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RENTENANGST

John Kerry

Erstellt von Gast-Autor am 12. September 2013

Ein Kinn für die Freiheit

Autor: U. Gellermann

Rationalgalerie

Datum: 12. September 2013

Politiker in den USA haben alle den selben Friseur. Oder es gibt eine Politiker-Frisur-Dienstanweisung. Denn nahezu alle US-Politiker tragen ihre Silberlocken sorgsam hochgeföhnt und mit Haarspray fixiert, leicht gescheitelt und nach hinten gekämmt. Auch und gerade John Kerry trägt diese, wie mit der Laubsäge modellierte Haartracht. Politiker in den USA haben alle ein ausgeprägtes Kinn. Energisch nach vorne geschwungen, tatkräftig in die internationalen Stürme gereckt, ragt das normierte US-Politiker-Kinn hinaus in die Freiheit, die es jederzeit und an jedem Punkt der Erde zu verteidigen gilt. Doch niemand kann mit dem Freiheits-Kinn des John Kerry konkurrieren.

„Ich bin durch Vietnam belehrt, aber nicht gefangen“, schreibt der Außenminister der USA in der Zeitung DIE WELT und meint damit, er lasse sich keineswegs von einem Krieg gegen Syrien abbringen. Nur weil er als junger Mensch mal gegen den Vietnam-Krieg war nachdem er vorher im selben Krieg als Kommandant eines Schnellbootes einen Orden nach dem anderen eingesackt hatte. Zwar haben Syrien und Russland seinen nur „rhetorisch“ gemeinten Vorschlag, Assad könne einem Angriff entgehen – wenn er „sämtliche“ Chemiewaffen der internationalen Gemeinschaft übergebe – aufgegriffen und so dem drohenden Krieg eine Atempause verschafft. Aber immer noch wollen die USA dem befreundeten Katar eine Gas-Pipeline zum Mittelmeer verschaffen. Und immer noch stört bei diesem Vorhaben der russische Militärstützpunkt in Syrien sehr. Der internationale Krieg, in den dann auch der Iran und Israel verwickelt wären, ist aufgeschoben. Er ist noch begrenzt auf die internationale Hilfe für die Rebellen: Drei Milliarden Dollar hat Katar schon investiert, die Saudis liefern Waffen aller Art, und die USA leiten über die CIA die Logistik. Auch deshalb lohnt es sich, John Kerry unter die Lupe zu nehmen.

„Und auch der Irak hat mir eine Lektion erteilt, ohne mich zu lähmen“, schreibt Kerry weiter in seinem WELT-Artikel und meint jene scheinbare Gehirnlähmung, die mit den vorgeblichen irakischen „Massenvernichtungswaffen“ den Irakkrieg begründete. Ein Krieg, dem Kerry selbstverständlich damals zugestimmt hat. Denn Kerry gehört zu jener dünnen Oberschicht in den USA, die wie eine Ölpest auf dem Meer der amerikanischen Bevölkerung schwimmt, jeden Ansatz echter Demokratie erstickend. John Kerry ist in den Reichtum hineingeboren: Sein Vater war amerikanischer Diplomat, seine Mutter gehörte dem Ostküsten-Adel an, jenen Schwerreichen, die seit Jahr und Tag untereinander heiraten, damit Geld und Einfluss in der Familie bleiben. Es versteht sich, dass der junge Kerry an der 1701 gegründeten Yale-Universität studiert hat und dort Mitglied der exklusiven Studentenverbindung Skull & Bones (Schädel und Knochen) war, ein Klub, dem die Kinder der Superreichen angehören und dessen Karriere-Netzwerk wie Mehltau auf dem ganzen Land lastet.

Es ist kein Witz, es ist die übliche üble Wahrheit: Im US-Präsidentschafts-Wahlkampf 2004 standen sich mit John Kerry und George W. Bush zwei Mitglieder von Skull & Bones gegenüber. Beide haben auf die Frage des selben TV-Moderators nach der studentischen Geheimgesellschaft identisch geantwortet: Das alles sei geheim. Dabei ist es wirklich kein Geheimnis, dass dieser universitäre Elitezirkel einen Einheitstyp der US-Politik hervorbringt. Die gleiche Frisur, die gleiche Gesinnung: Man gibt den eigenen Vorteil als das Wohl des Landes aus. Auch die Kosten des damaligen Wahlkampfes, um die 600 Millionen Dollar, weisen auf die Nutznießer hin: Nur mit viel, viel Geld ist ein Wahlkampf in den USA zu gewinnen. Mehr als 200 Unternehmen haben den Kerry-Wahlkampf gesponsert. Unter ihnen die Citigroup, Apple und das Whiskey-Imperium Brown-Forman (Jack Daniels). Der damalige Chef von Goldman-Sachs wußte über Kerry: „John Kerry ist gut für die Wirtschaft und daher auch gut für die Märkte.“

