Wer ist hier radikal?
Erstellt von DL-Redaktion am Dienstag 16. Mai 2023
Der Idealismus der Aktivisten ist bemerkenswert – und in der Politik so kaum zu finden
Ein Debattenbeitrag von Ruth Lang Fuentes
Die Aktivisten der Letzten Generation gelten als extrem. Dabei bleiben sie friedlich – auch angesichts einer teils verfassungswidrigen Klimapolitik.
Die Radikalisierung innerhalb der Klimabewegung schreitet rasant voran. So klingt es jedenfalls, wenn man der aktuellen Berichterstattung und sich in Talkshows äußernden Politikern Glauben schenkt. Seit Wochen sei Berlin ein chaotisches Pflaster, überall Extremisten in orangen Warnwesten, die den Verkehr lahmlegen. Radikal.
Am Tag der angekündigten Klima-Blockaden in Berlin gab CDU-Generalsekretär Mario Czaja ein Radiointerview. Er sprach von „diesen sogenannten Aktivisten“, die seines Erachtens Extremisten, Gewalttäter, Straftäter seien. Die Berliner Polizei solle hart durchgreifen. Sein Kollege Alexander Dobrindt von der CSU habe „das berechtigterweise sehr pointiert formuliert“, als er die Gruppe als Klima-RAF bezeichnete. Es drohe weiterer Extremismus.
Radikalisierung. Extremismus. Die Begriffe fallen oft, und sie diffamieren Aktivisten, die etwas fordern, dem eigentlich alle zustimmen müssten: den Planeten nicht aus Profitgier zu zerstören. Stattdessen werden härtere Strafen und Präventivhaft für Aktivisten gefordert. Einige Gefängnisstrafen ohne Bewährung wurden schon verhängt. Zuletzt verurteilte das Amtsgericht Berlin-Tiergarten eine 24-Jährige zu vier Monaten Haft. Derweil bedauert Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD), dass die Selbstjustiz ausübenden wütenden Autofahrer „leider dann eben auch zur Rechenschaft gezogen werden“ müssen. Was ist denn nun radikal und extremistisch?
Schaut man sich die Definition von „radikal“ an, so ist die Letzte Generation auf den ersten Blick wirklich radikal. „Radix“ heißt auf Lateinisch „Wurzel“, es geht ihnen im Großen und Ganzen darum, gesellschaftliche und klimapolitische Probleme „an der Wurzel“ zu packen und durch grundlegende Veränderungen in der Gesellschaft zu lösen. Aber dem demokratischen System bleibt die Letzte Generation durch und durch verpflichtet. Extremistisch sind die Gruppe auch nicht, denn sie lehnt weder den demokratischen Verfassungsstaat ab, noch ist sie gewaltbereit oder agiert gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung.
Der Idealismus ist bemerkenswert
Das Gegenteil ist der Fall: „Wir wollen den Menschen in der Regierung die Hand reichen, damit sie ab jetzt ihrer Verantwortung vor der Verfassung nachkommen können“, heißt es auf der Website der Letzten Generation. Der Idealismus der Aktivisten ist bemerkenswert – und in der Politik so kaum zu finden. Dafür brechen Politik und Justiz das Grundgesetz andauernd.
Das Klimaschutzgesetz von 2019 stufte das Bundesverfassungsgericht als teils verfassungswidrig ein – weil es die Freiheitsrechte kommender Generationen verletzt. Die Ampel wiederum weicht dieses Gesetz noch auf, baut weitere Autobahnen aus, lässt Lützerath abbaggern, während das versprochene Klimageld ausbleibt. Das anzuprangern soll radikal sein?
Die Aktionen der Letzten Generation in Berlin sehen im Detail so aus: Straßen blockieren, das Grundgesetz am Reichstag und Privatjets mit Farbe besprühen, Protestmärsche und Aufklärungsvorträge. Friedliches Sitzen auf der Straße und abwarten, bis man von der Polizei weggetragen wird, oder von einem echauffierten Autofahrer an den Haaren. Selbst dann bleibt das oberste Prinzip der Aktivisten immer: Gewaltfreiheit. Friedlicher ziviler Ungehorsam, wie im Geschichtsunterricht als vorbildlich gelehrt.
