DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Vertrieben aus Afghanistan

Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 3. Februar 2022

Flucht über den Khyberpass

KhyberPassPakistan.jpg

Aus Torkham von Kathrin Braun

Bilal Khan hat früher Touristen durch Pakistan kutschiert. Jetzt holt er mit Vanessa Juercke von der „Kabul Luftbrücke“ Menschen an der Grenze ab.

Manchmal vergisst Bilal Khan kurz, dass er auf einer besonderen Mission unterwegs ist. „Das hier ist der berühmte Khyberpass“, sagt der Pakistaner und lächelt. Khan, 57, sitzt in einem zehn Jahre alten weißen Toyota-Reisebus und blickt aus dem Fenster. Er zeigt auf Hütten aus Ziegelstein, versteckt zwischen den roten Gipfeln des pakistanischen Safed-Koh-Gebirges.

Khan erzählt von Heroinschmugglern, die dort Drogen gegen Waffen tauschen. Eigentlich betreibt er ein Reiseunternehmen – und führt Backpacker durch den Basar in Rawalpindi oder picknickt mit ihnen am Khanpur-See. Dieses Mal ruckelt der Reisebus aber in Richtung Afghanistan.

Seit die Taliban in Afghanistan an der Macht sind, kommen Khans Aufträge hauptsächlich von westlichen Hilfsorganisationen: Seit letztem Sommer kümmert er sich nicht mehr um Touristen, sondern um Afghanen, die sich vor der regierenden Terrorgruppe nach Pakistan retten. Diesmal ist er im Auftrag der deutschen Zivilorganisation „Kabul Luftbrücke“ unterwegs.

Mit dabei ist Vanessa Juercke, 29, eine Berliner Aktivistin. Sie vertritt die Organisation in Pakistan. Die „Kabul Luftbrücke“ hat in den letzten Monaten mehr als 1.400 Menschen aus Afghanistan evakuiert. Die meisten sind über Torkham nach Pakistan geflohen: ein Dorf an der Grenze zu Afghanistan. Auch heute fahren Khan und Juercke nach Torkham, um eine Gruppe Afghanen am Grenzübergang abzuholen.

Umgekippte Laster an der Straße Richtung Grenze

Nur etwas mehr als 50 Kilometer liegen zwischen der pakistanischen Millionenstadt Peschawar und Torkham. Trotzdem braucht der Bus gut anderthalb Stunden, um die Strecke zurückzulegen. Der fast 1.100 Meter hoch gelegene Weg hat scharfe Kurven, an manchen Stellen blockieren umgekippte Laster die Straße.

Morgens ist es frisch im Westen Pakistans. Khan trägt eine braune Fleecejacke über seiner grauen Kurta, auf dem Kopf sitzt ein Pakol, eine traditionell pakistanische Wollmütze. „Diese Strecke fahre ich mittlerweile zweimal die Woche“, sagt er. Khan hat ein Frühstück dabei, verpackt in Styroporboxen. Er und Juercke tunken Chapati, ein pakistanisches Brot, in Kichererbsen-Curry. „Hättest du dir vor ein paar Tagen in Deutschland vorstellen können, dass wir heute in einem Bus über den Khyberpass fahren, vorbei an Drogenschmugglern – und dabei frühstücken?“, fragt er sie. Juercke lacht. Hätte sie nicht.

Immer wieder fährt der Bus an knallbunt bemalten Lastern vorbei. Die rollenden Kunstwerke sind Tradition in Pakistan. Andere Autos sind im Land der Paschtunen kaum zu sehen. „Das ist eine andere Welt. In den Bergen leben zum Teil Menschen, die ihren Stamm noch nie verlassen haben“, sagt Khan. „In diesen Bergregionen gibt es auch keine Straßen. Man kommt nur zu Fuß oder per Maultier dorthin.“

Am Horizont ragen die Minarette einer Moschee hervor. „Siehst du die goldenen Turmspitzen?“, fragt Khan. „Die Moschee steht in Afghanistan. Wir sind jetzt da.

