Zug statt Flug
Erstellt von Redaktion am Dienstag 22. Oktober 2019
Im Prinzip sehr schön
Eine Kolumne von Stefan Kuzmany
Alle reden vom Klimaschutz – und steigen dann doch in den Flieger. Es geht aber auch anders: Wer mit dem Zug nach Süditalien reist, für den beginnt das Abenteuer bereits am deutschen Bahnsteig.
Lieber SPIEGEL, Papa schläft noch und hat gesagt, wehe man weckt ihn auf, darum schreibe ausnahmsweise ich heute seinen Aufsatz für Dich. Das ist auch gar kein Problem, weil ich ja weiß, worüber er schreiben wollte: Unsere Ferienreise nach Italien.
Papa hat sich nämlich diesmal etwas ganz Besonderes ausgedacht. Diesmal, hat er gesagt, fahren wir mit dem Zug. „Von Berlin nach Süditalien mit dem Zug“, hat die Mama gesagt, „Du spinnst ja.“
„Nein, ich spinne nicht, und wir machen das“, hat der Papa gesagt. Weil alle würden immer über den Klimaschutz reden und dann doch in den Flieger steigen, aber diesmal nicht. Aus Prinzip, hat er gesagt, und überhaupt wäre das doch gar kein Problem, weil wir erst mal nur nach München fahren könnten und die Oma besuchen, die freut sich, und dann fahren wir weiter.
Au ja, habe ich gesagt. Die Mama hat gesagt, das könnt Ihr gerne machen, aber sie fliegt. Und so haben wir es dann gemacht.
Gleich haben wir es gemütlich
Am 3. Oktober sind wir vom Hauptbahnhof in Berlin losgefahren. Das war diesmal nicht nur ein Feiertag, sondern auch der erste Tag der Herbstferien, und der ganze Bahnsteig war voller Familien mit ganz vielen Kindern und Koffern, und der Papa hat gesagt, zum Glück habe ich uns früh ganz günstig zwei Plätze in der ersten Klasse gebucht, und gleich werden wir es gemütlich haben.
Der Zug ist dann aber lange nicht gekommen und es war auch nichts auf der Anzeige zu lesen, und alle Leute sind schon ganz nervös geworden. Dann kam eine Durchsage, dass unser Zug ausfällt, aber dass dafür ein Ersatzzug fährt und dass es keine Reservierungen gibt.
Kein Problem, hat der Papa gesagt, in der ersten Klasse finden wir immer einen Platz, und wir sind schon mal zu der Stelle gegangen, wo die erste Klasse halten sollte, nämlich im Abschnitt A, so wurde es angezeigt.
Als dann der Zug endlich gekommen ist, war er viel kürzer, als wir erwartet hatten für die vielen Leute. Und die erste Klasse hat dann doch ganz am anderen Ende gehalten. Alle sind schnell gerannt, das war gar nicht leicht mit den vielen Koffern, und es gab viel Geschrei und Rempelei.
Als wir in der ersten Klasse angekommen sind, waren alle Plätze schon besetzt. Nur zwei waren noch frei, aber daneben saß ein Mann, der hat gesagt, die sind nur für Comfort-Kunden, aber der Papa hat gesagt, er ist selbstverständlich Comfort-Kunde, und ich soll mich hinsetzen und bloß nicht wieder aufstehen.
Heute kontrolliert sowieso niemand
Kurz nach der Abfahrt ist dann eine feine Dame mit ihrem Mann gekommen und hat auf Englisch zum Papa gesagt, das wären ihre Plätze und wir sollen aufstehen. Papa hat ihr ganz geduldig erklärt, dass das nicht mehr der Zug ist, in dem sie reserviert hat, und wir stehen nicht auf. Das hat ihr nicht gefallen, und wenn ich das richtig verstanden habe, hat sie gesagt, das wäre eine Unverschämtheit und sie komme nie wieder nach Deutschland.
Sie hat sich dann neben uns in den Gang gestellt und den Papa die ganze Fahrt über böse angeschaut. Am Tisch nebenan saßen Leute, die die ganze Zeit Bier getrunken haben und sich laut darüber unterhalten haben, dass sie gar keine Karte für die erste Klasse haben, aber das würde heute sowieso niemand kontrollieren.
Das hat die Englisch sprechende Frau zum Glück nicht verstanden, sonst wäre sie mit denen wahrscheinlich auch noch böse gewesen.
Bei der Oma war es dann sehr schön und bald sind wir wieder nach München reingefahren, um den Nachtzug nach Rom zu nehmen. Das war ein österreichischer Zug, und vielleicht liegt es daran, dass die Bayern die Österreicher nicht so mögen, jedenfalls war nirgends angeschrieben, wo der Zug abfährt, und wir mussten kreuz und quer durch den Bahnhof laufen, bis wir ihn gefunden haben, auf dem hintersten Gleis ganz weit weg. Gleich haben wir es gemütlich, hat Papa gesagt, denn er hatte uns ein eigenes Abteil reserviert mit eigener Toilette und sogar einer Dusche.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Obern — TGV Duplex auf der Premierefahrt von Frankfurt nach Marseille in der Nähe von Mörfelden-Walldorf…
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Unten — Werbung „Im Zug zum Flug“ der Deutschen Bahn mit Bezugnahme auf die Marke „ICE“ auf der D-ATUE, einer Boeing 737-800 von TUIfly. Vorfeld des Stuttgarter Flughafens (STR / EDDS).
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