Erstellt von Redaktion am Dienstag 1. November 2022
Der wahre Epochenbruch ist viel größer
Warum wird das Walterchen immer nach rechts gedrängt ?
Der Bundespräsident hat sich diese Woche endlich zu einer lange erwarteten Grundsatzrede durchgerungen. Er verkündete harte Wahrheiten. Oppositionsführer Merz dagegen erzählt weiter beruhigende Märchen.
Stellen Sie sich bitte einen Globus vor, und darauf drei rote Punkte, die den Süden der USA, Nigeria und Pakistan markieren. Bis in zehn Jahren, wenn die 1,5-Grad-Schwelle mit hoher Wahrscheinlichkeit überschritten sein wird, werden sich die Katastrophen, die jetzt schon den Globus überziehen, in atemberaubendem Tempo vermehren, wie Windpocken. Immer mehr rote Punkte, überall.
Auf die Welt kommen deshalb nie dagewesene Wanderungsbewegungen zu, und zwar in sehr naher Zukunft, nicht erst 2050.
»Das Fenster, das sich schließt«
Hierzulande, überall im sogenannten Globalen Norden wird aber weiterhin so getan, als hätten wir noch Zeit.
Die Uno hat gerade auf bittere Weise festgehalten, dass das ein Irrtum ist. Die derzeitigen Vorsätze – nur die Vorsätze! – der Länder dieser Welt reichen bei Weitem nicht, um das Ziel des Pariser Klimaabkommens einzuhalten, die Erde nicht mehr als 1,5 Grad heißer werden zu lassen als vor der Industrialisierung.
Der Uno-Bericht über die Lücke zwischen den Emissionen, die wir uns leisten könnten, und denen, die wir produzieren, trägt den Titel »Das Fenster, das sich schließt« . Er verlangt nach einer »systemweiten Transformation«, denn nur die könne »eine Klimakatastrophe verhindern«.
Ich weiß, es ist unangenehm, ständig an diese Fakten erinnert zu werden. Aber noch weit unangenehmer ist das, was bevorsteht, wenn nicht endlich entschlossen gehandelt wird. Im Forum zu dieser Kolumne wird man dennoch auch diese Woche wieder Worte wie »Panikmache« und »Untergangsprophet« lesen können. Dissonante Information wird abgewertet.
Der »Epochenbruch« – was ist das?
All das hört niemand gern. Es gibt doch schon so viele andere Probleme! Putin, Inflation, Gaspreise, bitter nötige Verwaltungsreformen, schleppende Digitalisierung.
Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier diese Woche in einer lange erwarteten Grundsatzrede von einem »Epochenbruch« sprach, meinte er damit zunächst vor allem Russlands Angriff auf die Ukraine und die damit einhergehenden Verwerfungen.
In der zweiten Hälfte der Rede fielen aber dann auch diese Sätze: »Wir treten ein in ein Zeitalter ohne Kohle, Öl und Gas, in dem sich Deutschland neu beweisen wird. Darin liegen, bei aller Herausforderung, auch große Chancen für unser Land!« Das sei »die vordringliche Aufgabe von Ingenieurinnen und Entwicklern, von Wirtschaft und Politik«.
Und später: »Ohne den Kampf gegen den Klimawandel ist alles nichts«.
So ist es.
Ein Eingeständnis, höchste Zeit
Das waren noch Zeiten als jeden aus der Hand gefressen wurde.
Das ist, für Steinmeier selbst, auch ein indirektes Eingeständnis: Die Abhängigkeit vom russischen Gas, die sinnlose Zerstörung der heimischen Solar- und Windenergiebranchen, das hat durchaus nicht nur mit Union und FDP, sondern mit zwei von drei Legislaturperioden Großer Koalition zu tun, in denen Steinmeier jeweils Schlüsselrollen spielte. Das ist das Beste an der Rede: Steinmeier versuchte darin, das Land, und damit auch sich selbst, auf eine echte Richtungsänderung einzuschwören. Es wird höchste Zeit.
Der wahre Epochenbruch ist nämlich längst im Gang. Putins Krieg ist nur eine von vielen seiner Ausprägungen. Russland wird die Klimakrise in doppelter Hinsicht härter treffen als andere Industrienationen, und das weiß Putin mit Sicherheit: Es lebt vom Verkauf von Roh-CO₂, und es besteht zu einem gewaltigen Teil aus Landschaften, die sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten bis zur Unkenntlichkeit verändern werden. Wenn der Permafrost taut, werden riesige Landstriche sich in Methan rülpsende Sumpflandschaften verwandeln, ganze Siedlungsgebiete werden plötzlich auf sehr unsicherem Boden stehen.
»Russland wird zu den Verlierern gehören«
Die Klimakrise, heißt es in »Klimat«, einem Buch über die Auswirkungen des wahren Epochenbruchs auf Russland, geschrieben von dem US-Politologen Thane Gustafson, werde »Gewinner und Verlierer« hervorbringen, Russland werde »zu den Verlierern gehören«. Und: »Diese Veränderungen werden vermutlich nicht friedlich ablaufen«. Das lesenswerte Buch ist im Oktober 2021 erschienen, also vier Monate vor dem Einmarsch in der Ukraine.
Man sollte meinen, dass alle, die sich Deutschland und Europa verpflichtet fühlen, die von Steinmeier beschworene, historische Ausnahmesituation als Aufgabe und Verpflichtung begreifen. Also zum Beispiel die Unionsparteien, die wichtigste Opposition im Bundestag.
Auf so vielen Ebenen falsch
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Meeting of the President of Ukraine with the Federal President of Germany in Kyiv
Erstellt am Dienstag 1. November 2022 um 12:30 und abgelegt unter Asien, Europa, Kriegspolitik, Positionen.
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