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„Wir brauchen Aktivismus“

Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 30. April 2022

Jennifer Morgan über Klimaschutz

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Laufen in den Parteien noch nicht genügend Idioten-Innen zum Abkassieren herum ?

Ein Interview von Barbara Junge und Bernhard Pötter mit Jennifer Morgan

Ex-Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan hat die Seiten gewechselt. Ein Gespräch über Allianzen und den Krieg, der die Energiewende beschleunigt.

Auf dem Weg zur Staatssekretärin verlaufen wir uns. Im Gänge­labyrinth des Außenministeri­ums biegen wir im zweiten Stock trotz Eskorte einmal links statt rechts ab und stehen verloren auf einem endlosen Flur. Eine Mitarbeiterin findet uns und entschuldigt sich: Das Büro der Klimastaatssekretärin ist so neu, dass noch kein Schild darauf hinweist. Nach einer kurzen Begrüßung geht es gleich los.

taz am wochenende: Frau Morgan, als Chefin von Greenpeace International haben Sie nach dem Klimagipfel von Glasgow gesagt: Ohne die Aktivisten wäre er ein Flop gewesen. Jetzt vertreten Sie als Staatssekretärin ein Industrieland. Sind Sie auf die Seite gewechselt, die für die Flops verantwortlich ist?

Jennifer Morgan: Nein. Ich würde immer noch sagen, dass Glasgow ein Flop gewesen wäre ohne die Aktivisten. Wir brauchen in der aktuellen Klima­krise alle an Bord: Regierungen, Wissenschaft, gesellschaftliche Unterstützung. Wir brauchen Aktivismus.

Bisher war Ihre Rolle, die Industrieländer anzutreiben. Müssen Sie jetzt in Ihrem neuen Job die AktivistInnen bremsen?

Nein, wir müssen immer noch die Industrieländer vorantreiben. Deutschland hat die G7-Präsidentschaft und wir beschleunigen zu Hause die Energiewende. Ich denke nicht so sehr daran, wer auf welcher Seite steht, sondern daran, was man mit wem unternehmen kann. Wenn ich eine Person sehe und denke, da kann ich einen Unterschied machen, dann werde ich mit ihm oder ihr für eine progressive Allianz arbeiten.

Ihre ehemaligen Kollegen von Greenpeace fordern einen schnelleren Ausstieg aus russischem Öl und Gas als Ihre Regierung. Schlagen da nicht zwei Herzen in Ihrer Brust?

Bevor ich diese Arbeit übernahm, habe ich den Koalitionsvertrag ganz genau gelesen. Und ich habe gesehen: Das gibt es eine Menge Schnittmengen mit dem, was Greenpeace sagt: schnellerer Kohleausstieg, schnelleres Ende für Verbrennungsmotoren. Es geht um einen anderen Begriff von Wohlstand, der mehr ist als nur das Bruttoinlandsprodukt, um Klimagerechtigkeit und um bezahlbares und erneuerbares Wohnen. Ich hatte und habe das Gefühl, dass die Vorhaben sehr ambitioniert sind. Und meine Rolle ist es auch ein bisschen, die Wissenschaft und die NGOs in dieser Debatte in die Regierung einzubringen.

So schnell wird man von einer Aktivistin zur Diplomatin?

Ich bin eine aktivistische Diplomatin. Das heißt für mich, alles zu tun, um Klimaschutz voranzutreiben, um Klimagerechtigkeit zu schaffen. Und in meiner neuen Rolle habe ich andere Möglichkeiten als bei Greenpeace.

Ihr Job als Klimastaatssekretärin ist ja ganz neu. Was ist eigentlich Ihre Rolle?

Ich werde für die neue Klima­außenpolitik dieser Regierung alle Hebel der Außenpolitik für Fortschritte im Klimaschutz nutzen. Mit den anderen Ressorts sind wir dabei, das Klima­team Deutschland aufzustellen. Aber auch mit Unternehmen und Bundesländern tausche ich mich aus. Hier im Haus reden wir ganz neu darüber, wie wir Klimaschutz in humanitäre Hilfe, Handelsabkommen oder wissenschaftliche Partnerschaften integrieren. Auf internationaler Ebene nutzen wir alle Instrumente, um die Grenze von 1,5 Grad Erwärmung zu halten. Meine Rolle ist es, Strategien zu entwickeln, Gespräche zu führen und Koalitionen – mit anderen – zu organisieren und voranzutreiben. Wir wollen eine Klima­außenpolitik aus einem Guss.

Sie haben die 1,5-Grad-Grenze erwähnt. Was ist da Ihr Minimalziel?

Das Ziel ist: Wir müssen gegen jedes Zehntelgrad Erwärmung kämpfen.

Schaffen wir die 1,5 Grad?

Die Wissenschaft sagt, dass wir das noch schaffen können. Aber es wird schwieriger mit jedem Jahr, in dem die Emissionen steigen. Wir können deshalb nicht wie vorher arbeiten, in kleinen Schritten. Wir müssen disruptive Momente suchen, sodass es schneller gehen kann. Die Konsequenzen, wenn wir es nicht schaffen, sind sonst zu groß: Ich war gerade in Bangladesch auf meiner ersten Auslandsreise. Da haben wir ein Dorf besucht, wo vor zwei Jahren ein intensiver Zyklon gewütet hat. Die Leute dort leiden so viel. Und wenn du ihnen in die Augen schaust, dann weißt du, wir müssen dringend etwas tun, denn sie haben daran keine Schuld.

