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RENTENANGST

US-Autor über Trump

Erstellt von Redaktion am Sonntag 6. Januar 2019

„Trump ist zynisch, ohne es zu wissen“

 

Das Interview mit Prof. Hans-Ulrich Gumbrecht führte Peter Unfried

Mit jedem Tweet des US-Präsidenten wächst das Gefühl, „das alles geht gar nicht“. Der kalifornische Intellektuelle Hans Ulrich Gumbrecht über Trumps Impulse.

Am 20. Januar endet die Hälfte von Donald Trumps erster Amtszeit als Präsident der USA. Für den Stanford-Intellektuellen Hans Ulrich Gumbrecht ist Trump kein „böser Mensch“ mit einem finsteren Plan, sondern ein impulsgetriebener Aktionist ohne Weltbild. Gumbrecht sitzt in einem Büro auf dem Main Quad der Universität Stanford, dem Herzen des Silicon Valley. Das Büro hat er nach seiner Emeritierung letzten Sommer bezogen. Es ist interessanterweise größer und repräsentativer als sein altes. Er trägt Oberlippenbart und ein schwarzes Muskelshirt. „Wie kann es sein“, sagt er, „dass ein bemerkenswerter Vollidiot Präsident ist – und nichts verändert sich, weder national noch international?“

taz am wochenende: Herr Gumbrecht, wie sehen denn nach zwei Jahren die republikanischen Konservativen in Stanford den republikanischen Präsidenten Trump?

Hans Ulrich Gumbrecht: Ich sehe ja Condi ab und an bei den Spielen unserer American-Football-Mannschaft.

Die ehemalige republikanische Außenministerin Condoleezza Rice, auch bekannt unter dem Spitznamen Condi.

Sie unterrichtet wieder ganz normal hier an der Universität, wie in der Zeit, bevor sie Teil der Bush-Regierung wurde. Allerdings ist sie mittlerweile wohl richtig reich geworden. Außerdem hat sie ein neues und sehr erfolgreiches Buch geschrieben über Grundwerte der Demokratie. Im Sinne der amerikanischen Tradition politischer Institutionen ist es ein konservatives Buch, das diese Institutionen als zentrale Kontinuität der Nation interpretiert. Für Condi Rice ist Trump eine viel größere Irritation als für mich. Sie gehört zu jenen Republikanern, die an die Grand Ole Party glauben und damit bestimmte Werte und Begriffe verbinden, die nicht Ihre und meine sind, aber die ich respektieren kann. Die sind überzeugt, dass Trump dieses Traditionsfundament aktiv gefährdet.

Der französische Soziologe Bruno Latour hat 2018 die Sicht auf Trump neu definiert. Für ihn ist das Zentrale die Leugnung der Erderwärmung und der totale Rückzug in den Illusionismus. Teilen Sie das?

Es läuft auf eine Negierung ganz verschiedener breit akzeptierter Realitätsannahmen hinaus, ja. Ich verstehe Trump so, aber er selbst versteht sich sicher nicht in dieser Weise. Denn er hat ja nicht so etwas wie ein „Programm“. Sein Stil ist reiner Aktionismus, der sich in extrem kurzen Gegenwartsspannen vollzieht.

Manchmal nur Stunden.

Er ist ganz offenbar prostatisch. Man weiß aus dem Weißen Haus, dass er jeden Morgen um etwa zwei Uhr zum ersten Mal rausgeht.

Und dabei bringt er sich in Stimmung?

Er wird wütend über etwas oder hat – eine Idee kann man es ja wohl nicht nennen – einen Impuls am ehesten.

Dann schreibt er die ersten Tweets?

Ja. Und um vier steht er wieder auf, und so geht es weiter. Er hat keinen Plan, weshalb sich nie voraussagen lässt, welchen Streit er als Nächstes sucht.

Latour sagt, Trump habe begriffen, dass der Boden der Erde nicht für den Wohlstand aller reiche, und ziehe sich deshalb auf Amerika zurück.

Ich fürchte, er sieht solche vergleichbar großen Zusammenhänge und argumentativen Strukturen nicht. Der Klimawandel ist als Phänomen schlicht zu langfristig für ihn.

Ist Trump ein böser oder kein böser Mensch?

Trump ist egozentrisch, zynisch, ohne es zu wissen, und denkt nur aus der Perspektive der eigenen Generation. Aber Positionen oder moralische Werte sind ja nicht der Punkt.

Was ist für Sie der Punkt?

Sein Aktionismus der kurzen Gegenwart. Er hat immer irgendeinen Impuls im Kopf, vielleicht eine Reaktion auf ein Wort aus der vorigen Konversation oder eine Twitter-Message. Die beschäftigen ihn dann. Die maximale Grundeinheit scheint ein Tag zu sein. Es läuft bei Trump nichts zu einem Weltbild zusammen, und es gibt keine Position, die er ernsthaft einnehmen könnte. Es gibt nur die Frenetik und Hysterie dieser Energieimpulse. Das einzig Beständige ist die Diskontinuität. Aber manchmal hat dieser Aktionismus ja groteskerweise positive Effekte: Die Situation mit Nordkorea war für einige Wochen zumindest deutlich entspannter als über Jahrzehnte zuvor. Womöglich lockert sein Irrsinn manchmal Situationen auf, die eine vernünftige Politik nicht mehr entwirren kann.

