Das Problem mit der Triage ist, dass man für die Entscheidung Regeln braucht. Bisher galten in Deutschland die eines Berufsverbands für Ärzte. Die wichtigste Frage war: Wer hat bessere Chancen zu überleben? Das hört sich sinnvoll an. Aber die Befürchtung ist: Alte Menschen oder Menschen mit Behinderungen lässt man eher sterben. Das geht nicht, sagt das Bundesverfassungsgericht, das höchste Gericht in Deutschland.
Im vergangenen Jahr habe ich mich mit einer Entscheidung über Leben oder Tod beschäftigt. Mein Vater ist Anfang Mai 2020 gestorben. Er hatte Krebs. Die erste Welle der Pandemie beherrschte das Land. Man durfte niemanden im Krankenhaus besuchen. Viele Menschen starben allein in der Klinik, das wollte mein Vater nicht. Allerdings wollte er auch leben. Er hatte aber nicht nur Krebs, sondern auch zwei Schlaganfälle gehabt. Deshalb war er nicht immer ansprechbar. Ein paar Stunden in der Woche hatte er genug Energie, um zu diskutieren. In diesen Momenten haben wir darüber gesprochen, was mit ihm passieren soll. Das ist auch der Grund, warum dieser Text anders geschrieben ist als andere Kolumnen. Ich habe einfache Sprache benutzt. Genau in dieser Sprache habe ich mit meinem Vater diskutiert. Er hatte nach den Schlaganfällen Probleme, lange Sätze zu verstehen. Oder komplizierte Sätze.
Wir hatten noch nicht zu Ende diskutiert, als er das Bewusstsein verlor. Ich fragte eine Ärztin im Vertrauen. Sie sagte, ohne Operation wird mein Vater nicht mehr lange leben. Aber mit Operation müsste er noch sehr lange im Krankenhaus bleiben. Vielleicht wäre er gestorben, ohne seine Freundin und seine Freunde noch einmal zu umarmen. Dann musste ich eine Entscheidung treffen. Soll er operiert werden oder nach Hause entlassen werden?
Es wurde keine Triage angewendet. Aber die Ärzte haben angedeutet, ohne Operation sollte er lieber zu Hause gepflegt werden. Das Krankenhaus brauchte das Bett.
Ich habe entschieden, dass mein Vater nicht operiert wird. Er wurde nach Hause gebracht. Er ist noch ein paar Mal aufgewacht und war sehr froh, zu Hause zu sein. Er hatte keine Lust mehr auf das Krankenhaus, er hätte sich genau so entschieden wie ich. Zwei Wochen später starb er. Ich schreibe die Geschichte von meinem Vater auf, weil in der Öffentlichkeit wenig über den Tod gesprochen wird. Und weil ich glaube, dass in der Diskussion um die Triage auch die eigenen Entscheidungen der Menschen berücksichtigt werden sollten.
Die Triage ist eine extreme Situation. Niemand möchte, dass sie kommt. Aber die Triage berührt die wichtigsten Werte, die wir Menschen kennen. Die Entscheidung für ein Leben und gegen ein anderes Leben hat immer einen schlimmen Beigeschmack: Welcher Mensch ist überlebenswert? »Nicht lebenswert« ist ein Begriff, der von den Nazis benutzt wurde. Sie haben so zum Beispiel Menschen mit Behinderung oder mit Krankheiten bezeichnet, die sie ermordet haben. Bei der Diskussion um die Triage muss man in Deutschland immer berücksichtigen, dass hier viele, viele Menschen ermordet wurden. Nur weil sie krank waren oder eine Behinderung hatten.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Verwundete bei der Ankunft am Triage-Bahnhof, Suippes, Frankreich, aus dem Sanitätszug. Ausgewählt von Scott.