DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Weltpolitikerin Merkelchen

Erstellt von DL-Redaktion am 22. November 2015

10 Jahre Kanzlerin

Und sie kann die Raute immer noch formen

von Anja Maier

Merkels Karriere begann in einer Fischerhütte auf Rügen. Jetzt könnte sie sich da nützlich machen, findet der Bürgermeister. Ein Besuch.

Ulrich Kliesow weiß eine Menge über Merkel, weil er sie seit vielen Jahren kennt. Weil er ihren Anfang als Politikerin erlebt und sie als CDU-Lokalpolitiker auch ein bisschen mitgefördert hat. Und weil er meint, dass es nun, nach zehn Jahren, nicht mehr lange gut gehen wird mit ihrer Kanzlerschaft. „Sie gilt als die mächtigste Frau der Welt. Aber das ist natürlich eine Blödsinnigkeit.“ Ulrich Kliesow schaut herausfordernd durch seine Brillengläser. Sie, das ist Angela Merkel, die Kanzlerin. Und er ist der Bürgermeister von Middelhagen.

Dass Angela Merkel „Wir schaffen das“ gesagt hat, empört Ulrich Kliesow. Verordnete Hilfsbereitschaft? Das ist für ihn eine absolutistische Vorgehensweise. Er fühlt sich jedenfalls nicht gemeint, sagt er und streicht mit seinen großen Händen über die Decke des Besprechungstischs in der Gemeindeverwaltung. Nach Middelhagen hat es noch keinen einzigen Flüchtling verschlagen. Dennoch.

Kliesow ist 68, Heimatforscher und Briefmarkensammler. Er hat eine laute Stimme und trägt zu seinem Seemannsbart eine schwere Goldrandbrille. „Das Merkelchen“ nennt er die Bundeskanzlerin. In dieser Verniedlichung steckt viel drin: Vertrautheit, Nähe, Ironie. Auch Enttäuschung. Und eine ganz eigene Auffassung von Politik. Nützlich muss ein Politiker sein. Sonst taugt er nichts. Nützlich soll auch das Merkelchen sein. Werden Politiker nicht genau dafür gewählt? Also.

In Kliesows Gemeinde – genauer gesagt in dem Dörfchen Lobbe – hat vor fünfundzwanzig Jahren Angela Merkels Verwandlung in jene Politikerin begonnen, die sie heute ist. Eine Weltpolitikerin. Anwärterin auf den Friedensnobelpreis. Das Merkelchen. In diesen Tagen, da immer mal wieder die Erosion ihrer Macht herbeigeschrieben wird, da sie kleiner wird, menschlicher, auch fehlbarer, da schaut man schon mal, wie das alles angefangen hat mit ihr.

Am 2. November 1990 öffnete Angela Merkel die Tür eines Fischerschuppens in Lobbe. Sie war 36 Jahre alt und seit fünf Wochen die Kandidatin der CDU Mecklenburg-Vorpommerns für die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl. Ihr Wahlkreis hieß Stralsund-Rügen-Grimmen. Die Frau aus Templin, wohnhaft in Berlin, kannte dort kaum jemanden. Wahlkreis 267 war der vielversprechenden Frau Doktor rer. nat. von wohlmeinenden Parteifreunden verschafft worden. Erobern musste sie ihn schon selbst.

Also machte sie sich im Spätherbst 1990 auf und ging, so kannte sie das aus dem elterlichen Pfarrhaus, zu den Menschen. Zu fremden Menschen.

Stille Zuwendung

Man kann dieses Fremdsein gut erkennen auf dem Foto, das an diesem Tag aufgenommen wurde. Halb rechts im seitlich hereinbrechenden Licht sitzt die Frau in Jeansrock, Strickjacke und weißem T-Shirt. Ihr Blick geht fragend, suchend in die Runde. Um sie herum gruppiert: die Fischer in ihrer Arbeitskluft. Sie schauen aus dem Fenster oder in die Luft. Sie reden, aber nicht mit der Besucherin. An der Wand hängt das Ölzeug, auf den Tischen stehen Aschenbecher. Rauch steigt auf.

Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen

————————————————————————————————————————-

Fotoquelle: Wikipedia – Author Armin Linnartz — / — CC BY-SA 3.0 de

Abgelegt unter Debatte, Meck - Pommern, Regierung | 1 Kommentar »

Hier werden Sie regiert

Erstellt von DL-Redaktion am 19. September 2015

Debatte Merkels Flüchtlingspolitik

Von Anja Maier

„Merkel macht’s“ war die Devise der letzten zehn Jahre. In der Flüchtlingsfrage läuft das anders. Doch Merkel richtet sich nach den Mehrheiten.

Dies sind die Tage der Scharfmacher. Und zwar der Scharfmacher auf beiden Seiten. Angela Merkel soll sich gefälligst entscheiden: Bleibt sie bei ihrem eingeschlagenen Kurs in der Flüchtlingsfrage? Oder knickt sie ein? Von links erhält sie Beifall. Von rechts hallen Warnschüsse. Für Europas mächtigste Politikerin muss sich das anfühlen wie verkehrte Welt. Müsste es nicht eigentlich andersherum sein: ihre Leute dicht bei ihr, die Anhänger der anderen Parteien im Kritikermodus?

Aber es ist viel komplizierter. Denn es geht um nichts weniger als die innere Verfasstheit dieses Landes, seinen aktuellen und künftigen Umgang mit dem Neuen in einer global aufgeheizten Situation. Und um die Arbeitsfähigkeit der Regierung. Jetzt, da täglich Tausende Flüchtlinge in den Kommunen eintreffen, macht Angela Merkel ein Selfie mit einem Flüchtling. Sie spricht davon, dass Asyl keine Obergrenze kenne. Und sie sagt, Deutschland zeige „in Notsituationen ein freundliches Gesicht“. Wenn man jetzt anfange, sich dafür auch noch zu entschuldigen, „dann ist das nicht mehr mein Land“.

Nicht mehr mein Land? Eine fragwürdige Formulierung, und zwar nicht nur in Bezug auf das besitzanzeigende „mein“. Eine Regierungschefin, die eine Grenze der Empathie zieht zwischen Befürwortern und Kritikern ihrer aktuellen Flüchtlingspolitik? In der Bayerischen Staatskanzlei dürfte Horst Seehofer einem Herzkasper nahe gewesen sein. Und das links-grüne Bürgertum reagierte entzückt. Angela Merkel – jetzt also auch ihre Kanzlerin!

Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen

———————————————————————————————————————————

Fotoquelle: – Wikipedia – Urheber User:Coentor

Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert.

Abgelegt unter Europa, Flucht und Zuwanderung, Integration, Regierung | Keine Kommentare »

Wir sehen uns wieder

Erstellt von DL-Redaktion am 21. Juni 2015

Rückführung deutscher Kinder aus Polen

VON ANJA MAIER

AUFBRUCH Eine Familie flieht 1945 aus dem Sudetenland. Zwei Brüder landen in der DDR, einer in der BRD. Einer empfindet sein Schicksal als gerechte Strafe. Der andere spürt bis heute den Verlust. Der dritte stirbt

Der Vater packt den Griff des überladenen Handwagens, die Mutter nimmt ihren Jüngsten an die Hand, den drei Jahre alten Herwig. Wilfried Maier und sein älterer Bruder Tonl treten vor die Tür ihres Elternhauses. Sie müssen alle los. Jetzt. Zum Zug.

August 1945. Die Familie des Kaufmanns Anton Maier verlässt ihr Heimatdorf. Die Deutschen haben den Krieg verloren, sie müssen Land abgeben. Die Maiers sind Sudetendeutsche aus Lewin, einem Dorf, das nach der Kapitulation des Deutschen Reichs wieder zur Tschechoslowakei gehört. Sie müssen fort aus ihrem Haus, ihrem Dorf, ihrer Heimat seit Generationen. So haben es die Alliierten beschlossen.

