Vermitteln, nicht einmischen
Erstellt von DL-Redaktion am Freitag 3. März 2023
Die Ukraine ist wichtiges Transitland der Seidenstraße
Ein Debattenbeitrag von Nora Sausmikat
Chinas lange erwartete „Friedensstrategie“ für den Ukrainekrieg ist zugleich eine Umformung der UN-Charta nach chinesischem Verständnis.
Am 24. Februar, dem Jahrestag des russischen Einmarsches in die Ukraine, veröffentlichte das Außenministerium der VR China ein Zwölf-Punkte-Papier zu Chinas Position in diesem Aggressionskrieg. Noch kurz nach Beginn der Invasion gab es international die Hoffnung, China könnte seinen Einfluss auf Russland entscheidend für Vermittlungen und Frieden nutzen.
Denn China gilt als Russlands wichtigster Verbündeter. Der Aggressionskrieg gegen die Ukraine ist auch Zeichen eines offenen Kampfes der politischen Systeme. Schon kurz nach dem russischen Überfall bat der ukrainische Botschafter in Japan China um ein Einlenken.
Seit 12 Monaten also wartet die Welt auf Chinas Friedensinitiative – nun erscheint dieses Zwölf-Punkte-Papier.
Was es nicht ist? Es ist keine klare Position des offiziellen Chinas zu dem Aggressionskrieg. Es ist weder eine eindeutige prorussische Stellungnahme noch ein klares „Machtwort“ in Richtung Russland, den Angriffskrieg zu stoppen.
Was es ist? Es ist ein diplomatisches Symbol für die Weltbühne, welches die Zutaten internationaler Diplomatie im chinesischen Sinne auslegt und für die Kriegssituation mit neuer Bedeutung füllt.
China verteidigt seit Langem das Konzept der staatlichen Souveränität, sprich das Recht souveräner Staaten, frei von ausländischer Einmischung zu sein. Dies sei der „Garant für Frieden, Sicherheit und Wohlstand“. Dieses Verständnis „staatlicher Souveränität“ geht jedoch weit über die in der UN-Charta enthaltenen entsprechenden Verbote der unerlaubten Gewaltanwendung und Bewaffnung oder Finanzierung von Rebellenbewegungen hinaus. Für China ist dieser Grundsatz des Völkerrechts gleichbedeutend mit „Nichteinmischung“. Denn China bezeichnet bereits bloße Kommentare zu seiner Innenpolitik – ganz zu schweigen von Kritik an seiner Menschenrechtsbilanz – routinemäßig als eine unzulässige Form der „Einmischung“ in seine staatliche Souveränität. Diese Haltung versucht China auf der Weltbühne der Diplomatie zu etablieren. Das ist höchst gefährlich, speziell wenn es um Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere völkerrechtliche Vergehen geht – wie derzeit von Russland in der Ukraine begangen. Eine geschlossene internationale Reaktion auf von Russland begangene Gräueltaten in der Ukraine, die laut Völkerrecht eindeutig gegeben sind, wird so auch seit einem Jahr durch prorussische chinesische Haltung verhindert.
Das Zwölf-Punkte Papier ist eine aus chinesischer Sicht logische Konsequenz der seit 10 Jahren massiv vorgenommenen Umformung universeller Spielregeln auf nationale Befindlichkeiten. Beispiel Menschenrechte: Die Betonung der staatlichen Souveränität, der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten und des Rechts auf wirtschaftliche Entwicklung als ein über allen anderen Rechten stehendes Menschenrecht droht das gesamte internationale Menschenrechtssystem sowie Normen zu Transparenz und Rechenschaftspflicht zu schwächen. Die Idee von universellen Menschenrechten, die über die nationale Souveränität hinausgehen und die internationale Gemeinschaft als Ganzes betreffen, lehnt China ab.
Im Zwölf-Punkte Papier betont China die Bedeutung der territorialen Souveränität aller Länder. Ein kleiner Unterschied zur staatlichen Souveränität mit großen Folgen. Dies kann heißen, dass dies eine Anerkennung russisch annektierter Gebiete als russisch nach sich zieht. Letztlich können hier auch Rahmenbedingungen geschaffen werden, die die Änderung des Status Taiwans nach sich ziehen. Es kann aber auch heißen – dies ist eher unwahrscheinlich –, dass China den Einmarsch in ein souveränes Land wie die Ukraine am Ende doch noch verurteilt.
Was das Zwölf-Punkte Papier auch ist: ein Angebot Chinas als Vermittler, ein Aufruf zu Dialog und Kompromissen – unter den Prämissen eines umgedeuteten Völkerrechts. China spricht sich für einen Waffenstillstand und die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen aus.
Die zwölf Punkte spiegeln darüber hinaus pragmatische Interessen Chinas wider: Lieferketten sollen wieder sicher funktionieren, der eurasische Kontinent muss dafür stabil gehalten werden, und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen soll die Sanktionen gegen Russland stoppen. Dialog und Verhandlungen seien die einzige Lösung, nicht Sanktionen. Es darf nicht vergessen werden: Die Ukraine ist wichtiges Transitland der Seidenstraße und wichtiger Militär- und Getreidelieferant Chinas. Konkret benennt Punkt 9 des Zwölf-Punkte Plans die Getreide-Schwarzmeer-Initiative, die es gelte fortzusetzen.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Übersicht der wichtigsten Projekte, die im Rahmen der Belt and Road-Initiative vorangetrieben werden und wurden. Quelle: Infrastrukturatlas 2020, Urheber: Appenzeller/Hecher/Sack, Lizenz: CC BY 4.0[102]