Das Oberlandesgericht Frankfurt hat im Strafverfahren wegen der Tötung des Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke die Anklage des Generalbundesanwalts gegen den Angeklagten E. wegen Mordes und gegen den zweiten Angeklagten H. wegen Beihilfe hierzu zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Zugleich hat es die Fortdauer der Untersuchungshaft gegen beide Angeklagte angeordnet. Beide Entscheidungen hängen natürlich zusammen, sind aber getrennt zu behandeln, weil sie sich nach ganz unterschiedlichen Regeln richten. Selbstverständlich muss auch zwischen den beiden Beschuldigten unterschieden werden. Dass sie wegen derselben Tat angeklagt sind, ändert hieran nichts: Verfahrensrechtlich gesehen sind die Strafverfahren gegen sie nur „verbunden“ und könnten jederzeit auch getrennt werden. Das ist zum Beispiel sinnvoll, wenn die Verfahren gegen einzelne Beteiligte sehr unterschiedliches Gewicht oder sehr verschiedenen Umfang haben oder wenn gegen einzelne Angeklagte wegen Krankheit, Flucht oder aus anderen Gründen nicht verhandelt werden kann. Wenn die Verfahren getrennt geführt würden, müssten übrigens auch nicht in beiden Prozessen dieselben Feststellungen getroffen werden – die Verfahren wären ganz unabhängig voneinander, und die jeweiligen Gerichte nicht gebunden.
Noch eine Erläuterung zur Terminologie: „Beschuldigte“ heißen Personen, gegen die ein strafrechtliches Verfahren geführt wird (in Ordnungswidrigkeitensachen heißen sie „Betroffene“). Das ist also einerseits der Oberbegriff für die beschuldigte Person während des ganzen Erkenntnisverfahrens (bis zum rechtskräftigen Urteil), andererseits ein rechtstechnischer Begriff für den Beginn des Ermittlungsverfahrens: Von dem Moment an, in dem ein „Anfangsverdacht“ bejaht wird, beginnt das Verfahren nach der StPO und ist die verdächtigte Person „Beschuldigter“ mit den sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten.
Wenn Anklage erhoben wird, heißt der Beschuldigte (auch) „Angeschuldigter“. Das ist die Bezeichnung vom Beginn des Zwischenverfahrens (Anklageerhebung) bis zu dessen Abschluss (Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens). Wenn die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet wird, wie es im Fall der Tötung von Walter Lübcke nun geschehen ist, heißt der Beschuldigte von diesem Zeitpunkt an „Angeklagter“. Diese Bezeichnung wird verwendet, bis eine abschließende Entscheidung (Urteil) rechtskräftig ist, also auch nach einer ersten Verurteilung während eines Rechtsmittelverfahrens. Erst mit der Rechtskraft wird aus dem Angeklagten ein „Verurteilter“.
Das sind zwar nur Worte; in der Verfahrenswirklichkeit sind an ihre Verwendung aber bestimmte Folgen geknüpft, weil sie unterschiedliche Voraussetzungen haben; deshalb ist es wichtig, mindestens nützlich, zu wissen, was sie bedeuten, und sie zutreffend zu verwenden. In der öffentlichen Darstellung geht das oft durcheinander; das sorgt für (vermeidbare) Verwirrung. In Filmen erlebt man häufig, dass „Angeklagter“ als eine Art Anrede benutzt wird, indem insbesondere Richter in der Hauptverhandlung die Beschuldigten so anreden, anstatt sie beim Namen zu nennen; auch das „Herr“ oder „Frau“ wird dann weggelassen. Das mag in der Wirklichkeit noch vereinzelt vorkommen, ist aber heutzutage völlig unüblich und außerdem auf altertümliche Weise albern. Es demonstriert, wie auch die Masche, mit Beschuldigten in der dritten Person zu sprechen („Hat der Angeklagte eine Erklärung abzugeben?“) eine autoritäre Haltung der Entpersönlichung, durch welche die Machtverhältnisse illustriert werden sollen. Eine sinnvolle, an Grundrechten orientierte Strafjustiz benötigt solchen Firlefanz nicht.
Täterschaft und Teilnahme
Die heutige Kolumne befasst sich mit der Haupttat, der Ermordung des Regierungspräsidenten Lübcke in der Nacht vom 2. auf den 3. Juni 2019, und ihren „Hintergründen“, nur am Rand. Es geht vielmehr um den Anklagevorwurf gegen den Mitangeklagten, dem (neben einem Waffendelikt) „Beihilfe zum Mord“ zur Last gelegt wird. Die „Beihilfe“ ist in Paragraf 27 StGB geregelt:
(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.
(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.
Daraus ergibt sich dreierlei: Beihilfe ist nicht dasselbe wie „die rechtswidrige Tat“, von der die Rede ist; Beihilfe setzt einen „Doppelvorsatz“ voraus, und die Strafe für Beihelfer (Gehilfen) muss immer nach bestimmten Regeln (Paragraf 49 Absatz 1) „gemildert“ werden. Im Einzelnen bedeutet das:
Es gibt eine „Haupttat“, die von einem (oder mehreren) „Tätern“ begangen wird (Paragraf 25). Zu dieser Haupttat leistet der Gehilfe Beihilfe. Seine eigene Tat heißt also stets „Beihilfe zu…“. Die Haupttat ist für den Gehilfen nicht eine eigene, sondern „die Tat eines anderen“, eine fremde Tat. Wäre es seine eigene, hieße er nicht Gehilfe, sondern Täter.

Beihilfe geht nur vorsätzlich. Der Film- und Krimifreund kennt bevorzugt Begriffe aus ganz anderen Rechtskreisen, die bei uns gar nichts oder etwas völlig anderes bedeuten. Dazu gehört die berüchtigte „Mitwisserschaft“, wegen derer in amerikanischen Filmen gern verfolgt wird. Das ist ein Zwischending zwischen Beihilfe und Strafvereitelung, ist aber von Paragraf 27 weit entfernt. In Deutschland gibt es, bis auf wenige Ausnahmen, keine Strafbarkeit von „Mitwisserschaft“: Nach Paragraf 138 ist nur die Nichtanzeige geplanter schwerster Straftaten strafbar; wer nur „weiß“, dass jemand anders eine Tat begangen hat, ist nur dann zur Aufklärung verpflichtet, wenn er eine besondere Pflichtenstellung hat (rechtstechnisch: „Garantenstellung“). Amerikanische (fiktive oder tatsächliche) Strafrechtsbegriffe und -vorstellungen sind bei uns so weit verbreitet, dass sie immer wieder mit den deutschen Regeln verwechselt werden; manchmal werden sie wohl auch bewusst falsch verwendet, um ein Bedürfnis nach Dramatisierung zu befriedigen. Als „Mord dritten Grades“ wurde, beispielsweise, die Tötung des amerikanischen Bürgers George Floyd bezeichnet, inzwischen soll sie „Mord zweiten Grades“ sein. Bei uns heißt das erste „fahrlässige Tötung“, und das zweite dürfte „Körperverletzung mit Todesfolge“ sein – eine fahrlässige Erfolgsqualifizierung. Klingt aber natürlich nicht so schön gruselig wie „Mord“ und riecht nicht nach Schnellfeuergewehr und Bazooka.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
————————————————————-
Grafikquellen :
Oben — Legal Gavel.