Von Corona Folgen
Erstellt von Redaktion am Mittwoch 16. März 2022
Freedom Day oder nicht, Long Covid ist ein ernstes Problem
Eine Kolumne von Margarete Stokowski
Bald fallen die Corona Maßnahmen, noch mehr Menschen werden sich infizieren und Long Covid bekommen. Aus eigener Erfahrung warnt unsere Kolumnistin: Das wollen Sie auf keinen Fall.
Nur noch fünfmal schlafen bis Freedom Day! Oder für alle, die Long Covid haben: noch fünfmal schlafen und ungefähr 15-mal hinlegen und an die Decke starren. Apropos liegen, ich weiß, ich liege Ihnen jetzt seit zwei Jahren in den Ohren damit, wie falsch ich die deutsche Coronapolitik finde. Zu kurzsichtig, zu sehr am Wohlergehen der sogenannten Wirtschaft interessiert und zu wenig an Kindern, Alten, Armen, Kranken, Frauen, Obdachlosen, Toten, medizinischem Personal, Sie wissen schon.
Aber wissen Sie, was mich außerdem fertig macht? Dass in all den politischen Entscheidungen, die jetzt getroffen werden, wider besseres Wissen die Tatsache überhaupt keine Rolle spielt, dass so viele Leute nach einer Infektion oft noch sehr lange unter Long Covid oder Post Covid leiden.
10 bis 15 Prozent der Menschen, die sich infizieren, leiden nach der akuten Infektion unter Long Covid, manchmal ein paar Monate, manchmal wesentlich länger. 10 bis 15 Prozent klingt erst mal nicht viel, aber 10 bis 15 Prozent von über 17 Millionen Infektionen (in Deutschland) sind leider insgesamt doch viel. Auf einer Infoseite des Gesundheitsministeriums heißt es: »Die einzige Möglichkeit, um sich vor Long-COVID zu schützen, besteht darin, eine Infektion mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 zu vermeiden.« Sie wissen es. Und sie nehmen es in Kauf.
Long Covid ist eine Krankheit, die bisher zu wenig erforscht ist, weil es sie noch nicht allzu lange gibt, einerseits. Andererseits hat Long Covid große Ähnlichkeiten mit ME/CFS, auch als »chronisches Fatigue-Syndrom« bekannt, wobei »Fatigue« für viele Leute einfach so klingt, als wär man dann ein bisschen müde, obwohl Leute mit dieser Krankheit oft schwerbehindert sind. ME/CFS gibt es schon länger, und Leute, die darunter leiden, fordern seit Jahren mehr Forschung dazu. Aber vor allem: Auch wenn – oder: gerade weil – man noch nicht viel über Long Covid weiß, weiß man doch genug, um sagen zu können, dass die Idee, eine Infektion sei etwas, das man eigentlich ganz gut wegstecken kann, wenn man halbwegs gesund und dreimal geimpft ist, nicht ganz hinhaut, gelinde gesagt.
Ich war halbwegs gesund und dreimal geimpft und habe jetzt Long Covid. Und aus den Gesprächen, die ich in den letzten Wochen geführt habe, kann ich Ihnen berichten, dass es im Großen und Ganzen zwei Gruppen gibt: Leute, die selbst Long Covid haben oder jemanden kennen, der es hat, und solche, die die Sache nicht ernst nehmen. Und in der zweiten Gruppe sind leider auch einige Ärztinnen und Ärzte.
