Wertebasiert, aber richtig
Erstellt von Redaktion am Freitag 25. November 2022
Nötig ist eine Reform des internationalen Handelsrechts
Ein Debattenbeitrag von Christian Felber
Für eine ethische Handelspolitik sollten die Klagerechte von Unternehmen gestutzt werden. Konzerne können klagen, wenn ihre Fabriken beschlagnahmt werden, aber auch wenn sie sich „unfair behandelt“ fühlen.
Nach Italien, den Niederlanden und Spanien hat nun auch Deutschland angekündigt, aus dem umstrittenen Energiecharta-Vertrag (ECT) auszusteigen. Der Vertrag wurde in den 1990er Jahren unterzeichnet, um westlichen Unternehmen Investitionsschutz in den ehemaligen Sowjetstaaten zu bieten. Heute wird er jedoch überwiegend von europäischen Unternehmen genutzt, um europäische Staaten zu verklagen, wenn sie das Klima schützen.
Italien verabschiedete sich als erstes Land 2016 aus dem ECT, doch aufgrund einer 20 Jahre währenden Nachhaftung („sunset clause“) klagte das britische Ölunternehmen Rockhopper 2017 gegen das Verbot der Öl- und Gasförderung in Küstennähe und macht aktuell „entgangene Gewinne“ in der Höhe von 275 Millionen US-Dollar geltend. Eine ähnliche Nachhaftung droht auch allen jetzt Ausstiegswilligen – es sei denn, es gelingt ihnen oder der EU eine Neuverhandlung des Vertrags ohne ISDS. ISDS – direkte Klagerechte von multinationalen Unternehmen gegen Staaten – sind nicht nur im ECT enthalten, sondern laut Unctad – der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung – in 95 Prozent der weltweit 2.584 bestehenden internationalen Investitionsabkommen. Konzerne können klagen, wenn ihre Fabriken beschlagnahmt werden, aber auch wenn sie sich „unfair behandelt“ fühlen oder „indirekt“ enteignet.
Das kann alles und jedes sein: Atomausstieg, Umweltschutz, Anhebung von Mindestlöhnen, die Förderung der Schwarzen Bevölkerung in Südafrika oder die Nichtgewährung von Pharmapatenten. Eine Studie aus Kanada hat gezeigt, dass bis 2010 40 Prozent der Investitionsstreitigkeiten gegen demokratische Gesetze gerichtet waren. Von den abgeschlossenen Verfahren wurden bisher 37 Prozent von Staaten und 28,5 Prozent von Unternehmen gewonnen; 19,5 Prozent endeten mit einem Vergleich – was bedeutet, dass die Unternehmen in fast 50 Prozent der Fälle mit ihrer Klage zumindest etwas erreicht haben.
In den günstigsten Fällen erhielten sie Entschädigungen in Milliardenhöhe aus Steuermitteln. Die Gesamtzahl der Klagen ist seit Mitte der 1990er Jahre auf 1.190 angewachsen. Es ist bedenklich, welche Paralleljustiz hier ohne nennenswerte öffentliche Debatte entstanden ist.
Eine alternative Entwicklung des Völkerrechts wäre, dass zuerst die Rechte von Menschen („natürlichen Personen“) abgesichert werden, bevor die Rechte von Unternehmen („juristische Personen“) bedient werden. Drei Völkerrechtsexperten um den ehemaligen österreichischen UN-Sonderbeauftragten Manfred Nowak haben ein Statut für einen globalen Gerichtshof für Menschenrechte (Global Court of Human Rights) ausgearbeitet. Dieser würde auf der Grundlage von 21 Menschenrechtsabkommen arbeiten und Betroffenen ein faires Verfahren ermöglichen und Entschädigung zusprechen – nicht nur von Staaten, sondern auch von multinationale Unternehmen.
Ein solch überfälliges Element einer Global Governance findet sich jedoch nicht auf der Agenda der EU. Stattdessen möchte sie den Konzernen einen Multilateralen Investment Court (MIC) bereitstellen, der zwar die wichtigsten Verfahrensmängel der gegenwärtigen Investitionsschiedsgerichte beseitigen, jedoch nichts an der grundlegenden Schieflage, dass nur Konzerne klagen dürfen, aber nicht Menschen, beheben würde. Man stelle sich vor, was passieren würde, wenn Menschen vor einem internationalen Gericht auf „unfaire Behandlung“ durch multinationale Unternehmen oder „indirekte Verletzung“ ihrer Menschenrechte klagen könnten. Diese Analogie zeigt, in welche Schieflage das Völkerrecht geraten ist.
Vor diesem Hintergrund ist der Austritt Deutschlands aus dem Energiecharta-Vertrag zwar ein Schritt in die richtige Richtung, doch die Tatsache, dass die Bundesregierung gleichzeitig bei Ceta, das Konzernklagerechte enthält, aufs Gaspedal tritt und Abkommen mit Mexiko, Chile und Indien anstrebt, lässt den ECT-Austritt eher als Feigenblatt erscheinen. Was genau Wirtschaftsminister Robert Habeck meint, wenn er die Handelspolitik „neu aufstellen“ und „wertebasiert“ ausrichten möchte, ist nicht erkennbar.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Mercosur ist eine Freihandelszone zwischen östlichen Ländern Südamerikas.
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