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Erstellt von Redaktion am Mittwoch 23. November 2022

„Sie wollen wissen, wie viel wir wert sind“

Datei:Lea Pfau, Ulrich Kelber, Ingo Dachwitz, Konferenz "Das ist Netzpolitik!" 2019.jpg

Quelle    :      Netzpolitik.org

Von        :         

Cookie-Banner hier, Datenschutzeinwilligung dort. Das Internet von früher gibt es nicht mehr. Resigniert klicken die meisten auf „Akzeptieren und weiter“ und zahlen mit ihren Daten für die digitale Teilhabe. Ingo Dachwitz, Redakteur bei netzpolitik.org, will nicht, dass wir in diese neue Realität einwilligen. Er kämpft sich durch Gesetze, Urteile und die AGB dieser Welt. Und er empört sich.

Das Erste, was du siehst, wenn du heute ins Internet gehst und eine Website besuchst, ist eine Lüge: „Ihre Privatsphäre ist uns wichtig“. Von wegen. Wichtiger ist das Datensammeln. Deshalb werden zum Beispiel Cookie-Banner so gebaut, dass sie es uns so schwer wie möglich machen, Tracking abzulehnen. Wohin die Daten fließen, wenn wir einwilligen? Das wissen die Anbieter oft selbst nicht. Besonders ärgert mich das bei Medien, die bei dieser Datenausbeutung leider auch mitmachen. Gerade wenn man sich informiert, sollte man sich keine Gedanken darüber machen müssen, wer noch mitliest.

Pokémon run!

Ich schreibe bei netzpolitik.org seit mehr als sechs Jahren darüber, wie Konzerne sich unsere Daten aneignen und diese gegen uns verwenden. Als ich hier anfing, war das Thema der kommerziellen Überwachung bei netzpolitik.org kein Schwerpunkt – der Fokus lag in den ersten Jahren eher auf Urheberrecht und staatlicher Überwachung, was bis heute wichtig ist. Ich weiß aber noch, dass ich zu Beginn einen Artikel über Datenschutzprobleme bei Pokémon Go geschrieben habe und Kolleg:innen skeptisch waren: Warum schreiben wir denn jetzt über Pokémon Go? Warum ist das wichtig? Und wen interessiert das?

Ähnlich war das bei Texten über WhatsApp oder Facebook. Aber für viele Menschen sind diese Dienste das Internet. Messenger, Social Media, Suchmaschinen und Nachrichtenseiten sind die wichtigen Infrastrukturen der digitalen Öffentlichkeit.

Die meisten von ihnen betreiben das Geschäft des Überwachungskapitalismus: Alles, was wir machen, zeichnen sie auf. Die Daten werden ausgewertet und vermarktet – und können im Zweifel auch gegen uns verwendet werden. Die Konzerne führen Informationen über uns in Profilen zusammen, die uns buchstäblich berechenbar machen sollen. Es geht darum, unser Verhalten vorhersagen zu können. Damit sie uns die passende Werbung einblenden können. Damit sie wissen, wie viel wir wert sind. Damit Sie entscheiden können, ob wir für sie ein Risiko oder eine Chance sind. Damit sie uns Produkte oder politische Botschaften andrehen können. Dass sich über diesen Datenschatz auch die Geheimdienste freuen, wissen wir spätestens seit Edward Snowden.

Friss oder stirb!

Das Krasse ist, dass wir deshalb täglich, in jeder Sekunde, in der wir online sind, mit massiven Rechtsbrüchen konfrontiert sind. Das ist auch das, was mich an irreführenden Cookie-Bannern so fuchst: Alle wissen, warum uns der „Alles akzeptieren“-Button bunt anspringt, während die Ablehnen-Option versteckt oder kompliziert gestaltet ist. Wir sind ja nicht dumm. Wir alle wissen, dass die Einwilligung heute meist weder informiert noch freiwillig erfolgt. Dass für einen Großteil der kommerziellen Überwachung eine Rechtsgrundlage fehlt. Trotzdem ist das an der Tagesordnung.

Die Datenindustrie ist ein sehr undurchschaubares Netz von enorm vielen Unternehmen, die die meisten Leute gar nicht kennen und die auch den Webseitenbetreiber:innen selbst oft nicht bekannt sind. Es wird immer von Datensouveränität und digitaler Souveränität gesprochen. Aber es gibt diese Souveränität nicht. Und die Datenindustrie arbeitet aktiv daran, dass das so bleibt. Ein wichtiges Thema meiner Arbeit ist deshalb auch die Durchsetzung der Datenschutzregeln: durch Aufsichtsbehörden, NGOs und Gerichte.

Dafür, dass sie am laufenden Band gegen die Datenschutzgrundverordnung verstoßen, kassieren die Konzerne zwar immer wieder Strafen. Aber das nehmen sie oft mit einem Achselzucken hin. Sie haben ja große Rechtsabteilungen, die sich darum kümmern. Und sie preisen es von vorneherein ein, wenn sie zu hohen Geldstrafen verdonnert werden. Hier gibt es ein Ungleichgewicht. Unabhängige Medien, Blogger:innen oder Vereine müssen sich auch an die DSGVO halten, haben aber viel weniger Mittel und fühlen sich bis heute oft überfordert.

