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Um Cui Bono?

Erstellt von Redaktion am Sonntag 15. Oktober 2017

Um Cui Bono?

Autor Uri Avnery

CUI BONO – „wem nützt es“ – ist die erste Frage eines erfahrenen Detektivs, der ein Verbrechen untersucht.

Da ich selbst eine kurze Zeit lang in meiner Jugend ein Detektiv war, kenne ich die Bedeutung. Oft ist der erste und offensichtlichste Verdacht falsch. Man fragt sich selbst „Cui bono“ und ein anderer Verdacht, den man nicht vermutet hat, erscheint.

Seit zwei Wochen beunruhigt mich diese Frage und lässt mich nicht in Ruhe.

In Syrien ist ein schreckliches Kriegsverbrechen begangen worden. Die zivile Bevölkerung in einer von Rebellen gehaltenen Stadt, die Idlib heißt, wurde von Giftgasbomben getroffen. Dutzende von Zivilisten, einschließlich Kindern, starben einen elendiglichen Tod.

Wer konnte so etwas tun? Die Antwort war offensichtlich: der schreckliche Diktator Bashar al-Assad tat dies. Wer sonst?

Ein Beweis ist nicht nötig. Keine Untersuchung. Es war selbstverständlich. Natürlich Assad. Innerhalb Minuten wusste es jeder.

Ein Sturm von Entrüstung ging durch die westliche Welt. Er muss bestraft werden. Armer Donald Trump, der keine Ahnung hatte, sah sich dem Druck ausgesetzt und befahl einen sinnlosen Raketen-Angriff auf ein syrisches Flugfeld, nachdem jahrelang gepredigt wurde, dass die USA unter keinen Umständen in den Syrienkrieg verwickelt werden darf. Plötzlich hat er sich um-entschlossen. Nur um diesem Bastard eine Lektion zu erteilen. Und um der Welt zu zeigen, was er wirklich für ein toller Mann ist.

Die Operation war ein immenser Erfolg. Übernacht wurde der verachtete Trump ein Nationalheld. Selbst Liberale küssten seine Füße.

DOCH DURCHGEHEND nagte diese Frage an meinem Verstand. Warum hat Assad dies getan? Was hat er damit gewonnen?

Die einfache Antwort ist: Nichts. Absolut nichts.

(„ASSAD“ bedeutet „LÖWE“ im Arabischen. Im Gegensatz zu dem, was westliche Experten und Staatsmänner zu glauben scheinen, liegt die Betonung auf der ersten Silbe.)

Mit Hilfe der Russen, dem Iran und der Hisbolla, gewinnt Assad langsam den Bürgerkrieg, der seit Jahren in Syrien wütet. Er hat schon fast alle größeren Städte erreicht, die das Herzstück Syriens bilden. Er hat genug Waffen, um jede Anzahl von feindlichen Zivilisten zu töten.

Warum also um Allahs Willen sollte er Gasbomben verwenden, um ein paar Dutzend mehr zu töten? Warum den Zorn der ganzen Welt auf sich ziehen?

Keinen Weg gibt es, die Schlussfolgerung zu leugnen: Assad hat das Wenigste aus der niederträchtigen Tat zu gewinnen. Auf der Liste von Cui bono ist er der letzte.

Assad ist ein zynischer Diktator, vielleicht grausam, aber er ist bei weitem kein Dummkopf. Er wurde von seinem Vater Hafez al-Assad erzogen, der eine lange Zeit vor ihm ein Diktator war. Selbst wenn er ein Dummkopf wäre, seine Berater schließen einige der klügsten Leute auf Erden ein: Vladimir Putin von Russland, Hassan Rouhani vom Iran, Hassan Nassrallah von der Hisbollah.

Also wer hat etwas zu gewinnen? Nun, ein Dutzend syrischer Sekten und Milizen, die gegen Assad kämpfen und gegen jeden anderen in diesem verrückten Bürgerkrieg. Auch ihre sunnitisch arabischen Verbündeten, die Saudis und andere Golf-Scheichs. Und Israel, natürlich. Alle haben sie ein Interesse, die zivilisierte Welt gegen den syrischen Diktator zu erwecken.

Eine ganz simple Logik.

EIN MILITÄRISCHER Akt muss ein politisches Ziel haben. Wie Carl von Clausewitz vor 200 Jahren berühmter Weise sagte: der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.

Die zwei Hauptopponenten im syrischen Bürgerkrieg sind das Assad-Regime und Daesh. Was ist also das Ziel der US? Es klingt wie ein Witz, Die US wollen beide Seiten zerstören. Noch ein Witz: als erstes wollen sie Daesh zerstören, deshalb bombardiert es Assad.

Die Zerstörung von Daesh ist höchst wünschenswert. Es gibt kaum eine widerwärtigere Gruppe in der Welt. Aber Daesh ist nicht nur eine Organisation. es ist eine Idee. Die Zerstörung des Daesh-Staates wird Tausende von engagierten Mördern über die ganze Welt zerstreuen.

Amerikas eigene Klienten in Syrien haben ein trauriges Los, sie sind fast geschlagen. Sie haben keine Chance zu gewinnen.

Assad jetzt verletzen, bedeutet nur, den Bürgerkrieg zu verlängern, der jetzt sogar sinnloser ist als vorher.

