Wohnungen in Dortmund
Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 14. September 2017
Arm werden per Mieterhöhung – Armutsfalle Miete
Nach München und Hamburg, Köln und Berlin wird jetzt auch das Ruhrgebiet teuer. Trotzdem wollen CDU und FDP Mieterrechte einschränken.
aus Dortmund von Andreas Wyputta
Für die MieterInnen der LEG Wohnen NRW GmbH in Dortmund war es ein Schock: In den Briefkästen ihrer Häuser zwischen Sonnenplatz, Neuem Graben und der Großen Heimstraße landete im Mai Post des Vermieters. Zwar sollte die betont positiv klingen: „Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass wir an Ihrem Haus Modernisierungsarbeiten durchführen werden“, schrieb die Tochter der börsennotierten LEG Immobilien AG an die BewohnerInnen des Häuserblocks in unmittelbarer Nähe des angesagten Dortmunder Kreuzviertels.
Gleichzeitig aber kündigte die ehemals gemeinnützige Landesentwicklungsgesellschaft, die 2008 von der schwarz-gelben NRW-Landesregierung des CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers privatisiert worden ist, massive Mieterhöhungen an: Zwischen 30 und 47 Prozent sollen die Mieten je nach Wohnungsgröße steigen.
„Für mich ist das dramatisch“, sagt Christine Twittmann. 914,20 Euro Warmmiete soll die alleinerziehende Mutter für knapp 85 Quadratmeter am Sonnenplatz künftig zahlen. „Existenzielle Fragen“ seien ihr durch den Kopf geschossen, als sie das LEG-Schreiben gelesen habe, erzählt die 40-Jährige: „Wie soll ich das bezahlen, wo das Geld schon jetzt kaum reicht?“
Zusammen mit ihren drei Söhnen im Alter von sechs, vier und zwei Jahren lebt die Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache von 2.400 Euro netto im Monat. „Ich werde die Wohnung nicht halten können“, fürchtet Twittmann – und fragt sich: „Wie finde ich mit drei Kindern eine neue Wohnung? Wie soll das gehen, wenn ich am neuen Wohnort gleichzeitig zwei Kitaplätze brauche?“
Dabei ist Twittmann kein Einzelfall: „Ich war verzweifelt“, sagt auch Sabine Mielke. Noch zahlt die 52-Jährige, die seit 32 Jahren in der Großen Heimstraße wohnt, eine Kaltmiete von 5,43 pro Quadratmeter – bald sollen es 7,87 Euro sein.
Neue Balkone, neue Türen
Natürlich ist das weit entfernt von den Preisen in Städten wie etwa Hamburg oder München, in denen die Bestandsmieten schon seit Jahren im zweistelligen Bereich liegen und bei Neuvermietungen Horror-Quadratmeterpreise von 12 bis 20 Euro niemanden mehr aufregen. Doch Mielke weiß trotzdem nicht, wie sie in Zukunft eine Warmmiete von 423,46 Euro bezahlen soll: Als Pflegebetreuungskraft verdiene sie „weniger als 1.000 Euro netto“. Ähnlich geht es ihrem Nachbarn Egon Gennat: 456,51 Euro warm soll der 63-jährige Vorruheständler künftig für knapp 48 Quadratmeter zahlen. „Das wären mehr als 50 Prozent meines monatlichen Nettoeinkommens“, sagt er.
„Ich konnte gar nicht glauben, dass Mieterhöhungen von 30 Prozent und mehr überhaupt möglich sind“, sagt Christine Twittmann. Doch schon eine erste, schnelle Internetrecherche machte der Lehrerin klar: Das Mietrecht erlaubt, jährlich 11 Prozent der Kosten einer Modernisierung auf die MieterInnen umzulegen.
Und das kann teuer werden: In Dortmund etwa ist nicht nur eine Wärmedämmung der Kellerräume vorgesehen. Rund die Hälfte der Wohnungen soll neue Bäder, die andere „Vorstellbalkone nebst Balkontüren“ erhalten. Neue Haus- und Wohnungstüren sind ebenso geplant wie neue Telefonkabel, und erstmals sollen die in den zwanziger und dreißiger Jahren gebauten Häuser auch Außenbeleuchtung und Gegensprechanlagen erhalten.
Kosten werde das alles knapp 1,4 Millionen Euro – und davon seien exakt 1.187.114 Euro „mietwirksam“, rechnet die LEG vor – und begründet so die vorgesehene Mietpreisexplosion von bis zu 47 Prozent. Ausgebremst werden könnten die nur über Härtefallregelungen, nach denen die Miete nicht mehr als 35 Prozent des verfügbaren Einkommens betragen dürfe, sagt der Geschäftsführer des Dortmunder Mietervereins, Rainer Stücker: „Allerdings ist die Rechtsprechung hier diffus.“
Strittig könne außerdem sein, was überhaupt eine Modernisierung sei, sagt Stücker: Werden etwa bei der Modernisierung eines Bades Uraltleitungen ersetzt, gilt das als Instandhaltung – und für die muss der Vermieter aufkommen.
