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TIMBUKTU

Erstellt von Redaktion am Freitag 12. Dezember 2014

Spielen ohne Ball

Autor: Angelika Kettelhack

Rationalgalerie

Datum: 11. Dezember 2014

Zweiundzwanzig Jungen laufen auf einem Sandfeld hin und her. Sie juchzen und lachen und rufen etwas in einer Sprache, die wir nicht verstehen. Aber es ist offensichtlich, dass sie Fußball spielen – nur seltsamerweise ohne Ball. Denn das ist verboten in Timbuktu in Mali seitdem islamische Fundamentalisten die sagenumwobene Oasen-Stadt in der afrikanischen Sahelzone überfallen haben. Mit einer beeindruckenden Pantomime ohne Ball bewegen sich die halbwüchsigen Jungen über das Spielfeld und leisten so den Besatzern subversiven Widerstand.

Mit dieser Szene wird der Regisseur und Produzent Abderrahmane Sissako, 53, wahrscheinlich in die Filmgeschichte eingehen. Aber ohnehin gilt er als einer der bekanntesten Filmschaffenden aus dem subsaharischen Afrika. Seine Haupt-Themen sind Globalisierung und Exil. Geboren wurde er im dünn besiedelten Mauretanien, zog aber bald mit seinen Eltern nach Mali, weil sein Vater von dorther stammte. Mit 22 Jahren ging er nach Moskau, um an der WGIK, der ältesten Filmhochschule der Welt, Kinematographie zu studieren. Heute lebt Abderrahmane Sissako in Paris und in Mauretanien.

In seinem neuesten Film „Timbuktu“ lässt er gleich in der Eröffnungssequenz einen Haufen barbarischer Islamisten auftauchen, die aus purer Langeweile mit ihren Maschinengewehren spielen und auf afrikanische Kultgegenstände schießen und somit im weitesten Sinne ihre eigene Tradition vernichten. Alles, was der eigenen Ideologie und Überzeugung zuwiderläuft, wird zerstört. Diese Szene erinnert daran wie 2001 die riesigen Buddha-Statuen aus dem 6. Jahrhundert im afghanischen Bamyian ebenfalls von religiösen Fanatikern gesprengt wurden.

Früher galt Timbuktu, am nördlichen Knie des Niger, und somit verkehrstechnisch günstig gelegen, als eine der wichtigsten mittelalterlichen Handelsmetropolen. Getauscht wurden neben dem begehrten Gold und Salz auch Elfenbein, Moschus, Kolanüsse, Leder und Pfeffer. Darüber hinaus entwickelte sich Timbuktu auch als Mittelpunkt des islamischen Geisteslebens in Westafrika: An der Sankoré-Mosche existierte schon damals eine Medresa, vergleichbar einer mittelalterlichen Universität, an der die arabische Sprache, Rhetorik und Astrologie gelehrt wurden. Vom Glanz alter Tage ist heute nichts mehr übrig geblieben. Die Bevölkerung ist arm und zum großen Teil arbeitslos. Von den klassischen Handelsgütern der Vergangenheit ist lediglich das Salz übrig geblieben.

Im Interview betont Sissako mit viel Nachdruck, dass für ihn persönlich die Religion des Islam sehr wichtig ist, dass ihm aber die Praktiken der neuen islamistischen Fundamentalisten ein Gräuel sind. In seinem Film „Timbuktu“ zeigt er wie unter der Führung dieser selbst ernannten Hüter der moralischen Ordnung das Leben der Bewohner von Timbuktu von einem Tag auf den anderen total verändert wird. In den dicht an einander erbauten Lehmhäusern, die dieselbe beige Farbe wie der Wüstensand der Umgebung haben, wird jede Lebensfreude durch unsinnige Ge- und Verbote verdrängt: Rauchen, Tanzen und Musikmachen werden verboten. Mit Lautsprechern rasen die Fundamentalisten plötzlich durch die engen Gassen der Stadt und verkünden, dass von nun an Schleier und Strümpfe für alle Frauen Pflicht sind.

Als auch die Marktfrauen gezwungen werden Handschuhe zu tragen, öffnet eine der empörten jungen Fischverkäuferinnen ihr Klappmesser und schreit die arabischen Dschihadisten an, sie sollten ihr doch gleich damit die Hände abhacken. Aber da ziehen die so mutigen Männer den Schwanz ein und lassen von ihr ab. In Szenen wie dieser erweist sich Sissakos genaue Beobachtungsgabe des Absurden im Alltäglichen. Er widersetzt sich somit der geistlosen Ideologie und furchteinflössenden Gewalt der religiös Verirrten auf humorvolle Weise wenn er zeigt, dass diese sich selbst mitnichten an ihre starren Regeln halten: Sie gucken Fussball im Fernsehen, sie machen sich an Frauen heran und natürlich rauchen sie heimlich. Nur in der Öffentlichkeit geben sie die puristischen Islamisten.

Doch sobald sie nicht zugegen sind, fühlen sich die Bewohner ungestört. Gitarren werden wieder ausgepackt, es wird getrommelt, gesungen und gelacht. Sissako interessiert sich in seinem Film ausgesprochen stark für Musik. Er schwört auf ihre aufbauende Wirkung und heilende Kraft in einem repressiven Regime. Auf den geheimgehaltenen Inseln der Freiheit siegt die Freude über die Allmachtsfantasien der Doktrinäre, zumindest solange, bis die Musizierenden ertappt und öffentlich ausgepeitscht werden. Auch mit den brutalen Bildern einer Steinigung von einer Frau und einem Mann, die bis auf den Kopf im Sand eingegraben sind, werden durch die Konfrontation der komischen Szenen mit denen der extremen Brutalität der Horror und das Entsetzen über die religiös radikalisierte Menschen fast ins Unerträgliche gesteigert.

Es tut gut die Ausgangsgeschichte des Film zu erinnern, an die kurzen Augenblicke des Glücks. Da lebt eine Tuareg-Familie, Kidane mit seiner Frau Satima und seiner Tochter Toya, friedlich in der Wüste, in der noch vom Wahn der Menschheit unberührten Natur. Nicht weit von Timbuktu entfernt. Dort müssen sie nicht wie die Bewohner der Stadt ohnmächtig das Terrorregime der Dschihadisten ertragen. Abderrahmane Sissako schildert das Leben der Familie in kraftvollen und poetischen Bildern mit einer Sanftheit, die das Drama, in das die Familie später unfreiwillig geraten wird, umso stärker miterleben lässt.

Der Film kommt am 11. 12. in die Kinos

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Grafikquelle    :     Erstligaspiel der Roma Rovers in Roma (1990)

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