiger grundsätzlich zu eigen machen und, wie es die indifferente Mehrheit der Bundestagsfraktion schon jetzt macht, zulassen, dass das Profil der Partei allmählich programmatisch und strategisch entsprechend ausgerichtet wird. Das ist definitiv nicht unser Weg, sorgt aber bei Menschen für Klarheit und beendet die derzeitig selbstzerstörerische Beliebigkeit.

Oder sie besinnt sich auf ihre festgeschriebenen programmatischen Grundwerte und macht diese endlich wieder unmissverständlich und eindeutig zum verbindlichen und unverletzbaren Korridor ihrer Kommunikation und Politik.

Zur Überwindung der Krise schlagen wir als Weg einer neuen politischen Erkennbarkeit der Linken die letzte der genannten Möglichkeiten vor.

Karl-Liebknecht-HausSchuschke.JPG

Übersetzt in die heutige Zeit bedeutet das: Wir wollen eine Partei, die:

  • in den Zeiten globaler Herausforderungen als demokratisch-sozialistische Linke für ökologische, friedenspolitische und ökonomische Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit sowie für die Wahrung und für die zivile wie demokratische Durchsetzung universeller sozialer und politischer Menschenrechte steht. Diese Ziele formulieren die Interessen der Mehrheit aller Menschen und sind für uns die zentralen Werte demokratisch-sozialistischer Politik. Abschottung, Diskriminierung und Ausgrenzung sind damit unvereinbar und lehnen wir in der Gesellschaft und in der Partei ab. Wir spielen nicht soziale Gerechtigkeit gegen Freiheitsrechte aus. Antifaschismus ist eine Kernaufgabe unserer Partei. Wir sind solidarisch mit Antifaschist*innen weltweit. Wir wehren uns gegen die Kriminalisierung antifaschistischen Handelns in Deutschland.
  • gemeinsam Politik mit all denen gestaltet, die für eine Gesellschaft stehen, in der alle Menschen in Würde leben können und in der Solidarität und soziale Gerechtigkeit die Grundlage sind. Dabei gehen wir davon aus, dass die Freiheit der Einzelnen nur dort dauerhaft Wirklichkeit werden kann, wo sie nicht auf Kosten oder durch Unterdrückung Anderer bzw. ihrer Diskriminierung erfolgt und wo mit Solidarität gesellschaftlichen Herausforderungen begegnet wird. Wir wollen uns sowohl für die Interessen der Arbeitenden (z.B. Erwerbstätige, Carearbeiternnen, Selbständige, Transfergeldempfänger*innen) als auch für die der Geflüchteten, Erwerbsunfähigen und Rentnerinnen einsetzen.
  • eintritt für eine global gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und für den bestimmenden Einfluss öffentlichen, genossenschaftlichen und gesellschaftlichen Eigentums, insbesondere bei der öffentlichen Daseinsvorsorge und Grund und Boden. Der neoliberale Kapitalismus ist gescheitert. Er hat die Systemwidersprüche nicht nur nicht gelöst sondern verschärft. Wir brauchen (wieder) mehr eine an den existenziellen Bedürfnissen der Gesellschaften ausgerichtete Regulierung.
  • dafür kämpft, dass die Welt bewohnbar bleibt. Ohne Klimagerechtigkeit, den ökologischen und sozialverträglichen Umbau der Wirtschaft und Gesellschaft wird das nicht gelingen. Der Klimawandel wird die Ärmsten am härtesten treffen. Statt die Klimabewegung als ein Mittelschichtsprotest zu kritisieren, kämpfen wir mit und innerhalb der Klimabewegung für demokratische und sozialistische Lösungen. Klimaproteste müssen mit dem Kampf gegen Kapitalismus und Konzerne verbunden und nicht gegen die Interessen sozialer Gerechtigkeit ausgespielt werden. Wir suchen mit den von der notwendigen Transformation Betroffenen nach solidarischen Lösungen für einen sozialen und ökologischen Umbau. Klimagerechtigkeit bedeutet Gerechtigkeit sowohl innerhalb von Deutschland als auch für den globalen Süden.
  • weiß, dass es leicht ist, die Näherin in Bangladesch gegen den Kassierer im Discounter auszuspielen, die hiesige Fabrikarbeiterin gegen den Fischer in Somalia. Nichts anderes ist die rechte Mobilisierung, die unter dem Motto „Wir zuerst!“ stattfindet, leider oft erfolgreich. Das ist nicht nur zutiefst egoistisch sondern auch abgrundtief dumm. Wer nicht bereit ist, die Interessen der von den globalen Krisen und Verteilungsungerechtigkeiten am stärksten Betroffenen mit in das eigene Denken und Handeln einzubeziehen, wird diese vertiefen, verstärken und letztendlich selbst immer stärker betroffen sein.
  • den Prozess der europäischen Integration als Herausforderung und Chance begreift, die Europäische Union weiter zu demokratisieren, friedlicher, gerechter und ökologischer zu gestalten. Ein Zurück zu Nationalismus und regionale Borniertheit sind für uns keine Option. Der Irrweg des Brexit zeigt, dass mit dem Setzen auf die nationale Karte die großen internationalen Herausforderungen nicht zu bewältigen sind. Vielmehr kommt es gerade jetzt darauf an, auf der Ebene der Mitgliedsstaaten die unter dem Druck der aktuellen Krisen vorgenommenen Kurskorrekturen der EU wie die Aufnahme gemeinsamer Kredite zur Finanzierung ökologisch orientierter Investitionsprogramme zu unterstützen und zu nutzen. Es kommt darauf an, dafür einzutreten, derartige Programme wesentlich konsequenter auf soziale und Klimaschutzziele auszurichten und die Europäische Union insgesamt vom Ballast neoliberaler Politik zu befreien. Eine eigenständige, fortschrittliche Politik auf der Ebene der Mitgliedsstaaten – gemeinsam mit möglichst vielen anderen EU-Mitgliedsländern – erhöht den Druck in Richtung sozialer und ökologischer Reformen auf EU-Ebene. Dadurch entsteht wiederum erweiterter Spielraum für fortschrittliche Politik im einzelstaatlichen und regionalen Rahmen. Staaten stellen immer noch starke Kräfte für eigenständige regionale Regulierung dar, für viele sind sie auch der Ordnungsrahmen für Politik, und dennoch wird es ihnen ohne wachsende internationale Kooperation zunehmend unmöglich, Probleme zu lösen und den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden.
  • gerade jetzt europäische Solidarität, Vernetzung und gemeinsames Handeln im Rahmen der Europäischen Linken als unverzichtbar ansieht. Im Hinblick auf die Europawahl machen wir uns als Gegenpol zum dramatischen neonationalistischen Aufstieg der Rechten in Europa für eine klare, gemeinsame Perspektive eines solidarischen Europas stark. Dabei wissen wir, diese Erneuerung kann nur gelingen mit der Solidarität aller Linken in Europa und einer Vision einer anderen, solidarischen und gerechteren Europäischen Union.
  • den verbrecherischen Angriffskrieg Russlands und die von Russland begangenen Kriegsverbrechen aufs Schärfste verurteilt und sich für eine Bestrafung der Verantwortlichen einsetzt. Unsere Solidarität gilt den Menschen in der Ukraine, die leiden, Widerstand leisten oder flüchten müssen. Wir verteidigen alle Menschenrechte an jedem Ort. Wir erkennen das Recht des ukrainischen Volkes auf Selbstverteidigung gegen den russischen Angriff entsprechend der UN-Charta Art. 51 an. Zur Beendigung des russischen Krieges gegen die Ukraine fordern wir den vollständigen Rückzug russischer Truppen aus der Ukraine und einen entsprechenden Waffenstillstand, der den Weg zu ernsthaften Friedensverhandlungen freimacht. Unsere Solidarität gehört ebenso den Menschen in Russland, die sich gegen den Krieg stellen, desertieren und dafür Verfolgung befürchten müssen.
  • solidarisch ist mit allen Menschen weltweit, die von Krieg und Verfolgung bedroht sind, und die sich allen Brüchen des Völkerrechts und imperialistischer und neokolonialer Machtpolitik entgegenstellt. Unser Antimilitarismus bedeutet, dass wir für die politische Perspektive einer europäischen und globalen Friedensordnung, für friedenspolitische Nachhaltigkeit, die Nichtweiterverbreitung sowie den Abbau von Massenvernichtungswaffen und die Stärkung von Diplomatie, auch im Rahmen der Vereinten Nationen, eintreten.
  • eine Politik, die die Emanzipation der Einzelnen als politische Selbstbefreiung von allen Unterdrückungs- und Diskriminierungsverhältnissen entwickelt, ermöglicht und stärkt. Soziale und politische Teilhabe und Selbstbestimmung sind für uns Ziel und Weg progressiver gesellschaftlicher Entwicklung. Wir wollen mit solidarischer Selbstverwaltung und Selbstorganisation im täglichen Leben wie in Verbindung mit gemeinschaftlicher Kooperation einen Beitrag zur Schaffung einer solidarischen Gesellschaft leisten.
  • sich für eine feministische und antipatriarchale Politik, für die Rechte von queeren Menschen einsetzt, die gemeinsam mit ihnen gegen die Diskriminierung von LGBTIQ kämpft. Wir sehen Vielfalt nicht als Bedrohung sondern als Bereicherung. Für uns sind die Rechte von Frauen und LGBTIQ nicht verhandelbar. Wir verteidigen die erreichten Fortschritte und machen uns stark für echte Gleichstellung in allen Bereichen.
  • auf der Grundlage dieser Ziele und Werte eine solidarische Gesellschaft im Hier und Heute anstrebt und erkämpft und durch progressive Mehrheiten sichert. Diesen Prozess rsp. eine solche Gesellschaft verstehen wir als einen immer wieder neu zu erkämpfenden sozialen und kulturellen Gestaltungsraum und keinen einmal errungenen Zustand mit automatischem Machterhalt. Je mehr Menschen ihn anstreben, desto größer wird er. Als Teil dieser Gesellschaft wollen wir sie demokratisch und rechtsstaatlich verändern. Demokratie, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit sind zivilisatorische Errungenschaften, die wir wahren, beschützen und ausbauen werden. Bei aller Kritik an bürgerlichen Parteien werden wir nicht Demokraten mit den Feinden der Demokratie gleichsetzen.
  • bei allen Handlungen und in jeder Form politisch authentisch bleibt. Für uns ist Opposition kein Mist und Regieren kein Wert an sich. Wir nutzen die demokratischen Grundrechte, die Öffentlichkeit, Streiks, den zivilen Ungehorsam und die Möglichkeiten der Direkten Demokratie. Jedoch gibt es ohne qualifiziertes, widerständiges Regieren und ohne Gestaltungsoptionen auf allen Ebenen auch keine nachhaltigen Lösungen der Herausforderungen im Land und in der Welt.
  • solidarisch gegenüber und Teil von progressiven Bewegungen und Gewerkschaften ist und Bündnis-partner*innen aus der Zivilgesellschaft für wichtig hält. Eine linke Partei hat keine Chance die Gesellschaft zu verändern, wenn sie nicht nachdrücklich auch außerhalb des Parlaments Bündnisse eingeht. Unsere politischen Biografien sind eng verbunden mit dem Engagement in sozialen und vielen anderen Bewegungen, Gewerkschaften und in der Zivilgesellschaft. Wir verstehen uns nicht nur als verlässliche Partnerinnen sondern auch als Teil der Gewerkschaften und ihrer Arbeitskämpfe wie Teil des dem davon nicht zu trennenden Kampf gegen Rechts und für unteilbare soziale als auch Freiheitsrechte. Eine progressive Linke hat die Unterordnung sozialer Kämpfe von Diskriminierten und Minderheiten unter einen vermeintlichen Hauptwiderspruch unumkehrbar überwunden. „Wir kämpfen gegen alle Verhältnisse, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ (Karl Marx)
  • eine lebendige Mitgliederpartei ist. Wir schaffen Diskussionsräume, die allen Genoss*innen und Sympathisant*innen vor Ort offenstehen, deren Ergebnisse nicht ins Leere laufen. Wir stärken basisdemokratische Elemente. Nur so können wir mit gesellschaftlichen Debatten Schritt halten und in diese einbringen.

III

Eine solche Linke wird in unserer Zeit dringend gebraucht. Sie wäre aus unserer Sicht für viele Menschen ein notwendiger und attraktiver Rahmen für konkretes parteipolitisches Engagement und könnte die Gesellschaft zu mehr sozialer und Klimagerechtigkeit, zu mehr Demokratie und echter Freiheit verändern. Zugleich würde sie erfolgreich die Interessen vieler Menschen vertreten. Anders als „Linkskonservative“ drangsalieren und zerstören wir die Partei nicht mit der permanenten Androhung einer Spaltung. Wir haben für dieses Verhalten kein Verständnis und erwarten, dass darauf unmissverständlich reagiert wird. Gerade weil dadurch die gesamte Partei erodiert, darf weder sie sich noch eine ihrer Vertretungen in den Parlamenten durch Spaltungsdrohungen erpressen lassen. Auf ein solches Vorgehen muss nachhaltig reagiert werden.

File:DIE LINKE Bundesparteitag 10. Mai 2014-2.jpg

Es spricht nicht gerade für eine Partei, wenn sie sich so Unpersönlich äußert !

Wer dauerhaft nicht bereit ist, Beschlüsse und Grundwerte der Partei zu respektieren, soll diese nirgends vertreten. Wir wollen, dass in dieser Frage Klarheit geschaffen wird. Das ist eine Aufgabe aller Gremien, vor allem aber des Partei- und Fraktionsvorstands. Die Linke ist eine politische Errungenschaft, die wir verteidigen. Wir gehen aber davon aus, dass die Sicherung ihrer Existenz nur mit klaren Richtungsentscheidungen möglich ist. In der Bundestagsfraktion ist dies nicht gelungen. Im Gegenteil: u.a. in der Klimapolitik wurden die falschen Signale gesetzt. Zuletzt wurden gerade auf dem Parteitag getroffene Übereinkünfte in der Außenpolitik konterkariert. Dies hat zu zahlreichen Austritten geführt, die wir sehr bedauern. So enttäuscht und demotiviert die Bundestagsfraktion viele Genoss*innen an der Basis. Das muss sich ändern. Wir erwarten vom Fraktionsvorstand, sicherzustellen, dass die Grundwerte der Partei nicht durch Mitglieder der Fraktion verletzt werden. Ende kommenden Jahres zieht die Bundestagsfraktion ihre Halbzeitbilanz und wählt im IV. Quartal einen neuen Vorstand. Er wird bis zum Ende der Wahlperiode die parlamentarische Politik der Bundespartei prägen. Derzeit ist ein Wille zu einer Richtungsänderung nicht erkennbar. Eher das Streben nach Kontinuität und ein „Weiter so“. Das ist für uns inakzeptabel. Hier Veränderungen herbeizuführen ist nicht zuletzt eine Aufgabe für den Parteivorstand.

Die Wahlen im ersten Halbjahr in Berlin und Bremen, also in zwei unseren bisher erfolgreichsten Landesverbänden, sind für uns die Nagelprobe, ob dieser Kurs landespolitische Erfolge und damit letztlich auch Erfolge bei bundesweiten Wahlen überhaupt noch zulässt. Wir werden, wie bisher, die wahlkämpfenden Landesverbände unterstützen und ihre Ergebnisse auswerten.

Die Ergebnisse der Landtagswahlen 2022 und 2023 sind bzw. werden für uns keine ignorier baren, rein regionalen Bewertungen von Landesverbänden sein. In vieler Hinsicht sind sie Urabstimmungen der Menschen über die offensichtliche Zerrissenheit der Partei und damit leider auch Vorboten für die Wahlen in 2024, wenn sich die Situation nicht ändert. Für diese Interpretation gibt es viele gute Gründe.

Der Parteivorstand plant für November 2023 den nächsten Bundesparteitag. Dieser und der Parteitag im Juni 2024 werden die letzten Möglichkeiten sein, klar und nachhaltig auf die Krise der Partei zu reagieren. Wir wollen eine programmatische und strategische Debatte auch zum EU-Wahlprogramm nutzen und Diskurse organisieren. Wir kämpfen darum, dass bis dahin und dort, konsequente und erkennbare Entscheidungen für eine inhaltliche und organisatorische Erneuerung getroffen werden:
Bereits im März werden wir auf einem Treffen die Ergebnisse der Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin auswerten und weitere Schritte zur programmatischen und strategischen Erneuerung der Partei diskutieren. Zugleich wollen wir dort eine bundesweite Konferenz im Mai/Juni 2023 vorbereiten, auf welcher wir Anträge zu inhaltlichen und organisatorischen Entscheidungen an den Bundesparteitag im November diskutieren und verabschieden.

Bis dahin werden wir diese gemeinsam in einem transparenten Prozess erarbeiten und in Kreis- und Landesparteitage sowie regionale Treffen mit progressiven linken Bewegungen zur Diskussion und Abstimmung einbringen, wie es in einigen Landesverbänden bereits stattfand. Nach der Verabschiedung unserer Anträge an den Bundesparteitag im Mai/Juni wollen wir bundesweit bei Mitgliedern der Partei um namentliche Unterstützung werben. Wir wollen eine breite Debatte und Unterstützung für eine notwendige Richtungsentscheidung!

2023 ist nicht nur wegen vier Landtagswahlen ein Schlüsseljahr. Es ist das verbleibende Zeitfenster, um innerparteilich und öffentlich eine entsprechend wirksame Klarheit zu schaffen. Unser Ziel ist, dass die Partei zu den Europawahlen 2024, Kommunalwahlen und den Bundestagswahlen 2025 politisch eindeutig erkennbar und zu recht mit dem Namen „Die Linke“ antritt.

Wir haben eine Welt zu gewinnen. Dafür müssen wir um diese Partei als eine progressive, emanzipatorische und plurale Mitgliederpartei kämpfen. Mit uns gemeinsam das zu tun, dafür laden wir alle Genoss*innen und Sympathisant*innen ein, die sich diesen Prinzipien verbunden fühlen.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben      —   Foto: DIE LINKE NRW / Irina Neszeri

Abgelegt unter Berlin, Bildung, Kultur, P. DIE LINKE | Keine Kommentare »

Die Armbinden-Debatte

Erstellt von DL-Redaktion am 27. November 2022

Als Deutschland noch ein fanatischer Gottesstaat war

Eine Kolumne von Christian Stöcker

Hört man die Debatte über Homosexuellen-Rechte in Katar, über Armbinden und Regenbogenflaggen, könnte man zu einem völlig falschen Schluss kommen: Bei uns ist alles super, schon ewig. Das Gegenteil stimmt.

Gesellschaftlicher Fortschritt hat eine eigentümliche Eigenschaft: Wenn er erst einmal stattgefunden hat, haben alle plötzlich das Gefühl, als sei doch alles doch schon ewig so, und sie selbst seien immer dafür gewesen.

Der auf die Messung gesellschaftlichen Fortschritts spezialisierte Soziologe Heinz-Herbert Noll hat einmal geschrieben : »Aus der Retrospektive gesehen, wird daher von Fortschritt gesprochen, wenn die gegenwärtigen Lebensverhältnisse im Vergleich mit der Vergangenheit als Verbesserung betrachtet werden«.

Nun ist gesellschaftlicher Fortschritt nicht für alle Menschen jederzeit gleichermaßen erfahrbar. Für diejenigen aber, die er aktuell persönlich betrifft, ist er alles andere als abstrakt. Für diejenigen, die es schon besser haben, wirkt er womöglich sogar lästig, ja bedrohlich.

Das Geschwätz von der »Entartung des Volkes« – noch 1962

Wenn man zum Beispiel als schwuler Mann in Deutschland im Jahr 1968 lebte, konnte es einem passieren, dass man aufgrund des eins zu eins aus der Nazizeit übernommenen Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Wegen »Unzucht«.

In der schönen, demokratischen Wirtschaftswunderbundesrepublik wurden bis 1969 noch 50.000 Männer auf Basis des Nazi-Paragrafen verurteilt. Erst seit 2016 gibt es Entschädigungen für Betroffene. In der DDR fiel Paragraf 175 schon 1968. Diskriminiert und ausgegrenzt wurden Schwule und Lesben trotzdem.

Noch unter Helmut Kohl

Als ab Ende der Fünfzigerjahre darüber verhandelt wurde, das Strafgesetzbuch zu reformieren, landete in der Begründung zu einem Entwurf aus dem damals CSU-geführten Justizministerium unter anderem die Einschätzung, dass durch die »gleichgeschlechtliche Unzucht« weiterhin »die Entartung des Volkes und der Verfall seiner sittlichen Kräfte« drohten.

Kölner Dom mit Groß St.Martin.jpg

Unter den Nazis landeten bekanntlich viele Zehntausend Homosexuelle in Konzentrationslagern. Nicht viele überlebten. Der eben zitierte Satz stammt aber aus einer Bundestagsdrucksache von 1962.

In zwischenzeitlich endlich doch abgeschwächter, aber weiterhin skandalöser und von Ressentiment statt Fakten geprägter Version existierte Paragraf 175 in der BRD noch bis 1994 weiter. Noch unter Helmut Kohl verteidigte ihn die Union mit der absurden und anti-wissenschaftlichen Begründung, dass Schwule sonst verwirrte Jugendliche vom vermeintlich rechten Weg abbringen könnten.

Die Rolle der »öffentlichen Religionsgemeinschaften«

Umso erfreulicher ist es vor diesem Hintergrund, dass sich die deutsche Öffentlichkeit nun, Fußball sei Dank, so intensiv für die Rechte nicht-heterosexueller Menschen in Katar interessiert. Oft ist dabei von der reaktionären Wirkung des Islam die Rede.

Aus religiösem Fanatismus wurden aber auch hierzulande Homosexuelle unterdrückt und kriminalisiert, noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg.

Das westdeutsche Bundesverfassungsgericht fand noch 1957 , bei Auslegung des sogenannten Sittengesetzes mit Blick auf die Strafbarkeit von Homosexualität müsse berücksichtigt werden,

»dass die öffentlichen Religionsgemeinschaften, insbesondere die beiden großen christlichen Konfessionen, aus deren Lehren große Teile des Volkes die Maßstäbe für ihr sittliches Verhalten entnehmen, die gleichgeschlechtliche Unzucht als unsittlich verurteilen«.

Diese und viele andere fassungslos machende Details kann man übrigens einer sehr lesenswerten Aufarbeitung des LSVD entnehmen .

In der Urteilsbegründung  von 1957 stehen auch Sätze über weibliche Sexualität, die einem heute die Haare zu Berge stehen lassen – und Sätze über angeblich »biologisch« angelegte Verhaltensweisen und die »körperliche Bildung der Geschlechtsorgane«, die man beim Thema Transmenschen auch heute noch genauso zu hören bekommt.

Fanatischer Gottesstaat

Aus Sicht von schwulen und lesbischen Menschen war die junge Bundesrepublik ein fanatischer, repressiver Gottesstaat. Aus der von trans Personen natürlich auch, aber von denen war damals noch gar keine Rede.

Über unsere eigene, extrem unrühmliche Geschichte in dieser Sache Bescheid zu wissen, hilft dabei, zu verstehen, warum für viele LGBTQ-Menschen von so großer Bedeutung ist, ob der Kapitän der Nationalmannschaft nun eine bestimmte Armbinde trägt oder nicht.

Ein Prozess, kein Ereignis

Nun ist Fortschritt kein Ereignis, sondern ein Prozess. Er geht, im Idealfall, immer weiter. Deutsche Politikerinnen und Politiker, die jetzt stolz darauf sind, dass die deutsche Innenministerin die One-Love-Armbinde ins Stadion trug, haben den bereits erfolgten gesellschaftlichen Fortschritt schnell und geräuschlos in ihr Deutschlandbild eingebaut. Und doch stimmten noch im Jahr 2017 225 Abgeordnete der Unionsparteien gegen die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Ehen.

Die AfD lehnt die Ehe für alle weiterhin ab und will sie wieder abschaffen , war 2017 aber nicht im Bundestag.

Manchen geht es immer zu schnell oder zu weit

Aber auch die Bayerische Staatsregierung und viele Unionsabgeordnete wollten gerne gegen die »Ehe für alle« klagen. Sie entschieden sich erst dagegen, als Gutachter 2018 zu dem Schluss kamen, dass so eine Klage aussichtslos wäre . Das ist erst vier Jahre her.

Jetzt ist CSU-Chef Markus Söder »besorgt und empört wegen der kritischen Menschenrechtslage in Katar«, und wegen der »Homophobie«, die Katars WM-Botschafter »ganz offen« geäußert habe.

Was man »nicht mehr sagen darf«

Selbstverständlich existiert offene Homophobie auch in Deutschland bis heute, nur bekommt man mittlerweile unter Umständen Ärger, wenn man sie allzu öffentlich auslebt, gerade als Politiker. Und wenn es diesen Ärger dann gibt, regen sich bestimme Kreise auf, dass man ja so viel »nicht mehr sagen« dürfe.

So war das zum Beispiel, als Friedrich Merz im Jahr 2020 Homosexuelle in guter Unionstradition in die Nähe von Pädophilen rückte. Merz reagierte auf den Ärger, die das zu Recht auslöste, mit einer Pseudoentschuldigung – und klagte im gleichen Atemzug über die »Empörungsmaschine« , die seine natürlich absichtlich empörende Äußerung in Gang gesetzt habe. So wird der Täter zum Opfer.

»Damit der Schwachsinn nicht zur Mode wird«

Quelle         :           Spiegel-online         >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —       Zum Christopher Street Day erstrahlte die Allianz Arena am Abend des 9. Juli 2016 für dreieinhalb Stunden regenbogenfarbig.

********************************

2.) von Oben      —      This is a photograph of an architectural monument. It is on the list of cultural monuments of Köln, no. 911

Abgelegt unter Bildung, Deutschland, International, Religionen | Keine Kommentare »

China+ das Deutsche Wesen

Erstellt von DL-Redaktion am 21. November 2022

Die aggressive Fratze eines China-Verdrehers

Lange studiert um dann  mit Titeln zu spielen, heißt nicht auch etwas gelernt zu haben.

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Was da der FOCUS-online-Gastautor Prof. Dr. Dr. Alexander Görlach am 15.11.22 von sich gab, spottet jeder Beschreibung. Der Linguist und Theologe lehrt Ethik und Theologie an der Leuphana Universität Lüneburg und ist auch sonst weltweit unterwegs.

Warum er von FOCUS als China-Versteher vorgestellt wird, erschließt sich dem kritischen Leser nicht. Während nämlich die Presse weltweit durchweg positiv überrascht von Fortschritt beim Gespräch zwischen Xi Jinping und Joe Biden am Vortag der G20-Konferenz in Bali berichtet, titelt der Gastautor in seinem Beitrag: „Beim Bali-Gipfel mit Biden zeigt Xi freundliche Fratze des Aggressors“, ohne seine Gehässigkeit und rein subjektive Meinung auch nur annähernd zu begründen.

