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USA – BALKAN-TEAM

Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 29. Juli 2023

BIDENS BALKAN-TEAM

Von Nornert Mappes-Niediek

US-Diplomaten wird seit dem Ukrainekrieg Appeasement gegenüber Serbien vorgeworfen, um Aleksandar Vučić ins westliche Lager zu ziehen. Tatsächlich mischen sich die USA in der Region wieder mehr ein, weil alte Konflikte erneut zu eskalieren drohen.

Von „Appeasement“ dürfe man nicht sprechen, so Gabriel Escobar. Der Balkan-Beauftragte des US State Department hat das geschichtsschwere Wort in den letzten Monaten so oft hören müssen, dass er es bei einem Pressegespräch am 6. Juni in Prishtina schließlich selbst in den Mund nahm.

Genützt hat das Dementi nicht. Denn auch danach gingen die Vorwürfe weiter: Um eine möglichst breite Front gegen Russland aufzustellen, umschmeichelten die USA den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić, damit er nicht ins Putin-Lager schwenkt, stützten ihm zuliebe die Serben im Kosovo sowie „ethnonationalistische“ Positionen in Bosnien. Absender dieser Vorwürfe sind liberale Denkfabriken etwa die US-amerikanische Jamestown Foundation oder die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung. Bei den traditionellen Verbündeten der USA in der Region, Albanern und Bosniaken, hat sich der Appeasement-Verdacht schon zur Gewissheit verdichtet. Der Regierungschef Kosovos, Albin Kurti, übt offen Kritik an der Schutzmacht und sieht „im demokratischen Westen eine beschwichtigende Haltung“1 .

Die US-Diplomaten bieten dagegen eine ganz andere Lesart ihrer Politik: „Der Balkan hat für uns Priorität“, sagte der Koordinator der US-Diplomatie in der Region, Derek Chollet, im Mai vor dem Senatsausschuss in Washington. Tatsächlich mischen sich die USA nicht erst seit dem Ukrainekrieg, sondern schon seit dem Amtsantritt Joe Bidens Anfang 2021 auf dem Balkan wieder ein – mit erheblichem Aufwand und eigener Agenda.

Ziel sei, so Chollet vor den Senatoren, die beiden letzten verbliebenen Brandherde in der Region ein für alle Mal auszutreten: Kosovo und Bosnien. Aufgestellt dafür ist ein hochkarätiges Team von Balkanveteranen: Chollet war Redenschreiber von Richard Hol­brooke, dem Architekten des Bosnien-Friedensvertrags von Dayton 1995, und hat später selbst ein Buch über das Abkommen verfasst.

Sanktionen gegen Kosovo

Gabriel Escobar hat schon vier Mis­sio­nen in der Region hinter sich. In Belgrad sitzt Christopher Hill, ein Urgestein des State Department und Teilnehmer an den großen Konferenzen in Dayton und auf Schloss Rambouillet 1999 (zu Kosovo). Auch die Botschafter in Sarajevo und Prishtina, Michael Murphy und Jeff Hovenier, kennen den Balkan genau. Außenminister Anthony Blinken schließlich, ihrer aller Chef, schrieb 1999 die Kosovo-Reden von Präsident Bill Clinton.

Die Ereignisse der letzten Monate scheinen den Appeasement-Vorwurf zu bestätigen. Nachdem Kosovos Premier Kurti am Freitag vor Pfingsten seine Spezialpolizei in den serbisch besiedelten Norden des Landes geschickt hatte, war es zu den schwersten Krawallen seit Jahren gekommen. Soldaten der Friedenstruppe Kfor, die das Schlimmste verhindern wollten, waren mit Steinen und Molotowcocktails beworfen worden. Dreißig von ihnen wurden teils schwer verletzt, ein Ita­lie­ner musste in eine Spezialklinik nach Skopje geflogen werden.

Die Angreifer waren Serben. Druck aber übten die Amerikaner danach nicht auf Belgrad aus, sondern auf Prish­tina. Kurti solle seine Polizeitruppe abziehen und den Serben Autonomie gewähren, so die Forderung. Die Europäische Union, die die Leitlinien der westlichen Balkanpolitik in den letzten Jahren allein hatte ziehen müssen und dabei keine Erfolge verbuchen konnte, zog erleichtert mit.