Immer noch wartet der US-Energiemarkt auf eine für ihn vorteilhafte Pipeline-Lösung in Syrien. Deshalb hat der US-Außenminister seine durch nichts bewiesene Behauptung bisher nicht zurückgenommen oder konkretisiert: „Wir wissen wer Chemiewaffen benutzte. Auch wann und wie.“ Kerry weiß es und wir auch: Immer noch lagern in den USA mehr als 1.000 Tonnen Chemiewaffen aller Art, die, würden die Vereinigten Staaten dem internationalen Abkommen entsprechen, seit dem letzten Jahr vernichtet sein sollten. Man darf gespannt sein, ob und wann die USA diese Waffen in eine Abrüstungsdebatte um die syrischen Chemiewaffen einbringen werden.

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Fotoquelle:Wikipedia

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Kerry und Chutzpa

Erstellt von Gast-Autor am 11. August 2013

Kerry und Chutzpa

Autor Uri Avnery

WENN MAN zufällig am Ben Gurion-Flughafen auf John Kerry trifft, mag man sich fragen, ob er kommt oder geht. Er fragt sich das vielleicht selbst.

Seit vielen Wochen hat er jetzt die meiste seiner kostbaren Zeit für Treffen mit Benjamin Netanyahu und Mahmoud Abbas verbracht, indem er versuchte, die beiden zusammen zu bringen.

Man braucht mit dem Wagen etwa eine halbe Stunde, um vom Office des Ministerpräsidenten in Jerusalem zur Mukata’ah des palästinensischen Präsidenten in Ramallah zu kommen. Aber die beiden sind von einander weiter entfernt als die Erde vom Mars.

 Kerry hat es auf sich genommen, die beiden zu einander zu bringen – vielleicht irgendwo im Weltraum. Auf dem Mond zum Beispiel.

 ZU EINANDER KOMMEN aber wofür?

Da liegt der Hase im Pfeffer. Das Ziel scheint, ein Treffen um des Treffens willen zu sein

Wir haben diese Prozedur seit vielen Jahren beobachtet. Auf einander folgende amerikanische Präsidenten haben es unternommen, die beiden Seiten bei uns zu einander zu bringen. Es ist ein amerikanischer Glaube, der in angelsächsischer Tradition wurzelt, dass, wenn zwei vernünftige, anständige Leute zusammenkommen und ihre Differenzen ausräumen, die Sache in Ordnung kommen werde. Es ist fast automatisch: treffen – reden – übereinstimmen.

Leider funktioniert es bei Konflikten zwischen Nationen nicht ganz auf diese Weise; bei Konflikten, die oft tiefe historische Wurzeln haben können. Bei Treffen zwischen Führern solcher Nationen wünschen sie oft nur, alte Anklagen gegen einander zu schleudern, mit dem Ziel, die Welt davon zu überzeugen, dass die andere Seite verkommen und verachtenswert ist.

Jede Seite oder beide mögen daran interessiert sein, die Treffen für immer hinauszuzögern. Die Welt sieht, wie sich die Führer treffen, der Vermittler und die Fotografen hart arbeiten und jeder spricht endlos über den Frieden, Frieden, Frieden.

Ich erinnere mich an einen skandinavischen Gentleman mit Namen Gunnar Jarring. Erinnert man sich an ihn? Nein? Man mache sich keine Vorwürfe. Man kann ihn getrost vergessen. Ein wohl meinender schwedischer Diplomat (und Türkologe), der von den UN in den frühen 70er-Jahren gebeten wurde, die Ägypter und die Israelis zu einander zu bringen, um zwischen ihnen ein Friedensabkommen zu erreichen.

Jarring nahm seine historische Mission sehr ernst. Er reiste unermüdlich zwischen Kairo und Jerusalem hin und her. Sein Name wurde in Israel ein Witz- und in Ägypten wahrscheinlich auch.