Torkham besteht aus Parkplätzen, einer Straße, ein paar bröckelnden Ziegelbauten – und der Grenzanlage. Als Juercke und Khan aus dem Reisebus steigen, drehen sich viele Köpfe um. „Können wir ein Selfie machen?“, fragt ein Pakistaner Juercke. Hier ist man keine Frauen in Jeans gewohnt. Erst recht nicht mit rotblonden Haaren und Piercing in der Nase.

Auf der Straße vor der Grenzanlage schiebt ein Mann eine ältere Frau im Rollstuhl durch die Massen an Taxifahrern, gleichzeitig zieht er einen Koffer hinter sich her. „Islamabad“, „Rawalpindi“, „Peschawar“, brüllen die Taxifahrer. Sie sehen in der Ankunft der Ankommenden ein Geschäft, genauso wie die pakistanischen Geldwechsler ein paar Meter weiter. Immer wieder schlurfen Afghanen mit Gepäckwagen an ihren Straßenständen vorbei – kleine Vitrinen, in denen sich Notenbündel stapeln. Eine junge Frau tritt aus der Grenzanlage auf die Straße und nimmt ihren Gesichtsschleier ab.

Ein Stacheldrahtgeflecht erwartet die Flüchtlinge

Die Grenzanlage ist ein Hunderte Meter langes Stacheldrahtgeflecht – sie besteht aus sogenannten Tubes, gut zwei Meter breite, eingezäunte Gänge mit dunkelgrünen Dächern. Etwa 3.000 bis 4.000 Afghanen quetschen sich jeden Tag da hindurch, sagt ein Mann des pakistanischen Militärs. Staus entstünden vor allem am Checkpoint der Taliban. Geflüchtete berichten immer wieder, dass die Taliban dort in die Menschenmengen schlagen, um das Chaos zu bändigen. Auf der pakistanischen Seite seien hingegen alle Abläufe perfekt organisiert, sagt der Soldat. „Jeder Einzelne wird auf Corona getestet und sogar geimpft“, sagt er. „Und wer kein gültiges Visum hat, wird zurückgeschickt.“

Zehn Afghanen stehen an diesem Tag auf der Evakuierungsliste der „Kabul Luftbrücke“ – unter ihnen Ortskräfte der Bundeswehr, Frauenrechtlerinnen, Mitarbeiter der afghanischen Regierung. Menschen, die von der deutschen Regierung Aufnahmezusagen bekommen haben. Juercke und Khan bringen sie und ihre Familien in Pakistans Hauptstadt Islamabad in verschiedenen Hotels unter, bis sie ein Visum für Deutschland bekommen. Der jüngste Passagier heißt Ayhan, er ist zwei Jahre alt.

Datei:Khyberpass KPK, Pakistan.jpg

Als die beiden Helfer die Grenze um neun Uhr morgens erreichen, warten die Familien auf der afghanischen Seite schon seit zwei Stunden auf Durchlass. Juercke verfolgt auf Whatsapp ihren Live-Standort. „Sie sind nur noch 400 Meter entfernt“, sagt sie. Dann die Ernüchterung. Es könnte noch bis zum nächsten Morgen dauern, bis sie da sind, sagt der Soldat. Die Grenze schließt täglich um 19 Uhr – wer es dann nicht durch den letzten Checkpoint geschafft hat, muss zurück nach Afghanistan und sich ab fünf Uhr morgens wieder anstellen.

Auf den Mauern über den Stacheldrahtzäunen stehen junge Männer und winken. Ein Mann mit weißem Vollbart bietet an, Schuhe für umgerechnet 20 Cent zu putzen. Neben ihm zerhackt ein Imbissbesitzer Kalbsfleisch auf einem Holzbrett. Der Soldat flirtet ein wenig mit der Berlinerin. Woher sie kommt, möchte er wissen. „Deutschland ist ein wunderschönes Land“, schwärmt er auf Englisch und zwinkert. Dann bringt ein junger Mann mit grüner Warnweste eine Plastikbank. Sie solle doch lieber setzen, solange sie auf die afghanischen Familien wartet.

Quelle        :        TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben       —     Aufgenommen an der Stelle, an der der Khyber-Pass beginnt, hoch in die Berge in Richtung Afghanistan zu steigen; der Blick auf die pakistanische Seite

Kommentar schreiben

XHTML: Sie können diese Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>