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Die Rasterfahndung

Erstellt von Redaktion am Sonntag 23. Dezember 2018

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Eine Kolumne von

Ein Nachruf auf Horst Herold, den verstorbenen ehemaligen BKA-Präsidenten und Erfinder der Rasterfahndung. Und ein Vor-Ruf auf das, was ihm folgt.

Erinnerung

Am 14. Dezember 2018 ist Dr. Horst Herold gestorben, der von 1971 bis 1981 Präsident des Bundeskriminalamts war. Er wurde 95 Jahre alt. Man nannte ihn den „letzten Gefangenen der RAF“, weil er unter einem rigiden Personenschutz auch dann noch lebte (und vielleicht litt), als der größenwahnsinnige Krieg der stellvertretend für die Unterdrückten dieser Erde mordenden Metropolen-Guerilla längst im Elend von Geheimdiensten, Lügen und Sinnentleerung erstickt war und die Reste der sogenannten Studentenbewegung (auch Herold war übrigens SDS-Mitglied) sich in die ökologisch-feministische Selbstoptimierung verabschiedet hatten. Der traurige Rest der Avantgarde-Generale ließ sich im Knast die Zähne sanieren, schrieb Autobiografien oder schulte zur Kindergärtnerin um; die Anwälte des Schreckens wurden Minister oder Strafverteidiger für Wirtschaftskriminalität.

Schon die heute 50-Jährigen haben keine Ahnung mehr, wie es damals war, als 1970/71 der (nach innen) „wehrhafte Staat“ erfunden wurde und die öffentliche Großfahndung, als Abschusslisten-Plakate und Straßensperren die Vorstellung des Nachkriegs-Mittelstands vom ewigen kollektiven Aufwärts und die der verstörten Kinder-Generation vom ewigen individuellen Erst-Recht zerstörten. Herr Böll, Herr Fassbinder und Frau von Trotta waren verstört, Willy Brandt sorgte für Ruhe beim DGB und ideologische Reinheit bei den Grundschullehrern, und wer immer sich seines Überlebens in den öffentlich-rechtlichen Medien halbwegs sicher sein wollte, legte sich eine zweiminütige Litanei des „Abscheus“ zu. Das klingt sarkastisch und ist so gemeint. Nachrufe auf Horst Herold klingen gelegentlich, als sei er ein Wyatt Earp der Bonner Republik gewesen, ein Held in einem Krieg, der bloß Anfang eines immerwährenden Ringens sei. Das trifft so wenig zu wie die Behauptung, Vietnam sei wie Syrien, Bin Laden wie Arafat oder Trump wie Johnson.

Raster

Untrennbar ist der Name von Horst Herold mit dem Begriff der „Rasterfahndung“ verbunden. Diese von ihm bzw. unter seiner Leitung „erfundene“ Methode des Suchens unbekannter Personen in einer großen Zahl Unverdächtiger ist heute als präventiv-polizeiliche Maßnahme in allen Polizeigesetzen der Länder, als Strafverfolgungsmaßnahme in §§ 98a bis 98c StPO gesetzlich geregelt. Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen versucht, die Anwendung unter dem Gesichtspunkt der Grenzen der Verhältnismäßigkeit zu begrenzen. Auch das Gesetz schreibt vor, dass die Methode nur angewandt werden darf, wenn die Aufklärung von „erheblichen“ Straftaten auf andere Weise „erheblich“ weniger erfolgversprechend wäre. Extrem präzise Voraussetzungen also.

Was ein „Raster“ ist, wussten auch schon Sherlock Holmes und Hercule Poirot: Wenn der Mörder eine Fußspur Größe 49 sowie ein Spitzentaschentuch mit Lavendelduft am Tatort hinterlassen hatte, befragte man die örtlichen Schuhmacher und Parfümerien, schrieb die Auskünfte in ein kleines Notizbuch und brachte anschließend beide Listen mit der Lupe zusammen.

Bundesarchiv B 145 Bild-F065084-0021, Bonn, Pressekonferenz der Grünen, Bundestagswahl.jpg

Ähnlich machen es die „Tatort“-Kommissare, die jeden, der ihnen über den Weg läuft, fragen, wo er zur Tatzeit gewesen sei. Dann sagt die gefragte Person: Wollen Sie mich verdächtigen?, worauf der Kommissar stets antwortet: Reine Routine. Sodann fragt der Assistent 27 Autowerkstätten, ob zufällig ein Ferrari mit defektem Rücklicht vorbeigekommen sei, und schon sind aus fünfzehn Alibi-losen und vier kaputten Ferraris zwei Hauptverdächtige herausgefiltert, die alsdann „ins Präsidium“ befohlen und so lange vollquatscht werden, bis einer vor lauter Sehnsucht nach einem guten Freund alles gesteht und die zweite der verhärmten Kommissarin einen Heiratsantrag macht.

Es geht natürlich auch etwas lebensnäher, also wirklicher. Das RAF-Mitglied Rolf Heißler etwa filterte das BKA unter Herold im Jahr 1979 aus 600.000 Frankfurter Bürgern heraus, indem man an einem sich intuitiv aufdrängenden Merkmal ansetzte: Wer im Untergrund eine Wohnung mietet, verwendet Falschnamen. Denn wer ständig auf der Flucht ist, hat keine Zeit, sich eine umfangreiche Legende aufzubauen: Er hat vermutlich keinen echten Ausweis, kein Bankkonto, keine Versicherungen. Also suchte man bei den Stadtwerken die (18.000) Frankfurter Stromkunden heraus, die ihre Rechnung in bar bezahlten. Die Namen wurden mit den Listen der Ausweisinhaber, der (Brand)Versicherungsnehmer, der Rentner, BAföG-Bezieher usw. abgeglichen – Personengruppen, die mit höchster Wahrscheinlichkeit richtige Namen verwendeten. Am Schluss blieben genau zwei Personen übrig. Einer war Heißler (siehe SPIEGEL 1986, Nr. 37).

Das war zu Zeiten von Magnetbändern und Lochkarten, und Jahre vor dem „Volkszählungsurteil“ des Bundesverfassungsgerichts von 1983, auf das man heute so gerührt zurückblickt wie auf Rasterfahndungen von Margret Rutherford und ihrem Ehemann Stringer Davis. Heute funktioniert es etwas anders. Den „Autobahn-Sniper“ (einen Lkw-Fahrer, der insgesamt über 700 mal auf andere Lkw geschossen hatte, ohne dass eine spezifische Zielrichtung erkennbar war) fand man 2013, indem man an Autobahnbrücken Kennzeichen-Lesegeräte anbrachte, die alle (!) vorbeifahrenden Kfz-Kennzeichen erfassten und für mindestens zehn Tage speicherten. Wenn eine „ähnliche“ Tat geschah, wurden alle Kennzeichen ausgefiltert, die zur fraglichen Zeit in der fraglichen Richtung unterwegs waren. Diese wurden mit allen Daten über in Tatortnähe eingeloggte Mobiltelefone abgeglichen. Die eine so aus Millionen potenziell Verdächtiger ermittelte Person wurde aufgesucht und legte sofort ein umfassendes Geständnis ab.

Algorithmen

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Grafikquellen      :

Oben      —           Thomas Fischer auf der re:publica 2016

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Unten    —         For documentary purposes the German Federal Archive often retained the original image captions, which may be erroneous, biased, obsolete or politically extreme. 17.2.1983 Pressekonferenz der „Grünen“ im Restaurant Tulpenfeld (zur Bundestagswahl am 6.3.1983)

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