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Thüringer Regierung

Erstellt von Redaktion am Freitag 15. November 2019

Thüringen – Minderheitsregierung

2019-10-27 Wahlabend Thüringen by Sandro Halank–09.jpg

Von Tom Strohschneider

Minderheitsregierung, das klingt erst mal doof. Dabei bietet sie viele Chancen.

Vor ein paar Tagen sorgte eine Meldung auf Twitter für Aufsehen: „CDU führte konkrete Gespräche mit der AfD“, so die Schlagzeile. Und das, so las man weiter, obwohl CDU-Fraktionschef Mike Mohring „zuvor jede Kooperation ausgeschlossen hatte“. Passiert da etwas Heimliches, Ungeheuerliches hinter den Kulissen der Erfurter Nachwahlpolitik? Eine Kooperation mit den Rechtsradikalen gegen Rot-Rot-Grün? Einige Politiker und Journalisten verbreiteten die irritierende Kunde weiter. Bis es jemandem auffiel: Die Meldung ist von 2014. Ein Kollege schrieb: „Geschichte wiederholt sich hoffentlich nicht.“

Was hätte sein können

Es gibt das berühmte Diktum von Karl Marx, dass so etwas eben doch passiert, „das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce“. Aber was, wenn es nach der Landtagswahl anders gekommen wäre, nur ein kleines bisschen anders, aber mit großen Wirkungen?

Vielleicht so: Es ist der 28. Oktober 2019, Mike Mohring macht sich am frühen Montagmorgen auf den Weg ins Fernsehstudio, eine schwere CDU-Klatsche im Nacken, unklare Mehrheitsverhältnisse, die Frage einer Kooperation mit der Linkspartei liegt wie ein zwei Tonnen schwerer Stein auf dem Tisch, man kann ihn nicht mal eben mit dem Handrücken wegfegen. „Die CDU in Thüringen ist bereit für Verantwortung, wie auch immer die aussehen kann und sollte“, sagt Mohring. „Deswegen muss man bereit sein, nach diesem Wahlergebnis auch Gespräche zu führen. Ohne was auszuschließen.“ Im Übrigen liege die Hoheit für den weiteren Erfurter Weg „alleine in Thüringen“.

Danach fährt Mohring in die CDU-Bundeszentrale, die Gremien tagen, zerknirschte Gesichter ob des Wahlausgangs – aber der Geist von Altmeister Bernhard Vogel ist in allen Köpfen: Man könne sich doch „Gesprächen nicht versagen“, keine Koalition mit der Linkspartei, das ist klar, aber daneben geht ja auch was. Auch die Thüringer Wirtschaft sieht das so: „Neue Situationen erfordern neue Maßnahmen“, heißt es vom Unternehmensverband. In der CDU-Bundeszentrale stimmt man zu, es wird eine Sprachregelung gesucht, Mohring bekommt sein Mandat. Nur eines nicht: irgendwelche Offenheit zur AfD zeigen. Und Mohring weiß auch: Selbst wenn er so denken würde, sollte er in dieser Runde nie und nimmer Sätze sagen wie: „Ramelow ist inhaltlich leer. Und wir werden als Union alles mit ihm machen können.“

Denn natürlich haben auch die Gegner der „neuen Maßnahmen“ Ohren, SMS-fähige Telefone und sie wissen, an wen sie sich wenden müssen. In der Bild-Zeitung wetzen sie ohnehin schon die Tastaturen, ein Gespräch mit Mohring wird als „Verhör“ verkauft, die alte Leier: Eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei sei Verrat der CDU an einem „ihrer letzten heiligen Werte“, der „Markenkern der Partei der Wiedervereinigung“ sei bedroht. Doch Mohring bleibt aufrecht, die CDU bleibt es fast ausnahmslos auch, keine Heckenschützen, kein verbales Störfeuer.

