Zukunft der Linkspartei
Erstellt von DL-Redaktion am Montag 20. Dezember 2021
Linkspartei am Kipppunkt
Für so einen unscheinbaren Gewerkschaffts-Fuzzi gleicht der Porsche einer Rakete ?
Von Anna Lehman
Eine Fraktion, die gegen die Partei agiert. Ein Klimapolitiker, der Autos liebt. Eine enttäuschte Basis. Kann die Linke die Spaltung überleben?
Hitzerekord in der Arktis! 38 Grad wurden in diesem Sommer gemessen, meldet die UN-Klimabehörde am 14. Dezember. Am Tag danach ist Maximilian Becker immer noch frustriert und wütend. „Ich weiß momentan nicht, wie ich Leute in meinem Bekanntenkreis davon überzeugen soll, in die Linke einzutreten.“ Becker kommt aus Leipzig, er ist aktiv in der örtlichen Klimabewegung Ende Gelände und seit Februar auch im Bundesvorstand der Linkspartei.
Am Tag, an dem die Dynamik des Klimawandels erneut deutlich wird, wählt die Bundestagsfraktion der Linken den Abgeordneten Klaus Ernst zum Vorsitzenden das Bundestagsausschusses für Klima und Energie. Ausgerechnet „Porsche-Klaus“! Der schnelle Autos liebt, sich für die Gaspipeline Nordstream2 ins Zeug legt und vor einer Anbiederung an die Klimabewegung warnte. Für die Partei ist Klimapolitik mittlerweile ein Kernthema, hereingetragen vor allem durch jüngere Mitglieder wie Becker, der 2016 in die Linke eintrat. „Der Einsatz für Klimagerechtigkeit ist eines unserer zentralen Politikfelder“, heißt es in einem Beschluss des Vorstands vom Oktober. Becker hat auf diese Formulierung gedrängt.
Nicht nur er ist über die Wahl von Ernst an die Spitze dieses wichtigen und einzigen Ausschusses für die Linksfraktion frustriert und wütend. Eine ehemalige Landesvorsitzende tritt nach 27 Jahren aus der Partei aus, der langjährige abrüstungspolitische Sprecher Jan van Aken zieht sich aus Ärger über die Fraktion aus dem Parteivorstand zurück und verwendet in seinem Austrittsschreiben Begriffe, wie sie sonst im Zusammenhang mit korrupten Regimen fallen.
Vor allem aber sind es jüngere Mitglieder und Aktivist:innen, die ihre Wut und Enttäuschung in den sozialen Medien verbreiten. Tausende haben einen einige Tage vor der Wahl initiierten offenen Brief unterschrieben und die Linksfraktion aufgefordert, den Ausschussvorsitz anders zu besetzen. Umsonst.
Die Seenotrettungskapitänin Carola Rackete, für viele Linke eine Gallionsfigur, twittert: „Die Linke ist mit der Wahl von Klaus Ernst als Vorsitzenden des Klimaausschusses scheinbar weiter im Selbstzerstörungsmodus, indem sie genau die sozialen Bewegungen abschreckt deren Inhalte sie eigentlich im Programm vertritt.“ Rackete hat mehr Follower als die Linkspartei Mitglieder.
39 gegen 60.000
Die Linkspartei, die es im September nur ganz knapp ins Parlament geschafft hat, bewegt sich auf einen Kipppunkt zu. Wird sie in Zukunft noch gebraucht, oder erledigt sie sich von selbst? Zumal sich nun der Eindruck verfestigt, dass ein Grüppchen von 39 Abgeordneten über Richtung und Themensetzung einer 60.000-Mitglieder-Partei entscheiden kann. Ein Grüppchen, das Kritik negiert, Beschlüsse ignoriert und Kommunikationskanäle dicht macht.
Die morgendlichen Telefonate zwischen Partei- und Fraktionsführung, wie sie im Wahlkampf üblich waren, sind längst wieder eingestellt. Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow spricht von einer Entfremdung zwischen Partei und Fraktion. Wie konnte es so weit kommen?
Zum einen hat das magere Wahlergebnis dafür gesorgt, dass es vorwiegend verdiente Parteikader, die auf vorderen Listenplätzen abgesichert waren, in den Bundestag schafften, während Nachwuchspolitiker:innen das Nachsehen hatte. Die Linke stellt nun die zweitälteste Fraktion, und ihre Abgeordneten ticken oft traditioneller als die Parteibasis. Die hat sich in den letzten Jahren erheblich verjüngt, ein Fünftel der Mitglieder kam neu hinzu, zwei Drittel davon sind jünger als 35.
Die arrivierte Zusammensetzung der Fraktion stärkt aber auch das fraktionsinterne Machtbündnis aus, grob gesagt, ostdeutschen Pragmatiker:innen und westdeutschen Orthodoxen. Die Mehrheiten sind klar verteilt: Zwei Drittel der Abgeordneten gehören zum sogenannten Hufeisen, der Rest muss sich hinten anstellen. Auch die beiden Parteivorsitzenden Janine Wissler und Hennig-Wellsow, die beide neu im Bundestag sind. Posten werden nach Loyalität und Machtinteressen vergeben, Inhalte spielen kaum eine Rolle.