Nach überwiegender Meinung der Medien haben Xi und Biden nämlich freundlich und offen miteinander gesprochen. Beide haben sich positiv über ihre Begegnung geäußert. Keiner hat eine Fratze aufgesetzt oder war aggressiv.

Einer Ipsos-Umfrage von 2019 zufolge sind die Haupterwartungen an den Journalismus bei Berichten und Analysen, Dinge so zu berichten wie sie sind, die Quellen zu benennen, kritisch aber unparteiisch zu sein sowie Toleranz und kulturelle Vielfalt zu fördern. Im Ehrenkodex der Journalisten stehen an erster Stelle die Achtung der Fakten und des Rechts der Öffentlichkeit auf Wahrheit als die erste Pflicht eines Journalisten.

Völlig abschweifend vom Thema stellt der Gastautor z.B. die böswillige und ungeheuerliche Behauptung auf, dass China über Nord-Korea Waffen an Russland für den Ukraine-Krieg geliefert habe, ohne auch nur einen einzigen Beleg dafür zu liefern. Wer derart gegen die Regeln eines ordentlichen Journalismus verstößt, offenbart eher seine aggressive Fratze als China-Verdreher. Eine sachlich fundierte Meinung zur weltbewegenden Thematik der beiden Staatsführer bei ihrem Treffen auf Bali ist das nicht. Den angeblichen China-Versteher und Literaten kann man daher nur auf Boetius verweisen: O, hättest du geschwiegen, wärst du (vielleicht) ein Philosoph geblieben.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben      —    Alexander Görlach, Chefredakteur, Herausgeber und Gründer von „The European“, 2013 bei den Römerberggesprächen in Frankfurt am Main.

Abgelegt unter Asien, Bildung, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

Als Leerer unter Lehrern

Erstellt von DL-Redaktion am 15. November 2022

Dr. phil. Robert Habeck als Lehrherr der Wirtschaft

Egal ob nun Hausmeister oder DR. phil. die Politik hat nie zwischen leeren Flaschen unterschieden. Der  Pfand-Wert  entscheidet bei Rückgabe nur zwischen Plastik oder Glas.  

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Der 2000 in Hamburg mit einer Arbeit über literarische Authentizität zum Dr. phil. promovierte Literat Robert Habeck maßt sich heute als Wirtschaftsminister an, der Wirtschaft vage Lehren zu erteilen, wie sie sich zu verhalten oder zu entwickeln habe. Seine Inkompetenz in Sachen Wirtschaft gipfelt in der Weisung, dass Unternehmen nicht nur nach China gehen sollten.

Diese triviale Aussage vor der Presse und vor seiner Abreise zur ASEAN-Konferenz in Singapur offenbart krass sein Unwissen in Wirtschaftsfragen und seine eigentlichen Aufgaben als Wirtschaftsminister, die ihm nur im Parteienproporz zugeschanzt wurden. Auch von China hat er offenbart keine blasse Ahnung.

Aufgabe der Wirtschaft ist es, ihre Geschäfte verantwortungsvoll zu planen und zu betreiben. Aufgabe eines Ministers ist es, für die ihm von den Betroffenen bekannten Vorhaben den Weg insbesondere im Ausland zu ebnen und zu begleiten, wenn nötig. Voraussetzung für eine sinnvolle Arbeit ist eine profunde Kenntnis der sozio-kulturellen Gegebenheiten des betroffenen Landes. Im Fall China verkennt der Minister aber unentschuldbar, warum die Wirtschaft nach Mao in China tätig sein wollte und das auch heute noch will oder gar muß. Wissen sollrte der Literat eigentlich auch, dass das Schießpulver in China erfunden wurde, ebenso wie Papier, Porzellan und die Bestimmung des Breitengrades in der Seefahrt und vieles mehr. Wissen sollte er auch, dass der weiße Westen das alles schamlos kopiert und als eigene Leistung angepriesen hat.

Nicht verwunderlich also, dass die deutsche Wirtschaft bei der Öffnung Chinas durch Deng Xiaoping ab Ende der 1970-er Jahre in den dortigen Markt drängte, um von der sprichwörtlichen Arbeitsdisziplin der Chinesen und deren Fleiß zu profitieren, vom Preis ganz zu schweigen. Auch die in China praktizierten Einschränkungen von Geschäften hat man akzeptiert. Deutschland unterhielt zwar mit China seit 1972 diplomatische Beziehungen, die Politik hat sich jedoch bei den Bemühungen der Wirtschat nicht eingemischt, und nur äußerst zufrieden applaudiert.

Der höchst inkompetenten Weisung des Literaten steht auch entgegen, dass die Wirtschaftsbeziehungen bis 2020 hervorragend funktioniert und alle davon profitiert haben, Hersteller wie Verbraucher hier und dort. Erst die unerwartete Corona-Pandemie hat die Geschäfte empfindlich gestört, und seit 2022 die menschengemachte Ukraine-Krise. In solchen Zeiten sollte man an sich zwischen Geschäftspartnern, die bislang erfolgreiche Geschäfte gemacht haben, darüber austauschen, wie man die Schwierigkeiten überwinden kann. In unserer arbeitsteiligen Wirtschaft ist der Erfolg stets von der Qualität der Beziehungen abhängig. Ein Rat eines Wirtschaftsministers, gute bis hervorragende Geschäftsbeziehungen für andere, ungewisse aufzugebe, ist blanker Unsinn. Eine solche Entscheidung liegt allein in der Verantwortung der Wirtschaft.

Das unqualifizierte Gebaren unseres Wirtschaftsministers, der als Literat forsch als Lehrherr der Wirtschaft auftreten will, schadet der Wirtschaft und wirft die generelle Frage nach der Qualifikation unserer Politiker für ihre Ämter auf. Mit Ausnahme des Gesundheitsministers und vielleicht des Kanzlers gibt es da viele Fragezeichen in der Ampelschaltung. Der Literat als Wirtschaftsminister ist aber für die Wirtschaft eher ein Klotz am Bein.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben      —     Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis90/Die Grünen NRW in Dortmund

Abgelegt unter Bildung, Medien, P.Die Grünen, Positionen, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

Unbrauchbare Spezialisten

Erstellt von DL-Redaktion am 13. November 2022

Pilot Pirx und der Fluch der Experten

Stanisław Lem 2005

Eine Kolumne von Thomas Fischer

Ein Hammer erkennt ausschließlich Nägel. Und wer die Welt als Ansammlung von Viren versteht, ist nicht zwingend der geeignetste Gesundheitsminister. Was eine Geschichte von Stanisław Lem über Spezialistentum lehrt.

Eine 1968 veröffentlichte Geschichte von Stanislaw Lem trägt den Titel »Ananke«, nachzulesen in »Pilot Pirx«, 2003, ab Seite 468. Ich will sie hier nicht rezensieren, muss aber kurz schildern, worum es geht: Pirx, Raketenkommandant, wird auf einer Marsbasis Zeuge der Landung des ersten von drei neuen Megatransportraketen. Das computergesteuerte Landungsmanöver verläuft bis in eine Höhe von 5000 Metern plangemäß. Doch plötzlich gibt die Steuerung sinnlos »Meteoritenalarm« und versucht automatisch, eine Rettungsaktion mittels »Alarmstart« auszuführen. Hierdurch gerät die Rakete in einen instabilen Zustand, der sich nicht mehr ausgleichen lässt. Sie stürzt aus fünf Kilometern ab; alle Besatzungsmitglieder kommen ums Leben.

Pirx wird als erfahrener Kommandant in eine Sonderkommission berufen, deren Aufgabe vor allem darin besteht, möglichst rasch die Ursache der Katastrophe zu finden, um eine Wiederholung zu verhindern. Die Kommission, besetzt mit Führungspersonal und Experten aus den zwei Marsbasen, erweist sich als Kopie entsprechender irdischer Gremien und befasst sich vorwiegend mit dem stillen Kampf um ein »Narrativ« der Verantwortung: Technikfehler, Steuerungsfehler, Landekontrollfehler, Zufall?

Die Lage verkompliziert sich noch, als die Zentrale auf Terra die Leitung übernimmt und in Videokonferenzen (mit jeweils acht Minuten entfernungsbedingter Sprachverzögerung) die Ursachen- und Verantwortungserforschung in ein endloses Theorieproblem aufzulösen beginnt, dessen Axiom jedenfalls ist, dass keinesfalls ein Fehler der neuesten, unübertrefflichen Steuerungscomputer vorgelegen haben kann.

Pirx, genervt wie häufig, sitzt zwischen den Stühlen und ahnt, dass das Rätsel woanders liegt. Biografische Erkundigungen, Assoziationen und Erinnerungen führen ihn auf die Spur: Das Anlernen der Rechner geschieht in einem aufwendigen Lern- und Simulationsprogramm, welches die Maschinen mit einem umfassenden Wissen über alle realen und hypothetischen Flugprobleme der Raumfahrtgeschichte ausstattet. Um letzte Sicherheit aus der »Analogie« zu gewinnen, wird jeder Rechner von einem besonders erfahrenen ehemaligen Kommandanten mittels individueller Aufgaben und Anforderungen getestet.

Als Pirx den Namen des für die abgestürzte Rakete zuständigen Experten erfährt, erinnert er sich daran, zufällig einmal gelesen zu haben, dass dieser wegen eines »anankastischen Syndroms« für fluguntauglich erklärt und in den Ruhestand versetzt wurde.

Ursache der Katastrophe war, dass dieser zwanghaft kontrollierende Instruktor, von der Behörde gerade wegen seiner Kleinlichkeit für besonders geeignet gehalten, den Computer zu einer selbstzerstörerischen, sich beschleunigenden Überlastung mit sinnlos angeforderten Massen von Kontrolldaten zwang, die zum tödlichen Panikbefehl »Alarmstart« führte. Pirx, in assoziativer Erkenntnis des Ablaufs, sendet dem alten Kollegen ein Telegramm mit dem dramatischen Poe-Zitat »Thou art the Man«. Der Empfänger erkennt sein Versagen, offenbart es der Raumfahrtbehörde und erschießt sich in derselben Nacht.

Experten

Aus der vorstehenden Einleitung mögen Sie erkennen, dass der Kolumnist sich erstens auf Urlaubsreise befindet und dabei zweitens einmal wieder alle »Pilot Pirx«-Geschichten von Lem liest. Ananke (römisch: »Necessitas«) ist, dies noch ergänzend, die griechisch-mythologische Schicksalsgöttin, symbolisierend den unausweichlichen, objektiven Zwang – sei er gut oder schlecht, günstig oder ungünstig. Die unwiderstehliche Gewalt blinder Notwendigkeit geht, umschlungen mit der Zeit (»Chronos«), dem Willen selbst der Götter vor.

Nun sollen hier nicht fachfremd Probleme der anankastischen Persönlichkeitsstörung bearbeitet werden, denn dazu fehlt dem Kolumnisten die Expertise. Interessant ist vielmehr ein anderer Aspekt des Textes: »Weil der Psychiater (der Werft) nichts von Computern verstand, hatte er angenommen, das sei genau das richtige Betätigungsfeld für so einen Kleinlichkeitskrämer.«

Das wirft die Frage auf, wie es sich mit dem Expertentum, der Erkenntnis und der Beurteilung von beidem im wirklichen Leben verhält, sagen wir: im Rechtsleben oder in der Politik. Viele Ältere werden sich daran erinnern, mit welch verachtendem Hohn einst Bundeskanzler Kohl verfolgt wurde, der sich unvorsichtig als »Generalist« bezeichnet hatte, derweil der Weltökonomie-Oberlehrer Schmidt ein 1945 bis 1949 absolviertes Expertenstudium in VWL und »Staatswissenschaft« vorweisen konnte. Dieserhalb galt Oberleutnant Schmidt, laut Personalakte »auf dem Boden der nat.soz. Weltanschauung« stehend, als deutsche Inkarnation ökonomischer Primärtugend.

Ja – die politischen Experten – sind sie die wahren Ungelernten? 

Generalisten haben es schwer, seit tatsächliche oder plausibel postulierte Universalgelehrte wie da Vinci, Humboldt, Marx oder Weber die Welt verlassen oder sich zu winzigen Quizfragen minimiert haben. Es triumphiert das Expertentum bis in die entlegensten Winkel der Lebensgestaltung. Es gibt, frei nach Habermas, hierzulande annähernd keinen Bereich des Lebens mehr, der dem Zugriff des Marktes und dem Expertentum der Verwertbarkeit entzogen ist.

Daran ist, banal betrachtet, zunächst einmal nichts Furchterregendes. Warum zum generalistisch »praktischen Arzt« gehen, wenn es sich mithilfe von siebzehn Facharztzentren vielleicht ein paar Jahre länger leben lässt?

Andererseits kennt der erfahrene Patient das Folgeproblem: Für die Kardiologen besteht die bekannte Welt aus Arterien, für Onkologen aus Frühtumoren, für Neurologen aus Hirnarealen. Alles sehr wichtig und gut, führt aber weder zur ewigen Jugend noch zum Glück des Aufgehobenseins. Hieraus zu schließen, die besten Ärzte seien Kinderbuchautoren oder hätten eine Ausbildung zum stellvertretenden Vorsitzenden einer Parteigliederung absolviert, wäre übertrieben, weist aber in eine interessante Richtung.

Quelle        :            Spiegel-online          >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —      Stanisław Lem (1921–2006), Hier 2005 – polnischer Philosoph und SF-Schriftsteller

*****************************

2.) von Oben        —       Thomas Fischer auf der re:publica 2016
Ot – Eigenes Werk
Thomas Fischer (Jurist)
CC-BY-SA 4.0
File:Thomas Fischer-Jurist-rebuliva16.JPG
Erstellt: 4. Mai 2016

*****************************

Unten       —       Christian Lindner am Wahlabend der NRW Landtagswahl am 14. Mai 2017 in Düsseldorf

Abgelegt unter Bildung, Finanzpolitik, Gesundheitspolitik, Justiz-Kommentare | Keine Kommentare »

KOLUMNE – Der Postprolet

Erstellt von DL-Redaktion am 13. November 2022

Draußen rumhängen, auch dann wenn’s ungemütlich wird

Kolumne von Volkan Agar

Jedes Jahr gibt es diesen Moment: Ich sitze auf einer Parkbank, habe ein Getränk, vielleicht gute Gesellschaft, im besten Fall auch Musik dabei, und gleich nach dem Hinsetzen merke ich: Es ist einfach zu kalt mittlerweile, um noch draußen rumzuhängen. Natürlich kann man stattdessen in eine Kneipe gehen oder in ein Café. Vielleicht in ein Einkaufszentrum. Oder einfach nach Hause. Aber ich möchte das alles nicht. Ich möchte draußen rumhängen, auch wenn es ungemütlicher wird.

Dabei sollte man es mit dieser Art von Draußenrumhängen ja eigentlich nicht übertreiben. Weil es eine Aktivität ist, die keinen guten Ruf hat. Denn es ist nicht das organisierte Picknick im Park oder die Verabredung auf der Caféterrasse. Sondern ein zielloses Rumhängen, zwischendurch auch Rumlaufen, ohne Zeitgefühl, ohne Auftrag, ohne teuren Konsum. Wer auf diese Weise rumhängt, der hat vermutlich keinen Job. Oder schwänzt die Schule oder hat kein Zuhause. Zumindest niemanden, der sich für ihn interessiert. Möglicherweise ist er auch kriminell. Und hat ein Suchtproblem.

Im Spätsommer, als das Draußenrum­hängen noch angenehmer war, habe ich „Liebe, D-Mark und Tod“ von Regisseur Cem Kaya gesehen. Mit viel Archivmaterial erzählt der Dokumentarfilm die Geschichte der türkischen Popkultur in Deutschland. Man bekommt Einblick in türkische Musik, die in Deutschland entstanden ist, in Partys und Hochzeiten, aber auch in den Alltag der Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, und das Leben ihrer Kinder. Aufnahmen aus deutschen Dokus der 60er, 70er und 80er Jahre zeigen Gastarbeiterkinder in Parks, wie sie auf Baustellen spielen oder einfach auf der Straße rumhängen. Dazu die Erzählung: Die Eltern sind nicht da, sie müssen viel arbeiten, können sich nicht um ihre Kinder kümmern, die wiederum sind sich selbst überlassen. Die Kinder aber schauen oft amüsiert und selbstbewusst in die Kamera.

2016

Der Neueste unter den Republikanern?  Oben Werfen – Unten Auffangen !

Ich bin etwas später, in den 90ern, als Kind von türkischen Gast­ar­bei­te­r-in­nen aufgewachsen. Ich war nicht komplett mir selbst überlassen. Es gab die Schule, die Hausaufgabenhilfe am Nachmittag, den Sportverein am Abend und an den Wochenenden. Es gab halbwegs einen Plan. Aber auch ich habe viel Zeit draußen verbracht. Als Kind hatte ich ein paar Jahre einen Wald in der Nähe. Als wir in eine größere Stadt gezogen sind, hatte ich das Glück, dass man Fußball auch auf dem Aldi-Parkplatz spielen kann. Als Jugendlicher habe ich meine Freunde am Busbahnhof getroffen und wir haben dort Stunden verbracht. Die Vorurteile mancher Mitschüler und ihrer Eltern haben uns damals geschmeichelt.

Quelle         :          TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Ehemaliger Deutscher Bundeskanzler Gerhard Schröder als Oligarch in Erdöl und Erdgas von russischen Unternehmen Gasprom und Rosneft.

Abgelegt unter Bildung, Feuilleton, Finanzpolitik, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Die Fresse der Politik ?

Erstellt von DL-Redaktion am 11. November 2022

Nicht viel Neues bei der Pressefreiheit

Datei:120613 Doppelleben Artwork.pdf

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Johannes Schillo

Wer heutzutage Skepsis gegenüber den „Mainstream-Medien“ äußert und sich in der (ziemlich geschrumpften) Gegenöffentlichkeit informiert oder engagiert, gilt gleich als verdächtiges Subjekt. Aber war es jemals anders? Eine Zeitreise zu den 68ern.

Nicht nur, dass staatliche Stellen systematisch die „Desinformation“, also Abweichung vom NATO-Narrativ, im Medienbereich überwachen. Verdächtig macht sich heute ja schon, wer das Wort „Mainstream-Medien“ benutzt (weil es angeblich von den Querdenkern erfunden wurde). Und dass es überhaupt so etwas wie eine Gegenöffentlichkeit gibt, die sich dem Mainstream und den (öffentlich-rechtlichen) Leitmedien entgegen stellt, gilt in Deutschland als hochgradiges Problem.

So hält z.B. die seit Jahrzehnten als Ost-Expertin bekannte Journalistin Gabriele Krone-Schmalz in der Reutlinger Volkshochschule einen Vortrag – und bereits das Faktum selber, dass VHS-Verantwortliche die Frau zu Wort kommen lassen, wird zum Skandal stilisiert, der angeblich die Fachwelt „entsetzt“ (https://www.t-online.de/region/stuttgart/id_100072528/-die-chance-zum-kritischen-diskurs-hat-die-vhs-reutlingen-leichtfertig-verspielt-.html). Aus der findet sich dann auch gleich ein beamteter Experte, der der Volkshochschule bescheinigt, mit dem Zur-Diskussion-Stellen abweichender Meinungen sei „ihre politische Verantwortung auf der Strecke geblieben“.

Zwei Wochen später, Ende Oktober, soll Krone-Schmalz dann in der Kölner VHS sprechen. Doch hier melden sich schon im Vorfeld Verantwortliche aus der Kommunalpolitik, die durch die vorausgegangene Berichterstattung – natürlich in den Mainstream-Medien – alarmiert sind. Das hat Folgen: „‚Putin-Versteherin‘ fliegt aus VHS-Kalender“ (https://www.t-online.de/region/koeln/id_100069204/ukraine-expertin-kritisiert-putin-versteherin-krone-schmalz-fuer-vhs-vortrag-in-koeln.html). Der Kooperationspartner wird unter Druck gesetzt, gibt nicht klein bei und so ist der nächste Skandal zu vermelden. Der Vortrag kann stattfinden und die Frau doch tatsächlich ihre Position vertreten, die mit der Regierungslinie nicht übereinstimmt. Schon weiß die Presse Bescheid – „einseitig“, „undifferenziert“, „Schwarz-Weiß-Denken“ etc. (https://www.t-online.de/region/koeln/id_100072288/krone-schmalz-in-koeln-ein-gefaehrlicher-mix.html).

Ein Blick zurück

Angesichts neuerer Veröffentlichungen zur „Western Dissidenz“ (https://spectorbooks.com/sites/default/files/catalogues/hw22_vorschau_en.pdf) kann hier vielleicht ein kleiner Rückblick auf die bleiernen bzw. bewegten Zeiten vor und nach 1968 weiterhelfen. Der Rekurs auf den Kalten Krieg, als östliches Dissidententum in hohem Ansehen stand, ist dem Fall des Journalisten und ehemaligen „Zeit“-Redakteurs Uwe Nettelbeck (1940 – 2007) gewidmet. Der gab von 1976 bis zu seinem Tod, gemeinsam mit seiner Frau Petra Nettelbeck, die Zeitschrift „Die Republik heraus – ein paradigmatischer Fall von Gegenöffentlichkeit.

Von Nettelbecks Publikationen, die im Pressewesen der 1960er Jahre für einige Aufregung sorgten, ist heute kaum noch etwas greifbar. 2015 erschienen bei Suhrkamp seine Gerichtsreportagen 1967–1969 (https://www.suhrkamp.de/buch/uwe-nettelbeck-prozesse-t-9783518424827), die den Autor, wie der Verlag schreibt, „zu einem der bekanntesten Journalisten des Landes machten“; bis heute gehörten seine justizkritischen Texte „zu den besten Artikeln, die je in deutschen Zeitungen veröffentlicht wurden.“

Nettelbeck startete beim Flaggschiff des Qualitätsjournalismus, bei der Wochenzeitung „Die Zeit“. 1969 schrieb er in der linken Monatszeitschrift „Konkret“ über das hohe Gut der Pressefreiheit und über dessen angeblichen Niedergang, der aufs Konto der primitiven, hetzerischen Springer-Presse gehen sollte: „Es war ein Euphemismus, von einem Verfall der inneren Pressefreiheit in den von Axel Springer abhängigen Redaktionen zu sprechen; was da angeblich zerfiel, hat es prinzipiell nie gegeben; die Kategorie Pressefreiheit selber ist, liberal verstanden, ein Euphemismus…“

Dieses Statement erfolgte, nachdem ihm der stellvertretende Chefredakteur der „Zeit“, Theo Sommer, klar gemacht hatte, wo das liberale Wochenblatt seinen Mitarbeitern die Grenzen der Pressefreiheit zog. Es waren letztendlich Nettelbecks Gerichtsreportagen über das gnadenlose Vorgehen von Polizei und Justiz gegen studentische Demonstranten, was Sommer nicht länger als „Herbeten von stupiden Apo-Floskeln“ dulden wollte. Sommer drohte Nettelbeck eine scharfe Vorzensur seiner Texte an, worauf dieser als Chefredakteur zu „Konkret“ wechselte, dort kurze Zeit neben der Kolumnistin Ulrike Meinhof tätig war, bis beide – in entgegengesetzter Richtung – das Blatt verließen. Meinhof kämpfte sich zu ihrer verhängnisvollen Einsicht vor, dass die Herrschenden nur noch die Sprache der Gewalt verstehen; Nettelbeck belegte eine Nische im Kulturbetrieb, wo er mit großer Sprachgewalt – u.a. in der von ihm herausgegebenen „Republik“ – Medien- und Pressekritik zu seinem Metier machte.

Der Auftrag der Pressefreiheit

Man kann diese Rückblicke auf die 1960er und 1970er Jahre als zeitgeschichtliche Dokumente ersten Ranges lesen. Die Gerichtsberichte lassen den Zeitgeist der zu Ende gehenden Adenauerära wiederauferstehen. Nettelbeck verfasste noch für die „Zeit“ die berühmte Reportage über den legendären Kaufhaus-Brandstifter-Prozess von 1968 gegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Co., der so etwas wie die Geburtsstunde des RAF-Terrorismus darstellte. Was Nettelbeck als Gerichtsberichterstatter dazu geschrieben hat, ist ein abwägender, nachdenklicher Text, der gerade nicht floskelhaft daherkommt oder sich agitatorisch aufstellt.

An ihm und den folgenden Beiträgen zu den Demonstrationsprozessen kann heute, im Abstand von 50 Jahren, jeder Leser überprüfen, was damals im liberalen Lager als journalistisch untragbar galt und was der Vorgesetzte Sommer – später „Zeit“-Chefredakteur, noch später Herausgeber, bis er 2014 „wegen vorsätzlicher Steuerhinterziehung und schweren Betrugs“ (Wikipedia) verurteilt wurde – als stupiden, agitatorischen Journalismus einstufte. Das ist heute ja vielen gar nicht (mehr) bewusst: Die 68er-Bewegung sah sich einer geballten Medienmacht gegenüber, die regelrechte Feindbildpflege betrieb und die „kleine radikale Minderheit“, die Außerparlamentarische Opposition (APO), die zu Zeiten der ersten großen Koalition entstand, ausgrenzen und niedermachen wollte.

Natürlich war hier der Springer-Konzern mit seiner Bildzeitung führend. „Bild“ hetzte gegen die arbeitsscheuen Langhaarigen (die „Gammler“) überhaupt, gegen Berufsdemonstranten, Revoluzzer und politische Wirrköpfe im Speziellen. Und als Ostern 1968 die Schüsse auf Rudi Dutschke fielen, war klar – wie Wolf Biermann in „Drei Kugeln auf Rudi Dutschke“ sang –, wer mitgeschossen hatte: „Die Kugel Nummer Eins kam/Aus Springers Zeitungswald/Ihr habt dem Mann die Groschen/Auch noch dafür bezahlt…“

Die Springer-Medien waren aber nur die Speerspitze der damaligen „Bewusstseinsindustrie“ (Enzensberger). Nettelbeck hat die Wendungen und Windungen dieses Betriebs in seiner als Realsatire angelegten Zeitschrift jahrelang verfolgt, wobei er sich dann zunehmend – auch weil das BKA ihn wegen eines frühen Falls von „Whistleblowing“ mit Strafanzeigen traktierte (dokumentiert in der „Republik“ Nr. 48-54) – ins literarische Feld zurückzog. Seine Texte aus den 60er Jahren demonstrieren in zeitgeschichtlicher Perspektive, was Pressefreiheit heißt und wo kritischer Journalismus seine Grenzen findet, und sie bringen zum Zusammenspiel von dritter und vierter Gewalt im demokratischen Staat, zum Elend der „liberalen Demokratie“ aufschlussreiches Material.