Auch wenn Ärztinnen und Ärzte bisweilen nicht viel tun können, wäre es das Mindeste, die Leute gründlich zu untersuchen. Die erste Ärztin, bei der ich war, fand, das sei bei mir nicht nötig, so eine Infektion könne halt auch mal sechs Wochen dauern, ich solle halt genug Wasser trinken und Schmerztabletten nehmen. Ich war dann noch mal bei einem anderen Arzt, der mich ausführlich untersucht hat. Die Long-Covid-Kliniken und -Sprechstunden sind derweil so ausgelastet, dass man bei vielen überhaupt erst einen Termin bekommt, wenn man seit sechs Monaten krank ist. Sechs Monate, in denen man unter Umständen arbeitsunfähig ist, so viel zum Thema »Aber die Wirtschaft!«. Der Wirtschaft tut es auch nicht gut, wenn Hunderttausende im Alter von 20 bis 50 zu Long-Covid-Zombies werden. »Je länger die Patienten mit diesen Symptomen sich plagen, desto eher ist die Chronifizierungsgefahr gegeben und desto schwerer sind diese Menschen dann auch wieder in ihren Alltag und ihren Beruf einzugliedern«, hat die Ärztin und Long-Covid-Expertin Jördis Frommhold auf der Bundespressekonferenz neulich erklärt. Heißt: Je öfter man sich überanstrengt, je öfter man sogenannte Crashes (Zusammenbrüche) hat, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Sache chronisch wird.
Dass es besonders oft Frauen sind, die unter Long Covid leiden, macht die Sache nicht einfacher. Sobald Frauen über 40 sind und von Long-Covid-Symptomen berichten, können sie damit rechnen, dass ihnen erklärt wird, dass das vielleicht einfach nur die Wechseljahre sind. Dummerchen!
Es sind Ärztinnen und Ärzte, aber oft auch andere Leute, die die Sache völlig unterschätzen und Sachen sagen wie: »Oh Mann, ja, ich bin auch oft müde, aber so ein kleiner Mittagsschlaf wirkt Wunder«. Gern auch irgendwas mit »psychosomatisch«, wobei das in dem Fall synonym verwendet wird mit »Das denkst du dir aus« oder »Jammer nicht«. Oder: »Wahrscheinlich hast du nur Eisenmangel« / »Sind wir nicht alle erschöpft nach zwei Jahren Pandemie und jetzt ist auch noch Krieg…?« / »Also, ich fahre täglich Fahrrad und meine Infektion war nach drei Tagen vorbei!« – Ja, super, meine halt nicht.
Long Covid ist so wenig Müdigkeit, wie Depression einfach nur schlechte Laune ist.
Falls es Sie interessiert: Ich habe jetzt seit knapp zwei Monaten täglich Kopfschmerzen und bin von jeder Kleinigkeit erschöpft, ich habe immer wieder Schwächeanfälle für mehrere Stunden und dazu ein fiebriges Kribbeln, null Hunger oder Appetit, mein Gehirn funktioniert nicht richtig (Vergesslichkeit, Konzentrations-, Wortfindungsstörungen), und ich schlafe oft 14 Stunden und bin danach absolut nicht erholt, sondern genauso kaputt wie am Tag davor, und nein, Kaffee hilft da nicht und grüner Tee auch nicht.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Coronavirus-Pandemie 2019/20 in Busan
Busan Metropolitan City – http://www.busan.go.kr/pr/photobodo/1426353
- KOGL Typ 1
- Datei:20200322 코로나19 타시도 확진자 이송(부산의료원) 01.jpg
- Erstellt: 22. März 2020
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Unten — Margarete Stokowski (2018)
Harald Krichel – Eigenes Werk
Margarete Stokowski at Frankfurt Bookfair 2018
- CC BY-SA 4.0Die Persönlichkeitsrechte der abgebildeten Person(en) beschränken bestimmte Weiterverwendungen des Bildes ohne dessen/deren vorherige Zustimmung.
- File:Margarete Stokowski-0672.jpg
- Erstellt: 13. Oktober 2018
Erstellt am Mittwoch 16. März 2022 um 12:09 und abgelegt unter Berlin, Feuilleton, Gesundheitspolitik, Mensch. Kommentare zu diesen Eintrag im RSS 2.0 Feed. Sie können zum Ende springen und ein Kommentar hinterlassen. Pingen ist im Augenblick nicht erlaubt.