Klar ist dagegen: In Nullzinszeiten dürften auch aufwendigste Modernisierungen gerade für kapitalmarktfinanzierte Unternehmen wie die LEG ein gutes Geschäft sein. Dank der Modernisierungsumlage von 11 Prozent ist die Rückzahlung des investierten Gelds durch die MieterInnen in etwas mehr als neun Jahren garantiert. Hinzu kommt die Wertsteigerung der Häuser – und dauerhaft höhere Mieten.
„Natürlich ziehen Unternehmen wie die LEG mit ihren Mieterhöhungen die Mietspiegel ganzer Städte nach oben“, sagt die Geschäftsführerin des Mieterbunds NRW, Silke Gottschalk: Allein die LEG verfügte Ende 2016 deutschlandweit über 128.488, Konkurrent Vonovia sogar über 333.381 „Wohneinheiten“ – und gerade große Immobilien-Unternehmen setzten verstärkt auf „Luxusmodernisierungen“, sagt Gottschalk.
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„Sack voll Hoffnung“
Analyse — Der Soziologe Heinz Bude über die Sozialdemokratie, Martin Schulz und eine „Schicksalswahl“. Warum Lindner alles richtig macht – und die Grünen Dortmunds Norden nicht verstehen
Interview Jan Feddersen
taz: Herr Bude, Sie kommen gerade aus Dortmund zurück …
Heinz Bude: … das war ganz nett, weil ich noch mal die Mentalität des Ruhrgebietes in konzentrierter Form kennen gelernt habe. Auf einen Punkt gebracht: Woanders ist auch scheiße.
Wie ist denn dort gerade so die Stimmung im Wahlkampf?
Angespannt. Allen ist klar, dass die SPD, die natürlich in Dortmund die Mehrheit gewinnen wird, der Gesellschaft nicht mehr ihren Stempel aufzudrücken vermag. Im Ruhrgebiet herrscht, so mein Eindruck, maßlose Enttäuschung über die Grünen – hinzu kommt mächtige Angst vor der AfD.
Weshalb ist man über die Grünen enttäuscht?
Ich war im Norden von Dortmund, einem der schwierigsten Stadtbezirke Deutschlands. Mit Schulen, in denen die Eltern fast zu 100 Prozent Hartz-IV-Empfänger sind. Ein Viertel mit vielen neuen Zuwanderern, aus Bulgarien und Rumänien etwa. Irgendwie fühlt man dort, dass die Grünen überhaupt nicht verstehen, was gerade los ist.
Was begreifen Grüne nicht?
Dass ihr Glaube an eine bessere Welt, die man einrichten könnte, beispielsweise über inklusive Bildung, mit der Realität, die man dort sieht, wirklich gar nichts zu tun hat.
Worauf käme es denn an?
Man muss die Konflikte zwischen Einwanderungsgruppen erkennen. Die haben mit der Hierarchie des Hier-Seins zu tun. Diejenigen, die schon lange im Land leben, türkischstämmige Deutsche, haben eine bestimmte Art ihres Deutschseins entwickelt. Die können etwa mit den neu eingewanderten Roma und Sinti nicht viel anfangen. Die Türkischstämmigen sagen, vereinfacht gesprochen: „Die sollen sich erst mal hinten anstellen. Wenn die das mitgemacht haben, was wir mitgemacht haben, können wir weiter reden.“ Das heißt Hierarchie des Hier-Seins: Immer der Reihe nach, sonst gibt’s Ärger.
Und weshalb kann sich die SPD im öffentlichen Diskurs derzeit nicht durchzusetzen?
Die Leute, die für die SPD wichtig sind, hätten gern, dass es eine Partei gibt, die zur Kenntnis nimmt und darüber Ideen hat, dass die Ungleichheitsfrage sich heute mit der Zuwanderungsfrage vermischt und dass daraus Konflikte entstehen, die neue Formen der Konfliktregelung nach sich ziehen.
Liegt es also nicht am Kandidaten, Martin Schulz?
Ich finde, der setzt eine ziemlich tolle Tour hin, aber man merkt doch, dass Schulz und weite Teile der Sozialdemokratie ihr Land nicht mehr kennen. Sie realisieren die Modernität nicht.
Was ist es denn, wofür diese Sozialdemokraten blind sind?
Erstens, die Polarisierung in der Beschäftigung. Wir haben sehr viele Leute, die in klassischen arbeiterlichen Positionen tätig sind und denen es ziemlich gut geht. Sie sind im Werkzeugmaschinenbau oder in der Medizintechnik beschäftigt. Sie werden gut bezahlt, sind nachgefragt und genießen Respekt.
Und auf der anderen Seite?
Ist ein neues Proletariat entstanden, das mit Paketzustellungen, mit Pflege oder auch mit Regalefüllen und Kleideraufräumen in Discountern befasst ist. Mit den tausend Euro, die man da im Schnitt netto im Monat hat, kann man nicht leben und nicht sterben. Aber wichtiger noch: Es gibt keine Aufstiege im Beruf. Man bleibt sein Leben lang auf der Position, auf der man vor 25 Jahren angefangen hat.
Welche Fragen sollte sich nun die Sozialdemokratie stellen?
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Grafikquellen :
Dortmund Hannibal Bornstrasse
Geschlossene Bebauung im Bezirk Innenstadt-Nord in Dortmund