Dass die DSGVO immer noch nicht viel gegen den Überwachungskapitalismus ausrichten konnte – gegen staatliche Überwachung leider auch nicht –, ist echt ein Problem. Wir alle wissen, dass wir überwacht werden und viele gewöhnen sich daran. Es hat sich längst eine Ermüdung breitgemacht. Bei vielen kommerziellen Diensten hat man nur die Wahl: Friss Cookies oder stirb. Klar, man kann sich etwa dafür entscheiden, bestimmte soziale Medien nicht zu nutzen. Dann aber verliert man auch Teilhabe am digitalen sozialen Leben. Will ich aber daran teilhaben, bedeutet das zugleich, dass ich mit meinen Daten zahle. Auch weil Alternativen nicht genug gefördert werden.

Wir müssen auch selbst die Veränderung sein, die wir uns wünschen

Wir sind alle zurecht genervt davon, fortwährend Einwilligungsbanner wegklicken und blind AGBs bestätigen zu müssen. Ehrlich gesagt bin auch ich genervt davon, immer noch darüber schreiben zu müssen. Aber das Thema ist zu wichtig. Manipulative Cookie-Banner sind ja nur ein Symptom eines kaputten Systems, die für alle sichtbare Spitze des Dateneisbergs. Es ist deshalb auch ein symbolischer Kampf, in dem es darum geht, dass wir uns alle frei entfalten können – ohne dass wir uns dabei immer wieder Gedanken machen müssen, ob wir beobachtet werden und welche Konsequenzen das für uns haben könnte.

Ich finde es auch eine Frage des Respekts, dass man etwa die eigenen Leser:innen ernst nimmt. Dazu gehört beispielsweise, auf der ersten Seite des Cookie-Dialogs den sichtbaren Button einzublenden, mit dem man alle Cookies ablehnen kann. Diesen Button gibt es aber häufig nicht. Wir haben kürzlich zu diesem Thema recherchiert – und was verändert: Im Zuge unserer Recherche haben wir mehrere Medien um Statements gebeten, die kurz darauf dann tatsächlich ihre Cookie-Banner nutzer:innenfreundlicher gestaltet haben.

Am besten wäre es natürlich, wenn es diese Banner erst gar nicht gäbe. Bei netzpolitik.org müssen sich die Leser:innen keine Gedanken darüber machen. Einfach schon deshalb, weil wir unsere Leser:innen nicht ausspähen müssen und wollen. Wir schieben ihnen keine Tracking-Cookies unter. Und bei uns gibt es auch keine nervige Werbung und auch keinerlei Abo-Modelle. Wir wollen, dass alle und jede:r unsere Texte auf netzpolitik.org lesen können, unabhängig von Geldbeutel und Datenschutzeinstellungen – und ohne jedwede Überwachung.

Rote Linien statt Pseudo-Einwilligungen

Ich wünsche mir, dass Datenschutzbehörden und Gerichte über ausreichend Ressourcen und Kompetenzen verfügen, die Datenschutzgrundverordnung und andere Datenschutzgesetze konsequent durchzusetzen – notfalls mit saftigen Sanktionen. Zugleich müssen wir schauen, wie wir den bestehenden Datenschutzrahmen weiterentwickeln.

Denn die Datenschutzgrundverordnung ist auch Teil des Problems. Sie setzt zu sehr auf das Instrument der Einwilligung der Einzelnen, auf die vermeintliche Datensouveränität. Leider ist es, das zeigen viele unserer Recherchen, eine Illusion, dass Menschen in die Lage versetzt werden können, in allen Kontexten ausreichend informiert zu sein und damit freiwillig entscheiden zu können, welche Daten sie preisgeben wollen und welche nicht.

Wir brauchen eine umfassende Reform des Datenschutzrechts, die den Pseudo-Einwilligungen und der vermeintlichen Freiwilligkeit ein Ende bereitet. Vielmehr müssen wir als Gesellschaft definieren, welche Datennutzung wir wollen und welche nicht. Welche Risiken sind wir bereit einzugehen – zum Beispiel bei der Datennutzung für die Gesundheitsforschung? Und wo ziehen wir rote Linien – etwa bei der Bildung umfassender Nutzer:innenprofile, bei der Überwachung der privaten Kommunikation oder beim Scoring mit Datenprofilen? All diese Fragen lassen sich nicht einfach per Mausklick beantworten. Stattdessen sollte diese Form der schnellen Einwilligung nur eines sein: verboten.

Der Text basiert auf einem Gespräch, das Stefanie Talaska geführt und aufbereitet hat.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

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Grafikquellen         :

Oben     —      Lea Pfau, Ulrich Kelber, Ingo Dachwitz, Konferenz „Das ist Netzpolitik!“ 2019

Verfasser Jason Krüger / Quelle     :  Das ist Netzpolitik! – Konferenz von netzpolitik.org  /  Datum  :   13.o0.2019

Diese Datei ist lizenziert unter derCreative CommonsAttribution-Share Alike 4.0 International Lizenz.

 

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