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Vom Holocaustgedenktag

Erstellt von DL-Redaktion am Freitag 27. Januar 2023

Die Aufarbeitung kommt spät

Ein Debattenbeitrag von Litz van Dijk

Zum ersten Mal bekommen queere Opfer der Naziverfolgung beim Gedenken im Bundestag Aufmerksamkeit. Überlebende gibt es heute nicht mehr.

In der Gedenkstunde im Bundestag an die Opfer des Nationalsozialismus, die zuerst 1996 unter Bundespräsident Roman Herzog stattfand, wurden von Anfang an auch Homosexuelle in einer Aufzählung der Opfergruppen erwähnt. Eine eigene Aufmerksamkeit wurde sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten bislang indes verweigert.

Der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ließ im Januar 2019 mitteilen, er stehe „der Aufteilung des Gedenkens in einzelne Opfergruppen […] aus grundsätzlichen Erwägungen skeptisch gegenüber“. Tatsächlich gab es bereits eigene Gedenkstunden für Zwangsarbeiter*innen, behinderte Menschen, Roma und Sinti.

Hoffnung auf ein besonderes Gedenken kam erst mit dem Regierungswechsel in Berlin auf. Bereits im November 2021 schrieb die neue Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, dass unser Anliegen „besondere Berücksichtigung finden“ würde und bestätigte dies im Juni 2022. Ein respektvoller Dialog begann, wobei es auch in unserem Interesse war, dass dies eine offizielle Veranstaltung des Bundestags bleiben würde mit Anwesenheitspflicht für alle Abgeordneten.

Da es heute keine Überlebenden mehr gibt, die selbst hätten berichten können, entstand die Idee, die Geschichten zweier Opfer vorlesen zu lassen, wofür die offen lesbische Kabarettistin Maren Kroymann und der offen schwule Schauspieler Jannik Schümann gewonnen werden konnten. Beide stehen auch für unterschiedliche Generationen. Bei Mary Pünjer (1904–1942) wird deutlich, dass auch lesbische Frauen in der NS-Zeit verfolgt wurden, auch wenn es keinen eigenen Strafparagrafen gegen sie gab.

Zweimal vom gleichen Richter verurteilt

Mary Pünjer wurde als „Asoziale“ verhaftet und ins Konzentrationslager Ravensbrück gebracht, obwohl sie auch als Jüdin hätte deportiert werden können. Dem KZ-Arzt Friedrich Mennecke war es jedoch wichtig, ihre „Unheilbarkeit“ als „Lesbierin“ als Grund anzugeben, um sie in der „Heil- und Pflegeanstalt Bernburg“ vergasen zu lassen. Gleichwohl liegen keine eigenen Aussagen von Mary Pünjer über ihr Lesbischsein vor.

Karl Gorath (1912–2003) wird 1934 im Alter von 22 Jahren nach Paragraf 175 verurteilt. Eine erneute Verhaftung vier Jahre später führt zuerst zu einer Zuchthausstrafe und anschließend, weil er als „Wiederholungstäter“ galt, ins KZ Neuengamme. Von dort aus wird er 1943 nach Auschwitz deportiert und überlebt die NS-Zeit nur knapp. Unfassbarerweise wird er bereits 1947 erneut vom gleichen Richter verurteilt, der ihn schon während der NS-Zeit schuldig gesprochen hatte.

1989, im Alter von 77 Jahren, fährt Karl Gorath mit uns, einer offen schwulen Gruppe aus Norddeutschland, ins „Staatliche Museum Auschwitz“, um vor allem herauszufinden, ob seine beiden jungen polnischen Liebhaber und Mitgefangenen überlebt hatten. Die offiziellen Stellen lassen ihn damals glauben, dass sie umgekommen waren, obwohl einer der beiden bis 1989 sogar noch Führungen in Auschwitz leitete.

Der 27. Januar ist auch eine Erinnerung an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die sowjetrussische Armee 1945. 2005 haben die Vereinten Nationen dieses Datum zum „Internationalen Holocaust-Gedenktag“ erklärt. Obwohl die Gedenkstunde im Bundestag an alle Opfer des Nazi-Terrors erinnern möchte, bleibt dieser Zusammenhang bedeutsam.

Paragraf 175 galt bis 1994

Von Anfang an war es ein Anliegen unserer Petition, weit über unsere Gruppe der „Betroffenen“ hinaus um Unterstützung zu werben. So gehörten auch mehrere Holocaust-Überlebende zu unseren Unterzeichner*innen, wie Ruth Weiss (*1924) und auch Rozette Kats (*1942), die als kleines Kind bei einem niederländischen Ehepaar überlebte, bei dem ihre Eltern sie vor ihrer Deportation nach Auschwitz zurückgelassen hatten.

Rozette Kats wird gleich im Anschluss an Bundestagspräsidentin Bas als Erste reden, auch um deutlich zu machen, dass ein Verstecken der eigenen Identität immer schrecklich ist. Zweifellos können in 60 Minuten nicht alle wichtigen Aspekte dargestellt werden. Jedoch erstmals seit 1996 wird durch den abschließenden Beitrag von Klaus Schirdewahn (*1947), der 1964 als 17-Jähriger nach Paragraf 175 verhaftet worden war, deutlich, wie die Verfolgung einer Opfergruppe auch nach Kriegsende andauerte.

Quelle        :          TAZ-online       >>>>>         weiterlesen 

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Grafikquellen          :

Oben        —   January 27 2012, Holocaust Remembrance Day. 100 years ago, Raoul Wallenberg was born. Memorial Ceremony at the Raoul Wallenberg Square in Stockholm with Holocaust survivors. Mr Eskil Franck, Director of the Living History Forum, Kofi Annan and Per Westerberg. Participants: Crown Princess Victoria and Prince Daniel, Nina Lagergren, Georg Klein and Hédi Fried, among others.

Ein Kommentar zu “Vom Holocaustgedenktag”

  1. Jimmy Bulanik sagt:

    Das Gedenken ist mit dem Sensibilisieren gleichzusetzen. Die Geschichte wird sich wiederholen, sofern insbesondere die jüngeren Menschen sich nicht für die Errungenschaften durch die Geschichte interessieren. Wie die Hintergründe der Entstehung einer sozialen Marktwirtschaft in Deutschland beispielsweise. Die Europäische Union ist und bleibt unsere Schicksalsgemeinschaft. Sie muss weiter progressiv gestaltet werden, um sich als ebensolches zu entwickeln. Wer weiß in welchem Jahr welches Land wie zum Beispiel Dänemark, Schweden den Euro als gesetzliches Zahlungsmittel akzeptieren werden wird. Die jüngeren Menschen in dem Vereinigten Königreich muss die Tür zum dritten Antrag zur Aufnahme in die EU offen bleiben. Auch wird die Anzahl der Mitgliedsstaaten sich erhöhen. Wie um die Ukraine, Bosnien-Herzegowina, Albanien beispielsweise. Wer weiß wann die EU die Türkei darum bitten werden wird, der EU und der Eurozone beizutreten. Um den Frieden zu sichern.

    Die Nationalen haben bereits mehr als genug Schuld und Schande verursacht. Ein weiteres Mal wird es nicht geben.

    Der Internationalismus bleibt Trumpf!

    Jimmy Bulanik

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