Die damaligen Protagonisten waren Anwar Sadat und Golda Meir. Wie wir damals berichteten, gab Sadat Jarring eine bedeutsame Erklärung mit: wenn er die ganze Sinai-Halbinsel zurückbekäme, die Israel 1967 erober hat, sei er bereit, Frieden zu machen. Golda wies den Vorschlag sofort zurück. Da gab es natürlich kein Treffen.

(Ein volkstümlicher Witz dieser Zeit war: Golda und Sadat standen sich am Suezkanal gegenüber: Golda schrie: „Make Love – not War!“ Sadat schaute durch sein Fernglas auf sie und antwortete: „Better war!“)

Jeder weiß, wie dieses Kapitel endete. Nachdem Golda alles zurückgewiesen hatte, griff Sadat an , gewann anfänglich einen Überraschungssieg – und die ganze politische Welt geriet in Bewegung, Golda wurde abgesetzt, und nach vier Jahren Yitzhak Rabin kam Menachem Begin zur Macht und stimmte Sadats Friedensvorschlag zu, den er vor dem Krieg gemacht hat. Die 1000 israelischen Soldaten und unzählige Ägypter, die in diesem Krieg starben, sahen ihn nicht.

Übrigens Jarring starb 2002, unbesungen und vergessen.

KERRY IST nicht Jarring. Zunächst, weil er keine machtlose internationale Organisation vertritt, sondern die einzige Superweltmacht. Die volle Macht der Vereinigten Staaten von Amerika steht ihm zur Verfügung.

Oder doch nicht?

Das ist die wirklich relevanteste – tatsächlich, die einzig relevante – Frage in diesem Augenblick.

Er benötigt eine Menge, um seinen Herzenswunsch zu erfüllen: das Treffen – nicht nur das Treffen, sondern DAS TREFFEN – zwischen Netanjahu und Abbas.

Das sieht wie eine einfache Aufgabe aus, Netanjahu erklärt mit seiner gewöhnlichen Aufrichtigkeit dass er ihn zu treffen wünsche. Ja, dass er begierig sei, ihn zu treffen. Mit dem glänzenden Charme eines erfahrenen TV-Moderators, der die Macht der Bilder kennt, hat er vorgeschlagen, auf halbem Weg zwischen Jerusalem und Ramallah (beim berüchtigten Kalandia-Checkpoint), ein Zelt aufzuschlagen und sich dort mit Abbas und Kerry zusammen zu setzen, bis ein vollständiges Abkommen über alle Punkte des Konfliktes erreicht sei.

Wer kann einem so großzügigen Angebot widerstehen? Warum – zum Kuckuck – springt Abbas nicht auf und greift mit beiden Händen nach diesem Angebot?

Aus einem sehr einfachen Grund.

Allein der Anfang neuer Verhandlungen wäre ein politischer Triumpf für Netanjahu. Tatsächlich ist es das, was er wirklich wünscht – die Zeremonie, den Bombast, das Händeschütteln der Führer, das Lächeln, die Reden voller Wohlwollen und natürlich Gerede über Frieden.

Und dann? Nichts. Verhandlungen, die endlos weitergehen, Monate, Jahre, Jahrzehnte. Wir haben dies alles schon gesehen. Yitzhak Shamir, einer von Netanjahus Vorgängern, prahlte damit, er würde Verhandlungen auf immer hinauszögern.

Der Profit wäre für Netanjahu klar und unmittelbar. Er würde als der Mann des Friedens angesehen werden. Die gegenwärtige Regierung, die rechteste und nationalistischste, die Israel jemals gekannt hat, wäre rehabilitiert. Die Menschen in aller Welt, die einen Boykott Israels auf allen Gebieten predigen, würden beschämt und entwaffnet sein. Die zunehmende Besorgnis in Jerusalem über die „Delegitimierung“ und „Isolierung“ Israels würde erleichtert werden.

Was würde die palästinensische Seite davon haben? Nichts. Kein Stopp des Siedlungsbaus. Nicht einmal die Entlassung der alten Gefangenen, die seit mehr als 20 Jahren im Gefängnis schmachten. (Wie jene, die bei der Rückkehr von Gilat Shalit an die Hamas entlassen wurden. Sorry, keine Vorbedingungen!)

Abbas verlangt, dass das Ziel der Verhandlungen im Voraus ausgesprochen wird: die Errichtung des Staates Palästina mit Grenzen, die sich auf die von vor 1967 gründen. Das Fehlen dieses Statements aus den Oslo-Verträgen von 1993 führte schließlich zu ihrem Scheitern. Warum den Fehler zweimal machen?

