Von politisch bis populistisch
Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 29. Mai 2014
Eine Grille über Demokratie anlässlich der Europawahl 2014
Die Schnerkel
SCHLAGLOCH VON GEORG SEESSLEN
Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen“ kontert Angela Merkel mit „Mehr Freiheit wagen“. Die Folge ist mehr Nationalismus in Europa.
Wählt man eigentlich, um Demokratie als aktive politische Teilhabe zu fordern, zu fördern oder zu verteidigen? Oder wählt man, um jene Kräfte zu ermächtigen, die am nützlichsten für die eigene wirtschaftliche Verbesserung oder zumindest den Erhalt des Status erscheinen?
Was für eine Frage, hätte ein freundlicher Theoretiker in den fünfziger Jahren noch gesagt. Das eine ist doch ohne das andere nicht vorstellbar. Mit dem Siegeszug des Neoliberalismus, nicht nur als ein ökonomisches System von „Privatisierung“, „Deregulierung“ und „Globalisierung“, sondern auch als Denkweise, sieht die Sache allerdings schon anders aus. Hier gibt es nämlich zwei Arten von „Freiheit“: Die Demokratie versprach die Freiheit durch die Politik. Die Bürgerinnen und Bürger sollten durch Teilhabe durch Information, durch das aktive und passive Wahlrecht, durch rechtsstaatliche Instrumente der Kontrolle ihre Interessen durchsetzen und ihre Freiheit entfalten, möglichst in immer weiteren Bereichen des sozialen, politischen und kulturellen Lebens.
Das war das Programm von Willy Brandt, als er 1969 erklärte, man solle „mehr Demokratie“ wagen; die Geschichte der Demokratie sei erst am Anfang. 2005 griff Bundeskanzlerin Angela Merkel das Ideogramm wieder auf und sprach davon, „mehr Freiheit wagen“ zu wollen. Offensichtlich meinte sie genau das Gegenteil von dem, was Willy Brandt im Sinne hatte.
Freiheit Politik
Wie alle Adepten des Neoliberalismus versprach sie nicht Freiheit in der Politik und Freiheit durch Politik, sondern Freiheit von Politik. Der homo oeconomicus soll seine Fähigkeiten möglichst frei von Eingriff und „Gängelung“ durch Staat, Bürokratie und Europa entfalten. Eine „marktkonforme Demokratie“ ist das Projekt der Verschiebung der Freiheit von der Politik auf die Ökonomie, der Umwandlung von Politik in Anti-Politik.
Bis in die siebziger Jahre hinein glaubte man, der Kapitalismus habe seine zyklische Krisenproduktion überwunden. Doch mit den neuen Krisen kam auch der Widerspruch zurück: Um die notwendigen Korrekturen nach den jeweiligen Krisen durchzuführen, musste die Ökonomie verstärkt nach der Politik greifen und sie daran hindern, die Freiheit der Marktentfaltung zu reduzieren.
Dass die Politik selber zum Mittel wurde, den Märkten eine Freiheit von der Politik zu gewährleisten, führte natürlich dazu, dass die Freiheit durch Politik, also mehr als die punktuellen Berührungen durch Wahlen, ein Projekt der Demokratisierung des Lebens obsolet wurde. Da Bürgerinnen und Bürger zugleich auch „Marktteilnehmer“ waren, konnten sie auf diese Verschiebung der Freiheit kaum angemessen reagieren.
Mehr Freiheit wagen
Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen
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