Wer ist Hanna?
Erstellt von Redaktion am Donnerstag 17. Juni 2021
Aufstand der Akademiker-Innen
Politiker-Innen: „Morgen, Morgen nur nicht Heute – sagen immer faule Leute“
Von Nicole Opitz
Unter dem Hashtag #IchbinHanna ist eine Debatte über prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft entbrannt. Drei Wissenschaftlerinnen erzählen.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) erklärte in einem Video, was das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) ist. Ein Gesetz, das dafür sorgt, dass vor allem Promovierende und Postdocs befristete Stellen unterschreiben. Damit das „System nicht verstopft“ werde, wie es in dem Video heißt. Die Protagonistin in dem Erklärvideo heißt Hanna.
Wissenschaftler:innen initiierten deshalb den Hashtag #IchbinHanna, unter dem sie berichteten, was die dauerhaften Befristungen für sie bedeuten: Druck, Planungsunsicherheit, unerfüllte Kinderwünsche und das Verlassen der Wissenschaft gehören dazu. Für einige ist auch klar: Sie sind nicht Hanna, weil sie auf ein Visum angewiesen sind oder als BPoC Diskriminierungsstrukturen ausgesetzt sind, die auch andere Auswirkungen haben als prekäre Arbeitsverhältnisse. Mittlerweile wurde das Video vom BMBF offline genommen und per Stellungnahme auf die Kritik reagiert.
„Ich habe schon Videokonferenzen aus dem Krankenhaus heraus gemacht“
Ich schreibe meine Doktorarbeit über Zeitlichkeit und Behinderung in der zeitgenössischen amerikanischen Literatur. Ich habe Mukoviszidose, eine chronische Stoffwechselerkrankung. Mit Mukoviszidose hat man eine reduzierte Lebenserwartung. Als ich angefangen habe zu studieren, war es teilweise so, dass ich gesagt habe: „Ich erreiche das Rentenalter ja gar nicht.“ Und dachte mir: „Na ja, was soll’s, dann habe ich halt nicht so die Mega-Karrierechancen, ich weiß eh nicht, wie alt ich werde. Dann kann ich auch in die Wissenschaft.“ Ich habe Glück, dass es ein neues Medikament gibt, mit dem es mir viel viel besser geht. Das normalisiert meine Lebenserwartung ein Stück weit, aber jetzt muss ich mich doch mit diesem schrecklichen Arbeitsmarkt auseinandersetzen.
Gerade arbeite ich in meinem dritten Vertrag, der im Juli ausläuft. Ich weiß, dass die Verlängerung beantragt ist, aber die ist noch nicht durch. Meine Chefin will mich zwar weiterbeschäftigen, aber dass ich nicht weiß, ob und wann mein Arbeitsvertrag verlängert wird, nimmt mir die Motivation.
Es erzeugt diese völlig paradoxe Situation: Natürlich will ich schnell fertig werden mit der Diss, aber in dem Moment, wo ich mit der Diss fertig werde, habe ich keinen Job mehr. Das ist eine Qualifikationsstelle und die muss ich wieder freimachen. Das hat einen Einfluss auf die Lebensplanung. Und der Druck macht total was mit einem. Du vergleichst ständig Lebensläufe mit anderen, die viel veröffentlicht haben und hier noch mal eine Konferenz organisiert haben. Dadurch entsteht ein Zwang zur totalen Hyperproduktivität. Du musst immer noch ein bisschen besser sein als die anderen.
Manchmal kollidiert dieser Zwang zur Überproduktivität aber mit meinem Körper: Ich muss regelmäßig ärztlich kontrolliert werden, Medikamente nehmen, ich muss inhalieren. Das kostet alles Zeit. Und oft habe ich einfach nicht so viel Kraft. Weil: für meinen Körper ist alles – das ganz normale Funktionieren, rumlaufen, Treppensteigen, Essen – anstrengender. Und ich kann mich nicht immer rausziehen: Ich habe schon Videokonferenzen gemacht aus dem Krankenhaus heraus, um den Anschluss nicht zu verlieren. Und klar, das ist noch mal ein extra Druck, ich muss es eben auch besonders gut machen, um zu beweisen, dass ich ja trotz und wegen der Behinderung immer noch hier mitreden darf.
Dorothee Marx (32) promoviert an der Uni Kiel zu chronischen Erkrankungen und Behinderungen in Comics und Literatur
„Zurück an eine deutsche Uni möchte ich nie mehr“
Ich habe meinen Magister in Deutschland gemacht und bin nach einem Jahr als wissenschaftliche Hilfskraft weggegangen. Meine Erfahrung ist die, wie es für jemanden mit einer sozialen Herkunft in der Arbeiter:innenklasse und mit „Migrationshintergrund“ an der Uni war. Das ist nur ein Faktor, warum ich mich entschieden habe, nicht in Deutschland an der Uni zu bleiben, aber auch Finanzen und mein Forschungsinteresse hängen damit zusammen. 2017 habe ich in Edinburgh promoviert über die postkoloniale Situation der Stadt Brüssel. Jetzt arbeite ich als Wissenschaftlerin in den Postcolonial und Decolonial Studies. Zurück an eine deutsche Uni möchte ich nie mehr.
