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Über Grenzen „sea-watch“

Erstellt von DL-Redaktion am Sonntag 24. Dezember 2017

Ruben Neugebauer
ist einer der wichtigsten Aktivisten der Bewegungsszene.

Aus Malta und Berlin Patricia Hecht

Mit der „Sea-Watch 3“ rettet er Flüchtlinge aus dem Mittelmeer. Er sagt, er sei glücklich. Doch auch er kann dem Druck auf Dauer kaum standhalten.

Ruben Neugebauer hat es eilig. Zusammen mit zwei Crewmitgliedern von Sea Watch e. V. läuft er das Rollfeld des Flughafens von Malta entlang, hin zu einem kleinen einmotorigen Propellerflugzeug, das vor den Hangars parkt. Es ist früh um sieben, für den maltesischen November ein warmer Tag. Die drei nehmen die Plane ab, die über der „Moonbird“ liegt, sie wollen schnell starten, weil noch für den Vormittag Gewitter vorhergesagt sind.

Sie ziehen Schwimmwesten über ihre orangen Pilotenanzüge und setzen Kopfhörer auf, über die sie den Funk hören und sich während des lauten Flugs verständigen können. Als Neugebauer den Motor der „Moonbird“ startet, zuckt ein Blitz über den Himmel. Das Gewitter zieht früher und heftiger auf als erwartet. Durch so eine Regenfront schafft es das Kleinflugzeug nicht hinaus aufs Meer. „Die Scheiße ist“, sagt Neugebauer und macht den Motor wieder aus, „in Libyen ist gutes Wetter.“

Von der libyschen Küste aus, von Sabrata oder al-Chums, etwa 360 Kilometer südlich auf der anderen Seite des Mittelmeers gelegen, haben in der Nacht deshalb viele Boote abgelegt. In Holz- und Schlauchbooten dürften sich Hunderte Menschen auf den Weg nach Europa gemacht haben. Sea Watch, die NGO, für die Neugebauer fliegen will, rettet Flüchtende aus Seenot. Aber ob es heute noch möglich sein wird, mit der „Moonbird“ nach überfüllten oder lecken Booten Ausschau zu halten, ist unklar.

Neugebauer, 28, Dreitagebart, gebeugte Schultern, ist die umtriebigste Person, die es in der deutschsprachigen Bewegungsszene momentan gibt. Er hat Sea Watch mitgegründet und aufgebaut und ist Sprecher, Koordinator und Krisenmanager der NGO. Er betreut Kampagnen, fliegt und fährt zur See. Die Arbeit wird nicht leichter: Anfangs wurde Sea Watch gefeiert, inzwischen kämpft die Organisation um ihren Ruf.

Mit Sea Watch verbringt Neugebauer ehrenamtlich so viel Zeit wie andere mit einem Vollzeitjob. Um Geld zu verdienen, arbeitet er als Film- und Fotojournalist und recherchiert Kampag­nen für NGOs. „Ich hab ein Stress­leben“, sagt Neugebauer und lacht, weil er hinter fast allen Sätzen lacht, die er sagt. „Aber ich war noch nie in der Lage, mich für eine Sache zu entscheiden.“

Deshalb ist es auch nicht ganz einfach, Ruben Neugebauer zu treffen. „Wir können unterwegs sprechen“, sagt er oft, freundlich und mit schwäbischem Akzent. Unterwegs, das heißt: im Auto, wenn er auf Malta vom Haus, das Sea Watch für die Crew gemietet hat, zum Schiff oder Flugzeug fährt; am Telefon im ICE, wenn er von Berlin nach Bonn fährt, wo KlimaaktivistInnen von Ende Gelände einen Tagebau besetzen wollen; oder auf dem Weg zum Flughafen Berlin-Tegel, bevor er wegen einer Recherche im Irak zwei Wochen kaum erreichbar sein wird.

Ruben Neugebauers Leben ist voller Projekte, die fast immer mit denselben Themen zu tun haben, Umwelt- und Menschenrechte, seit Schulzeiten. Er wächst in Reutlingen auf in einem friedensbewegten Haushalt, wird Klassensprecher und sitzt im Jugendgemeinderat. Als er 13 ist, wird ein Mädchen aus dem benachbarten Tübingen in das Kosovo abgeschoben. Er kennt die Jugendliche flüchtig, sie ist gerade zur Schülersprecherin gewählt worden. Obwohl sie in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, wird sie von einem Tag auf den anderen ausgewiesen. „Aus der Schule raus und weg“, sagt Neugebauer. „Dass das jemand macht, war ein Schock für mich.“ Sein Vertrauen in den Staatsapparat wird nachhaltig erschüttert. Ein paar Jahre später besucht er sie und veröffentlicht ein Porträt von ihr in der Jungle World.