Kontinuität bei der Vierten Gewalt

Im Overton-Magazin (https://overton-magazin.de/hintergrund/gesellschaft/in-deutschland-finden-prorussische-verschwoerungserzaehlungen-mehr-resonanz/) hieß es jüngst: „Das Misstrauen gegenüber den Mainstreammedien ist nicht erst seit dem Kriegsbeginn, seit Corona oder seit 2014 gewachsen, es bestand etwa auch im Kalten Krieg, als es auch im Westen zu Alternativmedien kam und nach dem Deutschen Herbst und der atomaren Aufrüstung beispielsweise die taz als Alternative Tageszeitung gegründet wurde, die eine linke Gegenöffentlichkeit herstellen sollte.“

Diese Rolle hat die „taz“ schon lange aufgegeben. Als im Sommer 2021 eine Bundestagsdebatte die Beobachtung der linken Tageszeitung „Junge Welt“ durch den Verfassungsschutz offiziell bestätigte (siehe: „Marx als Linksextremist“, Scharf links, 15.5.21), wurde damit als Selbstverständlichkeit klargestellt, dass die Sicherheitsbehörden „Leitplanken für den öffentlichen Diskurs“ (https://overton-magazin.de/krass-konkret/journalismus-im-visier-des-verfassungsschutzes/) festlegen. Wenn Prof. Christoph Butterwegge als anerkannter Armutsforscher (der mit seinen Erkenntnissen über die deutsche Klassengesellschaft selbst ins Visier des Verfassungsschutzes zu geraten drohte) nicht protestiert hätte, wären „taz“ oder „Frankfurter Rundschau“ wohl kaum auf diesen Vorgang eingegangen. Protest kam natürlich nicht von ihrer Seite, die Sache wurde eher als Kuriosum abgetan, als Randnotiz, die auch der „Süddeutschen“ noch ein paar liberale Bedenken wert waren. Damit hatte es sich.

Die Leitplanke als Denk-Schranke der Regierungen ?

Die von Kanzler Scholz angekündigte Zeitenwende hat nun auch eine Gesinnungswende mit sich gebracht. Rückblickend werden auf einmal gemäßigte, auf Ausgleich und Verständigung bedachte Positionen der Außenpolitik, wie sie im Pressewesen eine Krone-Schmalz oder in der Politikwissenschaft ein Professor Johannes Varwick repräsentieren, in die extremistische Ecke gerückt. Im Blick auf Reichweite und Schärfe des staatlichen Überwachungsstandpunkts hat sich hier einiges geändert, nicht aber bei der strukturellen „Gewaltaffinität des Mainstream-Journalismus“ (https://overton-magazin.de/krass-konkret//zur-gewaltaffinitaet-des-mainstream-journalismus/).

Der Staat mit seinen „Leitplanken“ gibt dabei, wie in dem genannten Beitrag ausgeführt, nur die Richtung vor. Konkret vorschreiben muss er den Journalisten nicht, was sie zu berichten oder zu kommentieren haben. Gleichschaltung ist überflüssig. Wie in der Ära des Kalten Kriegs ein liberaler Redakteur Sommer wusste, wo Hetze anfängt und Nachdenklichkeit aufhört, so wissen heutige Medienarbeiter schon selber, welche Vorträge in Volkshochschulen zulässig sind und wo unzulässige Schwarz-Weiß-Malerei anfängt. Mit seinem Verantwortungsbewusstsein für die Agenda der Nation liegt der Mainstream eben von vornherein auf der Lauer, um staatsabträgliche Vorgänge zu brandmarken und auszugrenzen. Wie sollte auch die stolze Vierte Gewalt, die ständig den nationalen Erfolg bilanziert, Berührungsängste gegenüber der wirklichen Staatsgewalt haben?

Ja, sie traut sich sogar, dieser recht anspruchsvoll entgegen zu treten. Wenn der Mainstream, wie der Gegenstandpunkt resümiert (https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/machart-demokratischer-kriegspropaganda), auf seine „eindeutige Botschaft und deren Alternativlosigkeit pocht, dient das einem guten Zweck: Es geht den Leitmedien nicht nur darum, dass das Volk die neue Rüstungs- und für es kostenträchtige Russlandpolitik Deutschlands bedingungslos als unumgängliche Konsequenz akzeptiert. Nach ihrer verantwortungsbewussten Selbstauffassung leisten sie auch einen unverzichtbaren Beitrag dazu, dass die Bundesregierung Kurs hält und ihrem Auftrag nicht zaudernd, sondern konsequent nachgeht. Wenn sie eine antirussische Haltung zum Gebot der Stunde erklären und zur gültigen öffentlichen Meinung machen, bringen sie in ihrer Vorstellung die Politiker in Zugzwang, die ‚eingetretene‘ Zeitenwende mit ihrer Amtsmacht zu vollstrecken.“

Zuerst bei Krass & Konkret erschienen.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben      —        Plakat „Doppelleben – Der Film“

Verfasser DWolfsperger      /      Quelle     :    Eigene Arbeit      /    Datum    :    1. August 2012

Diese Datei ist lizenziert unter derCreative CommonsNamensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

*********************************

2. von Oben     —     Abb. Titelfeld: Philosophenturm und Auditorium Maximum (Ausschnitt), Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_141-21=06_591.

Abb. Thementext: Ordinarien-Karikatur, Privatbesitz / Anti-Schah-Demo Berlin, Juni 1967, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ludwig_Binder_Haus_der_Geschichte_Studentenrevolte_1968_2001_03_0275.0140_(17051988346).jpg) / Muff-Aktion 1967, Staatsarchiv Hamburg, Bestand Conti-Press / Axel-Springer-Verlagshaus Hamburg, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hamburg_Axel-Springer-Verlagshaus_01_KMJ.jpg) / Philosophenturm und Auditorium Maximum, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_141-21=06_591.

*********************************

Unten         —            Mittelschranke auf einer Straße in Finnland. Leitplanke (oder Verkehrsbarriere) zwischen zwei Linien, die von beiden Seiten getroffen werden können.

Abgelegt unter Bildung, Deutschland, Kultur, Medien | Keine Kommentare »

Zivilisatorisches Versagen

Erstellt von DL-Redaktion am 10. November 2022

Streit über russische Deserteure

Hier kann ein jeder erlernen sich ermorden zu lassen oder selber zum Mörder zu werden.

Ein Debattenbeitrag von Pascal Beucker

Bevor die Hähne kräh’n. Wer nicht kämpft, kann nicht töten – nicht nur deshalb sollte jeder, der nicht für Russlands Präsident Putin sterben will, überall aufgenommen werden.

Ob die jungen Männer, die seit Wladimir Putins Verkündung der Teilmobilmachung Ende September ihre sieben Sachen packen, um Russland zu verlassen, wohl je etwas von Boris Vian gehört haben? Gut möglich, schließlich wurde sein „Le Déserteur“ in Dutzende Sprachen übersetzt, auch ins Russische. Jedenfalls kommt einem bei den Nachrichten über die Zehntausende Russen, die versuchen, sich der Zwangsrekrutierung für den Ukraine­krieg zu entziehen, das legendäre Chanson des französischen Schriftstellers aus dem Jahr 1954 in den Sinn: „Bevor die Hähne kräh’n / Verrammel ich die Türen / Ich will mein Leben spüren / Und mach’ mich auf den Weg“, wie Wolf Biermann Vian ins Deutsche übersetzt hat. „Mon­sieur le President / Ihr seid für’s Blutvergießen? / Allez! Lasst Eures fließen / Das wär ’ne gute Tat!“

Wer nicht in der Ukraine kämpft, der kann nicht in der Ukraine töten. Allein schon deshalb sollte jeder, der sich nicht von Putin verheizen lassen will und durch Flucht die Kampfkraft und -moral der russischen Truppen schwächt, überall mit offenen Armen aufgenommen werden. Zahlreiche europäische Staaten haben jedoch stattdessen ihre Grenzen für russische Kriegsverweigerer geschlossen. Was für ein zivilisatorisches Versagen!

Solch inhumanes wie unvernünftiges Vorgehen wünscht sich der neue ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev auch von der Bundesrepublik. Es wäre „falsch von Deutschland, russische Deserteure aufzunehmen“, hat er verkündet. Schließlich wollten die sich bloß „vor dem Militärdienst drücken“ und „nur nicht im Krieg sterben“. Damit liegt Makeiev ganz auf der Linie seines Vorgängers Andrij Melnyk, der bekundet hat, er hielte es für eine „katastrophale Entscheidung“, wenn russischen Männern Asyl in der Bundesrepublik gewährt würde, „NUR weil sie (…) keinen Bock auf ihre eigene Ruhestätte in der Ukraine haben“.

Im Artikel 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es: „Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“ Doch nach der international gängigen Rechtsauffassung gibt das leider den wehrfähigen Menschen noch nicht das Recht, sich zum Schutz ihres Lebens einem Krieg durch Flucht zu entziehen. Selbst wenn sie sich dem militärischen Wahn eines verbrecherischen Regimes verweigern wollen, reicht das als Asylgrund alleine nicht aus. „Selbstverständlich ist jemand kein Flüchtling, nur weil er aus Furcht, kämpfen zu müssen, oder aus Abneigung gegen den Militärdienst desertiert ist oder den Dienst erst gar nicht angetreten hat“, ist dazu im Handbuch des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlings­eigenschaft zu lesen. So unmenschlich es ist: Die Furcht vor Strafverfolgung und vor Bestrafung wegen Desertation oder der Weigerung, einer Einberufung Folge zu leisten, stellen keinen Grund dar, um Anrecht auf Asyl zu haben.

Wer ist so naiv dem Staat ein Gelöbnis zu liefert – er würde das gleiche auch nie zurückgeben !

Kriegsverweigerung ist ein Menschenrecht. Auch wenn sie als solches nicht allgemein anerkannt wird. Aber warum nicht? Weil Desertation in der ganzen Welt als strafbare Handlung geahndet wird – nicht nur in autoritären Regimen. Fahnenflüchtlinge will man nirgendwo haben. Weshalb auch Boris Vians grandioses „Le Déserteur“ mehrere Jahre – und zwar während des Algerien­krieges – in Frankreich verboten war. „Der Deserteur ist in allen Armeen der schlimmste Feind, schlimmer als der Feindsoldat, denn er widersteht dem Befehl zum Töten und nimmt lieber den eigenen Tod in Kauf“, schrieb einst der Schriftsteller Gerhard Zwerenz, der einzige Deserteur, der je dem Bundestag angehörte. Dabei ist selbst ein „gerechter“ Krieg immer noch ein Krieg, niemand sollte dazu gezwungen werden, gegen seinen Willen in ihn zu ziehen. Das gilt übrigens auch für jene Ukrainer zwischen 18 und 60 Jahren, die seit Kriegsbeginn ihr Land nicht mehr verlassen dürfen, um für die Verteidigung herangezogen werden zu können. Kein Staat hat das Recht, Menschen zum Töten anderer Menschen zu zwingen.

Gleichwohl ist die Diskussion über die russischen Kriegsverweigerer eine besonders aberwitzige. Denn sie ist nicht nur zynisch, sondern steht auch im Widerspruch zur Rechtsauffassung des UNHCR. Danach gibt es für Deserteure und Militärdienstflüchtlinge durchaus einen Flüchtlingsschutz, wenn sich „die Art der militärischen Aktion, mit der sich der Betreffende nicht identifizieren möchte, von der Völkergemeinschaft als den Grundregeln menschlichen Verhaltens widersprechend verurteilt wird“.

Quelle        :           TAZ-online        >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben      —     IMG_8585

Abgelegt unter Bildung, International, Kriegspolitik, Positionen | Keine Kommentare »

Umgang mit Widersprüche

Erstellt von DL-Redaktion am 6. November 2022

Der Krieg und die Traumwelt des Absoluten

 David gegen Goliath

Eine Kolumne von Thomas Fischer

Relativierungen gelten schnell als Verrat an der guten Sache, zumal in Kriegszeiten. Doch ist die Frage von Gut und Böse wirklich so eindeutig zu beantworten?

Verzeihung
Diese Kolumne wird, dem Schicksal sei’s geklagt, so langsam zum »Relativierungs«-Hotspot. Bei ihren Feinden sowieso, deren Schreibinhalte aus umso mehr behaupteten Axiomen und frei erfundenen Unerschütterlichkeiten zu bestehen scheinen, je weniger sie zu den Gegenständen zu sagen haben, um welche es geht. Aber auch im Übrigen ist das sogenannte Relativieren höchstgradig in Verruf geraten: »Entweder – oder« lautet die Devise der Gläubigen, die es sich leisten können.

Das erinnert mich an eine Zeit, in der ich ziemlich sicher war, dass zum Beispiel der Aufstand der Kronstädter Matrosen von mir gewaltfrei hätte befriedet werden können, und dass auch die Lösung weiterer Weltkrisen mit meiner Hilfe unschwer möglich gewesen wäre.

Nun gut, das war vor 50 Jahren. Inzwischen steuere ich, Covid-19-Erinnyen im Nacken, auf meinen 70. Geburtstag zu, was immerhin schon doppelt so viel ist wie die bewundernswerte Leistung vieler, die im Paradies 35 Jahre alt geworden sind und daher jetzt endgültig Bescheid wissen.

Es gibt also heute überhaupt keinen Grund, dem jeweils anderen die Verzeihung zu verweigern, für was auch immer und insbesondere für die jeweilige »Meinung«. Das Letztere ist ja ein wundersames Ding im Jahrhundert der Authentizität, da die Evolution den Menschen gleichzeitig zur Smartphoneabhängigkeit von 500 Millionen und zum Verhungern von 500 Millionen leitet, zum Kampf um die eingebaute Vorfahrt des Lastenfahrrads und in die Kriege um die letzten Vorräte des Faulschlamms aus Urzeitalgen, von dem die Menschheit derzeit pro Tag ungefähr 14.500 Millionen Liter verbraucht (20 Prozent davon die US-Menschheit) und von heute an in 30 Jahren geschätzte 25 Prozent mehr.

Eine »Meinung« zu haben, ist derweil nicht mehr nur ein Potenzial menschlicher Existenz, sondern eine Verpflichtung, welche sich von der empirischen Kognition und sogar vom Menschen selbst entkoppelt zu haben scheint: Dass auch die Sachen inzwischen – der Influencer Karl Marx hat es einst beschrieben – Meinungen, Ansichten und Philosophien haben, gilt dem allzeit Meinungsbereiten, für den jeden Monat eine »neue Ära« von irgendwas beginnt, als philosophisch alter Hut, um nicht zu sagen »sowas von Achtziger«.

Einerseits – andererseits

So viel zur Einleitung. Nun folgen ein paar Zitate:

Beispiel 1

Einerseits:

Abgelegt unter Bildung, Deutschland, Innere Sicherheit, Justiz-Kommentare | Keine Kommentare »

Musk kauft Twitter

Erstellt von DL-Redaktion am 2. November 2022

Wer hat den Vogel?

Datei:Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, Vogelschwarm im Norderneyer Watt 01.jpg

Reagieren die Vögel nicht gleich wie Politiker-innen da auch deren Ausscheidungen immer nach unten fallen ? Niemand hat doch gesagt, das nun alle Twittern müssen.

Ein Schlagloch von Jagoda Marinic

Um Hetze und Hass im Internet zu stoppen, braucht es einen digitalen Masterplan. Wer die Demokratie schützen will, muss für klare Regeln sorgen.

Es gibt eine Kolumnistin, ohne die mich das Kolumnieren wohl nie interessiert hätte: Maureen Dowd von der New York Times. Immer bissig, meistens bösartig und viel zu klug, um die Welt sehr ernst zu nehmen. Ausgerechnet diese anbetungswürdig respektlose Maureen Dowd schreibt zu Halloween, wie wenig sie dieses Jahr den Grusel braucht, weil die Welt selbst ein gruseliger Ort geworden ist. Maureen: Welcome to the world of the sad and scared.

Ihre ungewohnte Verzweiflung rührt von der Lage der Nation. Die US-amerikanische Wirklichkeit ist zum Horror geworden, lakonisch ironisch geht nicht mehr. Dowd schreibt fassungslos über den Anschlag auf die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi: Ein Mann war mit dem Vorhaben in ihr Haus eingedrungen, Nancy zu entführen und ihr die Kniescheiben einzuschlagen. Er fand nur ihren Mann vor, dem schlug er mit einem Hammer direkt auf den Schädel.

Paul Pelosi liegt im Krankenhaus. Es heißt, er werde sich gut erholen von dem Schlag. Maureed Dowd treibt die Normalisierung des Schreckens um, die Alltäglichkeit des Unerhörten. Kaum ein Medienportal griff den Angriff als Mordversuch auf, man berichtete von einem verrückt Gewordenen, entpolitisiert in Teilen das zutiefst Politische: Der Hass ist tief in die Köpfe der Menschen gedrungen. Der Wahnsinn, der beim Sturm auf das Capitol am 6. Januar letzten Jahres zu sehen war, könnte nur der Anfang gewesen sein.

Damals schrien einige der Besetzer: „Where are you, Nancy?“ und stürmten ihr Büro, in dem sie sich zum Glück nicht mehr befand. Jagd auf Repräsentanten der Demokratie, brachiale Gewalt. Donald Trump brachte den aufgebrachten Hass ins Weiße Haus, er trieb die Nation und die Welt vor sich her mittels eines vermeintlich kleinen, blauen Vogels: Twitter. Desinformationskampagnen vom mächtigsten Mann der Welt gab es damals täglich.

Eine überdimensionale Stimme

Nach dem Sturm auf das Capitol twitterte Trump über die Wahl, die im angeblich geklaut worden war, darüber, dass seine MAKE-AMERICA-GREAT-AGAIN-Anhänger „a GIANT VOICE long into the future“ haben würden, eine überdimensionierte Stimme weit bis in die Zukunft hinein. Am 8. Januar sperrte Twitter Trump.

Doch jetzt gehört Twitter bekanntlich Elon Musk. Als Hillary Clinton einen solidarischen Tweet für die Familie Pelosi postete, verlinkte „Chief Twit“ Musk den Link zu einer üblen Verschwörungstheorie. Demnach sei Paul Pelosi zum Zeitpunkt des Überfalls angetrunken gewesen und habe mit einem männlichen Prostituierten gestritten. Musk löschte den Link nach heftiger Kritik, der Teufel war jedoch längst in der Welt.

Es scheint keine Grundregeln des demokratischen Zusammenspiels mehr zu geben, der noch diskursive Krieg um die Deutungshoheit wird vor allem auch auf Twitter geführt, doch immer öfter schlägt er, wie im Fall Pelosi, um in rohe Gewalt. Haben wir das Ausmaß der Macht, die diese digitalen Plattformen über unsere Demokratien haben, wirklich verstanden?

Dieses Land braucht keinen Musk,  wir haben eigene Patronen im „Hohen Haus.“

Einer wie Musk hätte auch, wie Milliardäre das bisher taten, einen Präsidentschaftskandidaten seiner Wahl mit viel Geld unterstützen und seine Interessen nach der Wahl durchsetzen können. Es wird nur immer deutlicher, dass ohne digitale Netzwerke kaum mehr eine Wahl zu gewinnen ist. In Brasilien wurden unter anderem über Whatsapp massiv Desinformationskampagnen über Lula da Silva gestreut.

Das gefährliche vermeintlich Seriöse

Lula hat nun zwar knapp gewonnen, aber der direkte Zugang zu den Handys der Wählerinnen und Wähler bestimmt zunehmend, wie Menschen sich die Welt erklären. Während Corona haben wir in Deutschland viele Bürgerinnen an Verschwörungsmythen verloren, seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine verbreiten die russischen Desinformationskampagnen ihre Lügen und bringen Bürgerinnen im Westen gegen den Westen auf.

Ich habe keine Sorgen mehr wegen den Hassreden der Trolle, die lassen sich immerhin blocken. Wirklich Sorge macht das vermeintlich Seriöse, die vermeintliche „andere Geschichte“, die in Umlauf kommt, so wie der betrunkene Streit zwischen Paul Pelosi und dem männlichen Prostituierten im Haus. Es ist viel Arbeit, Unsinn aus der Welt zu schaffen. Mitunter schafft man nichts anderes mehr. Das scheint die platte Strategie jener, die verwirrte Demokratien wollen, um ihr autoritäres Handeln zu rechtfertigen.

Viele Republikaner mobilisieren gerade auf der Basis dieser Kampagne ihre Wählerinnen und Wähler für die Zwischenwahlen. Liest man einige der Tweets seit dem Angriff auf Pelosi, wird klar, weshalb Maureen Dowd kein Halloween braucht: groteske, gruslige Realitätsverdrehung, Horror, ja, welche Fratzen Politiker aufsetzen, wie sie mit der Wirklichkeit spielen und auf die Überforderung der Wählerinnen setzen.

Quelle         :         TAZ-online           >>>>>       weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —      Vogelschwarm im Norderneyer Watt

Verfasser Jürgen Hamann       /      Quelle   :    Eigene Arbeit        /     Datum     :      31. August 2020, 12:09:22   .

Diese Datei ist lizenziert unter derCreative CommonsAttribution-Share Alike 4.0 International Lizenz.

********************************

Unten      —      Altkanzler Gerhard Schröder als Öl- und Gasoligarch der russischen Konzerne Gazprom und Rosneft.

Abgelegt unter Bildung, Kultur, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

TikTok und Co. Made China

Erstellt von DL-Redaktion am 28. Oktober 2022

Pekings Digitalimperialismus

Eine Kolumne von Sascha Lobo

China strebt nicht nur über Hafenbeteiligungen, sondern auch mit digitalen Instrumenten wie TikTok nach der Weltherrschaft. Doch Deutschland unterschätzt die Gefahr mit politischer Naivität.

Gasabhängigkeit von einer imperialistischen Diktatur als spektakulär kurzsichtig entlarvt. Jetzt möchte Olaf Scholz offenbar Merkel Konkurrenz in Sachen politischer Kurzsichtigkeit machen, indem er gegen den Rat von ungefähr allen einem chinesischen Staatsunternehmen den Einstieg in den Hamburger Hafen erlaubt. Dieser Schachzug passt in das übergeordnete Konzept »Neue Seidenstraße« oder englisch »Silk Road«, mit dem China seinen Infrastruktur- und Handelseinfluss in Asien und Europa stärken will. Die »Neue Seidenstraße« ist gewissermaßen das chinesische Nord Stream 2, nur in größer und im Zweifel bedrohlicher. Die Aufregung um die chinesische Minderheitsbeteiligung ist deshalb absolut gerechtfertigt, sogar notwendig.

Sie zeigt aber auch, wie sehr Politik und Zivilgesellschaft in Deutschland noch immer auf die dingliche Welt fixiert sind. Und wie falsch die Macht der digital vernetzten Welt noch immer eingeschätzt wird. Denn zu wenige Menschen sind besorgt über den digitalen Imperialismus, den China betreibt und die unglaublich machtvollen Instrumente, auf die China dafür zurückgreifen kann. Wie zum Beispiel TikTok, aber bei Weitem nicht nur. Das Ziel des chinesischen Digitalimperialismus ist die möglichst weitgehenden Kontrolle über die gesamte Welt. Nein, das ist nicht übertrieben.

Der chinesische digitale Imperialismus wird in Deutschland mit bisher kaum erkannter Radikalität vorangetrieben, und es ist jetzt schon abzusehen, dass dabei TikTok absolut wesentlich werden wird. Hier hat man gelacht, als Trump 2020 TikTok verbieten wollte, und ein Verbot ist in der Tat ein unpassendes, kontraproduktives und liberalen Demokratien nicht angemessenes Mittel. Das dahinterstehende Problem aber wird auch von der Regierung Biden sehr ernst genommen, während man im politischen Deutschland TikTok offenbar als eine Art Kinderspielzeug betrachtet. Die deutsche Verachtung des Virtuellen paart sich aufs Ungünstigste mit der politischen Naivität über die chinesischen Absichten. Die oben erwähnte »Neue Seidenstraße« ist vielen Leuten geläufig, das chinesische Gigantoprojekt vorgeblich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit einer Vielzahl anderer Länder vor allem in Asien und Europa, mit den Schwerpunkten Infrastruktur und Handel. Seit 2019 sind interessanterweise auch Militärkooperationen hinzugekommen. Weniger bekannt aber ist die »Digital Silk Road« , die digitale Variante der Initiative. Hier wird der hegemoniale Charakter von Chinas Vorgehen offensichtlich.

Das Land braucht eine solche Politik um mit niedrigen Löhnen in der Welt-Konkurrenzfähig zu bleiben?

Mit der »Digital Silk Road« versucht China vorrangig in Südasien, gewissermaßen vor der chinesischen Haustür, eine Technologiehoheit zu gewinnen. Und diese dann für handfeste politische Macht zu nutzen. Als Beispiel eignet sich gut das Vorgehen im Bereich des digitalen Payment. Im Rahmen der Digital Silk Road wurde in südasiatischen Ländern wie Laos nicht nur dingliche Infrastruktur wie Gleise, Bahnhöfe und Züge chinesisch finanziert und geplant  sowie mit riskanten Krediten bezahlt. Auch fast die gesamte Netzinfrastruktur wurde von China bereitgestellt. Das gilt nicht nur für Kabel und Rechenzentren, sondern auch für infrastrukturelle Software und IT-Standards. Daraus folgt aber auch, dass es immer einfacher und alternativloser wird, weitere chinesische Digitalsysteme und -produkte anzuflanschen. In Laos ist deshalb auch die Bezahlinfrastruktur chinesisch geprägt, und plötzlich werden essenzielle ökonomische Ströme des Landes von chinesischen Unternehmen kontrolliert – und damit eben auch von China, also einer imperialistisch aufgestellten Diktatur.

Laos ist ein kleines, wirtschaftlich nicht übermäßig bedeutendes Land – aber auch dort wird die Wirtschaft immer digitaler, in allen Facetten. Schon jetzt wäre es für Laos ein gesellschaftlicher und ökonomischer Selbstmord, sich gegen China zu wenden. Und zwar nach Chinas Maßstäben. Das Land ist faktisch nur noch eingeschränkt selbstständig , und die chinesischen, digitalen Infrastrukturen tragen dazu erheblich bei. Das ist nichts anderes als Imperialismus des 21. Jahrhunderts.

Wp10 20110115 IMG 9974.jpg

In eine ähnliche Richtung geht es auch in anderen südasiatischen Ländern, wo mit und durch chinesische Unternehmen der digitale Fortschritt gestaltet wird, insbesondere in der Finanzwirtschaft wie bei Payment-Systemen. Weshalb sich gewissermaßen über Bande ein seit 2015 von China aufgebautes, auf dem chinesischen Yuan basierendes Interbanken-System namens CIPS in bisher fast hundert Länder verbreitet hat, ein Konkurrent des Banken-Transaktionssystems SWIFT. Politisch interessiert hat das bisher praktisch keine Sau in Deutschland – wahrscheinlich weil es schwer greifbare, digitale Infrastruktur ist, die immer mit den gleichen komischen Symbolfotos dargestellt wird. Und nicht ein anfassbarer Hafen, zu dem alle sofort ein Bild im Kopf haben und Worte wie »Exportweltmeister«. 2015 jubelte die Deutsche Bank, sie sei als eine der ganz wenigen ausländischen Banken fast von Anfang an bei CIPS mit dabei , hurra!