Politiker wollen Status quo, den es bald nicht mehr gibt
Extremistisch, extremus, also außen, zu sein heißt, extreme Randpositionen im Verhältnis zur angenommenen Mitte des politischen Spektrums einzunehmen. Beim ZDF-Politbarometer im April 2023 allerdings waren rund 48 Prozent der Befragten der Meinung, dass in Deutschland zu wenig für den Klimaschutz getan werde. Die Letzte Generation steht also mittendrin.
Eher warnen bestimmte Politiker und Medienhäuser vor einem Extremismus, der so nicht existiert. Der CDU-Politiker Philipp Amthor etwa bezeichnete bei Maischberger die Letzte Generation als radikal, – um gleich darauf ihre Forderungen nach Tempolimit und 9-Euro-Ticket zu lasch zu nennen.
Czaja, Amthor, Dobrindt: Sie nennen sich selbst Mitte und die Letzte Generation radikal. Dabei ist es gerade umgekehrt. Denn sie möchten am liebsten einen Status quo, den es bald nicht mehr geben wird. Erich Fried schrieb vor mehreren Jahrzehnten: „Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt.“ Bezüglich der Klimakrise so aktuell wie nie.
Es steht für uns zu viel auf dem Spiel
Natürlich sprechen nicht alle so radikal über die Klimaaktivisten. Die meisten Politiker und Journalisten machen weiter wie bisher und kritisieren vage die Protestform. Es gibt Gerichte, die Aktivisten freigesprochen haben. Und Versuche der Annäherung vonseiten einiger Politiker. Die Oberbürgermeister von Marburg, Tübingen und Hannover haben sich mit der Gruppe ausgetauscht und ihre Forderung nach einem Gesellschaftsrat öffentlich befürwortet. In diesen Städten finden keine Blockaden mehr statt.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquelle :
Oben — Ölaktion vom Aufstand der Letzten Generation vor dem Bundeskanzleramt, Berlin, 09.07.2022
Dienstag 16. Mai 2023 um 21:14
Ein sehr interessanter, lehrreicher und lesenswerter Artikel.
Bei dieser Gelegenheit: Danke an die DL-Redaktion für das Aussuchen und Einstellen dieses Artikels.
Der Mainstream in der öffentliche Meinungsmache aller großen (Staats) Medien wird hier, von einer kleinen Zeitung, einmal in seiner ganzen Scheinheiligkeit und Verlogenheit vorgeführt.
Eine Steigerung der seit Jahren beklagenswerten politischen Zustände in dieser BRD schaffen die Politiker Innen der abgehobenen Parteien-Kaste im Bundestag beim Thema „Klima-Aktivisten“.
Das Einzige was diesen Politiker Innen einfällt, ist die Drohung und Realisierung von staatlicher Gewaltanwendung.
So geht das halt in Deutschland. „….weiter so ! „
So bei Merkel, so bei Scholz, beide sind aus gleichem Holz.
Mittwoch 17. Mai 2023 um 13:58
Radikal zu sein, kann seine Vorteile haben. Dabei müssen die Inhalte und Modalitäten stimmen. Wie beispielsweise mehr Steuergerechtigkeit, Steuerehrlichkeit, Regulierungen, die Schaffung eines Unternehmungsstrafrechtes, die Besteuerung von Erbschaften und Reichtum. Der verbesserte Ausbau einer Infrastruktur wie öffentlicher Verkehr, Mobilfunknetz, Internet sind respektive der Lebensqualität von Belang.
Als Mittel ist das Ausüben von verbrieften Grundrechten immer sinnig. Wie das digitale Schreiben an das Rathaus, MdL, MdB. Digitale Zuschriften an Redaktionen senden. Eine Petition bei https://www.campact.de starten. Das Versammlungsrecht nutzen. Ob eine Demonstration oder zur Information in den Räumlichkeiten der Volkshochschule, Gewerkschaft.
Jimmy Bulanik
Mittwoch 17. Mai 2023 um 15:41
# 2.
“ Wie beispielsweise mehr Steuergerechtigkeit, Steuerehrlichkeit, Regulierungen, die Schaffung eines Unternehmungsstrafrechtes, die Besteuerung von Erbschaften und Reichtum.“
Überall dies angesprochenen Punkt wird doch seit minndestens 25 Jahren im Bundestag, in Partei-Programmen geredet, geredt und geredet. Passiert ist N I C H T S !!! von alledem.