Widerstand: Jetzt reicht’s
Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 24. August 2017
Eine Abrechnung mit unserer kaputten Gegenwart
Von Dieter Thomä
Die Lage ist schlecht. Diejenigen, die das Sagen haben, versagen. Widerstand ist nicht zwecklos.
Dies ist ein Pamphlet. Normalerweise bemühe ich mich um Erkenntnisse, aber was ist heute schon normal? Wenn die Welt aus den Fugen gerät, kann man nicht mehr fügsam sein.
I. Die Lage ist schlecht
Wer den aktuellen Stand der Dinge resümieren will, muss sich mit Waffen befassen. Er stößt zuerst auf eine Zeitbombe, deren Zünder scharf gestellt ist. Die Erderwärmung hat – der neuesten Studie von Thomas Crowther und anderen zufolge – den Point of no Return überschritten. Unklar ist nicht, ob diese Bombe in die Luft geht, sondern nur, wie gewaltig ihre Wirkung sein wird. Die Verantwortung für dieses Zerstörungswerk liegt bei den westlichen Gesellschaften, ihren Komplizen und Nachahmern. Juristisch handelt es sich wohl um fahrlässige Tötung. Jeder von uns ist in ein Verbrechen verstrickt.
Während die Zeitbombe tickt, gehen auf diversen Krisenherden Pulverfässer in die Luft. Auch in der westlichen Welt werden Bomben gezündet, Maschinengewehre abgefeuert, Brandsätze geworfen, Messer gezückt. Zum Arsenal gehören neben herkömmlichen auch untypische Waffen wie Lastwagen und Gehwegplatten. Der Krieg ist in unserem Alltag angekommen – aber nicht nur als fremde Drohung, deren Verursacher man aussortieren kann. Die offizielle und inoffizielle Politik hat sich im Westen selbst von einem Raum der Verständigung in einen Kriegsschauplatz verwandelt, auf dem Menschen ihre „Zunge“ – wie schon von Thomas Hobbes beschrieben – als „Trompete des Krieges“ einsetzen.
Die smart weapons der Sprache werden eingesetzt von Troll und Trump, in Tweets und Shamestorms. So wie die Politik ist auch die Ökonomie kriegsähnlich geworden. Der Krieg aller gegen alle ist das tägliche Geschäft von „Milliarden“ von Menschen, die „in einem sozialdarwinistischen Albtraum gefangen“ sind (Pankaj Mishra). Die untere Hälfte kämpft ums Überleben, in der oberen ist man damit beschäftigt, sich gegenseitig auszustechen oder über den Tisch zu ziehen. Unter diesen Umständen wirken Gewaltakte – beim G20-Gipfel, auf dem Berliner Weihnachtsmarkt 2016, in Köln gegen Henriette Reker 2015 – nicht wie Bruchstellen in der dünnen Kruste der Zivilisation; sie passen ins Bild. Die 1970er und 1980er Jahre waren eine Zeit des kalten Krieges und des heißen Friedens („Make love not war“) . Heute leben wir in einer Zeit des heißen Krieges und des kalten Friedens.
II. Diejenigen, die das Sagen haben, versagen
Manche haben mehr zu sagen und zu tun als andere. Sie tragen Verantwortung und gehen mehr schlecht als recht mit ihr um. Sie müssten die Karre eigentlich aus dem Dreck ziehen, aber lassen sie darin stecken. Die Strategien sind: Aushöhlen, Verwalten, Einlullen, Abschotten. Eingesetzt werden sie nicht von irgendwelchen hergelaufenen Akteuren, sondern von den Vertretern der einflussreichsten Konzerne, der mächtigsten Länder, der wichtigsten gesellschaftlichen Institutionen.
Aushöhlen. Es gibt ein weitverbreitetes Gesellschaftsspiel, das nach einem einfachen Schema funktioniert: Die eine Seite setzt Regeln, die andere versucht, sie zu unterlaufen. Emsig wird nach legalen Schlupflöchern gesucht, ersatzweise werden illegale Wege beschritten. Als wirkungsvollste Übung zur Aushöhlung von Regelwerken darf die Finanzkrise 2008 gelten. Auf den ersten Blick erscheint sie als Konfrontation zwischen Staaten und Institutionen einerseits, mehr oder minder raffinierten Finanzkapitalisten andererseits. Doch an dieser Krise ist interessant, dass die Aushöhlung der Regelwerke – einschließlich der Gefährdung ganzer Volkswirtschaften – schon von denjenigen betrieben worden ist, die für deren Schutz zuständig sind. Politische Institutionen schreiben sich die Mehrung des allgemeinen Wohlstands auf die Fahnen, schmeißen sich mittels Deregulierung an ökonomische Akteure heran und dürfen dann zusehen, wie die von ihnen eingeleitete Aushöhlung der Ordnung ins Extrem getrieben wird.
