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Erstellt von Redaktion am Samstag 6. Februar 2021

Polizeikritik hat in der französischen Popkultur eine lange Tradition.

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Von Frederic Valin

Das Lachen über die französische Polizei ist auch ein Lachen den mächtigen Zentralrat. Die Netflix-Serie „Lupin“ versucht da anzuknüpfen.

All cops are berufs­unfähig.“ Dieser Satz hat in Deutschland eine mittlere Regierungskrise ausgelöst, in Frankreich beschreibt er ein ganzes Genre. Es gibt eine jahrzehntelange französische Komödientradition des überforderten und unfähigen Polizisten, der sich von smarten Gaunern übertölpeln lässt.

Einer der großen Helden dieses Genres ist der von Maurice Leblanc Anfang des 20. Jahrhunderts in einem Groschenroman entworfene Arsène Lupin. Lupin ist ein Gentlemandieb, dandyhaft, hoch gebildet, pazifistisch und gerecht. Er bestiehlt nur jene, die es verdient haben, und macht sich gern zum Komplizen der Polizei. Netflix hat diesen Stoff für die Serie „Lupin“ weiterentwickelt: Ein Mann aus dem Senegal wird verdächtigt, Juwelen gestohlen zu haben. Er ist unschuldig, aber da ihm angeboten wird, dass im Falle eines Schuldeingeständnisses sein Sohn bestens versorgt würde, gesteht er und begeht anschließend Suizid. Dieser Sohn, Assane Diop (Omar Sy), wächst als großer Bewunderer von Arsène Lupin auf. Er wird selbst ein Gentlemandieb, und als die Juwelen wiederauftauchen, ahnt er, dass sein Vater doch kein Verbrecher war. Er setzt alles daran, die Unschuld des Vaters zu beweisen – trickreich und verfolgt von einer Polizei, die sowohl korrupt ist als auch einfallslos.

Assane Diop ist mit seiner Migrationsgeschichte und seinem Leben im Paris der Neuzeit eine moderne Adaption des klassischen Lupin. Die Grundhaltung der Serie aber – netter Gauner, überforderte Polizei – reicht weit in die französische Kulturgeschichte zurück.

Seine Wurzeln hat das Genre in den Romanen des 19. Jahrhunderts. Der Bestseller damals hieß „Les mystères de Paris“ von ­Eugen Sue und erschien 1842 – eine ­Robin-Hood-Geschichte im zeitgenössischen Paris: Der adlige Ro­dolphe versucht in der Hauptstadt Gerechtigkeit herzustellen und lernt dabei die Lebenswelten des Proletariats und der Kleinkriminellen kennen. Mit Sue beginnt die Tradition der polizeikritischen populären Erzählung, die sich im frühen 20. Jahrhundert im Film fortsetzt. Louis Feuillade schafft ab 1911 mit „Fantômas“ eine düstere, surrealistische Variante dieses Topos: Fantômas ist ein Verbrechergenie, der im Dunkeln bleibt und grausam durch die Welt zieht. Anders als ehrenwerte Verbrecher zögert der originale Fantômas nicht, zu foltern und zu töten. Die Polizei ist machtlos, obwohl sich Kommissar Juve obsessiv in die Ermittlungen stürzt. Aber das Verbrechen ist immer schlauer, gewiefter und bewundernswerter als die Polizei. Am Ende stellt sich heraus, dass Fantômas der Zwillingsbruder des Kommissars ist: Verbrechen und Polizei sind zwei Seiten einer Medaille. Fantômas wurde zur Galionsfigur der Anarchisten; im Laufe der Jahrzehnte mit Dutzenden Fortsetzungen landete der Stoff da, wo das Kleinbürgertum den Anarchismus am liebsten hat: im Klamauk. Louis de Funès gab 1964 in seiner Adaption des Fantômas-Stoffes den überforderten Kommissar, der weder die technischen Mittel noch den Intellekt hat, um seinen Gegenspieler – einen ruchlosen Juwelendieb – zu besiegen. Die Filme sind auch „James Bond“-Parodien, die den amoralischen Verbrecher zum wahren Helden machen. Es war de Funès’ Durchbruch als Komiker. Die Filme waren auch so erfolgreich, weil sie das Misstrauen in die unfreiwillig komische, nichtsdestotrotz bedrohliche, zentralstaatlich gesteuerte und zutiefst korrumpierte Polizei kanalisierten.

Noch pointierter gelang dies in den nuller Jahren der „Taxi“-Reihe (produziert von Luc Besson), in der der Taxifahrer Daniel Morales Verbrechen verhindert und die Unfähigkeit des Polizeiapparats offenlegt. Die Filme spielen in Marseille und zeichnen die aus Paris entsandten Polizisten als inkompetent und lächerlich. Das Lachen über die Polizei ist auch eine Befreiung von der bürokratischen Unterjochung, die von der übermächtigen Hauptstadt ausgeht.

Manifestation Toulouse, 22 novembre 2014 (15855830091).jpg

Ein weiterer Schlüsselfilm in der popkulturellen Verarbeitung der Polizei ist ein kurzer Sketch der Gruppe Les Inconnus aus dem Jahr 1990. In zweieinhalb Minuten macht sie sich über Versatzstücke polizeilicher Krisenkommunikation lustig, sie wird heute immer noch zitiert. Die Parodie begleitet drei Polizisten, die fortwährend betonen, dass sie vor allem Menschen sind und einer moralischen Berufung folgen. Wegen ihrer Unfähigkeit zu kommunizieren, ihrem Fatalismus und ihrer Weigerung, Opfern von Gewalttaten zuzuhören, richten sie am Ende mehr Schaden an, als ohne sie entstanden wäre, und werden dafür – natürlich – nicht belangt. Zwar lässt der Sketch das Thema Rassismus aus. Trotzdem spiegelt sich hier die selbstherrliche Unangreifbarkeit der Polizisten wider, die mit den seit den 80ern in den Vorstädten wiederkehrenden Unruhen zusammenhängt.

Quelle         :       TAZ         >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen         :

Oben           —       Acte XIV des gilets jaunes à Paris. Dispersion de la manifestation esplanade des Invalides.

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