Wir in der alten Welt-
Erstellt von Gast-Autor am Donnerstag 17. Februar 2011
und die Aufstände der Jugend
Bedeutende Teile der einst eurokommunistischen Linken sind im schlechteren eil der sozialdemokratischen Politik, der Unterwerfung unter das Kapital, gelandet.
Die Sozialdemokraten und ihnen nahe stehende Gewerkschaften und Gewerkschafter wollen den längst in breiter Offensive entfalteten Klassenkampf von oben nicht wahr haben, „Dazugehören“, das ist ihnen zur Gewohnheit und zum allgemein gültigen Politikanspruch geworden. Diese Parteien wären schon längst von der politischen Bühne verschwunden, wenn nicht deren Politiker von einem illusionären Massenbewusstsein und nostalgischen Sehnsucht ihrer WählerInnen nach „guten alten“ Zeiten getragen würden.
Die Konservativen verbreiten einen feigen Optimismus, ihre „Lösungen“ sind mehr desselben, mehr Macht des Geldes über die Menschen, mehr Sicherheitsstaat, mehr soziale Entsicherung, die als „vernünftige“ und „verantwortungsbewusste“ Politik der Sachzwänge verkauft wird.
Die deutschen Liberalen und Teile der Grünen haben die neuen Herrschaftsverhältnisse und die wirtschaftliche Individualisierung der Risiken als „Chancen“ für Reiche entdeckt. Erhebliche Teile der Bevölkerung fühlen sich frei, indem sie willig wollen, was sie sollen, sich im Kapitalverwertungsprozessen rechnen und folgenlos Demokratie spielen. In der Bundeswehr und Euroheer sollen „Freie Bürger“ freiwillig wirtschaftliche Interessen, den Rohstoffhunger der Wirtschaftswachstumsfetischisten, mit modernsten Waffen überall in der Welt verteidigen wollen…
Hartz IV funktioniert als Erpressungsinstrument, euphemistisch wird „gute Arbeit“ zu „Hauptsache Arbeit“ und die per Gesetz arm gemachten werden ihres Lebenssinns und seelischer Kräfte beraubt, Menschen werden als verworfene Leben exekutiert.
In Deutschland werden nahezu ein Drittel der Gewerkschaftsmitglieder, nämlich die KollegInnen in der Nachberuflichkeit, die SeniorInnen, von der politischen Bühne durch ihre Gewerkschaften in der eigenen Organisation und in der Gesellschaft hingehalten, wertvolle Kompetenzen und Erfahrungen mit der sozialen Welt gehen der Gesellschaft verloren, weil man ihre politische Selbstorganisation fürchtet.
Überdies – Im Vergleich von zum Beispiel den „jungen“ Gesellschaften in Tunesien, Ägypten und anderen afrikanischen, arabischen, asiatischen und lateinamerikanischen Gesellschaften mit den hoch entwickelten kapitalistischen Gesellschaften in Westeuropa und Japan fällt auf:
Die älter werdenden Gesellschaften orientieren sich eher auf Bewahrung, als auf revolutionäre Veränderung. Der Druck alter Eltern und die hohe Zahl angepasster und noch autoritärer älterer Menschen erzwingt von der jungen Generation Konformismus, Rückfall in Anpassung und alte Wertemuster. Demokratie wird als Alternativlosigkeit zum Bestehenden gelebt. Auch die westeuropäische Linke ist von diesem Übel befallen, überaltert und unmodern, arm an Fantasie und Widerstandsbereitschaft, es fehlt an subversiver Kraft gegen den alten Kapitalismus, es fehlt am Feuer der Leidenschaft für eine lohnende Zukunft.
Erhebliche Teile der migrantischen Jugend in Deutschland werden benachteiligt, ihr Bildung verweigert, ihre soziale Lage bleibt desolat. Deutsche Innenpolitik befasst sich mit islamischen Religionsunterricht an den Schulen, wo doch schon der christliche Religionsunterricht in die Kirchgemeinden gehörte. Gebraucht würde eine Schule, die humanistische Werte lebt, eine Gesellschaft die ein sinnerfülltes Leben ermöglicht.
Eine Kultur der Aufklärung, der Menschenrechtsbildung und des Empowerment würde benötigt.
DIE LINKE hat sich samt ihrer Bundesstiftung bisher als unwillig erwiesen, „Muslime in Deutschland und die soziale Frage“ zum Thema zu machen. „Religionspolitik“ ist für die Bundesarbeitsgemeinschaft der Linken christlich und davon ist auch fasst nichts zu vernehmen. In Rheinland-Pfalz wurde die Bereitschaft eines türkischen Kollegen in der Partei zum Thema „Euroislam“ zu arbeiten mit Desinteresse quittiert, der Mann verließ folgerichtig die Partei. Eine Initiative des islamischen Schura e.V. blieb unerwidert ( 1…)
Diese weltanschauliche Abstinenz und Armut der Linken ist von gleichem Holz, wie der aus den USA gepachtet antiislamische Wahn, der die strikte Ablehnung westlicher Lebens- und Wirtschaftsweisen, die sich nicht nur außerhalb des eigenen – zum Wirkungsbereich christlicher Leitkultur verklärten Staates – als menschenfeindliche Wirtschaftsordnung und Militärmacht erwiesen haben. Deutschland plant die Anschaffung von Drohnen um am Töten teilzuhaben und die Polizei schwärmt von Minihubschraubern, um zukünftig DemonstrantInnen zu überwachen und zu beschießen.
Angesichts der Bewegungen in der islamischen Welt müssen sie die Muslime zur Terrorgefahr für unsere Welt des schönen Scheins umdichten. Wir sollen uns freiwillig gegen den „gemeinsamen Feind“ in unserem Sumpf einrichten.
Auch DIE LINKE läuft Gefahr nur innerhalb des Mainstream an der aussichtslosen Reparatur innerhalb der herrschenden Verhältnisse zu basteln, träumt von der Neuauflage der Kompromisse der 70er Jahre.
Die Aufstände in Tunesien, Ägypten und anderen Gesellschaften zeigen eine ungeduldige und moderne selbstbewusste Jugend, die ihre Freiheit zur Verantwortungsübernahme für die Zukunft ihrer Gesellschaften demonstriert. Freilich ist das Ergebnis offen, der Westen will keine Gesellschaften mit mehr Gleichheit und Gerechtigkeit, die zu ihm selbst eine demokratische und soziale Alternative werden könnten. Aber Initiative, Mut und Fantasie haben sie dem langweiligen alten Europa und ihrer konformistischen und vorsichtigen alten utopielosen Linken voraus.
Bernd Wittich Ludwigshafen, 15.02. 2011
( 1 ) Grundsatzpapier der SCHURA e.V. Beschlossen auf der Mitgliederversammlung vom 18.04.2004, Hicret-Moschee: Muslime in einer pluralistischen Gesellschaft
——————————————————————————
Grafikquelle : Durch die Gewerkschaft UGTT organisierte Demonstration am 21. Januar 2011