Ein erstes Sanktionspaket gegen die Regierung Kosovos fiel noch milde aus. Aber mögliche weitere Schritte täten wirklich weh: etwa die Blockade von Fonds oder die Aussetzung der Visumfreiheit für Reisen in den ­Schengenraum, nach jahrelangem Hinhalten endlich für Anfang 2024 vereinbart.

Neu ist nicht die Haltung der USA, sondern ihre Zielstrebigkeit. „Wir stehen an der Seite der Kosovaren“, bekräftigte Escobar. „Das heißt aber nicht: an der Seite eines Einzelnen, der unseren Instinkt zur Zusammenarbeit nicht teilt“ – mit anderen Worten: nicht an der Seite von Kurti. Mit der Weltmacht verbindet den Premier Kosovos eine konfliktreiche Geschichte. Kurti war noch keine 24 Jahre alt, als er nach Kräften die Friedensbemühungen des Westens hintertrieb, die damals vom heutigen Belgrad-Botschafter Hill angeführt wurden.

Mit seiner „Bewegung Selbstbestimmung“ verband Kurti einen glaubwürdigen Kampf gegen Korruption mit nationalen Parolen und Härte gegen den Westen. Damit vertrat er genau die entgegengesetzte Linie des mächtigen US-Schützlings Hashim Thaçi, dem ersten Premier Kosovos nach der Unabhängigkeit, der sich gegen westliche Forderungen ebenso nachgiebig zeigte wie gegen Ansprüche von korrupten Parteifreunden.

Als Kurti es 2020 gegen amerikanischen Druck an die Regierungsspitze geschafft hatte, intrigierte der Sonderbeauftragte Donald Trumps, Richard Grenell, so intensiv gegen ihn, dass er schon nach sechs Wochen stürzte. Nach einem überwältigenden Wahlsieg war er ein Jahr später wieder im Amt.

Mehr als Trump, der in der Re­gion ohne Ziel agierte, braucht Biden im Amt des Kosovo-Premiers einen, dem er vertrauen kann. Mit der Entsendung seiner Spezialpolizei in den Norden aber hat Kurti die Amerikaner regelrecht provoziert.

Seit dem Ende des Kriegs vor 24 Jahren versuchen EU und USA, das Gebiet mit seinen rund 50 000 Einwohnern friedlich ins Kosovo zu integrieren. Fortschritte gab es dabei immer nur, solange die Zugehörigkeit zu dem ungeliebten Staat für die Serben dort nicht sicht- und nicht spürbar war. So etwa ist die Polizei im Norden formal Teil der Kosovo-Ordnungsmacht, steht de facto aber unter serbischem Kommando.

Wer in Orten wie Zvečan oder Le­po­savić lebt, kann sich wie ein Serbe in Serbien fühlen. Das Eindringen einer bewaffneten albanischen Truppe in das Gebiet, wie der Premier es verfügt hatte, musste den Einwohnern wie eine Invasion aus Feindesland vorkommen. Eine öffentliche Warnung von Botschafter Jeffrey Hovenier hatte Kurti in den Wind geschlagen. Die Amerikaner und die Kfor-Truppe wurden erst eine halbe Stunde vor dem Zugriff informiert.

Schon die Vorgeschichte der Juni-Krawalle begann, im März, mit einer Kraftprobe Kurtis gegen die USA. Eigentlich hatte er sich in einem Treffen mit Belgrads Präsidenten Vučić darauf geeinigt, den Serben im Kosovo den seit zehn Jahren versprochenen, aber nie realisierten „Gemeindeverbund“ zuzugestehen. Dann aber hatte Kurti, als Vučić nicht förmlich unterschreiben und gegen die Absprache auch dem Beitritt Kosovos zum Europarat nicht zustimmen wollte, von seiner Zusage wieder Abstand genommen.

Als die Serben daraufhin ankündigten, die Kommunalwahl Ende April zu boykottieren, ließ Kurti entgegen amerikanischen Rat trotzdem wählen. Der Erfolg war, dass in den vier Gemeinden mit über 90-prozentiger serbischer Mehrheit nur drei Albaner und ein Bosniake zum Zuge kamen. Der Pre­mier zog die harte Linie durch und ließ die Bürgermeister mit der Polizei in die Rathäuser bringen. Eine klare Botschaft: Wir handeln aus eigenem Recht!

Ohne physische Gewalt, dafür aber mit umso wilderer Rhetorik wird der Streit um die US-Politik in Bosnien-Herzegowina ausgetragen. Angriffsziel ist kein Amerikaner, sondern ein Deutscher: Christian Schmidt, Ex-Landwirtschaftsminister in Berlin und seit zwei Jahren Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft.

