Erstellt von DL-Redaktion am Freitag 10. September 2021
Das Kanzlerparadox

Ein Fingerzeig auf seine ruinösen Hinterlassenschaften im Ahrtal?
Von Bettina Gaus
Laschet schmiert ab, Scholz gewinnt – diesen Eindruck erwecken die Umfragen. Doch Laschet hat weiter Kanzlerchancen. Denn anders als in vielen anderen Ländern wählen wir in Deutschland kein Staatsoberhaupt, sondern Parteien.
Noch gut zwei Wochen bis zur Wahl. Wenn es keine neuen, vielleicht gar substanziellen Nachrichten geben sollte, dann lässt sich dieser Zeitraum in Medien mühelos mit immer neuen Meinungsumfragen überbrücken. Auch wenn diese Momentaufnahmen inzwischen nur noch den immer gleichen Trend bestätigen – aber nichts, überhaupt nichts, darüber aussagen, wer demnächst ins Kanzleramt einzieht.
Es ist nämlich kein abgedroschenes Klischee, sondern eine Tatsache, dass wir kein Staatsoberhaupt, sondern Parteien wählen. Und, ja: das hat Konsequenzen. Zum Beispiel die, dass keineswegs immer die stärkste Fraktion die Regierungskoalition führt. Wenn Armin Laschet erreicht, dass ihn im Bundestag eine Mehrheit wählt, dann ist er der nächste Kanzler und nicht Olaf Scholz. So einfach ist das.
Ich höre schon das Geschrei: Das wäre doch total undemokratisch! Die Leute – vor allem Markus Söder – trauen Armin Laschet das Amt nicht zu. Er ist unpopulär. Wenn er trotz eines katastrophalen Ergebnisses für die Union seine Wahl erzwingt, dann zeigt das nur, dass er auch noch ein schlechter Verlierer ist. Wie Donald Trump.
Blödsinn. Wiederholungen langweilen, ich weiß, aber manchmal sind sie unumgänglich. Also noch einmal: Laschet kandidiert nicht für das Amt eines Präsidenten. Er will Bundeskanzler werden. Da hat er gute Chancen, nach wie vor.
Rückblick. Willy Brandt war 1969 in weiten Teilen der Bevölkerung nicht einfach unpopulär. Sondern so verhasst, dass Beleidigungen, die er ertragen musste, ekelhafte Beschimpfungen in den sozialen Medien von heute wirken lassen wie ein sanftes Säuseln. Dennoch wurde er Kanzler, und zwar nur deshalb, weil ihm die FDP zur Mehrheit verhalf – obwohl die Union die größte Bundestagsfraktion bildete.

Klingt vertraut? Ja. Die Freien Demokraten können ihr Glück vermutlich nicht fassen. Nicht einmal sie selbst hätten wohl geglaubt, dass ihnen in einem Parlament mit voraussichtlich sechs Fraktionen je wieder eine so tragende Rolle zufallen würde wie weiland in einem Drei-Fraktionen-Bundestag. Dennoch ist es so. »Hegel bemerkte irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce«, schrieb Karl Marx. Wie wahr.
Selbstverständlich gibt es noch andere Möglichkeiten. Nehmen wir an, die Sozialdemokraten bildeten nach der Wahl die größte Fraktion. Dann böte sich ja eine von der
SPD geführte Ampel an. Aber warum sollte die FDP dem zustimmen, wenn es eine für sie mit der Union viel nettere Alternative gibt? Die Grünen würden auf einem Parteitag niemals einen schwarz-geführten Koalitionsvertrag absegnen, gäbe es eine andere Möglichkeit. Das glauben manche Leute, die durchaus viel von Berliner Farbenspielen verstehen.
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Grafikquellen :
Oben — Armin Laschet (CDU) am Wahlabend der NRW Landtagswahl am 14. Mai 2017 in Düsseldorf
Unten — Maischberger, Sendung vom 14. Dezember 2016. Produziert vom WDR. Thema der Sendung: „Wutbürger gegen Gutmenschen: Verliert die Demokratie?“ Foto: Bettina Gaus („taz“-Journalistin)
Erstellt am Freitag 10. September 2021 um 13:05 und abgelegt unter Deutschland, Feuilleton, Positionen, Regierung.
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