Im Zentrum dieses Zweckbündnisses: Fraktionschef Dietmar Bartsch, gebürtiger Stralsunder, seit 44 Jahren Parteimitglied. Einer, dessen Karriere in der SED begann, der sich später in PDS und Linkspartei über verschiedene Ämter vom Schatzmeister, Bundesgeschäftsführer bis zum Fraktionschef und Spitzenkandidaten für die Bundestagwahl hochgedient hat. Ein vollendeter Funktionär, dessen Machtinstinkte verlässlich funktionieren. Dessen politische Landkarte sich aber auf Mecklenburg-Vorpommern beschränke, wie Genoss:innen lästern.
Bloß nicht grüner als die Grünen
Bartsch und Ernst seien sich menschlich nie besonders nah gewesen, berichtet ein Genosse, der beide lange kennt. Bartsch zündelte gegen Ernst als dieser Parteichef war, Ernst hielt sich umgekehrt nie mit öffentlicher Kritik zurück, wenn es um den Führungsstil von Bartsch und dessen damaliger Ko-Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht ging.
Sind das nicht die Preise der Politik? Wo bei Bürger-Innen das Rückgrat endet ist bei den Politiker-Innen meistens schon alles im Arsch ?
Dass Bartsch ihn jetzt als Ausschussvorsitzenden durchgedrückt hat, mag zum einen daran liegen, dass er die Renitenz des Bayern fürchtet. Bei der Vergabe der Arbeitskreise war Ernst auf der Fraktionsklausur im Oktober leer ausgegangen. Es liegt aber auch am politischen Kurs, den Ernst verfolgt und den Bartsch teilt.
Die Linkspartei dürfe nicht „grüner werden als die Grünen“, betonen beide immer wieder. Statt immer ehrgeizigere Klimaziele zu formulieren, müsse sich die Linke auf ihren Markenkern konzentrieren, nämlich die soziale Frage. Auch wenn Ernst nach seiner Wahl in einem Video der Fraktion betont, er wolle die Interessen von abhängig Beschäftigten und sehr jungen Leuten in der Klimabewegung zusammenbringen, nutzt er doch auch die Gelegenheit, erneut für die Energiepartnerschaft mit Russland und für Nordstream2 zu werben. Es wäre blanker Unsinn, so eine Rieseninvestition im Meer zu versenken.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Klaus Ernst während einer Plenarsitzung des Deutschen Bundestages am 2. Juli 2020 in Berlin.
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Unten — Bundesparteitag Die Linke 2018 in Leipzig
Montag 20. Dezember 2021 um 18:25
Die Linke wird entweder im Bundestag und in den Städten eine gute Arbeit betreiben oder durch andere Fraktionen im Bundestag überflüssig.
Mittwoch 22. Dezember 2021 um 8:58
Die Linke am Rande des Nervenzusammenbruchs
Die Linke ist von chronischen Machtkämpfen und Sektierertum zerschlissen.
Das Drama setzt sich nach dem Desaster bei der Bundestagswahl fort.
Viele Parteimitglieder sind der Verzweiflung nahe.
Markus Decker
21.12.2021
Liebe Leserin, lieber Leser,
die vergangenen Wochen waren im Berliner Regierungsviertel fraglos die aufregendsten des Jahres. SPD, Grüne und FDP haben binnen zwei Monaten eine Koalition gebildet, die so bis in den Hochsommer hinein kaum jemand hat kommen sehen. Der neue Kanzler Olaf Scholz hatte es zwei Jahre zuvor nicht einmal vermocht, Parteivorsitzender zu werden, weil die eigenen Leute ihn nicht wollten. In der CDU macht nun tatsächlich Friedrich Merz das Rennen – im dritten Anlauf. Der alte Satz „Totgesagte leben länger“ bewahrheitet sich hier wie dort.
Untergegangen ist dabei, was bei der Linken geschieht. Dort gibt es Zerfallserscheinungen, die bei der nächsten Bundestagswahl zum endgültigen Aus führen könnten.
Am 26. September war die Linke ja mit 4,9 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Nur drei Direktmandate sorgten dafür, dass die von chronischen Machtkämpfen und Sektierertum zerschlissene Partei weiter im Bundestag vertreten ist. Schon vorher hatten namhafte Abgeordnete das sinkende Schiff verlassen, Stefan Liebich etwa oder Fabio De Masi. Der Verteidigungsexperte und ehemalige Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn verpasste den Wiedereinzug. Seit dem Wahltag sinkt das Schiff weiter.
https://www.rnd.de/politik/die-linke-am-rande-des-nervenzusammenbruchs-SSZKP7TTKVHETPFC5UYIQARMDQ.html
Mittwoch 22. Dezember 2021 um 11:34
Ein politisches System, das dem Untergang geweiht ist, tut instinktiv vieles, was diesen Untergang beschleunigt (Jean Paul Sartre)