Zur Linken Außenpolitik
Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 9. Juni 2022
»Wir müssen wirklich Völkerrechtspartei werden«
Von Gregor Gysi
Die Linke sollte Menschenrechtsverletzungen immer kritisieren – egal, wo sie stattfinden. Anmerkungen zur linken Außenpolitik.
Über viele Jahre hatten die PDS bzw. Die Linke feste Positionen in der Außenpolitik, die nun durcheinander geraten sind. Wir sind Internationalisten und müssen es immer bleiben. Wir standen und stehen auf der Seite wirklicher Entwicklungsunterstützung für die sogenannte Dritte Welt. Wir behaupten, eine Völkerrechtspartei zu sein. Wir stellen uns gegen alle militärischen Aktionen und vor allem gegen Krieg, unterstützen überall nationale Minderheiten, die um ihre Chancengleichheit streiten. Aus unserer Sicht waren die USA stets der imperiale Hauptakteur. Die Linke will die Einhaltung der Menschenrechte und kritisiert bestimmte Staaten massiv, wenn es zu Verletzungen kommt. Allerdings sind wir hier nie ganz aufrichtig, weil wir bei bestimmten Staaten Menschenrechtsverletzungen niedriger bewerten, gelegentlich sogar übersehen.
Einiges ist spätestens mit der Aggression Russlands gegen die Ukraine ins Wanken geraten. Fangen wir an mit dem von uns verurteilten Krieg der Nato gegen Jugoslawien. Die ablehnende Haltung Russlands unter Jelzin interessierte die Nato nicht. Hier begann der Bruch zwischen der Nato und Russland. Wir haben den Nato-Krieg als völkerrechtswidrig charakterisiert. Ich bin sogar während der Bombardierung nach Belgrad gefahren und habe mit dem Patriarchen der serbisch-orthodoxen Kirche, dem obersten Vertreter des Islam und dem damaligen Präsidenten Milošević gesprochen. Ich schlug ihm vor, selbst UN-Truppen für das Kosovo zu beantragen, um den Krieg zu beenden. Er lehnte ab und hat später dem Einmarsch auch der Nato-Truppen ins Kosovo zugestimmt. Es gab und gibt den Sicherheitsratsbeschluss 1244, wonach das Kosovo einen hohen Grad an Autonomie erhalten soll, aber Bestandteil Jugoslawiens bleiben muss. Trotz der Zustimmung der USA, Großbritanniens und Frankreichs im Sicherheitsrat, hat es die Nato später nicht interessiert und sie hat das Kosovo losgelöst. Nun beruft man sich auf eine Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes, wonach die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo nicht völkerrechtswidrig war. Da hat das Gericht auch Recht. Jedes Gebiet kann erklären, was es will. Völkerrechtswidrig ist nur die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo durch andere Staaten, weil sie gegen den oben genannten Sicherheitsratsbeschluss verstößt. Die Frage der Anerkennung hatte das Gericht aber nicht zu entscheiden.
Alle Bundestagsparteien, die für den Krieg eintraten, können zwar nicht bestreiten, dass er völkerrechtswidrig war, unterstellen aber edle Motive. Abgesehen davon, dass noch kein Staat, der einen Angriffskrieg führte, andere als edle Motive dafür benannte, muss Folgendes gesehen werden. Im Kosovo hatte sich die UÇK gebildet, die bewaffnet für die Unabhängigkeit des Kosovo kämpfte. Deshalb hat die jugoslawisch-serbische Armee gegen die UÇK gekämpft. Dabei sind auch viele Zivilisten ums Leben gekommen. Alle Staaten, die den Krieg befürworteten und befürworten, würden niemals akzeptieren, dass in ihren Ländern eine bewaffnete Gruppe für die Unabhängigkeit eines Teils des Landes kämpft und sie würden ebenfalls bewaffnet dagegen vorgehen. Nur für Jugoslawien sollte dies nicht gelten. Außerdem stand immer die Frage, woher die UÇK die Waffen bezog. Die Linke verurteilte auf jeden Fall den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Nato gegen Serbien.