Quelle        :         Spiegel-online          >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben      —     西安市新城区大明宫丹凤门和抖音

*****************************

2.) von Oben       —      Protest von FridaysForFuture und Anderen, sowie Ankunft der Verhandlungsteilnehmenden an der Messe Berlin zum letzten Tag der Sondierungsgespräche für eine Ampelkoalition.

Abgelegt unter Asien, Bildung, Deutschland, Positionen, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

Eine Riskante Ehrung

Erstellt von DL-Redaktion am 25. Oktober 2022

Wie glaubwürdig ist eine „Entteufelung“,
wenn ständig dubiose Anmerkungen gemacht werden?

Wollen sich die Verteiler von Orden nicht nur selber hervortuen?

Ein Debattenbeitrag von Claus Leggewie

Nazi-Jäger Serge Klarsfeld hat einen Orden von einem Bürgermeister des Rassemblement National entgegengenommen. Er sollte ihn zurückgeben.

Man stelle sich vor, in einer großen ostdeutschen Stadt sei ein AfD-Mann Oberbürgermeister geworden und zeichne in dieser Funktion jemanden aus, der seit Jahrzehnten als Antifaschist und Kämpfer gegen Antisemitismus aktiv gewesen wäre. Oder ein Rechtskonservativer hätte in den 1960er Jahren dem als „Nazi-Jäger“ titulierten hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer einen Orden verliehen. Undenkbar – jedenfalls der historische Fall, denn Bauer, von der Rechten hartnäckig diffamiert, hätte ihn niemals angenommen.

Zu schrägen Ehrungen kommt es allerdings immer wieder, wie in dem Fall, der gerade in Frankreich für Aufsehen sorgt. Der Pariser Rechtsanwalt und Holocaust-Überlebende Serge Klarsfeld, der unter anderen den SS-Mann Klaus Barbie gejagt und 1987 für dessen Verurteilung gesorgt hatte, ließ sich kürzlich von Louis Aliot, dem Bürgermeister der südfranzösischen Stadt Perpignan, mit einer Ehrenmedaille für seine Verdienste auszeichnen. Klarsfeld und seine Frau Beate haben jede Menge Verdienstorden erhalten und sind Unesco-Botschafter für Holocaust-Bildung. Das Problem ist nur: Aliot ist eine Führungsfigur des Rassemblement National (RN), wie der rechtsradikale Front National mittlerweile heißt, und er kämpft gerade um die Nachfolge der RN-Chefin Marine Le Pen, mit der er lange auch privat liiert war. Der Fall wirft die Frage auf, wie man mit radikalen Rechten, die längst zum politischen Alltag geworden sind, verfahren soll: entgegenkommend, um sie zu mäßigen, oder verächtlich, wie sie es selbst mit der liberalen Demokratie halten?

Die RN ringt derzeit um den Kurs der Rechtspartei, die nun erstmals auch in der Nationalversammlung stark vertreten ist: Soll sie sich weiter „entteufeln“ (dédiaboliser), also den rechtsradikalen Ideologie – und Personalballast abwerfen (wie den von der eigenen Tochter aufs Altenteil beförderten Parteigründer Jean-Marie Le Pen) und die Führungsrolle im rechtskonservativen Lager anstreben? Oder soll sie sich angesichts der Konkurrenz Eric Zemmours „Reconquête!“ weiter Rechtsaußen als Fundamentalopposition gerieren?

Die Begründung von Serge Klarsfeld, warum er sich von Bürgermeister Aliot zum Ehrenbürger ernennen und mit ihm fotografieren ließ, bezieht sich auf diese Richtungskampf. Klarsfeld erklärte „Libération“, damit den moderaten Aliot unterstützen zu wollen. Sein Sohn Arno bekräftigte das in einem Tweet: Wenn Teile des RN sich weiterentwickelten, indem sie Untaten des Vichy-Kollaborationsregimes wie die Razzia von Vel d’Hiv verurteilen, die Erinnerung an die Shoah pflegen und das in der extremen Rechten grassierende einwandererfeindliche Theorem des „Großen Bevölkerungsaustauschs“ für unpassend erklären, warum solle man das nicht anerkennen? „Es ist besser, wenn die extreme Rechte gemäßigt rechts wird als umgekehrt.“

Bissige Kommentare über die politische Naivität der Klarsfelds ließen nicht auf sich warten. Aliot habe nur Lippenbekenntnisse abgelegt, er sei nichts als ein weißgewaschener Klon einer tiefbraunen Partei, die aus dem Sumpf der Vichy-Kollaboration stammt, von beinharten Nazis gegründet wurde, Antisemiten und Rassisten eine politische Bühne bot. Dass er der faschistoiden Tradition treu geblieben ist, erkenne man an der von Aliot kurz zuvor eingeleiteten Benennung einer Straße nach dem vor zwanzig Jahren verstorbenen Pierre Sergent. Dieser war ein Anführer der „Organisation armée secrète“ (OAS), die um 1960 mit blutigem Terror für den Erhalt des französischen Algerien kämpfte und Tausende Tote und Verletze auf dem Gewissen hat.

„Kann man“, fragt der Vorsitzende von SOS Racisme, Dominique Sopo, „ein Kämpfer für die Erinnerung sein und nicht vor den Kopf gestoßen werden, wenn versucht wird, Tausende republik- und araberfeindliche Verbrechen der OAS in ebenso viele ehrenhafte Taten zu verwandeln?“ Kann man nicht, aber Klarsfeld wies auf neuerdings islamfreundliche Äußerungen des Bürgermeisters hin. Weggefährten ermahnten den 87-Jährigen, die Ehrung auszuschlagen. Sie erinnerten an seine gewaltigen Verdienste um die Aufarbeitung der Vergangenheit in Frankreich und um die Verankerung der Erinnerung an die ermordeten Juden, zu denen sein Vater zählte, im kollektiven Gedächtnis der Nation. Gegenüber der Wochenzeitung Paris-Match räumte Klarsfeld ein, die DNA jeder Rechtspartei sei der Hass auf Juden. Aber er sehe, dass es „bei einigen eine Entwicklung gibt, und ich forciere diese friedliche Entwicklung“. Aliot sei und bleibe ein Reaktionär, gegen den er weiterhin kämpfen werde, doch „aus Feinden werden Gegner, wenn sie sich mäßigen“.

Quelle        :          TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     This is an image of Serge and Beate Klarsfeld.

Abgelegt unter Bildung, Europa, Mensch, Positionen | Keine Kommentare »

Politisches Chaos BRD

Erstellt von DL-Redaktion am 20. Oktober 2022

Wo ist sie geblieben – Die Demokratie ?

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

An sich sollte man meinen, dass die derzeitige Bundesregierung genügend mit den Problemen im eigenen Land und untereinander zu tun hat. Die Konzept- und Ideenlosigkeit unter Kanzler Scholz spürt man aber besonders im Hinblick auf die Welt und China.

Und der Grund dafür kann durchaus in unserem „demokratischen“ Gebaren liegen. Mehrheitlich gewählt war die SPD, und damit war die Wahl nach demokratischen Regeln vorbei. Die nachfolgende Koalitionsbildung entzog sich jedem Wählereinfluss und -willen mit der Folge, dass wir jetzt ein totales Chaos haben. Die Außenministerin schießt einen Bock nach dem anderen, der Finanzminister funkt in Dinge hinein, die an sich Sache des Wirtschaftsminister sind (Atomkraftwerke) und in die jetzt der Kanzler mit einem Machtwort hineingrätscht, die Verteidigungsministerin hat sich von der anfänglichen Lieferung von Schutzhelmen an die Ukraine heute zur Lieferung schwerster Waffen entschlossen, die aber noch gar nicht hergestellt sind und erst in Jahren zur Verfügung stehen.

Wenn überhaupt. Die dringende Ablösung der Grundsicherung durch das von der SPD entwickelte Bürgergeld widersetzt sich die FDP mit der Bagatellisierung der Not der Betroffenen, und der Gesundheitsminister kann sein Amt wegen Morddrohungen nur unter Polizeischutz ausüben. Zu allem Überdruss folgen Scholz, Baerbock und Habeck blind der kurzsichtigen US-Politik in Sachen China und gefährden so Gegenwart und Zukunft unserer Industrie.

Besser als am Beispiel Duisburg kann China seine Absichten und Taten nicht vorführen, und trotzdem verweigert Habeck Hamburg ein ähnliches Projekt mit China zur Verbesserung der Lieferketten. Aber wohlgemerkt, in die Abhängigkeit von China hat sich die deutsche Industrie planvoll und profitgeil selbst geführt. Nur wenige Großfirmen haben inzwischen das Potential in China richtig erkannt und investieren dort heute ebenso wie in den USA, Brasilien, Kanada oder sonst wo im Rahmen ihrer globalen Geschäftstätigkeit.

Vorhalle - Dreieckgiebel

Niemand schrieb: Den Deutschen Politiker-innen    !!!

Unser Kanzler reist derweil emsig, spricht viel und sagt wenig, während Baerbock und Habeck sich an Aufgaben versuchen, auf die sie ganz offensichtlich nicht vorbereitet waren, und Lindner tolldreist gegen fast alle Vorhaben seiner Amtskollegen ist und eindeutig kapitalistische Interessen vertritt.

Alles ist stets im Wandel, wussten schon die alten Griechen. Und jedem Wandel muss man sich mit Hirn und Umsichtig stellen, wenn man weiterkommen will. Das von unserer Regierung potenzierte Chaos führt zu gar nichts, allenfalls zum Scheitern. Bei einer Neuwahl kann man nur hoffen, dass der Wahlsieger auch alleine regieren kann, um den Wählerwillen trotz Unvorhersehbarkeiten auch umzusetzen. Schon 2005 monierte die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): „Das bislang so eigentümlich beständige deutsche Parteiensystem steht heute vor fundamentalen Verwerfungen, weil es die veränderten Konfliktlagen der Gesellschaft nicht mehr angemessen widerspiegelt und abbildet“.

Damals galt das zwar besonders im Hinblick auf die Wiedervereinigung. Heute gilt das umso mehr in einer Zeit einer von der Natur plötzlich und unerwartet ausgelösten Pandemie und eines von Menschen provozierten Krieges und Klimawandels mit weltweiten insbesondere wirtschaftlichen Auswirkungen. Dabei haben wir keine Zeit mehr bis unsere Politiker endlich aus ihren Machtträumen aufwachen. Mit jedem Tag ohne zeitnahes und nachhaltiges Handeln verlieren wir wertvolle Zeit zum Schaden unserer Gesellschaft!

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben      —   70 Jahre Grundgesetz, Transparente am St. Ursula Gymnasium in Freiburg

Abgelegt unter Berlin, Bildung, Medien, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Transformation am Ufer

Erstellt von DL-Redaktion am 2. Oktober 2022

Wer Ökologie nicht versteht, kann auch keine Wirtschaft

Eine Argumentation von Ulrike Fokken

Eine Klimakrisen-Wirtschaft kann nur mit den Gesetz­mäßigkeiten der Flüsse funktionieren. Die angebliche Versöhnung von Ökologie und Ökonomie ist keine Option.

Geradezu sinnlich haben wir in diesem Sommer den Klimawandel erlebt. Wir wissen jetzt, wie es sich anfühlt, wenn bei 37 Grad der Schweiß auf der Haut verdunstet und nicht mehr kühlt, wenn der Körper matt und der Kopf blöde in der Hitze hängen. In den Städten war es unerträglich, die Wälder standen brandgefährlich trocken. Seen und Flüsse kühlten kaum, als wir sie am dringendsten brauchten. Bis Juli hatte die Sonne die Seen und Flüsse auf 26, 28 Grad Celsius erhitzt. Auf den freiliegenden Ufersteinen moderten Wasserpflanzen. Algen dickten die Gewässer ein. Und an Rhein, Saale, Panke und unerwähnten anderen Flüssen haben wir erlebt, dass im Klimawandel auch der Flussbarsch und die Bachmuschel sterben.

Trockenheit bedeutet Tod im Fluss, der uns mehr angeht als ein ethisches Zucken. Erst einmal die gute Nachricht: Eines der vielen Wunder der Natur ist ihre Stärke, dem Leben das Leben zu ermöglichen. Strudelwürmer, winzige Krebse, Larven von allerhand Insekten und Fischen, Schnecken und Mikroben überleben in den feuchten Tiefen des Sediments und besiedeln den Bach und Fluss, sobald das Wasser wieder fließt. Wenn Tiere, Pflanzen und mikroskopische Kleinstlebewesen wieder ein Netz der Vielfalt knüpfen, belebt sich das ökologische System im Fluss und versorgt auch uns mit dem Element, das uns am Leben hält: Wasser.

Im Wasser der Oder keimt auch die Hoffnung, dass die Natur den ökologischen Kollaps im Fluss heilen kann. Die Bilder von Hunderttausenden toten Fischen in der Oder schmerzten. Barsche, Hechte, Neunaugen, Goldsteinbeißer, Döbel und auch 20.000 junge Störe aus den Bassins einer biologischen Nachzuchtstation erstickten. Verstörend ist vor allem, dass gleich eine ganze Reihe von menschlichen Ursachen den Ökozid in der Oder ausgelöst hatte: Die Salzeinleitungen in Polen lösten eine Kette von Reaktionen aus: Im gestauten Wasser an Buhnen und Wehren fanden die todbringenden Brackwasseralgen einen Lebensraum; zu viele Stickstoffverbindungen aus der Landwirtschaft nährten sie in dem vom Klimawandel erhitzten Fluss.

Diese Gründe und vermutlich noch ein paar mehr hängen multikausal mit der Lebens- und Wirtschaftsweise in den Industrieländern Deutschland und Polen zusammen. Und das ist eine der schwierigen Erkenntnisse: Wir alle sind für den Ökozid in der Oder verantwortlich. Das bedeutet: Wir müssen unsere Lebensweise ändern, die bislang vorherrschende Art zu Wirtschaften und das Land zu beackern, umstellen. Ohne saubere Flüsse gibt es kein Trinkwasser, ohne natürlichere Flüsse vertrocknet das Land.

Wenn es um Wald, Flüsse, Natur geht, entsteht in Deutschland schnell der Verdacht, man wolle zurück in eine Welt des 18. Jahrhunderts oder früher, jedenfalls in die Zeiten vor der Industrialisierung und der Einhegung des natürlichen Lebens. Das sind alte Reflexe der Abwehr, denn hierzulande überwiegen der feste Glaube an die Technik und menschliche Ratio. Naturnahe Wälder und natürlichere Flüsse entspringen jedoch nicht einer romantischen Verklärung der Natur, sondern der logischen Schlussfolgerung aus Trockenheit und einem Temperaturanstieg von 1,8 Grad in Deutschland in den vergangenen 50 Jahren.

Eine Klimakrisen-Wirtschaft an und auf Flüssen kann nur mit den Gesetzmäßigkeiten der Flüsse funktionieren. Denn ob die Wirtschaft nun wächst oder stagniert, ob der Kapitalismus noch ein paar Jahre weiter ballert oder zusammenbricht – in jeder Art zu wirtschaften und zu leben werden Flüsse eine entscheidende Rolle in Mitteleuropa spielen. Wie auch immer wir kollektiv zusammenleben, wird die Ökonomie nur mit Ökologie florieren. Um gleich ein Missverständnis auszuräumen: Es geht nicht darum, die Ökologie mit der Ökonomie zu versöhnen, die Wirtschaft also nachhaltiger, umweltfreundlicher und sogar klimaverträglicher zu gestalten. Es geht darum, die Gesetzmäßigkeiten von hochkomplexen Ökosystemen anzuerkennen und das bisschen, was Wis­sen­schaft­le­r-in­nen bislang entziffert und verstanden haben, in praktisches Handeln umzusetzen. Auch das ist keine Romantik, sondern Logik. Nur mit den physikalischen, chemischen und biologischen Gesetzmäßigkeiten in den Ökosystemen werden wir die Systeme menschlichen Zusammenlebens erneuern und erhalten können. Die Natur der Flüsse anzuerkennen, ist also kluge Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik – ebenso wie Treibhausgase einzusparen und die Erwärmung der Erde zu begrenzen.

Es werden immer mehr Idioten aus den politischen Clans mit den Aufgaben als Minister-innen beauftragt. Wer einen Fluss  vertieft oder begradigt,  sorgt für einen schnelleren Ablauf des Wassers. Über so viel an Grundschulwissen sollte ein Minister schon verfügen.

FDP, CDU und weite Teile der SPD drücken sich noch an den Spundwänden entlang, um in ausgetrockneten Flüssen so weiterzumachen wie bisher. FDP-Bundesverkehrsminister Volker Wissing holte aus dem trockenen Sediment seines Schreibtischs die Rheinvertiefung vor, die er schon als Minister in Rheinland-Pfalz machen wollte und auch ohne Dürre die Sache verschlimmert hätte. Den Rhein in diesen heißen Zeiten zu vertiefen, ist so, als ob man einen Sonnenbrand mit dem Abtragen der Haut behandelt. Je tiefer ein Fluss ausgebaggert wird, desto schneller fließt das Wasser aus der Landschaft und desto stärker trocknet das umliegende Land aus. Ein vertiefter Fluss verliert außerdem zu viel Sediment, in dem kleinste Lebewesen und Bakterien das Wasser reinigen, bevor es ins Grundwasser läuft. Sind zu wenige Steine und Sand am Flussgrund, bricht das Sediment, und das ungefilterte Flusswasser verschmutzt das Grundwasser. Schon jetzt kippen Laster täglich Steine und Sand in den Rhein und andere gestaute und ausgebaggerte Flüsse, um das Sediment in den Flüssen zu erhalten und den Trinkwasser-GAU zu verhindern.

Die Folgen von Hochwasser oder Gar-kein-Wasser werden nur dann gemildert, wenn die Ökosysteme in und an den Flüssen in das menschliche Wirtschafts- und Gesellschaftssystem in heißen Zeiten integriert werden. Das bedeutet nicht, dass fortan Rhein, Elbe, Donau wieder in den natürlichen Flussarmen strömen, Deiche verschwinden, alle Wehre und Staumauern und Wasserkraftwerke abgebaut werden. An sehr vielen Ufern brauchen wir den Schutz den Mauern, denn sie halten Industrieanlagen und Siedlungen trocken. Noch brauchen wir auch die megawattstarken Wasserkraftwerke in den Alpenflüssen, aber eines Tages werden Sonne und Wind die Energie naturverträglicher liefern als die gestauten Flüsse.

Wehre, Wasserkraftwerke und Ufermauern stammen aus früheren Jahrhunderten. Aber mit den Bauanleitungen des 18., 19. und 20. Jahrhunderts können wir im 21. Jahrhundert nicht mehr hantieren. Damals haben Wasserbauer die Flüsse begradigt, gestaut, vertieft, umgeleitet, um Wasser aus der Landschaft zu holen, Land zu gewinnen und Transportwege zu bauen. In früheren Jahrhunderten hat es mehr geregnet, im 19. Jahrhundert sogar sehr viel mehr, und das Land war nass und die Moore ausgedehnt. Es gab zu wenig trockenes Land zum Ackern, Siedeln, Fabriken bauen. Ein Prozent der Flüsse und nicht einmal ein Prozent der Auwälder haben die große Trockenlegung in Deutschland überlebt.

Quelle         :           TAZ-online            >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Fischsterben in der Oder

Abgelegt unter Berlin, Bildung, Regierung, Umwelt | Keine Kommentare »

Und im politischen Schland?

Erstellt von DL-Redaktion am 27. September 2022

Bildung entscheidet über das Wohl der Welt

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Vor lauter Ablenkung durch Unwichtigkeiten, falschem Ergeiz und auch Fehlleitungen leben viele Menschen nicht entsprechend ihrem Potential und ihren Neigungen. Das ist nicht neu und bewegt uns Menschen schon seit jeher.

Noch vor den weisen Griechen hat Konfuzius schon die Bildung jenseits aller Standesunterschiede gefordert und praktiziert, um ein „edler“ Mensch zu werden. Bei den Griechen und Römern war Bildung zwar sehr angesehen, hing aber entscheidend vom Stand ab. Auch die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis viel auf. Das kommt in dem Spott einer Thrakerin gegenüber Thales von Milet zum Ausdruck, die dem Astronomen bei einem Sturz zur Nachtzeit nachrief, dass er beim Schauen auf die Sterne auch auf die Gasse achtgeben solle. Ab Augustinus wird bei uns die Bildung dann reine Sache der Catholica, bis zur Renaissance, als die von den Arabern gepflegten Wissenschaften wiederentdeckt und zunehmend angewandt wurden. Die französische Aufklärung bahnte dann mit Descartes, Rousseau und Voltaire den Weg zu unserem heutigen Bildungswesen, das bei uns durch Humboldt geprägt wurde.

Einig sind wir im Wesentlichen darüber, dass Bildung die Voraussetzung für Wissen und somit für die Entwicklungsmöglichkeiten von Menschen ist. Einstein meinte zwar, dass Phantasie wichtiger als Wissen sei, weil Wissen begrenzt ist. Das widerspricht aber nicht der Feststellung, dass Bildung auch die Voraussetzung für Phantasie ist. Das begegnet uns alle Tage, wen uns immer wieder neue Dinge auf der Grundlage unseres Grundwissens einfallen. Und eine gute Bildung hilft, unser Wissen stets zu erweitern und so Fortschritte für uns persönlich und die Gesellschaft zu erzielen.

In nahezu allen Ländern der Welt ist Bildung eine Pflicht z.B. in Form von Schulen. Während die Grundschule für alle verbindlich ist, sind weiterführende Schulen reine Privatsache entsprechend den jeweiligen Möglichkeiten und Neigungen. Und da kommt (nicht ganz unerwartet) ein Aufschrei aus den USA, dass die amerikanische Bildungskrise eine Bedrohung der nationalen Sicherheit sei. Nicht verwunderlich, wenn man davon ausgeht, dass Wissen Macht ist. Und da die Macht der USA jetzt deutlich zu bröckeln beginnt, hat man nun die Bildungsmisere als Grund des Übels identifiziert. Verwunderlich nur, dass es die schon seit über 60 Jahren gibt.

Oben: Bäder der Sieben  Weisen im Altertum – Unten: Ein Bad in der Menge von Drei Weißen im Heute

Die Grundschulen in den USA sind eine Katastrophe, weiterführende Schulen können sich nur Wohlhabende leisten. Schier unmöglich ist ein Studium an einer öffentlichen Universität, wenn nicht der Papa die Studiengebühren von 20 bis 60 TUS$/Jahr zahlen kann. Dieser für ein reiches Land unvorstellbare Bildungsnotstand schwäche die Produktivität der USA deutlich. Diese liege schon deutlich unter der von China, wo Bildung seit 2500 Jahren eine Säule des Volkswohles ist. Solange die USA die Bildung nur als entscheidenden Faktor der nationalen Macht in den Bereichen wirtschaftlicher Produktivität und Militärpotential sehen, werden sie das Problem auf absehbare Zeit nicht lösen. „Die besten Dinge im Leben sind nicht die, die man für Geld bekommt“. (A. Einstein) Zur Bildung gehört auch Kunst in jeder Form, Wissenschaften aller Art, Respekt vor dem Menschen und der Natur. Eine umfassende Bildung sichert das Wohl der Welt. Überall.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben      —    AWIB-ISAW: Ostia, Bäder der Sieben Weisen (II) Detail eines Wandgemäldes, das den Philosophen Thales von Miletos in den Thermen der Sieben Weisen darstellt, mit begleitendem humorvollen lateinischen Text („Durum cacantes monuit ut nitant Thales“) und einem Identifikator auf Griechisch. von George Houston Copyright: George Houston (verwendet mit Genehmigung) fotografierter Ort: Ostia (Ostia Antica) pleiades.stoa.org/places/422995 Herausgegeben vom Institut für das Studium der Antike als Teil der Ancient World Image Bank (AWIB). Weitere Informationen: www.nyu.edu/isaw/awib.htm.

Abgelegt unter Bildung, Europa, Kultur, Positionen | Keine Kommentare »

Deutschland versteinert

Erstellt von DL-Redaktion am 20. September 2022

Wir brauchen einen neuen Bildungsföderalismus

Datei:Die Versteinerungen der Böhmischen Kreideformation (Plate XXII, Plate XXIII) BHL31179484.jpg

Ein Blick auf die Regierungsbank

Ein Debattenbeitrag von Daniel Dettling

Zu wenige Kitaplätze, gestrichene Sprachförderung: Deutschland investiert zu wenig in die ersten Jahre.  Wer eine Kita besucht hat, ist gesünder, erfolgreicher und wird seltener kriminell.

Bund, Länder und Gemeinden benötigen Hundertausende Lehrer- und Erzieher:innen. In den Kitas fehlen über 340.000 Plätze. Bis zu 40 Prozent der Kinder werden in einzelnen Bundesländern nicht betreut, obwohl ihre Eltern dies wünschen. Ein politisches Armutszeugnis mit weitreichenden ökonomischen und sozialen Folgen. Das Institut der deutschen Wirtschaft bescheinigte dem deutschen Bildungssystem jüngst einen Rückfall: Der Lern­erfolg der Schü­le­r:in­nen liege heute im Durchschnitt aller Bundesländer auf dem Niveau, den 2011 das damals schlechteste Bundesland Bremen erreicht hat. Fast gleichzeitig warnt der Bundesrechnungshof vor der finanziellen Handlungsunfähigkeit des Staates. 90 Prozent des Bundeshaushalts seien bereits „versteinert“, das heißt ausgegeben: Pensionspflichten des Staates gegenüber Beamten, Steuerzuschüsse an die gesetzliche Rentenversicherung und weitere Sozialausgaben. Bis 2040 würden allein die Ausgaben für altersbedingte Vorhaben auf jährlich 282 Milliarden Euro steigen. Für die Reparatur des anhaltenden Versagens in der Bildungspolitik gibt der Staat immer mehr Geld aus.

Besser wäre der umgekehrte Weg. Je früher und massiver in Erziehung und Bildung investiert wird, desto höher ist später die Rendite für Wirtschaft, Gesellschaft und den Einzelnen. Betroffen sind vor allem zwei Gruppen: Frauen und Kinder. Mütter, die ihre Erwerbswünsche nicht erfüllen und auf Beruf und Karriere verzichten müssen. Deutschland ist europäischer „Teilzeitmeister“. Mehr als zwei Drittel (69 Prozent) der Frauen mit minderjährigen Kindern arbeiten hierzulande Teilzeit. Im EU-Durchschnitt ist es nur jede dritte Frau (34 Prozent). Die Steigerung der Erwerbstätigkeit von Frauen hat für die Bundesregierung das größte Potenzial. Laut Studien liegt es bei derzeit nicht erwerbstätigen Müttern bei rund 840.000. In einem ansonsten reichen Land wie unserem ist „alleinerziehend“ inzwischen das größte Armutsrisiko. Kinder, die eine Kita besuchen, entwickeln sich besser, sind in der Schule erfolgreicher, verdienen später mehr und leben gesünder. Umgekehrt machen Kinder, die keine Kita besucht haben, seltener eine Berufsausbildung, werden eher kriminell und leben ungesund. Investitionen in Kitas lohnen sich ökonomisch und sozial am meisten.

