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Von Kabul nach Palma

Erstellt von DL-Redaktion am Dienstag 24. August 2021

Kabul ist angeblich überall

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Der Afrobeat von Dominic Johnson

Immer mehr Rebellen in Afrika bezeichnen sich als Ableger des „Islamischen Staats“. Die Antiterrorkriege führen zu ungewöhnlichen Konstellationen.

Die Islamisten hatten die Stadt überrannt, es gab Berichte über Morde und Brandschatzungen. Verzweifelt versuchten Tausende, auf das letzte sichere Gelände zu gelangen, wo sich die weißen Ausländer gesammelt hatten.

Das ist nicht Kabul in diesen Tagen, sondern das war Palma im März 2021. Die Stadt an der Küste des Indischen Ozeans in Mosambik fiel am 24. März an die islamistischen Shabaab-Rebellen, die große Teile von Mosambiks nördlichster Provinz Cabo Delgado an der Grenze zu Tansania unter ihre Kontrolle gebracht haben.

Der letzte sichere Ort war zuerst das Amarula-Hotel am Strand, wo unter anderem private Sicherheitskräfte und Ingenieure für die im Aufbau befindliche Flüssiggasanlage Afungi zehn Kilometer südlich einquartiert waren, und dann Afungi selbst. Tausende von Menschen suchten dort Einlass. Viele hatten sich in den Wäldern versteckt und erreichten die Zuflucht erst nach tagelangen Fußmärschen, die manche nicht überlebten. Die Evakuierungen übernahmen schließlich private und staatliche Elitekämpfer aus verschiedenen Ländern mit Hubschraubern und Booten.

Internationale Aufmerksamkeit erregte das Drama von Palma kaum. Hier war schließlich keine internationale Militärintervention zuvor gescheitert. Der Bürgerkrieg in Mosambik mit Tausenden Toten und Hunderttausenden Flüchtlingen spielt sich fern von der Weltöffentlichkeit ab – obwohl die Rebellen dort als Teil des globalen „Islamischen Staats“ (IS) gelten und ihr Krieg für Afrikas größtes neues Erdgasprojekt das vorläufige Aus bedeutet.

Massaker an Zivilisten

Mosambiks Shabaab-Rebellen als IS-Ableger zu listen war am 10. März eine der ersten afrikapolitischen Entscheidungen des neuen US-Präsidenten Joe Biden. Ebenso als Teil des IS gelistet wurde damals die Rebellenarmee ADF (Allied Democratic Forces) in der Demokratischen Republik Kongo, der Tausende von Menschen zum Opfer gefallen sind. Bereits dem IS zugerechnet werden Somalias Shabaab-Islamisten, Boko Haram in Nigeria und der „Islamische Staat in der Großen Sahara“, die radikalste der islamistischen Untergrundarmeen des Sahel.

So gibt es nun in jeder Region Afrikas reale oder angebliche IS-Ableger. Die Kriege, die sie führen und die gegen sie geführt werden, sind brutal. Massaker an Zivilisten mit zweistelligen Todeszahlen sind Routineereignisse. Aber sie machen kaum jenseits der betroffenen Länder Schlagzeilen, manchmal nicht einmal mehr dort.

Dafür aber sind Afrikas Antiterrorkriege zum Tummelplatz für Militärinterventionen in ungewöhnlichen Konstellationen geworden sowie zum Exerzierfeld für neue Formen der Kriegsführung. In der Sahelzone treibt Frankreich mit der multinationalen Eingreiftruppe G5-Sahel die Integration afrikanischer Armeen unter einem gemeinsamem Kommando voran und baut Afrikas erste europäische Spezialkräftemission auf.

In Somalia perfektionierten die USA die Eliminierung von Dschihadisten per Drohne, und die Afrikanische Union setzt dort ihre erste multinationale Eingreiftruppe ein. Im Kongo wird der Kampf gegen Rebellen mit der Militarisierung des Schutzes von Nationalparks verknüpft, wo solche Gruppen sich gern aufhalten. In Mosambik hat das ferne Ruanda in den letzten Wochen mit einer bilateralen Militärintervention die von den Shabaab-Islamisten gehaltenen Städte im Norden des Landes zurückerobert.

Militärinterventionen geraten aus der Mode

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Direktes Eingreifen von außerhalb Afrikas, wie es Frankreich noch im Sahel betreibt, gerät aus der Mode. Überall stützt man den Aufbau von Spezialkräften, zu denen sich nichtstaatliche Sicherheitsunternehmen gesellen: vor allem, damit nicht stattdessen Russland mit seinen berüchtigten Wagner-Söldnern als Erstes den Fuß in die Tür setzt, wie bereits in der Zentralafrikanischen Republik.

Aber wie sinnvoll ist es, all diese Konflikte über den islamistischen Kamm zu scheren? Eine bewaffnete Rebellion als IS abzustempeln nützt vor allem der jeweiligen Regierung. Sie bekommt dann jede Militärhilfe, um die sie bittet; die unangenehme Frage, ob man mit den Rebellen reden sollte, statt sie einfach zu töten, stellt niemand mehr. Lokale Konfliktfaktoren kann man ignorieren, Aufständische sind Freiwild. Aber wenn man genauer hinguckt, sind gerade die beiden neuesten IS-Klassifizierungen fragwürdig.

Quelle         :       TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

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