Mein Garten in Venedig
Erstellt von DL-Redaktion am 21. August 2013
Mein Garten in Venedig
Natürlich habe ich die Wohnung genommen. Nicht nur, sagte die Agentur, dass sie sehr schön sei, ganz neu gemacht, sondern sie besitze auch, was es in Venedig eigentlich gar nicht gäbe, einen eigenen Garten. Schreiben im eigenen Garten mit Blick auf einen kleinen Kanal, nur ein paar Schritte weit vom großen Canal Grande: Was für eine Möglichkeit des Aus-der-Welt-Seins! Was wir Sommer, Urlaub nennen, ist eine Art von temporär suspendierter Anwesenheitsspflicht im eigenen Leben. Das Schreiben ist es letztlich auch, und hier ließe sich sogar beides verbinden: Das kaum begonnene Afrika-Buch würde sich ganz von allein schreiben, während ich Urlaub mache. Natürlich habe ich die Wohnung genommen. Und dann geschah es.
Ich als Sehenswürdigkeit
Meistens schaue ich erst hoch, wenn ich das Geräusch des Auslösers höre. Auf der kleinen Brücke nebenan stehen die Venedig-Touristen und fotografieren mich, wie sie die Rialto-Brücke oder die alten, zerbröselnden Palazzi fotografieren. Ich bin zu einer Sehenswürdigkeit geworden. Aber warum? Und warum empört mich das?
Manche nicken mir zu, wenn ich sie bemerkt habe, manche rufen auch ein „What a nice office!“ herüber oder wollen wissen, wo sie hier eigentlich sind, denn wen sollten sie sonst fragen als eine richtige Venezianerin, es gäbe ja nur noch Touristen in der Stadt. Aber die meisten gehen einfach weiter. Ich bin also ein bloßes – Objekt?
Objekt ist, wer dem Blick, der auf ihn gerichtet wird, nicht antworten kann, und von dem das, schlimmer noch, auch nicht erwartet wird. Ich bin demnach eine Naturtatsache, wie diese Stadtlandschaft auch, mehr zu ihr gehörend als zu denen da auf der Brücke Ponte Michiel. So ungefähr, überlege ich, nahm auch der koloniale Blick die Landeskinder Afrikas wahr, als er begann, den Kontinent unter sich aufzuteilen. Als ein kurioses Stück Natur, vor allem aber: als ein Stück Natur.
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Fotoquelle: Wikipedia – Author Pascalniff
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