Irgendwo im Grenzbereich zwischen Ernst und Klamauk bewegen sich bald erste Provokationen gegenüber Gegnern, die größer sind als er. Noch als Schüler gründet er den „Polizeifanverein Knüppeldick“, der sich angesichts der damals diskutierten restriktiven Novellierung des Versammlungsgesetzes Hunderte Kleinstveranstaltungen vom Ordnungsamt genehmigen lässt – und der Verwaltung damit stapelweise Formulare beschert, die sie abarbeiten muss. Er schließt sich den AktivistInnen von Robin Wood an, die Kletter- und Blockadeaktionen für saubere Energie- und Umweltpolitik machen, an Atomkraftwerken oder auf Kränen. Nebenbei, sagt er, habe er angefangen, „unsere eigenen Aktionen zu fotografieren“.

Als der Grüne Jürgen Trittin während einer Podiumsdiskussion eine Torte ins Gesicht bekommt, ist Neugebauer zufällig dort und drückt auf den Auslöser. Für das Geld, das er für das Foto bekommt, kauft er eine professionelle Ausrüstung. Mit FreundInnen gründet er ein Multimediakollektiv. Sie liefern Videos, Fotos und Texte für die taz, den Spiegel, den Guardian oder die ARD und berichten aus Syrien, dem Irak und von den Außengrenzen der EU. Während einer Recherche im türkischen Diyarbakır werden er und zwei Freunde verhaftet, der Vorwurf des Erdoğan-Regimes: Terrorismus und Spionage. Das Auswärtige Amt erreicht schnell ihre Frelassug.

Bildergebnis für Wikimedia Commons Bilder Ruben Neugebauer sea watch

Helden für ein Jahr

Auf Malta geht am Morgen ein Notruf ein. Neugebauer hat die „Moonbird“ gerade wieder geparkt, als eine NGO meldet, ein Boot habe das libysche al-Chums wohl früh um drei Uhr verlassen. Um die 60 Menschen sind an Bord, die Koordinaten bleiben vage. Klar ist: Das Gewitter wird von Norden direkt dorthin ziehen. „Wenn das Boot gegen Abend noch nicht gefunden wurde, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Leute sterben“, sagt Neugebauer.

Aber weil er das nicht ändern kann, weil die „Moonbird“ nicht fliegen kann, solange das Wetter so bleibt, und weil der Tod hier zum Alltag gehört, arbeitet er vorerst eben anderswo weiter. Freiwillige für die Aufklärungsflüge warten darauf, eingewiesen zu werden, die Notfallnummer für Einsätze funktioniert noch nicht, und schon in zwei Tagen soll das neue Schiff, die „Sea-Watch 3“, zum ersten Mal auf Mission fahren.Die Organisation hat sie erst vor zwei Monaten gekauft. 50 Meter lang und blau-weiß-rot gestrichen liegt das Schiff, eine Viertelstunde vom Flughafen entfernt, im Hafen von Valletta, wo es nach Salzwasser und Diesel riecht. Dass die „Sea-Watch 3“ direkt neben dem grauen Schiff der europäischen Grenzwache Frontex ankert, ist Zufall. Kontakt zwischen den Crews gibt es nicht.

Sea Watch arbeitet mit nur wenigen Festangestellten, zwischen 20 und 40 sind es kontinuierlich, deshalb braucht es einen großen Pool von Ehrenamtlichen: PilotInnen, die die „Moonbird“ fliegen, und ÄrztInnen, MechanikerInnen, SanitäterInnen und KöchInnen, die auf den zweiwöchigen Rettungsmissionen auf dem Schiff dabei sind.

Inzwischen regnet es in Strömen. Neugebauer steht telefonierend unter Deck auf dem neuen Schiff. Er trägt blaue Kopfhörer, das Handy steckt in der Hosentasche, so hat er die Hände frei. Neugebauer ist ständig unterwegs – aber wenn er mit jemandem spricht, egal wo oder mit wem, dann nimmt er sich Zeit. Er arbeitet mit einer ruhigen, stetigen Energie – was dazu führt, dass seine Tage lang und die Nächte oft nur fünf, sechs Stunden kurz sind. Er ist der Erste, der morgens die Fluggenehmigungen und Strömungsfilme des Mittelmeers checkt. Und der Letzte, der nachts am Tisch im Bauch des Schiffes sitzt und das Stück Pizza vergisst, das neben seinem Laptop liegt, weil ihm die Mails wichtiger sind. „Im Krisenmodus ist das okay“, sagt er. Das Problem ist nur, dass Sea Watch seit fast drei Jahren überhaupt nicht mehr aus dem Krisenmodus herauskommt.

Quelle    :       TAZ        >>>>>       weiterlesen

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Grafikquelle   :

Oben   — Sea-Watch 2 beim Auslaufen aus dem Hamburger Hafen im März 2016

 

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