Unsere Erniedrigung
Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 18. März 2010
Völkermord ist ein juristischer Begriff.
KOMMENTAR VON AHMET ALTAN
ist Journalist, Schriftsteller und seit 2007 Herausgeber und Chefredakteur der unabhängigen Tageszeitung Taraf. Der 60-Jährige wurde im Jahr 2009 mit dem Leipziger Preis für die Freiheit der Medien ausgezeichnet.
Die ganze Türkei hockt gebannt vor dem Fernseher, als ob sie ein Fußballspiel verfolgen würde. Was ist bloß los? Ein Ausschuss des US-Repräsentantenhauses stimmt über den „Völkermord an den Armeniern“ 1915 im Osmanischen Reich ab. Die Pässe und Schüsse hinter den Kulissen bringen nichts: Wir verlieren das Spiel 23 zu 22 [mit diesem knappen Ergebnis wurde letzten Donnerstag der Entwurf einer Resolution angenommen; d. Red.]. Und auf einmal bricht die Hölle los.
Scharfzüngige Kommentare, hitzige Debatten, zornige Kritik an den Amerikanern. Der türkische Außenminister wird gefragt, ob er den US-Luftwaffenstützpunkt in Adana-Incirlik schließen will. Inmitten all des Trubels gefällt mir der Kommentar eines wütenden Redners am allermeisten. Er sagt: „Die Türkei ist kein Land mehr, das man einfach so erniedrigen kann.“
Wenn ein Ausschuss im US-Kongress den „Völkermord“ als solchen anerkennt, sind wir also allesamt „erniedrigt“. Wissen Sie überhaupt, was es heißt, erniedrigt zu werden? Die eigentliche Demütigung ist doch, dass Millionen von Menschen gebannt auf eine Abstimmung in Übersee schauen, mit der eine Handvoll Leuten über etwas entscheidet, was eigentlich unser Problem sein müsste. Das ist die wirkliche Erniedrigung.
Nägelkauend aufs Urteil warten
Demütigend ist es, das Ergebnis dieser Abstimmung als etwas „Lebenswichtiges“ zu betrachten, sich durch eine Jastimme dieses Ausschusses besiegt zu fühlen – zu glauben, dass ein einziger Ausschuss über die eigene nationale Identität entscheiden kann. Sich selbst zu erniedrigen heißt, zu Hause nägelkauend auf das Urteil eines fremden Parlaments zu warten.
Die Türkei wird nicht deshalb beleidigt, weil dieser Ausschuss mit der Mehrheit einer einzigen Stimme diese Entscheidung getroffen hat. Sie ist gedemütigt, weil sie ihre Vergangenheit nicht selbst auszuleuchten vermag. Weil sie dies anderen überlässt. Weil sie eine höllische Angst vor ihrer eigenen Geschichte zu haben scheint. Weil sie offenbar alles tut, um die Wahrheit zu übertünchen.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Author | Bernd Schwabe in Hannover / Own Work |