FÜR MICH, einem professionellen Journalisten fast mein Leben lang, ist der deprimierendste Aspekt dieses ganzen Kapitels der Einfluss der amerikanischen und westlichen Medien im Allgemeinen.

Ich lese die New York Times und bewundere sie. Doch zerkleinern sie all ihre professionellen Standards durch Veröffentlichen einer unbewiesenen Vermutung als biblische Wahrheit ohne Nachweis der Bestätigung. Vielleicht ist schließlich Assad anzuklagen. Aber wo sind die Beweise? Wer hat untersucht und was waren die Resultate?

Noch schlimmer, die „Nachrichten“ wurden unmittelbar eine weltweite Wahrheit. Viele Millionen wiederholen bedenkenlos als selbstverständlich wie den Sonnenaufgang im Osten und den Sonnenuntergang im Westen.

Keine Frage taucht auf. Kein Beweis wird verlangt oder erbracht. Sehr deprimierend.

ZURÜCK ZUM Diktator. Warum benötigt Syrien einen Diktator? Warum ist Syrien keine wunderbare Demokratie im Stil der Bundesrepublik?

Die syrische Diktatur ist kein zufälliges Phänomen. Sie hat sehr konkrete Wurzeln.

Syrien wurde von Frankreich nach dem 1. Weltkrieg geschaffen. Ein Teil spaltete sich später ab und wurde der Libanon.

Beides sind künstliche Erzeugnisse. Ich zweifle, ob es da heute echte Syrer und echte Libanesen gibt.

Der Libanon ist ein gebirgiges Land, ideal für kleine Sekten, die sich selbst verteidigen müssen. Während der Jahrhunderte fanden kleine Sekten hier Zuflucht. Die Folge davon ist, dass der Libanon voll solcher kleinen Sekten ist, die sich einander nicht lieben – Sunniten, Muslime, Shiitische Muslime, maronitische Christen und viele andere christliche Sekten, Drusen, Kurden.

Syrien ist größtenteils dasselbe mit denselben Sekten und zusätzlich den Alawiten. Diese sind wie die Shiiten Nachfolger des Ali Ibn Abi Talab, einem Cousin und Schwiegersohn des Propheten (deswegen der Name). Sie besetzen einen Streifen Land im Norden von Syrien.

Beide Länder mussten ein System erfinden, das solchen verschiedenen und einander verfeindeten Entitäten das Zusammenleben erlaubt. Sie fanden zwei verschiedene Systeme.

Im Libanon mit einer Vergangenheit von vielen brutalen Bürgerkriegen, erfand man eine Teilung. Der Präsident ist immer ein Maronit, der Ministerpräsident ein Sunnit, der Kommandeur der Armee ist ein Druse und der Sprecher des Parlamentes ein Shiit.

Als Israel 1982 den Libanon überfiel, waren die Shiiten im Süden die untersten auf der Leiter. Sie begrüßten unsere Soldaten mit Reis. Aber bald wurde ihnen klar, dass die Israelis nicht gekommen waren, um ihre herrischen Nachbarn zu besiegen, sondern um zu bleiben. So begannen die einfachen Shiiten einen sehr erfolgreichen Guerillakrieg, in dessen Verlauf sie die mächtigste Gemeinschaft im Libanon wurden. Sie werden von der Hisbollah geführt. Aber das System hält noch.

Die Syrer fanden ein anderes System. Sie unterwarfen sich bereitwillig einer Diktatur, um das Land zusammenzuhalten und um den internen Frieden zu sichern.

Die Bibel erzählt uns, dass als das israelitische Volk sich entschied, einen König zu haben, sie einen Mann mit Namen Saul nahmen, der zum kleinsten Stamm gehörte, Benjamin. Die modernen Syrer machten weitaus dasselbe. Sie unterwarfen sich einem Diktator aus einem der kleinsten Stämme, den Alawiten.

Die Assads sind säkular, nicht religiöse Herrscher – das genaue Gegenteil von den fanatischen, mörderischen Daesh. Viele Muslime glauben, dass die Alawiten überhaupt keine Muslime sind. Seit Syrien (und Ägypten )den Yom-Kippur-Krieg gegen Israel vor 44 Jahren verloren hatte, hielten die Assads an unserer Grenze Frieden, obwohl Israel die syrischen Golanhöhen annektiert hat.

Der Bürgerkrieg in Syrien geht weiter. Jeder kämpft gegen jeden. Die verschiedenen Gruppen von „Rebellen“ – finanziert und bewaffnet von den US –, sind jetzt in schlechter Form. Es sind mehrere konkurrierende Gruppen von Jihadisten, die die Jihadistischen Daesh hassen. Eine kurdische Enklave will sich trennen , sie sind keine Araber, aber meistens Muslime. Andere Kurden leben in Enklaven in der südlichen Türkei, im Irak und Iran. Sie können keine gemeinsame Sache machen. Weil sie einander hassen.

Und da ist der arme, unschuldige Donald Trump, der geschworen hat, sich nicht in all dieses Durcheinander hineinziehen zu lassen, tut jetzt genau dies.

Einen Tag vorher wurde Trump vom halben amerikanischen Volk, einschließlich der Medien verachtet. Nur durch den Abschuss von ein paar Raketen hat er, als ein mächtiger und weiser Führer allgemeine Bewunderung gewonnen.

Was sagt das über das amerikanische Volk aus und über die Menschheit im Allgemeinen aus?

( dt. Ellen Rohlfs, vom Verfasser

 

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