DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

„Wir schaffen das !“

Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 14. Juni 2017

Ansichten eines unqualifizierten Anhörers

Bildergebnis für Wikimedia Commons Bilder Weise Bamf

Bamf  –  und niemand da der’s kann ?

Unser Autor musste sechs Monate beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Glaubwürdigkeit von Asylbewerbern einschätzen. 90 Prozent von ihnen kamen ohne Papiere in Deutschland an. Dann mischte sich der Personalrat ein

Autor Jürgen von Stenglin

Anfang 2016 stand das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) vor der Aufgabe, das Merkel’sche Versprechen „Wir schaffen das“ einzulösen. Amtsleiter Frank-Jürgen Weise lehnte sich weit aus dem Fernster und meinte, dass der Berg von Asylanträgen bis zum Jahresende abgebaut werden könne. Als im Sommer der Antragsberg nicht kleiner geworden war und die Wahl näherkam, stellte man notgedrungen auch Geisteswissenschaftler ein.

Ich zählte zu den etwa 130 Geisteswissenschaftlern (unter insgesamt etwa 2.000 neuen Anhörern), die im Sommer 2016 beim Bamf begannen, befristet auf sechs Monate. Wir bekamen – ohne Ansehen der vorherigen Qualifikation – alle die gleiche Schulung, die uns in drei Wochen auf die Arbeit als Anhörer vorbereiten sollte: rechtliche Grundlagen, digitale Aktenführung, Anhörungstechniken, Verhalten in kniffligen Situationen.

Wir sollten die Antragsteller nur anhören, ohne dann über ihren Schutzstatus zu entscheiden. Das ist etwa so, als wenn ich zum Arzt ginge und der erste Doktor untersuchte mich und schriebe einen Bericht, der zweite Doktor verschriebe mir aufgrund des Berichts des ersten Doktors eine Therapie. Man kann diese Arbeitsteilung machen, muss dabei aber bedenken, welche Menge an Information und welches Maß an Intuition auf diesem Weg verlorengehen.

Ein Gesundheitssystem, das auf dieser Art von Rationalisierung beruhte, würde die Menge an behandelten Patienten auf Kosten ihrer Gesundheit erhöhen. Auf den Fluren erzählte man sich, dass die Idee zu dieser Aufteilung von den Unternehmensberatern gekommen wäre, die beim Amt an einem Tag so viel verdienten wie wir in einem Monat. Sie haben bestimmt länger als einen Tag darüber nachgedacht.

Einer der wichtigsten Punkte während der Anhörung der Antragsteller ist die Beurteilung von deren Glaubwürdigkeit. Denn das allermeiste von dem, was sie erzählen, können sie nicht durch Dokumente oder andere Beweismittel belegen. Wir mussten uns auf das verlassen, was sie sagen.

Zu allen Punkten muss ich mir als Anhörer eine Meinung bilden: Kommt sie tatsächlich aus Barawe in Somalia (und nicht etwa aus Äthiopien)? Ist er tatsächlich persönlich von den Taliban verfolgt worden (und kennt er die Geschichte, von der er erzählt, nicht etwa „nur“ vom Hörensagen)?

Ich schenkte ihr – oder ihm – erst einmal einen ganz persönlichen, unbürokratischen Glauben, denn 90 Prozent der Antragsteller, die ich angehört habe, hatten keine Papiere dabei, die zumindest ein paar Eckpfeiler ihrer Geschichten hätten belegen können. Fünfzig Prozent haben noch nie im Leben Papiere besessen, wie sie glaubhaft berichteten. Es ist nicht die Unschuldsvermutung, es ist die Wahrhaftigkeitsvermutung, mit der wir den Antragstellern begegnet sind: erst einmal glauben, was erzählt wird. Bei einigen von ihnen fällt dann trotzdem auf, dass sie nicht die Wahrheit sagen.

Natürlich bereiten sich viele auf die Anhörung vor, holen sich Tipps von alten Hasen, Anwälten und nationalen Communities. Natürlich tauschen sie sich untereinander aus – wie auch nicht, es geht um eine Lebensentscheidung bei ihnen. Es fällt bei gewissen Moden auf. Wenn etwa plötzlich von Menschen, die alle vor Monaten noch angaben, aus dem Senegal zu sein, und auch dortige Geburtsorte angegeben hatten, nun gewissenhaft Geburtsurkunden aus Gambia nachgereicht werden – vermutlich weil sie erfahren haben, dass Gambia (im Gegensatz zum Senegal) bei uns nicht als sicheres Herkunftsland gilt.

 

Quelle :  TAZ >>>>> weiterlesen

—————————————————————————————————————

Grafikquelle   :   Autor  —  DL / privat — CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Kommentar schreiben

XHTML: Sie können diese Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>