Eine neue Situation erfordert auch neues Verhalten. Hier wird es geliefert. Zumal alle wissen: Wer jetzt gegen Gespräche mit der Linkspartei auftritt, macht jene lauten Minderheiten stark, die am liebsten über die Brandmauer zur AfD hinüberklettern wollten. Ortsfunktionäre aus der vierten Reihe. Ein paar Anhänger der Werte-Union, die von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als „eine kleine Gruppe am rechten Rand der CDU“ beschrieben wird. Auch ein früherer Verfassungsschutzpräsident treibt dort gern sein Wesen.

Aber die CDU im ganzen bleibt stabil. Der Generalsekretär der CDU wehrt einen Vorstoß von der Vorgestern-Fraktion ab, die ihn zu einem Gastbeitrag gegen die Linkspartei drängen wollen. Stattdessen gibt Paul Ziemiak einen Text heraus, in dem er CDU und AfD „wie Feuer und Wasser“ nennt, eine Zusammenarbeit wäre „Verrat an der Christdemokratie“. Mohring sieht sich bestätigt und unterstützt, er nimmt das vertrauliche Angebot von Bodo Ramelow ganz vertraulich an. SMS werden ausgetauscht, aber nicht weitererzählt. Es wird jetzt eine Weile dauern, das wissen alle Beteiligten. Und es wird kompliziert. Der Erfurter Weg ist eine ziemlich steinige und steile Straße.

Mohring wird tags darauf natürlich auf seine Kanäle zu Ramelow angesprochen. Er reißt sich am Riemen: „Private Kommunikation ist aus gutem Grund vertraulich.“ Als sich der Moderator einer Talkshow später nachfragend an ihn heranlanzt, lächelt der CDU-Politiker bloß. Er denkt an das Bild-Interview, Schweigen ist in dieser Situation eine „Frage des Anstands“.

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Apropos Anstand, dass das Blatt das Gespräch zum „Verhör“ erklärt hat, wurmt Mohring. Ein Bonmot von Max Goldt kommt ihm in den Sinn: „Diese Zeitung ist ein Organ der Niedertracht.“ Auch dagegen muss man nun aufrecht bleiben. Drei Tage ist die Wahl erst her, der junge CDU-Fraktionschef blickt in eine ungewisse aber auch spannende Zukunft. Ja, eine neue Situation ist das. Thüringen, die politische Landschaft, CDU und Linkspartei – er erinnert sich an den Morgan am Tag nach der Wahl, an seine Worte: „Ruhe und Besonnenheit“.

Was wirklich war

Hätte, hätte, Fahrradkette – die ersten drei Tage nach der Wahl sind in Wahrheit anders verlaufen. Die Lage ist dadurch nicht einfacher geworden, sondern komplizierter. Mike Mohring hat daran großen Anteil, taktisch unsicher, strategisch unvorbereitet, machtpolitisch ungeschickt. Hat er mit dieser Lage etwa nicht gerechnet? In der Talkshow, in der er in Wahrheit auch die Vertraulichkeit Ramelows herumplappernd brach, sagt Mohring: Es sei ein Wahlergebnis „mit dem man nicht rechnen konnte. Vielleicht wollte ich auch nicht damit rechnen.“ Markus Lanz darauf: „Aber damit musste man doch rechnen.“ Mohring: „Klar, konnte man.“

Konnte? Und doch lässt sich die verfahrene Kiste nicht allein auf Mohring schieben. Sein Versuch, unmittelbar nach der Wahl die Tür zur Linken entgegen vorheriger Absagen ein kleines bisschen offenzuhalten, ist vor allem von Politikern der Union vereitelt worden, die Thüringen nur zum Spielball ihrer eigenen Machtlogiken gemacht haben.

Die Mohring-Debatte in der CDU war nicht zuletzt eine um den Kopf der Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer und gegen den Einfluss Angela Merkels. Nicht wenige haben nach dem Motto „Mohring schlagen, AKK und Merkel treffen“ agiert und dabei, man musste das ahnen können, jene angefeuert, die tatsächlich mit Rechtsradikalen reden wollen. Wie ein ausgerollter brauner Teppich für die, die glauben, man müsse die CDU noch weiter nach rechts abbiegen lassen.

Quelle         :     Der Freitag          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen              :

Oben       —           Election night Thuringia 2019: Bodo Ramelow (Die Linke)

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