Zum Feind erklärt
Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 15. April 2015
Vor 500 Jahren begann die Verfolgung der Sinti und Roma in Europa
von Wolfgang Wippermann
Verkundschafter der christen lant“ seien die Personen, „so sich ziegeiner nennen“, stellte der in Freiburg tagende Reichstag des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation am 4. September 1498 fest.1 Gemeint waren die Roma, die beschuldigt wurden, Spione der Türken zu sein, denn das sei „glauplich anzeigt“ worden. Daher sollten den Roma alle Geleit- zum Feind erklärt,und Schutzbriefe entzogen und ihnen verboten werden, im Lande herumzuziehen und Handel zu treiben. Wer sich diesem Beschluss widersetze oder wieder einwandere, könne von jedermann tätlich angegriffen und getötet werden, ohne dafür von den Gerichten bestraft zu werden.
Damit wurden die Roma, wie einige Forscher meinen, für vogelfrei erklärt. Das ist nicht ganz richtig, denn nur formal geächtete Personen konnten nach mittelalterlicher Rechtsauffassung zum Tode verurteilt werden. In ganz schweren Fällen wurde ihnen dann eine christliche Bestattung verwehrt. Ihre Leichen wurden verscharrt oder den Vögeln und Wölfen zum Fraß vorgeworfen. In der zynischen Umdeutung des ursprünglich positiv gemeinten Begriffs wurde diese gerichtlich angeordnete Praxis als „vogelfrei“ bezeichnet. Gemeint war nicht mehr „frei wie ein Vogel“, sondern „frei für die Vögel“.
Doch der Beschluss des Freiburger Reichstags beinhaltete keine Vogelfreierklärung der Roma, sondern eine gegen die Roma gerichtete Feinderklärung. Genauer gesagt war es eine europäische Feinderklärung. Abgegeben wurde sie zwar nur vom Reichstag des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, doch dieses Reich verstand sich immer noch als Fortsetzung des von Karl dem Großen erneuerten Römischen Reiches, das schon von den mittelalterlichen Zeitgenossen als „Europa“ bezeichnet worden ist.
Zu diesem „Europa“ gehörten auch Länder, die wie Frankreich, England und die Schweiz zwar nicht oder nicht mehr zum Römischen Reich gehörten, sich aber dennoch mit ihm verbunden fühlten. Daher übernahmen sie den Beschluss des Reichstags und riefen ebenfalls dazu auf, die Roma aus ihren Territorien zu vertreiben. Frankreich setzte das bereits 1504 um. Seit 1514 wurden die Roma aus den Schweizer Städten vertrieben; 1530 aus England und 1541 auch aus Schottland ausgewiesen. 1557 folgte Polen dem gesamteuropäischen Beispiel.
Die schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts in das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und seine europäischen Nachbarländer eingewanderten Roma zu Türken zu erklären, also zum Erzfeind der katholischen Welt, ist vor allem deshalb absurd, weil die Roma mehrheitlich keine Muslime, sondern Christen waren.
Der die „Zigeuner“ betreffende Beschluss sollte vor allem vom Scheitern des Freiburger Reichstags ablenken. Hatten die dort vertretenen Stände doch den Antrag Kaiser Maximilians abgelehnt, ihm Steuergelder für einen Krieg gegen die Türken zur Verfügung zu stellen. Diese Weigerung veranlasste den darüber mehr als erbosten Maximilian zu dem überlieferten Ausspruch, wonach „von den deutschen Fürsten Thaten für das allgemeine Wohl des Reiches hoffen, heißt Trauben von Diesteln (zu) erwarten“. Um nicht unverrichteter Dinge nach Hause zu gehen, fassten die Stände schließlich Beschlüsse über die Kleider- und Weinordnung, gegen das Bettelwesen und gegen die „Zigeuner“.
Quelle: le monde diplomatique >>>>> weiterlesen
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