Meine Sicht ist eine privilegierte: Ich hatte eine großartige Mentorin. Dazu kommt, dass ich keine Kinder oder keine Pflegeverantwortung für irgendjemanden habe. Ich konnte gehen. Das ist selbst, wenn man in Deutschland bleibt, ein Problem mit den sehr kurzfristigen Verträgen. Dass man immer in der Position sein muss, seine Koffer zu packen und nächstes Jahr woanders zu arbeiten. Das ist für viele unmöglich.
Was mich so wahnsinnig daran frustriert, ist diese Vorstellung: Wer ist diese Person, für die diese Stellen geschaffen werden? Wenn das Bildungsministerium sagt, dass dass Wissenschaftszeitgesetz tatsächlich in irgendeiner Weise eine gute Sache sein soll, dann kann sie ja nur eine gute Sache sein für jemanden, der:die total unabhängig ist, der:die keine Verpflichtungen in irgendeiner Art hat. Ich kann ja auch diese Kurzfristigkeit psychisch nur aushalten, wenn ich ein Sicherheitsnetz habe. Wenn ich weiß: Ach, wenn ich keinen Job kriege, dann zieh ich einfach wieder bei Mama und Papa ein.
Was in der Debatte um das Wissenschaftszeitgesetz untergeht, ist auch das System der deutschen Uni. Doktorand:innen, vor allem die, die mit einem Arbeitsvisum an einer deutschen Uni angestellt sind, haben ein problematisches Abhängigkeitsverhältnis zu ihrer:ihrem Gutachter:in. Es kommt in diesem System zu vielen Situationen, die ich auch so nicht mehr erlebt habe, seitdem ich in Großbritannien arbeite. Zum Beispiel wie Lehrende in höher gestellten Positionen sich über Studierende äußern, über deren Hintergrund, Interessen, Ausdrucksfähigkeit, und auf sie eingehen. Äußerungen, die latent rassistisch, klassistisch, sexistisch sein können. Momente, in denen ich mir gedacht habe: Das ist kein Umfeld, in dem ich mich wiederfinden will. Wo ich das Gefühl hatte, dass ich wahnsinnig viel erklären muss – auch meine Existenz in diesem Raum ständig erklären muss.
Dann kommt hinzu, was und wie in Deutschland unterrichtet wird. Gerade in so recht traditionsverwurzelten Fächern wie der Romanistik. Es ist ein relativ weißer Kanon – es findet wenig statt, was Dekolonialisierung angeht. Es gibt zwar positive Ausnahmen, aber wir brauchen einen langfristigen Wandel. Wenn sich jemand denkt: Okay, bin ich drin, aber fühle mich als Arbeiter:inkind und/oder als nichtweißer Mensch trotzdem fehl am Platz. Ich denke, das ist das Hauptproblem.
Sarah Arens (35) hat in Saarbrücken Romanistik studiert, in Edinburgh ihre Promotion in Postcolonial und Decolonial Studies verfasst und arbeitet heute als Wissenschaftlerin in St. Andrews, Großbritannien
„Gerade arbeite ich auf meinem elften Vertrag“
Quelle : TAZ >>>> weiterlesen
Arbeitsbedingungen an Hochschulen:
Sie wollen nicht mehr Hanna sein
Auch zu faul seine Benennungen auszuschreiben Beispiele ? BAFIN – WissZeitVG
Kommentar von Ralf Pauli
Die Arbeit an Unis ist prekär. Um das zu ändern, braucht es für alle qualifizierten Wissenschaftler:innen Aussicht auf eine unbefristete Stelle.
Das Video, das seit Tagen Wissenschaftler:innen in Rage bringt, ist hübsch gemacht. Darin ist eine animierte Doktorandin im weißen Kittel und mit Brille zu sehen – Hanna, eine Biologin. Vor rund drei Jahren hat das Bundesbildungsministerium das Video veröffentlicht, um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz – kurz WissZeitVG – zu erklären.
Mit dem Gesetz wollte die Bundesregierung die prekäre Arbeitssituation von Nachwuchswissenschaftler:innen verbessern. In dem Erklärvideo hört sich das jedoch ganz anders an. Befristete Verträge werden dort als innovationsfördernd gelobt, Entfristungen als unsozial gebrandmarkt. Wer schon während oder nach der Promotion eine Stelle auf Lebenszeit erhält, so kann man das Video verstehen, verbaut der nachfolgenden Generation die Karrierechancen.
Für Nachwuchswissenschaftler:innen, die sich über Jahre von Vertrag zu Vertrag hangeln, muss das wie blanker Hohn klingen. Unter dem Hashtag #IchBinHanna berichten sie von Zukunftsängsten, Leistungsdruck und unmöglicher Lebensplanung. Viele von ihnen sind 35 Jahre oder älter.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Gruppe der Scientists for Future am 15. März 2019 (Invalidenpark, Berlin-Mitte)