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Weihnachten ohne Christbaum

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 1. Januar 2014

Eine pyromantische Nachlese im Ausblick auf 2014

Autor: Wolfgang Blaschka

Rationalgalerie

Datum: 30. Dezember 2013

Den warnenden Hinweis „Der Baum brennt“ nicht ernst zu nehmen, hieße fahrlässig handeln. Spätestens dann wäre die dröge Weihnachtsfeier zu unterbrechen, besser abzubrechen und auf nach der Renovierung zu verschieben. An Heiligabend haben die pyromanischen Feuerwehrler Hochkonjunktur, sind hochwillkommene Überraschungsgäste gerade bei Leuten, welche die Hardcore-Bescherung einer läppischen Kinder-Inszenierung vorziehen. Der Drang zur Außen-Kampfbeleuchtung scheint dem Trend zur Innenabfackelung keineswegs die Nahrung zu entziehen. Selten im Jahr brennen in Privatwohnungen mehr Bäume gleichzeitig als zu den unheimeligen Festtagen. Auch ohne Vorsatz gelingt es immer wieder, die Geschenke-Abfertigung ungewollt ins Raumfüllende zu befeuern. Da nützte auch keine Rauchmelder-Pflicht in Wohnungen angesichts der zahlreichen Räuchermännchen und der dicken Luft, die in manchen Haushalten herrscht bei den Würsteln, wenn kein Kren oder Senf auf dem Tisch steht, stattdessen Ketchup.

Gerade an Heiligabend besteht die Gefahr, dass harmlose Unterhaltungen mit mehr als drei Sätzen zu ungeahnten Explosionen kulminieren, weitmehr als an anderen Tagen. Die Trägheitssicherungen (fette Gans oder öliger Fisch, dicke Stollen und pampige Lebkuchen) brennen umso leichter durch, je mehr Verwandtschaft anwesend ist. Ein falsches Wort, ein danebenes Geschenk können genügen, und keiner achtet mehr auf den bereits knisternden Baum. Obwohl einfache Rauchvergiftungen noch harmlos erscheinen angesichts vergifteter Atmosphäre zwischen Angehörigen.

Daher sollte konsequent gelten: Keine Korsagen oder Krawatten, Küchengeräte oder Kettensägen unter den Christbaum! Auch Unterhosen machen sich in Einwickelpapier nicht viel besser als ohne Umhüllung, schließlich kommt es auf deren Inhalt an. Strümpfe und Socken, Hemden und Hosen, Pullover, Pullunder und anderer Plunder, alles „Praktische“ eben, können nicht anstinken gegen Klappkärtchen, zwischen die diskret ein Geldschein geklemmt ist, notfalls ohne Umschlag. Selbst ein ernst gemeintes liebes Wort, eine innige Umarmung, ein intensiver Kuss erfreuen weit mehr als gedankenlose oder allzu hintersinnige Geschenke. Kinder natürlich ausgenommen, die brauchen ihr Spielzeug schon noch als Überraschung, nicht lieblos mit Preisschild oder samt Kassenbon direkt aus dem Kaufhaus. Macht es doch Freude, ihnen echte Freude zu bereiten statt eines Wohnzimmer-Brands.

Natürlich besteht das Risiko am wenigsten ohne Baum, da tendiert es geradezu gen Null. Dieses Rundum-Sorglospaket habe ich für mich persönlich abonniert, ein Nichtbaum-Gemütlichkeits-Set inclusive: Einfach kein dürres Grünzeug in der Bude! Gewiss, auch Papierhaufen können feuergefährlich sein. Aber wer stellt schon brennende Kerzen auf seine Zeitungsstapel?! An den Baum jedoch kommt alles, was im Nu verglimmt: Schleifchen und Rüschchen, Strohsterne und stoffumspannte gold-gebortete Kugeln, die kokeln wie nichts.

Ohne Baum kein Albtraum. Aber was ist mit den Nachbarn? Kann ich ihnen die Kerzenentzündung (eventuell gar noch an ihren ausgetrocknet abgelagerten Advents-Dekorationen) verbieten? Ich müsste ihnen Vorträge halten, die ihnen die Lametta-Allergie ins Gesicht treiben sollte. Das würde ich im Haus noch auf mich nehmen, aber was ist mit dem Nachbarhaus, und mit denen von Gegenüber? Der Funkenflug könnte zum Problem geraten. Ein Feuersturm dürfte die ganze Straße in Schutt und Asche legen, oder das halbe Stadtviertel platt machen für die nächste Gentrifizierungswelle. Am sichersten wäre das Risiko allgemein zu minimieren, wenn es nur gelänge, Weihnachten ganz ausfallen zu lassen, so wie in Samoa jenen Tag letzthin, um über die Datumsgrenze zu wechseln. Dann gäbe es allerdings auch keine Geschenke, das wäre suboptimal. Zwischen Mai und August, im Juni oder Juli läge die Christbaumbrand-Wahrscheinlichkeit am Tiefpunkt, da stünden die Bäume in Saft und Kraft, sofern nicht gerade Dürre herrschte. In diesem Falle wiederum wüchse die Waldbrandgefahr ins Unermessliche, und es wäre brandschutztechnisch dasselbe Dilemma.