Dennoch investieren Bund und Länder zu wenig in die ersten Jahre. Die jüngste Entscheidung der Ampel-Koalition, das Programm der Sprach-Kitas zu beenden, ist besonders fatal. Die jährlich 240 Millionen Euro sind gut angelegtes Geld. Von dem 2016 gestarteten Bundesprogramm haben bislang mehr als 500.000 Kinder profitiert. Gefördert wurden zusätzliche Kitafachkräfte, die ausschließlich für sprachliche Förderung in den Einrichtungen zuständig sind. Jede achte der bundesweit 58.000 Kitas ist eine Sprach-Kita. Begründet wird die Entscheidung mit dem Hinweis, dass die Zuständigkeiten für Kitas bei den Ländern liegen und diese doch nun die Finanzierung der Sprachförderung übernehmen können. Damit dreht der real existierende Föderalismus eine neue absurde Runde. Der Bund finanziert ein wichtiges Programm vor, ohne dabei sicherzustellen, dass die Länder die erfolgreich installierten Strukturen später auch weiterfinanzieren können.

Steine, Glas und Steine. Als einzige Erleuchtung – der Regenbogen strahlt häufig.

Im föderalen Bundesstaat gehört Bildung zu den Kernaufgaben der Bundesländer. Ökonomische und soziale Trends sprechen jedoch für Ausweitung des kooperativen Föderalismus und eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. So erwarten Wirtschaft und Gesellschaft in einer vom Fachkräftemangel geprägten Zukunft mehr Bildungsgerechtigkeit und -qualität. Bildung, Integration und Zuwanderung gehören politisch zusammen. Warum sollen künftig Hunderttausende ausländische Fach- und Arbeitskräfte nach Deutschland kommen, wenn Bund und Länder bereits in den Kitas auf Sprach- und Integrationsförderung verzichten? Von den beiden weltoffenen und liberalen Integrationsparteien Grüne und FDP erwarten Wähler und Wirtschaft zu Recht mehr. Selbst die Unionsparteien fordern mehr Förderung, nachdem sie zuvor jahrelang das Kooperationsverbot in Bildungsfragen wie eine Monstranz vor sich hertrugen.

Kooperativer Föderalismus heißt aber nicht, dass der Bund alles bezahlt. Wer allein bezahlt, bestimmt am Ende alles. Eine Alleinfinanzierung des Bundes würde zu einer schleichenden Aushöhlung des Föderalismus führen, der zur Zentralisierung von Macht und Ohnmacht führt. Bildungsföderalismus ist nicht per se Mist, wie viele in Berlin auf Bundesebene behaupten. Ein föderaler Flickenteppich aber schon. Es braucht beides: mehr Investitionen des Bundes und mehr Commitment der Länder. Ein kooperativer Wettbewerbsföderalismus der besten Ideen setzt auf einheitliche Ziele und Standards, Monitoring und Evaluation. Der Bund sollte die (weitere) Finanzierung von der Erreichung gemeinsam definierter Ziele abhängig machen, die eine unabhängige Instanz – etwa eine Stiftung – überprüft und veröffentlicht. Ein Netzwerk und Bündnis von erfolgreichen Kitas wäre die Folge.

Quelle         :       TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —      Die Versteinerungen der Böhmischen Kreideformation / beschreiben von Dr. August Em. Reuss ; mit Abbildungen der neuen oder weniger bekannten Arten, geziechnet von Joseph Rubesch.

Verfasser Reuss, August Emanuel; Josef: Rubesch. /  Quelle:     https://www.biodiversitylibrary.org/pageimage/31179484

  Kredit     : Diese Datei stammt aus der Biodiversity Heritage Library.

Gemeinfreiheit Dieses Werk ist in seinem Ursprungsland und anderen Ländern und Gebieten, in denen die Urheberrechtsfrist das Leben des Autors plus 70 Jahre oder weniger ist, gemeinfrei.


Dieses Werk ist in den Vereinigten Staaten gemeinfrei, da es vor dem 1. Januar 1927 veröffentlicht (oder beim U.S. Copyright Office registriert) wurde.

***************************

Unten     —       Nach einem Schauer bildete sich dieser Regenbogen an der Spree auf Höhe des Spreebogens in Berlin-Mitte. Zu sehen sind u.a. das Bundesministerium für Bildung und Forschung, die Skulptur „Drehmoment“ auf dem Vorplatz des Futuriums, das Kapelle-Ufer und der Fernsehturm.

Abgelegt unter Bildung, Deutschland, Kultur, Positionen, Regierungs - Werte | Keine Kommentare »

Mutig erkämpft :

Erstellt von DL-Redaktion am 20. September 2022

Bessere Pflege in NRW

Innerer Grüngürtel, Köln und auf der linken Seite Gebäude Universität zu Köln

Von Ulrike Baureithel

Während in der Urlaubssaison die Streiks des Bodenpersonals an den Flughäfen enorme mediale Resonanz erfuhren und rasch mit einem Tarifvertrag beendet wurden, fand der Ausstand der Pfleger*innen an den sechs nordrhein-westfälischen Unikliniken kaum mediale Beachtung. Dabei sind die Zustände in Normal- und Intensivstationen, Ambulanzen, Kreiß- und Operationssälen sowie Kinderstationen katastrophal, wie in dem während des Streiks entstandenen „Schwarzbuch Krankenhaus“ zu lesen ist.[1]

Langjährig in ihrem Beruf Tätige, aber auch Auszubildende und Hilfskräfte zeichnen dort ein Bild der Realität in deutschen Kliniken, das einen schaudern und verstehen lässt, warum viele Beschäftigte sagen, so möchten sie selbst nicht gepflegt werden. Da wird von Patient*innen erzählt, die stundenlang in ihren Exkrementen liegen oder alleine sterben, von unterversorgten Neugeborenen, Menschen, die auf eine Operation warten und aus Personalnot alleine gelassen werden. Die Rede ist von unterbesetzten Röntgenstationen, Ambulanzen, in denen es nicht nur zu verbaler Gewalt kommt, und Nachtschichten, die von einer einzigen Kraft gestemmt werden müssen. Und es geht um Mitarbeiter*innen, denen „oft zum Heulen zumute“ ist, wenn sie nach Hause kommen, die „gerne weglaufen“ würden und vor Erschöpfung fast umfallen.

Das „Schwarzbuch“ wurde während des längsten Streiks, den das Krankenhauspersonal in Nordrhein-Westfalen je initiiert hat, fortwährend ergänzt. 79 lange Tage haben die Streikenden in Aachen, Bonn, Düsseldorf, Essen, Köln und Münster ausgeharrt, nachdem die Leitungen der Universitätskliniken ein 100tägiges Ultimatum haben verstreichen lassen. Sie erstellten Notfallpläne und sind auf Zuruf in die Klinik zurückgeeilt, wenn es nötig war. Gemeinsam entwickelten sie Forderungen – ganz eng an ihrem Arbeitsbereich und unter Einbeziehung der Kolleg*innen. Und sie reagierten mutig und selbstbewusst, wenn ihnen vorgeworfen wurde, die Patientensicherheit zu vernachlässigen.

Gefährlicher Normalzustand

Denn gerade um die Patientensicherheit ging es in diesem Streik. Nicht der Ausstand gefährde die Gesundheit der Patient*innen, so die immer wiederkehrende Erklärung, sondern der permanent unzureichende Normalzustand: Gefährdung besteht, wenn regelmäßig der ohnehin knapp bemessene Personalschlüssel unterlaufen wird, wenn die Pflegekräfte von einem Bett zum anderen hetzen, Überstunden ableisten oder kranke Menschen in den Ambulanzen viele Stunden warten müssen, kurz: wenn einfach zu wenig Manpower da ist, um die von allen Seiten gewünschte „gute Pflege“ zu leisten.

Dann riskieren nicht nur die Beschäftigten ihre Gesundheit, sondern auch Patient*innen leiden darunter. „Man fühlt sich ohnmächtig“, erzählt Personalrätin Petra Bäumler-Schlackmann, vor ihrer Freistellung als Betriebsrätin Teamsekretärin am Essener Klinikum, „wenn man täglich Überlastungsanzeigen bekommt und den Beschäftigten akut nicht helfen kann, weil wir dem Problem immer nur hinterherrennen.“[2] Allein in Nordrhein-Westfalen fehlen nach Verdi-Angaben rund 20 000 Fachkräfte in den Krankenhäusern und 14 000 in der Altenpflege. Deshalb forderten die Beschäftigten auch nicht mehr Geld wie bei einem gewöhnlichen Streik, sondern einen Tarifvertrag „Entlastung“ nach dem Berliner Vorbild, wo ein solcher im vergangenen Jahr ebenfalls nach einem wochenlangen Streik an den großen Krankenhäusern durchgesetzt werden konnte.[3] Ziel des Streiks waren entsprechend verbindliche Personalschlüssel für alle Arbeitsbereiche sowie die Dokumentation der konkreten Arbeitssituation, um den Betroffenen einen Belastungsausgleich – möglichst in Form freier Tage – zukommen zu lassen. Verdi fordert außerdem gesetzliche Personalvorgaben, die für alle Krankenhäuser gelten.

Wie schon in der Hauptstadt schlossen sich auch in Nordrhein-Westfalen Tätige aus allen Bereichen zusammen: Pflegekräfte, Reinigungspersonal, Beschäftigte aus Ambulanzen und Laboren, Transport und sogar der Verwaltung. Nach sechs Wochen Streik wurde schließlich klar, dass die Arbeitgeber zwar den Pflegenden „am Bett“ entgegenkommen wollten, weil dies durch das Pflegestärkungsgesetz hätte refinanziert werden können, die Beschäftigten in den übrigen Bereichen – mehr als die Hälfte des betroffenen Personals – aber außen vor geblieben wären. Der Vorschlag, den die Unikliniken im Juni schließlich unterbreiteten, wurde von der Verhandlungsgruppe in Absprache mit den Delegierten deshalb als „Mogelpackung“ abgelehnt. Die Spaltungsabsicht der Arbeitgeber war zu offensichtlich. Diese reagierten, indem sie mit Verweis auf die Patientensicherheit und ausgefallene Operationen versuchten, den Streik auf dem Klageweg zu beenden – allerdings erfolglos.[4]

Verbesserungen sind notwendig

Erschwert und verzögert wurden die Gespräche, weil die Unikliniken nicht einzeln bzw. zusammen mit Verdi verhandeln durften. Sie waren bis dahin Teil des Arbeitgeberverbandes des Landes (AdL), der wiederum der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) angehört. Diese hatte es jedoch abgelehnt, über einen Tarifvertrag Entlastung zu verhandeln. So mussten die Kliniken aus dem AdL austreten, was eine Änderung des Hochschulgesetzes erforderte. Diese wiederum ließ jedoch auf sich warten, weil sich die neue nordrhein-westfälische Landesregierung noch nicht konstituiert hatte. Am Ende verließen die Kliniken die AdL, nicht unbedingt zur Freude von Verdi: „Unser Wunsch wäre es gewesen, dass wir im Verband bleiben und schauen, was passiert. Wir bedauern sehr, dass die Landesregierung dazu nicht bereit war“, erklärt der Essener Gewerkschaftssekretär Jan von Hagen.[5]

Hauptgebäude der Universität zu Köln-5634.jpg

Sie würden den Streik erst beenden, wenn sie im Alltag tatsächliche Verbesserungen spürten, war von den Beschäftigten vielfach zu hören. Es müsse sich grundlegend etwas ändern. Der schließlich ausgehandelte Kompromiss sieht vor, dass in allen patientennahen Bereichen – von den Stationen über die Ambulanzen bis zur Psychiatrie – und in jeder Schicht kontrolliert wird, ob ausreichend Personal arbeitet. Ist dies nicht der Fall, gibt es Belastungspunkte für die dort Tätigen, bei sieben Punkten steht ihnen fortan ein freier Tag zu, bis zu maximal elf Tagen im ersten, 14 im zweiten und 18 im dritten Jahr. Für eine Übergangszeit, bis die entsprechend dafür nötigen IT-Systeme eingerichtet sind, gibt es pauschal fünf Tage. Auch für andere Bereiche wie die Radiologie oder Betriebskindergärten wurden Belastungsvereinbarungen erzielt.

In den einzelnen Kliniken werden nun 30 neue Vollzeitkräfte eingestellt. Bitter sei es jedoch, so Verhandlungsführer Heinz Rech, dass Entsprechendes für den IT-Bereich und die Ambulanzen nicht erreicht wurde. Immerhin: Die Anbindung an den Branchentarifvertrag bleibt auch nach dem Austritt der Kliniken aus der AdL bestehen. Damit hätten die Beschäftigten, so Katharina Wesenick von Verdi, „den ersten Flächentarifvertrag für Entlastung“ durchgesetzt und „einen wichtigen Etappensieg“ erreicht.[6] Anfang August segneten die Mitarbeitenden der Unikliniken den Abschluss ab, mit knapp 74 Prozent. Das Ergebnis, so Verdi-Sekretär von Hagen, spiegele die Stimmung der Streikenden wider. Sie hätten gute Ergebnisse durchsetzen können, es gebe aber auch „Unmut über die Spaltung der Beschäftigten durch die Arbeitgeber, die nicht bereit waren, für alle Bereiche wirksame Entlastungsregelungen zu vereinbaren“.[7]

»Ich pflege wieder, wenn…«

Quelle        :      Blätter-online        >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —       Innerer Grüngürtel, Köln und auf der linken Seite Gebäude Universität zu Köln

Abgelegt unter Bildung, Gesundheitspolitik, Köln, Positionen | Keine Kommentare »

Das Wissen vermitteln

Erstellt von DL-Redaktion am 15. September 2022

„Nicht jeder mit Professorentitel ist eine verlässliche Quelle“

INTERVIEW von CLARA ENGELIN mit Mai Thi Nguyen-Kim

Die promovierte Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim erklärt naturwissenschaftliche Themen für Laien in kurzen Videos. Im Interview erläutert sie, was ein Unkrautargument ist und warum sie sich Wissenschaftsvermittlung als Zwiebel vorstellt.

taz: Mai Thi Nguyen-Kim, 2016 haben Sie auf Youtube Ihr erstes Video „Was passiert, wenn Astronauten rülpsen“ veröffentlicht. Seitdem ist viel passiert. Ihr Kanal „maiLab“ ist eine Marke geworden, Ihr Video „Corona geht gerade erst los“ hat über sechs Millionen Aufrufe und war 2020 das erfolgreichste deutsche Youtube-Video. Wie schaffen Sie es, wissenschaftliche Erkenntnisse einer breiten Masse schmackhaft zu machen?

Mai Thi Nguyen-Kim: Mir geht’s immer darum, den methodischen Weg zu einer wissenschaftlichen Erkenntnis für alle Menschen nachvollziehbar zu machen. Nicht nur die Frage „Was weißt du?“ zu beantworten, sondern „Woher weißt du das?“ Wenn man einfach nur einen Fakt hinwirft, gibt es garantiert einen anderen Fakt aus dem Netz oder dem Fernsehen, der dem widerspricht. Aus Laiensicht steht dann Aussage gegen Aussage. Wissenschaftliche Methodik zu erklären, macht meine Beiträge zwar etwas länger, aber ich sehe das als eine Art Selbstermächtigung für Laien. So können sie sich ihre eigenen Gedanken machen und wandeln nicht völlig orientierungslos in diesem Informationschaos herum.

Haben Sie ein Beispiel?

Wissen wie: Bei einer Impfstoff-Studie brauche ich eine Kontrollgruppe – wenn es die nicht gibt, sagt die Studie nicht viel aus. Wenn ja, schon. Oder Antidepressiva: Klassischerweise wäre das Studiendesign, mit dem du einen Wirkstoff oder ein Medikament testest, eine kontrollierte Studie. Eine Gruppe bekommt es, eine nicht. Aber Antidepressiva kommen ja nur zum Einsatz, wenn Menschen eine schwere Depression haben. Aus ethischer Sicht wäre es nicht vertretbar, schwer depressive Personen für eine Studie eine längere Zeit nicht zu behandeln. Deswegen fehlen uns solche kontrollierten Langzeitstudien und damit fehlen uns auch solide Erkenntnisse. Das kann jeder Laie nachvollziehen! Solche wissenschaftlichen Abläufe sollten Allgemeinbildung werden. Dann würden die Menschen vielleicht weniger denken, Wissenschaft hätte immer die eine richtige Antwort parat. Und genauso wenig im anderen Extrem: Wissenschaft könne nie eine klare Aussage treffen. Beide Extreme stimmen natürlich nicht.

Aber wie bringt man solche Erkenntnisse unter die Leute? Man kann ja nicht erwarten, dass nun jeder anfängt, wissenschaftliche Papers zu lesen.

Eine der großen Herausforderungen in der Wissenschaftsvermittlung besteht ja im Kompromiss zwischen Korrektheit und Verständlichkeit. Oft heißt es: Um verständlich zu sein, muss ich verkürzen und im Zweifel weniger korrekt sein. Und andersrum: Je korrekter und genauer ich werde, desto weniger Leute verstehen mich. Das würde dem Bild einer Waage entsprechend, irgendwie frustrierend. Ich verstehe Wissenschaftsvermittlung lieber als eine Zwiebel.

Eine Zwiebel?

Ja, das ist viel motivierender. Die äußerste Schicht wären Videos auf Instagram oder Tiktok: eine Minute Zeit, ein Bild, sehr oberflächlich, aber breit zugänglich. Im Innersten der Zwiebel ist die originale, wissenschaftliche Veröffentlichung, the real thing sozusagen, aber nur ganz wenigen Leuten zugänglich. Jede Schicht der Zwiebel hat ihre Berechtigung und medial sollte alles vertreten sein. Da ich von Haus aus Wissenschaftlerin bin, ist es mein Ziel, Leute möglichst tief in die Zwiebel hineinzuziehen. Aber natürlich kann ich nicht erwarten, dass jemand sich gleich mühsam zum Kern durchbohrt. Die oberflächlichere Vermittlung ist absolut essenziell, um Menschen überhaupt erst mal zu erreichen und erstes Interesse zu wecken.

Im Intro Ihres Buchs „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit“ schreiben Sie, Ihrem Vater – wie Sie Chemiker – sei nicht ganz begreiflich gewesen, wie „über Wissenschaft Reden“ ein echter Beruf sein soll. Er war besorgt.

Mein Vater ist ein Old-School-Chemiker. Er hat das Fach studiert und arbeitete ganz klassisch als Chemiker. Meine Eltern sind in einer Zeit aufgewachsen, in der es das Internet noch nicht gab.

Sieht er das heute anders?

Absolut! Heute ist meine Mama wahrscheinlich mein größter Fan. Es ist fast schon obsessiv, sodass ich sage, ihr könnt euch ruhig auch etwas weniger mit mir auseinandersetzen (lacht). Aber es ist auch ganz süß. Ab und zu hat mein Papa jetzt Diskussionsbedarf. Politik war bei uns eigentlich nie Thema. Durch meine Arbeit sprechen wir nun auch über Wissenschaft, wo sie politisch relevant ist. Das ist ganz cool.

Sie sind zwar promovierte Chemikerin, arbeiten nun aber schon seit Jahren als Journalistin und Moderatorin. Um jetzt mal Klischees zu bedienen: Journalistinnen sind ex­trovertierte Charismatiker mit Geltungsdrang. Wissenschaftlerinnen hingegen gelten eher als zurückgezogene Nerds. Welcher Gruppe fühlen Sie sich zugehöriger?

Ach, im Herzen bin ich schon Wissenschaftlerin. Es ist ganz witzig, wenn man im Alltag andere Wissenschaftler trifft, dann gibt es so was wie eine „Instant Nerd Connection“. Ob man jetzt Bio oder Physik macht, man teilt eine Sicht auf die Welt. Von Claus Kleber wurde ich mal als „Anwältin für Fakten und Vernunft“ bezeichnet, das fand ich schön. Ich versuche, all die Leute zu vertreten, die die wichtige Arbeit in den Laboren machen, aber in den öffentlichen Diskussionen normalerweise unterrepräsentiert sind. Sodass Fakten und wissenschaftlicher Konsens Gehör finden. Deshalb fühle ich mich sehr wohl in dieser komischen Position zwischen Wissenschaft und Medien.

Sie plädieren auch für mehr Wis­sen­schafts­jour­na­lis­t:in­nen in politischen Redaktionen.

Ja, überhaupt in großen Redaktionen. Das Problem ist, in politischen Formaten werden immer wieder Fachleute aus der Wissenschaft hinzugezogen als diejenigen, die mit Autorität etwas erklären, was nicht zur Debatte gestellt wird. Die Journalisten, die sie interviewen, sind selten gut genug vorbereitet, um sie kritisch hinterfragen zu können. Als Wissenschaftsjournalistin muss ich aber wissenschaftliche Erkenntnisse nicht nur übersetzen, sondern auch einordnen. Nicht jeder mit einem Professorentitel ist automatisch eine verlässliche Quelle. Und natürlich gibt es auch unter Wissenschaftlern Interessenskonflikte oder andere Motive. Mir könnte man auch vorwerfen, ich will einfach nur mein Buch verkaufen. Diese Expertise zum Einordnen fehlt sehr oft in den Redaktionen, und so kommen Experten zu Wort, bei denen zu Hause vorm Fernseher alle Wissenschaftler kollektiv die Hände vorm Gesicht zusammenschlagen, wenn einfach alles stehen gelassen wird, was die sagen.

Sie sprechen manchmal von „Unkrautargumenten“. Was ist das?

Quelle        :          TAZ-online        >>>>>       weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     — Chemikerin, YouTuberin und TV Moderatorin für die Reihe Terra X

Abgelegt unter Bildung, Debatte, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Kolumne-Wir retten die Welt

Erstellt von DL-Redaktion am 2. September 2022

Echt jetzt? Zwei und zwei sind vier?

Datei:120613 Doppelleben Artwork.pdf

Ist dieses „Nicht-wissen-wollen-dürfen“ nicht den Reisenden geschuldet welche-r für die Kosten nicht selber aufkommen müssen, gleichwohl eine Physikerin es hätte Wissen müssen? Ein Hausmeister braucht es nicht, da lag die Absicht auf der Hand!

Eine Kolumne von Bernhard Pötter

Irgendwas ist bei mir mächtig schiefgelaufen. Ich bin ein privilegierter alter weißer Mann. Ich lebe in Berlin. Ich bin Journalist. Ich schreibe seit 30 Jahren über Umweltpolitik. Und ich bin trotzdem kein Zyniker.

Aber letzte Woche telefonierte ich mit meinem Kollegen Bill in Texas. Wir sprachen über die Hitze in den USA und Europa, die Unwetter, die Fluten und Brände. Und immer wieder schlich sich der Teufel des „Haben wir es Euch nicht schon lange gesagt?“ in unser Gespräch.

Das wirklich Erstaunliche an diesem wieder einmal heißen Dürresommer ist ja: Wie erstaunt alle über diese Zustände sind. Ja, wir haben in der Schule alle in Physik und Chemie geschlafen, aber dieses „Nichtwissenwollen und dann überrascht die Augen reiben“ ist schon bemerkenswert. Wie jetzt? Wenn man die Atmosphäre mit Treibhausgase aufheizt, wird es immer wärmer? Wirklich? Warmes Wasser dehnt sich aus und überflutet die Strände? Was? Je heißer und trockener es wird, desto weniger Regen bewässert unsere Felder? Echt jetzt? Wenn es nicht mehr regnet, werden selbst große Flüsse zu Kinderplanschbecken? Huch! In der Dürre können auch in Deutschland Wälder brennen? Und selbst Schweizer Qualitätsgletscher schmelzen ab, wenn die Sonne glüht? Unglaublich: Starkregen löst das Problem nicht, sondern führt nur zu Überschwemmung? Zwei und zwei sind wirklich vier? Wenn wir das mal gewusst hätten!

Ein bisschen Ignoranz, schön und gut, das hilft durchs Leben. Aber das hier war Realitätsverweigerung mit gespieltem Erstaunen. Früher gab es für die große Mehrheit keinen Klimawandel, dann war er kein Problem, dann wollten wir uns lieber anpassen, und vor allem bloß nicht übertreiben und auf keinen Fall Panik machen! Klimakrise war in diesem Denken weit weg und etwas für Opfer: arme Länder, arme Leute, arme Schweine. Plötzlich sind es auch wir reichen Länder, wir reichen Leute und unsere reichen Kuscheltiere, denen der Boden unter den Füßen brennt.

Ob Wirtschaft, Euro, Flüchtlinge oder Krieg: Immer gab es in den letzten Jahren eine dringendere Krise. Die gute Nachricht der letzten Sommer, wenn ich das mal zynisch sagen darf, ist aber: Erdüberhitzung – und bisher sind es ja „nur“ 1,2 Grad – gehört jetzt auch dazu. Man kann sie nicht mehr wegdrücken. Wir hätten es nicht nur wissen können. Wir wussten es. Da muss man gar nicht so überrascht Sondersendungen im Fernsehen ansetzen oder von „Jahrhundertfluten“ reden, die in zwei Jahren wiederkommen.

Quelle      :        TAZ-online            >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —  Plakat „Doppelleben – Der Film“

Verfasser DWolfsperger      /      Quelle    :   Eigene Arbeit      /      Datum    :    1. August 2012

Diese Datei ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

*****************************

Unten        —     Die drei weisen Affen als Symbol des Tabus

Abgelegt unter Bildung, Feuilleton, International, Umwelt | Keine Kommentare »

KOLUMNE * HABIBITUS

Erstellt von DL-Redaktion am 11. August 2022

Christian Lindners Stop-Being-Poor-Mentalität

KOLUMNE VON HENGAMEH YAGHOOBIFARAH

Das 9-Euro-Ticket steigert die Mobilität – auch für jene, die sie sich sonst nicht leisten können. Warum wehrt sich der Finanzminister so dagegen?

Nicht alles, was es für lau gibt, ist wertlos. Shoplifter wissen es. Influencer mit üppigen Giftings wissen es. Alle, die schon mal was geschenkt bekommen haben, wissen es.

Und der Finanzminister? Müsste das am besten wissen. Schließlich finanzieren Steuer­zahler_innen ihm seine BahnCard 100, seinen Dienstwagen oder die Security auf der Sylt-Hochzeit. Und doch steht ihm seine Stop-Being-Poor-Mentalität im Weg, uns anderen ein durchgängiges 9-Euro-Tickets zu gönnen, welches, man ahnt es, gar nicht gratis ist, sondern 9 Euro pro Monat kostet. In Luxemburg, Malta und einigen europäischen Städten ist kostenloser Nahverkehr Standard – ohne dass hässlich rumgegeizt wird, als lebe maus nicht in einem der reichsten Länder der Welt.