Nun haben wir das Problem der Ukraine. Natürlich gehörte die Ukraine über viele Jahrzehnte zu Russland, dann als eigene Republik zur Sowjetunion. Inzwischen ist sie aber ein unabhängiger Staat und das wurde auch von Russland anerkannt. Die Ukraine war schon immer Mitglied der Uno – auch zu Sowjetzeiten –, ist nun aber als souveräner Staat Mitglied der Uno. Es gab einen russlandfreundlichen Präsidenten, der von der EU scharf bekämpft wurde. Er konnte mit 75 Prozent der Stimmen des Parlaments abgelöst werden. Die 75 Prozent wurden nicht erreicht. Das hat aber weder die EU noch die Nato interessiert. Man betrachtete ihn unabhängig von der Verfassung als abgesetzt. Als später Russland auf der Krim einen Volksentscheid durchführte, berief man sich wieder auf die Verfassung der Ukraine, die das nicht zuließ. Ich meine, eine Verfassung gilt immer oder sie gilt nicht. Es geht nicht, einen Teil anzuwenden und den anderen auszuklammern. Es gab dann eine neue Regierung. Im Jahre 2014 saßen sogar Faschisten in der Regierung, was auch von mir in einer Rede im Bundestag deutlich kritisiert wurde.
Unabhängig davon hat Russland völkerrechtswidrig militärisch die Krim annektiert, was zu verurteilen war. Wir haben es verurteilt, andere auch. Dadurch, dass die Ukraine plötzlich in die Nato wollte, konnte man irgendwie verstehen, dass Russland nicht zuließ, dass seine Schwarzmeerflotte irgendwann inmitten der Nato steht. Trotzdem – eine Völkerrechtsverletzung ist immer eine Völkerrechtsverletzung. Und ein Volksentscheid konnte nach der ukrainischen Verfassung nur im gesamten Land stattfinden und nicht allein auf der Krim. Als ich das allerdings in Moskau vortrug, wurde mir erklärt, dass Gibraltar lange zu Spanien gehörte und Großbritannien nach 1945 nicht bereit war, Gibraltar herauszugeben. Daraufhin wurde kein Einvernehmen mit dem Gesamtstaat Spanien hergestellt, sondern von Großbritannien nur ein Volksentscheid auf Gibraltar organisiert, wo eine Mehrheit von Briten lebte. Ich stelle fest, bei fast jeder Völkerrechtsverletzung eines Staates kann er sich immer schon auf eine vorhergehende eines anderen Staates berufen. Die strikte Einhaltung des Völkerrechts müssen wir immer und von allen Seiten fordern. Als die Ukraine in die Nato wollte war US-Präsident George W. Bush für die Aufnahme, Deutschland und Frankreich waren dagegen. Heute denken viele, dass das falsch war, weil im Falle einer Aufnahme ein Angriff Russlands gegen die Ukraine den Bündnisfall ausgelöst hätte. Aber ich bin davon überzeugt, dass Russland die Aufnahme nicht zugelassen und dann schon vorher einen Krieg geführt hätte. Der Fehler von Frankreich von Deutschland bestand allerdings darin, nicht zu erklären, dass eine Aufnahme nie infrage käme, sondern nur damals nicht stattfinden durfte.
Nun bin auch ich davon überzeugt, dass die Nato nicht die Absicht hat, Russland zu überfallen, schon weil es den dritten Weltkrieg auslöste. Aber die russische Führung sieht das anders. Sie fühlte und fühlt sich immer mehr eingekreist und tatsächlich rücken Nato-Soldaten immer näher an die russische Grenze heran. Und dann kam es zu einem Gezerre um die Ukraine. Sowohl Russland als auch die EU wollten die Ukraine jeweils für sich haben. Sie schlugen Verträge unter der Bedingung vor, dass es mit der jeweils anderen Seite keine Verträge gäbe. Beide Seiten waren nicht bereit, den Versuch zu unternehmen, aus der Ukraine eine Brücke zwischen der EU und Russland zu machen.