Disruption ist ein Prozess der Zerstörung. Was sind diese disruptiven Momente?

Wir leben gerade in einem. Der Krieg in der Ukraine beschleunigt unsere Energiewende. Wir wollen so schnell wie möglich unabhängig von Russlands Öl, Kohle und Gas werden. Es gibt aber natürlich auch andere Kräfte, die wollen den Moment nutzen, um mehr Öl und Gas und fossile Infrastruktur aufzubauen. Das müssen wir verhindern. Wir müssen gewinnen.

Für 1,5 Grad darf es weltweit keine neue fossile Infrastruktur geben. Aber Deutschland plant jetzt neue Terminals für Flüssiggas.

Der Krieg verlangt uns schwere Entscheidungen ab, die uns nicht in eine Sackgasse führen dürfen. Daher müssen neue Terminals auch grünen Wasserstoff aufnehmen können. Und wir dürfen nicht auf langfristige Lieferverträge setzen. Denn es gilt das Ziel, die Gasnetze bis spätestens 2045 zu dekarbonisieren. Wir wollen die Weichen so stellen, dass wir die Emissionen in den nächsten Jahren schneller runterbringen können.

Das Gespräch führen wir im „Hildegard-Hamm-Brücher-Saal“. Ein großer Titel für ein kleines Zimmer, das in dunklem Holz getäfelt ist und an der Westseite des Gebäudes liegt. An diesem sonnigen Aprilnachmittag herrschen hier schon hochsommerliche Temperaturen. Zum Glück ist nicht August. Beim Thema Gebäudeklimatisierung hat das Auswärtige Amt offenbar noch Nachholbedarf.

Wie groß sind denn Ihre Möglichkeiten im Auswärtigen Amt? Hier arbeiten 3.000 Leute, die sich bisher kaum um das Thema gekümmert haben. Sie bringen 15 KlimaexpertInnen aus dem Umweltministerium mit. Wie groß ist Ihr Hebel, um hier viel zu ändern?

Mit der Entscheidung, den Klimaschutz ins Auswärtige Amt zu holen, hat eine neue Ära der Außenpolitik begonnen. Es gibt dafür eine große Offenheit und ein Interesse im Haus, um die Hebel des AA zu nutzen, um das 1,5-Grad-Ziel zu sichern. Viele Abteilungen im Haus wissen, wie dringend das ist. Vorher gab es nicht die Kapazitäten im Haus, das irgendwie in eine interne umfassende Strategie umzusetzen. Aber der Hebel ist groß. Auch, weil das Thema der Ministerin sehr am Herzen liegt. Da ist diese Disruption eine Chance und Deutschland kann mit einer kohärenten Klimaaußenpolitik ein Modell für die Welt werden.

Flickr - boellstiftung - Panel, Ernst Ulrich von Weizsäcker, Jennifer Morgan, Barbara Unmüßig, Matthias Machnig, Jürgen Trittin (1).jpg

Wer sich mit den Politier-Innen einlässt muss auch akzeptieren wie ein Trüffelschwein gesehen zu werden! 

Bisher sind Deutschland und die EU keine großen Vorbilder. Bei der COP27, der nächsten Klimakonferenz im November im ägyptischen Scharm al-Scheich, sollen alle Länder höhere Klimaziele vorlegen. Davon ist in Deutschland nichts zu sehen.

Alle Länder sollen ihre Klimapläne, ihre NDCs, verbessern. Wir können das als Deutschland oder in der EU machen. Es gibt verschiedene Wege, das zu erreichen. Am besten durch eine NDC-Erhöhung. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten, die Ambitionen zu steigern: etwa durch mehr Erneuerbare, einen früheren Kohleausstieg oder die Vermeidung von Methanemissionen.

Sie sagen, eine der obersten Prioritäten Deutschlands sei Solidarität mit den Opfern. Im Bundeshaushalt 2022 werden aber die Mittel für Klima­finanzierung kaum erhöht.

Da müssen wir ran. Der erste Teil der Solidarität ist, dass wir zu Hause viel machen, um die Emissionen zu senken. Da sind wir mit dem Fit-for-55-Paket der EU auf einem guten Weg. Der zweite Teil ist die Klimafinanzierung. Da hat Frau Merkel im letzten Jahr in der Tat versprochen, dass Deutschland seine Hilfen von derzeit 4 auf 6 Milliarden in 2025 aufstockt. Das ist die häufigste Frage von Entwicklungs- und Schwellenländern und auch unsere Erwartung: dass Deutschland seine Verpflichtung einhält. Wir müssen liefern. Und deshalb hoffe ich, dass der Bundestag auch mehr Geld für die internationale Klimafinanzierung beschließt als die jetzt für 2022 debattierten knapp 4,2 Milliarden Euro.

Wie relevant ist das alles, wenn China weiter die Kohle ausbaut und so die globalen Emissionen hoch hält?

Quelle     :      TAZ-online      >>>>>>           weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     — Jennifer Morgan (Executive Director, Greenpeace International) at the #MSC 2020 event

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Unten     —   Foto: Stephan Röhl

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