Wer fürs Militär und Milliardär_innen die Spendierhosen anzieht und in sozialen Fragen auf einmal eine zerrissene Jogginghose trägt, steht nicht peinlicher da als Genoss_innen, die vornerum auf arm machen, während sie hintenrum ihren Wohlstand bunkern. Christian Lindner tut, als ob er das 9-Euro-Ticket aus eigener Tasche zahlt und nicht von denselben Steuergeldern, die ihm sein Gehalt von über 10.323,29 Euro im Monat finanzieren.

In der Debatte um die Fortsetzung des Tickets argumentieren Gegner_innen des Angebots, dass viele der Fahrten „unnötig“ seien, also Menschen reisen, die sonst zu Hause geblieben wären. Dabei sollte es egal sein, ob das Ticket zum Pendeln oder in der Freizeit genutzt wird, das Signal ist eindeutig: Es steigert die Mobilität – auch für jene, die sie sich sonst nicht leisten können. Warum würden Po­li­tike­r_in­nen die einschränken wollen?

So etwas treiben die Parteien – Clans  hoch, wäre bei einer Direktwahl unmöglich!

Wer nicht zahlen kann, riskiert Knast

Ganz einfach: Manche Gruppen sind im öffentlichen Raum unerwünscht. Es wäre verfassungswidrig, Menschen aufgrund von Merkmalen wie Armut, Queerness, Transsein oder Schwarzsein den Zutritt zu bestimmten Orten zu verbieten. Doch es gibt Maßnahmen, die ihnen den Alltag erschweren beziehungsweise die zur Kriminalisierung oder Sanktionierung dieser Gruppen führen.

Quelle        :           TAZ-online        >>>>>        weiterlesen

***************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —    Hengameh Yaghoobifarah (2016)

Abgelegt unter Berlin, Bildung, Finanzpolitik, P.FDP | Keine Kommentare »

Altersdiskriminierung-Lob?

Erstellt von DL-Redaktion am 9. August 2022

»Man sieht ihm das Alter gar nicht an«

Datei:Rudolf Heinisch, Zwei alte Männer, 1930.JPG

Eine Kolumne von Samira El Ouassil

Warum wollen viele älter und erfahrener, weiser werden, aber auf gar keinen Fall alt? Es liegt an dem Vorurteil, alte Leute seien automatisch isoliert und arm. Doch das ist Quatsch.

Familien, ein Paar und ein bekannter Rapper werden im Urlaub von einem gruseligen Monster heimgesucht. Sie rennen panisch um ihr Leben, kommen aber nicht mehr aus dieser sonderbaren Bucht raus. Das Ungeheuer hat selbst keine physische Präsenz, sondern wird nur an den Körpern der Charaktere sichtbar.

Möglicherweise haben Sie es erkannt, es handelt sich um das Setting des Films »Old« von M. Night Shyamalan,  der vor einem Jahr in die Kinos kam und der auf der Graphic Novel »Sandcastle« von Pierre Oscar Levy und Frederik Peeters basiert. Was mit den Protagonisten passiert, ist eigentlich nicht besonders ungewöhnlich, erscheint in der rasanten Beschleunigung jedoch wie das größte Grauen – so inszeniert es zumindest der Film – das unsere Gesellschaft kennt: Sie altern. Innerhalb weniger Stunden sterben die Reisenden durch einen unaufhaltsamen Alterungsprozess.

Wenn es eine Sache gibt, die uns auf eine wesentliche wie unheimliche Weise verbindet – weil wir sie alle durchmachen –, dann ist es wohl das Altern. Irgendetwas an diesem Gedanken finde ich belebend: vielleicht, dass trotz der existenziellen Einsamkeit, in die wir hineingeboren werden und mit der wir am Ende unseres Lebens konfrontiert werden, jeder Mensch diese Entwicklung durchläuft. Wir altern für uns allein – doch tun wir das gemeinsam.

Und nicht nur das: Jedes Mal, wenn wir jemanden sehen, der älter ist als wir, schauen wir auf eine zukünftige Version unserer selbst. Wie also kommt es, dass das Altsein im gesellschaftlichen Bewusstsein so negativ konnotiert ist und das Altwerden so gefürchtet, dass es sogar als unsichtbares Ungetüm für einen Horrorfilm taugt? Warum wollen viele älter und erfahrener, weiser werden, aber auf gar keinen Fall alt?

Das Gedicht »On aging« der US-amerikanischen Schriftstellerin Maya Angelou bietet eine Antwort auf diese Fragen. Darin räumt die Sprecherin mit verschiedenen, meist herablassenden Annahmen über ältere Menschen auf, die verbreitetste: die Vorstellung, dass das Altern einen Menschen zu einem anderen macht. Dabei ist es eher so: Menschen werden gesellschaftlich zu »anderen« gemacht, sobald sie sichtbar altern. Eine geradezu selbstverständliche Form von Altersdiskriminierung, die oftmals unbewusst wie unbemerkt stattfinden kann. In sozialwissenschaftlichen Perspektiven und in der Gerontologie wird das auch als Ageismus bezeichnet, also die Überzeugung, dass Altern zwangsläufig mit einer Einschränkung von geistigen und körperlichen Fähigkeiten gleichzusetzen ist.

Wir versuchen, vor unserem eigenen Alter zu fliehen

Ein Grund, warum wir für solch eine Abschätzigkeit gegenüber älteren Menschen anfällig sind, ist unser fleißiger Verdrängungswille. Wie die Schriftstellerin Simone de Beauvoir in ihrem Buch »Das Alter« (La Vieillesse) 1970 schrieb, versuchen wir, vor unserem eigenen Alter zu fliehen, indem wir uns von seinen Vorboten distanzieren. Dabei entsteht eine selbst erfüllende Prophezeiung: Diejenigen, die von der produktivitätsbesessenen Umtriebigkeit einer Leistungsgesellschaft ausgeschlossenen werden, erfahren »Einsamkeit inmitten einer Welt, die nichts als Gleichgültigkeit für sie übrig hat«, wie Beauvoir es formuliert. Das Klischee, dem zufolge das Alter mit Isolation einhergehen muss, wird so vermeintlich bestätigt – weshalb sich die Jüngeren aus Angst vor dem Älterwerden von den Alten distanzieren und sie damit ausgrenzen.

Quelle        :         Spiegel-online          >>>>>          weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —      Verfasser   :     Rudolf Heinisch, Zwei alte Männer, 1930, Konstruktionszeichnung Feder, 17 x 27 cm

Quelle    : Privatsammlung          /        Datum      :       1930

Diese Datei ist lizenziert unter der Creative CommonsAttribution-Share Alike 3.0 Unported Lizenz.

*******************************

Unten       —     02.05.2018, Berlin: Diskussion: Eröffnungspanel: Die Revolution disst ihre Kinder – alte Linke, neue Rechte und das Internet Speaker: Friedemann Karig, Stefan Niggemeier, Samira El Ouassil, Nils Markwardt. Die re:publica ist eine der weltweit wichtigsten Konferenzen zu den Themen der digitalen Gesellschaft und findet in diesem Jahr vom 02. bis 04. Mai in der STATION-Berlin statt. Foto: Gregor Fischer/re:publica

Abgelegt unter Bildung, Feuilleton, Mensch, Positionen | Keine Kommentare »

Weißes Recht für alle

Erstellt von DL-Redaktion am 3. August 2022

Wer Jura studiert, kommt schnell mit rassistischen und sexistischen Übungsaufgaben in Berührung.

Von     :      Marita Fischer

An den juristischen Fakultäten scheint das bisher nur wenige zu stören – obwohl die gesamte Gesellschaft die Folgen trägt. Wie kann das sein?

Fallbeispiele spielen in der juristischen Ausbildung eine zentrale Rolle. Anhand fiktiver Sachverhalte lernen die Studierenden Fälle in den verschiedenen Rechtsgebieten kennen und müssen die entsprechenden Rechtsnormen anwenden. Die Fallbeispiele werden dabei von den Lehrstühlen an den Universitäten erstellt und zur Bearbeitung zur Verfügung gestellt – eine inhaltliche Kontrolle gibt es nicht.

Wie problematisch das bisweilen ist, kann My Duyen Nguyen schildern. Im Laufe ihres bisherigen Jurastudiums an der Berliner Humboldt-Universität hat sie mehrere diskriminierende Fallbeispiele lesen müssen. In einem, so erzählt es die 25-Jährige, wird ein fiktives afrikanisches Land „Mungo Bongo“ genannt. Von dort reist ein Kannibale nach Bremen, wo er eine Sekretärin verspeist. Ähnliche Übungsfälle finden sich in Fachbüchern und in Lehrbüchern von Repetitorien, die zur Vorbereitung des ersten Staatsexamens dienen.

„Ein Klassiker ist es, dass in Strafrechtsfällen unnötigerweise die ausländische Nationalität des Täters genannt wird“, erklärt Nguyen. Sie berichtet von einem Fallbeispiel, in dem zwei Männer Geld aus einem Auto gestohlen haben. In dem Text wird explizit darauf hingewiesen, dass es sich dabei um polnische Männer handelt. „Ich weiß nicht genau, ob der Sinn dahinter ist, dieses Klischee zu bedienen, denn für den Fall selbst ist die Nationalität der Personen nicht relevant“, erzählt Nguyen irritiert. In den schlimmsten Fällen wurde sogar das N-Wort ausgeschrieben.

Das Jurastudium in Deutschland ist prestigeträchtig und gilt als besonders herausfordernd. Ju­ris­t:in­nen sind in der Gesellschaft hoch angesehen und haben oftmals gut bezahlte Jobs und mächtige Ämter inne. Eine ganze Säule der Demokratie wird von Ju­ris­t:in­nen gestellt: die Judikative. Und auch in der Legislative und Exekutive besetzen sie oft wichtige Posten. Umso verheerender ist es, dass die Lehrmaterialien der juristischen Ausbildung von rassistischen und sexistischen Stereotypen durchzogen sind. Gerade für von Rassismus betroffene Studierende kann die Begegnung mit den Klischees und Beleidigungen im Lehrmaterial verheerende Auswirkungen haben.

Es besteht die Gefahr der Retraumatisierung. „Das ist nicht schön, beim Lernen in einer Phase, die eh schon stressig ist, auch noch mit Rassismus konfrontiert zu werden“, berichtet My Duyen Nguyen. Wie andere nicht-weiße Jurastudierende ist sie Mitglied der Berliner Hochschulgruppe „Black, indigenous Jurastudierende of Colour“ (BiJoC). Iyiola Solanke, Rechtswissenschaftlerin an der University of Leeds, hat schon 2009 festgestellt, dass rassistische Mikroaggressionen im Studienalltag Studierende of Colour viel Kraft kosten und ihnen das Universitätsleben erschweren.

Altbackene Geschlechterklischees

Ähnlich erschreckend ist die Darstellung von Frauen in den Sachverhalten. Zunächst einmal kommen in nur rund 18 Prozent der Fälle überhaupt Frauen vor. Dann werden sie oft als hysterisch, weinerlich oder ängstlich charakterisiert, wie eine Studie von Dana-Sophie Valentiner aus dem Jahr 2016 zeigt. Die Rechtswissenschaftlerin hat Sachverhalte der juristischen Fakultäten der Universität Hamburg und der Bucerius Law School nach sexistischen Stereotypen durchsucht. Das Fazit: In vielen Fällen werden Frauen über eine Beziehung zu einem Mann definiert und seltener als berufstätig dargestellt. Insgesamt werden häufig stereotype, altmodische Geschlechterollen nachgezeichnet.

Im Familienrecht ist es besonders schlimm, findet die in Münster studierende Celine Weßeling. Sie ist bei den „Kritischen Jurist:innen“, einem Zusammenschluss linker Jurastudierender, aktiv. In vielen familienrechtlichen Fallbeispielen würden Frauen als liebevolle, fürsorgliche Mütter beschrieben, während Männer den Unterhalt für die Familie verdienen. Weßeling macht die Überrepräsentation von Männern unter den Ju­ra­pro­fes­so­r:in­nen für diese Missstände mitverantwortlich: „Teil des Problems ist, dass sehr viele konservative Männer Juraprofessoren sind. Die sehen da nicht den Bedarf, die Sachverhalte zu modernisieren. Die meinen, sie stellen halt die Realität dar“, so die Studentin. Nur rund 15 Prozent der deutschen Pro­fes­so­r:in­nen für Rechtswissenschaft sind Frauen. Gemeinsam mit einigen Kom­mi­li­to­n:in­nen hat Weßeling einen offenen Brief an das Dekanat und die Pro­fes­so­r:in­nen­schaft ihrer Universität geschrieben, in dem sie mehr Sensibilität für und im Umgang mit Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts von ihren Lehrenden fordern.

Elitärer Studiengang

Das Studium Das Jurastudium zählt zu den beliebtesten Studiengängen in Deutschland. Im Wintersemester 2020/2021 haben sich rund 15.000 Studierende neu für Rechtswissenschaften eingeschrieben. Zwischen 2000 und 2020 ist die Zahl der Jurastudierenden von rund 100.000 auf knapp 120.000 gestiegen. Allerdings beendet nur ein Teil die Ausbildung: 24 Prozent der Studierenden brechen das Studium ab. Beim ersten Staatsexamen fallen im Schnitt 25 bis 35 Prozent der Kandidat:innen durch, weitere 10 bis 20 Prozent scheitern am zweiten Staatsexamen.

Die Studierenden Männer und Frauen sind zu fast gleichen Anteilen vertreten. Kinder aus Nicht-Akademikerhaushalten, Schwarze Menschen sowie Menschen aus Einwandererfamilien sind unterrepräsentiert. Wer das Studium als Volljurist:in abschließt, arbeitet später oft in einem prestigeträchtigen Beruf und verdient überdurchschnittlich viel. (taz)

****************************

Eine weitere Diskriminierungsquelle in der juristischen Ausbildung stellt das mündliche Staatsexamen dar. Das erläutert Helene Evers, Vorsitzende des Arbeitsstabs Ausbildung und Beruf des Deutschen Juristinnenbunds (djb): „Studien aus den Jahren 2014 und 2018 zeigen, dass migrantisierte Menschen und weiblich gelesene Menschen bei mündlichen Examensprüfungen schlechter abschneiden“, erklärt Evers. Die sexistische Abwertung der Leistungen von Frauen in mündlichen Examensprüfungen wird abgeschwächt, wenn mindestens eine Frau unter den Prü­fe­r:in­nen ist. Deswegen fordert der djb unter anderem eine paritätische Besetzung der Prüfungskommissionen.

Vernachlässigte Rechtsgebiete

Die allgemeinen Lehrinhalte seien ein dritter Schauplatz, wo Diskriminierung während des Jurastudiums stattfindet, analysiert Helene Evers: „Welche Rechtsgebiete und Kompetenzen im Studium gelehrt und geschult werden, ist stark von den weißen, patriarchalen, ableistischen, klassistischen Strukturen geprägt“, so die Juristin. Familien-, Sozial-, Antidiskriminierungs-, Migrations-, Asyl- und Sexualstrafrecht werden im Pflichtteil des Jurastudiums kaum behandelt. Evers beschreibt die Konsequenzen dieser Gewichtung: „Die Rechtsgebiete sind folglich im Berufsleben weniger angesehen, es gibt weniger Professuren mit diesen Spezialgebieten, weniger Forschung, weniger politisches Interesse, weniger Lobbyarbeit für diskriminierte Lebensrealitäten.“ Die Nichtbeachtung bestimmter Inhalte werte die Menschen ab, die mithilfe dieser Rechtsgebiete geschützt werden können. Die Interessen von Frauen* und BIPoC werden durch fehlende einschlägige Lehrinhalte ignoriert und marginalisiert.

Insgesamt werden also in Deutschland ausgebildete Ju­ris­t:in­nen während des Studiums unreflektiert mit rassistischen und sexistischen Stereotypen konfrontiert. Raum für eine machtkritische Auseinandersetzung mit internalisiertem Rassismus und Frauenfeindlichkeit bietet der Lehrgang hingegen kaum. Nur wenige Studierende haben überhaupt die Zeit, Energie und Lust, sich neben dem umfangreichen Pflichtstoff noch mit der Sensibilisierung für Diskriminierung auseinanderzusetzen.

Gefahr für die Rechtsprechung

Quelle         ;          TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

Mittelfinger an den Rechtsstaat

Alle gleich ? Aber eben nicht wenn Sie von den Clan-Politikern berufen werden !

Ein Kommentar von Marita Fischer über Diskriminierung im Jurastudium

Vor dem Gesetz sind alle gleich. Das fordert das Rechtsstaatlichkeitsprinzip. Eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem, insbesondere eine Diskriminierung aufgrund von Geschlecht oder „Rasse“ verbietet außerdem Artikel 3 des deutschen Grundgesetzes.

Wenn Rich­te­r:in­nen nicht gelernt haben, diskriminierende Vorurteile zu reflektieren und bei ihrer Entscheidungsfindung ihren unconcious bias identifizieren und entsprechend gegensteuern können, sind ihre Urteile rassistisch und sexistisch. Wenn Staats­an­wäl­t:in­nen nicht gelernt haben, ihre eigenen Rassismen zu erkennen, wird die Strafverfolgung People of Color zu Unrecht (härter) bestrafen. Menschen werden sexistisch und/oder rassistisch diskriminiert.

Vielleicht sind die mächtigen Juristen schlichtweg ignorant und haben die offensichtlichen Probleme in ihrer Ausbildung nicht erkannt. Ju­ris­t:­in­nen wird jedoch von der Gesellschaft eine hohe Intelligenz zugesprochen, durch den Abschluss des anspruchsvollen Studiums zertifiziert. Die Befürchtung liegt also nahe, dass weiße Cis-Männer Diskriminierung durchaus gezielt tolerieren und perpetuieren.

Quelle       :       TAZ-online           >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —    Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein. 18.12.1989 Bundesverfassungsgericht Karlsruhe II. Senat in alter Zusammensetzung (bis 1.12.1989) v.li. Dr. Everhardt Franßen, Konrad Kruis, Prof. Dr.Dr. Ernst Wolfgang Böckenförde, Vizepräsident Dr. Ernst Gottfried Mahrenholz, Ernst Träger, Prof. Dr. Hans Hugo Klein, Dr. Karin Graßhof, Dr. Paul Kirchhof

*****************************

Unten     —   fingers

Abgelegt unter Bildung, Deutschland, Justiz-Kommentare, Regierung | Keine Kommentare »

DER ROTE FADEN

Erstellt von DL-Redaktion am 2. August 2022

Das ganze Leben im Streckbetrieb

Roter Faden Hannover rote Zusatzmarkierung.jpg

Durch die Woche mit Silke Mertins

Die Minderjährige, die zu meiner Infektionsgemeinschaft gehört, findet mich stark verlangsamt. Ich stelle hierzu fest: Es stimmt.

Während sie zwischen Schnorcheln und Eis essen Seite um Seite verschlingt, kommt es mir vor, als wären die Buchstaben meiner Urlaubslektüre so zäh, dass ich mich nach jedem Umblättern erst einmal ausgiebig ausruhen muss. Ich lese sozusagen im Streckbetrieb.

zu langsam

Aber Streckbetrieb grassiert ja derzeit überall. Noch vor einem Monat beispielsweise war der Streckbetrieb bei Atomkraftwerken völlig indiskutabel. Superwirtschaftsklimaminister Robert Habeck befand: Bringt doch absolut rein gar nichts für unsere Versorgungssicherheit. Seit dieser Woche aber ist Streckbetrieb eventuell und ganz vielleicht und nur nach vielen, vielen Prüfungen was richtig Feines, denn es klingt so viel besser als „Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken“.

Andere haben damit deutlich weniger Probleme. Bundeskanzler Olaf Scholz hat beispielsweise schon immer im Streckbetrieb gelebt. Energie sondert er nur in sehr kleinen Dosen ab. Um die noch vorhandene Energie weiter zu strecken, ist der Kanzler nun in die Ferien gefahren. Deshalb gehörte es diese Woche zu Habecks Aufgaben als Vizekanzler, die Kabinettssitzung zu leiten. Und es hat jetzt nichts mit Missgunst zu tun, dass Außenministerin Annalena Baerbock ausgerechnet bei dieser Sitzung prompt zu spät kam.

zu spät

Für die Annalenas und Roberts dieser Welt wurde das englische Wort ­„frienemy“ erfunden. Auch auf Christian Lindner und seine Einstellung zu den Koalitionspartnern passt es ganz gut. Lindner ist aber noch nie im Streckbetrieb gefahren. Wenn überhaupt, kennt er sich nur mit Laufzeitverlängerung aus. Als er bei der FDP die Macht übernahm, war die Laufzeit der FDP im Bundestag abgelaufen. Eine Weile ist sie noch im Streckbetrieb gefahren, was Lindner so wenig ertrug, dass er bald eine Laufzeitverlängerung erreichte. Allerdings nur nach umfangreicher Überprüfung, zu der die FDP keinesfalls abgeschaltet werden musste – ebensowenig wie AKWs übrigens.

Datei:HausmeisterKrause.svg

Anders als grünerseits behauptet wird, müssen für die Periodische Sicherheitsüberprüfung (PSÜ) Atomkraftwerke nicht längere Zeit abgeschaltet werden. Die PSÜ findet hauptsächlich in den Verwaltungsgebäuden statt: Sicherheitsstatusanalyse, Anlagebeschreibung und Auswertung der Betriebserfahrung. So erklärt sich auch, warum das AKW Brokdorf im seinem PSÜ-Jahr 2016 genauso viel Strom produzierte wie sonst auch.

zu vergesslich

Habeck höchstselbst war 2016 als Landesminister in Schleswig-Holstein für Brokdorf zuständig und müsste eigentlich wissen, dass nicht stimmt, was er sagt. Aber gut, man kann sich ja nicht alles merken. Ich beispielsweise habe bereits vergessen, was auf der zurückliegenden Doppelseite meiner Urlaubslektüre stand. Es könnte daran liegen, dass Christian Lindner der Autor ist und das Buch „Schattenjahre“ heißt. Die Vorstellung von Lindner im Schatten ist so schwierig, dass sie in meinem Gehirn beständig wieder gelöscht wird.

Quelle        :        TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

*************************************************

Grafikquellen       :

Oben        —     Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

Abgelegt unter Bildung, P.FDP, Regierung, Umwelt | Keine Kommentare »

Ein Nachruf für uns Uwe

Erstellt von DL-Redaktion am 23. Juli 2022

Zum Tod von Uwe Seeler: Ein Popstar seiner Zeit

Dieser Mann in seiner menschlichen Natürlichkeit hat weitaus mehr für diese Land geleistet – als alle politischen-Versager der Nachkriegszeit zusammen!

Von      :    Jan Feddersen

Uwe Seeler war Hamburger, uneitler Herrscher über die Fußballherzen des Landes – und einer der besten Kicker sowieso. Erinnerung an einen ganz Großen.

Donnerstag am späten Nachmittag wurde die Nachricht bekannt, und vermutlich begannen in den gleichen Sekunden, wo auch immer in Deutschland, kleine archäologische Expeditionen in den persönlichen Bildarchiven: Uwe. Uns Uwe. Uwe Seeler. Anek­doten begannen zu kursieren. Eine geht so: Da sagt ein Mädchen von acht Jahren, Anke, auf dem Schulhof im Hamburger (damals noch) Arbeiterquartier Schanzenviertel – es waren die späten sechziger Jahre –, sie werde nach Harksheide fahren, ein Autogramm von Uwe Seeler holen. Die anderen Kinder lachten: Höhö, was die redet, Angeberin! Aber sie fuhr auf dem Fahrrad los, 22 Kilometer weit.

Tags darauf sagte sie, tja, sie habe geklingelt am Haus von Uwe Seeler, und eine freundliche Frau habe aufgemacht, sich den Autogrammwunsch angehört, habe gesagt, „komm mal rein, min Deern“, habe sie ins Wohnzimmer geführt, wo Uwe Seeler zufällig auch saß und dann auf eine Karte mit seinem Bild seine Unterschrift setzte. Garantiert selig, ja, beseelt, wird sie die Strecke zurückgefahren sein. Wusste sie es doch!

Das war er, das war das Paar Uwe und Ilka Seeler: nahbar, ohne Allüren, kein Bling-Bling, kein „wie feine Leute tun“, Bodyguards, hohe Grundstückshecken, kein „wenn Schiet wat ward“, wie es im Norddeutschen so heißt, also wenn aus Scheiße was wird, das Arbeiterkind in der Hautevolée ankommt. Auf – für heutige Wahrnehmungsverhältnisse der Promis auch im Sport – beängstigende Weise ist dieser Mann, besser: hat dieses Paar ungeeignet sein wollen für die Zeichen des sogenannten Aufstiegs.

„Uns Uwe“ wurde er genannt. Und war immer ein Volxheld, so Pop wie Elvis Presley in Bremerhaven 1958 (und nicht mehr in Graceland). Uwe Seeler, ein Idol? Ein Wort, ohne dass sich einem bei diesem Wort borstig Zweifel einstellen. Ob er denn gar keine Fehler gemacht habe, wurde er mal gefragt. Tja, antwortete er, vielleicht hätte es den Swimmingpool nicht gebraucht – ungenutzt meist, langweilend. Stattdessen: zunächst ein Käfer als Auto, Urlaub in Dänemark.

Der Mythos Uwe Seelers lebte von diesem biografisch beglaubigten Fundament: Vater Erwin Seeler Hafenarbeiter, Fußballer, Arbeitersportbewegung im proletarischen Stadtteil Rothenburgsort, Mutter Anny Hausfrau, Umzug nach Eppendorf und zum Hamburger SV, den Walter Jens, Rhetorikprofessor in Tübingen, selbst Hamburger, mal als „Klassenverrat“ geißelte. 1936 Uwes Geburt.

Lehre, Fußball, HSV, aber nicht Inter-Mailand

Mit seinem Bruder Dieter wurde er das, was damals üblich war: Straßenfußballer. Ausbildung zum Speditionskaufmann, seit 1946 beim Hamburger SV, bis zum Karriereende Anfang der Siebziger nie ein anderer Verein, Mit 16 erste Einsätze bei den Erwachsenen, immer als Stürmer, Torjäger, Knipser, Antreiber, auf dem Platz dirigierend, das heißt, anmeckernd, mal auch gröber, aber nach Aussage vieler Mannschaftskollegen nie böse oder giftig, auch auf dem Platz „ruhig, kameradschaftlich und offen“, wie eine Klassenlehrerin ihn mal beschrieb. Mal hinfallen auf Asche, Rasenplätze gab es ja kaum, aufgeschrammte Knie – kein Jammern bitte, so war es damals üblich. Die Härte jener Jahre, kein Thema, Zähne zusammenbeißen und weiter.

Und dann die Geschichte mit Inter-Mailand, deren Trainer Helenio Herrera Uwe Seeler nach dessen erster WM 1958 in Schweden unbedingt nach Italien holen wollte, mit wirklich sehr viel Geld. Mehr als eine Million Deutsche Mark plus einiger „Nebengeräusche“. Die Verhandlungen sollen über drei Tage gelaufen sein – am Ende sagte Uwe Seeler ab: Er wollte lieber nicht gehen. Stattdessen wurde er Norddeutschland-Generalvertreter von Adidas, der Fußballschuhfirma aus dem Fränkischen – nicht als Grüßaugust, sondern konkret im Mercedes umherfahrend wie ein Handelsvertreter.

