Treibt die linke Partei
Erstellt von Redaktion am Mittwoch 5. April 2017
– ihre Jugendlichen in den IS Krieg ?
Hat diese Revolution noch Platz für mich?
Autorin : Marlene Gürgen
Ein deutscher Linker war fast sein ganzes Leben in der autonomen Szene aktiv. Weil er keine Perspektive mehr sieht, geht er nach Syrien, um für die Kurden zu kämpfen
Das erste Mal unter Feuer? Du hörst das Pfeifen der Raketen, wirfst dich auf den Boden, die Hände über dem Kopf. Als ich neben mir die anderen im Sand liegen sah, alle mit ihren Händen über den Köpfen, musste ich fast lachen, so absurd kam mir die Situation vor. Zurückzuschießen ist dann weniger schwer, als man vielleicht denkt. In einem Gefecht nimmt man Feinde nicht als Mensch wahr, sondern als etwas, das sich bewegt. Meistens passiert das auf Distanzen zwischen 50 und 100 Metern. Es ist laut, du hörst Pfeifen von allen Seiten, versuchst rauszufinden, von wo du beschossen wirst und wohin du schießen musst. Du denkst nicht nach. Du schaust: Wo bin ich, wo sind die Freunde, wie bewege ich mich? Das Nachdenken kommt hinterher.
Ich kämpfe in Syrien auf der Seite der Kurden. Gegen den „Islamischen Staat“, den wir hier Daesh nennen.
Warum ich das tue? Aus verschiedenen Gründen. In den letzten Jahren habe ich angefangen, an dem zu zweifeln, was ich fast mein ganzes Leben lang gemacht habe. Zwanzig Jahre, seit meiner Jugend, war ich aktiv im autonomen Antifaschismus. Aber immer anrücken, wenn es brennt, das ist keine nachhaltige Politik, das ist Hooliganismus. Wenn ich die politische Situation in Deutschland sehe, frage ich mich, was ich bewegt habe. Damit meine ich nicht die AfD. Jeder ist gegen die AfD. Aber wer schiebt Menschen ab, wer verkauft Waffen, wer führt Kriege? Das sind SPD und CDU.
Wichtig für meine Entscheidung waren der Kampf um die kurdische Stadt Kobane und die Nachrichten über die vielen Ertrunkenen im Mittelmeer. Als Daesh im Herbst 2014 Kobane angriff, saß ich tagelang vor dem Bildschirm. Ich kannte Leute aus Deutschland, die da unten waren, und wir haben uns per Messenger geschrieben.
Sie haben erzählt, wie es dort aussieht, wie die Stimmung unter den Kurden ist. Nach einer Weile haben sie gefragt: Und wann kommst du? Aber ich habe keine Ausbildung, die beim Wiederaufbau nützlich sein könnte. Ich war nie beim Militär, ich spreche die Sprache nicht.
Aber dass so viele Menschen auf der Flucht nach Europa sterben, das hat bei mir diesen Impuls ausgelöst: Ich halte das nicht mehr aus auf der Zuschauerbank. Ich wusste nicht viel über Rojava, aber ich habe schon damals geglaubt, dieser Ort könnte den Menschen in Syrien Hoffnung geben. Wenn Rojava ein Erfolg wird, müssen sie vielleicht nicht mehr fliehen. Ich wollte wissen, ob es einen Platz für mich gibt in dieser Revolution.
Während des Kriegs in Syrien zogen sich 2012 die syrischen Regierungstruppen aus den mehrheitlich kurdisch besiedelten Teilen Nordsyriens zurück. Die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) und deren militärischer Arm, die Volksverteidigungseinheiten (YPG), kontrollieren das von ihnen Rojava genannte Gebiet. Im Januar 2014 erklärte die Region ihre Unabhängigkeit. Kein Staat hat sie anerkannt. Die PYD sagt, sie wolle den Staat zugunsten einer ethnisch und religiös pluralen, selbstverwalteten Zivilgesellschaft abschaffen.
Bevor ich im März 2015 zum ersten Mal nach Rojava gereist bin, habe ich etwas Kurdisch gelernt und mich über die Region informiert. Wohin ich gehe, habe ich nur wenigen Freunden erzählt. Kurz vorher war die deutsche Freiwillige Ivana Hoffmann im Kampf getötet worden. Die Behörden waren aufmerksam. Einer Deutschen, die nach Kobane wollte, wurde am Frankfurter Flughafen die Ausreise verweigert.
Für westliche Freiwillige, die zur YPG wollten, existierten damals zwei Wege: Für die unpolitischen Leute ohne Kontakte gab es die Lions of Rojava, eine westliche Einheit in der YPG, mit der man über Facebook Kontakt aufnehmen konnte.
Leute mit politischen Kontakten gingen zur Einheit der türkischen Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei. Ich bin in die türkische Stadt Suruc gefahren, dort hatte ich einen Kontakt. Der hat mich über die Grenze nach Kobane gebracht und von dort nach Ra‘s al-‘Ain das ist auch eine Stadt unweit der syrischen Grenze.
Dort haben die westlichen Freiwilligen ihre Ausbildung bekommen. Zwei Wochen hat das gedauert, wir sind alle Waffentypen einmal durchgegangen. Ich habe mich dem International Freedom Battalion der Marxistisch-Leninistischen Partei angeschlossen. Es ist der YPG unterstellt und besteht vor allem aus Türken plus einigen westlichen Freiwilligen.
2014 gab es erste Meldungen über nichtkurdische Freiwillige in der YPG. Wie viele es in der Organisation gibt, ist nicht bekannt, die Zahl ihrer Soldaten wird meist mit 10.000–20.000 angegeben. Sie ist Teil des 2015 gebildeten Militärbündnisses Syrian Democratic Forces (SDF), dem wichtigsten Partner der von den USA geführten internationalen Koalition gegen den „Islamischen Staat“.
Mit orthodoxen Kommunisten und Stalinisten wollte ich in Deutschland nichts zu tun haben. Aber in der Marxistisch-Leninistisch Kommunistischen Partei gibt es viele, die sich so bezeichnen. Eine Frau hat sich mir als Maoistin vorgestellt. Während der Operation in al-Hawl kreisten die amerikanischen Predator-Drohnen ständig über uns. Die haben aus der Luft gearbeitet, wir am Boden. Und jedes Mal, wenn eine Drohne etwas weggebombt hat, haben die Leute um mich herum gejubelt, obwohl sie überzeugte Antiimperialisten waren.
Ich habe sie gefragt, warum sie das tun, aber eine richtige politische Diskussion habe ich mit denen nie führen können. Mein bisschen Kurdisch hat mir in meinem ersten Jahr nichts gebracht, denn in unserer Einheit wurde Türkisch gesprochen.
Am 31. Oktober 2015 begannen Truppen der Syrian Democratic Forces mit ihrer Offensive auf die syrische Kleinstadt al-Hawl nahe der irakischen Grenze. Am 13. November nahmen SDF-Soldaten die Stadt ein und stießen danach weiter nach Süden vor. Der „Islamische Staat“ wurde aus einem Gebiet von 1.400 Quadratkilometern zurückgedrängt, die Operation gilt als erster großer Erfolg des Militärbündnisses.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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- Erstellt: etwa 1932