Unsichtbar im Rampenlicht
Erstellt von Redaktion am Mittwoch 9. Januar 2019
Warum wird der Film „Roma“ so gepriesen?
Über die Depolitisierung der Kunst
Ein Schlagloch von Ilija Trojanow
Selten ist ein Film so gepriesen worden. Seitdem „Roma“ den Goldenen Löwen in Venedig gewonnen hat, wechseln sich euphorische Rezensionen mit Auszeichnungen ab, zuletzt bei den Golden Globe Awards. Auf der Webseite metacritic.com, die alle englischsprachigen Kritiken auswertet, kommt der Film des mexikanischen Regisseurs Alfonso Cuarón auf erstaunliche 96 (von 100) Punkten. Fast alle sind also der Ansicht, dies sei ein Meisterwerk. Und zudem gesellschaftlich relevant. „Obwohl es im Film nicht direkt um die politischen oder sozialen Fragen der Zeit geht“, verkündet das Time Magazine, „sickern sie, manchmal subtil und manchmal dramatisch, unverkennbar in die Erzählung ein.“ Aber stimmt das?
Im Mittelpunkt steht eine Hausangestellte namens Cleo, eine Indígena, die mit der anderen Haushälterin, einer dunkelhäutigen Frau in einer wohlhabenden hellhäutigen Familie, Mixtec spricht. In Mega-Citys wie Ciudad de México trifft der globale Norden häufig auf den globalen Süden, manchmal in ein und demselben Haus. Cleo stammt aus einem unbekannten Dorf, ihr Arbeitgeber fliegt zu einer Konferenz nach Ottawa; sie ist Analphabetin, das geräumige Wohnzimmer der Familie steht voller Bücherregale. Früher hieß dieser Topos upstairs/downstairs, und in einer Szene des Films steigt Cleo tatsächlich in den Keller eines Landhauses, wo sämtliche Angestellten Neujahr feiern, dichtgedrängt und mit billigem Schnaps, ganz anders als die Extravaganz oben im ersten Stock.
Cleo ist eine gute, brave, hingebungsvolle Dienerin. Die Kinder sagen „Wir lieben dich“ zu ihr, sie erwidert diese Liebe, dann soll sie einen Smoothie bringen. Trotz solcher Widersprüche ist das Einfamilienhaus im Stadtteil Roma eine Oase. Immer dann, wenn es hinausgeht in die große weite Welt, drohen hingegen Gefahren. Nirgendwo wird angedeutet, es könnte umgekehrt sein. Laut Angaben der mexikanischen Statistikbehörde haben im Jahr 2016 von den mehr als 2,3 Millionen Menschen, die als Hausangestellte arbeiten, sage und schreibe 97,6 Prozent Verletzungen ihrer Rechte erfahren, zu lange Arbeitszeiten etwa oder zu niedrige Löhne.
Diese Familie gehört wohl zu den seltenen Ausnahmen. Aber wenn dem so ist, wenn Alfonso Cuarón diesen Film sogar seinem einstigen Kindermädchen widmet, wieso erfahren wir fast nichts über sie? Weder über ihre Herkunft und ihre Familie noch über ihre Ankunft in der großen Metropole. Mehr als zwei Stunden lang begleiten wir sie und doch bleibt sie uns seltsam fremd. Selten sagt Cleo etwas, das uns Einblick in ihre Lage gibt, etwa wenn sie mit dem jüngsten Sohn so tut, als wären sie tot: „Ich mag es, tot zu sein.“
Trailer: YouTube
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — German writer Ilija Trojanow at the Leselenz 2015 in Hausach…