Abbas wünscht außerdem ein Zeitlimit für die Verhandlungen. Etwa ein Jahr.

Natürlich verweigert Netanjahu dies. Im Augenblick versucht der arme Kerry, etwas zusammen zu basteln, das den Wolf befriedigen würde, während er das Lamm am Leben hält. Gäbe man z.B. Abbas amerikanische Zusicherungen ohne Israels Zusicherung.

BEI ALL diesem Gezänk wird eine Grundtatsache ignoriert

Es ist wieder der Elefant. Der Elefant im Zimmer, dessen Existenz Netanjahu leugnet und den Kerry zu ignorieren versucht.

Die Besatzung.

Man nimmt gewöhnlich an, dass die Verhandlungen zwischen Gleichen stattfindet. Auf allen Karikaturen erscheinen Netanjahu und Abbas gleich groß. Das amerikanische Bild von zwei vernünftigen Leuten, die mit einander reden, setzen zwei mehr oder weniger gleiche Partner voraus.

Aber das ganze Bild ist grundsätzlich falsch. Die vorgeschlagenen „Verhandlungen“ sind zwischen einer allmächtigen Besatzungsmacht und einem fast völlig machtlosen, besetzten Volk. Zwischen Wolf und Lamm.

(Noch einmal einen alten israelischen Scherz: Kann man einen Wolf und ein Lamm zusammen halten? Natürlich kann man das; wenn man täglich ein neues Lamm dazugibt.)

Die israelische Armee operiert frei in der ganzen Westbank, einschließlich Ramallahs. Falls Netanjahu entscheidet, könnte sich Abbas morgen in einem israelischen Gefängnis wiederfinden, zusammen mit den alten Leuten, die Netanjahu sich weigert, frei zu lassen.

Weniger drastisch: die israelische Regierung kann jeden Moment – je nach Wunsch – mit dem Transfer großer Summen Zollgeldes, die es zu Gunsten der palästinensischen Behörde einsammelt, stoppen, wie sie es schon mehrfach getan hat. Dies bringt die PA automatisch an den Rand des Bankrotts.

Da gibt es Hunderte Möglichkeiten, eine raffinierter als die andere, mit denen die Besatzungs-behörden und die Besatzungsarmee das Leben für den einzelnen Palästinenser und seine Gemeinschaft als Ganzes unerträglich machen kann.

Was können die Palästinenser tun, um Druck auf die israelische Regierung auszuüben? Sehr wenig.

Es gibt die Drohung einer dritten Intifada. Dies beunruhigt die Armee, aber jagt ihr keine Angst ein. Die Antwort wird mehr Unterdrückung und Blutvergießen sein. Oder eine andere Resolution der UN-Vollversammlung, die Palästina in den Rang eines vollen Mitgliedes der Weltorganisation bringen würde. Netanjahu würde wütend sein, aber der tatsächliche Schaden wäre begrenzt.

JEDER DRUCK, um wirkungsvolle Verhandlungen zu beginnen, die – sagen wir mal – in einem Jahr zu einem Friedensabkommen führen würde, muss vom Präsidenten der Vereinigten Staaten Amerikas kommen.

Das ist so offensichtlich, dass es kaum noch erwähnt werden muss.

Dies ist der springende Punkt.

Kerry kann Geld, sogar eine Menge Geld mit sich bringen, um die Palästinenser zu bestechen oder verheerende Drohungen in ihre Ohren flüstern, um sie dahin zu bringen, sich mit Netanjahu in seinem imaginären Zelt zu treffen. Aber das ist fast bedeutungslos.

Die einzige Chance, wirkliche Verhandlungen zu beginnen, bedeutet für Barack Obama, sein ganzes Gewicht in die Bemühungen zu legen, dem Kongress und der äußerst mächtigen Pro-Israel-Lobby entgegen zu treten und beiden Seiten den amerikanischen Friedensplan zu diktieren. Wir wissen alle, wie er aussehen muss – eine Kombination von (Bill) Clintons Entwurf und der panarabischen Friedensinitiative.

Wenn John Kerry nicht in der Lage ist, diesen Druck auszuüben, dann sollte er es nicht einmal versuchen. In gewissem Sinn ist es wirklich eine Zumutung, hierher zu kommen und Dinge in Bewegung setzen, wenn er keine Mittel hat, eine Lösung zu erzwingen. Das ist fast eine Unverschämtheit.

Oder, wie man im Hebräischen sagt: eine Chuzpa.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)

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