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Umverteilung der Steuerlast

Erstellt von Redaktion am Samstag 17. April 2021

Ran an die Obermittelschicht!

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Von Barbara Dribbusch

In der Umverteilungspolitik fordern die Parteien viel zu wenig. Die höhere Mittelschicht muss mit ins Boot genommen werden.

Die obere Mittelschicht kann unsympathisch sein, jedenfalls aus der Perspektive von Sophie Passmann. „Immer, wenn ich mit solchen Menschen Zeit verbringe, die allem Anschein nach ihr Leben nur bis zur Erstausschüttung des Erbes ihrer Eltern geplant haben, denke ich Nazis“, schreibt Sophie Passmann in ihrem Bestseller „Komplett Gänsehaut“. Die Erbengesellschaft, die „obersten zehn Prozent“, das ist ein Milieu, das „stinkt vor Geld“, wie Passmann in einem Interview sagte.

Das Gegenstück zu den vermögendsten 10 Prozent stellt die besitzlose „Working Class“ dar im gleichnamigen Buch von Julia Friedrichs. Dazu gehören ein Putzmann in U-Bahnhöfen, eine freiberufliche Musiklehrerin, ein prekär beschäftigter Marktforscher. Es sind „Menschen, die keine Unternehmensanteile halten, über keine Mietshäuser verfügen, keine Erbschaften erwarten, denen keine Windräder gehören, nicht mal Fonds für die Altersvorsorge“, schreibt Friedrichs. Diese Hälfte werde zu wenig gehört, meint sie.

Ist das die neue soziale Spaltung, die sich auftut in Deutschland? Die Spaltung zwischen Vermögenden und Erben einerseits und besitzlosen ArbeitnehmerInnen und Kleinselbstständigen andererseits? Wenn dem so ist, müsste auch hier jede Umverteilungspolitik ansetzen. Umverteilungspolitik, die im Wahlkampf 2021 von den Parteien propagiert wird. Wer sich die Wahlprogramme der Parteien anschaut, dem fällt aber auf:

Die obere Mittelschicht mit ihrem erheblichen Privatbesitz wird ziemlich geschont. Die SPD will laut Wahlprogramm eine Vermögensteuer von jährlich 1 Prozent für „sehr hohe Vermögen“ einführen. Die Grünen sprechen sich für eine Vermögensteuer von 1 Prozent aus, wobei Freibeträge von 2 Millionen Euro pro Person gelten sollen. Die Linkspartei will Vermögen von über 1 Million Euro mit einem Satz ab 1 Prozent besteuern, der dann erst bei hohen Vermögen steigt.

Bis zu einer Million Euro schonungsbedürftig

In Sachen Erbschaftsteuer sind SPD und Linke lediglich dafür, die privilegierte Freistellung für Erben von Betriebsvermögen einzuschränken. Wer etwas unter 1 bis 2 Millionen Euro besitzt, pro Person wohlgemerkt, gilt also noch als ­schonungsbedürftig. Früher war man weniger zimperlich im Umgang mit Wohlhabenden. Wer ein langes politisches Gedächtnis hat, erinnert sich noch an die Ideen der Grünen in den 90er Jahren, die Erbschaftsteuer auf 30 Prozent anzuheben. Bis 1996 gab es die Vermögensteuer:

Sie betrug jährlich 1 Prozent auf ein Vermögen, das die Freigrenze von pro Person 120.000 Mark, also umgerechnet etwa 60.000 Euro, überstieg (inklusive Immobilien). Die historische Inflation berücksichtigt, müsste ein entsprechender Freibetrag heute bei 84.000 Euro liegen. Doch die Forderung nach einer Vermögensteuer von 1 Prozent auf alle Vermögen über 84.000 Euro käme heute einem politischen Selbstmord gleich.

Wie kommt es zu dieser Schonung von Vermögenden, von denen viele rein statistisch schon zur Oberschicht zählen? Nach der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) gehören Haushalte mit einem Vermögen ab 477.000 Euro (inklusive Immobilien) rechnerisch zum reichsten Zehntel der Gesellschaft.

Wer aber etwa mit einer Erbschaft in Berlin eine Eigentumswohnung für 500.000 Euro erwirbt, um mit der eigenen Familie dort einzuziehen, wird argumentieren, dass das Erbe ja nur für das Nötigste reicht, nämlich die Wohnung, und dass deshalb keinesfalls eine alljährliche Besitzsteuer erhoben werden sollte.

Immobilien für den Eigenbedarf zählen nicht

Im Wahlprogramm 2021 der Linkspartei heißt es, dass die Vermögensteuer auch jene nicht belasten sollte, die „etwa mit einer Eigentumswohnung in der Innenstadt lediglich ‚Papier-Millionäre‘ “ seien. „Dies ist insbesondere wegen der Entwicklung der Immobilienpreise wichtig“, so das Linken-Programm. Der große besitzsteuerfreie Schonbereich wird also mit steigenden Kosten für einen Lebensstandard, den man als mittelschichtig empfindet, gerechtfertigt.

Die reichsten 10 Prozent empfinden sich auch kaum als „Oberschicht“, sondern eben als Mittelschicht. Diese Verschiebung der Selbstwahrnehmung ist entscheidend für die Verteilungsdebatte in Deutschland. In den Milieus der oberen Mittelschicht herrscht nicht das Bewusstsein vor, privilegiert zu sein. Es mischen sich vielmehr Absturzängste, die Furcht vor steigenden Lebenshaltungskosten mit der Abwehr von höheren Steuern und Abgaben.

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Ein Grund für diese Ängste ist die Metro­po­lisierung, die das Wohnen viel teurer macht: ­Doppelverdienende Paare bevorzugen Metropolen, denn dort lassen sich am leichtesten Arbeitsplätze für beide Elternteile und Kitaplätze finden. Der Zuzug wiederum verschärft die Konkurrenz um Wohnungen. Wenn bezahlbare Miet­wohnungen in den Metropolen knapp werden, wird es zur Existenzfrage, ob man sich eine Eigentums­wohnung leisten kann, am besten mithilfe einer Erbschaft, oder eben nicht.

Das durchschnittliche ­Netto­vermögen von Haushalten, die bereits geerbt haben, ist mit 470.000 Euro mehr als doppelt so hoch wie das von Haushalten ohne Erbschaft mit 185.000 Euro, heißt es im neuen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Ein weiterer Grund für die Ängste der Wohlhabenden ist der Druck, für das Alter viel Vermögen aufbauen und halten zu müssen. Die Appelle der Politik, dass private Altersvorsorge unerlässlich sei, weil die gesetzliche Rente nicht ausreiche, verstärken diesen Druck.

Steigende Angst vor Altersarmut

Quelle       :          TAZ         >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen         :

Oben       —       „Das Thüringer Festmahl“ von Arno Funke – Standort 1. Bratwurstmuseum Holzhausen Personen auf dem Bild „Das Thüringer Festmahl“ von Arno Funke: Thomas Münzer Martin Luther Johann Sebastian Bach Friedrich Schiller Lucas Cranach der Ältere Anna Amalia von Sachsen-Weimar Johann Wolfgang von Goethe Bratwurstkönig Obama Otto Dix Elisabeth von Thüringen Alfred Brehm Kloßmarie Angela Carl Zeiss

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