Mit der Zuspitzung auf den Moment und den hysterischen Impuls steht er nicht allein. Das hat alle Politik und uns selbst ergriffen.

Die Politik im Zeitalter von Twitter spielt sich zwischen subjektiven Impulsen und der Sehnsucht nach kollektiver Resonanzverstärkung ab. Vielleicht ist es ein Symptom dieser Zeit, keine langfristigen Perspektiven mehr zu haben. Für Donald Trump ist dieser Aktionismus allerdings auch eine psychische Stärke. Seine Trumpf-Karte sozusagen.

Dauer-Aktionismus heißt nicht, dass er ununterbrochen arbeitet.

Nein. Man weiß ja, dass er jedes Wochenende zwei Tage in seinem Golfhotel in Florida verbringt. Da tut er vermutlich überhaupt nichts. Angeblich kostet es um die 100.000 Dollar, dort zwei Tage zu verbringen und fünf Minuten mit dem Präsidenten sprechen zu dürfen. Dazu geht er bei einem Dinner-Empfang von Tisch zu Tisch. Auch wenn es Gerüchte über Wochenenden des Präsidenten George W. Bush beim Rasenmähen in Texas gab, hatte man bisher allgemein angenommen, dass es sich ein Präsident nicht leisten kann, zwei Tage die Woche im Golfhotel zu sein. Trump kann das aber.

Das Interessante ist, dass man bei jedem Tweet, bei jeder Eskapade immer denkt: Das geht jetzt aber wirklich nicht mehr. Und dann geht es weiter. Was kapieren wir nicht?

Er verschiebt von Tag und zu Tag unsere Vorstellungen von dem, was Politik heute sein kann. Die meisten Politiker, zumal in Europa, halten bewusst dagegen – aber natürlich gibt es Politiker, die sich von Trumps nicht zu leugnendem Erfolg ermutigen lassen.

Im Grunde ist Trump ideal für einen Journalismus, der auch keine langen Linien halten kann, täglich oder mittlerweile stündlich auf Impulse reagiert und Dinge am nächsten Tag schon wieder vergessen hat, die gerade noch das Wichtigste überhaupt zu sein schienen.

Eindeutig. Etwa lädt sich sein Hass gegen die New York Times und die Washington Post jeden Tag von Neuem auf. Es gelingt auch einem beharrlicheren und wertebewussteren Journalismus nicht, Trump aus dem Rhythmus zu bringen. Die meisten Ihrer Kollegen – auch die absoluten Trump-Feinde – sind mittlerweile durch ihre täglichen Katastrophenmeldungen perfekt mit seinem Rhythmus koordiniert. Aber ich möchte gar nicht zynisch eine weitere Frage anschließen: Wie relevant ist Politik eigentlich heute wirklich noch?

Was meinen Sie?

Es ist heute peinlich, mit einem US-amerikanischen Pass zu reisen. Aber ich fühle mich trotzdem nicht bedrohter von einem Nuklearkrieg als zuvor. Wahrscheinlich heißt das, dass ich mich an Trump als permanentes Nuklearkriegsrisiko gewöhnt habe. Die Wirtschaft in den USA läuft bei allen Höhen und Tiefen eher gut in den bisherigen Trump-Jahren. Aber sicher nicht, weil Trump so kompetent ist. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig. Definitiv nicht wegen Trump. Trotzdem. Just a good moment.

Wie bewerten Sie im Vergleich Obama?

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Ja genau, diese Frage kann man auch in Bezug auf Obama stellen. Nach meinen Kriterien oder denen meines viel kompetenteren Kollegen Francis Fukuyama war er ein sehr guter Präsident. Obamacare ist die eine Einzelleistung, die, wie sich herausgestellt hat, auch die Trump-Jahre überleben wird. Dass Obama dem Weißen Haus und der politischen Tradition der Vereinigten Staaten nach George W. Bush etwas von ihrer Aura zurück­erobert hatte, ist inzwischen durch die viel radikaleren Erosionseffekte von Trump leider in Vergessenheit geraten. Das ist der bisher negativste Trump-Effekt für mich.

Wenn man Bruno Latours These folgt, steht Donald Trump als Illusionärer jenseits des alten Links-rechts-Spektrums, und das macht seine Faszination aus. Deshalb wird man ihn weder mit Rassismus- und Misogynie-Vorwürfen schlagen noch mit Sozialdemokratie nach europäischem Vorbild noch mit einer jungen Frau wie Alexandria Ocasio-Cortez als Gegenkandidatin. Wie sehen Sie das?

Man sollte sich nicht in eine Überzeugung von Trumps Unschlagbarkeit hineinsteigern – sonst wird sie zu einer jener Prophezeiungen, die ihr eigenes Wirklichwerden befördern. Es gibt immer wieder Überraschungen bei amerikanischen Vorwahlen – Trump selbst und Obama sind schlagende Beispiele. Aber so leicht, wie wir liberalen Gebildeten uns das vorstellen, wird es nicht.

Was ist die linke Alternative zum Clinton-Liberalismus?

Quelle     :         TAZ         >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben      —         Hans-Ulrich Gumbrecht in Stanford (2015)

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2.von Oben     —       View of the Oval

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3. con Oben        —         Campus from above

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