GERHARD KRUG, TEAMKAMERAD :

Alle Leidenschaft auf den Punkt gebracht, über zwei Halbzeiten, und viel Training vorher und nachher

Das Geld sei ihm zwar wichtig, aber die Summe nicht entscheidend gewesen. Mehr als ein Steak könne er nicht essen, mehr als ein Haus nicht bewohnen. Vermutlich aber war es eine Taktlosigkeit, an welcher der Handel scheiterte. Die italienische Delegation an der Alster im Hotel Atlantic hatte Uwe Seelers Frau Ilka nicht miteingeladen. Ob sie präberlusconiesk dachten, Frauen seien ohnehin nur Bunga-Bunga? Das sei ein Fehler gewesen, sagte sie neulich in einer NDR-Doku, die hätten sie nicht auf der Rechnung gehabt, nicht mal höflicherweise eingeladen.

Ilka Seeler aber war immer die Frau mit ihm. Sie war immer an seiner Seite, immer. Eine große Liebe, im Übrigen gegen den Rat von Uwe Seelers Mutter, die über die ehemalige Handballerin urteilte, „die kann ja nicht mal Wasser kochen“, worauf es womöglich beiden auch nicht wirklich angekommen ist.

Kleiner Wohlstand in Harksheide

Gerhard Krug, der als HSV-Spieler dabei war, als Uwe Seeler 1960 seine einzige deutsche Meisterschaft errang und später Journalist unter anderem bei der Welt war, erklärte die Ernsthaftigkeit von Uwe Seelers Spiel mal so: „Wir trainierten viermal in der Woche. Uwe Seeler trainierte da schon mehr, spielte ja auch international. Er nahm das schon sehr viel ernster. Wir hatten so ein bisschen Lust am Kicken, fanden das eigentlich ganz witzig, wollten aber alle Lehrer werden.“

Das war der Unterschied: Fußball war für Uwe Seeler so gut wie alles. Krug mit Blick auf die Vita seines Mannschaftskameraden: „Uwe Seeler steht für den vorsichtigen Aufstieg. Alle Leidenschaft auf den Punkt gebracht, über zwei Halbzeiten, und viel Training vorher und nachher, immer besser werden.“ Aber er habe immer „vorsichtig bleiben wollen, Stück für Stück, nie alles auf einmal“. So wie das Haus der Seelers in Harksheide (heute Norderstedt) am HSV-Trainingsgelände auch langsam wuchs, nie die eigenen Verhältnisse überstrahlend.

Quelle       :       TAZ-online         >>>>>       weiterlesen

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben     — Collectie / Archief : Fotocollectie Anefo Reportage / Serie : [ onbekend ] Beschrijving : Finale Europa Cup II AC Milan tegen HSV Hamburg 2-0. Uwe Seeler Datum : 23 mei 1968 Locatie : Rotterdam Trefwoorden : voetbal, voetballers Persoonsnaam : Seeler, Uwe Instellingsnaam : AC Milaan Fotograaf : Kroon, Ron / Anefo Auteursrechthebbende : Nationaal Archief Materiaalsoort : Negatief (zwart/wit) Nummer archiefinventaris : bekijk toegang 2.24.01.05 Bestanddeelnummer : 921-3780

Abgelegt unter Bildung, Hamburg, International, Mensch | Keine Kommentare »

Die Politik sieht nur die USA

Erstellt von DL-Redaktion am 18. Juli 2022

Die Seidenstraße ist eine uralte Erfolgsgeschichte

Quelle:    Scharf  —  Links

Von  : Georg Korfmacher, München

Die Seidenstraße ist ohne Zweifel eine Erfolgsgeschichte der Menschheit. Sie ist Zeugnis dafür, dass die verschiedensten Politik- und Wirtschaftssystem in Frieden miteinander kooperieren können. Sie unterlag selbstverständlich dem Wandel der Zeiten.

In ihrer heutigen Ausgestaltung zeigt sie z.B. mit ihrem Endpunkt in Duisburg, dass Kooperation für alle Beteiligten gewinnbringend und damit förderlich ist. Über die Seidenstraße fand mehr noch als Seide Wissen, Technik und Kultur den Weg von China in das Abendland, ebenso wie umgekehrt. Neben der Seide kam z.B. auch die ‚Goldene Regel‘ zu uns. Lang bevor sie in der Bibel (Mt.7,12) als christliche Weisheit niedergeschrieben wurde, hatte Konfuzius sie in der noch heute gängigen Form formuliert und verbreitet. Sie gilt bis heute als ethischer Maßstab weltweit.

Auch der Buchdruck, das Schießpulver, das Papier und Porzellan kamen über die Seidenstraße zu uns. Dabei ist die Seidenstraße keine chinesische „Erfindung“. Ihr Ursprung geht auf die Persische Königsstraße unter Dareios I. zurück, wurde dann durch den in Zentralasien wirkenden Hellenismus weiterentwickelt, bis sie dann zur Zeit der Han-Dynastie (200 v.u.Z.) an das Wegesystem in China entlang der Großen Mauer Anschluss fand. Ein Verkehrsverbindung oder Reisestraße im heutigen Sinne war die Seidenstraße nie. Waren und Wissen gelangten von Karawanserei zu Karawanserei abschnittsweise von China zu uns und umgekehrt.

So darf es nicht verwundern, dass China heute die Idee der Seidenstraße wieder mit der Belt-and-Road-Initaitive (BRI), bei uns eher als ‚Neue Seidenstraße‘ bekannt, aufgegriffen hat, um sein heutiges Potential weltweit zu vernetzen und die dafür nötige Infrastruktur zu fördern. Die BRI wurde 2013 von der Chinesischen Regierung verabschiedet und gilt als Leitstrategie von Xi Jinping. Ihr haben sich bisher 146 Länder angeschlossen. Und wie damals ist die BRI heute nicht nur eine gigantische Infrastruktur zu Lande und zu Wasser für den Güteraustausch, sondern auch ein weltweites Netzwerk für Forschung, Wissen Transfer und Bildung. Und das alles ohne Militär und kriegerische Manipulation.

Warum, fragt man sich, schließt sich der Westen diesem Vorbild nicht an, sondern versucht vielmehr, die BRI als Machtgelüste Chinas zu diffamieren. Wahrscheinlich weil eine friedliche Denke nicht zum gewinngeilen US-Turbokapitalismus passt. Bei der BRI kann man nämlich nicht gleich abkassieren, sondern muss erst einmal investieren. Sie spielt sich zudem derzeit überwiegend in Entwicklungsländern ab, wo sich Erfolge erst langfristig einstellen. Und der ist durchaus nicht immer garantiert, wie einige Fälle schon gezeigt haben, wenn BRI-Partner sich total übernommen und nur an den Erfolg und nicht an die davor liegenden Verpflichtungen gedacht haben.

Gleichwohl ist BRI ein Erfolgsrezept, wie z.B. in Duisburg und Piräus bei uns in Europa eindrucksvoll vorgeführt. Als das Ruhrgebiet dramatisch abbaute, stieg China ein und entwickelt Duisburg kooperativ mit zum größten Binnenhafen Europas. Als Griechenland in den größten Schwierigkeiten steckte, stieg China ein und entwickelte Piräus kooperativ zum heute erfolgreichen, größten Mittelmeerhafen. Warum nur kooperiert man mit China bei einer solchen Erfolgsgeschichte nicht? Es geht schließlich und langfristig um das Wohl und die Zukunft unserer Welt in Kooperation! Die Zeiten US-zentrierter Hegemonie sind vorbei. Endgültig!

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben     —   Das Netz der antiken Seidenstraße und daran angeschlossene Handelsrouten

Abgelegt unter Bildung, Deutschland, International, Positionen, Wirtschaftpolitik | 1 Kommentar »

Wir retten die Welt

Erstellt von DL-Redaktion am 8. Juli 2022

Lieber Abschlussjahrgang 2022!

Hier fiel einer Physikerin nicht  das erste mal das Klima auf dem Kopf ?

Eine Kolumne von Bernhard Pötter

Wenn ich Sie heute hier vor mir sehe, kommt es mir vor, als hätten Sie alle einen Oscar gewonnen: die Herren zum ersten Mal im Anzug, die Damen in unglaublichen Kleidern, die LehrerInnen unfassbar kumpelig. Und sicherlich fühlen Sie sich zu Recht auch genau so, als hätten Sie eine große Trophäe gewonnen: Die Arbeit hat sich gelohnt, 13 Jahre Schule – oder mehr – liegen hinter Ihnen. Und da draußen wartet das Leben auf Sie.

Und genau deshalb wollte ich Ihnen kurz ein paar ungebetene Ideen mitgeben. Blicken wir kurz zurück: Als Sie eingeschult wurden, die meisten im Jahr 2009, scheiterte gerade mit großem Krawall die Klimakonferenz in Kopenhagen. Das war nicht Ihre Schuld, aber es hat was mit Ihnen zu tun. Damals stand die CO2-Konzentration in der Atmosphäre noch bei etwa 390 ppm (fragen Sie den zauberhaften Physik-Nerd mit der roten Mütze neben sich nach Details), heute sind wir bei etwa 420. Während Sie damit beschäftigt waren, Mathe und Französisch zu lernen, haben wir Eltern hunderte von Tier- und Pflanzenarten ausgerottet, riesige Flächen von Naturschätzen verwüstet und mit Plastikflaschen alles zwischen Südsee und Arktis vermüllt. Sie haben darüber sicher mal ein Referat gehalten.

Nun stehen wir da, wo wir stehen. Und Sie gehen voller Vorfreude in eine Zukunft, die entscheidend für uns alle wird. Wenn Sie in 30 Jahren stolz bei der Abiturfeier Ihrer ersten Tochter in der Schule erscheinen, ist diese Welt eine andere. Entweder Deutschland und Europa stoßen 2052 kein einziges Molekül Kohlendioxid mehr aus oder wir (und Sie) haben diese Schlacht verloren. Dann sind Sie (viele von uns heute stolzen Eltern fungieren dann schon als Kohlenstoffsenken) echt im Schlamassel. Das kann man Ihnen nicht wünschen.

Wer gibt Ihnen solche Ratschläge? Ein Abiturient des Jahrgangs 1984. Wir hatten Orwells Buch gelesen, konnten uns aber nicht vorstellen, wie recht er haben würde: Dass seine Slogans „Freiheit ist Sklaverei“, „Friede ist Krieg“ und „Unwissenheit ist Stärke“ heute in so vielen Gegenden offizielles Regierungsprogramm sind. Und dass der Große Bruder von uns freiwillig mit so vielen persönlichen Daten gefüttert wird, dass es 1984 als Horrorszenario galt.

Ich will Ihnen keine Angst machen, eher Mut zum Kämpfen. Sie werden Bio oder Chemie studieren und neue technische Lösungen für die Klima- und die Artenkrise erfinden, Sie werden als Juristin bessere Gesetze machen und als Ökonom endlich eine Wirtschaft, die uns nicht ruiniert. Nehmen Sie Ihre Arbeit ernst. Die Coronapandemie hat Sie besonders getroffen. Aber auch gezeigt: In natürlichen Kreislaufen herumzupfuschen kann böse Folgen haben. Nicht alles ist beherrschbar, was aus dem Wald kommt. Und systemrelevant sind auch und vor allem Menschen, die nicht auf die Uni gegangen sind: Krankenpfleger, BusfahrerInnen, Reinigungskräfte – die Leute, die Ihnen mit ihren Steuern nun das Studium finanzieren werden.

Quelle       :          TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —  Copenhagen climate summit, 2009  – President Barack Obama briefs European leaders following a multilateral meeting at the United Nations Climate Change Conference in Copenhagen, Denmark. Participants include British Prime Minister Gordon Brown, French President Nicolas Sarkozy, Danish Prime Minister Lars L. Rasmussen, Swedish Prime Minister Fredrik Reinfeldt, and German Chancellor Angela Merkel.

****************************

Unten      —       Copenhagen climate summit, 2009

Abgelegt unter Bildung, International, Positionen, Umwelt | Keine Kommentare »

Ist er ein Terrorist?

Erstellt von DL-Redaktion am 2. Juli 2022

Es ist der größte Rechtsextremismus-Skandal der Bundeswehr.

Wer für den Staat eine Uniform trägt wirft sein Hirn freiwillig auf den Müll, denn dort zählen nur noch Befehl und Gehorsamkeit.

Von Sebastian Erb

Der Offizier Franco A. soll Anschläge geplant haben. Nun fällt das Gericht ein Urteil. Eine Bilanz des Prozesses und offene Fragen.

Ein deutscher Student, der an einer französischen Elite-Militärakademie eine rassistische und antisemitische Masterarbeit schreibt – und bei der Bundeswehr eine zweite Chance bekommt. Ein exzellent ausgebildeter Oberleutnant der Jägertruppe, der illegal Waffen und Munition hortet – und nur durch Zufall auffliegt. Ein junger Mann aus Offenbach, der sich als syrischer Flüchtling ausgibt – und mehr als ein Jahr ein unbemerktes Doppelleben führt. Ein Prepper, der sich mit anderen Soldaten und Polizisten auf einen „Tag X“ vorbereitet – und Terroranschläge geplant haben soll. Jeder Aspekt für sich allein wäre ein Skandal. Doch hier handelt es sich um ein und dieselbe Person: Franco A., heute 33 Jahre alt. Vor fünf Jahren hat sein Fall die Bundeswehr, Politik und Gesellschaft erschüttert. Die ­juristische Aufarbeitung des Ganzen ist langwierig. Dass sich ein Bundeswehroffizier wegen Rechtsterror vor Gericht verantworten muss, gab es vorher noch nie.

Der Staatsschutzsenat am Oberlandesgericht Frankfurt am Main, der die Terroranklage der Bundesanwaltschaft zunächst gar nicht verhandeln wollte, hat sich mehr als ein Jahr und fast 40 Sitzungstage Zeit genommen. Am kommenden Freitag soll der Prozess zu Ende gehen. Die Bundesanwaltschaft fordert 6 Jahre und 3 Monate Haft für Franco A. Die Verteidigung beschreibt den Angeklagten als unschuldig Verfolgten.

Noch ist Franco A. Offizier der Bundeswehr, wenn auch suspendiert, er darf keine Uniform mehr tragen und sein Sold wurde um die Hälfte gekürzt. Erst wenn er zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt wird – dafür reichen schon die Waffendelikte – muss er die Bundeswehr verlassen.

Der Prozess gegen Franco A.

3. Februar 2017

Am Abend nehmen Po­li­zis­t:in­nen im Wiener Flughafen Franco A. fest, nachdem er eine Pistole aus einem Versteck in einem Behinderten-WC holen wollte. Er hatte diese dort zwei Wochen zuvor deponiert. Er wird knapp drei Stunden vernommen, erkennungsdienstlich behandelt, gibt sein Handy ab und darf gehen.

26. April 2017

Franco A. wird in Hammelburg verhaftet. Er macht dort bei der Bundeswehr gerade eine Einzelkämpferausbildung. Parallel finden Durchsuchungen an 15 weiteren Orten statt, auch in der Kaserne in Illkirch im Elsass, wo er stationiert ist. Die Ermittler:innen hatten herausgefunden, dass mit seinen Fingerabdrücken ein syrischer Flüchtling namens David Benjamin registriert ist.

4. Dezember 2017

Der Generalbundesanwalt klagt Franco A. vor dem Oberlandes­gericht Frankfurt am Main wegen der „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat” sowie Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Waffengesetz, das Sprengstoff­gesetz sowie Diebstahl und Betrug an. Er sitzt nicht mehr in Untersuchungshaft, da der Bundesgerichtshof keinen dringenden Tatverdacht sieht.

7. Juni 2018

Das Oberlandesgericht Frankfurt lässt die Anklage gegen Franco A. nicht zu. Das Landgericht Darmstadt solle wegen der Waffendelikte und Betrugs verhandeln. Das Gericht sieht keinen hinreichenden Tatverdacht, dass Franco A. einen Anschlag plante. Der Generalbundesanwalt legt Beschwerde ein. Der Bundesgerichtshof entscheidet im August 2019, dass ein Terrorprozess eröffnet wird.

20. Mai 2021

Vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main beginnt der Prozess gegen Franco A. Das ist derselbe Senat, der die Anklage ursprünglich nicht verhandeln wollte. Das Medien­interesse ist groß. Da es wegen der Coronamaßnahmen wenige Sitze im Saal gibt, stehen manche Journalist:innen die ganze Nacht an.

13. Februar 2022

Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei stürmt Franco A.s Wohnung, er wird erneut festgenommen und sitzt seitdem wieder in Untersuchungshaft. Er wurde erwischt, wie er mit Aufzeich­nungen und NS-Devotionalien aus Frankreich zurück nach Offenbach kam. Das Gericht sieht Verdunkelungs- und Flucht­gefahr.

Die Waffen

Da ist die Pistole des französischen Herstellers M. A. P. F., Kaliber 7,65 Millimeter Browning, Baujahr zwischen 1928 und 1944. Schussbereit, geladen mit sechs Kugeln im Magazin und einer im Lauf. So hat sie Franco A. im Wiener Flughafen Anfang 2017 in einem Putzschacht einer Behindertentoilette deponiert. Sie wurde zufällig entdeckt, im Anschluss überwachte die Polizei die Toilette. Als Franco A. die Pistole holen wollte, wurde er festgenommen. Seine Erklärung: Er sei angetrunken gewesen, habe die Waffe beim Pinkeln gefunden, eingesteckt und vor dem Abflug schnell loswerden müssen.

German military Chaplains during a funeral service at ISAF.jpg

Selbst die Religionen haben sich einem neuen Gott verschworen und lassen im Krieg fleißig Morden!

An dieser Räuberpistole hat im Prozess nicht einmal Franco A. ernsthaft festgehalten. Er hat aber auch keine andere Erklärung präsentiert, warum er mit einer geladenen illegalen Pistole durch Wien spaziert ist. Fakten haben Zeu­g:in­nen geliefert: Eine Molekularbiologin hat ausgesagt, dass er die Pistole mehrfach in der Hand gehabt und das Magazin ausgebaut haben muss, weil auch daran DNA-Spuren von ihm gefunden wurden. Und die Bundesanwaltschaft präsentierte eine Indizienkette, die zum Schluss kommt, dass Franco A. die Waffe bereits ein halbes Jahr zuvor in Paris gekauft hatte. Unter anderem stand in seinem Kalender die Abkürzung „Rr“, der Modellname. Es wurde für diese Abkürzung keine andere Erklärung geliefert. Franco A. hat zudem offenbar ausgerechnet einem Bekannten aus seiner Prepper-Chatgruppe mitgeteilt, dass er nach Paris reist. Der Bekannte ist ein Waffenhändler, bei dem Franco A. mit seinem Schnellfeuergewehr G 3 geschossen hat. Bei Treffen der Preppergruppe hatte A. mehrfach gefragt: Wie komme ich an Waffen?

Auch Sophia T. wird zur Pistole gefragt. Sie ist Franco A.s Verlobte und Mutter seiner drei kleinen Kinder, das jüngste hat sie Anfang Mai in den Gerichtssaal mitgebracht. Sie ist die Schwester eines Bundeswehrkameraden von Franco A., der anfangs als mutmaßlicher Mittäter in U-Haft saß, gegen den die Ermittlungen dann aber eingestellt wurden. Sophia T. war damals in Wien dabei, will aber vom angeblichen Pistolenfund – wie von allen anderen relevanten Dingen – erst im Nachhinein erfahren haben.

Sophia T. bestätigt indirekt, dass Franco A. ihr mal eine andere Geschichte erzählt hat, wie er an die Pistole kam. Mehr will sie nicht sagen, sie macht von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. „Können Sie sagen, ob andere Personen von der wahren Geschichte wissen?“, fragt der Vorsitzende Richter. „Das wäre Spekulation“, sagt Sophia T.

Ein zentrales Ergebnis des Prozesses ist, dass Franco A. neben der Pistole aus Wien definitiv mindestens das G 3 und zwei weitere illegale Waffen besaß. Das hat er vor Gericht zugegeben. Für den Tatvorwurf spielen sie eine wichtige Rolle: ohne Bewaffnung kein Terror. Er hat diese Waffen mal in Offenbach im Keller gelagert, mal in Straßburg unter seinem Bett, wo er in der Nähe in einem deutsch-französischen Bataillon stationiert war. Dazu mehr als 1.000 Schuss Munition und Sprengkörper. Die Waffen wurden nie gefunden. Sie seien im Ausland geblieben, sagt seine Verlobte im Prozess aus. „Die Waffen existieren nicht mehr“, sie seien entsorgt worden. Das habe ihr Franco A. so erzählt. Belege für diese Behauptung gibt es keine.

Der Terrorverdacht

Hat Franco A. einen oder mehrere Anschläge geplant? Das ist die zentrale Frage des Prozesses. Dass der Angeklagte rechtsextrem ist, hat er mit seinen eigenen Aufzeichnungen, Sprachmemos und Gesprächen belegt. So hat er etwa eine angebliche Rassenvermischung als Bedrohung für das deutsche Volk bezeichnet und einen „Auto­genozid“ beklagt. Er wollte einen völkisch geprägten „Zentralrat der Deutschen gründen“. A. selbst bestreitet, ein Rechtsextremist zu sein.

Auch im Gerichtssaal äußert sich Franco A. antisemitisch. Der Vorsitzende Richter entzieht ihm einmal das Wort, weil A. kurz davor ist, Volksverhetzung zu begehen. Das wäre strafbar, seine Gesinnung allein ist es nicht. Sie spielt aber eine Rolle, wenn Namenslisten, Waffen und Ausspähungen dazukommen. Laut Bundesanwaltschaft war Franco A.s Gesinnung „Triebfeder seines geplanten Anschlags“. Juristisch ergibt sich so der Vorwurf der „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“.

Dazu müssen Ort, Zeit und Opfer nicht genau feststehen. Es reicht, wenn der Beschuldigte „fest zur Tat entschlossen war“. Den Paragrafen 89a des Strafgesetzbuches gibt es noch nicht lange. Er wurde in erster Linie eingeführt, um islamistische Attentäter zu verfolgen. Juristisch ist ein Terrorvorwurf leichter zu belegen, wenn zu beschafften Waffen oder Sprengstoff ein Treueschwur auf den IS oder eine andere als Terrororganisation eingstufte Gruppe hinzukommt. Bei Rechtsextremen ist das schwieriger, zumal wenn sie sich außerhalb der klassischen Neonazi-Szene bewegen. Eine Verurteilung von Franco A. könnte auch Auswirkungen darauf haben, wie künftig auf ähnlich gelagerte Fälle geschaut wird.

Bildergebnis für Wikimedia Commons Bilder Bundeswehr in Schulen Lupus in Saxonia / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Dass sich Franco A. illegal Waffen und Munition beschaffte, ist unstrittig. Ob er nach Opfern suchte, ist komplizierter nachzuweisen. Zur damaligen grünen Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags und heutigen Kulturministerin hat sich A. zum Beispiel notiert: „Claudia Roth lokalisieren“. Auch der damalige Justizminister Heiko Maas und Anetta Kahane, die damalige Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, tauchen in seinen Aufzeichnungen auf. Es sind Personen, die bei Rechtsextremen als Feindbilder gelten und die Franco A. offenbar als Vertreter eines von ihm verhassten Systems wahrnahm. Die Bundesanwaltschaft ist überzeugt davon, dass er sie umbringen wollte und damit ein „politisch wirksames Zeichen setzen gegen das Konstrukt des Staates, dessen Gesetze null und nichtig“ seien. Dass er das in seiner Tarnidentität als syrischer Flüchtling machen wollte, sei nahe­liegend, aber nicht zwingend, sagte die Anklage-Vertreterin in ihrem Plädoyer.

Auffällig ist eine Verkettung von Ereignissen im Sommer 2016: Am 22. Juli fährt Franco A. zur Amadeu Antonio Stiftung in Berlin, trifft deren Chefin Anetta Kahane nicht an und fotografiert in der Tiefgarage die Nummernschilder der Autos. Vier Tage später übt er auf einem Schießplatz in der Oberpfalz mit seinem G 3-Gewehr. Am 28. Juli fährt er nach Paris, wo er wohl die Pistole kauft, die er später im Wiener Flughafen versteckt.

Franco A. begeht dann kein Attentat. Die Bundesanwaltschaft sagt, dafür könne es viele Gründe geben. Womöglich habe er sich nach einer Operation nicht fit genug gefühlt. Oder er sah die Zeit noch nicht gekommen. Es sei ihm aber nicht mehr um das Ob gegangen, sondern nur noch um das Wie.

Die Verteidigung

Quelle      :      TAZ-online      >>>>>      weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     das Oberlandesgericht in Frankfurt am Main

**************************

2.) von Oben        —    Military Dean Dr. Damian Slaczka, Brigadier General Frank Leidenberger and Military Chaplain Michael Weeke pay respect to the victims. (Photo by OR-7 Jacqueline Faller, RC North PAO)

Abgelegt unter Bildung, Hessen, Opposition, Positionen | 1 Kommentar »

Politische Fehler der Ampel

Erstellt von DL-Redaktion am 2. Juni 2022

Es hapert an der Umsetzung

Von Helene Peltonen-Gassmann

Replik zum Gastkommentar „Neue europäische Handelsagenda“ von Robert Habeck und Katharina Dröge auf DL und in der taz vom 21. Mai 2022.

Anlässlich des Weltwirtschaftsforums in Davos haben Wirtschaftsminister Robert Habeck und Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge erklärt, wie sie sich die künftige EU-Handelspolitik vorstellen. Sie setzen damit einen wichtigen Impuls und erinnern zu Recht, dass die Welt auch vor Pandemie und Krieg weder intakt noch sicher war.

Die mangelnde Kohärenz unserer Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik einerseits und der internationalen Wirtschaftspolitik andererseits trägt zu fatalen Abhängigkeiten und der Stärkung autokratischer Kleptokraten weltweit bei. Die Glaubwürdigkeit unserer propagierten Werte leidet, hierzulande wie im Globalen Süden. Die Klarheit der Aussage von Habeck und Dröge, dass es keine Rückkehr zur alten vermeintlichen Normalität geben wird, ist daher wohltuend. Sie hat das Potenzial, die lähmenden Phänomene der Ignoranz einerseits und der Zukunftsangst andererseits überwinden zu helfen und sie in Mut und Lust zur kollektiven Kreativität umzuwandeln. Allerdings muss diese Lagebestimmung von allen Ressorts kohärent vertreten werden, um ihre Wirkung zu entfalten.

