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RENTENANGST

Unfassbare Nonchalance

Erstellt von Redaktion am Freitag 7. Oktober 2022

Es muss mit Russland geredet werden.

 

Aber sicher nicht unter Militaristen und alles über Kimme und Korn !

Ein Debattenbeitrag von Helmut W. Ganser

Wer die vollständige Rückeroberung der besetzten Gebiete propagiert, bewegt sich auf eine nukleare Eskalation zu. Es bedarf der Analyse von Ausstiegsoptionen, die zunächst einmal das Gemetzel an den Fronten stoppen.

Die Forderung der neun osteuropäischen Nato-Staaten, den Eilantrag des ukrainischen Präsidenten zur Aufnahme in die Nato zu unterstützen, ist mehr als eine Herausforderung für die Allianz. Nach den von Osteuropäern ausgehenden früheren Forderungen nach einer Flugverbotszone der Nato über der Ukraine und der zeitweisen litauischen Teilblockade von Transitrouten nach Kaliningrad ist diese Initiative der bisher weitreichendste Versuch, die Nato unmittelbar in den Krieg hineinzuziehen – und das mitten in ein reales nukleares Eskalationsrisiko hinein. Würde die Bundesregierung einer Aufnahme der Ukraine in die Nato zustimmen, könnte sie sich einem Einsatz von deutschen Truppen in der Ostukraine nicht entziehen. Die Protagonisten der unsäglichen Forderung nach einem schnellen Beitritt blenden jede seriöse Folgenabschätzung aus.

Den Machteliten im System Putin ist klar, dass die erfolgreich verlaufende Selbstverteidigung der Ukraine zu einem großen Teil von der Unterstützung durch den Westen abhängt. Die operativen Fehlschläge und die hohen russischen Verluste gehen für Putin und dessen Generalstab primär auf das Konto Washingtons und der Nato-Europäer. Die wiederholten Atomdrohungen Putins müssen rational analysiert werden. Sollen sie die Europäer im Westen einschüchtern, Angst schüren, spalten? Die Antwort ist ein klares Ja. Ist Putin grundsätzlich bereit, taktische Nuklearwaffen einzusetzen? Die Antwort darauf ist ebenfalls Ja. Er besitzt die Grundbrutalität dazu, und er weiß um die geografische Größe seines Landes.

Seine konventionellen Streitkräfte sind inzwischen erheblich geschwächt. Und die Zeit läuft ihm davon. Es sind realistische Szenarien vorstellbar, in denen Putin keine andere Wahl mehr sieht und zur nuklearen Eskalation greift. Er würde die Folgen, so unkalkulierbar sie für ihn sind, in seiner ganzen Verblendung vermutlich nicht scheuen. Weder die Aussicht, als globaler Paria stigmatisiert zu werden, noch die Erwartung massiver amerikanischer konventioneller Luftschläge auf russische Fronttruppen in der Ukraine dürfte in beeindrucken. Letzteres würde im Übrigen die Nato zwangsläufig in den Krieg hineinziehen.

Dürfen Washington und die Bundesregierung, es so weit kommen lassen? Wie weit dürfen wir uns einer nuklearen Katastrophe nähern? Wollen wir uns wirklich herantasten an die letzten russischen roten Linien? In diesen Fragen dominiert in weiten Teilen der deutschen Politik und Medien eine unfassbare Nonchalance. Einige glauben offenbar, dass russische Atomschläge mit relativ geringer Sprengkraft in Kauf genommen werden könnten und blenden völlig aus, dass wir alle mit dem Bruch des nuklearen Tabus in eine völlig andere strategische Welt eintreten würden. Die meisten Nuklearexperten glauben nicht an eine Begrenzung eines Krieges mit Atomwaffen, wenn der zerstörerische Geist einmal aus der Flasche ist.

Bildergebnis für Wikimedia Commons Bilder Bundeswehr in Schulen Lupus in Saxonia / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Hier darfst du unbedarfte Personen zu Mördern ausbilden und die dazu entsprechenden Lizenzen – wie nach James Bond – verteilen !

Anstatt einer dramatischen Ausweitung und Eskalation des Kriegs zuzusehen, bedarf es dringend der Analyse von Ausstiegsoptionen, die zunächst einmal das Gemetzel an den Fronten stoppen. Die dafür entscheidende Ebene ist die zwischen Moskau und Washington: Joe Biden definiert durch vielfache militärische Unterstützung den Handlungsspielraum von Ukraines Präsident Selenski. Das oft gehörte Mantra, dass nur Selenski über Verhandlungen bestimmen kann, ist nur die halbe Wahrheit: Der Schlüssel für einen Ausstieg liegt in Moskau und Washington, die offenbar über einige Kanäle weiter kommunizieren.

Mit Blick auf die wachsenden Eskalationsrisiken für Europa insgesamt und die Ukraine ohnehin kommt es jetzt auf einen rationalen Abwägungsprozess an – zwischen den Zerstörungsrisiken einer nuklearen Eskalation und den Risiken, Bedingungen und Folgen einer Einstellung der Kampfhandlungen in Verbindung mit humanitären Lösungen. Dazu muss die Ausstiegsoption erst einmal in der verengten Debatte zugelassen und ausgeleuchtet werden: Eventuell ergibt sich in der nahen Zukunft im Zusammenhang mit der Schwäche der russischen Streitkräfte ein Fenster der Gelegenheit, das sich im Eskalationsgeschehen auch wieder schließen kann. Würde sich der Westen damit angstgetrieben der Erpressung Putins beugen? Nein, es wäre ein Akt der Vernunft, um weit Schlimmeres zu verhindern und einen erheblich geschwächten Putin, der seine Kriegsziele klein zu machen gezwungen war, hinterlassen.

Quelle        :         TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —    Helmut Ganser 2010 (2)

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