Man stelle sich vor, die Leute gingen in die nicht verschneiten Wälder, um sich zur Sonnwende kunstvoll verpackte Gaben unter die (immergrünen) Tannen zu legen, direkt auf übersehene Ameisenhaufen, sie begännen Krippenlieder anzustimmen und herumzuzündeln, wie sie das ja immer gern tun, nicht nur zu Silvester, Mariä Lichtmess, beim Osterfeuer oder zum Martinstag. Das Rodungsprogramm wäre perfekt. Die fehlende Berieselung mangels Schnee könnte durch impertinentes Blockflötengedudel kompensiert werden. Über fehlende (soziale) Kälte könnte man sich auch bei Hochsommer-Temperaturen kaum beklagen.

Nur die Krippenspiele wirkten in T-Shirts und Badehose vielleicht etwas deplatziert, mit Kutten wären sie zu schweißtreibend. Auch gäbe frisch gemähtes Heu noch längst kein Stroh. Davon abgesehen könnte das Geglühweine, Lebkuchengeschmatze und Würstelgeschlotze die schlanke Linie beeinträchtigen. Also werden wir’s wohl bei Weihnachten im tiefsten Winter belassen müssen, schon weil sonst die langen Abende und Nächte noch deprimierender ausfielen ohne Urlaubsbilder-Sortieren, Zwangs-Dia-Vorführungen am Heimcomputer und sinnfreie Basteleien. Ohne Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten wüssten die Meisten nicht einmal was von Lampedusa, und ohne Urbi-et-Orbi bliebe die Festung Europa ohne General-Absolution. Das wäre unverantwortlich.

Auch die Post hätte weniger zu tun, die Weihnachtsmärkte wären bald pleite, die Erzgebirgs-Pyramidenbastler arbeitslos. Schon unter volkswirtschaftlichen Aspekten wäre es kaum hinnehmbar, die Jahresend-Ralley ausfallen zu lassen; wie sollten die Bilanzen gerettet werden!? Auch ökologisch wär’s ein Desaster ohne systematische Glühweintassen-Legionellen-Züchtung, ein Artensterben sondersgleichen! Die Weihrauch-Produktion rasselte in den Keller, die Myrrhe-Nachfrage stagnierte, der Goldpreis fiele. Das wäre noch das Wenigste. Die Wälder wucherten ohne vorzeitige Abholzung die Zivilisation komplett zu. Dann säßen wir in Felle gekleidet wieder in rauchigen Hütten um den Julbock herum, die Feuergefahr wäre größer denn je.

Mein Fazit: Gegen Weihnachten ist kein Kraut gewachsen, das nicht sofort zu Kräuterlikör destilliert würde. Bleibt nur, sich mental wie antisentimental zu wappnen, eine gewisse Bescherungs-Resistenz zu entwickeln, sich mit Watte-Ohrstöpseln und christbaumkugelsicherer Weste zu immunisieren, mit Beatmungsgerät und Nasenklammer ausgerüstet auf der Straße einen Sturzhelm zu tragen, falls einen die aus Wut oder Panik stattfindende vorzeitige Baumentsorgung aus einer der oberen Etagen trifft, oder aber eben mit Freunden zu feiern, die man wirklich mag. Dann kann man getrost mit denen auch mal anstoßen, ohne anzuecken. Wir haben gegessen, getrunken, geraucht, entspannt geplaudert, ernsthaft diskutiert und uns dabei trotzdem nichts geschenkt, außer dem Zusammensein. So haben wir das gemacht bereits am Tag zuvor. Eine runde Sache war das in trauter Runde bis frühmorgens, als es längst hell geworden war, und siehe da, schon war das für manche so Unerträgliche erträglich. Da konnte geboren worden sein, wer wollte.

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Fotoquelle: Wikipedia

Attribution: Bundesarchiv, B 145 Bild-F038543-0006A / Mehmet, Sonal / CC-BY-SA

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