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RENTENANGST

Von Meisen unterm Pony

Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 23. Mai 2020

Von Menschen, Meisen und Vollkornbrot

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Von Arno Franh

Wir sind ja alle nicht ganz dicht, aber gerade zeigt sich, bei wem es so richtig durchs Dach regnet. Ist die vegane Bioszene anfällig für Verschwörungstheorien?

Zu den heftigsten und zugleich hübschesten Zuschreibungen, zu denen meine Oma fähig war, gehörte die Einschätzung, jemand habe „eine Meise unterm Pony“. Die betreffende Person war demnach nicht ganz bei Sinnen, bei Trost, bei Verstand. Der Clou der Formulierung ist nicht die Meise, sondern der Pony – als Grund, warum man den Vogel oft nicht bemerkt.

Es ist das gute Recht der Bürgerinnen, gegen die virusbedingten Einschränkungen seitens der Bundesregierung zu protestieren. Nebenbei aber zeigt sich auf den „Hygienedemos“, wer noch Herr seiner Sinne ist – und wessen Privatquatsch gewissermaßen überläuft ins Öffentliche.

Auffällig sind hier nicht nur die rechten Trolle und deren „Follower“, Hooligans, AfD, ein laienhafter Journalistendarsteller, gemütskranke Schnulzensänger und andere, die gerne eine Welt brennen sehen wollen, in der sie keinen Platz haben. Auffällig sind auch Leute, von denen man das nicht erwartet.

Gemeint sind die „Guten“, wenn man so will. Unabhängige Geister. Ökos. Tierschützer und Anthroposophen. Kritiker von Globalisierung und Regierung. Jesus-Freaks, Anarchisten und ein paar Versprengte, die schon immer vor dem Mobilfunkstandard 5G gewarnt haben. Abonnentinnen der taz („Wo ist das kritische Hinterfragen? Wo ist die Aufklärung?“), enttäuscht von ihrem Blatt. Dissidenten. Veganer.

Leute unterschiedlichster Herkunft und Geisteshaltung also, die sich selbst zugutehalten, als „Querdenker“ aufrecht durchs Leben geschritten zu sein – und sich nun aufgefordert fühlen, mal so richtig auf den Putz zu hauen. Was früher richtig war, kann jetzt nicht falsch sein, nur weil da drüben Ken ­Jebsen steht. Und die Meise unterm Pony darf ausfliegen und tirilieren.

Meistens machen wir uns von den gigantischen Abmessungen und der ubiquitären Verbreitung menschlicher Dummheit keine Vorstellung. Wir alle pflegen unsere kleinen oder größeren Irrtümer. Meistens aber bleiben die Spinnereien und Grillen sozusagen unter der eigenen Schädeldecke. In Latenz.

Der Glaube an die eigene Bestimmung zum Großen, an eine jüdische Weltverschwörung, an tödliche Strahlungen, an die heilsame Wirkung von Globuli, an Echsenmenschen aus der Unterwelt und an ähnlichen Unfug mag tragisch sein, schadet aber nur dem Gläubigen. Privatsache.

In diesen eigenartigen Zeiten aber zeigt sich, wer noch „ganz dicht“ ist. Und bei wem es gewissermaßen durchs Dach regnet, wo der bisher latente Blödsinn auf aggressive Weise manifest wird. In den digitalen Durchlauferhitzern des Irrsinns, aber auch auf dem Münchner Marienplatz, dem Cannstatter Wasen in Stuttgart oder am Maschsee in Hannover.

Da wäre Attila Hildmann, Koch und Autor des Buchs „Vegan for Fun“. Der Mann mag Tiere und pflanzliches Essen. Privatsache. Er verabscheut die „Pharmamafia“, Bill Gates und die Bilderberger, das hängt alles irgendwie zusammen. Privatsache. Bisher.

Nun bringen ihn die Umstände dazu, seinen latenten Sojabohnenquark öffentlich auszubreiten. Er schreibt: „Sind meine und Theorien anderer korrekt dann werden wir von den dunkelsten Mächten regiert und am 15.5 Mai nach dem INKRAFTTRETEN der Gesetzesnovelle werden SIE ALLE IHRE MASKE ABNEHMEN und ihr wahres Gesicht zeigen!“

Jelenia G. Church ascending.JPG

Die Quarzsandhandschuhe angezogen hat auch Joseph Wilhelm, 66, Gründer und Geschäftsführer des Bioherstellers Rapunzel. Wilhelm hält Viren für „Bio“ und glaubt, Corona leiste einen „Beitrag zur Weiterentwicklung“ menschlicher „Anatomie und Psyche“. Geschenkt, dass das Unternehmen seinen Chef zurückpfeifen musste. Man verkauft schließlich das „Gute“, und zwar vornehmlich in Gewissensform. Braune Flecken stören das Geschäft.

Was passiert? In tänzerischer Überschreitung ihrer Kompetenzen überführen der Unternehmer und der Koch unbestrittene Einsichten in gesunde Nahrung und deren gesunde Zubereitung in intuitive bis esoterische Einsichten in das Große und Ganze. Hinzu kommt der habituelle Argwohn jedes Abweichlers, vom „System“ verschaukelt zu werden. Anstelle von Epidemiologen oder Virologen erklären uns auf einmal Landwirte und Gastronomen, was und wie es wirklich läuft – nämlich schief.

Let that sink in for a minute.

Gibt es wirklich keinen Zusammenhang? In der Welt wird bereits über einen klandestinen Konnex gemutmaßt: Veganer und Verschwörungstheoretiker: zwei Welten, die zusammenpassen. Ohne Fragezeichen.

Aufgeschreckt erkundigte sich die Informationsplattform der Szene (vegan.eu) bei den eigenen Mitgliedern. Die Ergebnisse: 84,7 Prozent der 3145 Befragten lehnen jede Verschwörungstheorie ab; 95,7 Prozent forderten obendrein eine „Distanzierung von rechtsgerichtetem Denken“, solches schade der „veganen Gemeinschaft“ (85,7 Prozent).

Die Anfälligkeit für Hokuspokus und Zinnober scheint in der Szene also wesentlich weniger ausgeprägt als im Bundesdurchschnitt, wo sie bei etwa 30 Prozent liegt.

Quelle          :            TAZ           >>>>>              weiterlesen

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Grafikquellen              :

Oben          —         Blaumeise.

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Unten        —          Ascension of Christ cellar painting in the Grace Church (Church of St. Cross) of Jelenia Góra (Hirschberg)

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