Durchgesetzt haben den CSU-Politiker im Mai 2021 die USA. Mit skurrilen Auftritten in schlechtem Englisch, Zornesausbrüchen vor Journalisten und handwerklichen Fehlern gibt er eine dankbare Zielscheibe ab. Aber US-Botschafter Murphy lässt keinen Zweifel aufkommen, dass Schmidts Interventionen eng mit den Amerikanern abgestimmt sind.

Auch in Bosnien tragen die USA eine Letztverantwortung – und nehmen sie jetzt wieder wahr. Nach dem Krieg der Jahre 1992 bis 1995 verpassten sie dem Land eine Verfassung, die künftige ethnische Konflikte ausschließen sollte: Bei demokratischen Wahlen sollten die Vertreter der drei verfeindeten Volksgruppen, Bosniaken, Serben, Kroa­ten, möglichst nie gegeneinander antreten müssen.

Heraus kam eine perfekte Durchquotierung des gemeinsamen Staats. Besondere „Völkerkammern“, zu gleichen Teilen zusammengesetzt aus Vertretern der drei Volksgruppen, sollten sicherstellen, dass nie zwei „Nationen“ über die dritte entschieden. An der Spitze des Staats steht bis heute ein Trio aus einem bosniakischen, einem serbischen, einem kroatischen Präsidenten.

Streit um die Völkerkammern

Das Muster sorgte für Frieden, kollidiert aber mit den Prinzipien einer liberalen Demokratie. Der Streitwert ist kein geringerer als der Charakter des Landes: Besteht Bosnien aus drei Völkern? Oder aus 3,3 Millionen Indivi­duen?

Wer sich keiner der drei Nationen zurechnen will oder seine nationale Zugehörigkeit nicht wichtig nimmt, fällt in dem Quotensystem durch den Rost. Erst Entscheidungen des Euro­päi­schen Menschenrechtsgerichtshofs bewirkten, dass in den Völkerkammern inzwischen auch „Sonstige“ vertreten sind. Ein Urteil gegen die ethnische Exklusivität der drei Präsidenten dagegen wurde bis heute nicht umgesetzt.

Die Kunst des Hohen Repräsentanten ist es traditionell, zwischen den beiden Prinzipien, dem ethnisch-kollektiven und staatsbürgerlich-liberalen, einen Ausgleich zu finden. Schmidt ist seit 1995 der achte im Amt; mit schöner Regelmäßigkeit folgt ein „Interventionist“, der ausgiebig von seinen Kompetenzen Gebrauch macht, auf einen „Passivisten“, der auf die Selbst­regulierung des Systems hofft.

Schmidt begann nach mehr als zwölf Jahren mit dem passiven Österreicher Valentin Inzko sogleich mit einer Intervention. Die Reaktionen fielen heftig aus. Schmidt handele im Interesse der kroatischen Volksgruppe, der kleinsten der drei, wird ihm aus der größten, der bosniakischen, vorge­worfen.

Tatsächlich hatte Schmidt einen Missstand beheben wollen. Weil in der „Föderation“, dem Landesteil, den sich Bosniaken und Kroaten teilen, mehr als dreimal so viele Bosniaken leben wie Kroaten, kann sich die bosniakische Mehrheit nicht nur aussuchen, wen sie als bosniakischen, sondern auch, wen sie als kroatischen Delegierten in die Völkerkammer schickt.

Deshalb verfügte Schmidt, dass Kantone, in denen fast keine Kroaten leben, keine Kroaten für die Kammer nominieren dürfen. Ein Aufschrei war die Folge: Schmidt leiste dem „Ethnonationalismus“ Vorschub. Schließlich sei es legitim, wenn Bürger als Individuen entschieden, unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit.

Weil Schmidt für die Berechnung der Quote fälschlich die Volkszählung von 2013 herangezogen hatte und nicht die von 1991, musste er sein Vorhaben aufgeben. Stattdessen erhöhte er nun die Zahl der Delegierten für die Kammer – mit dem Ergebnis, dass unter den dort vertretenen Kroaten diejenigen aus kroatischen Mehrheitsgebieten wieder in der Mehrheit sind.

Quelle        :     LE MONDE diplomatique        >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —         Topographic map of Balkan (german description).

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