DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Tunesisch Denken

Erstellt von Redaktion am Sonntag 13. November 2011

Wofür steht Tunesien heute

Jetzt wird sie wieder aufgebaut, die große Angst der Regierung vor den Religionen dieser Welt wobei das Hauptaugenmerk des Westens zur Zeit auf den Islam gerichtet ist. Das hier die Angst vor  wirtschaftlichen Einbußen an erster Stelle steht und die Religion als Argumentationskrücke benutzt wird ist nur allzu offensichtlich. So wird versucht den „arabische Frühling“ aus Angst vor finanzielle Verluste abwertend zu beurteilen.

Gerade für Deutschland, als einer der Weltweit größten Lieferanten auch von Kriegsmaterialien sind die wirtschaftlichen Interessen so wichtig. Nur durch eine Konzentration auf den Export, welcher die Großkonzerne bevorzugt, lässt sich die fehlende Wirtschaftlichkeit im eigenen Land kaschieren. Das Blendwerk der Zahlen ist wichtig um die eigene Bevölkerung ruhig zu halten.

So geht die Journalistin Charlotte Wiedemann einmal der Frage nach wofür denn Tunis heute steht.

Tunesisch Denken

Ganz im Ernst: Wofür steht Tunis nun? Auf der Terrasse des Grand Café du Théatre (einer modernistischen Bastion) mehren sich die Fragen. Etwa die nach dem einstigen Todesurteil für den Wahlsieger, den Vorsitzenden der Ennahda, Rachid Ghannouchi. Verhängt unter Bourguiba, jenem allzeit verehrten Habib Bourguiba, nach dem in Tunesien jede gerade verlaufende Straße benannt ist, natürlich auch die, an der wir gerade sitzen. Und nun hat ein Mann, den er vernichten wollte, das Vertrauen der Wähler gewonnen?

Nehmen wir noch den designierten Premierminister dazu, Hamadi Jebali, 16 Jahre Gefängnis im Lebenslauf. Kann man sich einen dramatischeren Bruch mit der Vergangenheit denken? Und warum wird das so wenig erwähnt? Die Islamisten haben kein Recht auf Rechte, so dachten viele Tunesier früher; heute denken sie das nicht mehr. Aber im westlichen Denken steckt das noch drin. Die Kerkerjahre der Islamisten wecken bei uns wenig Respekt: Das ist nicht Bekennende Kirche. Dabei gab es in den arabischen Diktaturen durchaus ein Äquivalent zu der Verhaftungs-und-Schweige-Spirale, die Martin Niemöller in seinem berühmten Zitat verewigt hat. Als das Regime die Islamisten holte, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Islamist. Und irgendwann war niemand mehr da, der protestieren konnte.

Die Anwältin Radhia Nasraoui, eine der mutigsten Frauen Tunesiens und nebenbei Kommunistin, gab im Frühjahr auf meine Frage, warum sie unter Ben Ali Islamisten verteidigt hat, die wunderbare Antwort: „Weil es mir egal ist, warum jemand gefoltert wird.“ Das ist Think tounsi.

Für die Frage, wer in der Ennahda-Partei etwas zu sagen hat, spielt die sogenannte legitimité carcérale eine große Rolle, die Kerkerlegitimität. Obwohl die Gefängniskarrieren in eine Zeit zurückreichen, als die Protagonisten noch von einer Radikalität waren, die sie inzwischen über Bord geworfen haben. Es gibt keinen Reuediskurs; für das Scharia-Kettenhemd von gestern muss sich nicht entschuldigen, wer nun den zivilen Anzug des moderaten Neoislamisten trägt. Eher halten die Geläuterten, mit neuem Selbstbewusstsein, der Gesellschaft vor, wie sie sich vom Regime die Vernichtung jeder Solidarität hat aufzwingen lassen.

Quelle: Le Monde diplomatique >>>>> weiterlesen

IE

———————————————————————————————————-

Grafikquelle   :  Durch die Gewerkschaft UGTT organisierte Demonstration am 21. Januar 2011

Kommentar schreiben

XHTML: Sie können diese Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>