Onkel Heini ist mit dem Leiterwagen gekommen. Das Pferd steht schnaubend auf der Schotterstraße, es ruckt unruhig im Geschirr. Die Jungen reichen ihm auf flachen Händen Augustäpfel. Wärme in der Hand. Die Erwachsenen wuchten den Handwagen auf die Ladefläche. Fünfzig Kilo Gepäck dürfen die fünf mitnehmen aus ihrem Haus am Hang. Am Horizont ziehen Wolken auf, es riecht nach Regen.

Der Vater schließt das Haus ab, rüttelt noch mal an der Klinke. Vor dem Schaufenster des Dorfladens hat er extra dicke Vorhängeschlösser angebracht. Alles soll so sein, wie sie es verlassen haben, wenn sie wieder zurückkommen.

Dies ist die Geschichte einer Flucht. Eine Geschichte, wie es sie millionenfach am Ende des Zweiten Weltkriegs gegeben hat. Es ist auch die Geschichte einer Trennung. In Ost und West. In richtig und falsch. Es ist die Geschichte dreier Brüder, an die sich vor allem einer neuerdings immer stärker erinnert.

Onkel Heini wedelt mit der Peitsche, das Pferd ruckt an. Heini – der mit einer Slowakin verheiratet ist und Lewin deshalb nicht verlassen muss – begleitet seine Schwester Resi, ihren Mann und die drei Söhne die zwei Kilometer zur Bahnstation nach Loschowitz. Von dort geht es weiter Richtung Auscha. Und von dort … Wer weiß?

Sie sollen nach Deutschland.

Der Tschokl, der kleine Zug, der sonst Deutsche und Tschechen zwischen Groß-Briesen an der Elbe und der Stadt Auscha zur Schule, zum Einkaufen oder in die Fabrik gefahren hat – heute bringt er die Maiers fort.

Der Abschied. Feste, kurze Umarmungen.

Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen

——————————————————————————————————————

Fotoquelle: Wikipedia – Attribution: Bundesarchiv, Bild 183-2003-0703-500 / CC-BY-SA

Abgelegt unter Berlin, Europa, Flucht und Zuwanderung, Friedenspolitik, Integration | Keine Kommentare »

Innigkeit und Ignoranz

Erstellt von DL-Redaktion am 12. März 2015

Bürgermeister-Rücktritt in Tröglitz

AUS TRÖGLITZ THOMAS GERLACH

Nicht die NPD sei es gewesen, die ihn resignieren ließ, sagt Markus Nierth, inzwischen ehemaliger Ortsbürgermeister eines Dorfs in Sachsen-Anhalt. Er fühlte sich von der Verwaltung im Stich gelassen

Es gab einen Moment in seinem Leben, da erfuhr Markus Nierth, wie es ist, Flüchtling zu sein. Der Vater, ein Pfarrer, war schwerkrank und konnte in der DDR nicht ausreichend behandelt werden. Die Familie reiste 1986 aus. Und so saß der junge Markus Nierth auf einem Eisenbett im Notaufnahmelager Gießen. In ein Loch sei er gefallen, erzählt er. „Nicht, dass ich ausgegrenzt worden wäre. Aber es gab diese typische Gleichgültigkeit.“ Und dann kam sein 17. Geburtstag. „Ein wildfremder Mensch brachte mir eine Torte.“ Die Verblüffung ist bei Nierth noch heute herauszuhören. Vermutlich ist es diese Erfahrung, die ihn von vielen hier in Tröglitz unterscheidet, sie hat sie ihn empfänglich gemacht für das Schicksal von Flüchtlingen. Und es ist ganz sicher das, was ihn hat zur Zielscheibe werden lassen.

Markus Nierth, bis vergangenen Freitag ehrenamtlicher Ortsbürgermeister von Tröglitz, sitzt in seinem Wohnzimmer, ausgestattet mit stilvollen Möbeln, Leuchtern, Kunstwerken, den fünfjährigen Silas fest im Arm. Nierth, 46 Jahre alt, ist im Ledersofa versunken. Er wirkt müde von der Aufregung. Sein Abschied zieht Kreise. Am Abend wird er sich in den „Tagesthemen“ sehen können.

Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen

——————————-

ANJA MAIER ÜBER DIE DENKFEHLER DER OSSI-VERSTEHER

25 Jahre sind mehr als genug

Tröglitz ist zu einer Chiffre geworden. Das Dorf in Sachsen-Anhalt, dessen Bürgermeister unter massivem Druck der örtlichen Fremdenfeinde zurücktrat, hält her als typisch für den Osten Deutschlands. Dort habe man, so wird immer gern argumentiert, seit dem Ende der DDR erst 25 Jahre Zeit gehabt, um zivilgesellschaftliche Strukturen aufzubauen. So zu denken ist aber ein schwerer Fehler.

Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen

——————————————————————————————————————————-

Grafikquelle   :     Fotoquelle: Wikipedia – Attribution: Elsteraue at the German language Wikipedia

This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

Abgelegt unter Kommunalpolitik, Sachsen-Anhalt, Überregional | Keine Kommentare »

Wir Missvergnügten

Erstellt von DL-Redaktion am 23. August 2014

25 Jahre nach der Wende

von Anja Maier

Identität ist nichts, was man einfach so abstreift: 25 Jahre nach Mauerfall blickt eine Ostlerin zurück

In diesem Jahr habe ich es geschafft. Ich bin nun schon ein Jahr länger Westlerin, als ich Ostlerin gewesen bin. Fast fünfundzwanzig Jahre sind vergangen seit jenem Abend, an dem in Berlin direkt vor meiner Nase „die Mauer fiel“. Ein Vierteljahrhundert. Bin ich also mittlerweile eine richtige Westlerin? Nö. Ich bin nach wie vor Ostlerin. Darauf lege ich Wert.

Blödsinn, sagt ein Westfreund dazu: Ich sei ja wohl die integrierteste Gesamtdeutsche, die man sich nur vorstellen könne. Genau richtig, sagen meine Eltern: Identität sei nichts, was man einfach so abstreifen solle. Schwachsinn, nölt meine Tochter: Irgendwann muss es mal gut sein mit diesem Ostgeschwurbel. Nein, bleib so, rät die Freundin: Der identitäre Bruch der Wende sei schließlich ein unverwechselbares Stückchen politischer DNA. Ja, was denn nun?

Ich bin Ostlerin. Aber um das gleich klarzustellen: Das bedeutet schon ein bisschen mehr, als Berlinerin zu sein oder Brandenburgerin. Ostlersein markiert Herkunft und Zugehörigkeit. Und einen Minderheitenstatus, den ich situationsbedingt entweder liebe oder hasse. Gleichgültig ist er mir jedenfalls nicht.

Tatsächlich sind die vierundzwanzig Lebensjahre in der DDR bis heute prägend. Familie, Kindergarten, Schule, Lehre, Studium. Adoleszenz vor der Kulisse der bulgarischen Schwarzmeerküste oder auf mecklenburgischen Campingplätzen. Kulturelle Prägung durch eine Band namens Pankow, durch den androgynen David Bowie und die rübergemachte Nina Hagen. Auch durch das Politische, das viel zu weit ins Private ragte. Aus heutiger Sicht war dieser Osten eine Zumutung.

Spiel mit Schuldkomplexen

Die DDR war ein Land, in dem man unentwegt aufgefordert wurde, sich „zu uns“ zu bekennen – ein permanentes Spiel mit Schuldkomplexen. Freunde reisten auf Nimmerwiedersehen aus – dass es mal anders kommen würde, glaubte niemand wirklich. Das aus heutiger Sicht Schlimmste: Man wusste, es hört immer jemand mit: der Staat, der seine Bürger als Eigentum betrachtete.

Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen

—————————————————————————————————————————-

Fotoquelle: Wikipedia – Author burts uploaded under GFDL

Abgelegt unter Berlin, Europa, Feuilleton, Kultur | 1 Kommentar »