Verwalten. Vor dem Hamburger G20-Gipfel gab es – abgesehen von der Furcht vor gewaltsamen Ausschreitungen – eine große Sorge: dass er scheitern könnte. Unter Scheitern verstand man ein Ende ohne die ritualhafte Verkündung einer gemeinsamen Erklärung aller Teilnehmer. Das war ein Denkfehler: Erfolgreich hätte man diesen Gipfel nennen können, wenn er geplatzt wäre. Dies wäre ein wunderbarer Akt der Ehrlichkeit gewesen. Die führenden Politiker der Welt hätten zugegeben, dass sie derzeit einen Mangel an gemeinsamer Handlungsfähigkeit verwalten. Stattdessen stellt sich der Hamburger Gipfel als Talsohle dar, aus der bemerkenswerterweise nichts hervorgeht. Die Ergebnisse am Ende wurden entweder gleich von einzelnen Beteiligten (wie von Erdoğan) dementiert oder waren derart nichtssagend, dass die Teilnehmer genauso gut hätten leere Seiten unterschreiben können. Niemand glaubt wohl im Ernst, dieser Satz aus der Abschlusserklärung würde irgendwelche Folgen zeitigen: „Wir werden in unseren Ländern auf die Schaffung angemessener politischer Rahmenwerke wie nationale Aktionspläne für Wirtschaft und Menschenrechte hinarbeiten.“ Diese Rollenprosa kennt man vom Junkie, der im x-ten Prozess Besserung gelobt. In der Dürftigkeit der G20-Schlusserklärung spiegelt sich die Gleichgültigkeit, mit der Trump und Putin an den anderen Teilnehmern vorbeigeredet haben. Statt den Dissens zu dokumentieren, wird der Schein der Geschäftstätigkeit aufrechterhalten. Es handelt sich hier um Insolvenzverschleppung.
Einlullen und Abschotten
Angela Merkel, die 2015 kurz aus dem Operationsmodus der Regierung qua Verwaltung ausgeschert war, ist wieder auf ihre normale Betriebstemperatur eingepegelt. Für die Aufrechterhaltung einer Fassade gibt es aber kein Lob, sondern Misstrauen. Zwischen denen, die das Sagen haben, und denen, als deren Repräsentanten sie gelten, wird gefremdelt. Wenn man die „Erklärung der Staats- und Regierungschefs“ auf www.g20.org herunterladen will, kommt eine Warnmeldung: „Datei ist nicht barrierefrei.“ Das kann man laut sagen.
Einlullen. Wo kriegsähnliche Zustände herrschen, sehnt man sich nach Enklaven des Friedens, Ruhezonen, Entspannungsbädern. Als zuständig für solche Friedensangebote dienen sich jene amerikanischen Universitäten an, die für die Studierenden Schutzgebiete („safe places“) errichten, wo sie vor Mikroaggressionen geschützt sind. Nach einer Umfrage unter College-Professoren in den USA verwendet rund die Hälfte von ihnen „trigger warnings“ in ihren Kursen, mit denen sie vorsorglich anstößige Texte kennzeichnen. Shakespeare mit seinen schwarzen (Othello) oder jüdischen (Der Kaufmann von Venedig) Ekelpaketen hat da ganz schlechte Karten. Eine Universität in Wisconsin gibt ein Plakat heraus, das zur Achtsamkeit bei der Verwendung von Wörtern aufruft und Fehlerbeispiele anführt. Demnach soll man sich hüten vor diskriminierenden Ausdrücken wie „lahm“, „verrückt“ und auch – kurioserweise – „politisch korrekt“. Wer sich politisch korrekt verhalten will, darf demnach den Begriff „politisch korrekt“ nicht mehr in den Mund nehmen. Eine Dozentin der Yale University fragt: „Gibt es denn keinen Raum mehr, wo ein junger Mensch ein bisschen frech, provokativ oder, ja, auch anstößig sein kann?“ Der Aufschrei, den diese Frage auslöst, treibt sie zum Rücktritt.
Quelle : Zeit-Online >>>>> weiterlesen
———————————————————————————————————————————
Grafikquelle : Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein. ADN-ZB/IML-ZPA Bonhoeffer, Dietrich Antifaschistischer Widersstandskämpfer geb. 4.2.1906 ermordet: 9.4.1945 in Flossenburg UBz.: Dietrich Bonhoeffer mit Schülern im Frühjahr 1932