Am Morden ohne Segen – wäre auch der Kirche nichts gelegen.
Die Sicherheitsinteressen Russlands haben die Nato nie wirklich interessiert. Zwar wurde bei den Verhandlung von Zwei-Plus-Vier versprochen, dass es keine Erweiterung der Nato gäbe, aber es wurden dann vierzehn Staaten aufgenommen. Niemals würden die USA es hinnehmen, wenn Russland mit zwei souveränen Staaten, nämlich Kuba und Mexiko, vereinbarte, dass russische Raketen auf Kuba und in Mexiko stationiert werden. Aber von Russland verlangte man, die Aufrüstung von Nachbarländern durch die Nato hinzunehmen. Das gilt auch für die Ukraine. Andererseits muss man berücksichtigen, dass viele ehemalige Sowjetrepubliken und ehemalige staatssozialistische Länder fürchteten und fürchten, von Russland überfallen und auf unterschiedliche Art und Weise zurückgeholt zu werden. Einerseits versuchte also die Nato Russland in Schach zu halten. Und andererseits gibt es die genannten Befürchtungen.
Die russische Führung unter Putin führt einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dabei versuchten sie nicht nur das Argument der Bekämpfung der Nazis heranzuziehen. Dieses ist nicht glaubwürdig, weil die Faschisten zwar 2014 mit etwa 13 Prozent im Parlament saßen und eben auch in der Regierung, aber inzwischen aus dem Parlament und aus der Regierung ausgeschieden sind. Natürlich gibt es sie noch, aber das gilt für viele Staaten. Die zweite Begründung Russlands ist interessanter. So wie die UÇK im Kosovo, gab es auch bewaffnete Kräfte im Donbas-Gebiet, die für eine Unabhängigkeit kämpften. Bewaffnet wurden sie von Russland. Die ukrainische Armee hat so wie damals die jugoslawische Armee diese bewaffneten Separatisten bekämpft. Dabei kamen wie beim Kosovo auch viele Zivilisten ums Leben. Während für die anderen Parteien im damaligen Bundestag und die Nato-Staaten dieser Kampf gegen die Separatisten beim Kosovo wegen toter Zivilisten einen Grund für einen Krieg darstellte, akzeptieren sie heute nicht, dass für Russland dies ein Grund ist, einen Krieg zu führen, obwohl eben auch Zivilisten ums Leben kamen. Diese Haltung können und müssen wir scharf kritisieren. Aber da wir das Argument der Nato damals nicht akzeptierten, können wir heute nicht umgekehrt argumentieren und es plötzlich für berechtigt halten, dass Russland zum Schutze dieses Bevölkerungsteils einen Krieg führt. Dann hätten wir es auch bei der Nato für berechtigt erklären müssen. Außerdem wollte die Nato nie ganz Serbien übernehmen und sich auch nicht das Kosovo einverleiben, sondern dieses nur in seine Einflusssphäre holen.
Quelle : ND-online >>>>> weiterlesen
*********************************************************
Grafikquellen :
Oben — Austrian, French and German tank platoons stand next to each other during the opening ceremony of the Strong Europe Tank Challenge, held at 7th Army Training Command’s Grafenwoehr Training Area, June 3, 2018. U.S. Army Europe and the German Army co-host the third Strong Europe Tank Challenge at Grafenwoehr Training Area, June 3 – 8, 2018. The Strong Europe Tank Challenge is an annual training event designed to give participating nations a dynamic, productive and fun environment in which to foster military partnerships, form Soldier-level relationships, and share tactics, techniques and procedures. (U.S. Army Photo by Lacey Justinger, 7th Army Training Command)