Was Habeck und Dröge als Leitgedanken für eine neue Handelspolitik anführen, bedarf einiger Präzisierung. Es geht um die Umsetzung der globalen Prinzipien der Vereinten Nationen, zu denen sich fast alle Staaten dieser Erde verpflichtet haben – allen voran die Menschenrechts­charta (193 Staaten), die völkerrechtlich verbindlichen Sozial- und Zivilpakte (160 bzw. 167), die 17 Nachhaltigkeitsziele (197), das Pariser Klimaabkommen (194), die verbindlichen ILO-Kernarbeitsabkommen (183) und die UN-Konvention gegen Korruption (UNCAC, 189).

Nichts davon setzen die WTO oder unsere Investitions- und Handelsabkommen mit anderen Staaten durch. Diese mühsam ausgehandelten Werte wurden bisher als „handelsfremd“ deklariert und bestenfalls in Präambeln erwähnt, während der grenzüberschreitenden Wirtschaft mächtige Instrumente zur Durchsetzung ihrer Interessen mitgegeben wurden. Es ist eine Parallelwelt der Wirtschaft entstanden.

Die WTO-Regeln bedürfen also dringend einer Reform. Ungewiss ist, wann dies gelingen wird. Die Corona-Impfstoffpolitik des Westens hat den Einigungswillen des Globalen Südens nicht gerade gefördert. Die laufenden E-Commerce-Verhandlungen tragen alle Zutaten, die alte Politik der Wirtschaftsmacht fortzusetzen, diesmal mit Daten als Rohstoff.

Eleanor Roosevelt AEMR.jpg

Wichtige Bausteine neuer Handelsregeln müssen Transparenz, Partizipation sowie die Bekämpfung von Korruption, Geldwäsche, organisierter Kriminalität und illegitimer Finanzflüsse sein, die alle feste Bestandteile der Agenda 2030 der Vereinten Nationen und des UN-Nachhaltigkeitsziels 16 „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“ sind.

Warum dies so entscheidend ist, das wird angesichts der Auseinandersetzungen mit Russland überdeutlich. Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie bezeichnet das Ziel 16 als Schlüsselziel zur Erreichung der anderen Ziele, vom Klima- und Umweltschutz bis hin zu Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Denn einen fairen Handel und ein level playing field können wir nur erreichen, wenn korrupte Konkurrenten den Wettbewerb nicht verzerren. Kaum ein anderes Ziel der Agenda 2030 kann so wirksam und so breit zur Nachhaltigkeit beitragen. Daher ist eine Sorgfaltspflicht für Korruptionsbekämpfung ein Muss für eine gute Handelspolitik und ein effektives EU-Lieferkettengesetz. Auch handfeste Sanktionen im Falle korrupter Handelsgeschäfte dürfen kein Tabu sein.

In ihrer Sondersitzung zur Korruptionsbekämpfung im Juni letzten Jahres rief die UN-Vollversammlung die UNCAC-Vertragsstaaten auf, ihre Hausaufgaben zu machen. Auf die Mängel bei der juristischen Verfolgung von Straftaten im internationalen Handel weist Transparency in den „Exporting Corruption“-Berichten regelmäßig hin, eine aktuelle Recherche von Correctiv bestätigt dies auch für Deutschland.

Quelle         :        TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —      Volker WissingMichael Kellner und Lars Klingbeil mit dem unterzeichneten Koalitionsvertrag am 7. Dezember 2021 in Berlin.

Abgelegt unter Bildung, Deutschland, Mensch, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Ab in die Mitte

Erstellt von DL-Redaktion am 20. Mai 2022

Demokratiedefizit: Die Wahlen tendieren immer mehr zu einer Wahl der privilegierten Gesellschaft

Von  :  Wolfgang Schroeder

Nach der NRW-Wahl: Die Zersplitterung des Parteiensystems scheint gestoppt. AfD, FDP und Linkspartei haben ihre strategische Bedeutung verloren.

Das Wahlergebnis in Nordrhein-Westfalen ist Ausdruck eines strukturell veränderten Parteiensystems. Dabei sticht neben der Personalisierung der Landtagswahlen die neue Konzentration auf die Mitte ebenso heraus wie die damit einhergehende Existenzgefährdung der kleineren Parteien. Im Folgenden werden sechs Entwicklungen identifiziert, die den neuen sicherheitspolitischen Zyklus in Deutschland prägen könnten:

Erstens ist auffällig, dass der Prozess der Zersplitterung des Parteiensystems gestoppt wurde oder zumindest in eine Ruhepause eintritt. Bis vor kurzem dominierte der Eindruck, dass der Parteienwettbewerb von den Rändern her geprägt wird. Doch nun sind wir zum dritten Mal hintereinander mit einer starken Stimmenkonzentration konfrontiert. Im Saarland sind überhaupt nur noch drei Parteien im Parlament vertreten. In Schleswig-Holstein fielen 77 Prozent der Zweitstimmen auf die drei Mitte-Parteien CDU, SPD und Grüne, und in NRW haben sie knapp 80 Prozent der Stimmen auf sich vereint. Zugleich mussten die kleineren Parteien (FDP, AfD, Linke) entweder um den Einzug ins Parlament zittern oder sind erst gar nicht hineingekommen. Der Trend weist auf die Rückkehr vom aktuellen Sechs- zu einem neuen Dreieinhalbparteiensystem hin.

Zweitens: Die CDU hat ihre dramatische Krise aus dem vergangenen Jahr gut überstanden. Dies gilt auch im Hinblick auf ihre Führungskonstitution: Wer hätte gedacht, dass nach drei Anläufen nun jener Mann an der Spitze steht, der wie kein Zweiter das Gegenprogramm zum Merkel-Kurs verkörpert? Zudem hat er durch seine lautstarke Oppositionsarbeit im Bundestag nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Konsolidierung der Bundespartei geleistet, sondern auch einen Flankenschutz für die Wahlkämpfe in den Ländern gegeben. Allerdings hat die CDU ihre Machtchancen über den Bundesrat verschlechtert. Es scheint so, als gebe es nunmehr eine neue Arbeitsteilung: Liberaler Mitte-Kurs für die Wahlen und wahrnehmbarer, wenngleich bisweilen bizarr populistischer Oppositionskurs unter Friedrich März im Bundestag als neues Konsolidierungskonzept.

Drittens: Die SPD hat ihre Talsohle in Nordrhein-Westfalen (vor einiger Zeit noch mit Umfragetiefstwerten von 17 Prozent) verlassen, ohne wirklich zur grundlegenden Alternative zur Union aufgestiegen zu sein. Sie profitiert weder von ihrer führenden Rolle im Bund, noch gehen von der NRW-SPD positive Impulse für die Reformarbeit der SPD im Bund aus. Ein weiterer gewichtiger Faktor für das SPD-Ergebnis dürfte auch auf die unzureichende Adressierung der schwächeren Teile der Gesellschaft durch soziale und materielle Themenangebote zurückzuführen sein. In diesem Sinne hat die SPD selbst einen Anteil an der schwachen Wahlbeteiligung, der ihr selbst am meisten geschadet hat. Zudem war die Unterstützung durch die Bundes-SPD kein wirklich mobilisierender Faktor.

Viertens: Die Grünen profitieren von der Beteiligung in der Ampelregierung und den dringlicher werdenden Impulsen zur Umsetzung der Verkehrs- und Klimawende. Die Energie- und Klimapolitik wurde besonders von jungen Menschen unter 30 als unzureichend verurteilt. Mit 25 Prozent wären die Grünen bei den unter 30-Jährigen Wahlsieger. Im insgesamt starken Votum für die Partei von rund 18 Prozent spiegelt sich also auch die immer stärkere Manifestierung des klimaschützenden Zeitgeistes der jüngeren und kommenden Generationen wider. Mit der zusätzlich erfolgreichen Profilierung im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz sowie dem Außenministerium konnten sie die Themenkonjunktur nutzen.

Fünftens: AfD, FDP und Linkspartei scheinen zu Überflüssigen zu werden. Jedenfalls sind nicht nur ihre Wahlergebnisse dramatisch eingebrochen, sondern auch ihre strategischen Rollen für die Weiterentwicklung des Parteienwettbewerbs. Es scheint so zu sein, dass man sie – so der Befund der letzten drei Landtagswahlen – nicht mehr braucht, um Regierungen zu bilden. Dafür sind zum Teil innerparteiliche Verwerfungen (AfD, Linke) verantwortlich. Es fehlt aber offenbar auch an ernsthafte Antworten auf die großen Fragen der Zukunft. Dies schwächt die Attraktivität und Integrationskraft ungemein. So sind von der FDP die meisten Stimmen an die Union, die Grünen und die Nichtwähler abgewandert. Linke und AfD verlieren ihre Anteile insbesondere an Letztere, was auch mit der kritischen Russlandpolitik beider Parteien zusammenhängen könnte.

Quelle          :         TAZ-online           >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Wahlurne in Form einer Mülltonne in einem Wahllokal (Lutherschule Hannover)

Abgelegt unter Bildung, Deutschland, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Liebe DL-Redaktion ….

Erstellt von DL-Redaktion am 9. Mai 2022

Olaf Scholz‘ Rede zum 8. Mai 2022

Feldmarschall Keitel unterzeichnet deutsche Kapitulationsbedingungen in Berlin 8. Mai 1945 - Restauration.png

Genau diese Mörder  in Uniformen bekamen in der CDU die Plattform geboten, so weiter zu machen als wäre nichts geschehen !

Von    :      Stefan Weinert

Nun hat er sie doch gehalten, die Rede zur Nation am 8. Mai 2022. Olaf Scholz habe den richtigen Ton getroffen, meint der Tagesspiegel heute. Da habe ich was ganz anderes aus dem Mund eines emotionslosen und emphatiearmen Bundeskanzlers gehört und gesehen. Deshalb anbei meine kritischen Anmerkungen als freier Linker und meine Analyse als ebenso freier Journalist. Der Absturz der SPD in Schleswig-Holstein (meinem Geburtsland) am selbigen Tag unterstreicht, dass Scholz seit nun 74 Tagen nichts als Misstöne von sich gibt. 

Mit linken Grüßen, Stefan Weinert

Quelle des Redetextes von Olaf Scholz: „Nie wieder“: Scholz‘ Rede zum 8. Mai im Wortlaut – n-tv.de *)

[Kritisch kommentiert und analysiert von Stefan Weinert]

Die entsprechenden Rede-Sequenzen wurden vom Kritiker fett unterlegt.

*) Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!

Heute vor 77 Jahren endete in Europa der Zweite Weltkrieg. Das Schweigen der Waffen am 8. Mai 1945 glich einer Friedhofsruhe – über den Gräbern von mehr als 60 Millionen Frauen, Männern und Kindern. [Von einer „Friedhofsruhe“ am 8. Mai 1945 zu reden, ist Zynismus pur, da noch heute – 77 Jahre später – die Schreie der in den Gaskammern Erstickenden, der an die Bäume lebendig genagelten Kinder, der mehrfach vergewaltigten Frauen, der Schwangeren, denen die Unterleiber bei lebendigem Leibe aufgeschnitten wurden, der ohne jede Betäubung „Operierten“, lebendig Begrabenen … zu hören sind. – Nein Herr Bundeskanzler, das ist und war trotz des Schweigens der Waffen, keine „Ruhe oder gar Frieden“ über den Gräbern (FRIED-Hof), denn für die 6 Millionen in deutschen KZ Ermordeten und für die meisten der anderen über 55 Millionen Kriegstoten, gab es am 8. Mai 1945 keine Gräber und gibt es sie bis heute nicht. Sie wurden verbrannt, ihre Knochen zu Seife verarbeitet, ihre Haut zu Lampenschirmen gegerbt, ihre Köpfe als Schreibtischdekoration geschrumpft, ihre Haare in U-Booten verwendet, ihre Goldzähne eingeschmolzen, in Massengräbern verscharrt oder sie befinden sich am Grund der Meere, eingeschlossen in Stahl. Nur wer ihre Schreie und die Schreie der Ungerechtigkeit und die der unterlassenen Wiedergutmachung nicht hört, kann von „Friedhofsruhe“ sprechen.]

Millionen sind von ihnen auf den Schlachtfeldern gefallen. Millionen sind in ihren Städten und Dörfern, in Konzentrations- oder Vernichtungslagern ermordet worden. Deutsche haben dieses Menschheitsverbrechen verübt. [… und bis heute, „laufen“ viele von ihnen, den deutschen Täter/innen, noch frei herum, bzw. konnten unbehelligt irgendwann zwischen 1945 in Frieden leben und in Frieden sterben.]

Umso schmerzhafter ist es mitzuerleben, wie heute, 77 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, erneut rohe Gewalt das Recht bricht, mitten in Europa. Wie Russlands Armee in der Ukraine Männer, Frauen und Kinder umbringt, Städte in Schutt und Asche legt, ja selbst Flüchtende angreift.

Für mich ist dies ein 8. Mai wie kein anderer. Deshalb wende ich mich heute an Sie. [Nein! Nicht das war der Grund Ihrer Rede, sondern Sie wollten Ihr herb angeschlagenes Image etwas aufpolieren! Und glauben Sie, Herr Scholz, uns über 82.000.000 Bürger/innen geht dieser 8. Mai 2022 nicht nahe?; „näher“ wahrscheinlich als Ihnen. Auch ohne Ihre Rede! Wir warten seit nun 73 Tagen auf eine klare und eindeutige, entschiedene und wohldurchdachte Rede an die Nation und ihr entsprechendes Handeln. Damit hätte die von ihnen oben beschriebenen „rohe Gewalt, Schutt und Asche“ verhindert werden können.]

Wir können nicht an das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa erinnern, ohne der Tatsache ins Auge zu sehen: Es herrscht wieder Krieg in Europa. Russland hat diesen Krieg entfesselt. [Den „Tatsachen ins Auge sehen“ ist gerade das, was Sie nicht tun. Im Gegenteil. Sie versuchen wiederholt die Wirklichkeit zu de-realisieren und unterschlagen das, was uns noch als Auswirkungen dieser Realität erwartet.Millionen Menschen in der Welt werden des Hungers sterben, wir Deutsche werden eine Epoche der Entbehrungen erleben …]

Einst kämpften Russen und Ukrainer gemeinsam unter größten Opfern, um Deutschlands mörderischen Nationalsozialismus niederzuringen. Deutschland hat sich damals schuldig gemacht, an beiden Nationen, der russischen wie der ukrainischen. Mit beiden streben wir seit Jahrzehnten nach Aussöhnung.

Nun jedoch will Russlands Präsident Putin die Ukraine unterwerfen, ihre Kultur und ihre Identität vernichten. [Wovor auch Sie, Herr Bundeskanzler, gewarnt waren, es aber in den „Wind“ schlugen.] 

Präsident Putin setzt seinen barbarischen Angriffskrieg sogar mit dem Kampf gegen den Nationalsozialismus gleich. Das ist geschichtsverfälschend und infam. Dies klar auszusprechen, ist unsere Pflicht. [Richtig: Aber dann müssen Sie auch aussprechen, wo hier die Versäumnisse und die Irrtümer der NATO, der EU und der BRD (SPD), zu dieser Barbarei geführt haben. Der Begriff „infam“ wird heute als Synonym für „hinterhältig, unverschämt, zynisch“ genutzt – vermutlich auch von Ihnen; doch auch Ihrer Rede vom 8. Mai 2022 fehlte es nicht an Zynismus]

Doch damit ist es nicht getan.

Es war der militärische Sieg der Alliierten, der der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland ein Ende setzte. Wir Deutsche sind dafür bis heute dankbar. Daher konnte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 vom 8. Mai als „Tag der Befreiung“ sprechen.

Aus der katastrophalen Geschichte unseres Landes zwischen 1933 und 1945 haben wir eine zentrale Lehre gezogen. Sie lautet: „Nie wieder!“ [Aber gerade diese Losung haben Sie heuer karikiert und konterkariert, indem sie gezögert und gezaudert haben, mit dem billigen Argument, nicht im Alleingang handeln zu wollen. Umkehrschluss: Wenn die NATO und die anderen EU-Ländern bis heute nichts in Richtung Ukraine unternommen hätten, dann hätte auch die BRD bis heute nichts getan?!!]

Nie wieder Krieg.
Nie wieder Völkermord.
Nie wieder Gewaltherrschaft.

Und doch ist es wieder passiert – Krieg in Europa. Darauf hat der ukrainische Präsident Selensky heute hingewiesen. In der gegenwärtigen Lage kann dies nur bedeuten: Wir verteidigen Recht und Freiheit – an der Seite der Angegriffenen. Wir unterstützen die Ukraine im Kampf gegen den Aggressor. Das nicht zu tun, hieße zu kapitulieren vor blanker Gewalt – und den Aggressor zu bestärken. [Sie, Herr Scholz, implizieren mit dieser Rhetorik, Sie hätten seit 73 Tagen genau das getan, was Sie hier für als selbstverständlich beschreiben, und Sie hätten das, als Geboten beschriebene, nicht unterlassen. Das beurteilen mindestens 40 Millionen Deutsche ganz anders. Die anderen 40 Millionen lehnen Sie als Kriegskanzler ab. Wen haben Sie eigentlich noch auf Ihrer Seite?]

Wir helfen, damit die Gewalt ein Ende finden kann. Daher haben wir in den vergangenen Tagen und Wochen weitreichende und schwierige Entscheidungen getroffen – zügig und entschlossen, durchdacht und abgewogen. [Das Gegenteil ist und war der Fall: zügig? entschlossen? durchdacht? Mitnichten – Gegenteiliges war der Fall. abgewogen!! DAS ist ZYNISMUS PUR! Ja, aber mit was „abgewogen“? Nicht mit den Leben der in der Ukraine Verbliebenen und Ermordeten, sondern mit dem, was andere Länder tun, mit Umfragewerten, veralteten Waffen, mit Ihrer Angst …]

  • Wir haben nie dagewesene Sanktionen gegen die russische Wirtschaft und die russische Führung verhängt, um Putin von seinem Kriegskurs abzubringen.
  • Mit offenen Armen haben wir hunderttausende Ukrainerinnen und Ukrainer aufgenommen.
    Hunderttausende, die vor der Gewalt in ihrer Heimat bei uns Zuflucht finden.
    Hilfsorganisationen leisten erste Unterstützung, Schulen und Kitas richten Willkommensklassen ein, Bürgerinnen und Bürger nehmen Geflüchtete bei sich Zuhause auf.
    Für diese enorme Hilfsbereitschaft überall in unserem Land danke ich Ihnen von Herzen!
  • Und wir haben erstmals überhaupt in der Geschichte der Bundesrepublik Waffen in ein solches Kriegsgebiet geschickt, in großem Umfang – und immer sorgfältig abwägend auch schweres Gerät.
    Das setzen wir fort.
     [Das, Herr Bundeskanzler, stimmt nachweislich nicht. In den 1980er Jahren wurde der Erzfeind des damaligen Iran, der Irak, regelrecht mit deutschen Rüstungsgütern überflutet: Insgesamt 80 deutsche Firmen, darunter Daimler-Benz, MAN und Siemens, halfen bei der Hochrüstung des Saddam-Regimes. Eine besonders unrühmliche Rolle spielte die Chemiefabrik in Samara, die mit deutscher Hilfe gebaut wurde. Saddam Hussein nutzte sie für die Produktion von Giftgas, das er gegen die irakischen Kurden einsetzte. Seine militärische Offensive kostete 200.000 Kurden das Leben und vertrieb rund 1,5 Millionen Menschen.   Der kurdischen Peschmerga wurden 2015 Lenkwaffensysteme, Handgranaten und Sturmgewehre im Wert von 65 Millionen Euro aus Deutschland geliefert, um sie im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ auszurüsten.] Quelle:  Fluchtgrund | Deutsche Waffen gelangen auch in Konfliktgebiete

Ich kann mir gut vorstellen, [Sie WISSEN es doch ganz genau durch den „Emma“-Brief!] wie sehr diese Entscheidungen viele von Ihnen bewegen. Schließlich geht es buchstäblich um Krieg und Frieden. Um unsere historische Verantwortung und maximale Solidarität [die hätte anders aussehen müssen] mit der angegriffenen Ukraine. Um die Sicherheit unseres Landes und unseres Bündnisses.

Diese Ziele miteinander in Einklang zu bringen – dieser Aufgabe stellen wir uns Tag für Tag.

Bundesarchiv Bild 183-J0422-0600-002, Berlin-Karlshorst, Kapitulation, Shukow, Keitel.jpg

Die Lumpen in ihren Uniformen !

Dass wir als Land über Fragen solcher Tragweite intensiv miteinander diskutieren, ist gut und legitim. Zur Demokratie gehört auch, solche Kontroversen in „Respekt und gegenseitiger Achtung“ zu führen. Darauf hat der Bundespräsident in seiner Rede heute Morgen zu Recht hingewiesen. [Er sprach aber auch dreimal von einem „Epochenbruch“ und nicht einmal von „Zeitenwende“]

Aus vielen Äußerungen, die ich dieser Tage höre, spricht ernste Sorge. Sorge auch davor, dass sich der Krieg ausweitet, dass der Frieden auch bei uns in Gefahr geraten könnte.

Es wäre falsch, dies einfach abzutun. Solche Sorgen müssen ausgesprochen werden können.

Gleichzeitig gilt: Angst darf uns nicht lähmen.

Ich habe Ihnen geschildert, was wir tun, um Recht und Freiheit zu verteidigen in der Ukraine und in ganz Europa. Das ist sehr viel. [Das ist zu wenig]

Und zugleich tun wir nicht einfach alles, was der eine oder die andere gerade fordert. Denn: Ich habe in meinem Amtseid geschworen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. [Wie sie es durch Ihre Finanzskandale getan haben? Diejenigen, die vor Wirecard gut begründet gewarnt hatten, wurden von der BAFIN und der StA verfolgt. ]

Dazu zählt, unser Land und unsere Verbündeten vor Gefahren zu schützen. Vier klare Grundsätze folgen daraus für die Politik:

  • Erstens: keine deutschen Alleingänge! Was immer wir tun, stimmen wir auf das Engste mit unseren Bündnispartnern ab – in Europa und jenseits des Atlantiks. [Siehe wie schon oben beschrieben]
  • Zweitens: Bei allem, was wir tun, achten wir darauf, unsere eigene Verteidigungsfähigkeit zu erhalten! Und wir haben entschieden, die Bundeswehr deutlich besser auszustatten, damit sie uns auch in Zukunft verteidigen kann. [In ihrem jetzigen Zustand ist die Bundeswehr gar nicht verteidigungsfähig, von daher kann von „erhalten“ keine Rede sein.]
  • Drittens: Wir unternehmen nichts, was uns und unseren Partnern mehr schadet als Russland. [?]
  • Und viertens: Wir werden keine Entscheidung treffen, die die NATO Kriegspartei werden lässt. Dabei bleibt es! [Das aber wird nicht ausbleiben. Wie werden Sie dann argumentieren?]

Dass es keinen Weltkrieg mehr geben soll – erst recht keinen zwischen Nuklearmächten – auch das ist eine Lehre des 8. Mai.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
ich kann Ihnen heute noch nicht sagen, wann und auf welche Weise Russlands grausamer Krieg gegen die Ukraine enden wird. [!]

Klar ist aber: Einen russischen Diktatfrieden soll es nicht geben. Den werden die Ukrainerinnen und Ukrainer nicht akzeptieren – und wir auch nicht.

Selten standen wir mit unseren Freunden und Partnern so geschlossen und geeint da wie heute.

Ich bin zutiefst überzeugt:
Putin wird den Krieg nicht gewinnen. [Sie, Herr Bundeskanzler, mögen davon aus Kalkül (?) überzeugt sein (müssen). Doch leider ist das völlig unsicher. Wir können es nur „hoffen“ – aber nicht wissen]
Die Ukraine wird bestehen. [dito]
Freiheit und Sicherheit werden siegen – so wie Freiheit und Sicherheit vor 77 Jahren über Unfreiheit, Gewalt und Diktatur triumphiert haben. [dito]

Dazu nach [„allen uns zur Verfügung stehenden“, fehlt in Ihrer Rede] Kräften beizutragen, das bedeutet heute „Nie wieder“!

Darin liegt das Vermächtnis des 8. Mai.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Feldmarschall Wilhelm Keitel Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht im sowjetischen Hauptquartier in Karlshorst, Berlin.

Abgelegt unter Bildung, P.CDU / CSU, P.SPD, Positionen | Keine Kommentare »

08. Mai 1945 Daheim

Erstellt von DL-Redaktion am 9. Mai 2022

Sieben und Siebzig – Jahre  Danach

Erdhütten in KZ-Außenlager bei Kaufering.jpg

Blick auf Kasernen nach der Befreiung Kauferings, ein Netzwerk von Außenlagern des KZ Dachau. Landsberg-Kaufering, Deutschland, 29. April 1945.

Quelle:    Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Es ist gerade mal 77 Jahre her, dass der bis dahin größte und schändlichste Weltkrieg beendet wurde. Glücklicherweise, denn sonst wäre meine Mutter mit mir und meinem jüngeren Bruder nach Theresienstadt deportiert worden und dort verendet. So aber entkamen wir dem fanatischen Nazi-Bürgermeister und konnten – zwar in Trümmern – selbst bestimmt aufwachsen.

Vom Kriegsende bei uns heute kaum ein Wort. Wie in einer permanenten Show wird uns der Ukrainekrieg vorgeführt und über Krieg und Waffenlieferungen diskutiert. Die eigene Geschichte ist/wird vergessen oder verdrängt, ebenso wie das Tucholsky-Zitat „Soldaten sind Mörder“. Im Krieg gibt es wahrlich keine Sieger, nur unendlich leidvolle Menschenopfer wegen der Wahnvorstellungen einiger Politikprotze.

Die USA haben uns mit dem Abwurf der Atombomben auf Japan und seit dem Vietnamkrieg in unzähligen von ihnen angezettelten Kriegen vorgeführt, dass kriegerische Erpressungen schlussendlich scheitern, bis sie sich dann in Afghanistan wie ein feiger Hund mit eingezogenem Schwanz vom Acker gemacht haben. Und im Ukrainekonflikt schieben sie mit Geld und Waffen wieder kräftig an, und unsere Regierung hilft dabei tumb mit.

Vor gerade mal 27 Jahren hatte Richard von Weizäcker 50 Jahre nach dem Krieg den 8. Mai zum „Tag der Befreiung“ erklärt. Von Befreiung und Frieden aber heute keine Spur. Nur wieder Krieg, Sanktionen, Ausgrenzung und Ausbeutung aller Art. Wie befreit sind wir eigentlich? Sind wir wirklich nur frei, wenn wir genau das tun können, was uns gerade passt? Oder machen wir nur immer wieder dieselben Fehler, weil wir sie so gut kennen? Freiheit und Verantwortung sind die beiden ein und derselben Medaille.

Ein Tag wie der 8. Mai sollte uns zu Ruhe und Besinnung kommen lassen. Nachdenken über das, was hinter und was vor uns liegt. Denn, „Wer nicht weiß woher er kommt, der nicht weiß wohin er geht“ (Darius Romanelli). Bildung, Wissen und Denken könnten uns da behilflich sein.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

*********************************************************